Der Arbeiterinnenschutz: Seine historische Entwicklung.

Synoptische Übersicht des geltenden Rechts. — Die Regelung der Arbeitszeit in der Großindustrie. — Der Ausschluß der verheirateten Frauen aus den Fabriken. — Die Ueberarbeit und die Nachtarbeit. — Die Sonntagsarbeit. — Arbeitsverbote in gesundheitsgefährlichen Betrieben. — Der Schutz der Schwangeren und Wöchnerinnen. — Die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie. — Sanitäre Vorschriften in Bezug auf die Hausindustrie. — Unterdrückung der Heimarbeit. — Der Arbeiterschutz im Handelsgewerbe. — Die Aufgaben der Gesetzgebung gegenüber den Landarbeitern. — Der Kellnerinnenschutz. — Die Trinkgelderfrage. — Die Gesindeordnungen. — Arbeiterschutz für Dienstboten. — Die genossenschaftliche Hauswirtschaft. — Die Fortbildungsschulen. — Die freie Verfügung über den Arbeitsertrag. — Die Gewerbegerichte. — Das Koalitionsrecht.

Die Gesetzgebung zu Gunsten der arbeitenden Klasse war das Resultat eines zähen Kampfes der Unterdrückten gegen die Unterdrücker und entsprang viel weniger ethischer Einsicht oder humanitären Bestrebungen, als dem Selbsterhaltungstrieb der herrschenden Klasse. Diese charakteristischen Züge tragen bereits die ersten Anfänge der englischen Arbeiterschutzgesetzgebung des vorigen Jahrhunderts. Die verheerenden Seuchen, die sich in den Fabrikzentren Englands entwickelten und die kindlichen Arbeiter in Scharen dahinrafften, nötigten zu dem ersten Schutzgesetz des Jahres 1802. Die nationale Gefahr eines frühzeitigen Verbrauches des Menschenmaterials wurde aber schließlich auch von allen anderen Staaten anerkannt. Selbst zu den schwächlichen Versuchen eines gesetzlichen Kinderschutzes entschloß man sich indessen erst, als die grauenhaftesten Zustände mit nicht zu übersehender Deutlichkeit an das Licht des Tages traten und die öffentliche Meinung in starke Erregung versetzt worden war. Im Namen der Freiheit verteidigten die Fabrikanten die schrankenlose Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiter. Sie beriefen sich dabei auf das Recht der freien Selbstbestimmung, das durch den Eingriff des Staates in das Verhältnis zwischen Unternehmern und Arbeitern verletzt würde und wurden darin durch die manchesterliche Nationalökonomie unterstützt. Aber wie einerseits die moderne Produktionsweise ihnen zu Macht und Reichtum verhalf, so entwickelte sich andererseits mit ihr jener wichtige Faktor, der der Ausbreitung ihrer Machtsphäre einen Damm entgegenzusetzen vermochte: die moderne Arbeiterbewegung. Wie sie Schritt für Schritt vordrang, immer wieder zurückgestoßen von denen, die in ihr mit Recht den einzigen Feind fürchteten, der ihre Herrschaft erschüttern könnte, wie sie schließlich, am Ende des 19. Jahrhunderts, den herrschenden Klassen in fest gefügter Phalanx gegenübersteht,—das ist ein Werdegang, der auch in der Gesetzgebung seine Spuren hinterlassen hat.


Zuerst waren es allein die Frauen, deren gesetzlichen Schutz man durchsetzte. Natürlich genug; denn einmal fiel in Bezug auf sie, die immer Bevormundeten, das Recht der freien Selbstbestimmung nicht so schwer in die Wagschale, und dann hing es von ihnen ab, den Müttern des Volkes, ob auf kommende Generationen arbeitsfähiger Menschen zu rechnen sei. Aber selbst diese, vom Standpunkt der Fabrikanten aus einleuchtenden Gründe blieben lange Zeit hindurch völlig unbeachtet. Es waren der Arbeitsuchenden zu viele, als daß man aus egoistischen Motiven den Schutz der Einzelnen für nötig gehalten hätte: mochten die Frauen mit 25 Jahren arbeitsunfähig sein, mochten die Kinder in Scharen zu Grunde gehen, es gab noch tausendfältigen Ersatz für sie. Eines langen und erbitterten Kampfes bedurfte es, ehe man sich zu den ersten Versuchen einer Arbeiterschutzgesetzgebung entschloß.

Von England, der Heimat des Fabrikwesens, ging sie aus. Die Zehnstundenbewegung, an deren Spitze bürgerliche Philanthropen standen, die Chartistenbewegung, in der die ganze Wut der Geknechteten gegen ihre Unterdrücker zum Ausdruck kam,—waren die beiden großen Feldzüge, die mit den ersten spärlichen Siegen der Arbeiter endeten; 1847 wurde der Zehnstundentag für die Textilarbeiterinnen Englands Gesetz. Ihm zur Anerkennung zu verhelfen, war wieder ein Kampf für sich, den die Arbeiter mit Unterstützung der ersten aufopferungsvollen Fabrikinspektoren zu führen hatten. Durch die Einführung schichtweiser Beschäftigung suchten die Fabrikanten zunächst das Gesetz zu umgehen, bis eine neue Verordnung einen Riegel vorschob. Ganz allmählich wurden auch andere Industrien der Fabrikgesetzgebung unterstellt. "Ihre wundervolle Entwicklung von 1853-1860 Hand in Hand mit der physischen und moralischen Wiedergeburt der Fabrikarbeiter, schlug das blödeste Auge, die Fabrikanten selbst, denen die gesetzliche Schranke und Regel des Arbeitstages durch halbhundertjährigen Bürgerkrieg Schritt für Schritt abgetrotzt war, wiesen prahlend auf den Kontrast in den noch 'freien' Exploitationsgebieten hin," sagt Marx.911 Mit der Erkenntnis aber, daß der Arbeiterschutz ihnen selbst zum Vorteil gereichte, war der Widerstand der Fabrikanten dagegen gebrochen.

Englands Vorgehen, das ebenso in seiner rapiden industriellen, wie in seiner politischen Entwicklung die Erklärung findet, war für den Kontinent, wo sich der Uebergang zum Fabriksystem relativ langsam vollzog und alle vorwärts treibenden Kräfte sich auf den Kampf gegen die politische Reaktion konzentrieren mußten, kein anfeuerndes Beispiel. Selbst jener erste Maximalarbeitstag, mit dem die junge französische Republik die erregten Volksmassen abzuspeisen gedachte und der die Arbeitszeit aller Arbeiter auf 12 Stunden festsetzte, hatte keinerlei praktische Konsequenz, weil es an Mitteln fehlte, um die Durchführung des Gesetzes zu gewährleisten. Erst 1874, nach endlosen heftigen Streitigkeiten, gelangte der erste schüchterne Versuch eines besonderen Arbeiterinnenschutzes in der Nationalversammlung zur Annahme. Er beschränkte sich auf das Verbot der Nachtarbeit Minderjähriger und das Verbot der Arbeit unter Tage für Frauen jeden Alters. Aber selbst diese kläglichen Bestimmungen stießen auf den heftigsten Widerstand der Industriellen, die alles thaten, um sie zu umgehen, oder ihre Abschaffung durchzusetzen,—ein Zustand des Kampfes und des vielfach fruchtlosen Widerstandes derer, die das Gesetz schützen wollte, der achtzehn Jahre andauerte.

Noch langsamer entwickelte sich der Arbeiterinnenschutz in Oesterreich, denn vor 1885 war überhaupt kaum eine Spur von ihm vorhanden: sowohl die Nachtarbeit, als die Arbeit unter Tage wurde den Frauen nicht verwehrt. Dann aber nahm er einen Aufschwung, durch den er Frankreich überflügelte: der Elfstundentag, der vierwöchentliche Wöchnerinnenschutz wurde eingeführt, die Arbeit unter Tage und bei Nacht verboten.

Deutschlands Anfänge auf dem Gebiete des Arbeiterinnenschutzes fallen ziemlich genau mit dem Erstarken der sozialdemokratischen Partei zusammen, deren mit immer größerem Nachdruck vorgebrachte Forderungen das treibende Element in der Bewegung waren. Aber es trat noch Eins hinzu, dessen Wichtigkeit nicht unterschätzt werden darf, und dessen Träger die politische Vertretung des deutschen Katholizismus, das Centrum, war. Von vollkommen entgegengesetzten Standpunkten ausgehend, grundverschiedenen Zielen zusteuernd, kamen beide Parteien in ihren praktischen Forderungen gelegentlich zu ähnlichen Resultaten. Aber während die Sozialdemokratie im gesetzlichen Schutz der Arbeiter und Arbeiterinnen nur ein Mittel sah, sie körperlich und geistig für den Klassenkampf zu stärken und fähig zu machen, glaubte das Centrum durch ihn die Entwicklung zurückzuschrauben. Es propagierte an erster Stelle die Sonntagsruhe, nicht aus hygienischen, sondern aus religiösen Gründen, es forderte einen Arbeiterinnenschutz, der den völligen Ausschluß der Frauen von der Fabrikarbeit zum Ziel hatte, um die Familie in ihrer alten Form zu erhalten und den Einfluß der Arbeitsgenossen auf die Frau zu verhindern, sie aber, und damit die Ihren, statt dessen wieder unter den Einfluß der Kirche zu zwingen. Von diesem Gesichtspunkt aus warf sich das Centrum hier im Verein mit manchen Konservativen sogar vielfach zum Beschützer der Hausindustrie und der Heimarbeit auf. Wie dem aber auch sei, Thatsache ist, daß die Entwicklung des Arbeiterinnenschutzes in Deutschland mit unter dem Einfluß des Centrums vor sich ging.

Anfang der siebziger Jahre unternahm die Regierung, einem Antrag des Reichstags folgend, eine Enquete über die Lage der kindlichen und weiblichen Arbeiter, deren Ergebnisse die Novelle zur Gewerbeordnung hervorrief, die sie 1878 dem Reichstag vorlegte. Sie enthielt in Bezug auf den Arbeiterinnenschutz einige Bestimmungen,—so das Verbot der Beschäftigung von Wöchnerinnen in Fabriken vier Wochen nach der Niederkunft und das der Frauenarbeit unter Tage,—und erteilte dem Bundesrat die Ermächtigung, die Beschäftigung von Frauen und jugendlichen Arbeitern aus Gründen der Gesundheit und Sittlichkeit in bestimmten Betrieben zu verbieten, aber die Wirkung selbst dieser schwächlichen Verbesserungen der Schutzvorschriften wurde dadurch im Keime erstickt, daß sie nicht mit der obligatorischen Einführung der Fabrikaufsicht Hand in Hand gingen. Mit denselben Gründen, durch die die englischen Fabrikanten vor vierzig Jahren ihren Widerstand gegen die Schutzgesetzgebung gestützt hatten, kämpfte in Deutschland die Regierung, an ihrer Spitze Bismarck, gegen die Gewerbeaufsicht912, und noch zehn Jahre später verweigerte der Bundesrat einem Gesetzentwurf mit durchgreifenden Schutzvorschriften, den der Reichstag angenommen hatte, seine Zustimmung, weil er ein Bedürfnis dafür nicht anzuerkennen vermochte. Die Industrie, so meinte er, bedarf der Frauenarbeit in unbeschränktem Maße, und die Arbeiterfamilien, so fügte er hinzu, um sich nicht die Blöße einseitiger Interessen zu geben, bedürfen ihrer nicht minder.

Schließlich aber sah sich die Regierung gezwungen, den Wünschen des Reichstags nachzugeben; vor allem glaubte sie, durch soziale Reformen die wachsende Macht der Sozialdemokratie zu erschüttern. Das theatralische Schaustück einer internationalen Arbeiterschutzkonferenz wurde insceniert, und war im stande auch ernsten Leuten Sand in die Augen zu streuen. Thatsächlich war ihre Bedeutung lediglich eine symptomatische, indem sie bewies, daß das Bestreben der Arbeiter nach Besserung ihrer Lage nach jahrzehntelangem Kampf endlich zu teilweisem Siege zu führen schien, und eine informierende, indem sich zeigte, wie weit der Gedanke eines erweiterten Arbeiterinnenschutzes,—denn neben der Frage der Sonntagsruhe und der Kinderarbeit beschäftigte man sich lediglich mit der Fabrikarbeit der Frauen,—in den einzelnen Staaten bereits Fuß gefaßt hatte. Das Ergebnis, soweit die Frauenarbeit berührt wurde, war geringfügig genug. Deutschland, Oesterreich, England und die Schweiz einigten sich über folgende Punkte: allgemeine Sonntagsruhe für alle Industriearbeiter, Verbot der Nachtarbeit für jugendliche Arbeiter und für Frauen, Zehnstundentag für Jugendliche, Elfstundentag für Frauen, vierwöchentliche Arbeitsunterbrechung für Wöchnerinnen, Verbot der Frauenarbeit unter Tage. Belgien, das heute noch in Bezug auf den Arbeiterinnenschutz zu den zurückgebliebensten Ländern gehört, und Frankreich, das ihm nur wenig voraus ist, machten bei den meisten Punkten Vorbehalte oder sie erklärten sich direkt dagegen. Ohne zu positiven Resultaten gelangt zu sein, ging die Konferenz auseinander und es blieb jedem einzelnen Staat wieder überlassen, den Arbeiterschutz nach seinem Gutdünken auszubauen. Das letzte Jahrzehnt des neunzehnten Jahrhunderts, an dessen Wiege das arbeitende Volk in all seinem grenzenlosen Jammer gestanden hatte, dessen Mannesalter durch seine stumme Qual und Ausbrüche wütender Verzweiflung verdüstert wurde, bot den Millionen ausgebeuteter Proletarier nur ein paar Brosamen von seiner üppigen Tafel. Sie kamen, nächst den Kindern, wesentlich den Frauen zu gute.

Eine Vorstellung des geltenden Rechts in Bezug auf die Arbeiterinnenschutzgesetzgebung giebt die Tabelle [unten].

Ihr Inhalt bezieht sich lediglich auf die industriellen Arbeiterinnen und er schließt sowohl die näheren Bestimmungen über Hausindustrie und Heimarbeit als alle diejenigen Gesetze aus, die sich mit den Handelsangestellten, den Landarbeiterinnen, den Kellnerinnen und Dienstboten beschäftigen.

Betrachten wir zunächst die Frage der Arbeitszeit. Der Normalarbeitstag war von jeher ein Palladium der Arbeiterbewegung gewesen. In England und mehr noch in Australien hatten sich die Gewerkschaften die allmähliche Herabsetzung der Arbeitszeit erkämpft und vielfach ihr Ziel, den Achtstundentag, durch kollektive Vertragschließung erreicht. Sie hatten, belehrt durch ihre Lebenslage, die nur durch Verkürzung der Arbeitszeit eine menschenwürdige werden konnte, den Standpunkt des einseitigen Individualismus, der jeden Zwang auf die Persönlichkeit, jede Einschränkung des freien Willens ablehnt, längst aufgegeben und erstrebten überall auch die gesetzliche Festlegung der Arbeitszeit. Um so heftiger sträubten sich die Unternehmer dagegen, indem sie ihre Sorge um die Verringerung ihres Profits in die sentimentale Phrase zu verkleiden suchten, daß es niemanden verwehrt sein dürfe, für seine Familie, für seine Kinder so lange zu arbeiten als er wolle. Aber ihre Berufung auf die Freiheit des Individuums im allgemeinen und die Freiheit des Arbeitsvertrags im besonderen,—eine der wichtigsten Grundsätze des Liberalismus,—kam in Bezug auf die weiblichen Arbeiter in Kollision mit einem anderen Grundsatz, den die ganze bürgerliche Gesellschaft zu dem ihren gemacht hatte, auf dem ihre Existenz zum Teil beruht: der Erhaltung der Familie und des Familienlebens in seiner alten Form, als deren Trägerin die Frau erscheint. Und so war es der indirekte Einfluß der weiblichen Industriearbeit, der den starren Widerstand der Bourgeoisie besiegen half, und sie den ersten Schritt auf dem Wege zum Normalarbeitstag gehen ließ. In allen fünf Staaten unserer Tabelle ist die Arbeitszeit der Frauen geregelt; auch Rußland, Australien und Nordamerika sind in ähnlicher Weise vorgegangen, während Belgien, Holland, die skandinavischen Länder und Italien die gesetzliche Beschränkung des Arbeitstages nur für Kinder und junge Leute eingeführt haben. Was aber die Bestimmungen der einzelnen Länder wesentlich voneinander unterscheidet ist vor allem der Umstand, daß sie sich nur noch zum Teil allein auf die weiblichen Arbeiter beziehen: Frankreich—mit einer gewissen Modifikation—, Oesterreich, die Schweiz, einige Staaten Nordamerikas und Kolonien Australiens beschränken die Arbeitszeit erwachsener Fabrikarbeiter in demselben Maß wie die erwachsener Fabrikarbeiterinnen. Die natürliche Erwägung, daß die Betriebe, in denen Arbeiter beiderlei Geschlechts nebeneinander arbeiten, eine außerordentliche Störung erleiden, wenn der eine Teil zehn oder elf, der andere zwölf oder dreizehn Stunden beschäftigt ist, hat dazu den Anlaß gegeben. Die Notwendigkeit der Beschränkung der Arbeitszeit der Frauen führte daher die viel und heiß umstrittene Frage des Maximalarbeitstages der Männer ihrer Lösung entgegen. Das zeigt sich noch deutlicher in den Staaten, wo eine gesetzliche Regelung der Männerarbeit noch nicht durchgesetzt worden ist. So wurden die deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten wiederholt mit der Aufgabe betraut, der Arbeitszeit und ihrer Ausdehnung ihre besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Während sie im Jahr 1885, vor der Regelung der Frauenarbeit, noch eine zwölf-, dreizehn- und mehrstündige Arbeitszeit der Männer feststellten, schwankte sie im Jahr 1897, also nach der Regelung, zwischen neun und elf Stunden.913 In England, wo die Macht der Gewerkschaften diese Entwicklung noch beschleunigen hilft, zeigt sich dasselbe Bild.914 Angesichts dessen und der uns bekannten Thatsache der rapiden Zunahme der Frauenarbeit beantwortet sich die Frage nach dem Nutzen oder Schaden ihrer gesetzlichen Beschränkung von selbst, und es zeugt nur von großem Mangel an Einsicht, wenn man über die Entscheidung im Zweifel sein kann. Die Beschränkung der Arbeitszeit weiblicher Arbeiter ist nicht nur für sie selbst von größter Bedeutung, sie ist es auch im Interesse ihrer männlichen Arbeitsgenossen. Sie kann aber auch, und das ist ein Moment, das gerade von der Arbeiterinnenbewegung vielfach übersehen wird, wenn sie sich zu weit von der effektiven Arbeitszeit der Männer entfernt, zum Nachteil der Frauen ausschlagen, besonders in Zeiten wirtschaftlicher Krisen, in denen dann die Frauen durch Männer ersetzt werden würden. Für deutsche Verhältnisse z.B. wäre eine Reduktion der Arbeitszeit der Frauen auf zehn und neun Stunden gegenwärtig schon ohne Schaden für sie durchführbar, weil auch die Männer in ihrer Arbeitszeit dieser Stundenzahl immer näher kommen. Den Achtstundentag aber für die Frauen allein heute schon erkämpfen zu wollen, hieße ihnen nicht nutzen. Viel wichtiger wäre es gegenwärtig auch für die Frauen mit größtem Nachdruck für den gesetzlichen Maximalarbeitstag der Männer einzutreten, wie ihn Frankreich durch den in wenigen Jahren zur Geltung gelangenden Zehnstundentag zum Gesetz erhoben hat. Selbstverständlich bleibt der Achtstundentag das weitere Ziel, aber, wohl gemerkt, für Männer und Frauen. Er ist die Voraussetzung für die Befreiung der Arbeiterklasse aus physischer und geistiger Knechtschaft, er ermöglicht erst ihre lebendige Teilnahme an den Errungenschaften der modernen Kultur. Für die Frau aber, vor allem für die Mutter und Hausfrau, würde er von noch größerem Werte sein, und daraus erklärt es sich, daß die Arbeiterinnen ihn jetzt schon allein für ihr Geschlecht erringen wollen.

