Chinesische Gruppe

Dass wir in der heutigen Bevölkerung Chinas und der verwandten Gebiete keine rein mongolische Rasse sehen dürfen, ist, wie bei allen höheren Kulturvölkern, selbstverständlich. Inwieweit sich die Beimischung fremder Elemente von Überresten der Urrassen, wie die Ainos und ihnen verwandte Stämme bei den Chinesen und Japanern, oder von auf Raubzügen erbeuteten Weibern, wie bei den Mandschus, zurückführen lässt, hat ein mehr anthropologisches Interesse, auf das wir hier weiter nicht einzugehen brauchen*). Denn trotz fremder Einflüsse ist die Kultur eine sehr selbständige und in sich abgeschlossene geblieben.

Was zunächst China betrifft, so können wir uns für unsere Zwecke der dort üblichen Auffassung anschließen, die den herrschenden Stamm der Mandschus und das chinesische Volk unterscheidet.


Am 2. Februar 1902 hat die von den Mandschus stammende Kaiserin Witwe in China ein Manifest**) erlassen, das in der Übersetzung also lautet:

„Groß ist die Güte unseres Herrscherhauses, dessen Wohltaten wie ein milder Regen auf unser weites Reich herniederträufeln. Chinesen und Mandschus sind gleich vor unserem Thron. Alte Gesetze aber verbieten die Ehe zwischen beiden. Dies geschah, weil zu der Zeit, als unsere Vorfahren die große Mauer überschritten, die Sitten beider Völker verschieden waren und nur wenige Menschen beider Sprache verstanden."



„Heute aber sind die Sitten der Chinesen und der Mandschus dieselben, ebenso wie der Glauben; und das schon seit mehr als zweihundert Jahren. Darum müssen wir dem Drange des menschlichen Herzens folgen und die alten Satzungen verändern. Wir befehlen, dass es von nun an den Mandarinen und den Bürgern, den Chinesen und den Mandschus, erlaubt sei, untereinander zu heiraten, und dass niemand sie daran verhindere."

„Die meisten chinesischen Frauen binden ihre Füsse ein, um sie zu unförmlichen Stümpfen umzubilden. Das ist eine sehr alte Sitte, die für die gute Entwickelung des Körpers sehr schädlich ist. Von nun an sollen die Mandarinenfamilien alle Frauen in ernster Weise ermahnen, dass sie ihre Füsse nicht mehr einbinden, damit jede wisse, wie schlecht diese Gewohnheit ist; alsdann können wir hoffen, dass diese eingewurzelte Unsitte allmählich verschwindet. Jedoch ist es den Mandarinen und ihren Untergebenen streng verboten, durch verkehrte Deutung unserer Worte Zwang ausüben zu wollen u. s. w. ...“

*) Vgl. Baelz, Die Ostasiaten. Stuttgart 1901. Peschel, Völkerkunde VII. Aufl. pag. 348 und 403.
**) Vgl. Berichte in den Tagesblättern.


Außer der Einteilung in Mandschus und Chinesen beweist uns dies offizielle Schreiben, dass das Einbinden der Füsse bei den chinesischen Frauen die Regel, bei den Mandschufrauen eine Ausnahme ist.

Ob das kaiserliche Edikt einigen Erfolg haben wird, ist freilich sehr zweifelhaft und ungefähr ebenso unwahrscheinlich, als man auf eine endgültige Veränderung europäischer Frauenkleidung rechnen dürfte, wenn es einem unserer Herrscher einfiele, in seinem Lande das Korsett zu verbieten.

Von der arktischen Kleidung sind die Grundgedanken, die Verhüllung des Oberkörpers und die Form der Hose, bei den Chinesen für beide Geschlechter bewahrt worden, nur der Stoff hat eine Veränderung erfahren.

In Fig. 090 sieht man ein chinesisches Ehepaar aus Amoy in der üblichen, aus Seide verfertigten Volkstracht.

Fig. 090. Chinesisches Ehepaar aus Amoy in der Volkstracht. (Phot. E. Foug. Amoy.)

Charakteristisch ist bei beiden Geschlechtern die weite Jacke mit den langen Aermeln und dem eigentümlichen schrägen Schluss auf der rechten Schulter. Die Hosen sind bei der Frau weiter als beim Manne und reicher verziert. Die Füße des Mannes stecken in den landesüblichen Seidenschuhen mit dicker Filzsohle, die verschnürten Füße der Frau in den zierlich gestickten, kleinen Pantöffelchen.

