Die Großindustrie: Die Löhne der Fabrikarbeiterinnen.

Verhältnis der Frauen- zu den Männerlöhnen. — Differenzierung der Arbeit nach Geschlechtern. — Die Ursachen der Erwerbsarbeit verheirateter Frauen. — Das Verhältnis des Lohnes zu den Lebensbedürfnissen. — Die Arbeitszeit der Fabrikarbeiterin. — Der Einfluß der Fabrikarbeit auf die Gesundheit der Frau. — Der Einfluß der Fabrikarbeit verheirateter Frauen auf die Familie.

Die Arbeit, die Befreierin des Weibes! Welcher Mensch, der heute die Arbeit der Proletarierin betrachtet, sieht nicht vielmehr in ihr eine Sklavenkette, schwerer, einschneidender als die irgend eines Galeerensträflings? Es sind die Arbeitsbedingungen, die sie dazu gestalten.




Die Grundlage der Existenz des Arbeiters ist der Preis, für den er seine Arbeitskraft verkauft, der Lohn. Um zu erkennen, wie sich die Bestreitung der notwendigen Lebensbedürfnisse zu den Einnahmen verhält, müßte man sich auf eingehende, nach Staaten, nach Stadt- und Landbezirken, nach allen Zweigen der verschiedenen Industrien, und sogar nach Jahreszeiten differenzierte Untersuchungen stützen können. Das ist leider unmöglich. Nicht nur, daß die vorhandene Lohnstatistik statt genauer Einzelangaben, meist Durchschnittszahlen oder approximative Bestimmungen enthält, sie ist auch bisher so wenig gepflegt worden, daß ihre Ergebnisse, vom streng wissenschaftlichen, Standpunkt aus, kaum als der Ausgangspunkt unumstößlicher Erkenntnisse gelten können. Noch schlimmer steht es um die Feststellung der Ausgaben für die notwendigen Lebensbedürfnisse. Was an Angaben darüber zu finden ist, erscheint um so unzuverlässiger, als der Begriff des Notwendigen keineswegs feststeht. Und doch müßte die Statistik der Lebensbedürfnisse die selbstverständliche Ergänzung der Lohnstatistik sein, da die bloße Angabe der Höhe der Löhne uns über die Lage des Arbeiters nicht im mindesten aufklärt. Er kann z.B. in einem Dorfe Süd-Frankreichs von demselben Lohn auskömmlich leben, bei dem er etwa in Paris Not leiden müßte. Aber nicht nur die Verschiedenheit der Lebensmittel- und Wohnungspreise kommen in Betracht, sondern auch das verschiedene Lebensniveau der Arbeiter. Und dabei käme es nicht nur auf Vergleiche etwa zwischen dem mit voller Zufriedenheit tagaus tagein Polenta essenden Italiener und dem Maschinenbauer Englands an, der an eine reichliche Fleischkost gewöhnt ist, sondern auf viel feinere und eingehendere zwischen den Arbeiterschichten desselben Landes: was der eine nicht im mindesten vermißt, das ist dem anderen schon eine schwer empfundene Entbehrung.

Für unseren Zweck wird die Sachlage nun noch schwieriger. Denn zur Beurteilung der Arbeiterinnenlöhne wäre es neben den genannten Gesichtspunkten notwendig, sie mit den Männerlöhnen zu vergleichen, und zwar nicht im allgemeinen, sondern im einzelnen, indem die beiderseitige Arbeitsleistung mit in Anschlag gebracht wird. Es giebt zwar Versuche der Art, sie sind aber unzulänglich. Nehmen wir z.B. an, daß unter der Rubrik Papierkartons Männer- und Frauenlöhne verglichen werden, so ist das Resultat nichts als eine wenig wertvolle Durchschnittszahl; es könnte nur dann Wert haben, wenn sowohl die Art der Kartons, wie die der daran geleisteten Arbeit präzisiert würde. Auch genauere Bezeichnungen, wie etwa Herrenwestenstepperei, reichten noch nicht aus, da es zur Beurteilung der Lohnhöhe von männlichen und weiblichen Arbeitern darauf ankäme, welche Sorten Westen gesteppt werden. Aber noch ein anderes kommt hinzu: Die Lage der Arbeiterinnen kann nur dann ganz richtig beurteilt werden, wenn sich feststellen läßt, ob ihr Lohn wirklich die Grundlage ihrer Existenz bildet, oder nur die Ergänzung eines anderen Einkommens ist, etwa durch die Arbeit des Mannes, des Vaters etc. Auch das ist nur in gewissem Umfang möglich.

Alle diese Einschränkungen vorausgeschickt, können wir uns daher nur auf Untersuchungen stützen, die den Wert von Stichproben haben, ohne über das ganze Gebiet volle Klarheit zu verschaffen.

Was bei der Betrachtung der Frauenlöhne zunächst in die Augen fällt, ist ihre Niedrigkeit und die Seltenheit, mit der sie sich steigern. Die deutsche Untersuchung von 1876 konstatierte Wocheneinnahmen von Fabrikarbeiterinnen von 1,80 Mk. an; solche von 3 bis 6 Mk. kamen sehr häufig vor, während solche von 12 bis höchstens 19 Mk. schon als eine große Seltenheit bezeichnet wurden.483 Um dieselbe Zeit wurde für die Textilindustrie am Niederrhein festgestellt, daß besonders tüchtige Arbeiterinnen wohl 6 bis 13 Mk. verdienen könnten, die weniger tüchtigen aber bei 5 bis höchstens 10 Mk. dauernd stehen blieben.484 Aber auch in jüngster Zeit gehören Löhne der Art keineswegs zu den Ausnahmen. So erreichten in Stuttgart die Hälfte aller Arbeiterinnen nur einen Wochenverdienst bis zu 9 Mk.485, und in der Berliner Papierwarenindustrie traf für 56 % dasselbe zu.486 In Wien haben sich bei Gelegenheit der Frauenarbeits-Enquête ähnliche Verhältnisse herausgestellt. In der Papier- und in der Textilindustrie wurden die niedrigsten Wochenlöhne mit 1 fl. 50 kr. angegeben, während 4 bis 5 fl. für die gesamte Industrie als der erreichbare Durchschnittslohn angesehen wurde.487 In Fabriken Böhmens fanden sich sogar Frauenlöhne von 1 fl. wöchentlich, und über die Hälfte der Arbeiterinnen verdienten 2 fl. 25 kr. bis 3 fl. 25 kr.488 Für Frankreich wurden Jahreseinnahmen der Fabrikarbeiterinnen von 100, 140 und—am häufigsten—250 frs. festgestellt.489 Italien weist in der Seiden- und Baumwollindustrie Wochenlöhne von 4,80 frs., in der Trikotwarenfabrikation solche von 3,60 frs. auf.490 In England, wo im allgemeinen die Lage der Arbeiterinnen eine bessere zu sein scheint, ist das Niveau, bis zu dem sie herabsinkt, immer noch ein sehr tiefes. So verdienten z.B. in den Schneiderfabriken Dudleys und in den Cigarettenfabriken Liverpools 44 % der Arbeiterinnen unter 6 sh. wöchentlich; von den Fabrikarbeiterinnen der großen Industriestadt Bristol verdienten 30 % unter 8 sh., 33 % 8 bis 12 sh., nur 7 % 15 bis 18 sh. und nur 3 % über 18 sh. die Woche.491 In Nordamerika, wo der Durchschnittsfrauenlohn in 22 großen Städten 5,24 $ beträgt, sind Jahreseinnahmen von 75 bis 150 $ trotzdem gar nichts Seltenes.492 Dabei muß, wie überhaupt bei allen Enqueten über Frauenarbeit, besonders denen mittelst Fragebogen, in Betracht gezogen werden, daß nur die intelligentesten, die eigentlichen Elitearbeiterinnen,—im vorliegenden Fall nur 7 % aller Befragten,—antworten und richtig antworten. Die große Masse wird nicht erfaßt.