Wir kommen damit zur Kritik der Länge des Arbeitstags, wie er gesetzlich für die Frauen festgelegt wurde. Ist die Reduzierung der Arbeit auf zehn oder elf Stunden wirklich ausreichend, um die Körperkräfte der Frau nicht zu überbürden, ihre Gesundheit nicht zu gefährden und sie ihrer Familie zu erhalten? Die Lage der Fabrikarbeiterinnen, wie wir sie kennen lernten, erübrigt eine Antwort.

So groß der Fortschritt ist gegenüber der unbegrenzten Arbeitszeit, so gering ist er gegenüber den notwendigsten Bedürfnissen; für das junge Mädchen, die werdende Mutter, vor allem aber für die Mutter kleiner Kinder sind zehn oder elf Stunden Arbeit eine Qual, die fast immer zu den traurigsten Resultaten führt. Die Erkenntnis, daß besonders die verheiratete Frau zur Führung ihres Haushalts mehr freier Zeit bedarf, hat zur Festsetzung der Mittagspause geführt, die 1 bis 1-1/2 Stunden zu dauern pflegt. Es wirkt wie Ironie, wenn man sich vergegenwärtigt, daß in dieser Zeit nicht nur die Hauptmahlzeit des Tages im Kreise der Familie eingenommen werden soll, sondern vorher auch zubereitet werden muß, und die Arbeiterin meist für den Weg hin und her von der Fabrik den größten Teil der verfügbaren Zeit in Anrechnung zu bringen hat. Die deutsche Gesetzgebung hat überdies nicht einmal die anderthalb Stunden festgelegt, sondern nur eine, und bestimmt, daß die weitere halbe Stunde der Arbeiterin "auf ihren Antrag" freigegeben werden soll. Welche Arbeiterin aber, die so wie so stets um die Erhaltung ihrer Arbeitsgelegenheit zittert, entschließt sich zu solcher Bitte? Thatsächlich konstatierten die Gewerbeaufsichtsbeamten wiederholt, daß Arbeiterinnen, die den Wunsch danach aussprachen, mit Entlassung bedroht wurden. Es ist daher nur natürlich, wenn der Wunsch nicht allzu häufig laut wird. Die halbe Stunde ist auch oft nicht der Mühe wert. Es fragt sich nun, ob demgegenüber eine Verlängerung der Mittagspause wünschenswert ist. Dabei darf nicht vergessen werden, daß eine ausreichende Erweiterung,—auf drei Stunden etwa,—undurchführbar ist, weil die Betriebsstörung zu groß und die Differenz mit der Arbeit der Männer eine zu tiefgehende wäre. Viel vorteilhafter für die Frau und die Arbeiterfamilie wäre es, wenn sie, neben einer etwa einstündigen Pause, die Arbeit am Abend früher verlassen könnte, womöglich gemeinsam mit dem Mann. An Stelle der mittäglichen Hetze würde eine ununterbrochene Zeit treten, durch die auch für den Arbeiter eine Spur häuslicher Gemütlichkeit zuweilen erobert werden könnte. Man pflegt diese Tageseinteilung als die Einführung der englischen Tischzeit zu bezeichnen, weil sie in England vielfach durchgeführt worden ist. In Verbindung aber mit dem zehn- oder elfstündigen Arbeitstag wird das Ideal, die Sicherung des Familienlebens, die Möglichkeit der Kindererziehung, dadurch noch nicht im mindesten erreicht. Wohlwollende, aber kurzsichtige Leute in Verbindung mit reaktionären Politikern, wie das Centrum sie aufweist, sind daher auf den Gedanken gekommen, daß die Fabrikarbeit verheirateter Frauen überhaupt verboten werden müsse, die Gesetzgebung jedenfalls den Weg dahin heute schon zu betreten habe.915 Auch in Arbeiterkreisen fehlt es nicht an Stimmen, die für diese Maßregel eintreten; die Kongresse der christlichen Arbeiter von Rheinland und Westfalen forderten schon seit 1873 die Unterdrückung der eheweiblichen Fabrikarbeit916; eine große Gruppe lediger Fabrikarbeiterinnen Englands kämpft mit aller Energie gegen die verheirateten Arbeitsgenossinnen.917 Auf verschiedene Motive ist diese Stellungnahme zurückzuführen: auf den uneigennützigen Wunsch, die Mutter den Kindern zurückzugeben und auf das eigennützige Verlangen, eine lästige, meist lohndrückende Konkurrenz los zu werden.

Abzuleugnen, daß die Fabrikarbeit der verheirateten Frau ihr und ihren Kindern durch ihre große Ausdehnung empfindlich schadet, wäre, angesichts der Thatsachen, eine Vermessenheit. Es fragt sich nur, ob die zwangsweise Ausschließung davon ihr nutzen würde. Für Deutschland ist es durch die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten erwiesen, daß die übergroße Mehrheit der Frauen durch die Not zur Fabrik getrieben wird. Einer der Befürworter des Ausschlusses definiert den Begriff Not, indem er erklärt, nur dort dürfe von ihr gesprochen werden, wo der Verdienst der Frau "unbedingt" erforderlich ist, damit die Familie "nur" leben könne.918 Um solche Not handelt es sich zumeist; wir sehen aber Not auch dort, wo zwar der momentane Hunger gestillt wird, aber die Angst um die Zukunft nie weicht und alle Freuden des Lebens entbehrt werden müssen. Auch in diesem Fall hat die Frau das Recht und die Pflicht, zu arbeiten. Schließen sich ihr die Thore der Fabrik, so wird die Hausindustrie und die Heimarbeit mit all ihren Schrecken sie aufnehmen, und man wird die Zersetzung rückständiger Betriebsformen dadurch noch länger aufhalten. Der vorhin zitierte Gegner der eheweiblichen Fabrikarbeit sieht darin allerdings einen glücklichen Ausweg für wirklich notleidende Ehefrauen; sie können, so sagt er "in der Landwirtschaft oder in der Hausindustrie oder auch im Handel Beschäftigung suchen, oder Aufwartungen übernehmen, als Kochfrau oder Pflegerinnen gehen etc."919 Alle diese Beschäftigungen also, die sich fast sämtlich des Vorzugs erfreuen, gar keiner gesetzlichen Kontrolle und Einschränkung unterworfen zu sein, sollen die Frau ihren Familienpflichten weniger entziehen als die gesetzlich geregelte Fabrikarbeit! Zur Durchführung des Ausschlusses empfiehlt er, ihn zur Zeit einer wirtschaftlichen Depression vorzunehmen, in der Arbeiterentlassungen so wie so an der Tagesordnung sind920; d.h. er will der Frau die relativ vorteilhafteste Arbeitsgelegenheit gerade dann entziehen, wenn ihr Erwerb am notwendigsten ist, und er ist naiv genug, von den Unternehmern zu erwarten, daß sie gerade dann sich ihrer billigsten Arbeitskräfte gutwillig berauben werden.

Aber nicht nur, daß der Erwerbszwang die verheirateten Frauen in die sozial tiefststehenden Arbeitsgebiete drängen würde, er würde, da ihre Arbeitskraft ihre Mitgift bedeutet und unerläßlich ist zur Erhaltung der Familie, an Stelle der Eheschließung in erweitertem Umfang das Konkubinat treten lassen. So weit wir nun auch davon entfernt sind, an dem freien Liebesbund zweier Menschen sittlichen Anstoß zu nehmen, so gewiß ist es doch, daß das Konkubinat unter den heutigen Verhältnissen die Frau und ihre Kinder der Willkür des Mannes erbarmungslos aussetzt und beide dem tiefsten Elend schutzlos preisgeben kann. Es kommen aber noch andere Gründe hinzu, die vom Standpunkt der Arbeiterin aus zur unbedingten Verwerfung des Ausschlusses der verheirateten Frauen aus der Fabrik führen müssen: Die Fabrikarbeit ist die einzige Form der Arbeit, durch die die Frauen in engere Verbindung mit ihren Klassengenossen gebracht werden, davon aber hängt ihre Aufklärung, ihre Organisationsfähigkeit ab, und ihre stärkere oder geringere Organisationsfähigkeit wieder beeinflußt die raschere oder langsamere Entwicklung der sozialpolitischen Gesetzgebung.

Doch auch vom Standpunkt der Unternehmer aus ist der Ausschluß der verheirateten Frau zu verwerfen. Die deutschen Gewerbeinspektorenberichte für 1899 haben das interessante Resultat ergeben, daß nach der Aussage der Mehrzahl der Fabrikanten teils nicht genug ledige Arbeiterinnen zur Verfügung stehen921, vor allem aber die verheirateten schwer oder gar nicht zu ersetzen sind.922 Die Gründe dafür sind naheliegend: es handelt sich bei ihnen meist um ältere, erfahrene Arbeiterinnen, die überdies, weil sie ihren Beruf nicht mehr, wie die meisten ledigen, nur als einen Uebergang zur Ehe betrachten, besonders eifrig und strebsam sind. Also auch das Interesse der Unternehmer spricht gegen ihren Ausschluß. Wer die furchtbaren Schäden der Fabrikarbeit verheirateter Frauen ausmerzen will, muß zu anderen Mitteln greifen. Er muß sie in stärkerem Maße als bisher der Fabrikarbeit zuführen und der Hausindustrie und der Heimarbeit entreißen. Die Einrichtung von Schulkantinen und Kinderhorten durch die Kommunen und die allmähliche Herabsetzung der Arbeitszeit muß damit Hand in Hand gehen.

Schon die gegenwärtig gesetzlich festgelegte Arbeitszeit für Frauen würde eine weitreichende Bedeutung haben, wenn sie thatsächlich ein Maximalarbeitstag wäre. Unsere Tabelle zeigt aber, daß nicht nur Ueberstunden in ausgedehntem Maß bewilligt werden können, sondern daß sogar allgemeine Dispensationen für bestimmte Fabrikationszweige im Bereiche der Möglichkeit liegen. Besonders die Saison- und Campagneindustrien spielen dabei eine große Rolle, d.h. alle diejenigen Arbeitszweige, die der Mode im hohen Maß unterworfen sind, oder die von Jahreszeiten und Festtagen abhängen. Dazu gehört vor allem die Herstellung der weiblichen Kleidung, der Spielwaren, der Konserven und in Paris der sogenannten Articles de Paris, die durch das Neujahrsfest beeinflußt werden. Die Ausnahmebewilligungen und Dispensationen sind hier so groß, daß die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit fast zur Ausnahme wird, und zwar um so mehr, weil die Unternehmer sie auch ohne besondere Erlaubnis möglichst oft zu umgehen suchen. Uebertretungen dieser Art kommen, wie die Fabrikinspektoren aller Länder übereinstimmend berichten, am häufigsten vor. Wo ein ausgeprägtes Solidaritätsgefühl fehlt, wo die Organisation nicht hinter der Arbeiterin steht, ist sie nicht nur willenlos gegenüber den Wünschen des Unternehmers, sie bietet womöglich selbst die Hand zu ihrer Erfüllung. So wird der zehn- oder elfstündige Arbeitstag in der Praxis vielfach zu einem zwölf- und dreizehnstündigen.

Aehnlich liegen die Verhältnisse in Bezug auf die Nachtarbeit: sie ist im Prinzip verboten, aber eine ganze Reihe von Ausnahmen öffnen der Uebertretung der Vorschriften Thür und Thor. Nur England und die Schweiz erfreuen sich eines absoluten Verbots. In Deutschland wird unter bestimmten Bedingungen eine Verlängerung der Arbeit bis zehn Uhr nachts, ein Beginn zwischen 4-1/2 und 5 Uhr früh gestattet, aber auch die Nachtarbeit, die in 24 Stunden 10 Stunden dauern darf mit der Einschränkung, daß Tag- und Nachtschichten wöchentlich wechseln müssen, kann durch den Bundesrat erlaubt werden. Für Molkereien und Konservenfabriken, für Steinkohlen-, Zink- und Bleierzbergwerke, für Ziegeleien und schließlich auch für Konfektionswerkstätten wurden Erlaubnisse der Art bereits erteilt. Oesterreich geht in der Gewährung von Ausnahmen noch weiter, indem es die Nachtarbeit auch in der Bettfedernreinigung, der Spitzen-, Papier-, Feß- und Zuckerfabrikation, sowie in zahlreichen Zweigen der Textilindustrie gestattet. Das französische Gesetz wird in gleicher Weise durchlöchert, nur daß es den Vorteil bietet, an Stelle der zulässigen zehnstündigen Nachtarbeit Deutschlands und der elfstündigen Oesterreichs die siebenstündige festgesetzt zu haben.923

Dasselbe System wiederholt sich in Deutschland, Oesterreich und Frankreich bei der Sonntagsarbeit, wenn die darauf bezügliche Verordnung auch, hauptsächlich aus religiösen Gründen, straffer gehandhabt wird, und Frankreich die Bestimmung getroffen hat, daß für die notwendig gewordene Sonntagsarbeit stets ein Ersatzruhetag in der Woche gewährt werden muß.

Die Festsetzung der Arbeitszeit und der Ruhepausen wird nach alledem durch dieselbe Gesetzgebung, die sie in Angriff nahm, wenn nicht annulliert, so doch in so mannigfaltiger Weise durchbrochen, daß der Segen, den sie verbreiten sollte, sehr fragwürdig erscheint. Und doch ist diese Zwiespältigkeit des Arbeiterschutzes nur die notwendige Folge des Standpunkts, den die Regierungen der Arbeiterfrage gegenüber einnehmen und der sich dadurch kennzeichnet, daß die Interessen der Arbeiter zwar vertreten werden sollen, aber nur soweit, als sie mit den Interessen der Unternehmer nicht kollidieren. Ein ernsthafter Arbeiterschutz ist aber nur dann durchführbar, wenn man bei seiner Gestaltung in erster Linie die Arbeiterinteressen vor Augen hat. Der Fortschritt des Arbeiterschutzes hängt darum hauptsächlich von dem Einfluß und der Macht der Arbeiterklasse selbst ab. Und da auf der Verkürzung der Arbeitszeit und der Zusicherung ausreichender Ruhe das Wohl der Arbeiter in erster Linie beruht, ist der größte Nachdruck gerade hierauf zu legen. Wie das Beispiel Englands und der Schweiz beweist, ist jetzt schon ohne wesentlichen Nachteil für die Industrie die Durchführung der Nacht- und Sonntagsruhe möglich, und zwar, bestimmte Ausnahmen abgerechnet, auch für Männer. Was die Ueberstunden betrifft, so zeigt die englische Textilindustrie, daß ihre völlige Aufhebung auch möglich ist, denn sie hat sich trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, so großartig entwickelt. Die Unternehmer, die auf die Höhe ihres Profits nicht verzichten wollten, sahen sich eben genötigt, die fehlenden Menschenkräfte durch schneller produzierende Maschinen zu ersetzen,—ein Prozeß, der stets bei der Verkürzung der Arbeitszeit eintreten muß, so daß der Arbeiterschutz sich als eines der wirksamsten Mittel zur Beschleunigung der allgemeinen industriellen Entwicklung erweist. Auch für Saison- und Campagneindustrien könnten die Ueberzeitbewilligungen erheblich eingeschränkt und der Ausfall durch Mehreinstellung von Arbeitskräften wett gemacht werden. Eine künstliche Einschränkung der in wilder Hetzjagd einander folgenden Modethorheiten wäre auch für die Konsumenten nicht vom Uebel. Zunächst freilich dürfte die Forderung einer Verminderung der Ueberzeitbewilligungen womöglich blos auf solche Fälle, wo Unglücksfälle oder Naturereignisse sie unbedingt notwendig machen, ein frommer Wunsch bleiben, weil er nur auf dem Boden internationaler Vereinbarungen auf Erfüllung rechnen kann. Selbst die vielfach ans Märchenhafte grenzende Entwicklung des Maschinenwesens, die geradezu prädestiniert erscheint, die Arbeitszeit immer mehr zu verkürzen, hat unter der gegenwärtig herrschenden schrankenlosen Konkurrenz nur dazu dienen müssen, den Profit zu erhöhen. Erfindungen, die nur dem Arbeiter nutzen, dem Unternehmer aber keinerlei Vorteil bringen, ja ihm womöglich nur Kosten verursachen, werden ohne äußeren Zwang nirgends eingeführt. Der Staat und die Kommunen, die zwar solche Einrichtungen gesetzlich einführen können, die direkt Leben und Gesundheit der Arbeiter schützen, aber nicht die Befugnis haben, die Unternehmer zur Anschaffung arbeitsparender Maschinen zu zwingen, müßten es als ihre Pflicht betrachten, in ihren eigenen Betrieben darin mit dem guten Beispiel voran zu gehen, und es müßte zu den Aufgaben der Arbeiterorganisationen gehören, überall für ihre Einführung einzutreten. Verbände sich diese Agitation mit einer jedesmaligen Revidierung der Lohntarife, so daß durch neue Maschinen nicht die Einnahmen der Arbeiter verringert würden, so wäre sie eines der wirksamsten Hilfsmittel zur Erreichung des Normalarbeitstags.

Erwägungen ähnlicher Art drängen sich auf, wenn wir die Betriebe betrachten, aus denen die Frauen in Rücksicht auf ihre Gesundheit entweder ganz oder teilweise ausgeschlossen worden sind. Mit Ausnahme derjenigen Beschäftigungsarten, die, wie die Arbeit unter Tage, der Transport von Rohmaterial in Ziegeleien u.s.w., ihrer körperlichen Konstitution nicht entsprechen, sind es entweder solche, die Vergiftungsgefahren mit sich führen, wie die Herstellung elektrischer Akkumulatoren aus Blei oder Bleiverbindungen, die Fabrikation von Arsenik, Nitrobenzin, Bleiweiß u.s.w., oder solche, die die Arbeiterinnen besonders hohen Temperaturen aussetzen, wie die Arbeit in Rohzuckerfabriken, Cichorienfabriken, Drahtziehereien u.s.w. Frankreich ist in diesen Verboten besonders weit gegangen und hat die Frauen fast aus der ganzen chemischen Industrie entfernt. Nun haben wir aber bei der Betrachtung der Lage der Fabrikarbeiterinnen gesehen, daß Vergiftungen durch Blei und Bleiweiß z.B. in der ganzen Textilindustrie vorkommen, der Ausschluß von der Fabrikation und Bearbeitung des Bleis und seiner Verbindungen sie also durchaus nicht davor bewahrt; wir haben ferner gefunden, daß die schwersten körperlichen Leiden die Folgen aller Arten von Arbeiten sein können. Müssen wir demnach fordern, daß alle diese Arbeitsgebiete den Frauen verschlossen werden sollen? Gewiß nicht! Die einzige vernünftige Folgerung wird vielmehr die sein, die Fabrikationsweisen zu reformieren und, wenn es durchführbar ist, die Herstellung gewisser Stoffe ganz zu verbieten. An Mitteln und Wegen dazu fehlt es nicht, wohl aber an der nötigen Initiative, sie zu ergreifen und diejenigen, die sich weigern sollten, gesetzlich dazu zu zwingen. Ein glücklicher Anfang dazu ist kürzlich in Frankreich gemacht worden, wo die Benutzung von Bleiweiß bei Anstreicherarbeiten durch einen Erlaß des Handelsministers verboten wurde, und Zinkweiß,—das allerdings teuerer ist,—an seine Stelle treten soll. In den Textilfabriken, besonders der Spitzenfabrikation, bei der Bleicherei und Appretur, der Papierfabrikation, der Porzellanfabrikation u.s.w. wird überall Bleiweiß verwandt, obwohl es ebenso leicht verhindert werden könnte und auch dann verhindert werden müßte, wenn die betreffenden Waren dadurch auch an Glanz und Weiße verlören.