Auf dem naiven Bilde sind die Teetassen, das Paket mit Tee und der Blumenstrauss in der Mitte ein Symbol häuslichen Glückes, während die Wasserpfeife und die Manillazigarre einerseits, das farbige Taschentuch anderseits die stehenden Attribute der beiden Geschlechter bilden.

Bei einer Gruppe von vier chinesischen Mädchen aus Amoy (Fig. 091) zeigen die seidenen Gewänder eine reichere Verzierung, die Jacken sind kürzer und unter denselben hängen die buntgestickten Zipfel der Schärpen heraus, welche die Hosen unter den Jacken um die Körpermitte befestigen.

Fig. 091. Vier chinesische Mädchen aus Amoy. (Phot. E. Fong. Amoy.)

Auch bei diesen vier Mädchen sind die Füße verkrüppelt; außer den Tüchern in der einen Hand tragen sie den Fächer in der anderen, wie es die Konvention verlangt.

Der schiefe Schluss der Jacke auf der rechten Schulter ist bei allen der gleiche.

Unterkleider in unserem Sinne tragen die Chinesinnen nicht; wie ich mich zu wiederholten Malen überzeugen konnte, bilden die Jacke, die auf dem bloßen Leib mit der Schärpe befestigten Hosen und die Schuhe nebst den dazu gehörigen Binden (statt der Strümpfe) die einzige Kleidung; innerhalb des Hauses wird nicht selten die Jacke abgelegt, oft auch die Hose, wenn die Jacke bis über die Kniee herabreicht. Sehr häufig jedoch werden mehrere Jacken und Hosen von gleichem Schnitt übereinander angezogen.

Auf einer Reise nach Shanghai traf ich einige chinesische Damen, die bei der zunehmenden Kälte schliesslich sieben seidene Jacken übereinander trugen.

Dieselbe konventionelle Haltung mit Taschentuch und Fächer zeigt eine Gruppe von sieben Mandschumädchen (Fig. 92), die gleichfalls in Amoy gemacht ist. Die Tracht ist dieselbe wie bei den Chinesinnen, jedoch ist der Seidenstoff schwerer und nicht so reich verziert. Eine Verstümmelung der Füße findet sich bei diesen Mandschumädchen nicht; die kleinen Füße haben ihre natürliche Form und Schönheit bewahrt, die trotz der dicken Sohlen ihrer Filzpantoffel auf dem Bilde gut zur Geltung kommt.

Fig. 092. Sieben Mandschumädchen aus Amoy.

Über die Art und Weise, wie die Füße eingebunden werden, und die Form, die der nackte in solcher Weise verbildete Fuss annimmt, haben wir schon oben gesprochen (vergl. Fig. 043); ebenso über den Einfluss dieser Verkümmerung auf den übrigen Körper (Fig. 044 und 045).

Handelt es sich hierbei um eine künstliche Erhöhung der Rassen Vorzüge, so haben wir bei einer weiß geschminkten chinesischen Dame (Fig. 031) das Bestreben kennen gelernt, die Vorzüge der höher stehenden Rasse nachzuahmen. Bei alledem ist jedoch die Tracht dem arktischen Prinzipe im eigentlichen China beinahe überall treu geblieben.



Auch in Shanghai (Fig. 093) tragen die Frauen die Hose und die Jacke mit Ärmeln, wie uns die Photographie eines jungen Mädchens aus der besseren Gesellschaft zeigt. Ihre Stellung, dort der Würde entsprechend, würde einer europäischen Dame wahrscheinlich sehr übel genommen werden.

Fig. 093. Junge Chinesin aus Shanghai in Hosen. (Sammlung Kraay.)

An dem Bilde einer Chinesin aus Hongkong (Fig. 094) sieht man, dass die Jacke weiter und die Hose zum Rock geworden ist, nur der eigentümliche Schluss der Jacke quer unter dem rechten Arm ist überall erhalten. Hier macht sich also der südliche Einfluss auch in der Kleidung geltend. Übrigens muss erwähnt werden, dass auch im Süden bei diesem vorwiegend praktischen Volke die Frauen bei der Arbeit Hosen tragen. In Kanton sah ich zahlreiche fischende und rudernde Chinesinnen der ärmeren Klasse, alle in weiten, schwarzen Hosen.

Fig. 094. Chinesische Frau aus Hongkong im Rock.

