Narbenschmuck

An die Stelle der vergänglichen Farbe tritt im weiteren Lauf der Entwickelung der bleibende Narbenschmuck und die Tätowierung.

Beide Schmuckarten können als gleichwertig betrachtet werden und unterscheiden sich nur durch ihre auf natürlichen Ursachen beruhenden Verbreitungsgebiete. Bei allen dunkeln Völkern findet sich beinahe ausschließlich Narbenschmuck, bei farbigen und hellen Völkern beinahe ausschließlich Tätowierung.


Die dunklen Völker bevorzugen den Narbenschmuck, weil auf ihrer dunklen Haut die Farben wenig oder gar nicht zur Geltung kommen, die Narben aber viel stärker und plastischer hervortreten als bei hellen Völkern. Ihre schwellende, dicke, gefäßreiche Haut zeigt eine starke Neigung zur Bindegewebswucherung und Bildung von sogenannten Keloiden, Narbenwülsten.

Einen derartigen unfreiwilligen Narbenschmuck sah ich einmal auf dem Oberarm eines dunkelhäutigen Maduresen in Surabaia.



Beim Impfen hatten sich an jeder Einstichstelle knopfförmige Wülste gebildet. Später waren dieselben durch eine Operation entfernt worden, doch nun wuchs an ihrer Stelle die Schnittnarbe mit den querverlaufenden Nahtnarben zu einem noch viel größeren, braunglänzenden Gebilde empor, das die Gestalt einer dicken, vielfüßigen Raupe hatte.

Fig. 033. Südaustralisches Mädchen mit Narbenschmuck. (Ethnogr. Museum Leiden.)

Bei hellhäutigen Menschen kommen derartige Keloide nur äußerst selten vor; Schnittnarben sind rötlich, wenn sie frisch sind, und werden bald weiß oder leichtbräunlich, so dass sie sich nach Verlauf eines Jahres nur wenig von ihrer Umgebung ablieben. Sehr vorteilhaft dagegen treten in der helleren Haut die farbigen Tätowierungen hervor. Die beliebteste und verbreitetste Farbe für Tätowierung ist Schwarz, das durch die Haut bläulich durchschimmert; meist wird dazu Kohle, Russ oder ein ähnlicher Stoff benutzt. Nächst Schwarz ist Rot am häufigsten. Man benutzt dazu Zinnober, der nur wenig von seiner Farbe verliert.

Für Narbenschmuck und Tätowierung gilt dasselbe allgemeine Gesetz, wie für die Bemalung. Nur diejenigen Körperteile werden geschmückt, die von den Kleidern gar nicht oder nur ausnahmsweise bedeckt sind.

Bei wenig bekleideten Völkern wird der Körper in großer Ausdehnung mit Narben verziert oder tätowiert, bei den bekleideten Völkern beschränkt sich die Tätowierung auf das Gesicht, die Vorderarme und den oberen Teil der Brust. Der scheinbare Widerspruch, dass z. B. die völlig in Tierfelle gehüllten Eskimos sich sehr ausgiebig am ganzen Körper tätowieren, erklärt sich daraus, dass sie in ihren Hütten nackt sind.

Mit der Zunahme der bleibenden Kleidung rieselt, wie Joest sich sehr hübsch ausdrückt, die Tätowierung und der Narbenschmuck am Körper herunter, so dass wir bei völlig bekleideten Völkern diese Schmuckart nur an Händen, Unterarmen, Gesicht und Büste antreffen.

Wie schon bemerkt, ist hier absichtlich vermieden, eine vollständige Übersicht des Narbenschmucks und der Tätowierung zu geben, und auf die im Lauf der Zeiten damit verbundenen religiösen und kulturellen Zwecke ausführlich einzugehen. Auch dafür kann ich auf das schon mehrfach angeführte schöne Werk von Joest verweisen und mich hier mit einigen charakteristischen Beispielen begnügen.

Die Fig. 033, 034, 035 geben drei nacktlebende Südaustralierinnen wieder, deren ganzer Körperschmuck außer einigen schmalen Hals- und Armbändern von Hanf in Narben besteht.