Gewiß muß die Frauenarbeit für bestimmte, die Kräfte der Frau übersteigende Arbeiten verboten werden, dies Verbot aber systematisch immer weiter auszudehnen ist ein gefährliches Beginnen und zwar gefährlich sowohl im Interesse der Frauen als in dem der Männer. Wenn die Frauen nämlich prinzipiell aus allen gesundheitsgefährlichen Betrieben ausgeschlossen werden sollten, so ist die Grenze für dieses Vorgehen kaum noch zu bestimmen. Andererseits beruhigt man gewissermaßen durch den Ausschluß der Frauen sein Gewissen und überläßt nunmehr die Männer ruhig den gefährlichen Einflüssen der Gifte, der hohen Temperaturen u.s.w., als ob sie völlig unempfänglich dafür wären! Der richtige Weg wäre vielmehr der, durch Herabsetzung der Arbeitszeit, durch genaue Vorschriften in Betreff der Kleidung, durch Schutzeinrichtungen aller Art, durch Ventilation, Staubabsaugung, gründliche Reinigung, zwangsweise Einführung aller derjenigen Maschinen, die die Gefahr verringern, schließlich auch durch Verbot der Herstellung entbehrlicher Giftstoffe vorzugehen.924 Auch hier hätten kräftige Gewerkschaften ein fruchtbares Feld der Thätigkeit vor sich, indem sie die Arbeit in gefährlichen, nicht genügend geschützten Betrieben und die Herstellung entbehrlicher Gifte verweigern sollten.

Die geringere Widerstandskraft der Arbeiterin gegen gewerbliche Schädlichkeiten ist kein ursprüngliches Charakteristikum ihres Geschlechts, sie ist vielmehr die Folge seiner ganzen künstlich gesteigerten Entartung durch verkehrte Erziehung, unhygienische Kleidung, schlechte Ernährung,—viel schlechter als die der Männer,—doppelte Arbeitslast, sobald es sich um Verheiratete handelt, vor allem aber durch Hungerlöhne. An die Wurzeln des Uebels ist daher auch hier die Axt anzulegen. Es giebt Hygieniker, die so weit gehen, den Schutz der Arbeiterin auch während der Menstruation für notwendig zu erklären. Sehen wir einmal von der Undurchführbarkeit solcher Maßregel ab, so haben wir schon einmal betont, daß diese Funktion der weiblichen Geschlechtsorgane durchaus nichts Krankhaftes ist und die Leistungsfähigkeit nicht hindert. Wenn sie zur Krankheit wird, so sind die Grundlagen dazu in der Jugend, vor allem in der Entwicklungszeit gelegt worden. Die Gesetzgebung hat daher, will sie zur Kräftigung der Arbeiterin beitragen, die Pflicht, die Arbeitszeit jugendlicher Arbeiterinnen auf das äußerste zu beschränken, wenn nicht die Erwerbsarbeit der Mädchen unter sechzehn Jahren überhaupt zu verbieten. Das könnte für die jugendlichen Arbeiter in gleicher Weise geschehen, weil sich erwiesenermaßen ein Knabe zwischen vierzehn und sechzehn Jahren, wenigstens unter unseren Breitengraden, in der Zeit lebhaftesten Wachstums befindet, und ebenso der Schonung bedarf, wie das Mädchen. Eine gesunde Arbeiterin, die nicht schon in der frühsten Jugend all ihre Kraft dem Erwerb hat opfern müssen, wird dann, wenn sie in das Berufsleben eintritt, von der Menstruation nicht mehr spüren, als ein Mann vom Schnupfen.

Ganz anders liegt die Frage, sobald es sich um Schwangere und Wöchnerinnen handelt. Einen gesetzlichen Schutz der Schwangeren kennt nur die Schweiz. Neuerdings sucht ihn Dänemark, wo er sich sogar auf vier Wochen ausdehnen soll, einzuführen.925 Ueber seine Berechtigung dürfte nirgends ein Zweifel bestehen, es fragt sich nur, ob mit einem bloßen Arbeitsverbot für eine kurze Zeit vor der Entbindung genug geschehen ist. Hirt verlangt, daß die Thätigkeit der Frauen während der zweiten Hälfte der Schwangerschaft in bestimmten Gewerben ganz verboten werden soll; dazu gehört die Näherei, die Färberei und Stoffdruckerei, die Fabrikation vom gefärbtem Papier, künstlichen Blumen, Spitzen und Phosphorstreichhölzern. Hierbei zeigt sich aber dasselbe, wie bei der Erörterung des Ausschlusses aller Frauen aus gesundheitsgefährlichen Betrieben: warum bei diesen Industrien stehen bleiben, wo doch eine ganze Anzahl anderer,—ich erinnere nur an die Tabakindustrie,—für die Schwangere und den Fötus ebenso bedenklich sind? Da es sich aber in diesem Fall um die kommende Generation handelt, so genügt zu ihrem Schutz die Erfüllung der Forderungen, die wir bei jener Gelegenheit aufstellten, nicht, und es wäre zweifellos das Beste nicht nur für die zweite Hälfte der Schwangerschaft,—bekanntlich bringt die erste schwere Gefahren mit sich,—sondern für die ganze Zeit der Schwangerschaft überhaupt, die Fabrikarbeit zu verbieten. Dadurch aber würde den Frauen unter den gegenwärtigen Verhältnissen viel mehr geschadet als genutzt werden, denn sie würden sich scharenweise der Hausindustrie und der Heimarbeit zuwenden müssen. Ein Arbeitsverbot von vier Wochen vor der Entbindung ist daher das äußerste, was im Augenblick von der Gesetzgebung verlangt werden kann.

Die Wöchnerin erfreut sich jetzt schon fast überall eines Schutzes, Frankreich macht beinahe allein eine unrühmliche Ausnahme hiervon, aber die Schutzzeit ist nur in der Schweiz auf sechs Wochen, d.h. auf diejenige Zeit festgesetzt, in der bei normalem Verlauf des Wochenbettes die Rückbildung der Organe stattgefunden hat. Deutschland, das gleichfalls sechs Wochen der Ruhe bestimmt, hat auch hier durch die Gestattung von Ausnahmen die Regel so gut wie umgestoßen. Aber selbst eine sechswöchentliche Schutzzeit ist nur für vollständig gesunde Frauen und nur für diese allein ausreichend, das Kind, dem die Mutterbrust und die mütterliche Pflege nach dieser Frist schon entzogen wird, hat eine nicht viel größere Aussicht das erste Jahr zu überleben, oder, wenn es geschieht, sich zu einem kräftigen Menschen zu entwickeln, als wenn die Mutter es bereits nach vier Wochen verlassen hätte. Angesichts dieser Thatsache liegt die Notwendigkeit der Forderung einer längeren Schutzzeit auf der Hand. Wie weit aber soll sie sich ausdehnen? Die deutsche sozialdemokratische Reichstagsfraktion fordert acht Wochen, erfahrene Mediziner neun Monate. Der ideale und erstrebenswerteste Zustand ist es freilich, wenn die Mutter ebenso wie neun Monate vor so neun Monate nach der Geburt von der Erwerbsarbeit befreit ist und den Säugling so lange nähren kann, als es sich möglich und notwendig erweist. Aber wir haben leider mit sehr realen Verhältnissen zu rechnen. Schon heute sehen sich viele Mütter, denen die Thore der Fabrik noch geschlossen sind, bald nach der Geburt gezwungen, als Heimarbeiterin, Aufwärterin u. dergl. dem Verdienst nachzugehen. Ein auf Monate ausgedehnter Schutz würde überall zu diesem Resultat führen und jeder Art nicht oder schwer kontrollierbarer Arbeit zu enormem Aufschwung verhelfen, während es unser ganzes Bestreben sein soll, gerade diese aus dem Wege zu schaffen. Wir werden uns daher auch hier für die Gegenwart bescheiden müssen, und den achtwöchentlichen Schutz als die äußerste Forderung aufstellen. Im Interesse der Kinder aber muß sie mit der Forderung an die Kommunen Hand in Hand gehen, in allen Industrie-Zentren, wo verheiratete Frauen in bestimmtem Umfang beschäftigt werden, Kinderkrippen in ausreichender Anzahl zu errichten, und Anordnungen zu treffen, denen zufolge den Müttern die Zeit gewährt wird, dort ihre Kinder zu nähren. Aber auch hier, wie für das ganze Gebiet des Arbeiterschutzes, ist die grundlegende Bedingung jeden Fortschritts die allmähliche Herabsetzung der Arbeitszeit bis zum Normalarbeitstag von acht Stunden. Alle anderen Forderungen stehen dieser einen gegenüber in zweiter Linie. Gerade für die Frau als Mutter ist die Beschränkung der Arbeitszeit von der allergrößten Wichtigkeit; auf ihr beruht die Möglichkeit ihrer physischen und geistigen Kraft und Entwicklungsfähigkeit, und damit die ganze Zukunft ihrer Kinder.

Betrachten wir nunmehr das Gebiet der Arbeit, über das die Schutzbestimmungen sich ausdehnen, so zeigt unsere Uebersicht auf den ersten Blick, daß es ein sehr beschränktes ist. Sie finden in allen Ländern nur auf die Fabrikarbeiter eine gleichmäßige, allgemeine Anwendung, die Arbeiter in der Landwirtschaft und die Dienstboten sind ganz davon ausgeschlossen, die Handelsgehilfen, die Kellner und die Heimarbeiter fast ganz, nur die Werkstattarbeiter der Hausindustrie genießen scheinbar relativ am meisten die Segnungen des Arbeiterschutzes. Der Grund für die Zaghaftigkeit der europäischen Gesetzgeber, die sich besonders in ihrer Haltung gegenüber der Heimarbeit äußert, ist einerseits die Rücksicht auf die Geschlossenheit der Einzelfamilie, und andererseits die Angst, eine der Stützen unserer industriellen Entwicklung zu untergraben.

Die gesetzgeberischen Maßregeln, die die Hausindustrie berühren, lassen sich in drei Kategorien einteilen: eine, von den Grundsätzen des Arbeiterschutzes ausgehende, die gegenüber den Hausindustriellen in ähnlicher Weise verfährt, wie gegenüber den Fabrikarbeitern, die Schwachen also gegen die allzu rücksichtslose Ausbeutung der Starken zu schützen und den wirtschaftlichen Egoismus einzudämmen sucht; eine zweite, die den Interessen der Konsumenten ihre Entstehung verdankt und sich auf sanitäre Vorschriften beschränkt, und eine dritte endlich, deren Ziel es ist, die Heimarbeit zu unterdrücken. Von diesen drei Gesichtspunkten aus werden wir die einschlägige Gesetzgebung und ihre Wirkungen zu betrachten haben.

Die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie ist die landläufigste, oft ziemlich gedankenlos nachgesprochene Forderung, durch deren Erfüllung man ihren schädlichen Auswüchsen wirksam zu begegnen glaubt. Sie ist denn auch teilweise verwirklicht worden, indem sie aber in den europäischen Staaten und auch in einem Teil der außereuropäischen vor der Heimarbeit und der Familienwerkstatt Halt machte. In England, Frankreich und Oesterreich sind die Werkstätten in Bezug auf den Arbeiterschutz den Fabriken gleichgestellt; England wagt sogar die scharf gezogene Grenze der Familienwerkstatt zu überschreiten, sofern Kinder und junge Leute in ihr beschäftigt werden; Frankreich unterwirft auch Werkstätten religiöser Kongregationen und solche, die von Wohlthätigkeitsanstalten abhängen, dem Gesetz, während Oesterreich sie nicht mit einschließt. Die Schweiz dehnt den Arbeiterschutz auf alle Werkstätten aus, die mehr als 6 Personen beschäftigen, und auf alle ohne Unterschied, in denen ein gefährliches Gewerbe betrieben wird. Neu-Seeland und Viktoria endlich haben auch auf die Familienwerkstätten, in dem einen Fall, soweit 2, in dem anderen, soweit 4 Personen darin beschäftigt sind, den Arbeiterschutz ausgedehnt.

Vergegenwärtigen wir uns dem gegenüber einmal die äußere Situation der Hausindustrie: sie breitet sich über die großen Städte, wie über die kleinen, über das flache Land und das einsame Dörfchen, wie über die unzugänglichsten Thäler und Hochplateaus der Gebirge aus. Sie haust im Kellerwinkel und in der Dachkammer, sie versteckt sich hinter dem Glanz besserer Tage im Salon der Damen der bürgerlichen Welt. Sie hat in den Großstädten keinen festen Sitz, denn keinerlei schwer bewegliche Maschinen, wie im Fabrikbetrieb, fesseln sie an die Scholle, ihre Werkstätten sind ebenso schnell aufgeschlagen, wie abgebrochen. Hat der gesetzliche Arbeiterschutz dem gegenüber irgend eine Aussicht zur Wirksamkeit? Selbst ein Heer von Beamten könnte ihm nicht dazu verhelfen. Es ist wohl mit diese Erwägung, die in den Ländern, wo die Hausindustrie einen besonders breiten Raum einnimmt, die Familienwerkstätte außerhalb des Gesetzes stellen hieß. Dadurch beschränkt sich der der Aufsicht unterstehende Kreis natürlich bedeutend, die Elendesten und Unglücklichsten, zu denen die Frauen und Kinder das größte Kontingent stellen, werden damit schutzlos der Ausbeutung preisgegeben, ohne daß den Werkstattarbeitern wesentlich geholfen wäre. Denn die Schwierigkeit der ausreichenden Beaufsichtigung wird noch durch die Stumpfheit der zu Schützenden gesteigert. Die Existenz der Hausindustrie beruht im wesentlichen auf der Thatsache, daß die menschliche Arbeitskraft billiger arbeitet als die maschinelle; die notwendige Ergänzung aber der niedrigen Löhne ist die lange Arbeitszeit. Die Menschen, vor allem die Frauen, die diesen Bedingungen bisher immer unterworfen waren, sind nicht einsichtsvoll genug, um die Durchführung der Gesetze zu unterstützen. Sie werden im Gegenteil, von einzelnen Kreisen aufgeklärter großstädtischer Arbeiter abgesehen, in der Beschränkung ihrer Arbeitszeit eine unwillkommene Verminderung ihrer an sich schon kärglichen Einnahmen sehen und die Bestimmungen des Gesetzes zu umgehen suchen. Dabei ist ihre Organisationsfähigkeit nicht nur infolge ihrer niedrigen Lebenshaltung und ihrer Arbeitsüberlastung, sondern auch infolge ihrer Vereinzelung eine sehr geringe, so daß auch hier nur in seltenen Fällen an die Stelle des einzelnen Schwachen die durch ihre Vereinigung starke Gesamtheit treten kann.

Diese Thatsachen sind den Gesetzgebern nicht fremd geblieben. Sie haben daher verschiedene Versuche gemacht, zunächst einmal den Kreis der Hausindustriellen, auf die das Gesetz Anwendung finden soll, festzustellen. Soweit es sich um Werkstätten handelt, haben die australischen Staaten Viktoria und Neu-Seeland für sie die alljährlich zu wiederholende Registrierung vorgeschrieben und verfügt, daß eine Werkstatt erst dann als solche benutzt werden darf, wenn der Gewerbeinspektor, dem ihre Anmeldung einzureichen ist, die Erlaubnis dazu erteilt hat. Durch diese Maßregel sollen einerseits die Werkstätten zur Kenntnis der Behörden kommen, andererseits die sanitätspolizeiliche Kontrolle von Anfang an ermöglicht werden. Was aber in einem kleinen Staate möglich ist, wird in einem großen mit ausgedehnter Hausindustrie fast undurchführbar. Denn im Grunde müßte wieder eine Kontrolle notwendig sein, um festzustellen, ob die vorschriftsmäßige Anmeldung zur Kontrolle auch durchgängig erfolgt. Die englische Arbeitskommission hat im Hinblick hierauf seinerzeit vorgeschlagen, den Hauseigentümer, eventuell auch den Verleger für die rechtzeitige Anmeldung haftbar zu machen.926 Aber selbst wenn die Kontrolle dadurch gesichert würde, bliebe ein großer Nachteil bestehen: nicht immer könnte der Gewerbeinspektor zur Inspizierung sofort zur Stelle sein, die dadurch notwendig werdende Arbeitspause bedeutete aber stets einen empfindlichen Ausfall am Verdienst.

Um neben den Hausindustriellen auch die Heimarbeiter zu erfassen, haben eine Anzahl nordamerikanischer und australischer Staaten den Verlegern die Pflicht auferlegt, genaue Listen ihrer Arbeiter zu führen, die auf Verlangen dem Gewerbeinspektor vorzulegen sind, und England ist noch einen Schritt weiter gegangen, indem es, allerdings nur für eine beschränkte, Zahl von Gewerben, verlangte, daß die Werkstattinhaber und Liefermeister jährlich zweimal die Namen und Adressen ihrer Arbeiter dem Gewerbeinspektor einzureichen haben.927 Diese Bestimmung ist gewiß eine sehr beachtenswerte, die Nachahmung verdient; einen wirklichen Wert aber hat sie nur dann, wenn die Beamten auch im stände sind, sämtliche Arbeiter ausreichend zu kontrollieren. Das aber ist, nach Lage der Sache, völlig aussichtslos. Ein besserer Weg, um die Durchführung der Schutzgesetze zu gewährleisten, scheint demnach der zu sein, die Verantwortlichkeit dafür auf eine Reihe von Personen auszudehnen und so eine Art freiwillige Inspektion zu schaffen, die die staatliche unterstützt. Die englische Gesetzgebung hat für bestimmte Gewerbe demgemäß entschieden und den Unternehmer für haftbar erklärt, wenn seine Arbeiter unter gesundheitsgefährlichen Bedingungen beschäftigt werden. Diese Bestimmung kann aber nur insoweit von Nutzen sein, als es sich etwa um die Beschaffenheit der Werkstätten in sanitärer Hinsicht handelt. Das Wichtigste aber, die Sicherstellung der Arbeitszeit, der Pausen, des Wöchnerinnenschutzes etc. etc. kann dadurch nicht gewährleistet werden, weil auch der Unternehmer keine ständige Kontrolle ausüben kann und sich kaum dazu gezwungen sieht, denn er weiß viel zu genau, wie selten die Uebertretung der Vorschriften konstatiert werden würde. Was Thun von einem rheinischen Industriellen erzählt, der, als er wegen der Uebertretung des Kinderschutzgesetzes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, ausrief: "Das schinde ich in acht Tagen wieder aus den Kindern heraus"928, würde sich hier mit einigen Variationen wiederholen; die Verantwortlichkeit müßte daher nicht nur von dem Unternehmer getragen werden. Beatrice Webb schlägt vor, daß auch der Hausherr und Vermieter der Werkstatt haftbar gemacht werden müßte.929 In New-York ist diese Forderung teilweise zum Gesetz erhoben worden, und der Hausherr muß für bestimmte Gewerbe dafür einstehen, daß die Waren erst dann hergestellt werden, wenn die Anmeldung der Werkstätte bei der Aufsichtsbehörde erfolgte. Ueber diese Bestimmung hinaus scheint mir die Haftbarmachung praktischerweise auch nicht gehen zu können, weil andernfalls eine für den Werkstattinhaber und seine Familie unerträgliche Chikanierung seitens des Hausherrn daraus entstehen würde. Hat der Hausherr oder sein Vertreter,—und man mache sich einmal klar, welche Art Menschen das häufig sind, und wie sie von Anfang an dem armen Arbeiter mißtrauisch gegenüberstehen,—die Berechtigung, seine Mieter zu kontrollieren, so kann er das Dasein derjenigen, die ihm aus irgend einem Grunde mißliebig sind, zu einem qualvollen gestalten, von Uebergriffen aller Art zu geschweigen, die die Folge sein müßten. Diese Art Kontrolle könnte außerdem immer nur im Weichbild der Städte möglich sein, weil z.B. die Hausindustriellen auf dem Lande und im Gebirge nicht nur häufig Besitzer ihrer armseligen Werkstatt sind, sondern auch weitab vom Verleger wohnen.