Aber wie gesagt, selbst wenn wir eine unendliche Zahl von Lohntabellen besäßen, sie würden nichts als eindruckslose Zahlen für uns bleiben, wenn wir ihnen nicht die entsprechenden der Männerlöhne gegenüberstellen könnten. Es fehlt nun zwar nicht an Material dafür, es erweist sich nur bei näherer Betrachtung zum großen Teil als unzureichend. So findet sich z.B., daß in den oberelsässischen Spinnereien in den achtziger Jahren die männlichen Arbeiter 1,80 Mk. bis 4 Mk. täglich verdienten, die weiblichen 1,70 Mk. bis 2 Mk., und dieser Unterschied beginnt sogar schon bei den arbeitenden Kindern; die männlichen Geschlechts verdienten 40 Pf. bis 1,20 Mk., die weiblichen nur 30 Pf. bis 1 Mk. am Tage. Für die Webereien galt das gleiche: während die Tageseinnahmen der Männer 3,30 Mk. zu betragen pflegten, erreichten die Frauen im besten Fall einen Lohn von 2,40 Mk.493 In den Mannheimer Fabriken wurde festgestellt, daß 56 % der Männer 15 bis 25 Mk. in der Woche verdienten, 71 % der Frauen dagegen nur 8 bis 10 Mk.; 1-1/2 % der Männer konnten sogar auf einen Verdienst von über 35 Mk. rechnen, während nur 0,08 % Frauen die höchste Einnahme von 30 bis 35 Mk. erreichten.494 Nach einer Zusammenstellung für Großbritannien, die sich auf 110 Fabriken mit 17430 Arbeitern bezieht, und für Massachusetts, die 210 Fabriken mit 35902 Arbeitern umfaßt und im ganzen 24 verschiedene Industrien in sich schließt, gestalten sich die Lohnverhältnisse für beide Geschlechter folgendermaßen:495
Grossbritannien Massachusetts
Männer Frauen Männer Frauen
$ $ $ $
Durchschnittlicher höchster Wochenlohn 11,36 4,10 25,41 8,57
" niedrigster " 4,72 2,27 7,09 4,62
" Wochenlohn 8,26 3,37 11,85 6,09

Hier, wo allgemeine Durchschnittszahlen gewonnen wurden, ist, wie wir sehen, der Unterschied zwischen Männer- und Frauenlöhnen ein außerordentlich beträchtlicher. In all diesen Fällen fragt es sich nun aber, welche Art von Arbeit die Frauen verrichten, und da die Frage unbeantwortet bleibt, so lassen sich aus dieser Verschiedenartigkeit der Löhne keine positiven Ergebnisse ableiten. In ein helleres Licht gerückt wird die Frage durch folgende Angaben: In der Berliner Kontobuchindustrie stanzen Männer und Frauen Titel auf der Vergolderpresse. Der Arbeiter bekommt 1 Mk. pro 1000 Stück, die Arbeiterin 70 Pf. Die Arbeiter, die Linien ziehen, haben einen Wochenlohn von 27 Mk., die Frauen, die die gleiche Arbeit verrichten, 12 bis 15 Mk.496 Die männlichen Ketten- und Karabinermacher in der Bijouterieindustrie Badens erreichen einen Maximalwochenverdienst von 26,74 Mk., die weiblichen einen von 17,98 Mk., die männlichen Drahtzieher, Presser und Aushauer in derselben Industrie verdienen im besten Fall 26,18 Mk., die weiblichen dagegen nur 18,28 Mk.497 Die Marmorpoliererinnen an den Niagara-Marmorbrüchen in Nord-Amerika verdienen 4,80 $ bis 8 $ die Woche, ihre männlichen Kollegen 9 bis 18 $ für dieselbe Arbeit.498 Aber auch dieses speziellere Eingehen auf die Arbeitsverrichtungen der Männer und Frauen läßt insofern noch keine allgemeineren Schlüsse zu, als, mit Ausnahme der Arbeiter an der Vergolderpresse, nicht feststeht, welche Arbeitsleistung den Löhnen zu Grunde liegt. Liniiert die Arbeiterin in der Kontobuchindustrie z.B. langsamer, als der Arbeiter, macht die Bijouteriearbeiterin weniger Ketten oder Karabiner als der Arbeiter in derselben Zeit, so ist ihr geringerer Lohn durchaus erklärlich. Es muß daher Zeit- und Stücklohn auseinander gehalten werden, um ein Resultat der Vergleiche zu ermöglichen. Die umfangreiche französische Lohnstatistik liefert die beste Grundlage für diese Untersuchung.499 Folgende Tabelle giebt zunächst eine Uebersicht über die Lohnverhältnisse in solchen Industrien, an denen zwar die Frauenarbeit stark beteiligt ist, die sie aber nicht beherrscht:
Gewerbeart Zeit oder Stücklohn Männer Frauen
Niedr. Tagelohn Höchst Tagelohn Durchschnitts- Tagel. Niedr. Tagelohn Höchst Tagelohn Durchschnitts- Tagel.
frs. frs. frs. frs. frs. frs.
Papierfabrikation:
Maschinenpapier- herstellung Zeit 1,75 2,50 ---- 1,25 1,50 ----
Appreteur Stück 1,50 2,50 2,35 0,75 2,00 1,45
Kouvertfalzung Zeit 1,50 4,25 2,55 2,00 2,75 2,35
Lumpensortierer " 1,50 6,00 5,00 2,00 2,75 2,35
Zuschneider von Cigarettenpapier " 3,50 5,00 4,45 1,75 2,25 2,00
Kartonage:
Lackierer " 0,50 6,50 5,00 0,50 3,00 2,00
Druckerei:
Typographen " 4,50 5,00 ---- 1,50 2,00 ----
Lithographen " 3,00 4,50 ---- 1,75 2,25 ----
Setzer " 1,75 3,50 3,30 1,00 2,00 2,00
Gummischuhfabrikation:
Zuschneider " 2,00 5,50 3,85 2,00 6,00 3,75
Montiere " 2,00 4,50 2,85 1,50 4,00 2,35
Sohlenarbeiter Stück 4,25 5,75 4,90 2,50 3,50 2,90
Lacklederfabrikation:
Polierer Zeit 3,75 4,25 4,10 2,00 2,25 2,10
Stiefelfabrikation:
Montierer Stück 4,00 6,00 4,75 1,25 2,25 1,50
Handschuhfabrikation:
Dresseur " 4,00 5,00 4,25 2,50 4,00 3,25

Wir sehen zunächst daraus, daß sich in der niedrigsten Lohnstufe vielfach nicht nur gleiche Löhne für Männer und Frauen, sondern sogar zuweilen höhere Frauenlöhne vorfinden, in der höchsten dagegen differieren sie zum größten Teil wieder bedeutend. Und die Ursache? Die Statistik des vorigen Abschnitts hat über die Altersgliederung der Arbeiter beiderlei Geschlechts Aufschluß gegeben und es hat sich dabei herausgestellt, daß die stärkste Beteiligung des weiblichen Geschlechts an der proletarischen Arbeit in die jüngsten Jahrgänge fällt, mit anderen Worten: zu einer Zeit, wo der männliche Arbeiter in seinem Fach die höchste Vollkommenheit und damit einen hohen Lohn erreicht, hat die Mehrzahl der Frauen der Arbeit bereits den Rücken gekehrt. Die Frauen bleiben in ihrer Masse auf dem Standpunkt ungelernter Arbeiter stehen und können daher auch die höchste Lohnstufe nicht erreichen. Einen weiteren Beweis hierfür bilden die wenigen Zahlen unserer Tabelle, in denen der höchste Lohnsatz der Männer von den Frauen fast erreicht, ja sogar übertroffen wird: Die Zuschneider und Montierer in der Gummischuh- und die Dresseure in der Handschuhfabrikation. Alle drei Arbeitsfächer haben geübte, also ältere Arbeiter zur Voraussetzung; wo solche weiblichen Geschlechts vorhanden sind, ist die Bezahlung der Leistung entsprechend, ohne Berücksichtigung des Geschlechts. Noch schärfer beleuchtet wird die Frage, wenn wir der Betrachtung die Löhne in solchen Berufen zu Grunde legen, die sich uns wesentlich als Frauenberufe dargestellt haben, und in denen die größte Mehrzahl der verheirateten, also der älteren Frauen, beschäftigt ist. Folgende Zusammenstellung aus derselben Statistik ist besonders charakteristisch:
Gewerbearten Zeit- oder Stücklohn Männer Frauen
Niedr. Tagelohn Höchst. Tagelohn Durchschnittl. Tagel. Niedr. Tagelohn Höchst. Tagelohn Durchschnittl. Tagel.
frs. frs. frs. frs. frs. frs.
Leinenspinnerei:
Spinner Zeit 2,00 2,50 2,25 2,00 2,25 2,15
Hanfweberei:
Weber Stück 2,00 2,75 2,50 1,50 2,50 1,90
Weber " 2,25 2,75 2,50 1,25 1,75 1,50
Tuchfabrikation:
Weber " 1,50 6,00 2,60 1,00 2,75 1,85
Weber " 2,25 3,00 -- 4,00 5,00 --
Kardierer Zeit 2,50 5,00 3,25 2,25 1,75 2,40
Kardierer " 1,50 6,00 3,75 2,25 2,50 2,35
Leinenweberei:
Weber Stück 2,00 3,50 2,75 2,00 3,50 2,55
Netzstrickerei:
Netzstricker " 2,75 4,00 2,75 1,75 2,00 1,75
Baumwollspinnerei:
Kämmer Zeit 2,00 2,25 2,10 2,00 2,25 2,10
Knüpfer " 2,00 3,50 2,45 2,00 3,50 2,15
Spuler " 1,25 2,50 1,60 1,75 2,50 1,80
Haspler Stück 3,00 4,00 3,50 2,75 4,00 3,50
Spinner " 4,00 5,00 -- 1,50 2,75 --
Spinner " 4,50 5,25 4,80 4,00 4,25 4,10
Packer " 1,50 1,75 1,75 1,50 2,75 2,00
Baumwollweberei:
Weber Stück 3,00 4,00 -- 2,50 3,75 --
Weber " 3,00 3,50 -- 2,00 2,75 --
Weber " 3,00 3,75 3,25 2,75 3,75 2,60
Weber " 2,25 4,25 2,55 1,50 3,50 2,25
Weber " 1,50 3,25 2,20 1,50 3,25 2,20
Weber " 2,00 2,75 2,05 2,00 2,75 2,00
Weber " 2,00 2,25 2,05 2,00 2,50 2,20
Wollkämmerei:
Kämmer Zeit 1,75 3,00 2,70 1,50 3,00 2,25
Wollweberei:
Weber Stück 3,00 4,00 -- 2,50 -- 4,00
Weber " 3,50 5,00 4,00 2,75 3,75 3,05
Weber " 4,00 6,00 4,50 3,75 5,50 4,50
Tuchfabrikation:
Weber " 2,25 3,00 -- 4,00 5,00 --
Weber " 1,50 6,00 2,60 1,00 2,75 1,85
Kardierer Zeit 2,50 5,00 3,25 2,25 2,75 2,40
Kardierer " 1,50 6,00 3,75 2,25 2,50 2,35
Färber " 2,25 3,50 2,40 1,50 2,25 1,60
Seidenweberei:
Weber Stück -- -- 2,20 -- -- 2,20
Weber " -- -- 3,00 -- -- 3,00
Weber " 1,75 4,50 2,50 1,75 4,50 2,50
Weber " 1,50 4,00 -- 2,75 3,00
Weber " 1,50 3,50 1,75 1,50 2,50 1,65
Sammetweberei:
Weber Zeit 2,50 3,50 3,10 2,50 3,50 3,00
Bandweber Stück 3,50 4,50 3,65 3,50 4,50 3,40
Mechanische Stickerei:
Sticker Zeit 0,75 1,25 0,95 0,75 1,25 0,95
Sticker Stück 2,75 6,00 -- 1,50 1,75 --

