Unterkleider

Die wichtigsten Bestandteile der heutigen Unterkleidung der Frauen, die sich allmählich aus der tropischen Umhüllung herausgebildet und von ihr losgelöst haben, sind: das Hemd, das Korsett das Beinkleid und der Unterrock; hierzu kommen noch die Strümpfe und Stiefel, beziehungsweise Schuhe hinzu.

Diese Kleidungsstücke sind in der Reihenfolge, wie sie gewöhnlich angelegt werden, in den Figuren 234 bis 238 abgebildet.


Fig. 233 zeigt ein achtzehnjähriges Bürgermädchen aus Wien in nacktem Zustande, mit kräftigen, vollen, dabei sehr regelmässigen Körperformen, breit in den Schultern und Hüften, mit gut ausgeprägter, wenn auch nicht sehr schlanker Taille. Der Brustkorb ist schön gewölbt, die Brüste klein, prall, von guter Form und hoch angesetzt. Die Beine sind etwas verkürzt und im Knie leicht einwärts gestellt. Die Muskulatur ist an Rumpf und Gliedmaßen gleichmäßig und kräftig ausgebildet. Die Hauptsache aber ist, dass keinerlei künstliche Entstellung durch Druckfurchen an dem nackten Körper zu sehen ist.



Fig. 233. Bürgermädchen aus Wien von 18 Jahren, nackt. (Phot. Schmidt.)

Fig. 234 zeigt das Mädchen im Hemd. Dieses ist einfach und sckmucklos, in der Form dem griechischen Chiton entsprechend, auf den Achseln mit Knöpfen befestigt.

Fig. 234. Dieselbe mit Hemd, Schuhen und Strümpfen. (Phot. O. Schmidt.)

Hierzu kommen die Schuhe und Strümpfe, die, der Mode gehorchend, schwarz sind.

In Fig. 235 ist das Mädchen damit beschäftigt, das Korsett zu schnüren. Eine Vergleichung mit Fig. 233 zeigt, dass sich dieses der Form des Rumpfes ohne Zwang genau anschließt und die durch das faltige Hemd verborgene Bildung der Taille wieder zur Geltung bringt, ohne sie zu übertreiben.

Fig. 235. Dieselbe mit Korsett. (Phot. O. Schmidt.)

In Fig. 236 hat das Mädchen das Korsett angelegt und befestigt das Beinkleid unter demselben. Auch dieses ist von einfacher Form. Fig. 237 endlich zeigt die Vollendung der Unterkleidung durch den fußfreien Unterrock, der über das Korsett geknüpft wird, wie bisweilen wohl auch die Hose. Eine Vergleichung mit Fig. 236 zeigt deutlich den kosmetischen Einfluss des in langen Falten herabhängenden Rockes; der Unterkörper erscheint länger, schmäler und gestreckter, die nicht ganz einwandsfreie Bildung der Beine wird dem Auge verborgen.

Fig. 236. Dieselbe mit Beinkleid. (Phot. O. Schmidt.)
Fig. 237. Dieselbe mit Unterrock. (Phot. O. Schmidt.)


Von eleganterer Form sind die Unterkleider von Fig. 239, welche die französische Schauspielerin Fräulein de Hally als Dornröschen in dem Augenblicke darstellt, wo sie aus ihrem hundertjährigen Schlafe erwacht, sich entkleidet, um ein der Mode entsprechendes Kostüm anzulegen. Es ist ein trotz aller Einfachheit durch den reichen Spitzenbesatz an Hemd und Unterrock und das feine Seidengewebe sehr kostbares Gewand. Gerade in dem tonangebenden Paris wird aber damit ein oft unglaublicher Luxus getrieben, wie aus den Modeberichten zu ersehen ist.

Erst im letzten Jahrhundert ist auf die sorgfältigere Ausschmückung dieser intimeren Kleidungsstücke ein großer Wert gelegt worden. Bei Racinet, Weiss u. a. finden sich Angaben, dass in früheren Jahrhunderten der Besitz von mehr als drei Hemden und mehr als drei Paar Strümpfen schon als eine große Seltenheit betrachtet wurde.

Erst im 16. Jahrhundert ist das Hemd, und noch später der Unterrock ein bleibender Bestandteil der weiblichen Toilette geworden. Das Beinkleid ist erst im Anfang des 19. Jahrhunderts zu allgemeinerer Einführung gelangt. In einigen Kostümgeschichten findet sich die Angabe, dass es bereits im 16. Jahrhundert in Venedig getragen wurde und sich von da in den besseren Ständen verbreitet habe. Wie ich mich durch zahlreiche nicht gut zu wiederholende Bemerkungen aus alten Stammbüchern, sowie aus alten Kostümwerken in der Lipperheideschen Bibliothek überzeugen konnte, ist allerdings damals in Venedig das Beinkleid von Frauen getragen worden, zugleich mit den bekannten hohen Stelzenschuhen, jedoch nur von Kurtisanen. In den alten deutschen Trachten und Stammbüchern fehlt es darum nicht an meist recht kräftigen Ausdrücken über dies für unanständig geltende Kleidungsstück. Die meisten deutschen Trachtenbücher jener Zeit, selbst das bekannte von Jost Amman, lehnen sich an ein offenbar verloren gegangenes italienisches Originalwerk an, aus dem sie unbedenklich und kritiklos das Wesentlichste entnahmen und mit einigen eigenen Zutaten versahen.

