Tätowierung

Von der braunen Haut aufwärts bis zu den hellhäutigen Völkern finden wir nun die Tätowierung in ihrer reichsten Entfaltung.

In welcher Form, an welchem Körperteil sie zuerst angebracht wurde, wird sich wohl kaum jemals entscheiden lassen. Jedenfalls ist wohl die auch heute noch am weitesten verbreitete schwarze Farbe zuerst angewendet worden, weil sie am leichtesten zu beschaffen war und am kräftigsten wirkte.


Nicht unwahrscheinlich ist ferner, dass bei den Frauen zuerst die Schamtätowierung vorgenommen wurde, wie sie heute noch bei den Pelau- und Nukuoroinsulanerinnen besteht. Dafür spricht, dass auch heute noch bei den Völkern, die als solche der Tätowierung huldigen, diese erst bei der Geschlechtsreife angebracht wird, und dass bei den Naturvölkern von allen Körperteilen die Geschlechtsteile bei der Frau zuerst Interesse erregen und darum zuerst zur Verzierung auffordern.

Bei den Bewohnern der Nukuoroinseln wird, wie Kubary berichtet, von den Männern nur der Häuptling auf Brust und Schultern tätowiert, dagegen alle Mädchen, diese jedoch nur auf dem Schamhügel mit einer Figur, wie sie Fig. 39 angibt.

Fig. 039. Schamtätowierung der Nukuorofrauen. (Nach Kubary.)

„Trotz der Beschränktheit der nukuorischen Tätowierung“ — schreibt Kubary*) — „ist ihre Bedeutung bei den Frauen eine hervorragende, wie man schon aus dem Umstände schließen darf, dass alle von nicht tätowierten Frauen geborenen Kinder getötet werden. Sie bildet das Abzeichen der Reife und des Eintretens in die Gemeinschaft der übrigen Frauen und wird auch deshalb in Gesellschaft ausgeführt.“

*) Bei Joest, 1. c. pag. 86.

Die Vornahme der Operation schildert Kubary in folgender Weise: „An dem betreffenden Tage begeben sich die sämtlichen, mit Gelbwurz eingesalbten Mädchen nackt nach dem Strande und baden im Angesicht der versammelten Männer in der See. Zurückgekehrt nach dem Tempel wird jede von einem besonderen Manne empfangen, welcher an der mit bedecktem Gesicht auf dem Boden sich Ausstreckenden rasch die einfache Zeichnung ausführt. Als Schwärze dient der Russ des „Setoï“, eines an allen Inseln der Karolinen von Osten antreibenden Harzes. Der Priester, der die Operation beaufsichtigt, bedeckt dann die Schamgegend mit drei Steinen, Te hatu nae, und legt auf die Brust eines jeden Mädchens dreieckige Schildpattstückchen, Te hanna genannt. Nach drei Tagen trocknet die Zeichnung ein und die Mädchen dürfen den Tempel verlassen.“



Aus diesem Beispiel ist ersichtlich, wie die Tätowierung aus der ursprünglichen Verzierung ein durch Sitte und Religion geheiligtes Abzeichen des Weibes geworden ist, ein Abzeichen, dem keine Frau sich entziehen kann, ohne die heiligsten Pflichten der Mutterliebe zu verletzen.

In anderer Weise tritt wiederum die Tätowierung bei den Weibern der Aino auf. Bei zwei Ainomädchen (Fig. 40) ist der Körper größtenteils bekleidet, um den Mund aber ist eine schwarze, schnurrbartähnliche Tätowierung angebracht, die sich bis zu den Ohren hinaufzieht.

Fig. 40. Zwei Ainomädchen mit tätowiertem Schnurrbart.

Die Ainos unterscheiden sich bekanntlich von allen sie umgebenden Volksstämmen durch eine außerordentlich starke Körperbehaarung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass in diesem Falle die Tätowierung bei den Mädchen im Gesicht auf das Bestreben zurückzuführen ist, das Rassenmerkmal künstlich zu erhöhen.

Bei einem Dajakmädchen vom Stamme der Kajan (Fig. 41), das von C. Nieuwenhuis im Innern Borneos aufgenommen ist, bildet die Tätowierung einen zierlichen, manschettenförmigen Streifen oberhalb des Handgelenks. Hier ist sie offenbar ausschließlich als Körperverzierung angebracht.

Fig. 41. Dajakmädchen mit tätowierter Manschette. (Phot. Nieuwenhuis.)

In selten schöner und ausgiebiger Weise tritt uns die zur Zierkunst sich erhebende Tätowierung in einem Bilde entgegen, das Nieuwenhuis von einer älteren Kajanfrau (Fig. 42) anfertigen ließ.

Fig. 42. Dajakfrau mit tätowierten Oberschenkeln und Manschetten. (Phot. Nieuwenhuis.)