Hier zeigt sich, wenige Ausnahmen abgerechnet, eine fast durchgehende Gleichheit der Männer- und Frauenlöhne, aber es zeigt sich zu gleicher Zeit, daß die Frauenlöhne nicht etwa auf der Höhe der Männerlöhne stehen, sondern daß vielmehr die Männerlöhne eher die Tendenz haben, zum Durchschnittslohn der Frauen herabzusinken. Eine amerikanische Statistik wiederholt dasselbe Bild:500
Gewerbeart Durchschnittlicher
Wochenlohn Vorkommender
Wochenlohn
Höchster Niedrigster Höchster Niedrigster
Männliche Maschinenstricker 7,50 6,00 12,00 4,39
Weibliche " " 7,00 5,20 13,87 3,15
Männliche Baumwollenweber 5,91 5,11 10,20 2,20
Weibliche " " 5,76 4,83 10,00 1,80
Männliche Flanellweber 8,55 7,39 12,00 3,45
Weibliche " " 7,00 5,60 9,99 3,41

Eine Zusammenstellung der Löhne besonders geschickter englischer Baumwollweber beiderlei Geschlechts bestätigt unsere Auffassung gleichfalls:501
Männer Frauen Männer Frauen
sh. sh. sh. sh.
21,7 21,4 19,5 19,4
22,2 20,11 19,7 19,0
21,11 20,9 19,2 18,11
21,0 20,8 19,8 18,4
21,5 20,4 22,2 17,11

Ziehen wir zum Vergleich nur einige Löhne in ausschließlichen Männerberufen heran: Die Panzerplattenarbeiter im englischen Schiffsbau nehmen wöchentlich 28 bis 61 sh. ein, der Wochenlohn der Maschinenarbeiter bewegt sich zwischen 20 und 39 sh., die Typographen verdienen zwischen 29 und 40 sh., während die Löhne der Baumwollweber zwischen 18 und 30 sh., die der Wollenweber zwischen 10 und 24 sh. schwanken.502

Es ist nach alledem keinem Zweifel unterworfen, daß Industrien mit hohen Löhnen Monopole der Männer sind503, aber nur deshalb, weil es sich dabei um Arbeitsarten handelt, für die die Männer ihrer ganzen körperlichen und geistigen Disposition nach hauptsächlich befähigt und in der sie lange thätig sind. Diejenigen Industrien dagegen, die besonders zahlreiche Arbeiterinnen beschäftigen, denen die Frauen schon gewissermaßen durch die Tradition angehören, weisen niedrige Lohnsätze auf, und wo Männer und Frauen in ihnen zusammen arbeiten, verdienen sie zusammen nur wenig mehr, wie Männer in den Industrien verdienen, wo sie allein arbeiten.504



Die Gründe für die niedrige Entlohnung der Frauenarbeit und ihre allgemeine lohndrückende Tendenz sind damit aber noch nicht gegeben. Man ist im allgemeinen gewohnt, hier ohne viel Ueberlegung mit dem Schlagwort von dem Konkurrenzkampf zwischen den männlichen und weiblichen Arbeitern zu operieren, weil man von den bürgerlichen Berufssphären her gewohnt ist, Männer und Frauen als Lehrer, Journalisten, Schriftsteller, Maler, Musiker, Aerzte, Handelsangestellte in genau denselben Arbeitsgebieten thätig zu sehen, und annimmt, daß dasselbe auf die proletarische Arbeit zutrifft. Thatsächlich sind die Verhältnisse hier ganz andere und in gewiß 9/10 industrieller Arbeiten findet eine scharfe Differenzierung zwischen den Geschlechtern statt. Selbst in den Industrien, wo Männer und Frauen scheinbar mit völlig gleicher Arbeit beschäftigt werden, giebt es Unterschiede in der Art der Ausführung.505 So bekamen z.B. in einer Glasgower Druckerei die weiblichen Setzer für 1000 Typen um 2 p. weniger als die männlichen, weil sie nicht die vollständige Arbeit bewältigen können, sie bedürfen zum Umbrechen, Korrigieren u.s.w. die Hilfe der Männer und können bei schwereren Druckarbeiten nicht beschäftigt werden.506 In der Londoner Cigarrenindustrie machen Frauen die geringere Sorte Cigarren, in der Velvetfabrikation schneiden Frauen nur ein Stück Stoff, während Männer zwei auf einmal schneiden können. In der englischen Töpferei füllen Frauen, infolge ihrer geringeren Uebung, lediglich die Umrisse der Zeichnungen mit Farbe aus, während Männer die schwierigere Arbeit machen.507 In der Cigarettenfabrikation liefern Frauen wöchentlich nur 9000, Männer aber 13000 Stück.508 In den Seidenwebereien Derbys erreichen die Männer einen höheren Lohn, weil sie zwei, die Frauen nur einen Webstuhl bedienen.509 Vielfach sind die Männer auch an schwereren Webstühlen beschäftigt.510 In italienischen Webereien, wo sie an gleichen Stühlen arbeiten, leisten die Frauen bedeutend weniger, und in der Handweberei zeigt sich wieder ihr Mangel an Uebung darin, daß sie genötigt sind, auf das Muster zu sehen, während die Männer mehr nach dem Gedächtnis arbeiten.511 In der französischen Papier- und Lederfabrikation, für die wir in der Tabelle [oben] beträchtliche Lohnunterschiede konstatierten, findet eine fast durchgehende Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern statt. Die Arbeit an den Vergolderpressen der Berliner Kontobuchfabrikation ist insofern auch eine verschiedene für Männer und Frauen, als diese die kleineren und jene die großen Sachen pressen.512 In der Pforzheimer Bijouterieindustrie fallen im Kettenmachen den Mädchen die leichteren Ketten, im Polieren und Aushauen die leichteren Arbeiten zu.513

Die Niedrigkeit der Löhne weiblicher Arbeiter ist daher zu einem wesentlichen Teil auf ihre Inferiorität in der Handfertigkeit und in der Produktionskraft, die sich manchmal in Bezug auf die Quantität, manchmal in Bezug auf die Qualität äußert, zurückzuführen.

