Die eigentliche Volkstracht

Die skandinavische Halbinsel, die erst in den letzten Jahrzehnten der Neugier von Touristen häufiger zum Ziele diente, besitzt noch eine große Anzahl von Volkstrachten. Racinet*) schreibt dies dem Umstand zu, dass dort der eigentliche Bauernstand viel selbständiger und verhältnismäßig zahlreicher ist als in anderen Ländern. Jedenfalls ist wohl der Hauptgrund für die Erhaltung der Volkstracht darin gelegen, dass das grösste Gebiet Norwegens und Schwedens außerhalb des Weltverkehrs liegt und von dem meist nur an den Küsten sich bewegenden Fremdenstrom wenig beeinflusst wird.

*) 1. c. Bd. VI.


Während bei den Männern neue Formen von Kleidung Eingang finden, haben die Frauen treu an der alten Volkstracht festgehalten, namentlich auch ihre angeborene Vorliebe für leuchtende Farben, wie lebhaftes Rot und helles Blau, unverändert bewahrt, und zwar aus dem guten Grunde, weil diese bunten Töne zu dem glänzenden Kolorit ihrer schönen Körper, der schneeweißen Haut, den roten Wangen, blauen Augen und goldenen Haaren so trefflich passen.

Die ursprüngliche Kleidung war bei beiden Geschlechtern außer den Fellmänteln ein hemdartiges Gewand, das bei dem Manne bis über die Knie, bei den Frauen bis zur halben Wade reichte. Seit Einführung des Christenturas ura das Jahr 1000 sind von Deutschland und Nordrussland her fremde Einflüsse aut die Volkstracht vom Süden her wirksam gewesen, im Norden machte sich die Berührung mit Lappen und Finnen nicht nur in einer peripheren Rassenmischung, sondern auch in einer damit verbundenen Mischung von Sitten und Gebräuchen geltend. Jedoch hat überall die weiße Rasse die Oberhand behalten, und wie in den Körpern, finden sich auch in den Kleidern nur Spuren der mongolischen Einwirkung.



Im nördlichsten Distrikt, Dalarne, dem Land der Täler, das unter dem Namen Dalekarlien im Ausland bekannt ist, trifft man noch häufig als Kopfbedeckung die spitze Mütze (Fig. 153), die an die Kapuze der arktischen Tracht erinnert und wohl auch daraus abgeleitet ist; desgleichen die pelzverbrämte Lederjacke, die sich dem Oberkörper eng anschließt, als Winterkleidung. Daneben aber bestehen weiße Mützen und Kopftücher, die nichts mit der Kleidung der Lappen und Finnen gemein haben.

Fig. 153. Dalekarlierin.

Den arktischen Anklängen in der Kleidung entspricht auch ein häufigeres Vorkommen von dunklem Haare bei den dortigen Frauen.

Bei vielen Schwedinnen besteht heute noch die Sitte, dass ein reichverziertes Festgewand nebst kostbaren Schmucksachen sich von Mutter auf Tochter vererbte und nur bei den feierlichsten Gelegenheiten, wie Heirat, Taufe u. dergl., angelegt wird. Racinet hebt hervor, dass unter den Schmuckstücken, besonders in der Brautkrone, sich viel Übereinstimmung mit slawischen Zierraten erkennen lässt, entsprechend dem seit dem Jahre 1000 wirksamen Einfluss Nordrusslands. Fig. 154 ist ein Mädchen aus Delebo im Helsingland, das, festlich geschmückt, auf der silberbeschlagenen Kleidertruhe sitzt und aus den Karten ihre Zukunft erfahren will. Den Oberkörper umschließt eine reichgestickte rote Jacke, auf dem reichen dunklen Haare ruht eine gleichfalls rote, gestickte Mütze in der Form wie die deutschen Frauen im Mittelalter sie trugen. Am Busen steht die Jacke weit offen und zeigt das weiße, am Halse schließende, altskandinavische Hemd. Eine gestickte Schürze mit langherabfallenden Zipfeln bedeckt den gleichfalls roten Rock. Denken wir uns das Ledertäschchen hinzu, so haben wir ein dunkelhaariges, altdeutsches Gretchen vor uns. In Fig. 155 hat das Mädchen die Jacke abgelegt, unter deren engen Ärmeln die weiten Falten des schwedischen Hemdes zu Tage treten. Das nur an der Taille anliegende Mieder schließt mit kurzen Achselbändern nach oben ab. Die reiche Verzierung des aus dem tropischen Gürtel hervorgegangenen Mieders ist an einem Mädchen aus Bergen (Fig. 156) ersichtlich; die roten Tragbänder sind nur die Hauptlast der Kleider auf der zum Schmuck angebracht, Taille ruht.

