Abschnitt. 1

Möge ein anderer den Zorn des göttlichen Helden Achilleus oder die Irrfahrten des klugen Dulders Odysseus, ein anderer die Leiden und Freuden des tapferen Aeneas, des alten oder neuen Amadis, die Leiden des jungen Werthers oder der sündigen Menschen Erlösung singen; ich, J. W. Eyring, in wohlverdienter Ruhe nach langen, kläglichen, staubigen, ärgerlichen Jahren des Schuldienstes, singe im hohen, höhern und höchsten Ton mich selbst und die große Revolution zu Bützow, wie sie mit Gemurmel begann, mit Pauken und Posaunen ihren Fortgang nahm und glücklich zu Ende geführt wurde. Der Gänse und des Volkes Geschrei singe ich, der Mamsell Hornborstel Zorn, Unterdrückung, Rache und Sühne, Grävedünkels entsetzliches Geschick, der wilden Führer Mut und jakobinische Reden, des Magister Albus und des Doktor Wübbke Jubilationes und Tribulationes, eines hohen Senati und regierenden Bürgermeisters altrömische Tapferkeit, Herzoglicher Justizkanzlei und Serenissimi, meines Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, gnadenreiches Edikt, einer hochgelahrten höllischen Juristen-Fakultät treffliches Gutachten und hochweisen merkwürdigen Rechtsspruch – lectori benevolenti, einem wohlwollenden Leser, zu Nutz und Ergötzen, mir pro laurea, niemandem zum Schaden, als ein biederer, bescheidener Untertan, Patriot und Emeritus.

Wo die Fluten der Warnow das liebliche und nahrhafte Land der Obotriten, Welataben und Wagrier durchströmen, liegt im Arm der Nixe des Flusses die Stadt Bützow, jener Winkel der Erden, welcher „mir vor allen lacht“, wo ich eine Brodstelle und ein Weib fand, wo ich liebte und lebe, wo seit meinem Abtreten vom Schuldienst und dem Ableben meiner geliebten Friederike die Götter mir jene otia gaben (nur stellenweise verbittert durch podagristische Vexationes in der großen Zehen des linken Fußes), die jedem Menschen so wünschenswert erscheinen müssen, aber nicht einem jeden zuteil werden. In Bützow verlebte ich meine unschuldige Jugend mit Ausnahme jener Jahre, welche dem Studio auf der Universität zu Rostock geweihet waren, in Bützow war ich ein Mann, in Bützow wird man mich begraben; und sollte ich nach meinem Tode zur Strafe für meine Sünden einige Jahre oder Jahrhunderte lang nachts zwischen zwölf und ein Uhr zur Auslüftung hinausgeschickt werden, so werde ich in Bützow spuken und als schwarzer Schulmeister, mit schlechtgekämmter Perücke auf dem Schädel, dem Haselröhrchen unter dem Arm und meiner Abhandlung Latium in compendio in der Tasche, den kommenden Generationen mit Vergnügen jenen heilsamen Schrecken vor dem Unbegreiflichen, jenen Schrecken vor dem Geiste einjagen, welcher (ich meine den Schrecken) uns täglich mehr abhanden zu kommen scheint.


In Bützow an der Warnow ist mir ganz allmählich das Kleinste zum Größesten und das Größeste zum Kleinsten geworden, und wenn ich von meinem Museo aus den Gang der Dinge betrachte, so gehört es nicht zu den geringsten Vergnügungen, zu sehen, wie der Spaß den Ernst ablöset und wie die Welt ein gar jokoses und amüsantes Theatrum sein kann, vor welchem nur die Allerweisesten und die Allerdümmsten mit unbewegter Miene sitzen dürfen.