Wenn wir aber einen anderen Standpunkt einnehmen, und nicht die Löhne für die außerordentlich seltene identische Arbeit, sondern die für gleichwertige Arbeit miteinander vergleichen, so zeigt sich auch hier, daß der Verdienst der Frauen im allgemeinen geringer ist, als der der Männer. Ich brauche nur an all die Fälle zu erinnern, wo, infolge technischer Vervollkommnungen, Frauen an Stelle der Männer treten, z.B. in der englischen Töpferei, wo sie um den halben Preis dieselbe Arbeit machen, als früher die Arbeiter, oder an die Löhne in den speziellen Frauenberufen, etwa der Blumenmacherei, wo die Arbeitsleistung auf der Höhe jeder männlichen in speziellen Männerberufen steht. Diese traurige Thatsache hat leider so viele Ursachen, daß man fast daran verzweifeln könnte, sie jemals aus der Welt zu schaffen. Die wichtigste liegt in dem dilettantischen Charakter der weiblichen Arbeit überhaupt. Das Mädchen erfaßt sie nicht als einen Lebensberuf, wie der junge Mann, sondern sieht in ihr—so wenig es auch zutreffen mag—eine Durchgangsstation zur Ehe, dem eigentlichen "Beruf". Sie hat nicht unter allen Umständen die Verpflichtung, sich selbständig zu machen, sie findet vielfach in der Familie noch einen Rückhalt. Daher liegt ihr gar nicht so viel daran, einen gewissen Grad der Vervollkommnung zu erreichen. Nichts liefert einen stärkeren Beweis hierfür, als der Umstand, daß die Textilarbeiterinnen von Lancashire eine Lohnhöhe erreicht haben, wie keine andere Gruppe ihrer Geschlechtsgenossinnen. Hier hat sich eben durch eine fast schon ein Jahrhundert lange Erziehung ein Geschlecht von Arbeiterinnen herausgebildet, das es mit seinem Beruf ebenso ernst nimmt, wie der Mann und fähig ist, neben ihm zu arbeiten, dabei ein ausgeprägtes Klassenbewußtsein besitzt. Freilich haben sie ihre Erhebung zu diesem Standpunkt auch noch einem anderen Umstände zu verdanken: sie haben nicht mehr gegen jenen Feind anzukämpfen, der die Masse der Arbeiterinnen am Emporkommen in ihrer Berufsarbeit verhindert. Damit ist nicht der Mann gemeint,—er ist im Bereiche der proletarischen Arbeit weit weniger noch als Feind der Frauen anzusehen, als in dem der bürgerlichen,—sondern vielmehr der Amateurarbeiter des eigenen Geschlechts, und die verheiratete Frau, die nur einen Zuschuß zum Verdienst des Mannes erwerben will. Amateurarbeiter sind alle diejenigen, die nur ein Taschengeld verdienen wollen, alle diejenigen ferner, die in den Zwischenräumen häuslicher Beschäftigungen Arbeit um jeden Preis übernehmen und so die Arbeiterinnen im allgemeinen in dem Hexenzirkel, wo niedrige Löhne zu schlechter Arbeit und schlechte Arbeit zu niedrigen Löhnen führen, krampfhaft festhalten.

In die Kategorie der Amateurarbeiter hat man vielfach auch gemeint, die verheirateten Arbeiterinnen einreihen zu müssen.514 Die Vergnügungssucht, die Luxusbedürfnisse der Arbeiterinnen sind gewachsen, die häuslichen Tugenden haben abgenommen, deshalb drängen sich die Ehefrauen zur Fabrik, statt ihren häuslichen Pflichten nachzugehen,—so jammert man. An Material, um diese Behauptung zu beweisen, fehlte es bisher ebenso, wie an solchem, um sie zu entkräften. Erst auf Grund einer Resolution des Deutschen Reichstags vom 22. Januar 1898 wurden die Gewerbeaufsichtsbeamten mit einer Untersuchung dieser Frage beauftragt, und es stellte sich übereinstimmend heraus515, daß der weitaus größte Teil der verheirateten Arbeiterinnen durch die Not zum Erwerb gezwungen ist. Selbstverständlich ist es bei den Witwen, den geschiedenen oder eheverlassenen Frauen, die etwa 1/5 aller Frauen ausmachen, aber auch von den Frauen, deren sogenannter Ernährer mit ihnen lebt, ist diese Thatsache sogar vielfach zahlenmäßig konstatiert worden; so hat sich die Notlage als Veranlassung der Fabrikarbeit verheirateter Frauen in Bremen für 71 % in Mainz für 73 % in Niederbayern für 74 %, in Plauen für 75 % in Lothringen für 83 % in Aachen für 88 % in Schleswig für 97 % aller Frauen erwiesen. Wo Erhebungen darüber angestellt wurden,—unbegreiflicherweise hat man versäumt, den Beamten dahingehende allgemeine Direktiven zu geben,—zeigte es sich, daß die Ehemänner dieser Frauen fast ausschließlich ungelernte Tagelöhner oder solche Arbeiter waren, die in Frauenberufen, z.B. in der Textilindustrie, thätig sind, also ganz unzulängliche Einnahmen haben. Von 78 Gewerbeaufsichtsbezirken haben leider nur zwanzig brauchbare Angaben über den Verdienst der Ehemänner gemacht, die in folgender Tabelle von mir zusammengestellt wurden:
Bezirk Anteil der Ehemänner
in Prozenten Wochenlohn
der Ehemänner Anteil der Frauen
in Prozenten Wochenlohn
der Frauen
Danzig -- 10-20 Mk. -- 5-10 Mk
Elbing 3 unter 5 " 47 7 "
25 " 10 " 53 10,76 "
71 " 15 " -- --
Berlin- Charlottenburg -- durchschnittlich: 19,50 Mk.
von 12-30 Mk. -- --
Oppeln -- 6,72-11 Mk. -- 3,60-7,51 Mk
Magdeburg -- -- 25 unter 7 Mk
50 7-8 "
17 über 9 "
Erfurt 75 9-17 Mk. 50 3-7 "
25 17-20 " 33 8-10 "
17 11-20 "
Schleswig -- unter 20 " -- 7,5-12 "
Hannover -- -- 2 unter 6 "
24 6-9 "
48 9-12 "
26 über 12 "
Aachen -- -- 20 4-8 "
47 8-12 "
25 12-16 "
8 über 16 "
Oberbayern 13 nichts oder nicht ermittelt 4 6 "
6 9-12 Mk. 38 6-9 Mk
11 12-15 " 44 9-12 "
51 15-20 " 11 12-15 "
19 20 Mr. u. darüber 3 über 15 Mk
Oberpfalz u. Regensb. -- 6-22 Mk. -- 6,60-9,50 Mk
Mittelfranken -- Im Durchschnitt: 18,50 Mk. -- Im Durchschnitt: 8,50
Württemberg I -- -- -- Im Durchschnitt: 10,74 Mk
Württemberg II -- -- -- Im Durchschnitt: 10,00 Mk
Darmstadt -- -- 59 2-6 Mk
35 6-10 "
6 10-18 "
Gießen 0,4 nichts -- Im Durchschnitt: 7,80 Mk
10 4-10 Mk.
76 12-16 Mk.
10 18-24 "
Bremen 19 9-13 " 26 5-9 Mk
24 13-15 " 26 9-10 "
15 16-17 " 41 10-12 "
34 18-20 " 4 12-14 "
8 21-30 " 3 14-16 "
Unterelsaß -- 10,80-16,80 Mk. -- 6-12 "
Oberelsaß -- Im Durchschnitt: 15 Mk. -- --
Lothringen 40 9-12 " 13 3-6 Mk
50 16-20 " 71 7-12 "
10 22 Mk. u. darüber 26 13-24 "

Nur in einem Bezirk,—in Gießen,—und auch hier nur für eine Industrie, hat man eine Zusammenstellung der thatsächlichen Familieneinnahmen gemacht; danach erreichten 53 der geschicktesten Cigarrenarbeiterinnen mit ihren Männern einen durchschnittlichen Wochenverdienst von 23,65 Mk., 23 weniger geschickte dagegen eine Einnahme von nur 16,52 Mk. durchschnittlich.516 Es handelt sich auch hier um einen Beruf mit sehr starker Frauenbeteiligung.