Fig. 154. Mädchen aus Heisingland mit Jacke. (Phot. Edlund.)
Fig. 155. Mädchen aus Helsingland ohne Jacke. (Phot. Edlund.)
Fig. 156. Mädchen aus Bergen. (Phot. Sostrene Persen.)


Die verschiedenartigen Formen der weißen Mützen zeigen uns drei Mädchen, aus Smäland (Fig. 157), aus Wingäker (Fig. 158) und aus Hardanger (Fig. 159). Die erstere erinnert an die Elsässer Tracht, die zweite an die arlesische, die dritte an die seeländische Form aus Middelburg.

Fig. 157. Mädchen aus Smäland. (Phot. Edlund.j
Fig. 158. Mädchen aus Wingäker. (Phot. bostreue Persen.)
Fig. 159. Hardanger Mädchen in der Volkstracht. (Phot. Edlund.)


Die Smäländerin zeigt außer dem weißen Bänderhäubchen die drei Hauptstücke der schwedischen Frauentracht, Hemd, Mieder und Rock in besonders reiner Form. Die Schönheit des schlanken, kräftigen Körpers wird durch die kleidsame Tracht in wirkungsvoller Weise hervorgehoben. Das Mieder schließt nur in der Körpermitte fest an und zeigt die schlanke Taille. Der obere Teil ist so weit, dass er die Atmung in keiner Weise behindert, und doch alle Formen des gutgewölbten Brustkorbs zeigt.

Der geschürzte Rock ist lose über dem Mieder befestigt.

Das Mädchen aus Wingäker zeigt außer diesen Vorzügen den kleinen, unter dem kurzen Rock hervortretenden, zierlich geschuhten Fuß. Bei der Hardangerin endlich sehen wir statt der gewöhnlichen Sonntagstracht, wie bei den anderen Mädchen, das festliche, durch Geschlechter vererbte Kleid mit dem dazugehörigen Familienschmuck. Mit den anderen zierlichen Geschöpfen verglichen, scheint diese Gestalt auf den ersten Blick plump in ihrer schweren Kleidertracht, denn, wie fast alle Bäuerinnen, zeigt auch sie ihren Wohlstand nicht allein in der Auswahl, sondern auch in der Fülle der Kleidung. Je mehr Röcke übereinander, desto festlicher, desto würdevoller bekleidet kommt sie sich vor. Dass aber der Schein trügen kann, zeigt Fig. 160, die uns zu unserer Überraschung beweist, dass unter dieser etwas eintönigen Hülle ein besonders zierlich gebauter, schlanker Körper verborgen ist.

Fig. 160. Hardanger Mädchen entkleidet. (Phot. Edlund.)

Fig. 161 endlich stellt ein Mädchen aus Jerrestadt bei der Ernte dar. Außer dem bunten Kopftuch trägt sie als einziges Kleidungsstück das Hoste sarken, das alte skandinavische Leinwandhemd, das, bis zum Gürtel vorn offen, mit einer Spange am Halse zugesteckt ist und um die Körpermitte mit einem schmalen roten Band befestigt wird.

Fig. 161. Mädchen aus Jerrestadt bei der Ernte. (Phot. Edlund.)

Die Strümpfe und Schuhe, die sie trägt, sind nur der photographischen Aufnahme zuliebe angezogen worden und entsprechen nicht dem eigentlichen Alltagsgewande.

Nicht nur bei der Ernte, sondern auch innerhalb des Hauses bildet das Hemd im Innern des Landes das einzige Gewand des Weibes, und hat sich in dieser Form durch Jahrtausende erhalten. Racinet vergleicht das Hoste sarken mit dem griechischen Peplos und hebt hervor, dass das altgriechische Kostüm sich in dieser Form im höchsten Norden rein erhalten hat. Wie wir weiter unten sehen werden, gleicht das schwedische Hemd wie alle Frauenhemden dem Chiton, nicht aber dem Peplos.

Wie Skandinavien, so hat auch Niederland noch eine große Anzahl von Volkstrachten. Besonders die Inseln von Seeland bieten davon eine reiche Auswahl. Dort hat nicht nur jedes Land, jede Stadt, ja jedes grössere Dorf seine besondere Tracht, sondern der Eingeweihte kann sogar auf den ersten Blick das junge Mädchen von der verheirateten Frau, und diese von der Witwe, die Protestantin von der Katholikin unterscheiden. Infolge dieser oft geringen Unterschiede sind die Trachten dort außerordentlich mannigfaltig. Die Figuren 162 bis 165 geben eine Auswahl seeländischer Trachten.

