Der Körperschmuck

Wir haben bereits gesagt, dass die verschiedenen Arten von Körperschmuck sich in vier große Gruppen verteilen lassen, in

1) Körperbemalung ;
2) Narbenschmuck
3) Tätowierung;
4) Körperplastik;
5) am Körper befestigte Schmuckstücke.


Wir haben auch bereits bemerkt, dass sich häufig eine Art des Körperschmucks mit der anderen zusammen vorfindet und dass sich Überreste von allen vier Gruppen auch bei den heute am höchsten stehenden Kulturvölkern erhalten haben.

Wir haben hier nun den näheren Beweis anzutreten, dass in der Tat alle diese Körperverzierungen nur aus dem Ziertrieb hervorgegangen sind, und dann, dass sie in der oben angegebenen Reihenfolge die Vorläufer der eigentlichen Kleidung geworden sind. Ein solcher Beweis ist natürlich nicht mit mathematischer Sicherheit zu geben, sondern nur ein sogenannter Wahrscheinlichkeitsbeweis, der aus Analogien gleicher und ähnlicher Zustände seine Schlüsse zieht.

Von älteren Urgeschlechtern der Menschheit wissen wir nur sehr wenig. Außer diesen äußerst spärlichen Quellen haben wir zunächst die Berichte von Reisenden und deren Beobachtungen von noch lebenden Naturvölkern. Von diesen Berichten sind wiederum die meisten, die von Missionaren herrühren, ziemlich wertlos, weil diese durch die Brille ihres meist recht beschränkten Standpunktes und darum nur in seltenen Fällen wirklich objektiv beobachten. Eine besonders rühmliche Ausnahme davon macht Livingstone.



Auch die Erfahrungen wissenschaftlich gebildeter Reisenden sind nicht immer einwandfrei, denn während den Forschern romanischer Abkunft eine gewisse Sucht nach phantastischer Übertreibung nicht immer abzusprechen ist, kranken wiederum die germanischen Gelehrten an dem Bedürfnis, alles, was sie sehen, einem vorher bereits fertiggestellten System anzupassen, und so sieht der eine mehr, der andere weniger, als wirklich da ist.

Sogar die wissenschaftlichen Messungen sind sehr häufig durch den individuellen Standpunkt verschoben. Das wichtigste, in letzter Zeit stets anwachsende, völlig einwandfreie Material sind die photographischen Aufnahmen, die allein eine nachträgliche Prüfung gestatten.

Wer soll aber diese Prüfung vornehmen? Dem Gelehrten, der nie aus seinen vier Wänden herausgekommen ist, fehlt jeglicher Maßstab, jede Möglichkeit des Vergleichens mit eigener Erfahrung, denn mehr und mehr macht sich das Bewusstsein geltend, dass Bücherweisheit allein zur Beurteilung der lebenden Welt nicht ausreicht. Noch weniger als ein Arzt das Wesen einer Krankheit aus Büchern heraus erkennen kann, ist es für einen Anthropologen möglich, von seiner heimatlichen Zelle aus das Gewoge der Rassen und Völker zu übersehen.

Nein, man muss selbst draußen in der Welt gewesen sein, muss selbst mit den verschiedenartigsten Menschen und Völkern in Berührung gekommen sein, und unter ihnen die Vorurteile seiner engeren Heimat abgestreift haben, bevor man im Stande ist, ähnliche Beobachtungen anderer nach ihrem richtigen Wert oder Unwert schätzen zu können.

Der Mangel dieser Einsicht hat manche recht hervorragende Gelehrte dazu verleitet, die seltsamsten Theorien aufzubauen, kritiklos minderwertigen Berichten zu glauben und bessere tot zu schweigen.

Und dies hat wiederum zur Folge, dass jeder neue Arbeiter auf diesem Felde erst damit anfangen muss, eingewurzelte Irrtümer zu berichtigen, bevor er Neues bringen kann.



Für die Körperbemalung, ebenso wie für die Narbenverzierung und Tätowierung hat Joest*) diese Aufgabe in glänzender Weise gelöst, und ich vermag nichts Besseres zu tun, als mich seiner Auffassung anzuschließen und kann sie durch eigene Beobachtungen nur bestätigen. Eine reiche Übersicht einschlägigen Materials findet sich bei Bartels**) und Lippert***).

Joest hat seine Beobachtungen und Erfahrungen bei Naturvölkern gesammelt, eine zweite Quelle der Erkenntnis hat er aber gar nicht beachtet, und zwar das Studium unserer eigenen Kinder.