Sehr häufig konstatieren aber auch die Aufsichtsbeamten, daß es sich bei den Ehemännern der Fabrikarbeiterinnen um Arbeitsscheue, Trunkenbolde und Liederliche handelte, die ihren Verdienst zum allergrößten Teil für sich selbst verbrauchten, oder sich gar noch von der Frau ernähren ließen. Dabei darf eins nicht vergessen werden, das geeignet ist, die moralische Entrüstung über das Verhalten der Gatten ein klein wenig einzudämmen: Sie haben sich vor der Ehe an eine verhältnismäßig hohe Lebenshaltung gewöhnt, da sie den Lohn allein für sich verbrauchen konnten, und es gehört ein Grad von Charakterstärke dazu, nach der Heirat die Lebensbedürfnisse mehr und mehr herabzuschrauben, zu dem nur ernst angelegte Naturen fähig sein können. Aber auch dort, wo eine direkte Notlage nicht vorliegt, ist es doch auch Not, die die Frauen in die Fabriken treibt: in fast allen jungen Proletarierehen müssen die Schulden für die Haushaltungseinrichtung nach und nach getilgt werden; ist das vorbei, so möchten gerade die Ordentlichsten einen Notgroschen zurücklegen können, was vom Verdienst des Mannes allein nicht möglich ist; die Mütter—und zwar gerade die besten—möchten für ihre Kinder etwas erübrigen, ja auch der Wunsch nach Dingen, die über das tägliche Brot und die Schlafstelle hinausliegen, gehört meiner Ansicht nach in dieses Gebiet. Oder ist es etwa nicht Not, wenn die Proletarierfamilie tagaus tagein, Sommer und Winter nichts sieht, als ihr dumpfes Arbeiterviertel und ihre staubige Arbeitsstelle; ist der Wunsch nach frischer Luft und freier Natur angesichts der blassen Kinder wirklich so vermessen? Ist es nicht Not, wenn man zwar satt zu essen, und ein Dach über dem Kopfe hat, aber alles entbehrt, was das Dasein schmückt und erhebt, und eigentlich erst lebenswert macht? Die Zunahme der verheirateten Arbeiterinnen spricht viel mehr für den Fortschritt ihrer geistigen und seelischen Entwicklung, als für deren Niedergang. Ihre Wirkung aber ist, wenn wir zunächst die auf die Löhne in Betracht ziehen, keine erfreuliche. In Industrien mit starker Beschäftigung verheirateter Frauen sind nicht nur die Männerlöhne besonders niedrig, auch die Löhne der alleinstehenden Frauen sind nichts weniger als ausreichend, weil die Verheirateten den Ertrag ihrer Arbeit nicht als die alleinige Grundlage ihrer Existenz ansehen, sondern nur als eine notwendige Ergänzung des männlichen Einkommens, Die Steigerung des männlichen Lohnes aber wird wieder dadurch gehemmt, daß er nicht mehr die einzige Lebensbedingung der ganzen Familie bildet. Die Arbeit verheirateter Frauen ist daher sowohl die Folge als die Ursache des unzureichenden Einkommens der Männer und sie ist einer der Steine, die den alleinstehenden Frauen auf dem Wege zu besseren Zuständen im Wege liegen. Ihre rasche Entwicklung, an deren Anfang wir erst stehen, wird diese lohndrückende Tendenz dauernd verschärfen und zwar um so mehr, je mehr die verheirateten Frauen durch Gesetz und Gewohnheit eine Ausnahmestellung, nicht nur ihren männlichen, sondern auch ihren alleinstehenden weiblichen Arbeitsgenossen gegenüber einnehmen.

Eine Beurteilung der Lohnverhältnisse kann aber nur dann zu richtigen Resultaten führen, wenn einerseits die Kaufkraft des Geldes, andererseits die Bedürfnisse der Lohnarbeiter in Betracht gezogen werden. Für beides fehlt es an ausreichendem Material und auch das vorhandene ist ungenügend. Im allgemeinen wird für die hier in Betracht kommenden europäischen Staaten angenommen werden können, daß im Laufe des 19. Jahrhunderts die Wohnungsmieten sich verdoppelt resp. verdreifacht, die Lebensmittelpreise sich verdoppelt haben.517 Die Löhne der Arbeiterinnen in der Großindustrie sind in derselben Zeit teils um ein Drittel, teils um die Hälfte gestiegen518, die Bedürfnisse dagegen, deren Wachstum sich natürlich zahlenmäßig nicht feststellen läßt, haben im Verhältnis weit rascher zugenommen, obwohl gerade das weibliche Geschlecht die langsamsten Fortschritte gemacht hat. Wenn schon bei dieser ganz äußerlichen Betrachtung ein Defizit unvermeidlich ist, so ist es in Wahrheit noch viel bedeutender, weil zur Zeit des hier angenommenen Ausgangspunktes,—dem Anfang des 19. Jahrhunderts,—das Mißverhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den weiblichen Arbeitern noch unverhältnismäßig stark war. Selbst den günstigsten Fall angenommen, daß sowohl die Lebensbedürfnisse als die Löhne um die Hälfte gestiegen sind, bleibt dieses ursprüngliche Mißverhältnis nicht nur unverändert bestehen, es steigert sich auch noch infolge der erhöhten Bedürfnisse, und infolge der schwer ins Gewicht fallenden Thatsache, daß die industrielle Entwicklung den verschiedenen Arbeitszweigen mehr und mehr den Charakter der Saisongewerbe aufdrückt. Die Maschine ermöglicht eine kolossale Produktivität in einem kurzen Zeitraum und wirft eine große Zahl von Arbeiterinnen nach Monaten fieberhafter Thätigkeit für Wochen mitleidslos aufs Pflaster, während andere sich starke Lohnreduktionen gefallen lassen müssen. Die Arbeiterin, die sich schon in der lebhaften Zeit nur mühsam durchschlagen kann, steht in der stillen der bittersten Not gegenüber.

Einige Beispiele mögen das Gesagte illustrieren. Vorausgeschickt sei, daß im allgemeinen die Ernährung weiblicher Arbeiter 4/5 dessen ausmacht, was männliche dafür gebrauchen; gehen wir von dem Beköstigungsbudget der deutschen Heeresverwaltung aus, die eine Mark pro Tag und Mann rechnet, so wären ca. achtzig Pfennige für arbeitende Frauen anzunehmen, wobei jedoch nicht vergessen werden darf, daß die Heeresverwaltung bei Einkauf und Wirtschaft im großen für die ausgesetzte Summe eine weit bessere und reichlichere Beköstigung zu bieten vermag, als die Arbeiterin sie sich für ihr Geld schaffen kann. Für eine Schlafstelle wird monatlich sechs bis neun Mark Miete gefordert, ein möbliertes Zimmer,—das sehnlichst erträumte Ideal all der armen Heimatlosen!—ist kaum unter fünfzehn bis zwanzig Mark zu haben. Das Mindeste also, was eine alleinstehende Arbeiterin wöchentlich für Kost und Wohnung ausgeben muß, ist 7,48 Mk.; hat sie ein eigenes Zimmer, so muß sie allein zehn Mark für Logis und Ernährung ansetzen. Nun stellt sich der durchschnittliche Wochenverdienst der gewöhnlichsten Arbeiterinnen in zwanzig deutschen Großstädten auf 8,70 Mk.519 Es blieben ihnen also, wenn sie sich halbwegs ausreichend ernähren wollen und nicht in der eigenen Familie wohnen können, ca. 78 Pf. wöchentlich für alle übrigen Lebensbedürfnisse—Kleidung, Wäsche etc. Inbegriffen—übrig! Dabei ist die Voraussetzung noch die, daß die Wocheneinnahme sich das ganze Jahr über gleich bleiben müßte, während thatsächlich im günstigsten Fall nicht auf 52, sondern nur auf 48 Wochen regelmäßigen Verdienst gerechnet werden kann. Es giebt aber auch eine ganze Anzahl Arbeiterinnen, die unter acht Mark, ja die nur drei bis sechs Mark in der Woche verdienen. Wenn auch bei den niedrigsten Lohnsätzen angenommen werden kann, daß es sich meist um jugendliche Arbeiterinnen, die vielfach bei den Eltern wohnen, handelt, so bleiben, wie die Ergebnisse vieler Untersuchungen beweisen, noch viele übrig, die bei solch einem Hungerlohn auf sich allein angewiesen sind, und es giebt noch zahlreiche Unglückliche, die eine alte Mutter, oder ein armes vaterloses Kind mit zu erhalten haben. Aber selbst bei einem Wochenlohn von neun bis zwölf Mark, dem üblichsten für deutsche Arbeiterinnen, und einer Jahreseinnahme von 430 bis 570 Mk.,—die schon als eine sehr hohe angesehen werden muß,—wobei in dem einen Fall vierzig, in dem anderen 170 Mk. für alle übrigen Ausgaben übrig bleiben,—lebt die Arbeiterin in unaufhörlichem Kampf mit Not und Verschuldung. Dieselben Zustände wiederholen sich überall, wo die Industrie, der große Eroberer, eingedrungen ist und aus den Unterworfenen Sklaven gemacht hat.