Fig. 162 zeigt zwei protestantische Mädchen aus Middelburg, von der Insel Walcheren, Fig. 163 ein katholisches Mädchen aus Axel, Fig. 164 zwei protestantische Mädchen aus Goes auf der Insel Zuid-Beveland, zu deutsch Südbieberland, und Fig. 165 ein gleichfalls protestantisches Mädchen aus Goes im Profil, um das Hervortreten der Haubenflügel von der Seite zu zeigen. Auf dem Bilde ist der rechte Haubenflügel zurückgesteckt, der das Gesicht sonst verdecken würde. Das Leitmotiv der seeländischen Tracht liegt in der verschiedenen Form der Mützen und des daran angebrachten Goldschmucks. Kennzeichnend sind außerdem die enganschließenden Leibchen, die auch im Winter stets nackten Arme und der kurze, fußfreie Rock.

Fig. 162. Zwei Seeländerinnen aus Middelburg (Walcheren).
Fig. 163. Katholische Seeländerin aus Axel.
Fig. 164. Zwei protestantische Seeländerinnen aus Goes (Süd-Beverland).
Fig. 165. Protestantische Seeländerin aus Goes im Profil.


Fig. 166 zeigt ein Fischermädchen von der Insel Marken, die zu der Provinz Nordholland gehört und leicht von Amsterdam mit dem Dampfschiff erreicht werden kann. Die Männer tragen dort noch die kurzen weiten Kniehosen und die eigentümliche hohe Kopfbedeckung der einstmals spanischen Tracht, die vor zwei bis dreihundert Jahren modern war. Es lohnt reichlich die Mühe, diese abgelegene kleine Insel zu besuchen. Nicht nur die Menschen, auch der Hausrat, die ganze Einrichtung der Häuser und Schiffe hat sich unverändert erhalten ; wie durch einen Zauberschlag wird man dort in ein jetzt noch lebendes Stückchen längstvergangener Zeiten versetzt.

Fig. 166. Mädchen von der Insel Marken.

Beim weiblichen Kostüm sind besonders charakteristisch die langen, unter der engschließenden Haube herabfallenden Schmachtlocken, die aber nicht immer echt sind, sondern von älteren Frauen mit der Haube zugleich aufgesetzt werden.

Für den Fremden, der nach Niederland kommt, liegt ein eigentümlicher Zauber in diesem pietätvollen, zähen Festhalten an althergebrachten Gebräuchen, das dem holländischen Volke eigen ist. Wie die Häuser, die Grachten und die Schiffe, so sind auch die Bewohner und Bewohnerinnen malerische und lebenskräftige Sprossen aus der guten, alten Zeit.

Besonderen Rufes, was Volkstracht und was Frauenschönheit betrifft, erfreut sich Friesland; dort legen selbst die Damen der Aristokratie Wert darauf, bei festlichen Gelegenheiten in die kostbare Nationaltracht sich zu kleiden, und diese Sitte ehrend, hat auch die allgemein vergötterte junge Königin sich im friesischen Nationalschmuck abbilden lassen (Fig. 167).

Fig. 167. Die Königin von Niederland in friesischer Tracht. (Phot. Broersma.)

Wie Marken in Nordholland, ist Hindelopen in Friesland bis vor kurzem durch sein Festhalten an den alten Gebräuchen bekannt gewesen. Mehr und mehr ist aber der dortige Hausrat wegen der zunehmenden Armut der Bevölkerung in die Hände der Antiquitätenhändler übergegangen und von ihnen in alle Winde zerstreut worden. Dass neben der Volkstracht auch noch hie und da eine althergebrachte Standestracht in Niederland besteht, werden wir weiter unten sehen.

Von norddeutschen Volkstrachten sind die bekanntesten die Spreewälderinnen und die Altenburgerinnen.

In Berlin hat man häufig Gelegenheit, Ammen aus dem Spreewald in einem Kostüm zu sehen, das sich zwar vorteilhaft von den meist geschmacklosen Straßentoiletten abhebt, aber doch ein wenig nach Maskerade schmeckt. Ein echtes, im Spreewald selbst aufgenommenes Beispiel ist Fig. 168.

Fig. 168. Spreewälderin.

Von der Altenburger Tracht war ich so glücklich, in der Lipperheideschen Sammlung eine Reihe von vor etwa 20 Jahren gemachten Aufnahmen zu finden, die die verschiedenen Kleidungsstücke dieser eigentümlichen Tracht in ihrer Folge getreu und echt wiedergibt (Fig. 169—178).

