Die treibenden Kräfte der bürgerlichen Frauenbewegung

Das numerische Uebergewicht des weiblichen Geschlechts über das männliche. — Das Verhältnis der Knaben- und Mädchengeburten in bürgerlichen und proletarischen Familien. — Die Verheiratbarkeit nach den Altersstufen. — Statistik der verheirateten und der ledigen Frauen — Der Knabenüberschuß bei der Geburt. — Die größere Sterblichkeit der Männer. — Der Rückgang der Heiratsziffern und seine Ursachen. — Statistik der erwerbsthätigen Frauen. — Statistik der Frauenarbeit in bürgerlichen Berufen. — Die verheirateten Frauen in bürgerlichen Berufen. — Die wirtschaftliche Lage der Lehrerinnen. — Die Löhne der Handelsangestellten. — Die Bühnenkünstlerinnen und die weiblichen Journalisten.

Der Kampf um Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt zeigt, sowohl in Bezug auf seine geschichtliche Entwicklung, als auf seinen gegenwärtigen Stand, in den verschiedenen Ländern eine auffallende Uebereinstimmung: Nachdem er schon seit dem Mittelalter einzelne Vorläufer gefunden hat, setzt er um die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts überall ein und wird in der zweiten Hälfte aus einer Art Guerillakrieg zu einem überlegten Feldzug gut organisierter Truppen, die von Jahr zu Jahr an Zahl und Bedeutung zunehmen. Kaum ein Beruf, außer dem des Soldaten, wird heute noch als eine gesicherte Domäne des männlichen Geschlechts betrachtet, die Frauen sind überall, hier etwas langsamer und dort etwas rascher, im Vordringen begriffen, dem bisher keine noch so heftige Gegnerschaft Einhalt gebieten konnte.




Diese gleichmäßigen Erscheinungen müssen demnach auf gleiche Ursachen zurückzuführen sein.

Das erste Argument, um den Kampf der Frauen um den Erwerb zu erklären, pflegt darin zu bestehen, daß in der Mehrzahl der Kulturländer das weibliche Geschlecht das männliche an Zahl überragt, und die Ehe, die in den bürgerlichen Kreisen fast immer eine Versorgung der Frau bedeutet, von vornherein für viele unerreichbar ist. Diese Begründung erweist sich insofern als stichhaltig, als die Erwerbsfrage um so mehr die treibende Kraft der Frauenbewegung zu sein pflegt, je größer der Frauenüberschuß des betreffenden Landes ist. Folgende Tabelle dient als Beweis:

Länder : Zählungsjahr : Weibliche auf 1000 männliche
Deutschland : 1890 : 1040
Oesterreich : 1890 : 1044
Schweiz : 1888 : 1057
Niederlande : 1889 : 1024
Belgien : 1890 : 1005
Dänemark : 1890 : 1051
Schweden : 1890 : 1065
Norwegen : 1891 : 1092
Großbritannien und Irland : 1891 : 1060
Frankreich : 1891 : 1007

In den Vereinigten Staaten dagegen, wo die Frauenbewegung in erster Linie eine politische ist und der Eintritt der Frauen in bürgerliche Berufe sehr wenig Widerstand findet, kommen auf 1000 Männer 953 Frauen. Betrachten wir Nordamerika aber genauer, so zeigt es sich, daß die Frauenbewegung in den Oststaaten, wo auf 1000 Männer 1005 Frauen gezählt werden, nicht nur ihren Ursprung genommen, sondern auch ihren energischsten Ausdruck gefunden hat, während die westlichen Staaten, wo 1000 Männern nur 698 Frauen gegenüberstehen, von ihr nur leise berührt werden.

Dem Argument des Frauenüberschusses haben manche Gegner der Frauenbewegung die Thatsache gegenübergestellt, daß die gezählte Bevölkerung der Erde einen Männerüberschuß aufweist. Soweit sie sich überhaupt statistisch feststellen läßt, ist die Verteilung der Geschlechter folgende:308
Erdteile Männliche Weibliche Weibliche auf
1000 männliche
Europa 170818561 174914119 1024
Amerika 41643389 40540386 973
Asien 177648044 170269179 958
Australien 2197799 1871821 852
Afrika 6994064 6771360 968
Zusammen 399301857 394366865 988

Ganz abgesehen von der unvermeidlichen Ungenauigkeit dieser Berechnung—Millionen können statistisch gar nicht erreicht werden—kommt es bei der Beurteilung dieser Frage weit weniger auf große allgemeine Zahlen, als vielmehr darauf an, wie das Verhältnis der Geschlechter in den einzelnen Ländern sich stellt. Ist es schon für die überzähligen Frauen Europas ein schlechter Trost, daß es in Australien oder Asien überzählige Männer giebt, so ist auch z.B. den Frauen von Rhode Island, von denen 1078 auf 1000 Männer kommen, wenig geholfen, wenn in den Oststaaten das umgekehrte Verhältnis besteht, oder denen der niederländischen Kolonieen im westindischen Archipel, die gar um 263 auf 1000 die Männer überragen, wenn man sie auf die überzähligen Asiaten verweisen wollte. Es kommt aber noch ein Umstand in Betracht, der bisher ganz unbeachtet blieb und gerade im Hinblick auf die bürgerliche Frauenfrage schwer ins Gewicht fällt: das ist die Frage, aus welchen sozialen Schichten der Bevölkerung sich der Männer- oder Frauenüberschuß zusammensetzt. Es ist klar, daß bei den heutigen, aus den Gegensätzen zwischen Arm und Reich herrührenden Unterschieden in Bildung und Lebensgewohnheiten die etwa überzähligen Töchter der Bourgeoisie nicht auf die vielleicht gleichfalls überzähligen Söhne des Proletariats als künftige Ehegatten rechnen können. Die Statistik läßt uns hierbei freilich im Stich, denn die Volkszählungen fragen nicht nach der sozialen Herkunft der Einzelnen; es fehlt aber trotzdem nicht an Anhaltspunkten, um die Behauptung, daß der Frauenüberschuß in der Bourgeoisie im Verhältnis ein größerer ist, als der der Frauenwelt im allgemeinen, nicht als völlig aus der Luft gegriffen erscheinen zu lassen.



Schon die bloße Beobachtung lehrt, daß die Familien der unteren Bevölkerungsschichten weit mehr mit Kindern gesegnet sind, als die der oberen, und Untersuchungen, die in Frankreich besonders genau vorgenommen wurden, bestätigten es. So stellte Bertillon für 20 Arrondissements von Paris den Zusammenhang zwischen der Wohlhabenheit und der Geburtenhäufigkeit fest und fand, daß auf je 1000 Frauen zwischen 15 und 50 Jahren der sehr armen Bevölkerung durchschnittlich 108, der armen 95, der wohlhabenden 72, der sehr wohlhabenden 65, der reichen 53 und der sehr reichen 34 jährliche Geburten kamen309; es hat sich ferner ergeben,—und das ist angesichts des allgemeinen Rückgangs der französischen Bevölkerung besonders bemerkenswert,—daß ihr Zuwachs in der Hauptsache dem Kinderreichtum der armen Bauern der Bretagne und der Berg- und Fabrikarbeiter der Departements Nord und Pas-de-Calais zu verdanken ist.310 Leider geben die betreffenden Untersuchungen über das Geschlecht der Kinder keinen Aufschluß, dagegen hat man in Sachsen für einen zehnjährigen Zeitraum und eine Zahl von fast 5 Millionen Kindern auf ca. 1 Million Mütter festgestellt, daß die fruchtbarsten Frauen die meisten Knaben zur Welt bringen.311 So vorsichtig solche Einzelergebnisse auch aufzunehmen sind, so läßt sich doch vielleicht, da die Erfahrung und der allgemeine Volksglaube sie unterstützt, der Schluß daraus ziehen, daß die kinderreichen unteren Bevölkerungsschichten im Vergleich zu den oberen mehr Knaben erzeugen, daß also der Frauenüberschuß in den bürgerlichen Kreisen ein größerer ist als in den proletarischen. Noch ein anderes kommt hinzu: wir finden z.B. innerhalb Deutschlands, das bekanntlich einen großen Ueberschuß an Frauen besitzt, ganze Landstriche, wo das männliche Geschlecht überwiegt, so kommen in Westfalen 958, im Rheinland 998 und in Elsaß-Lothringen 989 Frauen auf 1000 Männer.312 Für die Verheiratbarkeit der Töchter der Bourgeoisie ist diese Thatsache jedoch ohne jede Bedeutung, denn es stellt sich heraus, daß der Männerüberschuß lediglich auf die starke Industriebevölkerung und die vielen Soldaten zurückzuführen ist. Ein ähnliches Verhältnis weist Nordamerika auf, dessen Männerüberschuß—953 Frauen auf 1000 Männer—auf den ersten Blick zu der Annahme verführt, als müßte seine Frauenbewegung anderen als wirtschaftlichen Ursachen—etwa rein ethischen und humanitären, wie viele behaupten wollen—entsprungen sein. Dabei wird jedoch außer acht gelassen, daß die große Zahl der Männer der Einwanderung zu verdanken ist und daß diese Einwanderer zum größten Teil Handwerker, Landleute, Arbeiter sind313, also auch hier die Annahme nicht unberechtigt ist, daß, trotz des allgemeinen Männerüberschusses, in der Bourgeoisie ein Frauenüberschuß besteht und die Verheiratbarkeit auch hier eine beschränkte bleibt.