Desgleichen ist die vornehme Dame aus Hongkong (Fig. 031), trotzdem sie ihr Gesicht nach europäischem Muster hergerichtet hat, mit Hosen bekleidet. Auch bei den am weitesten südlich vorgeschobenen Chinesen, den Shan, die einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung von Birma bilden, findet sich in der Regel neben der seitlich geschlossenen Jacke auch die chinesische Hose bei den Frauen.

Auf einem Bild von zum Markt gehenden Bauern, das M. Ferrars*) aufgenommen hat (Fig. 095), trägt das junge Mädchen rechts und die junge Frau links die Hose, und nur die Frau in der Mitte hat einen Rock.

*) Vgl. Max und Berta Ferrars, Burma. II. edit. Sampson Low. Marston and Co. London 1901.

Fig. 095. Frauen und Mädchen vom Stamme der Shan. (Phot. M. Ferrars.)

Statt des Leders und der Felle der primitiven arktischen Kleidung finden wir in der verfeinerten chinesischen Tracht die Seide, die Baumwolle und die Leinwand. Die Form aber ist im großen und ganzen dieselbe geblieben und setzt sich aus Ärmeljacke und Hose zusammen, von der sich die Schuhe als selbständiges Kleidungsstück abgelöst haben. Charakteristisch ist der Schluss der Jacke durch Knöpfe auf der rechten Schulter.

Nur vereinzelt findet sich in den südlicheren Gegenden der tropische Rock statt der Hose, die Jacke in ihrer eigentümlichen Form ist Allgemeingut geworden.

Die Koreanerinnen schließen sich in ihrer Tracht eng an ihre chinesischen Schwestern an. Auch bei ihnen ist Jacke und Hose die Grundform der Kleidung; zu besonderer Zierde wird darüber noch eine Art seidener Mantel gebunden, der die Gestalt bis auf die Füße verhüllt (Fig. 096).

Fig. 096. Zwei Mädchen aus Korea. (Sammlung Kraay.)

Eine ganz besondere Entwickelung hat die weibliche Tracht in Japan genommen. Nachweislich von chinesischer Überlieferung ausgehend, hat sie einen großen Teil des ursprünglichen arktischen Charakters abgestreift und bildet jetzt eine in seiner Art einzige Mischform, die sich durch ihren hohen künstlerischen Reiz und ihre großen hygienischen Vorzüge vor allen anderen auszeichnet.

Vor einigen Jahren war in Japan ein lebhafter Wettbewerb zwischen europäischen und eingeborenen Kleiderformen; beim Manne trug Europa in vieler Hinsicht den Sieg davon. Der Regenschirm, der Filzhut und die Uniform haben sich dauernd eingebürgert.

Bei der Frau hat nach hartem Kampfe der angeborene Geschmack gesiegt, und trotzdem am Hofe europäische Tracht vorgeschrieben ist, blieb die alte malerische Kleidung erhalten.

In den Neunzigerjahren, als die Streitfrage am lebhaftesten erörtert wurde, hat Dr. Seiken Takenaka aus Tokio mit peinlicher Genauigkeit Tabellen über die Vorzüge und Nachteile der beiden feindlichen Trachten zusammengestellt und kam, wie H. Norman*) mitteilt, zu dem Resultate, dass nur bei der männlichen Tracht allenfalls für Arbeiter und Knaben die europäische Form vorzuziehen, bei der Frau dagegen die japanische Kleidung in jeder Hinsicht besser sei, denn im Gegensatz zur europäischen missforme sie nicht den Körper, sei im Sommer kühl, im Winter warm, hindere nicht die freien Bewegungen, sei nicht teuer und schließlich künstlerisch viel vollkommener und schöner.

Ich kann dem japanischen Kollegen aus eigener Erfahrung völlig beipflichten. Eine Japanerin ist in europäischem Kostüm mit ihren kurzen Beinen ein entsetzlicher Anblick, während sie in ihrer Landestracht reizend aussieht. Aber auch die meisten europäischen Damen sehen in japanischem, für sie zurechtgemachtem Kostüm sehr viel vorteilhafter aus. Der malerische und zugleich so gesunde, den Körper nirgends beengende Kimono ist bereits in Java sowie in vielen holländischen Familien zum Hauskleid geworden. Für europäische Bedürfnisse müssten nur mit Rücksicht auf die andersartige Bewegung einige unbedeutende Veränderungen im Schnitt angebracht werden, um das Offenstehen unterhalb der Kniee zu verhindern. Es wäre zu wünschen, dass dies Erzeugnis japanischer Kultur mehr und mehr auch im übrigen Europa Eingang fände.