In Fig. 169 sehen wir eine festlich geschmückte Altenburgerin in der Ansicht von vorn. Seidene Gewandstücke in seltsamer Anordnung verhüllen die Gestalt bis etwas unters Knie, nur das Gesicht und die Hände sind sichtbar, während die Beine vom Knie abwärts bei der Arbeit nackt, zum festlichen Aufputz mit weißen oder farbigen Strümpfen und kleinen Schuhen bekleidet werden. Den Kopf umschließt eine festangezogene Seidenhaube, deren Enden breit über den Rücken herabfallen. Der Oberkörper steckt in einer weiten Seidenbluse mit bauschigen unter dem Ellbogen schmäler werdenden Ärmeln. Über dem Rock liegt eine seidene Schürze, die vorn über seinen Rand herabhängt und hinten nicht schließt, so dass unter ihr der kürzere Rock zu sehen ist (Fig. 170). In Fig. 171 hat das Mädchen die Bluse abgelegt , unter der zwei mit Tuch überzogene, über die Brüste emporragende Brettchen sichtbar werden, die der leichten Seidenbluse ihre eigentümliche Form geben. In Fig. 172 sind auch diese entfernt und enthüllen das Leibchen, das die Form der Taille hervortreten lässt. In Fig. 173 ist die Haube mit den breiten, den Rücken bedeckenden Flügeln abgelegt, in Fig. 174 auch die Schürze, unter der der enge, links vorn zugeknöpfte Rock zum Vorschein kommt. In Fig. 175 folgt das Mieder und zeigt, dass die kurzen, die Oberarme bedeckenden Ärmel an einem schmalen weißen Oberhemd nach Art des indischen Jäckchens befestigt sind. In Fig. 176 fällt der kurze Rock und enthüllt ein kurzes leinenes Unterröckchen, in Fig. 177 ist auch das Jäckchen verschwunden, und in Fig. 178 steht das Mädchen, nachdem es den Unterrock abgelegt hat, im Hemde da als Vertreterin der rein tropischen Kleidung.



Die sorgfältige Verhüllung des Oberkörpers ist ein dem tropischen Charakter des Kostüms beigemischtes arktisches Element, das ebenso wie einige noch jetzt erhaltene Sitten und Gebräuche und die slawischen Gesichtszüge auf die mongolische Beimischung des wendischen Volkes hindeuten.

Fig. 169. Altenburger Bäuerin in vollständigem Kostüm. (Sammlung Lipperheide.)
Fig. 170. Altenburger Bäuerin in vollständigem Kostüm von hinten. (Sammlung Lipperheide.)
Fig. 171. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 172. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 173. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 174. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 175. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 176. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 177. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.
Fig. 178. Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung.


Im südlichen Deutschland hat sich in vielen, von Eisenbahnen, Fremden und Zeitungen weniger verdorbenen Gegenden beim Bauernstande die Volkstracht in reiner Form erhalten.

Bei der Arbeit besteht dieselbe ganz allgemein nur aus dem wenig über die Knie herabreichenden , meist roten Unterrock und dem weitausgeschnittenen, kurzärmeligen Hemde. Zum Schutz vor der Sonne wird häufig ein Tuch lose über den Kopf gelegt oder ein breitrandiger Strohhut getragen.

Zum Sonntagsstaat kommt dann das Leibchen oder Mieder, ein zweiter Rock, die Schürze, Schuhe und Strümpfe. Bei kurzem Mieder findet sich häufig auch ein Brusttuch.

Das Kennzeichnende ist auch hier wieder außer der meist lebhaften Farbenzusammenstellung die eigentümliche Kopfbedeckung,

Eine der beliebtesten deutschen Volkstrachten ist die der oberbayrischen Sennerin (Fig. 179), die meist als Tirolerkostüm verzapft wird. Der kurze Rock, der die kräftigen gut geformten Waden sehen lässt, der kleine, dunkle, mit Grün oder mit der Spielhahnfeder verzierte Hut, das bunt verschnürte kurze Mieder mit dem farbigen Brusttuch, die drallen bloßen Arme bilden das allgemein bekannte Gesamtbild, die echte Form der europäisch tropischen Kleidung, wie sie in den bayrischen Bergen noch fortlebt.

Fig. 179. Mädchen aus Oberbayern.

Der Grundgedanke ist überall der nämliche.

Auch in den Bergen des Schwarzwaldes trifft man die bäurischen Nationalkostüme in reicher Auswahl. Im Gutachtale, wo die Männer im Sommer wie im Winter die Pelzmütze tragen, findet sich bei den Frauen der breitgerandete Strohhut, mit mächtigen grellroten Pompons geschmückt, das rotverzierte Mieder, die bloßen Arme und die weißen Strümpfe in stets gleicher Zusammenstellung (Fig. 180).

