Kleidung

Die am Kopf angebrachten Schmuckgegenstände, aus denen das Zeichen der höchsten Würde, die Krone, entstand, und die Zierraten des Halses, der Arme und Beine finden sich neben den genannten Hauptbestandteilen der Kleidung in häufig wechselnder Gestaltung. Der Übersicht halber müssen wir diese akzessorischen Schmuckgegenstände ebenso wie den Mantel in der weiteren Darstellung nur gelegentlich berücksichtigen.

Wenn wir bei diesen Entwicklungsstufen der Kleidung von deren hauptsächlichstem Bestandteil, dem Hüftschmuck, ausgehen, können wir die verschiedenen Formen des Gürtelschmuckes bis zum Schurz als die primitive Kleidung bezeichnen, aus der sich in den wärmeren Ländern bei der Frau die tropische Kleidung entwickelt hat, deren Hauptbestandteil der vom Gürtel getragene Rock ist.


Nicht alle Völker aber blieben in ihrer ursprünglichen warmen Heimat. Bei all den Stämmen, die allmählich in den Norden zogen, trat neben dem Ziertrieb bald ein wichtigeres Bedürfnis in den Vordergrund, der Schutz gegen die Kälte. Diesem Zwecke entsprechen am besten möglichst vollständige, dem Körper gut anliegende Kleidungsstücke, und so hat sich bei den nördlichen Völkern eine Kleidung entwickelt, die hauptsächlich zum Schutz dient, die aus Ärmeljacke und Hose bestehende arktische Kleidung.



Zusammenfassend haben wir also nacheinander den Körperschmuck als Bemalung, Narbenverzierung und Tätowierung, Körperplastik und feste Schmuckstücke, darauf die Kleidung in primitiver, tropischer und arktischer Form.

Alle diese Formen der Körperverzierung lassen sich noch heute nebeneinander nachweisen, und zwar in der Weise, dass die verschiedenen Entwicklungsstufen der Körperverzierung in Übereinstimmung mit der höheren oder niederen Kultur der betreffenden Völker sich befinden.

Dies gilt jedoch nur im allgemeinen, denn Überreste einer niederen Kulturstufe finden sich neben dem allgemeinen Gepräge der höheren Entwickelung immer noch vor. Die Körperbemalung ist der einzige Schmuck der Karaibenfrauen, aber auch unsere Schauspielerinnen und andere Damen malen sich Gesicht und Arme an; der Narbenschmuck findet sich nicht nur bei Australiern, sondern auch bei deutschen Studenten; die Tätowierung zeichnet nicht nur die Maoris, sondern auch die hochentwickelten Japaner und in neuester Zeit sogar englische Prinzen aus*) ; Ohrringe werden von den dajakschen, aber auch von den meisten europäischen Frauen getragen; über die verschiedenen Formen freiwilliger und unfreiwilliger Körperplastik in allen Kreisen werden wir noch genug zu berichten haben.

Wie mit dem Körperschmuck, so ist es auch mit der Kleidung. Neben der tropischen und arktischen Kleidung im öffentlichen Leben findet sich die primitive Kleidung, ja selbst die völlige Nacktheit innerhalb des Hauses oder bei der Arbeit.

Im Laufe der Zeiten sind die ursprünglich selbständigen Endstadien der natürlichen Entwickelung; die tropischen und die arktischen Kleidungsformen, durch rückströmende Völkerverschiebungen miteinander in Berührung gekommen, und wie die Menschen selbst, haben auch deren Kleidungsstücke Mischungen gebildet, in denen bald die tropischen, bald die arktischen Elemente die Oberhand behielten.

Bei vielen dieser Mischformen lässt sich der Ursprung noch geschichtlich nachweisen, bei anderen müssen wir uns mit der Feststellung des Tatbestandes begnügen.



Aus diesen verschiedenen Elementen setzt sich die heutige Volkstracht der höheren Kulturvölker zusammen, wobei wir — auch wieder nur im allgemeinen — beobachten können, dass bei der Frau in der Hauptsache das tropische Element mit dem Rock, beim Mann das arktische mit der Hose die Oberhand gewinnt.

*) Riley, ein früherer englischer Soldat, soll in London einige tausend Herren und Damen aus den ersten Kreisen tätowiert haben.

Mehr und mehr jedoch verschwinden die charakteristischen Formen vor dem alles überflutenden Einfluss des modernen Europäertums mit seiner internationalen Mode, die für die Frau eine künstliche Form der tropischen Kleidung gezüchtet hat.

Wie sehr dieser letztere Einfluss sich geltend gemacht hat, geht am deutlichsten aus der Veränderung der Frauenkleidung innerhalb der letzten 400 Jahre hervor, während welcher Zeit die massenhaften Kolonisationen fremder Länder von Europa aus stattgefunden haben.

Fig. 012 zeigt die Verteilung der Frauenkleidung um 1500 n. Chr. In tropischen Gegenden nimmt die völlige Nacktheit noch ausgebreitete Länderstrecken ein, die primitive Kleidung nicht minder. Reste rein tropischer Kleidung finden sich stellenweise sogar in Europa. Fig. 013 zeigt eine mächtige Zunahme der europäisch modifizierten tropischen Kleidung, eine starke Einschränkung der primitiven Kleider und noch stärkere der Nacktheit.

In diese allgemeine Übersicht der Körperverzierung lassen sich sämtliche bekannten Schmuckkarten und Kleidungsstücke ohne Schwierigkeit einreihen. Bevor wir jedoch dazu übergehen, die nötigen Belege für die einzelnen Entwicklungsstufen der Körperverzierung zu erbringen und sie mit einigen treffenden Beispielen ausführlicher zu besprechen, müssen wir uns den mächtigen Einfluss deutlich machen, den die Rassen, deren geographische Lage und Kultur, namentlich aber die Gottesdienste, auf die Körperverzierung ausgeübt haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
012. Verteilung der Frauenkleidung um 1500 n. Chr

012. Verteilung der Frauenkleidung um 1500 n. Chr

013. Verteilung der Frauenkleidung um 1900 n. Chr

013. Verteilung der Frauenkleidung um 1900 n. Chr

alle Kapitel sehen