Noch ein Mittel bleibt zu erwähnen, das für einen begrenzten Kreis von Arbeitern die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit sichern helfen soll. Es besteht in dem Verbot, den Fabrik- oder Werkstattarbeitern nach Ablauf der Arbeitszeit noch Arbeit mit nach Hause zu geben. England ist in dieser Weise vorgegangen, hat aber ausdrücklich bestimmt, daß nur dann die Mitnahme von Arbeit nach Hause gestattet werden darf, wenn die Arbeiterin in der Werkstatt nicht die volle Arbeitszeit beschäftigt wurde. Den Uebergriffen ist infolgedessen Thür und Thor geöffnet, weil unmöglich festgestellt werden kann, ob man ihr für den ihr gesetzlich zur Verfügung stehenden Rest der Arbeitszeit zu viel Arbeit mit nach Hause gab, oder nicht. Man glaubte, durch die Fassung des Gesetzes auf die Frauen Rücksicht nehmen zu müssen, die, weil sie Kinder zu hüten und ein Hauswesen zu leiten haben, nur stundenweise in der Werkstatt arbeiten können; ihnen wollte man nicht die Möglichkeit rauben, durch häusliche Arbeit den geringen Verdienst etwas zu erhöhen, und opferte dieser Rücksicht die viel wichtigere auf Hunderte anderer Frauen, denen dann vom Zwischenmeister so viel Arbeit aufgebürdet werden kann, daß sie zwar zu Hause bis in die Nacht hinein arbeiten müssen, aber weder Zeit finden, für ihre Kinder, noch für ihr Hauswesen zu sorgen. Soll, wenigstens auf diesem immerhin nur kleinen Gebiet, die weibliche Arbeiterin vor Ausbeutung geschützt werden, so muß das Verbot, Arbeit mit nach Hause zu nehmen, ein unbedingtes sein.

Unsere ganze Betrachtung der Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Hausindustrie läuft darauf hinaus, daß alle Bemühungen, sie in vollem Umfang durchzusetzen, fruchtlose bleiben. Der wesentliche Grund dafür ist der, daß die Wasser der Hausindustrie in zahllose kleine, versteckte Rinnsale auseinanderfließen, die sich notwendigerweise der Aufsicht entziehen. In dem schmerzlichen Gefühl der Resignation angesichts dieser Erkenntnis haben sich manche Gesetzgeber darauf beschränkt, die Wirkungen der Hausindustrie durch allgemeine sanitäre Vorschriften abzuschwächen. Sie gingen dabei ursprünglich nicht vom Interesse der Arbeiter, sondern von dem der Konsumenten aus, die sie vor dem Einfluß der unter gesundheitswidrigen Bedingungen hergestellten Waren zu schützen suchten. In den Staaten der nordamerikanischen Union ist dieses System am weitesten ausgebildet worden. Epidemien, deren Herd die Schwitzhöhlen der Hausindustrie waren, gaben den Anstoß dazu. Man verfügte, um die gefährliche Ueberfüllung der kleineren Arbeitsstuben zu vermeiden, daß in den Zimmern der Mietshäuser, die zugleich zum Essen und Schlafen benutzt werden, fremde Arbeitskräfte zur Herstellung verkäuflicher Waren nicht beschäftigt werden dürfen. Es war dies zugleich ein erster, vielverheißender Schritt zur zwangsweisen Einrichtung abgesonderter Werkstätten, es war aber auch zugleich eine indirekte Unterstützung der Familienwerkstätten, in denen die Ausbeutung ihre Orgien feiern konnte. Die Industrie wird immer der billigsten Arbeit nachgehen, und so hat das Gesetz eine Ausbreitung der Heimarbeit eher fördern als hindern helfen.930 Um aber auch die Familienwerkstatt und ihre Gesundheitsverhältnisse unter Aufsicht halten zu können, wurde ihre Anmeldepflicht bei der Sanitätspolizei und ihre Lizenzierung durch sie eingeführt. Für die Befolgung dieser Vorschrift machte man in New-York den Hausherrn, in Massachusetts den Verleger haftbar. Auf diese Weise werden die Arbeitsräume, zum Teil nur soweit sie der Konfektionsindustrie dienen, wie in Massachusetts, zum Teil soweit überhaupt Waren darin erzeugt oder hergestellt werden, der Kontrolle der Sanitätsinspektion unterstellt. Einzelvorschriften, wie das Verbot, Waren in Wohnungen herzustellen, wo ansteckende Krankheiten herrschen, das auch England erlassen hat, sind die natürliche Folge hiervon. Man ist aber zum Schutze des Publikums noch weiter gegangen, In New-York, Massachusetts und Neu-Seeland bestimmt das Gesetz, daß Waren, von denen in Erfahrung gebracht wird, daß sie Werkstätten oder Familienbetrieben entstammen, die einer Lizenz ermangeln, oder daß sie sonst unter ungesunden Bedingungen entstanden, vom Sanitäts- oder Gewerbeinspektor mit einer Marke versehen werden müssen, die die Bezeichnung Tenement made enthält, also sowohl Händler wie Konsumenten vor dem Kauf abschreckt. Waren, die in Räumen verfertigt wurden, in denen ansteckende Krankheiten herrschen, müssen nach der Markierung desinfiziert werden und zwar erstrecken sich all diese Vorschriften auch auf von auswärts eingeführte Verkaufsgegenstände. Diese ganze, in der Idee gut gemeinte Einrichtung trägt aber den Stempel völliger Unzulänglichkeit schon an der Stirn, ja sie führt zu bedenklichen Konsequenzen. Denn wer vermöchte dafür einzustehen, daß jedes Kinderjäckchen, das im Zimmer des Typhuskranken entstand, jede Cigarre, die neben dem Bett des Schwindsüchtigen gearbeitet wurde, jedes Hemd, das eine arme Mutter am Bett ihres diphtheritiskranken Kindes nähte, kontrolliert und markiert werden kann?! Und wer will dem Ballen Tuch, oder den Jacken und Blusen, die in Massen von einer Stadt, von einem Land zum anderen versandt werden, ansehen, ob sie Krankheitskeime enthalten oder nicht? Die Angst vor der Markierung und Entwertung der Waren zwingt die Heimarbeiter aber auch zu einem förmlichen System der Verheimlichung und Vertuschung. Noch später als bisher werden sie sich entschließen, den Arzt zu holen oder ansteckende Krankheiten zur Anzeige zu bringen. Und selbst wenn die verhängnisvolle Marke an den Waren hängt, wird sie auf der großen Reise, die sie antritt, trotz aller auf ihre Beschädigung oder Entfernung verhängten Strafen, daran bleiben? Es ist ein utopischer Gedanke, daß ein gesäumtes Taschentuch oder ein Strumpf von ihrem Entstehungsort bis zu ihrer letzten Bestimmung kontrolliert werden können! Haftet aber die Marke trotz alledem, so wird die traurige Scheidung zwischen Reich und Arm noch in erweitertem Maße als bisher sich vollziehen: es werden Kreise von Händlern sich bilden, die die entwerteten Waren aufkaufen und sie an diejenigen absetzen, die das Tenement made gern in den Kauf nehmen, wenn sie dafür weniger zu bezahlen brauchen. Also selbst die Durchführbarkeit der Markierungsvorschriften vorausgesetzt, würden sie nur dem Schütze der begüterten Käufer dienen.

Wenn wir uns nunmehr die Schwierigkeiten, mit denen die Hausindustrie-Gesetzgebung zu kämpfen hat, und an denen sie nach jeder Richtung hin scheitern muß, vergegenwärtigen, so zeigt es sich, daß sie sich alle unter dem einen Wort Heimarbeit zusammenfassen lassen,—Heimarbeit im weitesten Sinn, die sowohl die Arbeit der einzelnen Frau in ihrem Stübchen, als die Familienwerkstatt und die kleine Werkstatt der Zwischenmeister in den von ihnen bewohnten Räumen in sich begreift. Das ist der ungeheuere Abgrund, den die Arbeiterschutzgesetzgebung nicht zu überbrücken vermochte, in den sie vielmehr Jahr um Jahr Tausende von Menschen hinabstößt, vor allem die schwächsten, die Kinder und die Frauen. Um den Arbeiterschutzvorschriften zu entgehen, die Kosten der Fabrikanlagen zu ersparen und das Risiko der stillen Zeiten und der Krisen auf die Arbeiter abzuwälzen, hat das Unternehmertum die Hausindustrie großgezogen. Wird sie von der Gesetzgebung gleichfalls erfaßt, so wirft sich die Profitgier auf die Ausbeutung der Heimarbeit. Selbst eine so geringfügige Vorschrift wie die deutsche Konfektionsverordnung, hat vielfach schon eine Zunahme der Heimarbeiter zur Folge gehabt931, und die Einführung des achtstündigen Normalarbeitstages für Fabriken und Werkstätten in Australien hat die Heimarbeit dort erst ins Leben gerufen.932 Vor ihr aber steht, unter dem Banne geheiligter Traditionen der europäische Gesetzgeber still, der die Schwelle des Hauses nicht zu überschreiten wagt, auch wenn sie längst nicht mehr zu den heimlichen Freuden innigen Familienlebens, sondern nur in die düstere Werkstatt der Familienausbeutung führt. Vielleicht hält ihn auch eine unbestimmte Furcht zurück, die Grenzen seiner Macht, der für grenzenlos gehaltenen, zu erkennen. Der Amerikaner und der Australier, den sentimentale Rücksichten nicht mehr in dem Maße beherrschen, hat sich den Eintritt erzwungen, aber all seine Pillen und Tränke, die er gegen die große Krankheit da drinnen verordnete, sind wirkungslos geblieben. Begreiflich genug, denn es giebt keine Hilfe; es ist eine Krankheit, die rettungslos zum Tode führt. Viele verschließen sich der Richtigkeit dieser Diagnose, andere erkennen sie an, aber nach dem Beispiel der Aerzte am menschlichen Totenbett suchen sie das entfliehende Leben mit allen Mitteln der Kunst aufzuhalten, und nur sehr wenige sehen darin die ärgste Grausamkeit und wollen den Todeskampf zwar erleichtern, den Auflösungsprozeß aber beschleunigen. Es kann nach allem bisher Gesagten keinem Zweifel unterliegen, auf wessen Seite wir uns zu stellen haben.

Zuerst waren es englische Arbeiter, die in der Erkenntnis der Aussichtslosigkeit jeder gewerkschaftlichen Bemühung um bessere Arbeitsbedingungen, solange die Schmutzkonkurrenz der organisationsunfähigen Heimarbeiter besteht, die Beseitigung der Heimarbeit anzustreben suchten. Sowohl die Schuhmacher wie die Schneider führten einen heftigen Kampf gegen die Unternehmer, um sie zu zwingen, alle Arbeiter nur in eigenen Werkstätten zu beschäftigen. Die Schuhmacher erreichten vielfach ihr Ziel durch Arbeitseinstellungen, die Schneider blieben fast ganz erfolglos, auch ihr Appell an die Konsumenten, nur in solchen Geschäften zu kaufen, die in Betriebswerkstätten arbeiten lassen, fand nicht das Gehör, das notwendig gewesen wäre, wenn es hätte Eindruck machen sollen.933 Ein Teil der englischen Sozialdemokratie, die auf dem Züricher Arbeiterschutzkongreß vertreten war, sprach sich im Sinne der Arbeiter aus und befürwortete eine Resolution, die die Abschaffung der Heimarbeit als Ziel der notwendigen, gesetzgeberischen Maßregeln hinstellte. Aber selbst vor diesem Forum fand sie keine Annahme. Mit der Forderung, Betriebswerkstätten einzurichten, traten auch die deutschen Arbeiter 1895 vor die Konfektionäre, und legten, um den Streit auszufechten, im Winter 1896 die Arbeit nieder. Nur das völlig ungenügende Gesetz, das die Werkstattarbeiter der Konfektion der Arbeiterschutzgesetzgebung unterstellte, war die Folge ihres Kampfes. Gegen die Heimarbeit, von der er ausging, geschah nichts.934

Der schroffe Widerstand der Unternehmer gegen die Einrichtung von Betriebswerkstätten, die noch dazu, wo der Wunsch danach bisher auftauchte, von keinem Parlament befürwortet wurden, ist von ihrem Standpunkt aus vollkommen erklärlich: die Errichtung oder Miete von Räumen für die Werkstätten, die Anschaffung von Maschinen, die Anstellung von Werkführern, und nicht zum mindesten die schließlich folgenden Unbequemlichkeiten und Kosten des Arbeiterschutzes und der Arbeiterversicherung, denen sie bei der Beschäftigung von Hausindustriellen fast ganz entgehen, würde eine Kapitalanlage erfordern und den Profit zunächst so beschneiden, daß auch für die Zukunft an ein Nachgeben der Unternehmer um so weniger zu denken ist, als die in Betracht kommenden Arbeiter unter den gegenwärtigen Verhältnissen zu einer geschlossenen starken Organisation, die ihren Wünschen den nötigen Nachdruck verleihen kann, niemals gelangen werden. Infolgedessen sind einzelne Gruppen von Arbeitern vielfach zur Selbsthilfe geschritten. In Genf und Lausanne, in Bern und in Zürich waren es die Schneider, die sich mit Unterstützung ihrer Gewerkschaft eigene Werkstätten einrichteten, in Wien thaten die Meerschaumschnitzer das gleiche.935 Die ganze Bewegung beschränkte sich aber auf kleine Kreise, weil einerseits keinerlei Zwang vorlag, ihr beizutreten, und andererseits das nötige Kapital fehlte, um durch Anschaffung neuer Maschinen und Anwendung motorischer Kräfte schnellere und bessere Arbeit zu liefern, und auf diese Weise der primitiven Heimarbeit den Boden abzugraben. Die Genfer Stadtverwaltung, an die die Schneider sich um Unterstützung wandten, erkannte zwar die Berechtigung ihrer Bestrebungen an, glaubte aber, in Rücksicht auf den Stadtsäckel, keinen Präzedenzfall schaffen zu dürfen.

Ein anderes Mittel, die Heimarbeit möglichst einzuschränken, forderte ein Gesetzentwurf, den der Minister Peacock 1895 dem Parlament von Viktoria vorlegte, der sich aber auch nur auf die Konfektionsindustrie bezog. Er enthielt die Bestimmung, daß Heimarbeiter nur gegen Erlaubnisscheine beschäftigt werden dürften, und zwar sollten nur diejenigen, die ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und dabei aus irgend einem Grund an ihr Haus gefesselt sind, darauf Anspruch erheben können; diese Einschränkung aber hätte, wenn das Gesetz in Wirksamkeit getreten wäre, seine Wohlthat wieder annulliert. Praktischer und durchgreifender erscheint daher der Vorschlag eines deutschen Sozialpolitikers, der gleichfalls in der schließlichen Unterdrückung der Heimarbeit die einzige Lösung der brennenden Frage sieht, und zwar den gegenwärtig beschäftigten Heimarbeitern ihre Arbeit im eigenen Haus gegen Ausstellung von Erlaubnisscheinen noch gestatten, neu eintretende aber davon ausschließen will, so daß die Heimarbeit dadurch auf den Aussterbeetat gesetzt wird.936 Die hier gekennzeichneten Forderungen und Wünsche sind, jede für sich, berechtigt, aber sie sind entweder in der angegebenen Form unerfüllbar, oder sie würden sich, wenn sie verwirklicht wären, der großen Aufgabe gegenüber als viel zu schwach erweisen. Die Beseitigung der Heimarbeit kann, soll sie nicht zu einer grausamen Härte werden, nur das Resultat einer systematischen Gesetzgebung sein, die sich organisch und doch nach einem festen, das Ziel nie aus dem Auge verlierenden Plan entwickelt. Als erster Schritt zu diesem Ziel wäre die Verbindung von Wohnung und Werkstatt allen denjenigen zu verbieten, die fremde Arbeiter bei sich beschäftigen, und die Mitgabe von Arbeit nach Hause ausnahmslos zu untersagen; die Gewerbeinspektoren, deren Zahl um ein beträchtliches erhöht werden müßte, hätten die Durchführung der Vorschrift zu beaufsichtigen, während die Verantwortung dafür auch vom Verleger zu tragen wäre. Um aber zu gleicher Zeit die Zwischenmeister, häufig selbst nur wenig besser gestellte Proletarier, nicht zu ruinieren, müßten alle Gemeinden, in deren Bereich sich hausindustrielle Betriebe befinden, verpflichtet werden unter Heranziehung der Unternehmer zu den Kosten, besondere, allen Anforderungen der Hygiene entsprechende Räume, womöglich eigens für den Zweck erbaute fabrikähnliche Gebäude mit Motorbetrieb, den Hausindustriellen gegen eine Miete, die die früher dafür aufgewendeten Mittel nicht übersteigen dürfte, zur Verfügung zu stellen. Auf alle diese Werkstätten wären sodann sämtliche Vorschriften der Arbeiterschutzgesetzgebung auszudehnen, und Staat und Kommunalverwaltungen hätten die Verpflichtung einzugehen, ihre Aufträge nur von solchen Werkstätten ausführen zu lassen.937

Bliebe man aber hierbei stehen, so würden die Familienwerkstätten selbstverständlich, den Erfahrungen in anderen Ländern entsprechend, enorm zunehmen. Dem müßte die Gesetzgebung vorgreifen, indem sie nunmehr das Verbot der Verbindung von Werkstatt und Wohnung auch auf die Familienwerkstatt ausdehnte. Nur solchen Personen, die in Rücksicht auf zu beaufsichtigende Kinder, oder zur Pflege alter Angehöriger oder durch eigene Gebrechlichkeit gezwungen sind, daheim zu bleiben, wären zunächst Erlaubnisscheine für die Ausübung ihres Berufes im Hause zu erteilen. Nach dem Inkrafttreten dieser Bestimmungen hätte die kommunale Armenverwaltung ihre Aufmerksamkeit den noch vorhandenen Heimarbeitern zuzuwenden und nach Maßgabe des Bedürfnisses, Kinderkrippen und Kinderhorte, Heimstätten und Siechenhäuser zu schaffen oder zu erweitern, oder durch direkte Unterstützung da einzugreifen, wo es not thut, so daß nach Ablauf einer gewissen Uebergangszeit sämtliche Heimarbeiter in die Werkstätten übergeführt werden könnten, und die Kinder, die Alten und Leidenden versorgt sind. Die selbstverständliche Voraussetzung für den Eingriff der Armenpflege wäre natürlich, daß alle, die Armen entehrenden Bestimmungen, wie z.B. die Entziehung des Wahlrechts, in Fortfall kämen. Die Pflege der Kranken, Alten und Gebrechlichen ist eine Pflicht der Gesellschaft, auf deren Erfüllung sie Anspruch haben, und die Armut gewissermaßen zu bestrafen, ist ein trauriges Zeichen für die völlige Verwirrung klarer Begriffe.