Bei richtiger Beobachtung gibt uns das unverdorbene Kind mit seinen natürlichen Neigungen und Regungen unendlich viel mehr Aufschlüsse über die Kindheit des Menschengeschlechtes als tausend gelehrte Bücher. Vom Kinde wissen wir, dass Nacktheit keine Schande ist, am Kinde sehen wir auch, dass es sich und seinesgleichen mit Vorliebe Gesicht und Hände beschmiert, und stolz darauf ist, sich in seinem Schmutz zu zeigen. Ich hatte einmal ein Fläschchen mit Goldbronze den Söhnen eines Freundes geschenkt. Die Jungen wussten nichts Besseres damit zu tun, als sich gegenseitig sämtliche Fingernägel und die Nasenspitzen zu vergolden, zum großen Entsetzen meines sehr wohlerzogenen Freundes.

Joest****) führt an , dass Tiere , wie die Elefanten, Schweine und Büffel, Schlammbäder nehmen, um sich durch die lehmige Kruste vor Insektenstichen zu schützen, dass aber auch verschiedene Karaibenstämme in Brasilien zu demselben Zwecke ihren nackten Körper mit Kokosöl und roter Farbe einreiben. Zum Schutze genügt das Kokosöl, wozu also die rote Farbe? Doch offenbar nur, weil die Karaiben das schön finden. Wie alle Indianerstämme, lieben auch die Karaiben die rote Farbe als Körperschmuck, und bekanntlich stammt der alte Name Rothäute nicht von der wirklichen Hautfarbe, die mehr bräunlichgelb ist, sondern von der früher allgemein herrschenden Sitte, den nackten Körper rot zu bemalen. Wir finden hier wieder das Bestreben, ein Rassenmerkmal, die leicht rötlich schimmernde Haut, künstlich zu erhöhen.

*) Tätowieren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Asher&Co. Berlin 1887.
**) Ploss-Bartels, Das Weib. 7. Aufl. 1902. Abschnitt IV.
***) Kulturgeschichte der Menschheit I, 364 ff.
****) 1. c. pag. 19.


Aber nicht nur bei den amerikanischen Stämmen, sondern bei allen Menschen scheint Rot die älteste und beliebteste Schmuckfarbe gewesen zu sein und noch zu sein. Man lasse Kinder unter einer Anzahl der Form nach gleicher und nur durch die Farbe verschiedener Gegenstände, zum Beispiel farbigen Kugeln, auswählen; die meisten Kinder werden die rote Kugel bevorzugen, wie man dies täglich beim Croquetspiel beobachten kann.



Spencer*) gibt an, dass in den Höhlen von Perigord neben den Gerippen von vorgeschichtlichen Menschen ein roter Farbstoff gefunden wurde, der zur Verzierung der Haut bestimmt war, Schaaffhausen**) fand Schädel und Knochen in der Martinshöhle mit rotem Ocker bemalt, Tacitus***) berichtet von einem im fernen Norden wohnenden Volke, das, statt sich zu bekleiden, den Körper mit roter Farbe beschmierte. Joest führt eine ganze Reihe anderer Quellen an, die die allgemeine Verbreitung der roten Bemalung bei prähistorischen, sowie bei heutigen Naturvölkern bestätigt.

Dass gerade Rot als Körperschmuck so allgemein beliebt ist, kann zum Teil in der Natur der Farbe selbst liegen. Es ist ja eine bis jetzt noch nicht genügend aufgeklärte Tatsache, dass gewisse Farben einen angenehmeren Eindruck auf die Seele des Menschen machen als andere: Rot stimmt freudig, Blau stimmt trübe und so weiter; allerdings ist ja die Auffassung verschieden, denn ein Stier zum Beispiel kann Rot nicht vertragen. Abgesehen von dieser geheimen Anziehungskraft aber ist Rot die Farbe des Blutes, und darum offenbar die erste Auszeichnung des Jägers gewesen, der vom Blut seiner Beute bespritzt, nach Hause kehrte. Wir wissen ja, dass erst der Mann sich schmückte; später ging dieser Schmuck auch auf die Frau über. Ein weiterer Grund für die große Vorliebe für Rot liegt darin, dass es leicht zu beschaffen ist und zu jeder Hautfarbe, vom hellsten Weiß bis zum dunkelsten Schwarz, gut passt.

Nächst Rot sind Schwarz und Weiß die verbreitetsten Schmuckfarben, dann kommt Gelb und in letzter Reihe Grün und Blau.