Fig. 180. Mädchen und Frauen aus dem Gutachtal.

Neben dem Hut finden sich aber auch Mützen, wie im Schappachtale, und, geradeso wie in Schweden, die verschiedenen Formen der Bänderhaube. Wir treffen diese bei übrigens gleicher Kleidung, bei der Markgraflerin und bei der Elsässerin (Fig. 181). Von Lothringen aus verbreitet sie sich weiter nach Frankreich in die Bretagne und hinunter bis nach Arles.

Fig. 181. Elsässerin.

Eine eigentümliche, an den früheren Dreispitz erinnernde Kopfbedeckung tragen die Bürgermädchen in Bozen (Fig. 182). Während hier ein Anklang an eine Mode aus dem achtzehnten Jahrhundert zu erkennen ist, zeigt uns eine Tirolerin aus Passeier (Fig. 183) in ihrer Kopfbedeckung eine Erinnerung an noch viel frühere Zeiten. Die dicke, spitz zulaufende Mütze findet sich in genau derselben Form am Ende des siebzehnten Jahrhunderts als Kopfputz der Nürnberger und Augsburger Patrizierinnen. Gerade unter den zahlreichen Tiroler Trachten lassen sich noch viele Hinweise auf frühere städtische Moden auffinden; Kostüme, die an die Dreißiger jähre des neunzehnten Jahrhunderts erinnern, finden sich heute noch vielfach als Sonntagstrachten, und dies erklärt sich bei der vorwiegend katholischen Bevölkerung aus dem Bestreben, den Busen durch starkes Schnüren zu unterdrücken und dem Ideal der aszetischen mittelalterlichen Heiligen möglichst gleichzukommen. Zu diesem Zweck der künstlichen Ätherisierung des weiblichen Körpers eignen sich gerade die Trachten aus den Dreissigerjahren ganz besonders gut und sind darum wohl auch von der ländlichen Bevölkerung mit besonderer Zähigkeit festgehalten worden.

Fig. 182. Bozener Bürgermädchen. (Sammlung Lipperheide.)
Fig. 183. Nordtirolerin aus Passeier.


Die Südtirolerin aus Gröden (Fig. 184) bildet schon einen Übergang zu den italienischen Trachten und macht einen mehr romanischen Eindruck.

Fig. 184. Südtirolerin aus Gröden.

Haben wir schon in der Dalekarlierin, in der Spreewälderin und Altenburgerin Hinweise auf den slawischen Einfluss gesehen, so tritt uns dieser in den slawischen Ländern Österreichs noch viel stärker entgegen. Merkwürdig ist dabei, dass die Alltagskleidung an Umfang eher ab als zunimmt. Das Hemd ist oft das einzige Kleidungsstück.

Ich war in der glücklichen Lage, gerade aus diesen wichtigen Grenzdistrikten zwischen gelber und weißer Rasse zweifellose Belege zu erhalten, die beweisen, dass wie in der Körperform so auch in der Kleidung die weiße Rasse die herrschende bleibt, und nur den Eindruck macht, als ob sie durch die gelbe Beimischung neue Kraft gewonnen hat und wieder ursprünglicher geworden ist.

Die Fig. 185 und 186 stellen beide Schokazenmädchen aus Ungarn vor. Auf dem ersten Bilde sieht man ein Schokazenmädchen in der farbigen Sonntagstracht zur Kirche gehen. In der Hand hält sie ein zierliches Spitzentuch und das Messbuch. Den Kopf bedeckt eine kleine, reich verzierte Mütze, der Hals ist mit vielen Ketten und Zierraten umgeben, eine bunte Schürze, ein kurzer kostbarer Rock, bunte Strümpfe und zierliche Lederschuhe kommen dazu, und bedecken zum größten Teil das reichverzierte Hemd mit weiten, wallenden Ärmeln.

Fig. 185. Schokazenmädchen aus Ungarn im Sonntagsstaat. (Sammlung Temesvary.)

In Fig. 186 sehen wir das Mädchen in der Woche beim Dreschen. Sie stützt sich auf eine Stange und steht mit nackten Füssen auf dem hebelförmigen Dreschbaum, der beim Zurücktreten aufschnellt, und beim Vortreten, wie auf dem Bilde, auf das Korn niederfällt, das eine ältere Frau darunter schiebt. Das Mädchen hat außer dem bunten Kopftuch nichts an als das weitärmelige Hemd, und auch dieses vorn bis hoch über die Knie aufgeschürzt für die Arbeit.