Sintemalen mir nun eine nicht ungütige Gottheit nach ihrem Gefallen einen annehmlichen Standpunkt zwischen Aufklärung und Dunkelheit angewiesen hat, so nehme ich mein Teil Lachen, wo ich es finde, und wenn ich den Kothurnus verstehe, so halte ich es doch nicht eines verständigen Mannes unwürdig, auch am Soccus Gefallen zu finden; es gibt gottlob voller gepfropfte Schubsäcke als den meinigen, und niemals habe ich über dem Senat und Volke von Rom den Rat und die Bürgerschaft von Bützow vergessen. Ich habe nicht nur die Grammatik gelesen, sondern auch Candide, habe das Leben und die Meinungen Tristram Shandys studiert, imgleichen die Musarion und die Abderiten des Herrn Hofrates Wieland – doch still! Auch eine hochehrwürdige Geistlichkeit zu Bützow gehört teilweise zu meiner Freundschaft und Bekanntschaft, und „ich kenne die Pastöre“ gradeso gut wie der Herr Justizamtmann und Professor Bürger in Göttingen und weiß, daß sie nicht nur an der leiblichen Tafel oder Tafel des Leibes Messer und Gabel gut zu führen wissen. Folgendes aber ist der Verlauf des großen Gänse-Tumultes zu Bützow, dessen Beschreibung ich sogleich mit dem Ausbruch desselben begann, in der Erwartung, er werde groß und denkwürdiger als alles sonst in dieser Art Vorgefallene werden. (V. Thucydid. bel. Pel. Lib. I c. 1.)

Wir, die wir in der Zeit der allergewaltigsten Ereignisse, welche die Welt seit Jahrhunderten sah, leben, wir, denen der Postbote, ja jedes Botenweib täglich eine neue welthistorische Aufregung in der Ledertasche oder im Tragkorbe in den Erbherzog oder ins Haus bringt, wir mögen wohl mit Recht beneidet werden von manchem kommenden Geschlecht der Kannegießer.

„Ganz Welschland bebt und Sachsenland,
Das feste teutsche Reich;
Vom Gotthart bis nach Samarkand
Wird’s Ziehens großer Teich*).“

Wir sangen das Lied vom Luftballon schon Anno 1785:

„Und Muhmeds grüne Fahne weht
Getränkt mit Christenblut,
Die Pforte knarrt, der Franzmann bläht,
Als wär’s ihm rechter Mut.
Nein! länger harren will ich nicht!
Her mit dem Luftballon!
Wer mit mir will, eh alles bricht,
Der eile, und davon!“ –

aber wer hätte damals geahnet, mit welchem ganz andern behaglichen Schauder sich die Haare des teutschen Mannes unter der Perücke aufrichten sollten? Wer hatte eine Ahnung von dem, was wir im verflossenen Jahr 1793 im neufränkischen Westen erleben würden? Und wer, der unter eines wohlweisen Magistrates zu Bützow und Serenissimi mildem und väterlichem Regimente lebt, konnte wissen, wie balde uns der erschreckliche jakobinische Greuel vor die eigene Tür rücken sollte?

Im Erbherzog hatten wir unsern Klub der Honoratioren! –

Wahrlich ist es nicht die Sache eines weisen Mannes, sich ganz und gar in seinem Museo verschlossen zu halten. „Vox viva docet“ ist ein gutes Wort; denn „warum zögen wir auf den gelehrten Jahrmarkt der Akademien, um dort aus der ersten Hand für bares Geld Wissenschaft und Weisheit einzutauschen, wenn uns diese Artikel der Höckenkram unsrer Bücherschränke ebensogut liefern könnte?“ sagte mein viel betrauerter Freund und weiland witziger Korrespondent, der Pagenhofmeister Musäus, und hat in den elysischen Gefilden, wo er wandelt, nichts dagegen, wenn ich hinzufüge, daß das Diktum: das lebendige Wort lehre, nicht nur von Jena und Halle, sondern auch vom Erbherzog, vom Rostocker Schiff, vom Goldenen Bären und Roten Löwen gelte und daß kein Student im Römischen Reiche Teutscher Nation, soweit es noch vorhanden ist, etwas dagegen einzuwenden habe. Seit dem seligen Hinscheiden meiner geliebten Friederike und dem siebenzehnten Junius 1789, allwo zu Versailles sich der dritte Stand zur Nationalversammlung erklärte und die Revolution anhub, war ich im Besitze clavis magnae sapientiae, des Hausschlüssels, und ging mit Diskretion in den Erbherzog.