Nachdem alle diese Voraussetzungen erfüllt sind, könnte gegen die Heimarbeit, die noch immer ihr Leben fristen wird, mit größerem Nachdruck vorgegangen werden. Die Näherei in all ihren verschiedenen Zweigen käme zunächst in Betracht, weil sie sich am leichtesten überall zu verbergen vermag. Hier müßte eine neue Maßregel einsetzen: das Verbot des Antriebs der Maschinen durch menschliche Kraft überall dort, wo nicht für den Hausgebrauch gearbeitet wird. Ganz abgesehen davon, daß nach Ansicht aller Aerzte und Pflegerinnen die Einführung des Dampfbetriebs in der Näherei mehr als manches andere zur Hebung der Gesundheit beitragen würde938, wäre diese Vorschrift leicht durchführbar, weil das Klappern der Maschine die Aufsicht erleichtert, um so mehr, wenn in diesem Fall der Hausherr haftbar gemacht und jede industrielle Arbeit in Miets- und Wohnhäusern, sowohl für die Arbeiter als für die Hausbesitzer empfindliche Strafen nach sich ziehen würde.939

Alle diese Bestimmungen scheinen, auch unter Voraussetzung ihrer allmählichen Entwicklung, immer nur in den Städten, wo die Arbeiter sich zusammendrängen und die Aufsicht leichter möglich ist, durchführbar. Sind sie aber hier in Wirksamkeit, so wird die Entwicklungstendenz der modernen Industrie, billige Gegenden und billige Arbeitskräfte aufzusuchen, nur noch drastischer hervortreten, und die Ausbeutung, der in der Stadt Grenzen gesteckt werden, wird sich gierig auf das Land, in die einsamen Thäler, auf die fernen Höhen werfen. Um hier denselben Schutzgesetzen wie in der Stadt Geltung zu verschaffen, muß die Verkehrspolitik in ihren Dienst gestellt werden.940 Jede Eisenbahn, jede gute Chaussee erleichtert die Verbindung, und es ist eine bekannte Thatsache, über die Naturfreunde nicht genug klagen können, daß der Fabrikschornstein überall emporragt, wo die Eisenbahn hindringt. Die Vereinigung der ländlichen Hausindustriellen in Werkstätten wird sich mit dieser Unterstützung allmählich auch durchsetzen lassen. Zur Schaffung der Werkstätten könnten die Arbeitgeber um so straffer herangezogen werden, als sie durch die niedrigeren Löhne, gegenüber den Arbeitgebern der städtischen Hausindustrie, so wie so im Vorteil sind.

Aber damit sind alle Hindernisse noch nicht beseitigt. In New-York und Massachusetts, wo die Konfektionsindustrie einer strengen Regelung unterliegt, haben die Konfektionäre sich ihr dadurch zu entziehen gewußt, daß sie ihre Waren aus anderen Staaten beziehen, die solche Gesetze noch nicht kennen, und in die die Schwitzmeister von New York und Massachusetts massenhaft übersiedelten. Dasselbe würde sich in Europa wiederholen, wenn die Gesetzgebung zur Bekämpfung der Hausindustrie sich auf ein oder zwei Länder beschränken würde. Die Notwendigkeit des internationalen Arbeiterschutzes tritt nirgends stärker hervor als hier, und es wäre an der Zeit, daß wenigstens zunächst einmal die internationalen Gesellschaften für Arbeiterschutz sich eingehend mit dieser Frage beschäftigen möchten, statt daß sie ihre Universalität durch eine oberflächliche Vielseitigkeit beweisen zu müssen glauben. Vor allem aber sollte die Arbeiterschaft aller Länder, ihr ein thatkräftiges Interesse zuwenden, und in den Parlamenten einmütig ihr gegenüber Stellung nehmen, denn von der Unterdrückung der Hausindustrie hängt ihre eigene Entwicklung ab. Erst die Vereinigung der männlichen und weiblichen Arbeiter in den Werkstätten wird ihre Aufklärung fördern und ihre gewerkschaftliche Organisation ermöglichen. Solange sie wie die Raubritter im Hinterhalt liegen, werden sie den organisierten Arbeitern ihre schwer errungene Beute immer wieder streitig machen. Lohnerhöhungen insbesondere, vor allem feste Lohntarife, jene wichtige Aufgabe der Arbeiterverbände, von deren Erreichung die Sicherheit der Existenz vielfach abhängt, werden, solange die Hausindustrie besteht, nur selten zu erkämpfen und noch seltener festzuhalten sein. Aber selbst unter den Arbeitern giebt es noch Leute genug, die zwar die Schäden der Hausindustrie anerkennen, trotzdem aber vor durchgreifenden Maßnahmen zurückscheuen, weil sie die Familie und die Freiheit des Einzelnen dadurch anzutasten glauben. Es ist auch zweifellos, daß es bei dem von mir vorgeschlagenen Weg, den die Gesetzgebung verfolgen soll, bei aller Vorsicht, ohne Härten nicht abgehen wird. Wo aber in der Welt wäre der Fortschritt leicht erkauft worden? Gegenüber allen Arbeiterschutzgesetzen hat es Menschen gegeben, die sich in ihrer Freiheit beschränkt, in ihrem Verdienst geschmälert sahen. Die allmähliche Aufsaugung des Handwerks durch die Fabrik hat gewiß schwere Wunden geschlagen und schlägt sie noch heute, für die Hausindustrie wird genau dasselbe gelten. Der Sozialreformer aber und der Gesetzgeber dürfen nach den Gefühlen Einzelner nicht ihre Handlungen einrichten, sie haben vielmehr die Aufgabe, den Entwicklungstendenzen nachzuspüren und diejenigen zu fördern, durch die die Menschheit im allgemeinen zu höheren Daseinsformen gehoben werden wird. Die Hausindustrie hält sie auf der Stufe physischer und geistiger Verelendung fest, sie hindert den Fortschritt zu besseren sozialen Verhältnissen, darum muß auch hier das sentimentale Mitleid von der ruhigen Erkenntnis und der weit ausschauenden Menschenliebe überwunden werden.

Ein Stiefkind der Arbeiterschutzgesetzgebung waren lange Zeit hindurch auch die Handelsgehilfen. Und sie selbst, die den Unterschied zwischen sich und den Fabrikarbeitern stets scharf betonten, wünschten auch auf diesem Gebiet keine Gleichstellung mit ihnen. Erst als der 1842 gegründete englische Verein zur Erkämpfung des frühen Ladenschlusses, nach fast fünfzigjährigen vergeblichen Bemühungen einsah, daß auf dem Wege der Selbsthilfe nichts zu erreichen war, trat er für gesetzliche Maßregeln ein. Um dieselbe Zeit erhoben auch die kaufmännischen Vereine Deutschlands bestimmte Forderungen an die Gesetzgebung. Die Entstehung der Großbetriebe auf dem Gebiete des Handels hatte dieser Entwicklung vorgearbeitet, denn sie verwandelte langsam die Masse der jungen Kaufleute, die ihre Lehr- und Arbeitszeit stets nur als Vorbereitung zur eignen Selbständigkeit ansahen, in Lohnarbeiter, die zeitlebens in abhängiger Stellung vom Unternehmer bleiben und daher eines gesetzlichen Schutzes bedürfen. Der erste Schritt hierzu war die gesetzliche Fixierung einer wöchentlichen Maximalarbeitszeit von 74 Stunden für Ladengehilfen unter 18 Jahren in England, der aber über ein Jahrzehnt hindurch nur zur Ausfüllung des Gesetzbuches diente, da keine Kontrolle über seine Ausführung vorhanden war. Der Londoner Grafschaftsrat entschloß sich erst vor wenigen Jahren zur Anstellung von Handelsinspektoren, die schon nach kurzer Frist eine große Zahl von Gesetzesübertretungen konstatieren konnten. Die einzige Bestimmung, die diesem vielverheißenden Anfang gesetzlicher Reformarbeit folgte, war die Vorschrift, in allen Läden, wo weibliche Verkäufer thätig sind, Sitze für sie aufzustellen,—eine Vorschrift, betreff deren eine Anzahl nordamerikanischer Staaten mit gutem Beispiel vorangegangen war und die auch von Deutschland und Frankreich neuerdings erlassen wurde. Die schweren Schäden aber, mit der die Arbeit im Handel die Angestellten bedroht, sind damit noch kaum berührt, und doch schien es, als ob die wichtigste Reform, die Verkürzung der Arbeitszeit, nicht durchzusetzen wäre. Zuerst gelang es, die Sonntagsruhe zu erkämpfen; aber sie blieb problematisch und besteht im Grunde nur in einer Beschränkung der Sonntagsarbeit, denn nicht nur, daß alle Handelsgehilfen in Deutschland eine fünf-, in Oesterreich sogar eine sechsstündige Sonntagsarbeit haben, für eine Reihe von Betrieben wird auch diese Bestimmung noch zuungunsten der Angestellten aufgehoben. daß nach dieser Erfahrung die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit noch auf größere Schwierigkeiten stoßen würde, war vorauszusehen.

Als die deutsche Kommission für Arbeiterstatistik auf Grund der Ergebnisse ihrer Erhebungen dementsprechende Forderungen stellte, erhob sich ein Sturm der Entrüstung in der Handelswelt. Eine ganze Anzahl von Arbeitgeberverbänden und Handelskammern hielt die vorgeschlagene Festsetzung des Achtuhrladenschlusses nicht nur für den Anfang ihres Ruins, sondern auch für verderblich für die Angestellten, die dadurch zur mißbräuchlichen Verwendung der freien Zeit, zu Leichtsinn und Unsittlichkeit verführt werden würden. Der "Eingriff des Staates in die Erwerbsfreiheit" wurde ebenso wie einst die gesetzliche Regelung der Fabrikarbeit schroff zurückgewiesen und für eine Kränkung der Berufsehre angesehen.941 Trotzdem gelangte schließlich der Neunuhrladenschluß zur Annahme. Im weiteren Verlauf der Reformen auf diesem Gebiet wurde die Gewährung einer ununterbrochenen Ruhezeit von 10-11 Stunden und die Festsetzung einer Mittagspause von 1-1/2 Stunden, sobald die Mahlzeit außer dem Hause eingenommen wird, obligatorisch gemacht. Aber wie bei der Arbeiterschutzgesetzgebung überhaupt, so wurden diese Bestimmungen durch die Zulassung einer Reihe von Ausnahmen wieder durchbrochen, denn nicht nur, daß sie auf Arbeiten, die zur Verhütung des Verderbens von Waren sofort vorgenommen werden müssen, auf die Aufnahme der Inventur, sowie bei Neueinrichtungen und Umzügen keine Anwendung finden, die Arbeitszeit kann vierzig Tage im Jahr bis 10 Uhr abends verlängert, die an sich schon spärliche Sonntagsruhe kann besonders vor Festzeiten vollends fast ganz aufgehoben werden. Unberührt von irgend welchen durchgreifenden Regulierungen blieben die Schlafräume der Angestellten, die, wie wir gesehen haben, sobald sie im Hause des Chefs sich befinden, viel zu wünschen übrig lassen. Selbst über die Einrichtung der Geschäftsräume bestehen nur ganz allgemeine Bestimmungen, die allerdings durch Verordnung des Bundesrats genauer präzisiert werden können. Bisher ist das nur in Bezug auf die Sitzgelegenheit der Verkäuferinnen geschehen. Alle diese Reformen haben blos den Wert erster Versuche, um so mehr, als keine besondere Kontrolle ihnen Nachdruck verleiht, ihre Durchführung vielmehr nur unter Aufsicht der Ortspolizeibehörden gestellt ist.

Auch auf anderen Gebieten ist die Gesetzgebung äußerst vorsichtig vorgegangen. Das gilt im besonderen in Bezug auf die Lehrlingszüchterei. Wie die Erhebungen der Kommission für Arbeiterstatistik ergaben, besteht sie in ausgedehntem Maß im deutschen Handel. Je kleiner die Geschäfte, desto mehr suchen sie sich mit den billigsten Arbeitskräften zu behelfen, es zeigte sich sogar, daß von 8235 Betrieben 671 mehr Lehrlinge als Gehilfen und 659 überhaupt nur Lehrlinge beschäftigen; die Konkurrenz, die dadurch den Gehilfen gemacht wird, die Ausbeutung jugendlicher Arbeitskräfte, die daraus klar genug hervorgeht, hätten eines energischen Eingriffs bedurft. Statt dessen begnügte man sich mit der allgemeinen Bestimmung, daß der Lehrherr nur soviel Lehrlinge halten darf, als im Verhältnis zum Umfang und der Art seines Betriebes steht und ihre Ausbildung dadurch nicht gefährdet wird. Allerdings wurde auch hier für den Bundesrat eine Thür offen gelassen, der befugt ist, durch besondere Vorschriften einzugreifen,—das bekannte deutsche Mittel, womit man glaubt, dem Reformbedürfnis Genüge zu thun.

Nicht anders verhält es sich in Bezug auf einen anderen Uebergriff der Geschäftsleiter, der geeignet ist, den Handelsgehilfen in seinem ganzen Fortkommen zu behindern: der sogenannten Konkurrenzklausel. Sie besteht darin, daß sich der Gehilfe dem Chef gegenüber verpflichtet, falls er seine Stellung verläßt, im Verlauf einer gewissen Zeit entweder in der Nähe kein eigenes ähnliches Geschäft zu gründen, oder eine geraume Zeit hindurch, die zuweilen bis zu vielen Jahren sich ausdehnte, in kein ähnliches Geschäft als Gehilfe einzutreten. Es giebt nicht viele Anforderungen von Arbeitgebern an Arbeiter, die so den Klassencharakter an der Stirn tragen, wie diese, und von ihm verlangen, daß er selbst über sein persönliches Abhängigkeitsverhältnis hinaus, auf die Interessen und den Profit des Chefs Rücksicht nimmt. Und die Gesetzgeber haben es nicht gewagt, dieser ungerechtfertigten Bevormundung der Arbeiter ein Ende zu bereiten. Nur zu einer allgemein gehaltenen Bestimmung haben sie sich entschließen können: daß solche Vereinbarungen zwischen Unternehmern und Angestellten nur dann verbindlich sind, wenn sie nicht die Grenzen überschreiten, durch welche "eine unbillige" Erschwerung ihres Fortkommens ausgeschlossen wird. Nur mit Minderjährigen sind sie überhaupt verboten. Damit ist der Arbeiterschutz im Handel erschöpft: er läßt eine zwölf-, dreizehn-, ja selbst eine vierzehnstündige Arbeitszeit zu, die bestenfalls durch eine Pause von 1-1/2 Stunden unterbrochen wird, er gestattet die Ausbeutung jugendlicher Arbeitskräfte und erlaubt, daß der Gehilfe in seinem berechtigten Streben nach sozialem Fortkommen gehindert wird! Und doch repräsentiert die deutsche Gesetzgebung den Fortschritt auf dem europäischen Kontinent.

In Oesterreich hat sich der Schutz der Handelsangestellten zwar in ähnlicher Weise entwickelt wie in Deutschland, aber er ist noch weniger sicher gestellt und besonders die Sonntagsruhe ist auf jede Weise durchbrochen. Frankreich kennt sie nicht einmal. Wo sie besteht, ist sie ebenso wie der Ladenschluß die Folge langjähriger Kämpfe der Organisationen der Handelsangestellten, die sich um so kräftiger entwickeln konnten, als das Uebergewicht der großen Warenhäuser gegenüber den kleinen schon früh in Erscheinung trat. Die fortgeschrittenste Gesetzgebung repräsentiert Australien und Neu-Seeland. Die Ladenschlußstunde ist teilweise schon auf sechs Uhr und nur an einem oder zwei Wochentagen auf spätere Abendstunden festgesetzt. Außer der vollen Sonntagsruhe wird den Angestellten ein halber freier Wochentag gewährleistet. Für jugendliche und weibliche Gehilfen besteht vielfach der acht- oder neunstündige Arbeitstag. Wie es heißt, haben diese weitgehenden Vorschriften keinerlei Nachteile mit sich geführt. Die englischen Handelsangestellten jagen daher nicht, wie die Gegner gern behaupten, einer Utopie nach, wenn sie dasselbe verlangen.942

Die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf den Handel darf durch die Rücksicht auf das Publikum, die man immer zu haben vorgiebt, wenn man eine Verkürzung der Arbeitszeit für undurchführbar erklärt, nicht hintangehalten werden. Vor allem aber müßten besondere Organe, sowohl eine Handels- als eine Wohnungsinspektion, zur Sicherung ihrer Durchführung Sorge tragen. Eine Ergänzung müßte sie durch Bestimmungen finden, die je nach der Größe und der Art des Betriebs die Minimalzahl der Anzustellenden festsetzen. Was helfen die schönsten Sitzgelegenheiten, wenn, wie es besonders in den großen Warenhäusern der Fall ist, die Angestellten auf eine Weise in Anspruch genommen werden, die jede Möglichkeit zum Ausruhen ausschließt. Wie auf anderen Gebieten, so gilt es ferner auch hier, der wirtschaftlichen Entwicklung, die zum Großbetrieb drängt, und mehr und mehr einen Arbeiterstand im Handel schaffen hilft, die Bahn frei zu machen. Denn die Durchführung des Arbeiterschutzes und sein Ausbau wird im Handel ebenso wie in der Industrie durch das mehr oder weniger ausgesprochene Uebergewicht der großen über die kleinen Betriebe bedingt und kann nur durch die eng damit zusammenhängende Organisationsfähigkeit der Arbeiter und ihre Unterstützung gewährleistet werden.

Für alle bisher berührten Arbeitsgebiete ist der Arbeiterschutz unter bestimmten Voraussetzungen bis zu einer gewissen Grenze durchführbar, und man hat überall wenigstens den Anfang dazu gemacht. Vollständig unberührt von ihm blieb die Landwirtschaft. Die Ursache davon beruht nicht nur auf der Meinung, daß der Landarbeiter eines Schutzes nicht bedürfe,—sie ist durch offizielle und private Untersuchungen schon gar zu oft erschüttert worden,—sondern mehr noch darauf, daß die landwirtschaftliche Arbeit sich nicht unter dasselbe Schema bringen läßt wie die industrielle und kommerzielle, und die Bedingungen ihrer Regelung daher andere sind. Eine Uebertragung des Arbeiterschutzes, wie wir ihn kennen, auf ihre Arbeiter ist nur in Bezug auf wenige Bestimmungen möglich. Aber auch die Durchführung jedes besonderen Landarbeiterschutzes hängt so eng mit den Problemen der agrarischen Fragen zusammen, daß es eines Werkes für sich bedürfen würde, um ihn theoretisch zu erörtern und praktisch festzusetzen. Nur allgemeine Gesichtspunkte können im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden.