*) Descriptive Sociology.
**) Über roten Ocker in der Martinshöhle bei Lethmathe.
***) Germania.


Joest hat so viele Hinweise, Überreste und Beispiele von Bemalung aus aller Herren Länder und aus allen Zeiten gesammelt, dass er zu dem berechtigten Schlüsse kommt, dass alle Menschengeschlechter ihre Körper bemalt haben und dass bei allen noch Spuren dieser Sitte vorhanden sind.

Ist nun die Körperbemalung, um zunächst von dieser allein zu reden, nur als Körperschmuck betrachtet worden, oder haben auch andere Ursachen, wie Körperschutz und vor allem religiöse oder kulturelle Vorschriften, sie veranlasst?

Als Gewährsmänner für die Auffassung, dass die Bemalung lediglich als Körperschmuck aufgefasst wird, führt Joest*) an : Kubary, Finsch, Cook, Bougainville, Langsdorff, Ellis, Lawrence, Riedel, Bock, Balz, die ihre Erfahrungen bei den Melanesiern, Tahitiern, Markesanen, Maoris, Keiinsulanern, Dajaks beziehungsweise Japanern gesammelt haben. Derselben Anschauung sind Ehrenreich**) und von den Steinen***), die über südamerikanische Stämme berichten, und Ferrars****), der bei den Birmanen und Andamanen langjährige Studien gemacht hat. Die gleiche Überzeugung habe ich auf den Sundainseln, in Indochina und Japan gewonnen. Dass einige der genannten Forscher ihre Erfahrungen an der aus der Bemalung hervorgegangenen Tätowierung gemacht haben, ändert an der Sache nichts.

*) 1. c. pag. 53.
**) Die Botokuden von Eio Pankas.
***) Unter den Urvölkern Zentralbrasiliens.
****) Burma, by Max & Berta Ferrars.


Der Hauptvertreter der entgegengesetzten Ansicht ist Gerland, der die Körperbemalung ebenso wie die Tätowierung zu einer symbolischen und heiligen Handlung stempeln will und zur Stütze dieser Ansicht die unglaublichsten Kombinationen mit einem wahren Bienenfleis zusammengetragen hat*). Ihm haben sich verschiedene Ethnologen, mehr oder weniger angeschlossen.

*) Waitz-Gerland, Anthropologie der Naturvölker. Bd. VI.

Alle, die Bemalung und Tätowierung in ihrer ursprünglichen Form studiert haben, erklären sie einstimmig für rein kosmetisch und nur die Gelehrten vom grünen Tisch wittern tiefere Ursachen heraus.



Ich glaube, dass das Urteil derjenigen, die mit eigenen Augen gesehen haben, entschieden das wertvollere ist, und dass in deren Übereinstimmung der größte Beweis für die Richtigkeit ihrer Ansicht liegt.

In Wirklichkeit findet sich hie und da Bemalung und Tätowierung mit kulturellen und namentlich religiösen Zwecken verbunden, dann lässt sich aber auch beinahe immer noch mehr oder weniger bestimmt nachweisen, dass erst sekundär die gebietenden Kreise sich eines bereits herrschenden Volksbrauchs bemächtigt haben.

„Wenn erst", wie Joest schreibt, "die Ausübung dieser Kunst ein Lebenserwerb geworden ist, dann ist es nicht mehr als natürlich, dass gerade gewisse Kasten, die in der ganzen Welt keine Feinde des schnöden Mammons sind, die Priester, danach trachteten und es erreichten, diese Kunst als Monopol in ihre Hände zu bekommen.“

In gleicher Weise wird die Bemalung und Tätowierung, wo sie mit größeren Kosten verbunden ist, ein Vorrecht der höheren, besitzenden Klassen und damit eine Auszeichnung.

Für weitere Beispiele verweise ich auf die bereits mehrfach zitierte Arbeit von Joest.

Der unbevorurteilte Leser wird nach dem Gesagten zugeben müssen, dass es ebenso widersinnig ist, die Körperbemalung und Tätowierung von symbolischen und religiösen Gebräuchen abzuleiten, als die Kleidung vom Schamgefühl. In beiden Fällen sind die Ursachen und die Wirkungen miteinander verwechselt worden.

Genau so verhält es sich ja auch mit der Beschneidung und dem Verbot des Schweinefleisches bei Israeliten und Muhammedanern. Aus einer ursprünglich rein sanitären Maßregel ist später ein religiöses Gebot geworden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung