Körperplastik

Gerade umgekehrt aber verhält es sich mit den verschiedenen Formen der Körperplastik. Diese kommt bei Männern fast gar nicht, oder nur auf niederer Kulturstufe vor, während sie sich beim Weibe bis in die höchst entwickelte Kultur hinein erstreckt.

Ähnlich wie die Hautfarbe einen überwiegenden Einfluss auf die Verteilung der an sich gleichwertigen Schmuckarten durch Narben oder durch Tätowierung ausübt, ebenso sind auch die verschiedenen Arten der Körperplastik mehr oder weniger an die Verbreitung der verschiedenen Rassen gebunden.


Mehr als bei irgend einer anderen Art der Körperverzierung handelt es sich bei der Körperplastik um künstliche Übertreibung der angeborenen Rassenvorzüge und Rassenmerkmale.

Ein ausführliches Eingehen auf die verschiedenen Formen der Körperplastik würde in vielen Beziehungen wichtig sein, uns aber hier zu weit von dem Thema abführen. Besonders zu beachten ist aber, dass der Körper der Frau in sehr ausgedehnter Weise sich künstlich beeinflussen lässt, dass aber trotzdem jedes neugeborene Kind wieder ganz normale Körperbildung zeigt. So kann z. B. eine europäische Dame durch starke Einschnürung der Körpermitte nicht auch bei ihrem zu erwartenden Kinde eine angeborene Wespentaille hervorrufen. Mit anderen Worten: Soweit einwandsfreie Beobachter bisher haben feststellen können, geht eine künstliche Verbildung des mütterlichen Körpers niemals durch Vererbung auf das Kind über.



Von weniger bekannten und weniger allgemein verbreiteten Formen der Körperplastik können wir hier absehen. Ob bei den Plattkopfindianern die Sitte, die weichen Schädelknochen des Neugeborenen platt zu drücken, durch eine als Rasseneigentümlichkeit bereits bei einzelnen bestehende größere Länge des Hinterkopfes veranlasst wurde, lässt sich schwer entscheiden.

Die durch Einschnüren der Arm- und Beinringe angestrebte stärkere Rundung der Extremitäten ist so allgemein verbreitet, dass sie sich auch nicht als einer einzigen Rasse angehörige Sitte bezeichnen lässt. Ploss-Bartels, der eine reiche Blütenlese einschlägiger Gebräuche gesammelt hat*), erwähnt derselben bei Frauen aus Neuguinea (Armringe), aus Gabun, bei Guyana- und Pirusindianerinnen, bei Mentaweiinsulanerinnen (Beinringe) u. a. m.; ich habe sie bei Seeländerinnen und Javaninnen häufig gefunden. Da aber eine liebliche Rundung der Extremitäten bei allen Rassen gleichmassig als ein Vorzug des weiblichen Geschlechts angesehen wird, so sind diesbezügliche Verschönerungsmaßnahmen auch gleichmäßig verbreitet.

Anders verhält es sich mit den zwei wichtigsten Formen von Körperplastik, welche die zwei Hauptkulturrassen, die gelbe und die weiße, betreffen. Es ist dies die künstliche Verkleinerung des Fußes bei den Chinesinnen und die künstliche Verengerung der Taille bei den Kulturvölkern der weißen Rasse.

Ähnlich wie der berühmte Kater Hiddigeigei philosophierte: „Warum küssen sich die Menschen?“, so haben auch verschiedene Forscher sich gefragt, warum die Chinesinnen ihre Füße einschnüren. Scherzer*) sucht die Ursache in der Eifersucht der Männer, um dadurch ein rasches Davonlaufen der Frauen zu verhindern, Morache**) nimmt an, dass der Fuß aus erotischen Gründen verkrüppelt werde, weil das Betrachten und Befühlen des kleinen Schuhs den Chinesen ein besonderes Vergnügen gewährt. Was die Scherzersche Ansicht betrifft, so darf man dieselbe wohl ruhig für einen Scherz ansehen. Zunächst habe ich, und wohl viele andere Beobachter auch, in China gesehen, dass viele junge Mädchen trotz ihrer kleinen Stumpffüßchen sehr schnell laufen können, und dann braucht man kein großer Psychologe zu sein, um zu versichern, dass ein derartiges Mittel im gegebenen Falle dem eifersüchtigen Manne nicht die geringste Garantie bietet. Die Auffassung von Morache ist insofern unrichtig, als er, wie so viele, die Ursache mit der Wirkung verwechselt. Die Füße wurden nicht verstümmelt, weil die Männer das schön fanden, sondern als man anfing, die Füße zu verstümmeln, fanden die Männer auch das schön, wie sie im allgemeinen alle Launen der jeweils herrschenden Mode schön finden.