Wir haben bisher gesehen, daß der Grad der Durchführbarkeit des Arbeiterschutzes wesentlich davon abhängt, in welchem Maße die zu schützenden Personen von der isolierten zur kollektiven Arbeit vorgeschritten und wie weit sie infolgedessen im stande sind, für die Wahrung ihrer Rechte selbst einzustehen. Eine kollektive Arbeit aber tritt in der Landwirtschaft nur dann auf, wenn bestimmte Saisonarbeiten,—z.B. die Frühjahrsbestellung, die Ernte, der Zuckerrübenbau,—die Heranziehung einer größeren Menge von Arbeitern nötig machen. Zur Förderung der Saisonarbeit hat die Dreschmaschine schon viel beigetragen; die Einführung anderer Maschinen, womöglich mit Hilfe elektrischer Motoren, müßte weiter revolutionierend wirken. Um dem Arbeiterschutz eine Grundlage zu schaffen, wäre es demnach notwendig, diese Entwicklung auf jede Weise zu fördern. Eines der wichtigsten Mittel dazu ist die Unterstützung der landwirtschaftlichen Genossenschaften, die allein im stande sind, die Nachteile des Kleinbetriebs durch gemeinschaftliche Anschaffung der Mittel zum Großbetrieb zu fördern. Zweifellos wird dadurch auch die Erscheinung der landwirtschaftlichen Saisonarbeiter, d.h. die der besitzlosen Tagelöhner, gefördert werden. Sie wird in der Gegenwart als eine die Interessen der einheimischen Arbeiter schädigende betrachtet. Und mit Recht, und zwar deshalb, weil die betreffenden Arbeiter sozial tiefstehenden Volkskreisen entstammen. Darum hat die Sozialpolitik zunächst einmal hier einzugreifen. Das kann auf dreierlei Weise geschehen: durch scharfe Vorschriften in Bezug auf die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter und die Schaffung einer ländlichen Wohnungsinspektion, durch gesetzliche, jeder Saisonarbeit besonders angepaßte Beschränkung des Arbeitstags, und durch direkte Förderung der Organisation der Wanderarbeiter. Die Einsetzung einer landwirtschaftlichen Betriebsinspektion wäre im Anschluß hieran notwendig, aber, bei dem großen Umfang des ihr unterstehenden Gebiets, wäre zunächst an einschneidende direkte Folgen ihrer Thätigkeit ebensowenig zu denken, wie an die direkte Wirkung der Schutzgesetze selbst, wenn nicht ein sehr energischer Wille der staatlichen Verwaltung ihre Durchführung sicherte. Ihre Bedeutung wäre für den Anfang wesentlich eine erzieherische. Die Arbeiter, die nach Beendigung ihrer Arbeit in ihre Heimat zurückkehren, kämen mit anderen Begriffen und Bedürfnissen heim, als sie gegangen sind, und würden auf die Zurückgebliebenen ihrerseits wieder einwirken, so daß eine allmähliche Hebung ganzer Volksschichten ermöglicht würde. Sie müßte aber auch noch von anderer Seite in Angriff genommen werden; und zwar durch das Verbot der ländlichen Kinderarbeit und der Wanderarbeit für junge Leute unter achtzehn Jahren. Wenn in Rücksicht auf die Gefährdung der Sittlichkeit durch die Wanderarbeit zuweilen gefordert wird, daß dies Verbot auf alle minderjährigen Mädchen ausgedehnt werden soll943, so scheint mir das zu weit zu gehen. Von diesem Standpunkt aus müßte man sie überhaupt alle zu Hause einsperren, denn es giebt, wie wir zur Genüge gesehen haben, kein Arbeitsgebiet, auf dem ihre Sittlichkeit nicht gefährdet wird. Hielte man sie aber nur von der Wanderarbeit zurück, so wären sie gezwungen, sich einen anderen Erwerb zu suchen. Das achtzehnte Jahr scheint mir dagegen für beide Geschlechter eine angemessene Grenze darzustellen. Die notwendige Ergänzung des Arbeitsverbots müßte die Erweiterung des Schulzwangs und die Einrichtung ländlicher Fortbildungsschulen sein, deren Besuch obligatorisch wäre. Aber die Wanderarbeiter rekrutieren sich nicht nur aus der einheimischen Bevölkerung. Nach Deutschland kommen sie aus Rußland, nach Frankreich aus Belgien, selbst die Importierung chinesischer Arbeiter ist vielfach schon als eine Möglichkeit zur Steuerung der ländlichen Arbeiternot hingestellt worden. So traurig es auch ist, weil es eine wirkliche Besserung der Zustände auf lange Zeit hinausschiebt, so gilt doch auch hier, was für die Hausindustrie gilt, daß eine internationale Regelung erst der Ausgangspunkt weiterer Reformen sein kann. Immerhin aber werden die nationalen Reformen auch auf die ausländische Arbeiterschaft ihren erzieherischen Einfluß nicht verfehlen.

Auf viel größere Schwierigkeiten stößt der Schutz der ortseingesessenen landwirtschaftlichen Arbeiter infolge ihrer Vereinzelung und des Mangels an Aufklärung, der besonders in ihrer Weltabgeschlossenheit seine Ursache hat. Trotzdem müßte auch hier die grundlegende Bestimmung jedes Arbeiterschutzes, die Beschränkung der Arbeitszeit, der keine technischen Schwierigkeiten gegenüberstehen, zur Durchführung gelangen, und durch eine ausreichende staatliche Aufsicht unterstützt werden. Alle Verordnungen ferner, die das Koalitionsrecht der Landarbeiter einschränken oder ganz illusorisch machen, müßten aufgehoben werden, auch wenn zunächst noch nicht erwartet werden könnte, daß sie sich als fortgeschritten genug erwiesen, um von dem ihnen gewährten Recht den für sie vorteilhaftesten Gebrauch zu machen. Die Verbesserung der Wohnungsverhältnisse durch eine Wohnungsinspektion, das Verbot, die öffentliche Stellung eines Amtmanns oder Landlords mit der privaten des Arbeitgebers in einer Person zu vereinigen, wären geeignet, manche Unzuträglichkeiten aus dem Wege zu räumen. Denn jedes Mittel zur Hebung der sozialen Lage und zur Unterdrückung persönlicher Abhängigkeit, wäre zugleich ein Mittel zur Durchführung des Arbeiterschutzes; daher ist auch jeder Rest feudaler Arbeitsverhältnisse, wie das Insten- und Deputantentum zu bekämpfen.944 Für die Frauen aber gilt es mit allem Nachdruck auf die Durchführung einer Arbeiterschutzvorschrift hinzuwirken, die gerade im Hinblick auf die Landarbeit von größter Bedeutung ist: das Arbeitsverbot für Schwangere und Wöchnerinnen. Wie es möglich ist, zu behaupten, daß die Lohnarbeit der verheirateten Frau und der Mädchen auf dem Lande "wenig Anlaß zu einer besonderen Schutzgesetzgebung" giebt945, wird jedem unbegreiflich erscheinen, der nur einmal gesehen hat, wie eine werdende Mutter auf dem Kartoffelfeld hackt, oder eine erst kürzlich Entbundene beim Heuaufladen beschäftigt ist. Das frühe Altern der Landarbeiterinnen, ihre Kränklichkeit und die Schwächlichkeit ihrer Kinder sind nicht zum mindesten darauf zurückzuführen. Soweit es daher im Bereiche der Möglichkeit liegt, sollte kein Mittel unversucht gelassen werden, um den Schutz der Schwangeren vier Wochen vor und der Wöchnerin acht Wochen nach der Entbindung für die ländliche Lohnarbeiterin durchzusetzen. Eventuell wäre die Verantwortung dafür auf sämtliche Vorgesetzte der Arbeiterin,—Inspektoren u.s.w.,—auszudehnen, und die Hebammen zur Anzeige der Gesetzesübertretungen zu verpflichten.

All diesen Einzelforderungen gegenüber darf jedoch nicht vergessen werden, daß die Voraussetzung für ihre Durchführung die Mitarbeit der zu Schützenden selber ist. Nicht nur, daß sie im Besitze eines gesicherten Koalitionsrechts sich befinden müssen, sie müssen auch lernen, es zu gebrauchen. Die Berührung mit dem organisierten, aufgeklärten Industriearbeiter ist dazu eines der besten Mittel; deshalb muß sowohl die Freizügigkeit des Landarbeiters eine unbeschränkte sein, als auch dafür gesorgt werden muß, daß im Hinblick auf sein Interesse, wie auf das des Heimarbeiters, der Verkehr durch Ausbreitung des Eisenbahnnetzes und Verbilligung der Fahrpreise einerseits den Weg in die Städte ihm erleichtert, andererseits aber die Anlage von Fabriken auf dem Lande dadurch ermöglicht wird. Es liegt nun aber nahe, anzunehmen, daß die Folge mancher dieser Maßnahmen nur eine Verstärkung der Landflucht sein würde. In gewissem Umfang, der durch einen gut funktionierenden öffentlichen Arbeitsnachweis allmählich geregelt werden könnte, halte ich das gleichfalls für wahrscheinlich. Selbst hohe Löhne und bessere Arbeitsbedingungen werden die Landarbeiter im allgemeinen nicht auf dem Lande zu fesseln vermögen, weil die Stadt mit ihrem Glanz und ihrer Abwechselung und weil die relative Freiheit der industriellen Arbeiter einen schwer zu besiegenden Reiz auf alle ausübt, die nicht in ihr zu leben gewohnt sind. Auch die Ueberführung städtischer Kultur auf das Land, z.B. durch Wanderbibliotheken, wie in England, durch ländliche Hochschulkurse u.A.m., wie in Dänemark, würde nicht viel dagegen ausrichten, weil die Aufnahmefähigkeit gerade hierfür bei dem Landarbeiter nur selten vorhanden ist. Es läßt sich aber aus der Psychologie des modernen Industriearbeiters, dessen Bedürfnis nach ländlicher Ruhe und frischer Luft ein unverkennbares ist, folgern, daß, wenn die Arbeitsbedingungen und der Arbeiterschutz auf dem Lande sich einmal denen in der Industrie angenähert haben, die Möglichkeit für ein Zurückfluten des städtischen Proletariats auf das Land gegeben ist. Industrielle Krisen werden es befördern helfen.

Zwei Wanderbewegungen sind schon jetzt für die Landwirtschaft zu konstatieren, die auf dem Wege gesunden Fortschritts vor sich gehen: die Landflucht einheimischer Arbeiter und die Einwanderung fremder Saisonarbeiter, durch die beide Kategorien höheren sozialen Kulturstufen zugeführt werden; die dritte wird sich hinzugesellen, sobald die Bedingungen der Landarbeit es möglich machen, und kann dann für die Industriebevölkerung eine physische Regeneration anbahnen. Auch hier gilt es, die Entwicklung nicht durch die Gesetzgebung meistern zu wollen, sondern sie bewußt in ihren Dienst zu stellen.

Ein unbekanntes Land für den Arbeiterschutz fast aller Staaten war bisher das große Gebiet des persönlichen und häuslichen Dienstes. Die ersten Reformbestrebungen nach dieser Richtung gingen von Schweizer Kantonen aus. Basel machte 1887 den Anfang, das Bedienungspersonal in Gastwirtschaften vor Ueberanstrengung zu sichern, indem es bestimmte, daß Mädchen unter 18 Jahren, mit Ausnahme der Töchter des Wirts, nicht zur Bedienung der Gäste zu verwenden sind, und allen Kellnerinnen eine Mindestruhezeit von 7 Stunden täglich zu gewähren ist. Diesem Beispiel folgte Glarus, St. Gallen und Zürich, die die Ruhezeit auf 8 Stunden und, als Ersatz der Sonntagsruhe, einen wöchentlichen freien Nachmittag von 6 Stunden festsetzten. Da es aber an der nötigen Kontrolle für die Durchführung selbst dieser geringen Reformen fehlte,—lassen sie doch sämtlich eine Arbeitszeit von 16-17 Stunden zu!—und von seiten der Kellnerinnen auf keine Unterstützung zu rechnen ist, so blieben sie fast ganz wirkungslos.946 Trotz dieser Erfahrung hat das Vorgehen der Schweiz Deutschland zur Nachahmung angeregt, und der Gesetzentwurf, der die Lage der Gastwirtsgehilfen regeln soll, geht nur in wenigen Punkten über sein Vorbild hinaus. An Stelle der Festsetzung der Arbeitszeit, einer selbstverständlichen Forderung, sobald man anerkennt, daß das menschliche Leben noch einen höheren Inhalt haben soll als Lohnarbeit und Schlaf, tritt die Festsetzung eines Mindestmaßes von Ruhe, das in Deutschland in Kleinstädten 8 und in Großstädten, wo der Hin- und Herweg von der Arbeitsstätte in Anschlag gebracht worden ist, 9 Stunden betragen soll; ein wöchentlicher Freinachmittag von 6 Stunden, ein vollständiger Ruhetag von 24 Stunden alle drei Wochen kommen ergänzend hinzu. Das heißt mit anderen Worten, daß die Kellnerin täglich 15 bis 16 Stunden auf den Beinen sein muß und wöchentlich 99-106 Stunden Arbeitszeit hat! Im Laufe der täglichen Arbeit, die mindestens ebenso anstrengend und noch um vier bis fünf Stunden länger ist, als die in der Fabrik, wird der Kellnerin nicht einmal eine Mittagspause sichergestellt, statt dessen kann ihre Ruhezeit an nicht weniger als sechzig Tagen im Jahr noch verkürzt werden. Außerdem steht es nach wie vor im Belieben des Wirts, ob er oder die Kellnerin die an ihren Freinachmittagen anzustellende Aushilfe zu entlohnen hat. Angesichts der bestehenden Verhältnisse und der völligen Schutzlosigkeit, die bisher herrschte, würden diese Bestimmungen immerhin einen kleinen Fortschritt bedeuten, wenn auf ihre strikte Anwendung gerechnet werden könnte. Aber davon wird ebensowenig wie in der Schweiz die Rede sein, weil an entsprechende Vorschriften über die Schaffung einer ausreichenden Gasthofsaufsicht gar nicht gedacht worden ist. Trotzdem sträuben sich die Wirte jetzt schon aufs äußerste gegen den Entwurf, der, so behaupten sie, sobald er Gesetzeskraft erlangt, ihre Existenz zu gefährden im stande ist.947 Sie scheint demnach nur durch eine mehr als 16stündige Arbeitszeit der Angestellten gesichert zu sein! Entspräche dies den Thatsachen, so wäre man versucht, auszurufen, wie der preußische Minister v. Heydt, als er zum erstenmal von der Ausbeutung der Kinder erfuhr: "So mag doch das ganze Gewerbe zu Grunde gehen!"

Noch eine Bestimmung, die auf den ersten Blick den Eindruck einer wirklichen Schutzvorschrift macht, enthält der Entwurf; sie besagt, daß Mädchen unter 18 Jahren nicht zur Bedienung der Gäste verwendet werden dürfen. Angesichts der langen Arbeitszeit und der hohen Anforderungen, die gerade dieser Beruf an die Körperkräfte stellt, erscheint dieser Paragraph des Gesetzes mehr als gerechtfertigt. Wenn er sich nur nicht allein auf die Bedienung beschränken möchte! Darin zeigt sich deutlich, daß es sich hier nicht um Arbeiterschutz, sondern um den Schutz der Sittlichkeit im Sinne der deutschen Sittlichkeitsvereine handelt. Diese sind in ihrer Petition an den Reichstag so weit gegangen, das Verbot bis auf das 21. Lebensjahr ausdehnen zu wollen, und sind kurzsichtig genug, von dieser Maßregel zu erwarten, daß sie der "Unkeuschheit im Kellnerinnengewerbe Einhalt bieten und der Prostitution nahezu den Todesstoß versetzen" wird!948 Während also der Entwurf das 18. Lebensjahr als Grenze für den Eintritt in den Kellnerinnenberuf festsetzt, läßt er gleichzeitig die 15-16stündige Ausbeutung der Mädchen unter 18 Jahren, also auch der im Entwicklungsalter stehenden 14- und 16jährigen, in der Gasthofsküche ohne Bedenken zu.

Daß der Entwurf nicht auf die Zustimmung der Beteiligten würde rechnen können, war von vornherein anzunehmen. Freilich waren es nur Wenige, die ihre Wünsche laut werden ließen. Die Meisten, die unter ihrer traurigen Lage seufzen, sind noch gar nicht so weit, darüber nachzudenken, wie man sie bessern könnte. Eine Berliner Kellnerinnenversammlung stellte dem Entwurf diese Forderungen gegenüber: 1) Bestimmungen über Zahlung eines auskömmlichen Lohnes. 2) Festsetzung bestimmter Arbeitspausen, insbesondere einer ununterbrochenen zehnstündigen Ruhezeit nach jedem Arbeitstag. 3) Ausdehnung der Gewerbeinspektion auf das Gastwirtsgewerbe, einschließlich der Beaufsichtigung der Wohn- und Schlafräume der Angestellten; und der Münchener Kellnerinnenverein verlangte: 1) Eine ununterbrochene Mindestruhezeit von zehn Stunden täglich. 2) Einen wöchentlichen vierundzwanzigstündigen Ruhetag. 3) Freigabe von wenigstens zwei Stunden an jedem zweiten Sonntag, um den Besuch des Gottesdienstes zu ermöglichen. 4) Festsetzung der Altersgrenze für die Zulassung junger Mädchen zur Bedienung von Gästen auf sechzehn Jahre. 5) Festlegung einer zweijährigen Lehrzeit, während welcher die Lehrmädchen in der Zeit zwischen zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens nicht beschäftigt werden dürfen. 6) Ueberschreitung der täglichen Arbeitszeit nur an dreißig Tagen des Jahres.

Aber all diese Maßnahmen wären angesichts der herrschenden Zustände im Kellnerinnengewerbe ganz unzureichend und legen nur von der Zaghaftigkeit der Betreffenden Zeugnis ab.

Jeder wirksame Arbeiterschutz muß einerseits von der Verkürzung der Arbeitszeit ausgehen, andererseits für seine Durchführung auf die Unterstützung der Beteiligten rechnen können. Sowohl der fünfzehn- bis sechzehnstündige Arbeitstag des Entwurfs als der vierzehnstündige, den die Kellnerinnen fordern, kann unmöglich die Bedeutung haben, die er als Ausgangspunkt aller anderen Reformen haben muß; der Fortbestand des Trinkgeldwesens aber, der die Kellnerinnen zu einer möglichsten Ausdehnung des Arbeitstages zwingt, hindert sie daran, geschlossen für seine Herabsetzung einzutreten, und sie zu sichern, falls sie gesetzlich eingeführt wird. Will man die Lage der Kellnerinnen verbessern und sie zunächst zum Standpunkt der Lohnarbeiterin in der Industrie erheben, der für sie zweifellos einen Fortschritt bedeuten würde, so muß der Hebel zu gleicher Zeit an beiden Punkten, der Arbeitszeit und dem Trinkgelderwesen, angesetzt werden. Das könnte zunächst in der Weise geschehen, daß neben der ununterbrochenen zehnstündigen Nachtruhe, eine zusammenhängende zweistündige Tagespause festgelegt würde, so daß eine effektive Arbeitszeit von zwölf Stunden die Folge wäre. Jeder Gasthofsbetrieb hat im Laufe des Tages eine ruhige Zeit,—das haben die Wirte selbst erklärt, als sie gegen den deutschen Entwurf Stellung nahmen,—in der es möglich gemacht werden kann, den größten Teil der Angestellten, auch der männlichen, zu entbehren. Jedenfalls muß es zu ermöglichen sein, da schon eine zwölfstündige Arbeitszeit das äußerste Maß bezeichnete.