Fig. 033 zeigt ein junges Mädchen, dessen einziger Schmuck zwei querverlaufende, starkgewulstete Narben unter den Brüsten sind.

Bei einer jungen Frau von demselben Stamm (Fig. 034) sind zwei weitere Streifen unter dem Nabel hinzugekommen, über die rechte Schulter verlaufen zwei Reihen von je acht knöpfförmigen Narbenwülsten.

Fig. 034. Junge südaustralische Frau mit Narbenschmuck. (Ethnogr. Museum Leiden.)

Noch reicher verziert ist eine ältere südaustralische Dame (Fig. 035), die außer an Bauch, Brust und Schultern auch im Gesicht zahlreiche strich- und punktförmige Narben aufzuweisen hat.

Fig. 35. Ältere südaustralische Frau mit Narbenschmuck. (Ethnogr. Museum Leiden.)

Wir sehen, dass hier mit der Narbenverzierung des Körpers der Begriff der Auszeichnung verbunden ist. Das junge Mädchen muss sich mit wenigen Narben begnügen, die junge Frau ist schon viel mehr verziert, die würdige Matrone strahlt im vollen Glänze des ihrer höheren Stellung entsprechenden Narbenschmucks.

Am Kongo in Afrika ist eine eigentümliche Narbenverzierung an der Stirn sehr beliebt, von der die Fig. 036 und 037 Beispiele geben.



Von den zwei Mädchen vom oberen Kongo (Fig. 036) zeigt die linksstehende außer der wulstigen medianen Narbenverzierung an der Stirn nur eine sehr seichte, längs verlaufende gestrichelte Narbe oberhalb des Nabels, während bei der rechtsstehenden am Bauch drei querverlaufende Narben, sowie eine Verzierung des Vorderarms hinzukommt. Außer diesen Narben besteht bei beiden die Kleidung nur aus einem auf den Hüften ruhenden Grasrock, der viel Ähnlichkeit hat mit den Röckchen unserer Balletttänzerinnen.

Fig. 036. Zwei Mädchen von Zentralafrika mit Narbenschmuck und Grasrücken. (Ethnogr. Museum Leiden.)

Die Gruppe der Frauen und Mädchen vom Sanga, einem Nebenfluss des Kongo (Fig. 037), zeigt wieder, wie bei den Australierinnen, einen gewissen Standesunterschied, da nur die Frauen, nicht aber die jungen Mädchen mit den knopfförmigen Narben an der Stirn verziert sind.

Fig. 037 Frauen und Mädchen vom Sanga, die ersteren mit Narbenschmuck. (Ethnogr. Museum Leiden.)

Eine sehr ausgiebige Narbenverzierung, die sich beinahe über den ganzen Körper erstreckt, besitzen zwei junge Mädchen aus Angola, die im übrigen nur mit einem schmalen Hüftband bekleidet sind (Fig. 038).

Fig. 038. Zwei Mädchen von Angola mit Narbenschmuck. (Ethnogr. Museum Leiden.)

Alle diese Frauen und Mädchen gehören den dunkelhäutigen Menschenrassen an.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
033. Südaustralisches Mädchen mit Narbenschmuck

033. Südaustralisches Mädchen mit Narbenschmuck

034. Junge südaustralische Frau mit Narbenschmuck

034. Junge südaustralische Frau mit Narbenschmuck

035. Ältere südaustralische Frau mit Narbenschmuck

035. Ältere südaustralische Frau mit Narbenschmuck

036. Zwei Mädchen von Zentralafrika mit Narbenschmuck und Grasröcken

036. Zwei Mädchen von Zentralafrika mit Narbenschmuck und Grasröcken

037. Frauen und Mädchen vom Sanga, die ersteren mit Narbenschmuck

037. Frauen und Mädchen vom Sanga, die ersteren mit Narbenschmuck

038. Zwei Mädchen von Angola mit Narbenschmuck

038. Zwei Mädchen von Angola mit Narbenschmuck

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