Nach alledem scheint es klar zu sein, daß, selbst wenn auf der ganzen Erde eine annähernde Gleichheit der Geschlechter festgestellt werden könnte, die bürgerliche Frauenfrage dadurch noch nicht gelöst sein würde, und die von Eduard von Hartmann nicht unrichtig bezeichnete Jungfernfrage auch in solchen Ländern besteht, wo ein Ueberschuß an Männern konstatiert wurde.

Die Frage kompliziert sich aber noch dadurch, daß eine Gegenüberstellung der Geschlechter allein nicht genügt, um die Verheiratbarkeit festzustellen, sondern die Gegenüberstellung der Heiratsfähigen dazu notwendig ist. Berechnen wir zunächst beide Geschlechter nach gleichen Altersstufen und nehmen wir, um nicht zu tief greifen zu müssen, 20 Jahre als untere und 40 Jahre als obere Altersgrenze an, so ergiebt sich folgendes314:

Auf 1000 männliche im Alter von 20-40 Jahren treffen weibliche Personen:
Deutschland 1034
Oesterreich 1047
Schweiz 1080
Niederlande 1029
Belgien 987
Dänemark 1102
Schweden 1096
England und Wales 1093
Schottland 1104
Irland 1062
Frankreich 1003

Aber auch diese Tabelle vermag den Kern der Sache noch nicht zu treffen. Denn, da das Heiratsalter der Männer in den meisten Ländern erst mit dem 25. Jahre beginnt und später schließt, als das der Frauen315, so müßte man, um zu einem genaueren Resultat zu kommen,—obwohl auch das, infolge der großen Verschiedenheit des Altersaufbaus der Heiratenden, je nach den Nationalitäten, nicht unbedingt sicher sein kann,—die Männer im Alter von 25-45 Jahren den Frauen von 20-40 Jahren gegenüberstellen Leider müssen wir uns hierbei nur auf die Resultate weniger Länder beschränken, weil die Bevölkerung nicht durchweg, wie es wünschenswert wäre, nach fünfjährigen Altersperioden berechnet wird Das Ergebnis ist dieses316:
Länder Männer 25-45 Jahre Frauen 20-40 Jahre Auf 1000 Männer
kommen Frauen
Deutschland 6229564 7272025 1167
Oesterreich 3147188 3638396 1154
Frankreich 5420922 5743177 1069

Auch abgesehen von den in die Augen springenden Zahlenverhältnissen ist es klar, daß bei dem bestehenden Altersaufbau der Heiratenden die Verheiratbarkeit des weiblichen Geschlechts immer eine unvollkommene bleiben muß, weil es stets mehr Frauen über 20 als Männer über 25 Jahren giebt.

Nun handelt es sich aber nicht allein darum, wie viel Frauen durch die Heirat eine Versorgung finden können, sondern vielmehr darum, welcher Prozentsatz von ihnen thatsächlich heiratet.

Die letzten Zählungen ergaben folgende Anzahl verheirateter Frauen:
Länder Zählungsperiode Zahl der Frauen 15
u. darüber Verheiratete Frauen Prozent
Deutschland 1895 16531748 8398607 50,80
Oesterreich 1891 9353260 4022202 43,00
Frankreich 1891 12359544 7656679 61,95
England 1891 9848981 4916449 41,71
Vereinigte Staaten 1890 19602178 11126196 56,76

Wir sehen daraus, daß zur Zeit der betreffenden Zählung circa die Hälfte heiratsfähiger Frauen ledig, verwitwet oder geschieden waren. Diese Thatsache hat die bürgerliche Frauenbewegung vielfach als Agitationsmittel zu verwenden gesucht, indem sie alle alleinstehenden erwachsenen Frauen als solche betrachtet wissen wollte, die auf den Erwerb angewiesen sind. Das aber ist ein Trugschluß. Denn ganz abgesehen davon, daß ein großer Teil der Ledigen noch bei den Eltern lebt und von ihnen versorgt wird, ein anderer, wenn auch ein viel kleinerer, durch eigenes Vermögen, Pension oder dergleichen sich erhält, kann ein beträchtlicher Prozentsatz der Mädchen noch darauf rechnen, zu heiraten, um so mehr, als sie nicht nur auf die ledigen Männer sondern auch auf die Witwer zählen können, die bekanntlich sehr häufig zu einer zweiten Ehe schreiten. Man kommt daher der Zahl der wirklich Uebriggebliebenen viel näher, wenn man nicht die Unverheirateten im allgemeinen ins Auge faßt, sondern nur diejenigen, die das Alter der Verheiratbarkeit überschritten haben. Da sich auf Grund verschiedener Berechnungen ergeben hat, daß für Frauen, die das vierzigste Lebensjahr überschritten haben, die Heiratswahrscheinlichkeit eine sehr geringe ist, so können wir die ledig Bleibenden von dieser Altersgrenze an zusammenstellen. Das Ergebnis ist dies:
Länder Unter 100 weibl. Personen
von 40 und mehr Jahren
sind ledig
Deutschland 10,7
Oesterreich 15,6
Frankreich 12,7
Großbritannien und Irland 14,0
Belgien 17,6
Niederlande 13,5
Schweiz 18,3

Damit aber können wir uns keineswegs beruhigen, denn nicht nur, daß es bis zu vierzig Jahren noch eine große Zahl Mädchen giebt, die nicht heiraten, oder sagen wir lieber, die nicht geheiratet werden, wir müssen vielmehr, bei der Betrachtung der Ursachen der Frauenbewegung, nicht die Ledigen allein, sondern die Alleinstehenden im allgemeinen berücksichtigen. Da die Frauen im Durchschnitt früher heiraten als die Männer, eine längere Lebensdauer haben als sie und schwerer zum zweiten Male heiraten, so ist es natürlich, daß es eine große Zahl Witwen giebt, zu denen die geschiedenen Frauen noch hinzukommen. Die genauen Zahlen sind folgende:
Länder Frauen Auf 100 Frauen
über 15 Jahren
sind Witwen
Deutschland 2208579 13,36
Oesterreich 1001136 10,70
England 1124310 11,40
Frankreich 2060778 16,67
Vereinigte Staaten 2226510 11,30

Wir müssen aber auch noch einen anderen Umstand in Betracht ziehen, der gerade für die bürgerliche Frauenfrage von Wichtigkeit ist: die späten Heiraten. Nach einer preußischen Statistik317 heiraten Mädchen in bürgerlichen Berufen durchschnittlich erst mit 28 Jahren, und wenn dem gegenüber auch behauptet werden kann, daß die Berufsthätigkeit die Heirat hinausschiebt, so muß andererseits doch auch betont werden, daß die späten Heiraten zur Berufsarbeit zwingen. Daher können auch, soweit nur die Bourgeoisie in Frage kommt, die verheirateten Frauen nicht ohne weiteres zu denen gerechnet werden, die niemals dem Erwerb nachgingen, weil thatsächlich viele von ihnen vor der Ehe darauf angewiesen waren.

Auf Grund der bisherigen Erörterungen sind wir zu dem Resultat gekommen, daß eine große Zahl von Frauen nicht heiraten können, weil es an Männern fehlt und noch mehr nicht heiraten, weil die Heiratslust der ledigen Männer keine große, ist. Für die künftige Entwicklung der Frauenfrage, der bürgerlichen insbesondere, ist es nun aber von größter Bedeutung, ob eine Aussicht vorhanden ist, daß zwei ihrer Ursachen,—der Frauenüberschuß und die Heiratsunlust der Männer,—verschwinden oder in ihren Wirkungen abgeschwächt werden können. Da entsteht zunächst die Frage, aus welcher Wurzel beide entspringen.