Die japanische Frauenkleidung setzt sich folgendermaßen zusammen*).

*) Vgl. Brinkmann, Kunst und Handwerk in Japan. Wagner, Berlin 1899. I. pag. 117, Die Tracht.

Auf den bloßen Körper wird ein um die Hüften geschlungenes Tuch getragen, meist von roter oder blauer Farbe. Die große Reinlichkeit, das tägliche Baden macht einen großen Aufwand von Unterkleidern nicht so nötig als bei uns. Auch in dieser Beziehung können die Japanerinnen so manchen europäischen Weibern zum leuchtenden Vorbild dienen.

Fig. 097 zeigt uns zwei Japanerinnen, die eben dem Bade entstiegen und nur mit dem leichten Unterrock bekleidet sind. Im Gegensatz zu den Chinesinnen haben wir hier in der Unterkleidung die rein tropische Form.

Fig. 097. Japanerinnen beim Baden.

Auch die Gruppe von drei Mädchen (Fig. 098) ist ein Beispiel dieser einfachsten Kleidungsstücke.

Fig. 098. Japanerinnen in Unterkleidern.

Darüber kommt der Kimono, dieses für die japanische Tracht bezeichnendste Kleidungsstück, ein langes, vorn offenes Gewand mit weiten Ärmeln, die keine Röhre bilden wie bei den Chinesinnen, sondern eine schlitzförmige Öffnung haben. Die zugenähten herabhängenden Säcke derselben, Tamoto, dienen als Taschen und zugleich zum Schutz der zurückgezogenen Arme gegen Kälte.

Im Hause wird nur ein leichter Kimono getragen, dessen vordere Enden, das linke über das rechte, mehr oder weniger dicht gezogen werden, wodurch oben eine größere oder geringere Dekolletage entsteht. Fig. 099 zeigt verschiedene Arten derselben. Die linksstehende Figur zeigt die tiefste Entblößung des Busens, bei den beiden anderen Mädchen ist der Halsausschnitt verkleinert durch ein darunter angebrachtes Tuch, das über die Schultern gelegt und über dem Busen so gekreuzt wird, dass es im Halsausschnitt des Kimono noch sichtbar ist. Auch dieses Tuch ist wie der Unterrock meist von roter Farbe, die einen schönen Kontrast zu der gelblichen Haut bildet.

Fig. 099. Japanerinnen im Kimono.

Nicht selten ist dieser Tuchstreifen als Vorstoß innen am Kragen des Kimono befestigt; häufig habe ich auch als Unterkleid einen roten Kimono gesehen, der den roten Unterrock zusammen mit dem roten Busenstreifen vertrat. Als Negligé innerhalb des Hauses wird allein ein leichter Kimono von dünner Seide oder Wollstoff getragen, wie ihn das junge Mädchen mit aufgelöstem Haar (Fig. 100) umgelegt hat.

Fig. 100. Japanerin im Negligé mit offenem Haar.

Fig. 101 zeigt uns eine Dame, deren Dienerin beschäftigt ist, ihr den Kimono mit dem daran befestigten Busenstreifen umzulegen. Auf dem Boden liegt ein schmales Band, das bestimmt ist, den übereinander geschlagenen Kimono um die Körpermitte zu befestigen. Auf dem Ständer dahinter hängt der breite Gürtel aus starrer Seide, der Obi, der nachher um die Taille geschlungen werden soll.

Fig. 101. Japanerin den Kimono anziehend.

Die Dienerin hat den Kimono über die Schultern zurückgestreift und bedient ihre Herrin mit entblößtem Oberkörper. In dieser Gestalt habe ich vielfach Mädchen und Frauen bei ihren häuslichen Verrichtungen beobachten können.

Das Umlegen des breiten Gürtels, des Obi, erläutert uns Fig. 102. Das schwere, seidene Gewebe wird mehrfach um die Körpermitte geschlungen und die breiten Enden werden hinten in einen kunstvollen, schmetterlingartigen Knoten geschürzt, den wir in Fig. 103 bei einem schreibenden japanischen Mädchen im Profil sehen können.

Fig. 102. Japanerin den Obi umlegend.
Fig. 103. Japanerin mit Kimono und Obi.


Meist ist der Obi in sehr lebhaften, bunt gemusterten Farben ausgeführt, die stets im Kontrast zu den Farben des Kimono stehen. Die vollendete Toilette zeigt uns das liebliche Bild einer jungen Japanerin (Fig. 104), welche Joest mit den Worten des dortigen Photographen als „die Geliebte des Bildermachers“ bezeichnet hat.