Schwieriger erscheint die Trinkgelderfrage. Mit der bloßen Bestimmung, daß die Wirte ausreichenden Lohn zu zahlen haben, ist ihr nicht beizukommen und bis zur Schaffung starker Organisationen der Gastwirtsgehilfen, die Lohntarife durchsetzen könnten, ist noch ein weiter Weg. Noch weniger ist auf das Publikum zu rechnen, von dem man manchmal erwartete, es würde sich im Kampf gegen das Trinkgeld solidarisch fühlen. Dagegen böte ein Mittel bessere Aussicht auf Erfolg: die Bestimmung nämlich, daß die Bezahlung der Zeche nur an der Kasse zu erfolgen hat. Das Trinkgeld an die bedienende Kellnerin wird dadurch zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, aber doch fast ganz, da der Gast sich meist in dem Augenblick dazu aufgefordert fühlt, wo er der Bedienung die Zeche bezahlt, und sie erwartungsvoll vor ihm steht. Ein anderes Mittel, das wohl noch mehr dem Gang der Entwicklung entspricht, aber zunächst nur in größeren Lokalen Anwendung finden könnte, wäre die durchgängige Bezahlung der Zeche, die im Verhältnis zu der Gesamtausgabe einen bestimmten Prozentsatz für die Bedienung in Anrechnung bringen müßte, an den Zahlkellner, der zum selbständigen Unternehmer würde,—was er heute schon vielfach ist,—und den bedienenden Kellnern einen festen Lohn zu zahlen hätte. Ist das erreicht, so hat die Kellnerin kein Interesse mehr an der Länge der Arbeitszeit, sie wird statt dessen die gesetzlich vorgeschriebene gern innehalten. Sie wird auch allmählich, wenn Geist und Körper unter der Erschöpfung durch endlose Arbeitszeit nicht mehr zu leiden haben, organisationsfähig werden. Ein vierundzwanzigstündiger Ruhetag im Laufe von je sieben Tagen, die Sicherung guter Unterkunftsräume durch die Aufsicht der Wohnungsinspektion, das Verbot, junge Leute unter sechzehn Jahren überhaupt und unter achtzehn länger als acht Stunden täglich zu beschäftigen, die Verfügung endlich, daß sämtliche Schutzvorschriften auch auf die Familie des Wirts auszudehnen sind,—der Entwurf schließt sie ausdrücklich aus, ohne sich auch nur über den Grad der Familienzugehörigkeit näher auszulassen, —und die Einsetzung einer besonderen Inspektion für das Gastwirtsgewerbe,—denn man kann es den wenigen schon stark überlasteten deutschen Gewerbeaufsichtsbeamten doch nicht zumuten, noch etwa 173000 Betriebe mehr zu beaufsichtigen,—das alles sind Bestimmungen, die die Grenzen des Notwendigen noch nicht einmal erreichen, und die Ergänzung der Beschränkung der Arbeitszeit für Erwachsene und des Trinkgelderwesens bilden müßten. Soweit die Sittlichkeit von den Arbeitsbedingungen abhängt, wird sie durch ein Gesetz dieses Inhalts auch nur gefördert werden. Sie darüber hinaus "schützen" zu wollen, ist überhaupt nicht Aufgabe der Gesetzgebung. Sie hat allein die Grundlage zu sichern, auf der eine menschenwürdige Existenz sich aufbauen kann, und die äußeren Bedingungen zu regeln, die die Unabhängigkeit jedes Einzelnen zu gewährleisten vermögen.

Wenn die bisherige Darstellung den Beweis erbracht hat, daß der gesetzliche Schutz der Arbeiter auf allen Arbeitsgebieten durchführbar ist, so scheint sie jetzt an den Punkt angelangt zu sein, wo die angewandte Methode nicht mehr zum Ziele führen kann: am häuslichen Dienst. Die Dienstboten stehen außerhalb der Gewerbeordnung; nur von Neu-Südwales heißt es, daß der achtstündige Arbeitstag auch für sie Geltung haben soll; alle übrigen Staaten haben entweder keinerlei besondere Vorschriften, die die häusliche Lohnarbeit regeln, oder sie besitzen sie in der Form von Gesindeordnungen, wie Deutschland und Oesterreich. Aber auch hierbei handelt es sich nicht um einheitliche Rechtsvorschriften, sondern um zahlreiche, oft nach Provinzen voneinander abweichende Einzelbestimmungen—Deutschland allein zählt ihrer gegen 60—, die dadurch schon den Stempel einer überwundenen Epoche, der die Freizügigkeit noch unbekannt war, an der Stirne tragen; denn die Kenntnis dieser Gesetze, die selbst einem Juristen schwer fällt, kann von dem von Ort zu Ort und von Land zu Land wandernden Dienstboten unmöglich verlangt werden. Was sie aber in noch viel drastischerer Weise als Reste der Vergangenheit kennzeichnet, ist ihr Inhalt, der zu jeder modernen Auffassung des Arbeitsvertrags und des Dienstverhältnisses in scharfem Gegensatz steht.

Einige Beispiele mögen das Gesagte erhärten: Nach der deutschen Gewerbeordnung ist es bei Strafe verboten, Zeugnisse in die Arbeitsbücher der gewerblichen Arbeiter einzutragen; die meisten Gesindeordnungen aber machen die Ausstellung von Zeugnissen über das persönliche Verhalten des Dienstboten den Arbeitgebern zur Pflicht. Auf Grund derselben Gewerbeordnung ist die Aufrechnung von irgend welchen Forderungen des Arbeitgebers gegen die Lohnforderungen des Arbeiters unzulässig, die Herrschaft dagegen kann bei etwaigem ihr zugefügten Schaden nicht nur an den Lohn des Dienstboten sich halten, sie kann sogar, falls dieser nicht ausreicht, eine Vergütung durch unentgeltliche Dienstleistung von ihm fordern,—eine neue Form für die mittelalterliche Schuldknechtschaft! Auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuches und des Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich kann das Dienstverhältnis von jedem Teil ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt; dem Dienstboten steht dasselbe Recht nach den deutschen Gesindeordnungen nur dann zu, "wenn er mißhandelt wird mit Gefahr für Leib und Leben", wenn die Herrschaft ihn "mit ausschweifender und ungewöhnlicher Härte behandelt", ihn "zu gesetzwidrigen und unmoralischen Handlungen verleitet", oder ihm "das Kostgeld nicht giebt, oder die Kost verweigert". Die Herrschaft dagegen kann ihn vor die Thüre setzen: wenn er sie "beleidigt", "Zwistigkeiten im Hause hervorruft", "beharrlich ungehorsam und widerspenstig ist", "sich Veruntreuungen zu schulden kommen läßt", "ohne Vorwissen und Erlaubnis nachts aus dem Hause bleibt", "seines Vergnügens wegen ausläuft, über die erlaubte Zeit hinaus fortbleibt, mutwillig den Dienst vernachlässigt", ja selbst "wenn ihm die Geschicklichkeit mangelt, die er bei der Vermietung zu besitzen vorgab", d.h. dem Arbeitgeber kann es nie an einem Grund fehlen, wenn er den Dienstboten ohne Entschädigung los werden will, während der Dienstbote erst körperliche oder moralische Mißhandlungen nachweisen muß, um ohne Einhaltung der Kündigungsfrist den Dienst aufgeben zu können. Der gewerbliche Arbeiter kann gegenüber unerträglichen Arbeitsbedingungen die Arbeit auch ohne Kündigung verlassen, ohne daß er sich dadurch ehrenrührige Strafen zuzieht; der Kontraktbruch beim Gesinde aber wird strafrechtlich verfolgt, und jedes Dienstmädchen, das davonläuft, kann von uniformierten Polizeibeamten, wie ein Verbrecher, wieder in die alte Stellung zurücktransportiert werden. Um jeden Weg zur Selbsthilfe endgültig abzuschneiden, steht das Gesinde,—und unter dieser Bezeichnung ist in Deutschland und Oesterreich nicht nur das häusliche, sondern auch das landwirtschaftliche zu verstehen,—auch in Bezug auf das verfassungsmäßig jedem Staatsbürger gewährleistete freie Vereins- und Versammlungsrecht unter Sondergesetzen. Das heute noch gültige Gesetz vom Jahr 1854 bestimmt, daß das Gesinde mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden kann, wenn es zum Zweck der Erlangung besserer Arbeitsbedingungen die Arbeit einstellt, sich mit anderen dazu verabredet, oder sie dazu auffordert.

Aber nicht allein in direkter Weise stehen die Gesindeordnungen in Widerspruch zu der allgemeinen modernen Regelung des Verhältnisses zwischen Unternehmern und Angestellten. Eine ganze Reihe von Geboten und Verboten schnüren noch außerdem jede Bewegungsfreiheit des Dienstboten ein, ohne daß ihm als Aequivalent irgend ein nennenswerter Schutz zu teil würde. So werden z.B. "Ungehorsam", "pflichtwidrige Reden", "unfleißiges Verhalten", "ungebührliches Benehmen" in verschiedenen deutschen Gesindeordnungen unter Strafe gestellt. Ja selbst die Prügelstrafe kann von den Herrschaften den Dienstboten gegenüber noch in Anwendung gebracht werden, denn die Gesindeordnungen von Braunschweig, Pommern, Sachsen, Reuß und Meiningen erkennen den Dienstgebern das Züchtigungsrecht ausdrücklich zu, und in Preußen können sie sich straflos der "Beleidigung und leichten Körperverletzung" schuldig machen.

Man hoffte, daß das Bürgerliche Gesetzbuch diesen Bestimmungen, die das Gesinde wehrlos den Arbeitgebern in die Hände liefern, ein Ende machen würde. Und es erklärte thatsächlich, daß ein Züchtigungsrecht der Herrschaft nicht zustehe; nur daß diese Erklärung für die Praxis dadurch jede Bedeutung verlor, daß Art. 95 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch alle Gesindeordnungen ausdrücklich bestehen läßt, und,—um darüber ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen,—eine preußische Ministerialverordnung folgendes bestimmte949: "Was die in dem letzten Absatz des Artikels 95 enthaltene Bestimmung anbelangt, wonach dem Dienstberechtigten gegenüber dem Gesinde ein Züchtigungsrecht nicht zusteht, so werden dadurch die in Preußen bestehenden landesgesetzlichen Vorschriften nicht berührt, da keine der letzteren ein solches Recht statuiert, auch der § 77 der Gesindeordnung nicht, indem derselbe nur geringe Thätlichkeiten der Herrschaft unbestraft läßt, welche durch ungebührliches, zum Zorn reizendes Betragen des Gesindes veranlaßt werden." Die Erlaubnis zu geringen Thätlichkeiten ist also, nach der Logik preußischer Minister, kein Züchtigungsrecht und das Gesinde kann nach wie vor mit Ohrfeigen traktiert werden!

Wie sehr diese Ausnahmestellung des Gesindes mit der ganzen Richtung der sozialpolitischen Gesetzgebung in Widerspruch steht, konnte auch den Kurzsichtigsten nicht verborgen bleiben. Aber wenn man sich schon scheute, die Familienwerkstatt und den Familiengasthofsbetrieb unter gesetzliche Regeln und gesetzliche Aufsicht zu bringen, um wie viel mehr mußte man sich davor scheuen, den Familienhaushalt ihnen zu unterwerfen. Jeder Reformversuch nach dieser Richtung trug den Charakter des Artikels 95 in sich: er wurde sofort wieder in sein Gegenteil verwandelt. So beantragte die freisinnige Partei im deutschen Reichstag zwar 1893 die Gleichstellung des Gesindes mit dem gewerblichen Arbeiter, 1895 aber stimmte sie in der Kommissionsberatung des betreffenden Absatzes im Bürgerlichen Gesetzbuch gegen die Aufhebung der Gesindeordnungen. Das Centrum dagegen versuchte bei Gelegenheit derselben Beratung die Unterstellung des Gesindes unter die Gewerbeordnung durchzusetzen; ein Jahr später im Plenum aber erklärte es sich dagegen. 1897 nahm dann der Reichstag eine Resolution an, die von der freisinnigen Partei ausging, und die Regierung aufforderte, die Rechtsverhältnisse des Gesindes reichsgesetzlich zu regeln; heute, nach fast fünf Jahren, ist es aber immer noch bei dem bloßen Wunsch geblieben, obwohl inzwischen die Dienstboten angefangen haben, für ihre Rechte einzutreten. Ihr konsequenter Vorkämpfer ist bisher allein die sozialdemokratische Partei gewesen, die nicht nur durch ihr Programm, das die rechtliche Gleichstellung der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern fordert, sondern durch eine Reihe dahin zielender Anträge im Plenum des Reichstages diese notwendige Reform durchzusetzen versuchte, vor allem für die Abschaffung der Gesindeordnungen und des jede Organisation verhindernden Gesetzes von 1854 eintrat. Natürlich ohne jeden Erfolg.

Vorwärts getrieben durch die Dienstbotenbewegung, die von den Vereinigten Staaten ausging und über die skandinavischen Länder den Weg nach Deutschland nahm, fühlten sich auch, wie wir gesehen haben, einzelne Gruppen der bürgerlichen Frauenbewegung zu Reformvorschlägen genötigt, die in der Abschaffung der Gesindeordnungen gipfeln, aber in Bezug auf die Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf die Dienstboten sich entweder vorsichtig ausschweigen, oder sehr bescheidene Forderungen stellen. Auch Stillich geht in der Bearbeitung seiner Enquete über die Lage der weiblichen Dienstboten in Berlin kaum weiter, ja er bleibt insofern noch hinter ihnen zurück, als die Freigabe des Sonntagnachmittags nach ihm nicht gesetzlich festgelegt werden, sondern das Dienstmädchen nur zur Arbeit während dieser Zeit nicht "verpflichtet" sein soll. Einen wesentlich anderen Standpunkt gegenüber der Dienstbotenfrage nehmen einige amerikanische und englische Frauenrechtlerinnen ein,—denn von einer allgemeinen feststehenden Stellung der Frauenbewegung zu diesem Problem ist auch hier keine Rede. Sie fordern die Ausbreitung kooperativer Gesellschaften, die allmählich die im Hause wohnenden Dienstboten durch außer dem Hause wohnende organisierte und für jedes Fach ausgebildete Hausarbeiterinnen ersetzen sollen und glauben, daß die Ausdehnung des Arbeiterinnenschutzes auf sie erst unter diesen Voraussetzungen ermöglicht werden kann.

Alle diese Versuche liegen auf dem Wege der durchgreifenden Reform, aber sie haben jeder für sich nur den Wert vorbereitender Arbeit. Erst ihre Zusammenfassung und organische Ausbildung kann zu einer Regelung des Verhältnisses der häuslichen Arbeiter führen. Vor allem haben wir uns auch hier zunächst den Gang der Entwicklung klar zu machen, ohne bei der nüchternen Ueberlegung dem Einfluß subjektiver Gefühle zu viel Spielraum zu gewähren. Gerade hier ist diese Gefahr groß, denn so trivial es auch klingen mag, so wahr ist es doch, daß der Gedanke an die Familie, an die stillen Freuden der Häuslichkeit bei den Angehörigen der bürgerlichen Welt eng mit dem Gedanken an die eigene Köchin in der eigenen Küche zusammenhängt, und man mit der Preisgabe des einen das andere zu erschüttern glaubt. Der objektive Beobachter aber wird sich der Erkenntnis nicht verschließen können, daß Alles—die wachsende Abneigung gegen den Gesindedienst in proletarischen, die Zunahme der Frauenerwerbsarbeit in bürgerlichen Kreisen, die sich rapide ausbreitende Industrialisierung und Zentralisierung ehemals privater, häuslicher Thätigkeiten,—eine fundamentale Umwandlung des häuslichen Lebens vorbereitet. Dieser Entwicklung könnte auch dann nicht mit dauerndem Erfolg in die Zügel gefallen werden, wenn sie, wie viele behaupten wollen, eine nur schädliche Tendenz in sich trüge. Sie muß aber um so mehr gefördert werden, als sie thatsächlich glücklicheren Zuständen die Wege bahnt.

Der Kreis der bürgerlichen Familie umschloß früher den großen Hausstand mit all seinen Mägden und Knechten; von einem intimen Zusammenleben zwischen Mann und Weib konnte dabei selten die Rede sein, und die häusliche Atmosphäre war der Ausfluß so vieler verschiedener Individualitäten, daß ihr Einfluß auf die Kinder nicht als der der Eltern allein gelten konnte. Je mehr der Haushalt zusammenschrumpfte, desto mehr stieg die Möglichkeit häuslicher Intimität, desto inniger konnten seine wenigen Glieder sich zusammenschließen, und endlich wird die Entwicklung auf der höheren Kulturstufe da anlangen, von wo sie auf der tieferen ausging: der kleinen in sich geschlossenen Familiendreieinigkeit,—Mann, Weib und Kinder. Der Ausschluß jeden fremden Elements aus dem persönlichen Leben des Menschen liegt aber in der Richtung der Steigerung und Vertiefung des persönlichen Glücks. Durch ihn wird die Frau wieder zur Genossin des Mannes, zur Mutter der Kinder, die sie auch mit der Milch ihres Geistes wird nähren können. Für die Dienstboten aber ist die Auflösung des persönlichen Dienstverhältnisses der einzige Weg zu ihrer Befreiung. Wir haben uns daher auch in den Dienst dieser Entwicklung zu stellen.

Von diesem Standpunkt aus bekommt die Frage der Ausdehnung des Arbeiterschutzes auf das Gesinde gleich ein anderes Gesicht, und der Einwand, daß infolgedessen immer weniger Menschen im stande sein würden, sich Dienstboten zu halten, verwandelt sich in eine Befürwortung der Maßregel. Die einzelnen Forderungen an die Gesetzgebung, die natürlich mit der Abschaffung der Gesindeordnungen einsetzen müßte, lassen sich kurz zusammenfassen: der elf- bis zwölfstündige Arbeitstag für über Achtzehnjährige könnte den Anfang bilden, seine Ergänzung wäre die 1-1/2stündige Mittagspause, der freie Sonntagnachmittag und, als Entschädigung für die halbe Sonntagsarbeit, ein freier halber Wochentag; Ueberstunden und Extraarbeiten, die in bestimmtem Umfang erlaubt sein müssen, wären selbstverständlich besonders zu vergüten. Die Arbeitszeit selbst könnte zwischen 7 Uhr früh und 9 Uhr abends zu verteilen sein. Strenge Vorschriften in Bezug auf die Wohnungsverhältnisse der Dienstboten müßten durch eine energische Wohnungsinspektion und die Haftbarmachung jedes Hauswirts noch verschärft werden.

Nun ist es zwar keinem Zweifel unterworfen, daß diese Bestimmungen unmittelbare allgemeine Folgen sofort nicht haben würden, selbst wenn man in jedes Haus einen Inspektor setzte. Ihre erzieherische Wirkung aber wäre um so bedeutsamer: die Dienstmädchen würden infolge der freien Zeit, über die sie zu verfügen hätten, der Aufklärung leichter zugänglich sein, organisationsfähiger werden und lernen, ihre Rechte selber zu schützen; die Hausfrauen andererseits würden schnell genug einsehen, daß sich der Kleinbetrieb unter solchen Umständen nicht mehr lohnt. Alle neuen Errungenschaften der Chemie und der Technik, die heute infolge des bornierten Konservatismus der meisten Hausfrauen fast unbenutzt bleiben, würden ihrer arbeitsparenden Eigenschaften wegen in Anwendung gebracht werden. Da das aber für den Einzelhaushalt ebenso verschwenderisch wäre, als wenn man einen elektrischen Motor zum Antrieb eines einzigen Webstuhls anschaffte, so würde naturgemäß allmählich der genossenschaftliche Haushalt oder die zentralisierte Wirtschaftsführung die Funktionen der einzelnen Haushalte aufsaugen. Die Dienstboten aber würden sich in freie Arbeiter verwandeln, die ebenso wie diese in die Fabrik, in die Zentralküchen gingen. Alle diejenigen Institute, wie etwa die Berliner Zentralreinigungsgesellschaften, die stundenweise ihre Angestellten zu bestimmten häuslichen Verrichtungen, wie Wohnungsreinigen, Putzen etc., aussenden, wie die Fensterputz- und Teppichklopfanstalten der großen Städte, wie die Household economic Associations Amerikas werden sich infolgedessen immer weiter verbreiten, die Zentralisierung der Heizung, der Beleuchtung wird sich ausbilden, kurz, alles das, was jetzt oft nur ein kümmerliches Dasein fristet, weil die Sonne der Gunst des Publikums ihm fehlt, wird sich durch den Antrieb praktischer Bedürfnisse rasch entwickeln. Je mehr es aber geschieht, desto energischer kann und muß die Arbeiterinnenschutzgesetzgebung auf die Dienstmädchen Anwendung finden. Auf einer anderen Basis, als auf der der Loslösung des Gesindes aus dem persönlichen Dienstverhältnis, auf eine Reform des Gesindewesens zu rechnen, ist eine Utopie. Je eher wir uns von ihr losmachen, je rascher wir versuchen, uns den neuen, unabweisbar sich entwickelnden Verhältnissen anzupassen, desto schmerzloser wird sich der allmähliche Prozeß der Umwandlung vollziehen, wie er sich schon früher, für viele fast unbemerkt, vollzogen hat.