Die feststehende Thatsache eines Knabenüberschusses bei der Geburt, 106 Knaben auf 100 Mädchen, hat viele318 zu der Annahme verführt, als bestände ein Naturgesetz des Gleichgewichts der Geschlechter. Wir haben gesehen, daß schon die verschiedene Verteilung und Altersgliederung der Geschlechter dem widerspricht. Für den vorhandenen Frauenüberschuß ist jedoch der Hauptgrund in den verschiedenen Absterbeverhältnissen der Geschlechter zu suchen.319 Die Sterbeziffern haben sich für das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts folgendermaßen gestaltet320:
Männer Frauen Setzt man die männliche
Sterbeziffer = 100,
so ergeben sich
für die weibliche Sterbeziffer:
Italien 26,2 25,6 98
Frankreich 23,6 21,6 92
Schweiz 21,3 19,5 91
Belgien 21,9 19,8 90
Niederlande 20,8 19,2 92
Deutschland 25,0 22,5 90
Oesterreich 29,8 26,8 90
Ungarn 33,7 32,2 96
England und Wales 20,6 17,8 89
Schottland 19,6 18,7 95
Irland 18,4 18,5 100,6
Schweden 17,8 16,7 91
Norwegen 18,3 16,5 91
Dänemark 19,7 18,3 93
Finland 22,2 20,4 92
Massachusetts 20,7 19,0 92
Connecticut 20,5 18,7 91
Rhode Island 20,4 19,0 93
Japan 21,7 21,1 97

Die größere Sterblichkeit der männlichen Säuglinge vor den weiblichen, die längere Lebensdauer der Frauen im allgemeinen,—auf 100 gestorbene Mädchen im Alter bis zu 5 Jahren sterben etwa 114 Knaben, auf 100 gestorbene Frauen im Alter von 60 bis 80 Jahren sterben gegen 108 Männer,—scheint für die stärkere Lebenskraft der Frauen zu zeugen. Von einschneidenderer Bedeutung jedoch ist es, daß die Männer sowohl als Soldaten wie als Erwerbsthätige im allgemeinen größeren Gefahren ausgesetzt sind, als die Frauen und daß sie infolge ihrer Lebensweise,—geschlechtlichen Excessen, Alkoholgenuß u. dergl.,—zerstörenden Krankheiten leichter unterworfen werden. Unter den gegenwärtig herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen, die die Intensität des Kampfes ums Dasein steigern und sittlich korrumpierend auf Reiche und Arme wirken, ist daher an eine Abnahme der Sterblichkeit der Männer nicht zu denken, dagegen ist bei der Zunahme der weiblichen Erwerbsthätigkeit eher eine Annäherung der Sterbeziffern beider Geschlechter möglich.

Was ihre Heiratsziffern, deren Zu- resp. Abnahme betrifft, so stellen sie sich folgendermaßen dar321:

Auf 100 Einwohner heirateten
1841/50 1881/90
Schweden 7,27 6,26
Norwegen 7,78 6,52
Dänemark 7,87 7,33
Finland 8,15 7,32
England 8,05 7,47
Niederlande 7,41 7,08
Belgien 6,79 7,07
Deutsches Reich 8,05 7,77
Westösterreich 7,71 7,50
Galizien 9,54 8,50
Frankreich 7,94 7,38

Man kann auf Grund dieser Statistik nachweisen, daß sich die Heiratsziffer überwiegend im Rückgang befindet. Umfassen die Berechnungen kürzere Zeiträume, so sind natürlich auch die Differenzen geringer, ja es zeigen sich zuweilen, wie z.B. in Deutschland, nur Schwankungen. Es ist aber ein Fehlschluß, daraufhin ein durchschnittliches Gleichbleiben der Heiratsfrequenz behaupten zu wollen322, und es ist verkehrt, den Töchtern der Bourgeoisie dieses Gleichbleiben gewissermaßen als Tröstung vorzuhalten. Nicht nur, daß das Heiratsalter der Männer in bürgerlichen Kreisen sich immer weiter hinausschiebt,—in Preußen beträgt es bei den Berufslosen durchschnittlich 41, bei den öffentlichen Beamten 33 Jahr,—und die Heiratsfrequenz infolgedessen notwendig sinkt, ihre Heiratslust ist auch in ständiger Abnahme begriffen. Leider läßt sich das statistisch nicht feststellen, da es fast ganz an einer Einteilung der Heiratenden nach sozialen Schichten fehlt.323 Nach einer Berechnung über die Bevölkerung Kopenhagens kommen auf 100 Männer in bürgerlichen Berufen nur 51,94% Verheiratete resp. verheiratet Gewesene, während auf diejenigen in proletarischen Berufen 62,40% kommen324; über die Abnahme der Heiratsfrequenz in der Bourgeoisie findet sich aber auch hier nichts, sie läßt sich jedoch mit einiger Sicherheit auf Grund der allgemeinen Entwicklungstendenz behaupten.325 Wo eine Schwankung, wo eine Steigerung der Heiratsziffern zu finden ist, dürften sie allein auf Rechnung der größeren Heiratsfrequenz im Proletariat zu setzen sein, während die Eheschließungen in der Bourgeoisie sich in stetiger Abnahme befinden. Und hier stoßen wir wieder auf einen wesentlichen Unterschied zwischen der bürgerlichen und der proletarischen Frauenfrage: der Proletarier heiratet früh und leicht—sogenannt leichtsinnig—, weil die Frau in der Ehe keine "Versorgung" sucht, ihre Arbeitskraft, d.h. die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen, ist sogar meist die gesuchteste Mitgift; der Mann aus bürgerlichen Kreisen heiratet spät und schwer, weil die ganze Last der Bestreitung des Familienlebens allein auf seinen Schultern ruht, falls er keine reiche Frau findet. Aber auch da, wo das Einkommen des Mannes ihm die Erhaltung einer Familie leicht machen würde, nimmt die Heiratslust ab. "Ein gewisses Maß des höheren Wohlbefindens wirkt in der Neuzeit nicht mehr ehefördernd"326, im Gegenteil: der Junggeselle, der sich ein bequemes Leben schaffen kann, scheut sich, es aufzugeben. Und die praktischen Erwägungen über die Möglichkeit, eine Familie auf dem gleichen gesellschaftlichen Niveau zu erhalten, sind um so gewichtiger, je mehr der Mann seine Liebesempfindung in hundert kleinen Passionen und Verhältnissen verzettelt hat, je unfähiger er also ist, in erster Linie einem Zuge des Herzens zu folgen, hinter den alle Bedenken von selbst zurücktreten. Der moderne junge Mann der bürgerlichen Kreise—mag er Beamter, Offizier, Schriftsteller, Künstler oder Kaufmann sein—hat aber gewöhnlich nur ein Einkommen, das kaum ihm persönlich ein standesgemäßes Leben sichert, und es gehört mit zu jener Masse verschrobener Ehrbegriffe, daß die Aufrechterhaltung eines solchen Lebens unbedingt notwendig ist. Sein Junggesellenleben, das ihm besonders in der Großstadt in jeder Beziehung bequem gemacht wird, ist für ihn angenehmer und billiger, als es das eheliche Leben sein würde, das ihm überdies, wenn er Umschau hält unter seinen verheirateten Bekannten, höchst selten verlockend erscheinen wird. Auch seine Herzensbedürfnisse kann er für wenig Geld befriedigen; setzt er Kinder in die Welt, so kosten sie ihm nicht so viel, als eheliche kosten würden, er trägt keine Verantwortung für ihr Fortkommen und sie haben so gut wie keine Rechte an ihn. Wenn er überhaupt heiratet, so geschieht es nicht selten erst zu einer Zeit, wo er auf den bitteren Grund der genossenen Freuden gestoßen ist und der Ruhe und Pflege bedarf. Doch auch für sittlich ernst denkende Männer der bürgerlichen Kreise, die gern heiraten möchten, wird die Eheschließung immer mehr erschwert. Ihr Einkommen steht meist zu den Bedürfnissen in größtem Mißverhältnis; ihr Beruf selbst erschwert häufig die Familiengründung, indem er Reisen und häufigen Ortswechsel nach sich zieht und ihr Fortkommen darin von ihrer leichteren Beweglichkeit abhängig ist. Aber die Schuld,—wenn überhaupt gegenüber den Ergebnissen wirtschaftlicher Entwicklungen von Schuld gesprochen werden kann,—an dem Rückgang der Heiratsfrequenz trifft nicht allein die Männer.



In der Bourgeoisie, besonders in der des Mittelstandes, die von fortschrittlichen Ideen am schwersten berührt wird, ist die Erziehung der Töchter im allgemeinen durchaus dazu angethan, gerade die besten Männer vom Heiraten abzuschrecken: sie können weder geistig gleichstehende Gefährtinnen, noch gute Hausfrauen und Mütter werden; sie sind Dilettantinnen in allen Dingen, von ihren oberflächlichen Schulkenntnissen und traurigen künstlerischen Betätigungen an bis in ihr niedergetretenes Gefühlsleben hinein. Sie sind für den Mann Luxusgegenstände, nicht viel anders als es die Haremsfrauen für die Muhamedaner sind, und sie sind nicht dazu angethan, den Trieb zur Ehe zu erhöhen.