Fig. 104. Die Geliebte des Bildermachers. (Sammlung Joest.)

Durch den Obi wird der Kimono meist so gerafft, dass er gerade noch die Fußspitzen berührt. Zum festlichen Anzug wird aber ein längeres Gewand gewählt, das viel länger und meist mit einem wattierten Rand versehen ist, der sich fächerförmig über den Boden ausbreitet. Dies Festgewand heißt der Okai dori.

Zur Vervollkommnung der Kleidung ebenso wie zum Schutz gegen Kälte werden mehrere Kimonos oder Okai doris übereinander angezogen, so dass von dem unteren Kleide nur am Halsausschnitt, am linken übergeschlagenen Rand und an den Ärmeln ein Streifen sichtbar wird.

Der mehrfach umgeschlungene, oft gefütterte Obi verdeckt alle Wellenlinien zwischen Brust und Hüfte, so dass die japanische Dame in voller Toilette (Fig. 105) ein nach unten schmäler werdendes Ganze darstellt. Unterhalb der Kniee legen sich die bunten, langen Kimonos und Okai doris fächerförmig über den Boden hin, und es erfordert viel Übung, durch fortwährendes Einwärtsbewegen der Knie beim Gehen die Gewänder stets wieder in der vorgeschriebenen Fächerform über dem Boden sich ausbreiten zu lassen. Aus diesem Grunde ist der Gang der japanischen Frauen kurz trippelnd,mit einwärts gestellten Füßen und Knien ; und der Europäer muss sich erst gut in die dortigen Verhältnisse hineindenken, bevor er im Stande ist, trotz dieser ihm ungewohnten Bewegungen und Stellungen die wunderbare Grazie des japanischen Weibes zu bewundern.



Fig. 105. Japanerin im Okai dori.

Umgekehrt hält jeder wohlerzogene Japaner die mit nach außen gedrehten Füßen einherschreitenden Europäerinnen für in hohem Grade unanständig.

Die Füße sind bloß oder mit kurzen Socken bekleidet, an denen die große Zehe einen besonderen Behälter hat. Auf der Straße werden die Getas, hölzerne Brettchen mit zwei hohen Querbrettern, getragen, die die Trägerin dermaßen erhöhen, dass die im Hause schleppenden Gewänder nun glatt herabhängen (Fig. 106).

Fig. 106. Japanerin im Straßenkostüm.

Bei schlechtem Wetter sowie im Winter wird über das Hauskleid ein kürzerer, gefütterter Kimono angelegt, und häufig auch der Kopf mit einer baschlikartigen seidenen oder wollenen Kapuze eingehüllt. Eine in dieser Art gegen alle Unbilden der Witterung gewappnete Japanerin, die außerdem einen Regenschirm aus geöltem Papier und eine Laterne trägt, sieht man in Fig. 107. Die Getas dieses Mädchens sind mit besonders hohen Querbrettchen versehen.

Fig. 107. Japanerin im Winterkostüm.

Auf der kotigen Strasse hinterlassen diese Getas einen Eindruck von je zwei schmalen Streifen. Als ich an einem regnerischen Tage die berühmten Tempel von Kioto besuchte, sah der mit zahlreichen Fußspuren zertretene Freiplatz davor aus, als ob sich zahllose Scharen von mächtigen Riesenhühnern dort getummelt hätten.

In bescheideneren Verhältnissen gehen die Japaner entweder auf bloßen Füßen oder sie benutzen die zweckmäßigen und billigen Strohsandalen, die selten mehr als einen tüchtigen Tagemarsch mitmachen können. Auf dem Wege von Nara nach Kioto musste mein Läufer bei dem etwas steinigen Boden dreimal seine Sandalen erneuern; er hatte zur Vorsicht auch einen ziemlichen Vorrat mitgenommen.

Eine große Rolle als Zierat an der japanischen Frauentoilette spielen die weiten faltigen Ärmel. Brinckmann hat in hübscher Weise ausgeführt, wie die niedliche Besitzerin damit kokettiert, und Lust und Leid durch passende Verwendung der Ärmel zum Ausdruck bringt. Für das tägliche Leben aber sind diese lang herab wallenden Gewandstücke oft lästig. Das Bild des Dienstmädchens auf Fig. 101 hat uns bereits gezeigt, in welcher Art die praktische Japanerin sich darin zu helfen weiß.