In Wien kann eine Arbeiterin mit 4 fl. 80 kr., wenn sie sich keine Erholung, kein Vergnügen gönnt, niemals krank wird und niemanden zu unterstützen hat, gerade auskommen. 60 % arbeitender Frauen Wiens verdienen aber nur 4 fl. 50 kr., und es kommen Löhne von 1 fl. 80 kr. bis 3 fl. noch immer häufig genug vor520, während die arbeitslose Zeit für sie gleichfalls von vornherein in Rechnung gezogen werden muß. Das mindeste, was eine Pariser Arbeiterin zum Leben braucht, ist eine Jahreseinnahme von 850 bis 1200 frs.521, unter einer täglichen Einnahme von 2,25 frs. liegt das tiefste Elend und erst von 4 frs. an beginnt ein gesichertes Leben für die Alleinstehende522, dabei gehören Tagelöhne von 1,50 bis 2 frs. durchaus nicht zu den Ausnahmen, und auf unfreiwillige Ferien muß sich jede Arbeiterin gefaßt machen.

Durch vier Auskunftsmittel,—eins fürchterlicher als das andere,—sucht die Arbeiterin dem Gespenst der Not zu begegnen: Ueberarbeit, Unterernährung, schlechte Wohnung und Prostitution. Die Ueberarbeit wird dadurch möglich, daß sie aus der Fabrik oder Werkstatt noch Arbeit mit nach Hause nimmt, wo sie bis in die Nacht hinein schafft, um das elende Leben zu erhalten, das sich ohne Ruhepause in einem Kreislauf bewegt, zu dem im Grunde nur das elendeste Arbeitstier verurteilt ist: Arbeiten, Essen, Schlafen, und von den letzten beiden gerade nur so viel, als nötig ist, um jeden Tag von neuem ins Joch zu gehen. Wie die Unterernährung aussieht, dafür giebt es Beispiele genug. Eine Arbeiterin, die nur 8 Mk. die Woche verdient, kann höchstens 40 bis 50 Pf. für ihre tägliche Beköstigung ausgeben,523 Sie lebt von Cichorienbrühe, genannt Kaffee, Brot, Kartoffeln, ein wenig kraftloser Suppe, Wurst oder Hering524; Fleisch und Gemüse, das, wenn überhaupt, in minimalen Quantitäten genossen wird, ist meist von so schlechter Qualität, daß von einem genügenden Nährwert gar nicht die Rede sein kann. Gerade an der Nahrung sparen sich die Arbeiterinnen in der hohen Saison alles ab, um ihre Schulden aus der toten bezahlen zu können. So genießen die meisten Wiener Arbeiterinnen nichts als dreimal des Tages Kaffee und Brot und abends ein Stück Wurst; sie verderben sich den Magen, wenn sie einmal kräftigere Nahrung zu sich nehmen!525 Und um für die an sich schon mangelhafte Ernährung noch vollends den Appetit zu verderben, ja sie gradezu widerlich und gefährlich zu machen, kommt der Ort, wo sie zumeist eingenommen wird, noch hinzu: mitten im staubigen Fabriksaal, oder, falls er, wie es oft geschieht, mittags geschlossen wird, auf Höfen und Treppen ist der "Eßsaal" der meisten Fabrikarbeiterinnen. Selten nur wird ihnen ein eigener Raum zum Essen angewiesen, noch seltener findet sich die Einrichtung von Fabrikkantinen in Verbindung mit ihm. Ins Wirtshaus zu gehen, dazu reichen selten die Mittel, und der Weg nach Hause ist meist viel zu weit. Die Möglichkeit, sich vor dem Essen zu waschen, die staubigen, von Oel, Leim und tausend anderen Dingen beschmutzten Kleider mit reinen zu vertauschen, ist auch nur selten in ausreichendem Maße gegeben, und so schlucken die armen Geschöpfe mit dem schlechten Essen Millionen Miasmen und Krankheitskeime in sich hinein. Ein einziger Blick in das gemütliche Eßzimmer des Fabrikherrn mit den schmackhaften Gerichten und reinen Tellern auf dem frisch gedeckten Tisch und in den schmutzigen Winkel, wo diejenigen, auf deren Arbeit seine Behaglichkeit beruht, aus einer alten Blechkanne oder einem irdenen Topf ihre Suppe oder ihr mit schlechter Butter und einer Wurst, bei deren näherer Untersuchung wir schaudern würden, belegtes Brot verzehren, müßte allein genügen, um das Verbrecherische der herrschenden Wirtschaftsordnung einzusehen.

Folgen wir der Arbeiterin auch in ihr "Heim". Sie ist nur zu oft gezwungen, eine Schlafstelle zu nehmen, wo sie nicht einmal auf ein eigenes Bett Anspruch hat. Von 95365 Schlafleuten, die 1890 in Berlin gezählt wurden, waren 39 % in Wohnungen mit nur einem Raum untergebracht526, d.h. sie schliefen mit der ganzen Familie im selben Zimmer. In einer großen Zahl von ihnen,—1885 wurden 607 der Art in Berlin gezählt,—hausten neben der Familie Schlafburschen und Schlafmädchen, bis zu acht an der Zahl!527 In Leipzig fand sich solch ein Raum mit folgenden Bewohnern: einen trunksüchtigen Mann, einer schwindsüchtigen Frau, drei Kindern und zwei Schlafmädchen.528 Am günstigsten ist es noch für sie, wenn in einem Bett zwei Schlafmädchen zusammen schlafen, sehr häufig aber müssen sie ihr Lager mit den Kindern ihrer Wirtsleute, ohne Unterschied des Geschlechts, teilen; in Belgien hat eine Untersuchung der Arbeiter-Wohnungsverhältnisse sogar ergeben, daß jugendliche Arbeiter beiderlei Geschlechts auf ein gemeinsames Bett angewiesen waren!529 Nicht nur, daß die Arbeiter nur zu oft weniger Luftraum im Zimmer haben, als die Gefangenen, sie haben nach des Tages Last und Arbeit nicht einen Platz auf Erden, wo sie allein sein, wo sie sich ausruhen und erholen können! Ja, das arme Schlafmädchen hat außer den Nachtstunden nicht einmal einen Anspruch auf ihren Bettanteil; tags über ist der Raum, in dem sie mietete, Werkstatt, Küche, Kinderstube, in dem für sie kein Platz ist. So wird sie gezwungen, sich herumzutreiben, so kommt es auch, daß das Elend des Schlafstellenwesens sich zum Grauenhaften steigern kann: die Mädchen bringen schließlich von ihren zuerst erzwungenen, später freiwilligen abendlichen Vergnügungen ihre Liebhaber mit nach Hause, und verkehren hier, durch den Zwang, die intimsten Dinge täglich vor aller Augen zu verrichten, längst aller Scham entblößt, ungestört durch die Mitbewohner und die kleinen Kinder, mit ihnen.530 Die enorme Zunahme der unehelichen Kinder,—es giebt Fabrikdistrikte, z.B. Schleswig und Chemnitz, wo sie an Zahl die ehelichen übertreffen531,—ist die Folge davon. Ist der Vater ein Arbeitsgenosse der Mutter, so pflegt im allgemeinen die schließliche Heirat selbstverständlich zu sein, denn selten nur kommt es vor, daß ein Arbeiter die Vaterschaft nicht anerkennt und die Geliebte verläßt, er würde sich dadurch der Verachtung seiner Kollegen aussetzen.532 Wie oft aber fällt die Arbeiterin ihrem Vorgesetzten zum Opfer: Sie findet keine Arbeit, wenn sie nicht mit ihrer Arbeitskraft ihre Ehre verkauft, sie muß sich den Lüsten der Werkführer, häufig auch der des Chefs selber fügen, wenn sie sich nicht dem aussetzen will, bei der nächsten Geschäftsstockung ihre Stelle zu verlieren.533 Und ihr ganzes freudloses Dasein, das ihr, wenn sie ehrlich bleiben will, in gleichförmiger öder Farblosigkeit verfließt, prädestiniert sie noch dazu. Sie hat doch auch ein Recht auf Freude, und sie sehnt sich danach; nicht bloß der physische Hunger zwingt sie, sich von einem Liebhaber unterstützen zu lassen534, oder sich gelegentlich zu prostituieren, der psychische thut es mit gleicher Gewalt. Liegt nicht gerade darin eine furchtbare Grausamkeit, daß das bißchen Lebensfreude,—oft besteht es in weiter nichts, als in ein paar bunten Fähnchen und reichlichen Mahlzeiten,—von den Proletariermädchen so häufig nur durch Schande erkauft werden kann?!