Bei den gesteigerten Ansprüchen, die die Erziehung der Söhne an den Geldbeutel des Vaters macht, bei der wachsenden Schwierigkeit für sie, sich selbst zu erhalten, auch wenn sie ganz bescheiden leben,—ein preußischer Leutnant ist oft zehn Jahre lang auf ein Monatsgehalt von 75 bis 97 Mark327, und unbesoldete Referendare sind oft bis zum 30. Lebensjahr ganz auf ihre Eltern angewiesen,—bleibt für die Mitgift der Töchter immer weniger übrig, und ihre Heiratsaussichten schwinden mehr und mehr, während ihre Ansprüche schon unwillkürlich durch die Gewohnheit des Lebens im elterlichen Hause gesteigerte sind. Wird ihr Vater pensioniert, oder ihre Mutter wird Witwe, so steht die bitterste Not vor der Thür. Einige Zahlen mögen zur Illustration dienen: Ein preußischer Hauptmann erhält eine Pension von 1033 bis höchstens 4000 Mark jährlich, ein Stabsoffizier kann schon mit 2300 Mk. jährlich pensioniert werden; das Witwengeld schwankt zwischen dem Mindestbetrag von—216 Mk. und dem Höchstbetrag von 3000 Mk. jährlich, den aber nur die Witwe eines Generals erhält, die an ein Jahreseinkommen von 10 und 20000 Mk. gewöhnt war328; das Waisengeld beträgt 1/5 der Witwenpension, ist also auch nicht entfernt ausreichend, die Kinder, entsprechend der sozialen Schicht, der sie angehören, zu erziehen. In demselben Verhältnis bewegen sich die für Beamte, deren Witwen und Waisen festgesetzten Pensionen. Weisen wir noch darauf hin, daß auch der kaufmännische Mittelstand sich in einer keineswegs beneidenswerten Lage befindet, da er mehr und mehr vom kaufmännischen Großbetrieb zurückgedrängt wird, so erklärt sich daraus zum großen Teil die abnehmende Verheiratbarkeit der T?chter, und ihr zunehmendes Eindringen in die Erwerbsarbeit.

So ist vorauszusehen, daß der Rückgang der Heiratsfrequenz, der in der Hauptsache auf wirtschaftliche Ursachen zurückzuführen ist, die Zunahme der auf Erwerb angewiesenen alleinstehenden Frauen sich auch in Zukunft weiter entwickeln, und der wesentliche Ausgangspunkt der Frauenbewegung, insbesondere der bürgerlichen, bleiben wird. Es ist jedoch nicht der einzige.

Die Zeichen beginnen sich zu mehren, wonach nicht nur die unversorgte, sondern auch die durch die Ehe versorgte Frau der Bourgeoisie eine Berufsthätigkeit zu suchen gezwungen ist, ebenso wie die Proletarierin, wenn auch oft aus anderen Gründen als sie. Dabei will ich derer nicht gedenken, die, um ihr Wirtschafts- oder ihr Toilettengeld zu erhöhen, der Arbeiterin Schmutzkonkurrenz machen, sondern vielmehr jener, deren brachliegende Kräfte nach Bethätigung verlangen. Ihre Zahl steigt, je mehr die Industrie sie als Hausfrau und die Schul-Erziehung sie als Mutter entlastet. Der Gasherd, die elektrische Beleuchtung, die Zentralheizung, die Dampfwäschereien sind schon heute wichtige Faktoren im Emanzipationskampf der Frau, denen in den verschiedensten Formen eine unbegrenzte Entwicklung bevorsteht. Die Kindergärten, der öffentliche Schulunterricht, die zunehmende Neigung, heranwachsende Kinder auf Jahre hinaus Instituten anzuvertrauen, die sie womöglich von dem geistig und körperlich korrumpierenden Einfluß der Städte fernhalten, geben der Mutter ein gut Stück der freien Verfügung über ihre Zeit zurück, das sich dadurch noch vermehrt, daß die Berufsarbeit und die politischen Interessen des Mannes ihn immer mehr aus dem Hause führen. Ueber diese Dinge mag man denken, wie man will, mag ihnen freundlich oder feindlich gegenüberstehen,—ableugnen lassen sie sich nicht und auf ihnen beruht ein weiterer Fortschritt der Frauenbewegung, neben einer unausbleiblichen weiteren Zersetzung des traditionellen Familienlebens. Die unbeschäftigten Gattinnen und Mütter haben die Wahl, ihre Zeit mit Vergnügungen totzuschlagen oder sie mit nützlicher Thätigkeit auszufüllen. Die besten unter ihnen suchen nach Arbeit. Zunächst fanden sie sie in Wohlthätigkeitsvereinen; mit der wachsenden Erkenntnis entwickelt sich dann aus dem oft recht schädlichen Wohlthun eine ernstere soziale Hilfsarbeit, die schließlich zu dem Wunsche nach einer geregelten Berufsthätigkeit führt. So läßt sich mit Recht behaupten, daß die Frauenbewegung mit der Lösung der Jungfernfrage, nicht, wie Eduard von Hartmann behauptet, aus der Welt geschafft sein würde, daß vielmehr der Kampf um Arbeit auch der verheirateten Frauen der Bourgeoisie, der sich eben erst im Anfangsstadium befindet, ihr eine sehr lange Dauer sichert, eine um so längere, als das steigende Mißverhältnis zwischen Bedürfnissen und Einnahmen sie schon zu nötigen anfängt, für den Erwerb zu arbeiten.

Es hat sich gezeigt, daß die Zunahme der alleinstehenden Frauen, die Abnahme der Heiratsfrequenz und die wirtschaftliche Not als Ursachen der Frauenbewegung in allen Ländern anzusehen sind. Gleiche Ursachen werden notwendig gleiche Wirkungen hervorbringen. Das Vordringen der Frau in alle Erwerbsgebiete haben wir aus dem geschichtlichen Ueberblick ihres Kampfes um Arbeit kennen gelernt. Es handelt sich nun darum, festzustellen, in welchem Tempo es fortschreitet, und wie sich dieses Tempo im Vergleich zur Männerarbeit darstellt. Sehen wir zunächst von der Unterscheidung in bürgerliche und proletarische Arbeit ab, so ergiebt sich für nachbenannte Staaten folgendes Verhältnis der erwerbsthätigen Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung:
Länder Zählungsperiode Gesamtbevölkerung Erwerbsthätige Bevölkerung Von 100 Männern resp.
Frauen sind erwerbsthätig
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen
Vereinigte 1880 25518820 24636963 14744942 2647157 57,78 10,74
Vereinigte 1890 32067880 30554370 18821090 3914571 58,69 12,81
England u. Wales 1881 12639902 13334537 7783656 3403918 61,58 25,53
England u. Wales 1891 14052901 14949624 8883254 4016230 63,20 26,87
Frankreich 1881 18656518 18748772 10496652 5033604 56,26 26,84
Frankreich 1891 18932354 19201031 11137065 5191084 58,82 27,03
Deutschland 1882 22150749 23071364 13415415 5541527 60,56 24,02
Deutschland 1895 25409191 26361123 15531841 6578350 57,19 24,94
Oesterreich 1880 10819737 11324516 6823891 4688687 63,07 41,40
Oesterreich 1890 11689129 12206284 7780491 6245073 66,56 51,16

Die Zunahme der Männer- und der Frauenarbeit für den Zeitraum von 1880-1890 stellt die folgende Tabelle dar:
Länder Männer Frauen
absolute Zunahme Zunahme in Prozenten absolute Zunahme Zunahme in Prozenten
Vereinigte Staaten 4076148 27,64 1267414 47,88
England und Wales 1099598 12,38 612312 15,22
Frankreich 640413 6,10 157480 3,11
Deutschland 2116426 15,78 1036833 18,71
Oesterreich 956600 14,02 1556386 33,19

Betrachten wir die Frage auch noch von einer anderen Seite, indem wir feststellen, wie sich die Zahl der weiblichen Erwerbsthätigen zu der der männlichen in den bezüglichen Zählungsperioden stellt, so kommen wir zu folgendem Resultat:
Länder Zählungsperiode Die erwerbstätige Bevölkerung Von 100 Erwerbstätigen waren
im ganzen Männer Frauen Männer Frauen
Vereinigte Staaten 1880 17392099 14744942 2647157 84,78 15,22
1890 22735661 18821090 3914571 84,10 15,90
England u. Wales 1881 11187574 7783656 3403918 69,59 30,41
1891 12899484 8883254 4016230 68,09 31,91
Frankreich 1881 15540256 10496652 5033604 67,59 32,41
1891 16328149 11137056 5191084 68,20 31,80
Deutschland 1882 18956932 13415415 5541517 71,24 28,76
1895 22110191 15531841 6578350 70,25 29,75
Oesterreich 1880 11512578 6823891 4688687 59,27 40,67
1890 14025564 7780491 6245073 55,47 45,53

Aus der Betrachtung der vorhergehenden drei Tabellen lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Die erste Tabelle zeigt, daß die Frauenarbeit im Verhältnis zur gesamten weiblichen Bevölkerung durchschnittlich um 2,86 Proz., die Männerarbeit dagegen nur um 2,39 Proz. gewachsen ist. Betrachten wir diese Tabelle näher, so ergiebt sich jedoch, da? der Prozentsatz der Zunahme der Frauenarbeit wesentlich auf das Resultat Oesterreichs zurückzuführen ist, wo die weibliche Erwerbsthätigkeit um 9,76 Proz. zugenommen haben soll, während die betreffende Zahl für Amerika,—das das schnellste Wachstum der Frauenarbeit aufweist,—2,07 Proz., für England 1,34 Proz., für Frankreich 0,19 Proz. und für Deutschland 0,92 Proz. aufweist. Da diese abnorm hohe Zunahme der österreichichen Frauenarbeit, der wir an anderen Stellen wieder begegnen werden, sich auf keinerlei besondere wirtschaftliche Ursachen zurückführen läßt, so müssen wir annehmen, daß entweder die Zahlung von 1880 nicht alle weiblichen Erwerbsthätigen umfaßt hat, oder die von 1890 bedeutende Fehler, sei es in der Aufnahme sei es in der Berechnung, enthält. Schalten wir deshalb, um eine richtigere Durchschnittszahl zu gewinnen, Oesterreich hier aus, so stellt sich die Zunahme der Frauenarbeit im Verhältnis zur gesamten weiblichen Bevölkerung auf 1,13 Proz., und die Zunahme der Männerarbeit auf 2,11 Proz. Dies Ergebnis, das zunächst die Gegner der Erwerbsthätigkeit der Frau sehr beruhigen dürfte, ist jedoch im wesentlichen auf den großen Frauenüberschuß zurückzuführen. Als Beweis dafür dient Amerika, dessen weibliche Bevölkerung an Zahl hinter der männlichen zurückbleibt und wo die weiblichen Erwerbsthätigen im Verhältnis zu ihr um 2,07 Proz., die männlichen dagegen nur um 0,91 Proz. zugenommen haben.