*) Das Weib. 7. Auflage, pag. 144 ff.
**) Beide zitiert bei Bartels, Das Weib. VII. pag. 168


Der Grund scheint mir vielmehr, wie gesagt, darin zu liegen, dass der natürliche Vorzug der mongolischen Rasse, der kleine Fuß, künstlich übertrieben wurde. Dafür spricht auch eine eigentümliche Analogie in der Schönheitsauffassung der Chinesen bei der Behandlung von Pflanzen.

Zu den größten Sehenswürdigkeiten der reichen Chinesen gehören die zahlreichen Zwergbäumchen, die auf den europäischen Beschauer einen ganz verblüffenden Eindruck machen. Dreißigjährige Pinien werden durch Züchtung in einer Größe von wenig mehr als 30 cm erhalten, man sieht kleine Orangenbäume, deren Früchte so groß sind wie Erbsen und ähnliche Wunderdinge. Diese Pflanzen werden in jahrelanger Sorge ganz ähnlich vorbereitet wie die Füße der Frauen. Man umwickelt die Wurzeln möglichst fest mit feuchten Tüchern, setzt sie dann mit wenig Erde in eine Kokosschale und schneidet alle Wurzeln, die sich verlängern wollen, ab. Der Wert eines solchen Zwergbäumchens steigt mit dessen Alter, da es eine unermüdliche, jahrelange, sehr sorgfältige Pflege erfordert.

Es ist sehr leicht möglich, dass die Erfolge mit den Zwergbäumchen die chinesischen Frauen veranlassten, mit ihren Füßen oder vielmehr zunächst mit den Füßen ihrer Töchter ein gleiches zu versuchen. Jedenfalls aber finden wir in beiden Bestrebungen dieselbe Äußerung des den Mongolen eigenen Schönheitsgefühls für das Kleine, Zierliche, um nicht zu sagen Verkrüppelte.



Wie dem auch sei, wir können die Verkrüppelung der Füße bei den Chinesinnen als ein mit Erfolg gekröntes Bestreben ansehen, ihre angeborene Schönheit, den kleinen Fuß, künstlich zu erhöhen. An ähnlichen Versuchen bei Mitgliedern der weißen Rasse hat es ja auch nicht gefehlt. Auch hier bestrebt man sich, durch drückende Schuhe einen kleinen Fuß vorzutäuschen; die meisten Versuche scheiterten jedoch an der Sprödigkeit des Materials und dem Mangel an der für den Mongolen so charakteristischen Geduld, die sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. — Die Art und Weise, wie der Fuß behandelt wird, ist bei Bartels ausführlich beschrieben. Beim weiblichen Kinde werden zunächst die Zehen durch feste Binden unter die Sohle gedrückt, später, nach einigen Jahren, wird dann die Ferse dem großen Zehen durch feste Umschnürung genähert, so dass schließlich ein Gebilde erzeugt wird, das unserem Klumpfuss ziemlich entspricht. Fig. 043 zeigt zwei derartige Füße, von denen der linke in dem zierlichen kleinen Schuh steckt, während der rechte entblößt ist.

Fig. 043. Füße einer Chinesin.

Welchen Einfluss eine derartige Behandlung auf das Wachstum des Körpers hat, sehen wir an einer Vergleichung der Fig. 044 und 045, welche Herr B. Hagen aufgenommen hat und so freundlich war, mir zu überlassen. Fig. 044 stellt eine Chinesin mit nicht verkrüppelten Füssen dar.

Fig. 044. Nackte Chinesin mit nicht verschnürten Füssen. (Anthrop. Atlas von B. Hagen.)

Sie zeigt ebenso wie das jüngere Mädchen (Fig. 022) einen sehr zierlichen und kleinen Fuß, dabei gerade, gut gerundete Gliedmassen mit der den Mongolen so eigentümlichen Unterlänge in den Extremitäten.

Fig. 045 ist eine Makaochinesin mit künstlich verkleinerten Füssen. Auf den ersten Blick sieht man, dass nicht nur die Füße, sondern auch die Unterschenkel im Wachstum zurückgeblieben sind. Die Wadenmuskulatur hat sich gar nicht entwickelt, aber auch Oberschenkel und Arme sind stark verkürzt, und die Länge des Beines im ganzen umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Frau auf der Fußspitze und die Ferse etwa in der Mitte der weißen Binde steht, die den Fuß umgibt. Der Gang dieser Chinesin ist bei dem Mangel der Muskeln des Unterschenkels ein derartiger, dass das Knie gar nicht gebeugt wird, sondern das ganze Bein vom Hüftgelenk aus bewegt wird. Es ist derselbe Gang , den wir als Knaben auf Stelzen nachgemacht haben, und ebenso, wie Knaben auf Stelzen sich bei einiger Übung sehr rasch bewegen können, ebenso tun das die Chinesinnen, bevor ihnen eine stark zunehmende Leibesfülle bald nach der Geschlechtsreife die schnelle Bewegung verbietet.