Hier sind die Hände bis übers Handgelenk mit den zierlichsten Arabesken verziert. An den Beinen finden sich breite tätowierte Knöchelstreifen, und endlich ein die ganzen Oberschenkel bedeckendes höchst kunstreiches Muster. Die sehr zierlich gearbeiteten, wechselvollen Holzpatronen, welche zur Tätowierung benutzt werden, hat Nieuwenhuis in großer Zahl gesammelt und aus Borneo mitgebracht. Der weiblichen Eitelkeit ist in weitestem Maße Rechnung getragen, nur ist die erste Wahl entscheidend, und für die Trägerin des einmal angebrachten Schmuckes gibt es keinen Modewechsel mehr.

Wie Nieuwenhuis mir mitteilte, wird diese ausgedehnte Tätowierung der Oberschenkel nur bei Frauen und niemals bei Männern angebracht. In Birma*) ist es gerade umgekehrt. Dort findet sich die völlige Bekleidung der Oberschenkel mit eingebrannten Mustern nur beim Manne.

*) Vgl. Burma by Max & Berta Ferrars.

Diese Beispiele, die sich durch zahlreiche andere vermehren ließen, lehren uns, dass die Tätowierung noch heute in der Hauptsache als Körperschmuck angesehen wird, dass sich aber häufig im Laufe der Zeiten damit Begriffe religiöser Art verbunden haben, oder dass sich daran ein Abzeichen des Ranges und Standes knüpft. Zu der ersteren Kategorie gehören z. B. die noch heute in der Herzegowina üblichen Tätowierungen eines Kreuzes auf Brust und Vorderarm katholischer Mädchen, zu der letzteren die Totemzeichen, die amerikanische Indianerinnen sich in die Haut kratzen.

Die Sitte der Tätowierung ist noch heute über die ganze Erde bis in die höchstkultivierten Völker hinein verbreitet.

Unter vielen Naturvölkern finden wir sie beim ganzen Stamme, bei höher kultivierten Völkern gibt es noch einzelne Stände, wie die halbnackten Läufer in Japan, die der Sitte huldigen, endlich findet man sie vereinzelt bei den höchsten Kulturvölkern, obgleich auch da mehr oder weniger an gewisse Stände gebunden. Joe st hat von Tätowierten weißer Abstammung ausführliche Berichte gesammelt. Danach sind die Matrosen, Soldaten, Handarbeiter und andere Angehörigen der sog. arbeitenden Klasse ziemlich häufig tätowiert; ferner Reisende verschiedener Berufe, die diese Sitte im Ausland kennen lernten, und zu diesen letzteren gehören sogar einige englische Prinzen, bei denen in Japan der Urmensch wieder erwachte.

Als Ausnahme findet sich die Narbenverzierung mit dem Beigeschmack der Auszeichnung im Gesicht deutscher Studenten, obgleich es unlogisch ist, darin eine Auszeichnung zu sehen, denn der sogenannte Renommierschmiss ist doch eigentlich nur ein Zeichen, dass sein Besitzer die edle Fechtkunst weniger gut verstand, als der Gegner, der ihn abgestochen.

Bekannt ist, dass im Mittelalter den Verbrechern ein Brandmal auf die Stirne gedrückt wurde. Ich selbst habe in Surabaia noch helfen müssen, dienstuntauglichen Javanen mit dem blutigen Schröpfkopf ein mit Russ eingeriebenes Mal auf das Kreuz zu drücken, eine Maßregel, die verhindern sollte, dass sich dieselben wieder anderswo anwerben ließen.

Alle diese sporadisch auftretenden Spuren von Narbenschmuck und Tätowierung haben aber mit dem natürlichen Entwicklungsgang der Körperverzierung nichts zu tun.

Während sich diese Art der Körperverzierung bei den Männern oft sehr ausgedehnt und auf allen Stufen der Kultur findet, wird sie bei den Weibern im allgemeinen nicht so ausgiebig angewendet und findet sich bei höher kultivierten Völkern so gut wie gar nicht.

Das Geheimnis des Glücks in der Liebe.
eBook: 192 Seiten, 2,99 Euro

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
039. Schamtätowierung der Nukuorofrauen. (Nach Kubary)

039. Schamtätowierung der Nukuorofrauen. (Nach Kubary)

040. Zwei Ainomädchen mit tätowiertem Schnurrbart

040. Zwei Ainomädchen mit tätowiertem Schnurrbart

041. Dajakmädchen mit tätowierter Manschette

041. Dajakmädchen mit tätowierter Manschette

042. Dajakfrau mit tätowierten Oberschenkeln und Manschetten

042. Dajakfrau mit tätowierten Oberschenkeln und Manschetten

alle Kapitel sehen