Ein klares Bild des Wachstums der Frauenarbeit gewinnen wir aus der nächsten Tabelle auf S. 172. Mit Ausnahme von Frankreich, dessen eigentümliches Bild im Stillstand der Bevölkerung seine Ursache hat und dessen besonders langsam wachsende Frauenarbeit vielleicht auf den größeren Wohlstand der Bevölkerung zurückzuführen ist,—wenn nicht die Unvollkommenheit der Zählung einen Teil der Schuld trägt,—zeigt es sich, daß die Erwerbsthätigkeit des weiblichen Geschlechts in den betreffenden Ländern in weit rapiderem Tempo zunimmt, als die des männlichen. Vergleichen wir sie mit dem Wachstum der Bevölkerung, so zeigt sich, daß, während die männliche Bevölkerung durchschnittlich um 13,77 Proz., die männlichen Erwerbsthätigen um 15,18 Proz. zunahmen, die weibliche Bevölkerung um 13,46 Proz. und die weiblichen Erwerbsthätigen um 23,62 Proz. gewachsen sind. Aus diesen Zahlen spricht deutlich der Notstand, unter dem das weibliche Geschlecht zu leiden hat und der es in Scharen in den Kampf um Arbeit treibt. Noch drastischer wird dies Verhältnis durch die dritte Tabelle auf S. 172 beleuchtet, die zeigt, in welchem Verhältnis die Geschlechter an der Erwerbsthätigkeit beteiligt sind. Wieder mit Ausnahme Frankreichs, das aber gegenüber den hohen Zahlen anderer Länder wenig ins Gewicht fällt, wächst der Anteil der Frau am Erwerbsleben. Wir sehen auch, wie sehr er von der Zahl der alleinstehenden Frauen abhängig ist: in Amerika ist er außerordentlich gering, in England sehr hoch und in raschester Zunahme begriffen. Da nun, wie wir oben darstellten, nicht nur die Menge der Alleinstehenden stetig wächst, sondern auch die verheirateten Frauen immer mehr zur Arbeit genötigt werden, so ist an eine Abnahme der Frauenarbeit, die etwa gar durch äußere Maßregeln herbeigeführt werden soll, überhaupt nicht zu denken. Sie kann allenfalls von einem Zweig der Erwerbsarbeit in den anderen gedrängt werden, ihre Entwicklung aber ist eine gesetzmäßige, deren aufsteigende Tendenz unverkennbar ist.



Für den gegenwärtigen Zweck der Untersuchung ist es nun notwendig, aus dem Bereich der weiblichen Erwerbsthätigkeit den Kreis herauszuschälen, der die bürgerlichen Berufe umfaßt. Dabei kann man nicht bei den liberalen Berufen stehen bleiben und stößt deshalb auf große Schwierigkeiten. Handelt es sich doch hauptsächlich darum, die Zahl von erwerbsthätigen Frauen festzustellen, die aus der Bourgeoisie hervorgegangen sind und hierfür fehlen, da an eine Feststellung der sozialen Herkunft der Erwerbsthätigen, trotz ihrer Wichtigkeit, bisher so gut wie gar nicht gedacht wurde, fast alle statistischen Anhaltspunkte. Obwohl die Erfahrung mit einiger Sicherheit lehrt, daß Lehrerinnen, höhere weibliche Beamte, weibliche Aerzte und Gelehrte aller Art aus bürgerlichen Kreisen stammen, so steht das für Handelsangestellte, Krankenpflegerinnen, Wirtschafterinnen, Schauspielerinnen u. dgl. keineswegs fest, vielmehr setzen sich diese Berufe aus Gliedern bürgerlicher und proletarischer Schichten zusammen. Eine Untersuchung, die auf Grund des Materials, das dem Berliner Hilfsverein für weibliche Angestellte zur Verfügung steht, angestellt wurde329, verbreitet einiges Licht über diese Frage, soweit sie den kaufmännischen Beruf betrifft. Danach stellt sich heraus, daß 84 Proz. des kaufmännisch gebildeten, also des Aufsichts- und Bureaupersonals, und 66 Proz. der Verkäuferinnen bürgerlichen Kreisen entstammen. Dieses Resultat läßt sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Gesamtheit der Handelsangestellten anwenden, weil der genannte Verein ihre Elite umfaßt und das Verhältnis in den Provinzstädten und unter den Nichtorganisierten ein anderes sein dürfte. Wir glauben der Wahrheit nahe zu kommen, wenn wir,—soweit die Zählungen der verschiedenen Länder das zulassen,—die Verkäuferinnen aus dem Kreis der bürgerlichen Frauenarbeit ganz ausscheiden, dagegen das kaufmännisch gebildete Personal vollständig dazurechnen; der Prozentsatz unter ihm, der etwa aus proletarischen Schichten stammt, dürfte durch den der Verkäuferinnen ersetzt werden können, der ihre Herkunft aus bürgerlichen Kreisen darstellt. Eine weitere Schwierigkeit bildet die Frage der selbständigen erwerbsthätigen Frauen. Ein großer Prozentsatz von ihnen kann nicht zu denen gerechnet werden, die sich aus eigner Kraft emporarbeiteten und wirklich selbständige Leiterinnen ihrer Unternehmungen sind; sie sind vielmehr durch Erbschaft in deren Besitz gekommen und sind keineswegs die leitenden Kräfte; ihre Zu- resp. Abnahme ist daher vom Standpunkt der Frauenfrage völlig belanglos. Um so bedeutsamer wäre es jedoch, ließe es sich ermöglichen, diejenigen unter ihnen statistisch festzustellen, die als selbständig Erwerbsthätige in unserem Sinne gelten können. Das ist aber beinahe unmöglich: nur Künstler, Photographen, Zeichner, Apotheker und Chemiker können ohne weiteres berechnet und in die Kategorie der bürgerlichen Erwerbsthätigen einbezogen werden; im allgemeinen vermögen wir nur, und zwar wesentlich auf Grund der amerikanischen und englischen Verhältnisse, anzunehmen, daß die Zahl der selbständigen Frauen aus eigner Kraft in steter Zunahme begriffen ist. Leichter schon wäre es, wenn dabei die Betriebszählungen zu Grunde gelegt werden, die proletarischen Existenzen unter den Selbständigen von den bürgerlichen zu sondern.

Noch schwerer als bei der Betrachtung der einzelnen Länder gestaltet sich die Feststellung der in bürgerlichen Berufen thätigen Frauen für eine internationale Vergleichung, weil die Methoden, nach denen die Berufe eingeteilt werden, gar zu verschiedene sind. Teils werden, wie in Amerika und England, die sozialen Schichten nicht scharf genug auseinandergehalten, teils Berufe zusammengeworfen, wie z.B. die der Hebammen und Krankenpflegerinnen, die getrennt aufgeführt werden müßten.