Ein Fabrikmädchen! Naserümpfend hört man es oft sagen. Für die Leute, die mit reinen Kleidern am Familientisch sitzen und abends in ihr eigenes warmes Bett kriechen, verbindet sich mit dem Wort der Gedanke an körperlichen und sittlichen Schmutz. Sie wissen nicht, welch eine Summe von Qual und Entbehrung und Hoffnungslosigkeit es ausdrückt, wie viel heldenmütige Entsagung, von der nur manche stillen, früh gealterten Gesichter Zeugnis ablegen, hinter ihm steckt, welch namenloses Unglück ihm anhaftet, und sie sehen nicht, oder wollen nicht sehen, welch eine Anklage gegen sie und ihresgleichen aus diesen Worten emporwächst.

Der niedrige Lohn ist aber nicht die einzige Arbeitsbedingung, die verheerend auf das Leben der Arbeiterin einwirkt. Neben ihn, als der Hauptgrundlage der Existenz, dem bestimmenden Faktor für die physische und geistige Entwicklungsmöglichkeit, tritt die Zeit, die aufgebracht werden muß, um ihn zu verdienen, als zweitwichtiges Moment hinzu. Die Frauen in der Großindustrie genießen fast überall den Vorzug, daß die Stunden, die sie dem Erwerb widmen, gesetzlich geregelt sind. Für sie besteht, in der Theorie wenigstens, der zehn- oder elfstündige Maximalarbeitstag und teilweises Verbot der Nachtarbeit, in der Praxis aber wird er nicht nur durch die sehr weitgehende Erlaubnis seiner Ausdehnung durch Ueberstunden, sondern auch durch die infolge der mangelhaften Kontrolle leicht mögliche Uebertretung der gesetzlichen Vorschriften vielfach überschritten. Nach den deutschen Gewerbeaufsichtsberichten für 1899 wurden für rund 184000 Arbeiterinnen nicht weniger als 3 Millionen Ueberstunden bewilligt.535

Die vielen Uebertretungen der gesetzlichen Arbeitszeit, die den Beamten überhaupt gar nicht zur Kenntnis kommen, würden diese Zahl gewiß mehr als verdoppeln. Was aber die gesetzlichen Vorschriften vollends fast illusorisch macht, das ist die Gewohnheit der Unternehmer, den Arbeiterinnen noch Arbeit mit nach Hause zu geben, und die Bereitwilligkeit der Arbeiterinnen, dadurch ihren Lohn ein wenig zu erhöhen. Auf diese Weise verlängert sich die Arbeitszeit ins ungemessene. In Verbindung mit der schlechten Ernährung untergraben diese Verhältnisse die Gesundheit der Frauen schon im ersten Lenz ihres Lebens. Gerade in der Entwicklungszeit, wo der Körper des Weibes sich zu seiner schönsten Bestimmung, der Mutterschaft, vorbereitet, wo er durch geeignete Abwechselung von Ruhe und Bewegung, durch frische Luft und gesunde Nahrung gestählt werden müßte, wird er dazu verdammt, mindestens zehn Stunden lang in Staub und Hitze hintereinander zu stehen, oder zu sitzen, Maschine zu treten oder sonst eine gleichförmige, nur bestimmte Muskeln ausbildende Bewegung auszuführen. Die Bleichsucht, mit ihrem Gefolge von Reizung zur Lungenschwindsucht, Unterleibskrankheiten und geistiger Depression, Verkrümmung des Rückgrats und der Beine u. dergl. mehr, halten daher ihren unaufhaltsamen Siegeszug unter den Proletariermädchen.536

In solchen Betrieben, wo sehr vollkommene technische Einrichtungen eine große Produktion auch ohne Ausnutzung der Arbeitszeit bis an die Grenze des gesetzlich Zulässigen ermöglichen, tritt die Tendenz der freiwilligen Verkürzung der Arbeitszeit hervor.537 Das gilt auch für einen Teil der Textilindustrie und kommt insofern auch den Frauen zu Gute. Für Frankreich und England läßt sich die gleiche Entwicklung verfolgen, aber ihr Tempo ist ein sehr langsames. Die menschliche Arbeitskraft, und besonders die weibliche, ist häufig, selbst bei geringerer Leistungsfähigkeit, noch viel billiger, als ihre teilweise Ersetzung durch Maschinen. Die gesetzwidrige Verlängerung der Arbeitszeit dürfte daher immer noch viel häufiger vorkommen, als ihre Verkürzung, und zwar vor allem in den Betrieben, wo die Frauen mit ihrer stumpfen Resignation, ihrem Mangel an energischen Solidaritätsgefühl sich zusammendrängen. Aber selbst die Einhaltung des Zehn- resp. Elfstundentags vorausgesetzt, ist der weibliche Arbeiter, verglichen mit dem männlichen, immer noch im Nachteil, weil die Mehrzahl der Frauen mit der Berufsarbeit nicht die Arbeit überhaupt, die auszuführen ihnen obliegt, erledigt haben. Nicht nur, daß es Arbeiterinnen giebt, die, um einen Teil der Miete zu sparen, ihrer Wirtin im Haushalt, bei den Kindern, oder, wie es häufig vorkommt, in irgend einem Zweige der Heimarbeit helfen,—eine "Hilfe", die oft nicht ganz freiwillig ist,—für fast alle die, welche bei den Eltern wohnen, ist die Hausarbeit neben der Erwerbsarbeit etwas Selbstverständliches. So wird der zehn- oder elfstündige Arbeitstag zum dreizehn-, vierzehn- und mehrstündigen und der Sonntag wird noch dazu oft der Reinigung und Instandhaltung der Kleidung gewidmet. Denn darauf hält auch die ärmste Arbeiterin; in dem bunten Band, womit sie ihre Taille gürtet, in den Blumen, die sie auf ihren Hut steckt, in dem möglichst modernen Kleid, womit sie auf den Tanzboden geht, konzentriert sich häufig all ihre Lebensfreude, der sie sogar leichten Herzens auch das bißchen kräftige Nahrung opfert, die sie sich sonst vielleicht gönnen könnte. Engherzige Puritaner schlagen wohl über die "Putzsucht" der Arbeiterin die Hände über dem Kopf zusammen; das Recht auf Jugend, das man den Mädchen der wohlhabenden Bevölkerung voller Wohlwollen und sogar voll freudiger Genugthuung zuerkennt, soll für sie durchaus keine Geltung haben. Und dabei bedenkt man nicht einmal, daß der Proletarierin für andere Genüsse, für deren Verständnis man die bürgerliche Jugend von früh an erzieht, die Aufnahmefähigkeit fehlt. Was dem Arbeiter Bier und Branntwein, das ist der Arbeiterin Putz und Tand: oft die einzig erreichbare Lebensfreude.

Niedriger Lohn und lange Arbeitszeit sorgen schon dafür, daß sie nicht üppig ins Kraut schießt, und die traurigen sanitären Verhältnisse in Werkstatt und Fabrik nehmen ihr vollends frühzeitig das Sonnenlicht, in dem sie allein gedeihen kann. Auch darin ist der Arbeiter in günstigerer Lage, als die Arbeiterin: Bei dem weiblichen Geschlecht hat sich bisher überall eine stärkere Empfänglichkeit für die Schädlichkeiten gewisser Gewerbe herausgestellt, sowohl der Staub, als vor allem die Giftstoffe, die sie einatmet, wirken stärker auf sie, als auf den Mann538, auch Betriebsunfällen ist sie in höherem Maße ausgesetzt. Die Gründe dafür sind vielfach rein äußerlicher Natur: In den langen Kleidern und den leider immer noch üblichen vielen Unterröcken, in den unbedeckten langen Haaren können sich unendlich mehr jener schädlichen Fremdkörperchen festsetzen, als bei den Männern. Ein Wechseln der Kleidung verbietet sich schon dadurch oft von selbst, daß die Arbeiterin nur einen Arbeitsanzug hat, häufig aber wird es unterlassen, weil es an einem geeigneten Umkleideraum fehlt. Oft trennt ihn nur ein leichter Vorhang von dem der Männer, oder dem Arbeitssaal, oft ist er in diesem selbst, wo die Arbeiterin ihre Sachen, die sie schonen muß, gar nicht hinhängen mag. Aus ähnlichen Gründen unterdrückt sie nur zu oft zum Schaden ihrer Gesundheit natürliche Funktionen ihres Körpers, weil das Kloset teils unverschließbar in nächster Nähe des von den Männern benutzten liegt, teils, weil es in einem unbeschreiblichen Zustand sich befindet.