Außerdem aber wird ein sehr einfaches Mittel benutzt, um bei der Arbeit die Ärmel hinaufzustreifen, ein einfaches Band, das beide Ärmel in einer Achtertour umschlingt und auf dem Rücken geknüpft wird. In dieser Weise sehen wir das Gewand verändert bei einem wasserschöpfenden Dienstmädchen (Fig. 108).

Fig. 108. Japanisches Dienstmädchen mit emporgehobenen Ärmeln.

In noch anderer Art werden die Ärmel beseitigt, indem sie an den Schultern unter den Brustteil des Kimonos untergeschoben werden. So trägt ihn ein junges Mädchen (Fig. 109) zugleich mit einem sehr ausgiebigen Halsausschnitt als Sommernegligé, um möglichst wenig von der Hitze zu leiden. Ein leichter Zug an den Ärmeln, ein rascher Griff an den Halsausschnitt genügt, um beim Herannahen eines Besuchers das leichte Kostüm in eine völlige Umhüllung zu verwandeln.

Fig. 109. Japanerin im Sommernegligé.

Wir haben die japanische Frauentracht in ihrer vielfachen Gestaltung etwas ausführlicher behandelt, um die Vorzüge derselben und ihre Brauchbarkeit auch für europäische Verhältnisse innerhalb des Hauses möglichst verführerisch zu beleuchten und zur Nachfolge anzuregen.

In das aufgestellte System aber scheint die japanische Kleidung nicht so recht hineinpassen zu wollen. Von der chinesischen Überlieferung ist eigentlich nur die Ärmeljacke im Kimono erhalten geblieben, und dabei in einer Form, die nur wenig mehr dem arktischen

Prinzip der Verhüllung des Oberkörpers entspricht ; im übrigen zeigt sich in der Bekleidung des Unterkörpers sowie in der Verwertung der Kleidung überhaupt eine sehr starke Annäherung an die Prinzipien der weißen Rasse. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich durch die Annahme erklären, dass unter den Japanern viel mehr weißes Blut fließt als bei den Chinesen; und diese Annahme ist nicht so ganz aus der Luft gegriffen. Hat doch Balz, dieser beste Kenner Japans, erst kürzlich wieder gesagt, „dass auch heute noch im japanischen Volk weit mehr Ainoblut übrig ist, als man früher annahm“*). Und dass die Ainos eine der weißen sehr nahe verwandte Urrasse sind, wird heute wohl von niemandem mehr bezweifelt. Dieses Überwiegen sagen wir weißlichen Blutes bei den Japanern im Gegensatz zu den Chinesen genügt schon, um die mehr tropische Richtung ihres Rassencharakters zu erklären, und wir haben gar nicht nötig, die weiteren Möglichkeiten tropischen Einflusses durch Malaien etc. zur Erklärung zur Hilfe zu rufen.

*) Die Ostasiaten. Wittwer, Stuttgart 1901. pag. 17.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
090. Chinesisches Ehepaar aus Amoy in der Volkstracht

090. Chinesisches Ehepaar aus Amoy in der Volkstracht

091. Vier chinesische Mädchen aus Amoy

091. Vier chinesische Mädchen aus Amoy

092. Sieben Mandschumädchen aus Amoy

092. Sieben Mandschumädchen aus Amoy

093. Junge Chinesin aus Shanghai in Hosen

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094. Chinesische Frau aus Hongkong im Rock

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095. Frauen und Mädchen vom Stamme der Shan

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096. Zwei Mädchen aus Korea

096. Zwei Mädchen aus Korea

098. Japanerinnen in Unterkleidern

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099. Japanerinnen im Kimono

099. Japanerinnen im Kimono

100. Japanerin im Neglige mit offenem Haar

100. Japanerin im Neglige mit offenem Haar

101. Japanerin den Kimono anziehend

101. Japanerin den Kimono anziehend

102. Japanerin den Obi umlegend

102. Japanerin den Obi umlegend

103. Japanerin mit Kimono und Obi

103. Japanerin mit Kimono und Obi

104. Die Geliebte des Bildermachers

104. Die Geliebte des Bildermachers

105. Japanerin im Okai dori

105. Japanerin im Okai dori

106. Japanerin im Straßenkostüm

106. Japanerin im Straßenkostüm

107. Japanerin im Winterkostüm

107. Japanerin im Winterkostüm

108. Japanisches Dienstmädchen mit emporgehobenen Ärmeln

108. Japanisches Dienstmädchen mit emporgehobenen Ärmeln

109. Japanerin im Sommernegligé

109. Japanerin im Sommernegligé

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