Nach alledem steht es fest, daß die statistische Umgrenzung der bürgerlichen Frauenarbeit keinen Anspruch auf vollkommene Genauigkeit machen kann, trotzdem aber ein im allgemeinen richtiges Bild von ihr geben dürfte. Teilen wir sie in 38 Berufsarten ein, so stellt sie sich nach den Ergebnissen, die ich den letzten offiziellen Berufszählungen entnommen habe, folgendermaßen dar.
Berufe Deutschland Oesterreich Frankreich England u. Wales Vereinigte Staaten
1. Beamte und Bureauangestellte im Staatsdienst 1852 865 445 8546 4875
2. Beamte und Bureauangestellte im Gemeinde- und Kommunaldienst 357 387 5165
3. Polizeibeamte, Gendarmerie und Wachtdienst -- 10 -- -- 279
4. Post-, Telegraphen- und Telephonbeamte 2499 2703 5211 4356 8474
5. Eisenbahnbeamte 382 605 3767 849 1438
6. Geistliche -- -- -- 3354194 1143
7. Kirchen- und Anstaltsbeamte 430 2715 -- -- --
8. Aerzte, Chirurgen und Zahnärzte 33072837 37 870 446 4894
9. Krankenpflegerinnen und Hebammen 14623 33313475 53057 41396
10. Tierärzte -- -- -- 2 2
11. Advokaten -- 3326 -- -- 208
12. Bureaubeamte bei Advokaten und Notaren 331-- 102 389 -- --
13. Professoren an Universitäten und Lyceen -- -- 68448 144393 695
14. Lehrer 66181 21417 245371
15. Privatgelehrte 410 332 391 42 2725
16. Schriftsteller und Redakteure 660
17. Journalisten 888
18. Stenographen und Maschinenschreiber 436 -- 127 21270
19. Bibliotheks-, Museums- und Privatbeamte 865 572 -- 240 --
20. Architekten -- 20 -- 19 22
21. Ingenieure -- -- -- -- 124
22. Maler und Bildhauer 839 337 3818 3032 10815
23. Musiker 8976 2586 19111 34519
24. Musiklehrer 4888
25. Schauspieler und Sänger 5301 3696 3949
26. Theaterbeamte 195 1074 -- -- --
27. Chemiker 92 42 657 27 39
28. Apotheker 60 134 160 734
29. Photographen 208 156 -- 2496 2201
30. Zeichner, Musterzeichner, Graveure, Modelleure 114 -- -- 346
31. Agenten 195 1809 91 765 4875
32. Handelsreisende 11987 -- 165 611
33. Buchhalter 8138 33494003 50 27772
34. Handelskommis 17859 64219
35. Bankbeamte 1135 249 217
36. Verwalter, Wirtschaftsbeamte und Rechnungsführer in landschaftlichen Betrieben 17170 1001 16766 -- 336--
37. Technisch gebildete Beamte in industriellen Betrieben 5099 2094 -- 748 337--
38. Andere freie Berufe -- 177 -- -- 479
Summa: 190827 61382 220042 269454 484580

Wir sehen aus dieser Tabelle, daß die relativ größte Anzahl bürgerlicher Frauen als Lehrerinnen, Handelsangestellte und Krankenpflegerinnen thätig sind. Wo sie, wie in Amerika, Zugang zu allen wissenschaftlichen Berufen haben, scheint ihre Neigung sie am meisten der Medizin und der Theologie zuzuführen. Bei dieser Berufswahl kommen die ursprünglichsten und durch die Erziehung der Jahrtausende gefestigten Begabungen ihres Geschlechts zum Ausdruck, als deren Grundzug die in jeder unverdorbenen Frau ruhende Mütterlichkeit anzusehen ist. Sie wirkt in der Lehrerin, die statt der eigenen fremde Kinder erzieht, in der Aerztin und Krankenpflegerin, der Missionarin und Predigerin. Und der Sinn für Ordnung, die von dem Augenblick der ersten festen Ansiedelung an geübte Kunst der Haushaltung kommt in dem Talent des weiblichen Geschlechts für den kaufmännischen Beruf wieder zum Ausdruck. Seiner Begabung entsprechen auch die öffentlichen Anstellungen, die ihr gerade dort in immer erweitertem Maße zugeteilt werden, wo man bereits Erfahrungen über die Befähigung der Frauen zum Staats- und Gemeindedienst gemacht hat: In England und Amerika werden Frauen hauptsächlich im Bureaudienst, als Erzieher, Armenpfleger, Armenhaus-, Sanitäts- und Gewerbe-Inspektoren verwendet.

Um aber zu einer richtigen Würdigung der Zahl bürgerlich erwerbsthätiger Frauen zu kommen, muß sie mit der Zahl der in denselben Berufen thätigen Männer verglichen werden. Dabei ergiebt sich nach der neuesten Zählung für die betreffenden Länder als Resultat:
Länder Von 100 Erwerbstätigen
in bürgerlichen Berufen sind
Männer Frauen
Deutschland 88,34 11,46
Oesterreich 87,77 12,23
Frankreich 78,02 21,98
England 77,67 22,33
Vereinigte Staaten 81,25 18,75

Die Berechnung zeigt, daß die geringste Beteiligung der Frauen am bürgerlichen Erwerbsleben dort zu finden ist, wo der Zugang dazu ihnen am meisten erschwert wird, und die höchste da vorhanden ist, wo nicht nur die Berufe ihnen offen stehen, sondern wo zu gleicher Zeit ein starker Frauenüberschuß konstatiert wurde. Wo, wie in Amerika, ein Männerüberschuß besteht, ist, trotz der Zulassung der Frauen zu allen Erwerbsgebieten, ihr Anteil daran ein geringerer.

Der Eindruck dieses Momentbildes verschiebt sich jedoch wesentlich, sobald wir das Wachstum der bürgerlichen Frauenarbeit einer Betrachtung unterziehen. Folgende Zusammenstellung giebt Aufschluß darüber:

Erwerbstätige in bürgerlichen Berufen:
Länder 1880 resp. 1881 und 1882 1890 resp. 1891 und 1895 Absolute Zunahme der Prozentuale Zunahme der
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen
Deutschland 808213 118070 1474072 190827 665859 72757 82,32 61,61
Oesterreich 276070 41693 440288 61328 164218 19690 59,52 47,22
Frankreich 660459 196296 781052 220042 120593 23746 18,26 10,79
England 605245 168656 936970 269454 331725 100798 54,81 59,47
Verein. Staaten 992736 229451 2099513 484580 1106777 255129 89,69 111,19

Sie zeigt deutlich, daß die Zunahme der bürgerlichen Frauenarbeit in England und Amerika, wo eine große Ausbreitungsmöglichkeit für sie besteht, eine weit raschere ist, als die der Männer.

Eine nach dieser Hinsicht interessante Zusammenstellung, die wir hier wiedergeben, und die sich über zwei Jahrzehnte erstreckt, liegt für Amerika vor:338

Von 100 Erwerbstätigen in Amerika waren
Berufe 1870 1880 1890
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen
Künstler und Kunstlehrer 89,90 10,10 77,36 22,64 51,92 48,08
Musiker und Musiklehrer 64,07 35,93 56,75 43,25 44,46 55,54
Professoren und Lehrer 33,73 66,27 32,21 67,79 29,16 70,84
Buchhalter und Kommis 96,53 3,47 92,90 7,10 83,07 16,93

Es handelt sich eben um einen allgemeinen Notstand, der die Frauen in rapidem Tempo in die sich ihnen öffnenden Berufe drängt, und es läßt sich daraus schließen, daß dasselbe Verhältnis sich in anderen Ländern zeigen wird, wenn die verschlossenen Thüren sich auch dort ihnen öffnen. Vor allem aus der prozentualen Zunahme der Lehrerinnen und Handelsangestellten in Deutschland und Oesterreich läßt sich unschwer der Beweis dafür erbringen:
Oesterreich Zunahme der Deutschland Zunahme der
Männer Frauen Männer Frauen
Lehrer 42,14 44,62 24,79 48,84
Handelsangestellte 115,81 126,66 80,60 279,21

Wir stehen somit zweifellos der Thatsache eines raschen Wachstums der bürgerlichen Frauenarbeit gegenüber. Dafür spricht auch der Umstand, daß jeder offenen Stelle eine erschreckend große Zahl Bewerberinnen gegenüberstehen, die natürlich dort den größten Umfang annimmt, wo die arbeitsuchenden Frauen die geringste Auswahl unter den Berufen haben. Nach einer in Frankreich angestellten Untersuchung339 bewarben sich bei einer Konkurrenz allein im Seine-Departement über 8000 Frauen um 193 offene Schulstellen; für 200 Stellungen, die die Post ausgeschrieben hatte, meldeten sich gegen 5000 Frauen; bei der Bank von Frankreich, die jährlich höchstens 25 Stellen neu zu besetzen hat, stellten mehr als 6000 Arbeitsuchende sich vor; der Crédit Lyonnais zählte für ca. 80 Stellen 700 bis 800 Bewerberinnen und im Magasin du Louvre pflege im Durchschnitt 100 sich auf eine offene Stelle zu melden. Diese Zahlen zeigen nicht nur, daß das Problem der Arbeitslosigkeit für die Mädchen aus bürgerlichen Kreisen vielfach in demselben Grade besteht, wie für die Proletarierinnen, sie sprechen auch für die wachsende Not, die sie zur Erwerbsarbeit treibt. Ein weiterer Beweis dafür ist die rasche Zunahme der weiblichen Studenten. An den preußischen Universitäten, die sich bekanntlich sehr ablehnend gegen sie verhalten, haben sie trotzdem vom Jahre 1895 bis 1899 von 117 bis auf 414 zugenommen; an den Schweizer Universitäten beträgt die Zunahme von 1890 bis 1900 184 zu 1026.340 Diese Zahlen würden noch bedeutend höher sein, wenn nicht das Studium und der Eintritt in einen gelehrten Beruf große finanzielle Opfer forderte, die bis jetzt in erster Linie nur den Söhnen gebracht worden sind. Bei den Frauen gilt es meist, möglichst rasch zum Erwerb zu gelangen, daher wählen sie Berufe deren Vorbereitung nicht zu viel Zeit und Geld erfordert. Und das ist einer der proletarischen Züge in der bürgerlichen Frauenbewegung. Noch ein anderer, bedeutungsvollerer sei an dieser Stelle erwähnt: die Berufsarbeit verheirateter Frauen. Ihr Verhältnis zu den alleinstehenden Frauen ist folgendes:
Länder Auf 100 Erwerbsthätige
in bürgerlichen Berufen
kommen verheiratete Frauen
Deutschland 15,02
Oesterreich 36,22
Vereinigte Staaten 8,92