Fig. 186. Schokazenfrau und –mädchen beim Dreschen (Sammlung Témesvary.)

In dieser leichten Kleidung sah ich Bauernmädchen in Ungarisch-Radisch sogar im Winter über die Dorfstraße gehen.

Über die Frauentracht in der Bukowina war Herr Dr. Kleinwächter so freundlich, folgendes zu berichten:

„Die Kleidung der Rumänin und der Ruthenin ist im großen und ganzen gleich. Die Unterschiede liegen nur in der Stickerei und unbedeutenden Variationen. Die Kleidung besteht aus einem bis über die Knie reichenden Hemd, das je nach den pekuniären Verhältnissen mehr oder minder reich gestickt ist; um die Lenden wird dann ein plaidartiger dicker brauner Wollstoff geschlungen, der mit farbigen, meist roten und blauen Streifen der Breite nach durchzogen ist. Gehalten wird dieser primitive Rock durch ein langes, starkes, gürtelartiges Band, aus ähnlichem Stoffe, wie der Rock, das mehrere Mal um den Leib geschlungen ist. Damit ist die Kleidung auch vollendet.

„Auf dem Kopf wird ein weißes Tuch, aus Leinen festgebunden, getragen. Wenn es kalt ist, kommt ein ärmelloser Pelz hinzu oder ein aus braunem dicken Stoff gefertigter Mantel, Beschuhung wird meistens nicht getragen, man sieht sogar im strengen Winter Dienstmädchen bloßfüßig über den Schnee laufen. Bei Ausgängen am Sonntag oder bei Gängen in die Stadt werden Sandalen, Schuhe oder kleine Röhrenstiefel aus schwarzem, gelbem oder rotem Leder getragen. Reicher geschmückt ist nur die Braut, die am Sonntag, wenn es zum Tanze geht, einen aus künstlichen Blumen und Federn hergestellten Kopfputz trägt. Münzen, Glasperlen und Korallen dienen als Halsschmuck.“



Die Fig. 187, 188 und 189 illustrieren diese ausführliche Beschreibung. Fig. 187 ist eine Ruthenin in Hemd und Rock, außerdem mit Stiefeln gerüstet. Fig. 188 zeigt dasselbe Kostüm vermehrt mit der Winterjacke bei zwei Rutheninnen, Fig. 189 bei einer Romänin.

Fig. 187. Ruthenin aus der Bukowina in Hemd und Umschlagetuch. (Sammlung Kleinwächter.)
Fig. 188. Rutheninnen aus der Bukowina in Hemd und Jacke. (Sammlung Kleinwächter.)
Fig. 189. Romänin in Hemd und Jacke im Sonntagsstaat. (Sammlung Kleinwächter.)


Dieselbe Frauentracht finden wir bei den Kroatinnen (Fig. 190) und bei den Galizierinnen. Auch in Russland finden wir die aus Hemd und Rock bestehende Volkstracht; hierzu kommt bei festlichen Gelegenheiten außer dem Kopfschmuck der echt russische Sarafan, der offenbar eine weitere Ausbildung der ruthenischen Jacke ohne Ärmel ist.

Fig. 190. Kroatin aus der Nähe von Agram. (Sammlung Kleinwächter.)


Fig. 191 zeigt uns ein junges Mädchen aus Moskau im kleidsamen Sarafan, der sich über dem weißen, weitärmeligen Hemd den zierlichen Körperformen leicht anschmiegt, und hier mehr die Gestalt einer Weste mit Achselbändern hat. Mit dem halbmondförmigen Kopfschmuck bildet er das Eigentümliche an der russischen Sonntagskleidung, die wir in ähnlicher Gestalt bei einer russischen Amme wiederfinden (Fig. 192). Bei beiden erinnert aber der Schnitt und die Anpassung der Kleidung schon sehr an städtische Einflüsse.

Fig. 191. Kussisches Mädchen aus Moskau im Sarafan. (Sammlung Blunkenberg.)
Fig. 192. Russische Amme. (Sammlung Blankenberg.)


Eine einfache Form hat der Sarafan bei zwei Bauernmädchen aus der Gegend von Nischni-Nowgorod in ihrem Sonntagsputz. Hier ist es ein weiter ärmelloser Rock mit etwas schrägem Schluss in der Mitte (Fig. 193). Unwillkürlich denkt man an die Jacke der chinesischen Frauen. Diese wie jene werden ja auch aus Seide gemacht, und es ist nicht unmöglich, dass mit dem Stoff auch die Form von China hergekommen ist, und nur auf dem langen Wege durch Raum und Zeit die Ärmel und den seitlichen Schluss auf der rechten Schulter verloren hat.