Ich ging jeden Abend, den Gott werden ließ, in den Erbherzog, sah im Sommer dem Kegelschieben zu, saß im Winter mit der Tonpfeife auf dem dritten Stuhle links vom Bildnis Serenissimi, tat im Sommer wie im Winter mein möglichstes, auch für mein Teil Bewegung in die Weltbegebenheiten zu bringen, und ging mit nicht geringem Vergnügen dem Hange nach Mitteilung und geselliger Anmut im Kreise der tobakswolkenumwogten Honoratioren von Bützow nach. Wenn wir auch nicht weise, unsträfliche Äthiopen, Lieblinge der Götter sind, so gehören wir doch auch nicht völlig in die Kategorie der wüsten, ungefälligen Kymmerier, und der Berliner Doktor Herr Friedrich Kronemann, welcher in dem hier vor mir liegenden hunderteinunddreißigsten Stück des Intelligenzblattes zur Allgemeinen Literaturzeitung vom Jahre 1792 bekanntmacht, daß er eine Karte von „den Gegenden der verschiedenen Geisteskultur in Deutschland“ herauszugeben gewillt sei, wird hoffentlich nicht die schwärzeste chinesische Tusche für unser Kolorit verwenden, oder wenn er’s doch tun sollte, jedenfalls zu seinem eigenen Besten das Überschreiten der mecklenburgischen Grenze tunlichst vermeiden. Es klingt uns ein schönes französisches Lied – auch aus dem Jahre 1792 – noch immer in die Ohren:

„Savez vous la belle histoire
De ces fameux Prussiens?
Au lieu des palmes de gloire
Ils ont cueilli des raisins“;

ich will es aber nicht weiter nachsingen, denn es bringt mich auf unser eigenes Bundeslied im Erbherzog:

„Die Zeiten, Brüder, sind nicht mehr,
Wo Treu und Glaube galten;
Jetzt sind die Worte glatt und leer,
So hielten’s nicht die Alten.
Wie mancher schwört jetzt Stein und Bein,
Und nie stimmt seine Tat mit ein.
Wir wollen redlich sein!“

Ein poetisches Genie, welches mit der Post und mit zerrissenen Hosen von Weimar kam und nach Rostock ging, welches sich im Erbherzog festkneipte und welches wir Honoratioren von Bützow vermittelst einer Kollekte auslöseten und weiter spedierten, hat uns diesen Vers und manch andern dazu als Gratial zurückgelassen, und wir singen den Gesang mit großem Gusto zum Bischof bei jeglicher feierlichen Gelegenheit:

„Daß Vater Noah Wein erfand,
Muß jeder Zweifler glauben;
Er schnitt die Reben mit der Hand
Und kelterte die Trauben.
Oft, wenn sich seine Kinder freun,
Berauschen sie sich in dem Wein.
Wir wollen mäßig sein!“

Diesen zweiten Vers intonieren wir gewöhnlich, wenn uns der Nachtwächter nach Hause geleitet oder während er das Schlüsselloch für uns sucht, und ‘s macht einen sehr angenehmen und soliden Effekt in den Gassen von Bützow. Noch viel moralischer aber würde die Wirkung sein, wenn das Pflaster ein wenig besser wäre und des Weges Unebenheiten den teutschen Biedermann samt seinem Gesang nicht so oft aus dem Gleichgewicht brächten. – –



*) Es soll mich wundern, was aus Mecklenburg wird, wenn des Superintendenten Ziehen Prophezeiung vom Untergang eintrifft. J. W. Eyring.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Gänse von Bützow. Sage