Fig. 045. Nackte Chinesin mit verkrüppelten Füßen. (Anthrop. Atlas von B. Hagen.)

Mit der bei den Frauen weißer Rasse üblichen künstlichen Verschnürung der Taille können wir uns hier nur kurz befassen, da wir später darauf ausführlich zurückkommen werden. Dass es sich auch hier nur um eine künstlich angestrebte Erhöhung des Rassenvorzugs handelt, ersehen wir daraus, dass diese Körperkosmetik nur bei der weißen Rasse und ihren Mischungen üblich ist und auch von jeher üblich war, wie sich durch künstlerische Darstellungen aus früheren Jahrhunderten und aus aller Herren Länder, wo die weiße Rasse herrscht, nachweisen lässt. Nicht nur bei den alten Ägyptern und Hellenen, auch in der indischen Kunst, bei den Birmanen und Persern hat das weibliche Ideal eine mehr oder weniger ausgeprägte Wespentaille.



Fig. 046 und 047 zeigt zwei Wiener Mädchen von 20 Jahren. Bei der einen (Fig. 046) hat die Form des Rumpfes ihre völlig normale Gestaltung mit natürlicher Taille trotz Kleidung und Korsett behalten, bei der anderen (Fig. 047) sieht man die bleibende Einschnürung mit starker, dunkel gefärbter Druckfurche am unteren Rippenrand. Aber auch hier hat sich, wie bei der Chinesin, der Einfluss der Einschnürung über seine ursprüngliche Grenze hin ausgedehnt. Nach unten macht sich eine starke, die feinen Umrisse zerstörende Anhäufung von Fett in der Lendengegend und am Oberschenkel bemerkbar, nach oben hat der Brustkorb seine schöne, gleichmäßig gewölbte Form verloren. Die Folge davon ist, dass die Brüste, die bei beiden Mädchen von besonders schöner Bildung sind, bei der ersteren schön bleiben, bei der letzteren aber bald infolge mangelnden Haltes sich senken und ihre Schönheit verlieren werden.

Fig. 46. Wiener Mädchen von 20 Jahren mit normalem Rumpf. (Phot. O. Schmidt.)
Fig. 47. Wiener Mädchen von 20 Jahren mit verschnürtem Rumpf. (Phot. O. Schmidt.)


Aus den angeführten Beispielen erhellt, dass auch die Körperplastik, ebenso wie die Bemalung, Tätowierung und Narbenverzierung sich bis zu den höchstkultivierten Völkern hinauf vorfindet, ja, wir können sogar sagen, dass sie mit steigender Kultur zunimmt, und das ist auch ganz erklärlich.

Solange der Körper der Frau ganz oder größtenteils nackt ist, erregt er, wie oben angeführt, nur wenig das Interesse des Mannes. Mit steigender Bekleidung nimmt die Beachtung der verhüllten Körperteile seitens des Mannes zu und damit das Bestreben der Frau, dieselben möglichst vorteilhaft erscheinen zu lassen. Ob sie wirklich schön sind, gilt ihr weniger, da ja Bekleidung Regel und Nacktheit Ausnahme ist, so dass die Verunstaltung selten oder nie gesehen wird.

Das Bestreben der bekleideten Frau gipfelt darin, den bedeckten Körper schöner vermuten zu lassen, als er wirklich ist.

So kommt es, dass die zunehmende Kleidung der Verunstaltung des darunter versteckten Körpers in die Hand arbeitet.

Erst wo die Kultur durch den hohen Aufschwung der Kunst im verfeinerten Sinne wieder auf die Schönheit des nackten Körpers aufmerksam macht und denselben aus der beengenden Hülle hervorzieht, erwacht aufs neue, aber in anderer Art, das Interesse an unverdorbenen, schönen Gestalten auch im täglichen Leben, so wie das bei den alten Hellenen der Fall war. Möge es Gott gefallen, uns eine ähnliche Blütezeit zu bescheren.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frauenkleidung und ihre natürliche Entwicklung
043. Füße einer Chinesin

043. Füße einer Chinesin

044. Nackte Chinesin mit nicht verschnürten Füssen

044. Nackte Chinesin mit nicht verschnürten Füssen

045. Nackte Chinesin mit verkrüppelten Füssen

045. Nackte Chinesin mit verkrüppelten Füssen

046. Wiener Mädchen von 20 Jahren mit normalem Rumpf

046. Wiener Mädchen von 20 Jahren mit normalem Rumpf

047. Wiener Mädchen von 20 Jahren mit verschnürtem Rumpf

047. Wiener Mädchen von 20 Jahren mit verschnürtem Rumpf

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