Fig. 193. Bauernmädchen aus Großrussland im Sonntagsstaat. (Sammlung Blankenberg.)

Das linksstehende der beiden Mädchen sehen wir in Fig. 194 in seinem Wochentagskleide, das nur aus Hemd und kurzem Rock besteht.

Fig. 194. Großrussisches Mädchen bei der Arbeit. (Sammlung Blankenberg.)

Fig. 195 endlich zeigt eine Gruppe russischer Bäuerinnen aus der Gegend von Moskau, die außer dem Hemd ein Mittelding zwischen Rock und Sarafan tragen, gewissermaßen einen Rock mit Achselbändern, der in der Taille festgebunden wird.

Fig. 195. Russische Bäuerinnen bei der Arbeit. (Sammlung Blankenberg.)

Wie bei den slawischen, so finden wir auch bei den romanischen Vertreterinnen der weißen Rasse im großen und ganzen dieselbe Gestaltung der Volkstracht. Bei den durch ihre Schönheit berühmten Bewohnerinnen von Arles hat sich die städtische Tracht ziemlich eng an die herrschende Mode angelehnt, trotzdem ist der charakteristische weite Ausschnitt an der Brust, der mit Spitzen bedeckt wird, erhalten geblieben (Fig. 196).

Fig. 196. Mädchen aus Arles. (Sammlung Legras.)

Auch hier haben wir als Hauptprinzip den Rock und die Betonung der Formen des Oberkörpers. Die Bandmütze nähert sich in ihrer Form der im Elsass und im Breisgau üblichen.

Von großer Bedeutung ist eine Folge von drei Aufnahmen einer jungen Sabinerin, die Herr von Plüschow in Rom so freundlich war, für diesen Zweck zu machen (Fig. 197, 198 und 199).

Fig. 197 zeigt die hübsche vierzehnjährige Italienerin in ihrer kleidsamen Landestracht. Rock, Mieder und Hemd bilden nebst dem weißen Kopftuch auch hier die Hauptbestandteile und formen zusammen ein besonders schönes und geschmackvolles Beispiel der zur europäischen Volkstracht weiter ausgebildeten tropischen Frauenkleidung.

Fig. 197. Italienerin aus den Sabinerbergen in der Volkstracht. (Phot. von Plüschow.)

Auf Fig. 198 hat das Mädchen Schürze und Röcke abgelegt und ist im Begriff, das über dem Hemd befestigte Mieder aufzuschließen. Zwischen Mieder und Hemd ist ein auf dem Bilde deutlich sichtbares gebogenes rundes Holzstück gesteckt, das, in der Taille dem Körper anliegend, dazu dient, nach oben und unten die Kleidung vorzuwölben.

Fig. 198. Dieselbe sich entkleidend. (Phot. von Plüschow.)

Fig. 199 zeigt uns den zierlichen nackten Körper der jungen Italienerin in derselben Stellung, wie die bekleidete Figur.

Fig. 199. Dieselbe nackt. (Phot. von Plüschow.)

Dadurch ist zunächst ein Vergleich möglich zwischen der natürlichen Schönheit und deren künstlichem Hervorheben durch die Kleidung. Wie wir sehen, kommen die natürlichen Vorzüge der schlanken Gestalt auch in der Kleidung, soweit diese es erlaubt, vortrefflich zur Geltung. Außerdem aber zeigt sich, dass trotz Mieder und darunterliegendem Holz die Form dieses schmiegsamen jungen Mädchenkörpers in keiner Weise verbildet ist und auch nackt seine volle Schönheit bewahrt hat*).

*) Interessant ist, dass Schultze-Naumburg in seinem Buch: „Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung“ gerade dieses Modell, offenbar ohne dessen Namen und Herkunft zu kennen, in einer Profilaufnahme benutzt hat, um es als Ideal des unverdorbenen Körpers einer durch das Korsett verdorbenen Gestalt gegenüber zu stellen. Er beweist damit nur gegen seinen Willen, dass nicht das Korsett, sondern dessen Missbrauch den Körper verdirbt; denn wenn es das Korsett an und für sich wäre, müsste ja auch dieser Körper verdorben sein.

Diese Italienerin, die oben abgebildete Schwedin, sowie ein Scheveninger Mädchen, das weiter unten besprochen werden soll, sind von allen Frauen und Mädchen, die Zeit ihres Lebens die europäische Volkstracht getragen haben, die einzigen, von denen ich Abbildungen in bekleidetem und nacktem Zustand bekommen konnte, und alle drei liefern den Beweis, dass der Körper durch die Kleidung in keiner Weise geschädigt wurde. Ebenso wie bei den Chinesinnen, finden wir hier in Europa die Übertreibungen der Körperplastik vorwiegend in den sogenannten besseren Kreisen.