Die Konkurrenzfurcht, die sich in dem oft leidenschaftlichen Kampf der Männer gegen die Zulassung der Frauen zu bürgerlichen Berufen ausdrückt, ist daher nicht unbegründet, und sie gewinnt an Bedeutung, wenn wir die Bedingungen, unter denen die Frauen arbeiten, einer Betrachtung unterziehen. Ueberall, selbst in den Ländern, wo die Frauenarbeit die glänzendsten Fortschritte macht, zeigt es sich, daß ihre Bewertung, auch bei gleicher Leistung, eine geringere ist als die der Männer. In den Oststaaten Nordamerikas verdienen weibliche Buchhalter 5 bis 20 Dollars wöchentlich, ihre männlichen Kollegen dagegen 10 bis 35 Dollars. Männliche Bureaubeamte im Staatsdienst haben ein Gehalt von 800 bis 2000 Dollars jährlich, Frauen in gleichen Stellungen beginnen mit einem Mindestgehalt von 500 und erreichen nur ein Höchstgehalt von 1200 Dollars. Ueber die Verschiedenheit der Gehälter der Lehrer und Lehrerinnen giebt folgende Tabelle Aufschluß:341
Durchschnittlicher Verdienst der
Männer Frauen
New York 74,95 $ 51,33 $
Massachusetts 128,55 $ 48,38 $
Rhode Island 101,83 $ 50,06 $
Connecticut 85,58 $ 41,88 $
Delaware 36,60 $ 34,08 $
Maryland 48,00 $ 40,40 $
South-Carolina 25,46 $ 22,32 $
Florida 35,50 $ 34,00 $

Der Umstand, daß der weitaus größte Teil der Lehrer in Amerika Frauen sind, fällt dabei besonders schwer ins Gewicht und beweist, daß die Mehranstellung von Frauen nicht auf Grund besserer Leistungen, sondern geringerer Ansprüche erfolgt. Derselben Thatsache ist zum Teil auch das rasche Vordringen der Engländerin in alle Erwerbsgebiete zu verdanken. Die weiblichen Bibliothekare z.B., von denen sich 19 in leitenden Stellungen befinden, erreichen nur ein Gehalt von 40 bis 80 Pfund jährlich,—fast die Hälfte dessen, was ihren männlichen Kollegen zugestanden wird.342 Auch die Lehrerinnen an höheren Mädchenschulen sind in keiner günstigen finanziellen Lage. Viele von ihnen haben nur eine Jahreseinnahme von 80 bis 100 Pfund, wenige erreichen ein Einkommen von 150 Pfund und nicht mehr als ein halbes Dutzend stehen sich auf 200 Pfund. Noch schlechter sind die Verhältnisse der Volksschullehrerinnen, die von der Girls Day School Company angestellt werden und durchschnittlich 12 Pfund 12 sh jährlichen Gehalt beziehen! Die Lehrerinnen der Elementarschulen, die mit 40 Pfund beginnen, haben auch nur in Ausnahmefällen die Aussicht, ihre Einnahmen zu erhöhen.343 Auch die Krankenpflegerinnen, die in England fast ausschließlich bürgerlichen Kreisen entstammen, werden für ihre aufopfernde Thätigkeit in ungenügender Weise entschädigt: neben Wohnung und Beköstigung erhalten sie 12 bis 30 Pfund jährlich. Selbst die vom Staat angestellten Post- und Telegraphenbeamtinnen erfreuen sich keineswegs einer glänzenden Stellung, da der größte Teil von ihnen nur 65 bis 80 Pfund im Jahr bezieht, ihre männlichen Kollegen erhalten für gleiche Leistungen ein Mindestgehalt von 70 Pfund und während sie in den höheren Stellungen eine Einnahme bis zu 900 Pfund haben, bekommen die Frauen in denselben Stellungen im günstigsten Falle 400 Pfund.344 Gleiches läßt sich von den Handelsangestellten sagen, deren Einnahmen sich auf 20 bis 40 Pfund im Jahr belaufen, eine Summe, die etwa 33% niedriger ist, als die der Männer.345 Dasselbe Bild wiederholt sich in Frankreich, und ist in Bezug auf die staatlich Angestellten besonders unerfreulich. Die weiblichen Beamten im Post- und Telegraphendienst beziehen ein Anfangsgehalt von 1000 Frs., die männlichen bei gleicher Leistung 1500 Frs.; die Einnahme der Frauen steigt alle 2 Jahre mit 100 Frs., die der Männer alle 3 Jahre mit 300 Frs.; das Höchstgehalt der Frauen endlich beträgt 1800 Frs., das der Männer dagegen weit über das Doppelte, nämlich 4000 Frs.346



Trauriger noch sind die Zustände in Deutschland und Oesterreich. Giebt es doch im Deutschen Reich noch Lehrerinnen, deren Jahreseinkommen 300 bis 450 Mk. beträgt, eine Einnahme, die sich mit der einer besonders schlecht gestellten Wäschenäherin vergleichen läßt. Eine Volksschullehrerin, die mit 700 Mk. angestellt wird,—kein Lehrer bezieht unter 900 Mk.,—hat die Aussicht, nach 31 jähriger angestrengter Thätigkeit 1560 Mk. alles in allem zu erhalten. In Gumbinnen erreicht sie nach 20jährigem Dienst ein Höchstgehalt von 1150 Mk.347 Zwei Drittel der technischen Lehrerinnen in Berlin beziehen ein Gehalt von—25 Mk. monatlich! In wie schroffem Gegensatz die Gehälter der Lehrerinnen zu denen der Lehrer an den höheren Mädchenschulen stehen, zeigt folgende Tabelle über ihre niedrigsten und höchsten Einnahmen an den genannten Orten:348
Lehrerinnen Lehrer
Berlin 1800-2600 Mk. 2800-6000 Mk.
Breslau 1300-2300 " 1800-4550 "
Danzig 1200-2000 " 1800-4850 "
Hannover 1000-2000 " 2250-5150 "
Kassel 1200-1950 " 2600-5150 "
Köln 1200-2200 " 1800-6075 "

Dabei ist berechnet worden, daß eine großstädtische Lehrerin bei bescheidensten Ansprüchen ein Mindesteinkommen von 1500 Mk. haben muß.

Viel schlimmer gestaltet sich die Lage der Frauen an Privatschulen, wo sie häufig mit 500-800 Mk. zufrieden sein müssen349 und überdies durch Einkauf in die verschiedenen Pensions- und Rentenversicherungsanstalten für Lehrerinnen für ihr Alter selbst zu sorgen haben. Freilich ist die Pension, die Staat und Gemeinden den Frauen gewähren, die, unter Verzicht auf persönliches Lebensglück, ihre besten Jahre der Heranbildung der Töchter des Landes geopfert haben, jammervoll genug: sie beträgt 405 bis 912 Mk. jährlich;—es liegt grimmiger Hohn darin, diese Summe mit dem Namen Ruhegehalt zu bezeichnen, denn von Ruhe ist auch für die alternde Lehrerin keine Rede. Wie sie schon in ihren besten Jahren kaum existieren kann, ohne Vermögen zu besitzen, oder—der häufigste Fall—durch Privatstunden den Rest ihrer Kräfte aufzureiben, so kann sie sich auch der verdienten Ruhe nicht erfreuen, wenn sie nicht aus anderen Quellen eine Pension sich selbst sicherte, oder, bis ihre Gesundheit ganz versagt, tagaus, tagein, treppauf, treppab läuft, um sich noch ein paar Mark zu verdienen.

