Die Hose als weibliche Volkstracht

Wir haben oben bereits darauf hingedeutet, dass die Hose als weibliches Kleidungsstück sich fast nur als Arbeitstracht bei dem Volke findet und auch das nur in Gegenden, wo vermutlich in längst vergangenen Zeiten die Hose das übliche Kleidungsstück der Frau gewesen ist.

Wo nur die tropische Überlieferung herrscht, legt die Frau bei der Arbeit die ihr lästigen Kleidungsstücke ab, schürzt den Rock auf oder legt auch diesen ab, und arbeitet allein im hochaufgeschürzten Hemde, wie das Beispiel der Ungarin (Fig. 186) uns gelehrt hat.


Die Hose als Werktagskleidung der Frau findet sich in Seeland bei den Austernfischerinnen (Fig. 203), wo sie durch ein Paar hohe wasserdichte Stiefel noch bedeckt wird. Übrigens sei hier bemerkt, dass Niederland so ziemlich das einzige Land ist, wo die Bäuerinnen unter ihrer Volkstracht auch fast allgemein die Unterhose tragen. Ob das wechselnde Klima diese Sitte der Bevölkerung aufgedrungen hat, oder ob wir auch hier eine Erinnerung an die alte keltische Überlieferung vor uns haben, lasse ich dahingestellt. Gegen das letztere sprechen indes zahlreiche Darstellungen der berühmten holländischen Kleinmeister, Breughel, Ostade u. a., die in ihren Kirchweihszenen Gelegenheit geben, uns zu überzeugen, dass damals die Unterhose bei den Bäuerinnen nicht bekannt war. Haben wir in Fig. 203 eine Seeländerin bei ihren Austern in der Hose gesehen, so zeigt uns Fig. 204 zwei Russinnen, die ebenfalls eine Hose tragen und ebenfalls einen Leckerbissen, den Kaviar, bearbeiten.



Fig. 203. Seeländerin aus Jerseke beim Austernsuchen in der Hose.
Fig. 204. Russinnen bei der Kaviarbereitimg in Hosen.


Dort an der fernen Wolga, in der Heimat der Störe, ist das Mongolentum bereits so kräftig entwickelt, dass uns das Auftreten der Hose nicht allzu auffällig ist. Trotzdem aber wird hier wie dort, an der Wolga wie an der Nordsee, die Hose wieder mit dem Rock vertauscht, sobald die Arbeit abgelaufen ist.

Ganz allgemein gebräuchlich ist die Hose bei den Sennerinnen in Tirol, in der Schweiz und in Steiermark, wenn sie auf der Alm bei den Kühen sind, bei den Frauen von Arcachon, wenn sie Austern fischen, bei den Frauen des Borinage in Belgien, wenn sie in den Minen arbeiten, und unter den friesischen Mädchen bei den Schlittschuhwettläufen. In all diesen Fällen ist aber der Rock nur aus Zweckmäßigkeitsgründen abgelegt worden, und wird im täglichen Leben wieder getragen.

Eine Ausnahme hiervon machen die Bäuerinnen von Champéry (Fig. 205), die auch außerhalb ihrer Tätigkeit die Hose tragen.

Fig. 205. Bäuerinnen aus Champéry in Hosen.

Hier befinden wir uns aber mitten im Gebiete der sagenhaften Urbewohner Europas.

Eine ausführliche Zusammenstellung aller Fälle, in denen Frauen die Hose getragen haben, findet sich in dem merkwürdigen Buch von Grand-Carteret „La femme en culotte“*), in dem Wahrheit und Dichtung in unterhaltender Weise gemischt sind.

Wir werden noch einige Ausnahmefälle zu betrachten haben, in denen die Hose bei der Kleidung unserer Frauen eine gewisse, meist vorübergehende Rolle spielte, aber auch die hier angeführten Fälle können nur als mehr oder weniger durch die Umstände erklärbare Ausnahmen betrachtet werden. Die eigentliche, naturgemäße Kleidung der europäischen Volkstracht bleibt für das Weib der Rock.

*) Paris, Flammarion.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
203. Seeländerin aus Jerseke beim Austernsuchen in der Hose

203. Seeländerin aus Jerseke beim Austernsuchen in der Hose

204. Russinnen bei der Kaviarbereitung in Hosen

204. Russinnen bei der Kaviarbereitung in Hosen

205. Bäuerinnen aus Champéry in Hosen

205. Bäuerinnen aus Champéry in Hosen

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