Abschnitt. 2

Um eilf Uhr durchschritt ich die Gassen von Bützow, sah die geisterhafte Larva der Mamsell Hornbostel am Fenster, stand unter den letzten Tönen der Kirchenorgel vor dem gewaltigen Konsul Furius Quadratus Gallus.

„Das ist der Herr Rektore, Hochedelgeboren!“ sprach Grävedünkel, auf mich wie auf etwas ganz Neues deutend, und der Herr Bürgermeister erhob sich von seinem Stuhl, sank aber sogleich darauf zurück und erseufzte wie der Magister:


„Ah, mit Permission, Herr Rektore und Freund; aber ich bin hin!“

Er sah so aus, und ich konnte ihm aufs Wort glauben. Auch er, der würdige Vater der Stadt, hatte wenig geschlafen; ein neuer Atlas, trug er bis jetzt seine Welt, aber sie war ihm seit dem gestrigen Abend ein wenig zu schwer geworden. Grävedünkel stellte auch mir einen Sessel hin, und ich saß dem gebrochenen Oberhaupte des gemeinen Wesens von Bützow gegenüber und wartete fein stille ab, was es mir mitzuteilen habe.

„Ach, mein hochverehrtester Herr Gevatter und Rektore“, begann der Dirigens. „Ich würde es mich gewißlich nicht unterstanden haben, Ihn hiehero zu bemühen; ich würde Ihn gewißlich in Seiner eigenen Behausung aufgesuchet haben, wenn es mir nur meine Pflicht und Ehre und die Umstände der Zeit irgend permittieren wollten, meinen Posten zu verlassen. Aber die Tribulationes, so über uns dermalen hereingebrochen sind, lassen mir keine Ruhe, und Er ahnet nicht, Rektore, wer alles kommt und quästionieret und Rat und Hülfe haben will. Da ist keine Sekunde zum Atemschöpfen, und wenn die Malkontenten mir noch die Stadt an allen vier Ecken in Brand stecken, so ist doch nichts dagegen zu tun. O tempora, tempora! Wie viele Schock Teufel sind mir in meine Säue gefahren?! Und wie viele werden noch dreinfahren? Die Malevolenz der Menschheit ist gar nicht auszusagen!“

„Die Welthistoria siehet auf Ihn, Bürgermeister“, sprach ich ermunternd. „Halte Er sich grade und sitze Er fest; und wann der Stadtbulle mit Ihm durchgeht, so packe er ihn nur fest an den Hörnern; – einmal muß die Bestie ja doch vor der Mauer still halten.“

„Das ist mein Trost“, seufzte der Dirigente, „und mein zweiter Trost ist, daß mein Expresser jetzt grade wohl in Schwerin einreiten wird und daß sie mich gewiß nicht mala fide in diesen argen, wütenhaftigen Nöten und Drangsalen stecken und ersticken lassen können. Doch darüber wollte ich nicht mit Ihm diskurieren, Herr Rektor; sondern –“

„Sondern?!“

„Sondern über Seine intime Freundin, die Mamsell Julie Hornborstel!“

„Ei, ei, ei“, sprach ich in allerhöchster Verwunderung. „Ei, ei, wenn auch die Mamsell nicht meine intime Freundin ist – magis amica veritas! –, so darf ich doch fragen, was Er mir über dieselbe zu kommunizieren gedachte. Ich höre gern von ihr und bin ganz Ohr.“

„So will ich Ihm mein Herz ausschütten; und wenn Er mir einen guten Rat gibt, so – so – weiß Er was? so ist der türkische Pfeifenkopf, den er doch schon längst gierig angesehen hat, Sein Eigentum.“

„‘s gilt für den Türken, feuere Er los, Freundchen!“

Der Dirigens richtete sich aus seiner Zermalmung auf, atmete schwer und sprach:

„Herr Rektore, diese Mamsell Hornborstel ist der Catilina von Bützow, und ich Jammermann bin der Konsul Cicero, ohne seine, mit Respekt zu sagen, Maulfertigkeit und sonstigen tugendhaften und löblichen Eigenschaften. Herr Rektore, dieses Frauenzimmer hat es auf meinen Ruin abgesehen, und wenn ich noch lebe, so ist es nicht ihre Schuld. Herr Rektor, kein Menschenkind auf Gottes weitem Erdboden hat jemals einen solchen höllischen Feind gehabt und solche Verfolgungen erduldet als ich seit – seit –“

„Nun – seit?“ fragte ich in größester Spannung.