Aus diesem Grunde spielen gerade die italienischen Kostüme qualitativ und quantitativ die größte Rolle. Außerhalb Venedigs wurde die Hose damals nie getragen, und auch dort nicht von den Damen der besseren Stände. In der Damenmode hat sie sich erst nach der Empirezeit eingebürgert, ist aber auch heute noch lange nicht so allgemein verbreitet, als man denken sollte.

Das einzige Land, in dem bei hoch und niedrig ziemlich allgemein das Beinkleid getragen wird, ist Niederland. In Deutschland ebenso wie in Frankreich findet es sich in den mittleren Kreisen viel seltener, in Italien nur ganz ausnahmsweise. Unter 50 holländischen Damen fand ich nur 5, die nie oder nur im strengsten Winter Unterhosen trugen, unter 40 Norddeutschen 15, unter 40 Österreicherinnen und Süddeutschen 25. Dagegen trägt man wieder in Süddeutschland weit häufiger als im Norden die kurzen wollenen Unterröcke, die sich dem Körper mehr oder weniger dicht anlegen.



Die Zahl der Unterröcke ist sehr wechselnd und von der herrschenden Mode abhängig. — In letzter Zeit ist von verschiedenen Seiten versucht worden, auch in der Unterkleidung Veränderungen anzubringen, die jedoch meistens nur den finanziellen Vorteil einer oder der anderen Fabrik berücksichtigen und darum keinen allgemeinen Anklang gefunden haben. Hierzu gehören die zahlreichen Anpreisungen von Wolle, Baumwolle und sogenannten hygienischen Trikotstoffen. Am meisten haben die Trikotstoffe, namentlich in England, Verbreitung gefunden, und dies mit Recht, weil sie den Vorteil haben, den Körper gut warm zu halten, ohne dessen Formen zu verbergen. Am bekanntesten ist die englische „Kombination“, eine Verbindung von Jacke und Hose nach rein arktischen Prinzipien; diese wird häufig an Stelle von Hemd und Unterhose, auch wohl unter dem Hemd getragen. Da sie aus Wollstoffen hergestellt wird und sich darum rasch mit allen Abscheidungen der Körperoberfläche imprägniert, so ist sie nur bei großer Reinlichkeit und häufigem Wechsel zweckmäßig und außerhalb Englands nur wenig verbreitet.

Weit allgemeiner verbreitet, von eleganterer Form und zugleich zweckmäßig sind die statt der Korsetts namentlich von jungen Mädchen und gutgebauten, schlanken Frauen aller Länder gebrauchten Unterleibchen von Trikot-Stoff, Seide und Leinwand, die der Körperform genau angepasst sind, und bei leichten Oberkleidern das Korsett völlig ersetzen.

Fig. 238. Elegante Unterkleider einer Pariserin. Phot. Nadar.


Die Befestigung der Strümpfe geschah im Mittelalter bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts mittels Strumpfbändern unterhalb des Knies; im 19. Jahrhundert wurden dieselben oberhalb des Knies gebunden, oder durch am Korsett befestigte Tragbänder ersetzt.

Mit den Hilfsmitteln der modernen Technik ist die Bekleidungskunst sehr weit fortgeschritten, und die heutigen Unterkleider bilden allein schon ein sehr viel vollständigeres Kostüm, als die ursprüngliche tropische Tracht, sind aber dem alten Rassenprinzipe treu geblieben, indem sie trotz ausgiebigerer Bedeckung die Formen des Rumpfes, die breiten Hüften, die schlanke Taille und die schöne Bildung der Brust betonen und zur Geltung bringen, und dabei außerdem auch weniger gut gebauten Frauen erlauben, den Schein ähnlicher Vorzüge zur Schau zu tragen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
233. Bürgermädchen aus Wien von 18 Jahren, nackt

233. Bürgermädchen aus Wien von 18 Jahren, nackt

234. Dieselbe mit Hemd, Schuhen und Strümpfen

234. Dieselbe mit Hemd, Schuhen und Strümpfen

235. Dieselbe mit Korsett

235. Dieselbe mit Korsett

236. Dieselbe mit Beinkleid

236. Dieselbe mit Beinkleid

237. Dieselbe mit Unterrock

237. Dieselbe mit Unterrock

238. Elegante Unterkleider einer Pariserin

238. Elegante Unterkleider einer Pariserin

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