Aus dem Gesagten können wir die Schlussfolgerung ziehen, dass die europäische Volkstracht eine weitere Ausbildung der tropischen Kleidung ist und in der Hauptsache aus Hemd, Rock und Mieder besteht.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
153. Dalekarlierin

153. Dalekarlierin

154. Mädchen aus Helsingland mit Jacke

154. Mädchen aus Helsingland mit Jacke

155. Mädchen aus Helsingland ohne Jacke

155. Mädchen aus Helsingland ohne Jacke

156. Mädchen aus Bergen

156. Mädchen aus Bergen

157. Mädchen aus Småland

157. Mädchen aus Småland

158. Mädchen aus Wingåker

158. Mädchen aus Wingåker

159. Hardanger Mädchen in der Volkstracht

159. Hardanger Mädchen in der Volkstracht

160. Hardanger Mädchen entkleidet

160. Hardanger Mädchen entkleidet

161. Mädchen aus Jerrestadt bei der Ernte

161. Mädchen aus Jerrestadt bei der Ernte

162. Zwei Seeländerinnen aus Middelburg (Walcheren)

162. Zwei Seeländerinnen aus Middelburg (Walcheren)

163. Katholische Seeländerin aus Axel

163. Katholische Seeländerin aus Axel

164. Zwei protestantische Seeländerinnen aus Goes (Süd-Beverland).

164. Zwei protestantische Seeländerinnen aus Goes (Süd-Beverland).

165. Protestantische Seeländerin aus Goes im Profil

165. Protestantische Seeländerin aus Goes im Profil

166. Mädchen von der Insel Marken

166. Mädchen von der Insel Marken

167. Die Königin von Niederland in friesischer Tracht

167. Die Königin von Niederland in friesischer Tracht

168. Spreewälderin

168. Spreewälderin

169. Altenburger Bäuerin in vollständigem Kostüm

169. Altenburger Bäuerin in vollständigem Kostüm

170. Altenburger Bäuerin in vollständigem Kostüm von hinten

170. Altenburger Bäuerin in vollständigem Kostüm von hinten

171. bis 174 Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung

171. bis 174 Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung

175. bis 178 Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung

175. bis 178 Altenburger Bäuerin in verschiedenen Stadien der Entkleidung

179. Mädchen aus Oberbayern

179. Mädchen aus Oberbayern

180. Mädchen und Frauen aus dem Gutachtal

180. Mädchen und Frauen aus dem Gutachtal

181. Elsässerin

181. Elsässerin

182. Bozener Bürgermädchen

182. Bozener Bürgermädchen

183. Nordtirolerin aus Passeier

183. Nordtirolerin aus Passeier

184. Südtirolerin aus Gröden

184. Südtirolerin aus Gröden

185. Schokazenmädchen aus Ungarn im Sonntagsstaat

185. Schokazenmädchen aus Ungarn im Sonntagsstaat

186. Schokazenfrau und -Mädchen beim Dreschen

186. Schokazenfrau und -Mädchen beim Dreschen

187. Ruthenin aus der Bukowina in Hemd und Umschlagetuch

187. Ruthenin aus der Bukowina in Hemd und Umschlagetuch

188. Rutheninnen aus der Bukowina in Hemd und Jacke

188. Rutheninnen aus der Bukowina in Hemd und Jacke

189. Romänin in Hemd und Jacke im Sonntagsstaat

189. Romänin in Hemd und Jacke im Sonntagsstaat

190. Kroatin aus der Nähe von Agram

190. Kroatin aus der Nähe von Agram

191. Russisches Mädchen aus Moskau im Sarafan

191. Russisches Mädchen aus Moskau im Sarafan

192. Russische Amme im Sarafan

192. Russische Amme im Sarafan

193. Bauernmädchen aus Großrussland im Sonntagsstaat

193. Bauernmädchen aus Großrussland im Sonntagsstaat

194. Großrussische Mädchen bei der Arbeit

194. Großrussische Mädchen bei der Arbeit

195. Russische Bäuerinnen bei der Arbeit

195. Russische Bäuerinnen bei der Arbeit

196. Mädchen aus Arles

196. Mädchen aus Arles

197. Italienerin aus den Sabinerbergen in der Volkstracht

197. Italienerin aus den Sabinerbergen in der Volkstracht

199. Dieselbe nackt

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