Die ökonomische Ungleichheit zwischen Arbeiter und Unternehmer führt mit Notwendigkeit zu den staatlichen Maßregeln des Arbeiterschutzes. Der rechtlich freie Arbeitsvertrag würde niemals ein faktisch freier sein, weil er die schwächere soziale und wirtschaftliche Stellung des Arbeiters nicht aufhebt. Der Eingriff des Staates in den freien Arbeitsvertrag hat sich daher als eine Notwendigkeit erwiesen. Jeder Fortschritt des Arbeiterschutzes bedeutet für den Unternehmer eine Einschränkung seines Verfügungsrechts über die von ihm gekaufte Arbeitskraft und für den Arbeiter größere persönliche Freiheit und Sicherheit. Das Recht darauf und das Bedürfnis danach ist für beide Geschlechter dasselbe. Wenn die Gesetzgebung den Frauen in Bezug auf die Arbeitszeit einen ausgedehnteren Schutz zu teil werden läßt, als den Männern, so hat das keine prinzipielle Bedeutung, ist vielmehr nur der notwendige erste Schritt zu allgemeiner, gleichmäßiger Regelung. Nur soweit die Frau die Verantwortung für die Existenz und die Gesundheit eines anderen Menschen, ihres Kindes trägt, hat sie Anspruch auf besonderen Schutz, der sich, seiner inneren Bedeutung nach, weniger als Arbeiterinnen-, denn als Kinderschutz charakterisiert. Aber in dem Schutz von Leben und Gesundheit, in der Schaffung von Arbeitsbedingungen, die nicht nur die physische Existenz des Arbeiters zu einer erträglichen gestalten, sondern auch die Grundlage zu geistiger Fortentwicklung legen helfen, beruht nicht, wie im allgemeinen angenommen wird, die einzige Aufgabe der Arbeiterschutzgesetzgebung. Sie hat sich nicht mit dem äußeren Schutz zu begnügen, vielmehr die ernste und folgenschwere Pflicht, allen denjenigen Betriebsformen zum Siege zu verhelfen, unter deren Herrschaft der Arbeiter sozial höhere Stufen erreichen kann: sie muß die Hausindustrie und den häuslichen Dienst einer tiefgehenden Umwandlung entgegenführen, sie muß den Großbetrieb in Gewerbe und Handel fördern.

Die Voraussetzung aber für die Wirksamkeit und den Fortschritt des Arbeiterschutzes ist die Mitarbeit der Zunächstbeteiligten an seiner Durchführung und seinem Ausbau. Alle öffentlichen Einrichtungen und alle Gesetze, die sie dazu fähig zu machen vermögen, sind als notwendige Ergänzungen der Arbeiterschutzgesetzgebung zu betrachten. Sie bilden gewissermaßen die Vollendung der Erziehung, die nicht darin allein besteht, die Kinder vor Schaden zu bewahren, sondern ihnen die Waffen in die Hand zu geben, mit denen sie sich selber schützen können. In diesem Sinne werden die Frauen noch immer als kleine Kinder behandelt.

Wir haben gesehen, daß die niedrige Entlohnung der Frauenarbeit meist auf ihre geringere qualitative oder quantitative Leistungsfähigkeit zurückzuführen ist. Es läge demnach sowohl im Interesse der Frauen, als in dem der Männer, denen sie Schmutzkonkurrenz machen, ihre Leistungen zu erhöhen, d.h. ihnen eine der männlichen gleichwertige Ausbildung zu teil werden zu lassen. Der Besuch der Fortbildungsschulen, zu dem nach der deutschen Gewerbeordnung die Kommunalbehörden lediglich die männlichen Arbeiter verpflichten können, und der von Reichswegen nur für männliche und weibliche Handelsgehilfen vorgeschrieben ist, müßte demnach für alle, der Volksschule entwachsenen Mädchen obligatorisch werden, und sich bis zum sechzehnten Jahr erstrecken. Die Voraussetzung wäre, daß sämtliche Fortbildungs- und Fachschulen, die gegenwärtig häufig wohlthätigen Vereinen ihre Existenz verdanken und eine gründliche Ausbildung nicht zu geben vermögen, von den Gemeinden oder dem Staat eingerichtet und geleitet würden, wie es in Oesterreich z.B. vielfach geschehen ist, vor allem aber, daß sie, wo es sich nicht um spezifisch weibliche oder männliche Arbeiten handelt, die gemeinsame Erziehung der Geschlechter grundsätzlich durchzuführen hätten. Erst dadurch würden die Kräfte der männlichen und weiblichen Schüler sich aneinander messen können und die notwendige Differenzierung sich ebenso verbreiten, wie der Wettbewerb auf gleichen Arbeitsgebieten.

Wie die Forderung des Fortbildungsschulzwangs für Mädchen sich aus dem wachsenden Erwerbszwang von selbst ergiebt, so ist es nur die selbstverständliche Konsequenz der Zunahme der Lohnarbeit verheirateter Frauen, wenn nicht nur jedes gesetzliche Hindernis, das ihnen im Wege steht, beseitigt, sondern ihre freie Verfügung über ihren Arbeitsertrag gesichert werden muß. Bisher ist das keineswegs der Fall; in Frankreich, Oesterreich und den Niederlanden bedarf die Frau zur Eingehung eines Arbeitsvertrags der Zustimmung des Mannes; ein Vertrag, der ohne sein Vorwissen beschlossen wurde, kann durch seinen Einspruch ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gelöst werden, in Deutschland bedarf der Ehemann dazu die Ermächtigung des Vormundschaftsgerichts. Und selbst der durch eigene Arbeit erworbene Lohn ist nicht das gesicherte persönliche Eigentum der Frau: lebt sie in Deutschland mit dem Mann in Gütergemeinschaft und der Lohn ist nicht durch Ehevertrag ausdrücklich ausgesondert worden, so kann der Mann ihn in Besitz nehmen und darüber verfügen; in Frankreich und in den Niederlanden kann er sogar an ihrer Stelle den Lohn für sich einfordern. Daß dadurch unter Umständen ganze Familien ruiniert werden trotz des aufopfernden Fleißes der Mutter, bedarf kaum noch des Hinweises; jeder Trunkenbold und Arbeitsscheue hat das Recht, den mühsam erworbenen Lohn der Frau, durch den sie ihre Kinder ernähren wollte, zu verprassen. Englands Gesetzgebung allein hat diesen Verhältnissen bisher Rechnung getragen, indem es der Frau die selbständige Schließung von Arbeitsverträgen ermöglichte und ihren Erwerb für sie sicher stellte. Der Schutz der verheirateten Arbeiterin ist ohne diese zivilrechtliche Ergänzung jedenfalls ein unvollständiger. Angesichts der Entwicklung der Frauenarbeit muß sie nicht nur über ihre Arbeitskraft frei verfügen können, sondern sich auch im uneingeschränkten Genuß ihres Erwerbs befinden. Die wirtschaftliche Unabhängigkeit, die dadurch geschaffen wird, ist eine der Grundlagen für die soziale und politische Emanzipation der Frau.

Einer der ersten Schritte zur politischen Gleichstellung, der sich gleichfalls aus der Thatsache der Frauenerwerbsarbeit ergiebt, ist das Wahlrecht zu den Gewerbegerichten, denen die Aufgabe zufällt, Streitigkeiten zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und ihren Angestellten zu untersuchen und zum Austrag zu bringen. Die Mitglieder dieser Gerichte, die Frankreich als Conseils des prud'hommes, Italien als Collegio dei probi viri kennt, werden in gleicher Zahl und mit gleichen Rechten von den Unternehmern und den Arbeitern aus ihrer Mitte gewählt; da es nun aber weibliche Unternehmer und weibliche Arbeiter ebenso wie männliche giebt, und Streitigkeiten zwischen Arbeiterinnen und Unternehmern ebenso häufig vorkommen, wie zwischen Arbeitern und ihren Arbeitgebern, so liegt kein stichhaltiger Grund vor, warum den Frauen nicht auch dieselben Rechte zustehen, wie den Männern. Oesterreich hat dies wenigstens insofern anerkannt, als es die Frauen zum aktiven Wahlrecht zuließ, Italien gewährte ihnen auch das passive; in Frankreich stimmte die Kammer bereits vor zehn Jahren zu Gunsten der Frauen, der Senat aber hat dem Beschluß seine Zustimmung versagt, indem er erklärte, die Interessen der Frauen seien auf das Familienleben zu beschränken! In Deutschland ist die Mehrheit des Reichstags noch derselben Ansicht; selbst die unbestreitbare Thatsache der 5-1/2 Millionen arbeitender Frauen vermag ihn noch immer nicht davon zu überzeugen, daß dem Familienleben durch den Wahlzettel die geringste Gefahr droht.

Derselbe Geist, aus dem der Widerstand gegen das Wahlrecht der Frauen zu den Gewerbegerichten entsprang, beherrscht auch die Gesetzgebung in Bezug auf das Koalitionsrecht. Das preußische Vereinsgesetz und mit ihm eine ganze Anzahl von den übrigen 26 verschiedenen deutschen Vereinsgesetzen, verbietet "Frauen, Schülern und Lehrlingen" ausdrücklich die Teilnahme an politischen Vereinen oder die Bildung solcher Vereine. Das österreichische Gesetz steht auf demselben Standpunkt. Vereinen jedoch, die "ideale" oder "wirtschaftliche" Ziele verfolgen, können auch weibliche Mitglieder angehören. Durch diese Bestimmungen kennzeichnet sich das Alter der ganzen Vereinsgesetzgebung, die durch die wirtschaftliche Entwicklung einerseits und den Fortschritt der sozialpolitischen Gesetzgebung andererseits längst überholt wurde. Seitdem die Frau in Reih und Glied neben dem Arbeiter dem Erwerb nachgeht, und der Schutz der Arbeiter Gegenstand der Gesetzgebung wurde, ist es ebenso widersinnig, der Frau die politische Stellungnahme zu verbieten, wie es widersinnig ist, zwischen den Begriffen der wirtschaftlichen und politischen Interessen eine rechtliche Grenzlinie festzuhalten. Für die daraus folgende Verwirrung der Begriffe liefert die Rechtsprechung zahlreiche Illustrationen; Arbeiterinnenvereinen und Gewerkschaften gegenüber erklärte sie wiederholt Fragen für politisch, und begründete damit Auflösungen und Maßregelungen, die, sobald sie von bürgerlichen Vereinen behandelt wurden, unbeanstandet als wirtschaftliche passierten. Das preußische Kammergericht sprach sich in einem Urteil sogar folgendermaßen aus950: "Zu den politischen Gegenständen im Sinne des Vereinsgesetzes gehören solche, welche Sozialpolitik, insbesondere auch die Regelung der Arbeitszeit betreffen." Jede gewerkschaftliche Organisation, vor allem aber die, an der sich Frauen beteiligen, ist demnach auf Gnade und Ungnade der Willkür der Behörden überliefert.

Die Durchführung des Arbeiterschutzes aber und sein weiterer Ausbau hängt, wie wir gesehen haben, wesentlich von den Arbeitern und ihrer thatkräftigen Unterstützung selbst ab, und die traurige Lage, in der vor allem die weibliche Arbeiterschaft schmachtet, wird nicht zum wenigsten dadurch in ihrer schrecklichen Gleichmäßigkeit erhalten, daß den Frauen die Hand gebunden und der Mund verschlossen ist. Der Charakter der Klassengesetzgebung, die zwar so weit geht, die Arbeiterin zu beschützen, nicht aber so weit, sie fähig zu machen, daß sie sich selbst beschützen kann, kommt nirgends so deutlich zum Ausdruck als im Vereinsrecht Deutschlands und Oesterreichs. Kein Kulturstaat der Welt kennt Aehnliches. Von einer ernsten Sozialreform kann nicht eher die Rede sein, als bis dieser Stein, der ihre Straße versperrt, aus dem Weg geschafft wurde. Zu diesem Zweck aber würde die bloße Gleichstellung der Frau mit dem Mann auf dem Boden des bestehenden Rechts nicht genügen, es müßte vielmehr ein den modernen Verhältnissen, der Entwicklung und den Ansprüchen der Arbeiterklasse angepaßtes, einheitliches, neues Recht an dessen Stelle treten, das für die volle Koalitionsfreiheit die Gewähr böte, und von dessen unbeschränkten Genuß keine Arbeiterkategorie auszuschließen wäre.—

So stellt sich der Arbeiterschutz im weitesten Sinne nicht lediglich als eine Sammlung von Schutzvorschriften dar, sondern als ein System verschiedener gesetzlichen Maßnahmen, die organisch ineinander greifen, und gegenseitig bedingt werden. Sozialreform, in diesem Sinne aufgefaßt, ist nicht ein in sich abgeschlossener Teil der Gesetzgebung, sondern die Quintessenz der Gesetzgebung überhaupt.

Uebersicht der Arbeiterinnenschutzgesetzgebung.

Deutschland

Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

Fabriken, Werkstätten mit Motorbetrieb, Werkstätten der Kleider- und Wäschekonfektion, ausgenommen diejenigen, in denen nur Familienmitglieder arbeiten, Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüche und Gruben, Zimmerplätze, Bauhöfe, Werften, Hüttenwerke, Ziegeleien.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.

10 Stunden, 1 Stunde Mittagspause, je 1/2 Stunde Pause vor- and nachmittags.

Arbeitszeit: b) Der Frauen.

11 Stunden. An Vorabenden der Sonn- und Festtage 10 Stunden, 1 Stunde Mittagspause; für die, welche ein Hauswesen zu besorgen haben und einen Antrag stellen 1-1/2 Stunde.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.

Nur durch besondere Verordnung des Bundesrats gestattet.

Ueberstunden: b) Der Frauen.

Auf 2 Wochen nicht über 13 Stunden täglich, im Jahr nicht mehr als 40 Tage gestattet. Länger als 2 Wochen durch Erlaubnis der höheren Verwaltungsbehörde, aber auch dann dürfen 40 Tage im Jahr nicht überschritten werden. Außerdem kann der Bundesrat für ganze Fabrikationszweige Dispensation erteilen: für Fabriken mit ununterbrochenem Feuer, für Betriebe, die auf bestimmte Jahreszeiten beschränkt sind, für Saisonindustrien.

Nachtarbeit:

Von 8-1/2 Uhr abends bis 5-1/2 Uhr morgens verboten. Durch die höhere Verwaltungsbehörde und den Reichskanzler Ausnahmen gestattet, unter denselben Voraussetzungen wie bei den Ueberstunden.

Sonntagsarbeit:

Verboten. Durch die höhere Verwaltungsbehörde und den Bundesrat sind Ausnahmen gestattet: Bei Bedürfnisgewerben, Saisongewerben und aus technischen Gründen, sowie bei besonderen Notlagen oder Unglücksfällen.

Arbeitsbeschränkung:

Die Arbeit unter Tage ist verboten. Der Bundesrat ist ermächtigt durch besondere Verordnungen die Arbeit in gesundheitsgefährlichen Betrieben gleichfalls zu verbieten oder einzuschränken.

Schutzzeit der Schwangeren:

Keine.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

6 Wochen, doch kann die Zeit auf Grand ärztlichen Attestes um 14 Tage verkürzt werden.

Oesterreich

Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

Fabriken, handwerksmäßige Betriebe, Werkstätten, außer denjenigen, in denen nur Familienmitglieder arbeiten.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.



Arbeitszeit: b) Der Frauen.

11 Stunden, 1-1/2 Stunde Pause in Fabrikbetrieben.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.



Ueberstunden: b) Der Frauen.

Wie in Deutschland durch besondere Erlaubnis gestattet. Im ganzen nicht mehr als während 15 Wochen im Jahr.

Dispensationen für ganze Fabrikationszweige wie in Deutschland zulässig.

Nachtarbeit:

Nur für Fabrikbetriebe soweit Frauen über 16 Jahre alt von 8-1/2 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verboten. Ausnahmen wie in Deutschland zugelassen, für Jugendliche auch im Gewerbebetriebe.

Sonntagsarbeit:

Verboten, Ausnahmen ähnlich wie in Deutschland gestattet.

Arbeitsbeschränkung:

Die Arbeit unter Tage ist verboten. Durch besondere Verordnungen können Arbeiten in gesundheitsgefährlichen Betrieben gleichfalls verboten werden.

Schutzzeit der Schwangeren:

Keine.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

4 Wochen. Bei Arbeiten über Tage im Bergbau 6 Wochen.

Frankreich

Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

Fabriken, Bergwerke, Steinbrüche, Bauplätze, Werkstätten, außer denjenigen, in denen nur Familienmitglieder arbeiten, und alle damit in Zusammenhang stehenden industriellen Betriebe, öffentliche, private, religiöse.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.

--

Arbeitszeit: b) Der Frauen.

11 Stunden, 1 Stunde Pause. Vom Jahre 1902 ab 10-1/2 Stunden. Vom Jahre 1904 ab 10 Stunden für Fabriken, in denen Männer und Frauen zusammen arbeiten.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.

Verboten.

Ueberstunden: b) Der Frauen.

In einzelnen Industriezweigen dürfen Frauen bis 11 Uhr abends beschäftigt werden, doch nicht öfter als während 60 Tagen im Jahr, bei besonderen Anlässen auch sonst noch Ausnahmen zugelassen.

Dispensationen für ganze Fabrikationszweige wie in Deutschland zulässig.

Nachtarbeit:

Von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verboten. Ausnahmen ähnlich wie in Deutschland zugelassen.

Sonntagsarbeit:

Verboten. Ausnahmen für besondere Industrien zeitweise gestattet, doch muß als. Ersatz im Laufe von 7 Tagen ein anderer vollständiger Ruhetag gewährt werden.

Arbeitsbeschränkung:

Wie in Deutschland und Oesterreich.

Schutzzeit der Schwangeren:

Keine.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

Keine.

Schweiz

Betriebe, auf die sich die Gesetzgebung bezieht:

Fabriken, Werkstätten mit Motorbetrieb, die mehr als 5 Personen, alle industriellen Betriebe, die mehr als 10 Personen, und alle gefährlichen Betriebe, die weniger als 6 Personen beschäftigen, mit Ausnahme der Werkstätten, in denen nur Familienmitglieder arbeiten und in denen ungefährliche Gewerbe betrieben werden.

Arbeitszeit: a) Der jungen Leute.



Arbeitszeit: b) Der Frauen.

11 Stunden. An Vorabenden der Sonn- und Festtagen 10 Stunden, 1 Stunde Pause. Für Frauen, die ein Hauswesen zu besorgen haben, 1-1/2 Stunde.

Ueberstunden: a) Der jungen Leute.



Ueberstunden: b) Der Frauen.

Für nicht mehr als 14 Tage im Jahr durch besondere Erlaubnis der Behörden gestattet.

Dispensationen für ganze Fabrikationszweige wie in Deutschland zulässig.

Nachtarbeit:

Von 8 Uhr abends bis 5 resp. 6 Uhr morgens verboten.

Sonntagsarbeit:

Verboten.

Arbeitsbeschränkung:

Wie in Deutschland und Oesterreich.

Schutzzeit der Schwangeren:

14 Tage vor der Niederkunft ist die Arbeit verboten.

Schutzzeit der Wöchnerinnen:

6 Wochen.