„Ich will es Ihm sagen; denn ich habe mir vorgenommen, kein Mysterium mehr vor Ihm zu haben, da ich Seine Verschwiegenheit kenne und verhoffe, daß Er mir einen guten Rat geben wird: – seit dem Jahre vierundachtzig, seit mir das Herz in die Hosen fiel und ich mit Graus und Schauder vor ihrer Aimabilité und ihrer pläsanten Affektion Reißaus nahm in den Junggesellenstand!“

„Also doch!“ sprach ich.

„Ja!“ sprach er mit Grabesstimme, und wir saßen und sahen einander an, stumm beide, doch mit verschiedenartigen Zuckungen auf den Physiognomien.

Ergeben, wehmütig und tendre fuhr Furius Quadratus sodann fort:

„Sie hat mein Verderben geschworen, und sie hat mit Eifer daran gearbeitet. Kein Malheur ist mir passierst, bei welchem sie nicht eine Hand im Spiele hatte. Ich habe ihren Katzentritt überall hinter mir gehört; sie hat meine nächtliche Ruhe vergiftet, meinen guten Ruf untergraben und mich bei den Weibern hiesiger Stadt in einen Geruch gebracht, vor dem wahrhaftig die Nase sich krauset. Herr Rektore, sie steckte unter der Brodrevolte von einundneunzig, ihr habe ich über ein Dutzend Reprimandationen von Regierungs wegen zu verdanken; sie hat mir Anno zweiundneunzig das löbliche Schuhmachergewerk in seiner Sache gegen die Pantoffelmacher auf den Hals gehetzt; sie – sie steckt auch jetzt wieder hinter dieser verruchten Gänsegeschichte, und Wübbke und der toll gewordene Magister sind nur ihre rechte und ihre linke Hand, und ich kann Ihm sub rosa vertrauen, Gevatter, daß ich die Maulschellen gefühlt habe, welche sie mir damit versetzt hat. Nun stehen die Dinge aber auf der Kante; was mir im nächsten Augenblick auf den Leib rückt, weiß ich nicht zu sagen, und da ich Ihn, Herr, augenblicklich für den einzigen Menschen in Bützow halte, der noch seine fünf gesunden Sinne und seinen Menschenverstand beisammen hat, so ersuche ich Ihn nunmehro mit gefalteten Händen, mir Seinen Rat in betreff der Mamsell Hornborstel nicht vorzuenthalten.“

Ich legte mich in meinem Stuhle zurück, sah tiefsinnig nach der Decke, sodann dem Bürgermeister in die Augen und sagte:

„Herr Doktor Hane, was würde Er mit dem Magister Albus, meinem Kollegen, beginnen, wenn Er ihn erwischte?“

„Ich würde ihm womöglich den Prozeß machen, ihn aufhängen oder wenigstens auf zehn Jahre ins Zuchthaus sperren lassen!“ schrie der Dirigierende mit großer Vivacität.

„Wenn Er mir verspricht, dieses nicht zu tun, sondern in Hinsicht auf seine Jugend und Unerfahrenheit ein Auge zudrücken und im Notfall ihn ohne Aufsehen über die Grenze schaffen helfen will, so soll Er seine Türkenpfeife behalten, und ich will Ihm doch einen raisonablen guten Rat in Hinsicht der Mamsell kommunizieren.“

„Braucht er Geld? braucht er ein Paar neue schwarze Hosen? braucht er ein Fuhrwerk?“ rief der Bürgermeister mit noch größerer Vivacität. „Schon um der Pfaffen und des fetten Salbaders Klafautius wegen soll er alles haben, und laufen mag er auch. Heraus, heraus mit Seinem Consilium, Rektore! Hier hat Er meine Hand drauf, daß ich Seinem hasenfüßigen Magister nicht den Weg verrennen werde.“

„Ein Wort ein Mann!“ sprach ich feierlich. „Herr Bürgermeister Hane, lege Er der Mamsell Hornborstel die von Ihm aus Schwerin verschriebene bewaffnete Macht als Einquartierung ins Haus! prob –“

Ich konnte meinen Satz nicht vollenden; der Bürgermeister war aufgesprungen; er hielt mich im Arm, und schluchzend drückte er mich ans Herz; in demselben Augenblicke aber stürzte Grävedünkel wieder in das Zimmer, glotzte stier und angstvoll auf seinen Vorgesetzten und rief keuchend:

„Sie kommen, sie kommen!“

Ein dumpfes Gesumm und Gebrumm, ein Getrappel vieler mit Nägeln beschlagener wilzischer Stiefel und obotritischer Schuhe ließ sich in den untern Räumen des Hauses und auf der Treppe hören.

Wer kam, wird im omineusen eilften Kapitel zu lesen sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Gänse von Bützow. Sage