Die Handelsangestellten befinden sich in keiner günstigeren Lage, als die Lehrerinnen. Kaum ein Sechstel des weiblichen Bureaupersonals vermag als Höchstgehalt das Monatseinkommen zu erringen, das die Männer in gleichen Stellungen in der Regel beziehen.350 Gehälter zwischen 20 und 30 Mk. monatlich gehören, besonders in der Provinz, nicht zu den Seltenheiten und stehen in schreiendem Gegensatz zu der Behauptung, daß eine Jahreseinnahme von 1000 bis 1200 Mk. für die Handelsangestellten ein Existenzminimum darstellt. Nach den Angaben einer Anzahl Berliner Angestellten, die ganz auf eigenen Erwerb angewiesen sind, stellen sich ihre Ausgaben für Wohnung und Nahrung—also ohne Kleidung, Wäsche, Extraausgaben, wie Omnibusfahrten u. dergl., von Vergnügungen ganz abgesehen—auf ca. 51 Mk. monatlich, dabei schwanken die Einnahmen von 28 Proz. unter ihnen zwischen 30 und 70 Mk.351 Für Oesterreich werden die Einnahmen der Handlungsgehilfinnen folgendermaßen berechnet: 60 Proz. haben ein Gehalt von 10-25 Gulden, 20 Proz. 30 bis 35 Gulden, 10 Proz. 40-45 Gulden, 5 Proz. 50-60 Gulden und 5 Proz. verteilen sich auf noch höhere Gehälter. Trotz dieser jämmerlichen Bezahlung drängen sich die Mädchen zum kaufmännischen Beruf; so mußte z.B. eine der unentgeltlichen Fachschulen von 600 Aufnahmesuchenden 292 abweisen.352 Die männlichen Bureaubeamten pflegen ein Anfangsgehalt von 35 bis 40 Gulden zu beziehen und stehen nach längerem Dienst unverhältnismäßig günstiger als die Frauen. Die Eisenbahnbeamtinnen beziehen ein Gehalt von 360 bis 600 Gulden jährlich, nur sehr wenige erreichen eine Einnahme von 840 Gulden.353 Aehnlich sind die Verhältnisse bei den Telegraphenbeamtinnen. Sie beginnen mit einem Gehalt von 30 Gulden monatlich, das alle fünf Jahre um 5 Gulden steigt, bis es den Höchstgehalt von 50 Gulden erreicht hat. Fast die Hälfte der Angestellten beziehen gegenwärtig den niedrigsten Gehalt, und während die Bezüge der männlichen Beamten, von denen keine höhere Vorbildung und keine anderen Leistungen verlangt werden, als vom weiblichen Personal, wiederholte Aufbesserung erfuhren, sind sie in den ca. drei Jahrzehnten, seit denen der Staat Frauen beschäftigt, für die Frauen unverändert geblieben. Die Pensionen, die nur bei völliger Dienstunfähigkeit gewährt werden, entsprechen dem Gehalt: nach dreißigjährigem Dienst, dem längsten, der nach den gemachten Erfahrungen erreicht wird, sind sie auf 30 Gulden monatlich angewiesen.354

Fast noch schlimmer ist die finanzielle Lage der Lehrerinnen, ja geradezu haarsträubend, soweit die Privatschulen in Betracht kommen. Sie nutzen die Zwangslage, in der sich die Mädchen dadurch befinden, daß sie erst nach zweijähriger Lehrthätigkeit zur Lehrbefähigungsprüfung, die sie in eine höhere Gehaltsstufe aufrücken läßt, zugelassen werden, aus, indem sie die jungen Lehrerinnen großenteils—umsonst arbeiten lassen. Es kommt vor, daß die Entschädigung für 4 bis 5 Stunden Unterricht im Gabelfrühstück besteht; in den Klosterschulen werden die Volontärinnen am Ende des Schuljahrs mit einem Rosenkranz und einem Wachsstock belohnt. Nur wenige Institute gewähren ein Höchstgehalt von 30 bis 35 Gulden während der neun Monate des Schuljahrs. Stellungen mit 10, 15 oder 20 Gulden sind schon sehr gesucht.355 Ist es ihnen endlich nach zweijähriger Arbeit unter den elendesten Verhältnissen gelungen, eine Anstellung als Unterlehrerin zu erhalten, so sind sie zunächst auf 1,16 bis 1,33 Gulden täglich angewiesen, mit der Aussicht, eventuell 10 bis 15 Jahre in ähnlicher Stellung zu bleiben.356 Handelt es sich um Industrielehrerinnen, so können sie bestenfalls auf ein Jahreseinkommen von 450 bis 600 Gulden rechnen, müssen aber auch darauf gefaßt sein, jahrelang mit 180 Gulden auszukommen.357 Nun sind für sehr bescheidene Bedürfnisse die notwendigen Ausgaben einer in bürgerlichen Berufen thätigen Oesterreicherin zusammengestellt worden, wobei Ausgaben für Arzt und Apotheke, Krankenkasse oder Altersversicherung, Tramwayfahrten, Bildungsmittel, Vergnügungen etc. nicht in Rechnung kamen, und es hat sich ergeben, daß 703 Gulden das Geringste ist, wessen sie bedarf.358 Es zeigt sich also auch hier, daß die Einnahmen zu den Ausgaben in schreiendem Mißverhältnis stehen.

Ein ganz besonders trauriges Kapitel in der Geschichte der erwerbenden Frau, das auf alle Länder gleichmäßig paßt, behandelt die Lage der Bühnenkünstlerinnen. Nominell scheint ihr Einkommen häufig dem der Männer gleichzustehen, thatsächlich ist es ganz bedeutend geringer, weil Toilettenanforderungen an sie gestellt werden, von denen bei den Männern keine Rede ist, und sie, besonders an kleineren Bühnen, auch die historischen Kostüme selbst zu beschaffen haben, die ihren männlichen Kollegen geliefert werden. Wir finden in Deutschland Gagen für Solistinnen bis zu 50 Mk. monatlich, in Oesterreich bis zu 30 Gulden hinab, auf denen noch, als eine unerträgliche Steuer, die Prozentabgaben an die Agenten ruhen. Dabei wird der Luxus mehr und mehr in die Höhe, die Einnahme mehr und mehr heruntergeschraubt, weil in den Großstädten die Unsitte der Anstellung sogen. "Luxusdamen", die oft auf jede Gage verzichten, hingegen der Direktion infolge ihrer reichen Freunde einen großen Toiletteaufwand garantieren, Überhand nimmt.359

Werfen wir noch einen Blick auf die große, rasch wachsende Zahl der weiblichen Schriftsteller, so zeigt es sich, daß ihre starke Mitarbeit an Familienblättern zweiten und dritten Ranges zum größten Teil auf ihre geringen Ansprüche zurückzuführen ist. Selbst in England, dem Dorado schreibender Damen, sind es nur die wenigen hervorragenden Autorinnen, die, dank ihres Talents, glänzend situiert sind. Im allgemeinen können 100 Pfund im Jahr schon als eine sehr gute Einnahme gelten.360 Dasselbe gilt für die Journalistinnen, die in Deutschland ganz bedeutend schlechter gestellt sind. Auch die weiblichen Zeichner und Maler, sowie die in allen Zweigen des Kunstgewerbes thätigen Frauen, geben sich mit Honorierungen zufrieden, die man einem Mann gar nicht wagen würde, anzubieten.



Das rasche Vordringen der Frau in die bürgerlichen Berufe läßt sich nach alledem weniger durch bessere Leistungen, als durch geringere Ansprüche erklären; selbst der Staat handelt nicht anders wie jeder Fabrikant, der Arbeiterinnen beschäftigt: es ist für ihn eine Ersparnis. Die Ursachen aber der niedrigen Bewertung der Frauenarbeit sind auf den verschiedensten Gebieten zu suchen. Zunächst ist die Frau als selbständig Erwerbende ein Begriff, der dem traditionellen, von dem durch den Mann zu ernährenden Weibe, vollständig widerspricht. Die Entlohnung ihrer Arbeit gilt daher nur für einen Zuschuß zum Lebensunterhalt, nicht für seine vollständigen Kosten, und der sentimentale Hinweis auf den Schutz der Familie, womit sogen. Menschenfreunde dem armen Mädchen helfen wollen, entspringt demselben Boden, aus dem der rohe Cynismus wächst, mit dem Kaufleute und Theaterdirektoren ihre Angestellten in die Arme hilfreicher "Freunde" zu treiben suchen. Aber die Schuld liegt nicht allein auf Seite der Brotgeber. Bis in die neueste Zeit hinein ist die Ausbildung der Frau für die Berufsarbeit eine unzulängliche und der dadurch erzeugte Dilettantismus entwertet nicht nur die Frauenarbeit im allgemeinen, unter seinem Odium haben vielmehr auch diejenigen zu leiden, die dasselbe leisten wie die Männer. Und noch ein anderes, für die bürgerliche Frauenarbeit charakteristisches Moment kommt hinzu: eine große Zahl der Arbeit suchenden Frauen ist nicht vollständig auf ihre Erträgnisse angewiesen; sei es, daß sie bei den Eltern wohnen und nur ein Nadelgeld verdienen müssen, sei es, daß sie eine Rente beziehen, die nur nicht ganz zum Leben ausreicht,—auf jeden Fall sind sie in der Lage, die Männer, und, was noch schlimmer ist, die wirklich Not leidenden weiblichen Konkurrenten zu unterbieten. Und sie thun das skrupellos. Es fehlt ihnen an jedem Solidaritätsgefühl. Ihre jahrhundertelange Vereinzelung als Töchter, Gattinnen und Mütter—jede in einer engen Welt für sich—hat sie kurzsichtig und egoistisch gemacht. Erst eine wirklich allgemeine Not wird das Ferment werden, das sie zusammenschmiedet und wird die Lohnfrage lösen helfen. Solange aber Beamtentöchter durch Bureaudienst nur Toilettengeld zu verdienen wünschen und junge Damen sich die Langeweile wegpinseln und wegsticken, solange wird ein erfolgreicher Kampf um Gleichstellung mit dem Mann im Erwerbsleben nicht zu Ende geführt werden können.