Alle Industriezweige fast, in denen Frauen beschäftigt sind, bringen besondere Gefahren für Leben und Gesundheit mit sich. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Textilindustrie und treten wir in eine Spinnerei: Mit heißem Wasserdampf ist die Luft gesättigt, auf dem Steinboden steht das Wasser, ein ekelhafter Geruch erhebt sich aus dem Spinnwasser, das die Abfälle und leimigen Substanzen des Gespinstes aufnimmt. Mit Händen und Vorderarmen arbeitet die Spinnerin in der unreinen, klebrigen Flüssigkeit; eiternde Geschwüre an Händen und Armen, schwere Augenentzündungen stellen sich infolgedessen häufig ein. Mit bloßen Füßen steht sie auf dauernd nassem Boden, ungenügend bekleidet vertauscht sie dann den Aufenthalt im glühenden Arbeitsraum womöglich mit der Winterkälte draußen,—rheumatische Krankheiten, Unterleibsentzündungen sind die Folge.539 Dauernder Druck auf besonders empfindliche Teile führen zu frühzeitigen Erkrankungen der Geschlechtsorgane.540 In kleineren Betrieben wird zur Entfettung roher Wolle fauliger Urin verwendet. Ein pestilenzialischer Geruch erfüllt daher die Luft, Ekzeme, Furunkeln zeigen sich an den Händen der Arbeiterinnen. Wo man zu demselben Zweck Schwefelkohlenstoff gebraucht, treten Vergiftungserscheinungen auf, die bis zur völligen geistigen Umnachtung führen können.541 In den Wollkämmereien herrschen tropische Glut und ekelerregende Ausdünstungen; die Gasräume der Seidenfabriken wetteifern mit ihnen, was die Hitze betrifft, und vergiften die Arbeiterinnen durch das Ausströmen des Gases.542 Die Fabrikation von Kunstwolle und von grauer Watte erweist sich als ein Herd furchtbarer Krankheiten: Die Verlesung der Lumpen, aus denen die Kunstwolle gemacht wird, wirbelt Millionen Bakterien auf, Infektionskrankheiten schlimmster Art, chronische Bronchialkatarrhe überfallen heimtückisch die Arbeiterinnen, die sogenannte Hadernkrankheit, die mit starkem Fieber beginnt und im Starrkrampf endet, tötet sie in wenigen Tagen. Das Sortieren der Abfälle zur Herstellung grauer Watte ist noch ekelhafter: findet sich doch sogar gebrauchte Verbandwatte darunter!543 Mit wunden, eiternden Fingern stehen die Andreherinnen in den Webereien am Webstuhl, bis die Kraft sie verläßt544; zerstörend wirkt das Blei, das in gefärbter Baumwolle sich meist befindet, auf die Weberinnen, und stärker noch auf die Arbeiterinnen in der Spitzenfabrikation. Wohl giebt es gefahrlose Mittel, um den feinsten Erzeugnissen der Textilindustrie Glanz und Appretur zu verleihen, aber sie sind teuer und so wird Bleiweiß dazu verwandt, ohne Rücksicht auf Leben und Gesundheit; den Unternehmer ficht es nicht an, ob seinen "Händen" die Arbeit entsinkt, er findet Ersatz genug! In Webereien, in der Fabrikation von Kartons und buntem Papier und künstlichen Blumen, bei der Polierarbeit in der Fabrikation eiserner Bettstellen strömt das Gift in die Atmungsorgane, in die Poren der Frau und wird mit ihren Kleidern in ihr Heim getragen; ja es kommt vor, daß sie es mit dem Essen zu sich nimmt, weil kein anderer Raum als der Arbeitssaal ihnen dafür zur Verfügung steht.545 Koliken, Magenerkrankungen, Kopfleiden sind die Folge. In den Bleiweißfabriken erreichen diese Leiden den höchsten Grad: epileptische Krämpfe, Erblindungen, teilweiser Verlust der Sprache sind Zeichen des letzten Stadiums der Bleivergiftung, die zum Wahnsinn oder zum Tode führen kann.546 Der Schwefelkohlenstoff in der Kautschukfabrikation führt zu ähnlichen Erscheinungen, nur mit der Variation, daß Lähmungen der Geschlechtsorgane schließlich hinzutreten können.547

Eine große Zahl von Frauen beschäftigt, wie wir gesehen haben, die Tabakindustrie. Ihre Arbeiter sind die am schlechtesten bezahlten und die schwächsten von allen. Schon nach den ersten sechs Monaten der Beschäftigung erkranken von 100 72 an Nikotinvergiftung. Besonders bei den jüngeren Arbeiterinnen stellen sich als Folge Nerven- und Magenleiden und Erkrankungen der Geschlechtsorgane ein.548 Wie dies Gift den Körper von innen zerstört, zerstört das Phosphor in der Zündholzfabrikation ihn von außen: zu einer grauenhaften Maske wird das Antlitz der Frau durch die Kiefernekrose, die zuerst die Zähne und dann den Kiefer zerfrißt.549

Wir sind noch nicht am Ende: Die Zieglerkrankheit, die Anämie, ergreift männliche wie weibliche Ziegelarbeiter, besonders, wenn ihr Schlafraum sich auf der Oberfläche von Ringöfenanlagen befindet, aus denen unaufhörlich giftige Dämpfe entweichen. Die Lunge der Porzellanarbeiter, besonders der Frauen, die den Arbeitsraum auskehren, füllt sich durch Einatmung des scharfen Kieselstaubes mit förmlichen Steinen, schwärzliche Steine bilden den Auswurf.550 Kein Leiden aber erreicht das der Quecksilberarbeiterin: sehr bald schon wird ihr Gesicht aschfahl, die Augen trüb, der Gang schwankend, wie der eines Rückenmarkleidenden. Bei dem Anblick eines Fremden überfällt sie konvulsivisches Zittern; das kärgliche Mahl vermag sie kaum zum Munde zu führen, die Sprache versagt oft ihre Dienste, in erschreckender Weise nehmen die Geistesfähigkeiten ab, bis zum letzten Stadium, dem Blödsinn. Jeder geht ihr aus dem Wege, denn der Speichelfluß macht ihren Anblick widerlich und vor dem Hauch ihres Mundes prallt man zurück.551

Aber nicht nur die Gifte vernichten Gesundheit und Körperkraft. Dem "schwachen" Geschlecht werden Lasten auf die Schultern gelegt, die es zu Boden werfen. In Steinbrüchen, Porzellanfabriken, Ziegeleien, selbst bei Bauten schleppen oder schieben sie schwerbeladene Tröge und Schubkarren; in Zuckerfabriken tragen sie täglich während zehn Stunden bis zu 800 je 16 Kilogramm schwere Kisten zu den Schlagmaschinen.552 In den Spinnereien und Webereien stehen sie oft während elf und zwölf Stunden; geschwollene Füße, Krampfadern, Nieren- und Unterleibsleiden zeugen davon.

Und nun jener eigentlichste Frauenberuf: die Maschinennäherei! In gebückter Stellung sitzen die Armen an ihrer rasselnden Tyrannin, unausgesetzt bewegen sich die Beine auf und nieder. Junge und Alte, Kranke und Gesunde—alle glauben sich fähig zu dieser mörderlichen Arbeit, die schließlich auch die stärkste Konstitution untergräbt. Ein Lyoner Fabrikant sagte einmal: "Ich beschäftige nur Mädchen von sechzehn bis achtzehn Jahren an der Nähmaschine, sind sie erst zwanzig, so sind sie reif für's Hospiz."553 Und er hat nicht übertrieben. Die Bleichsucht in all ihren Stadien, Unterleibsleiden, Lageveränderungen der Gebärmutter, die eine Mutterschaft fast unmöglich machen, neurasthenische Erkrankungen aller Art, suchen die Frauen heim als böse Gäste.554 Wohl hat die Technik, wie überall so auch hier, ein Mittel zur Hilfe geschaffen: statt durch die Füße der Näherinnen kann die Maschine durch Dampf oder Elektrizität in Bewegung gesetzt werden, aber die Einrichtung ist den Unternehmern nicht lohnend, denn mit derselben Schnelligkeit fast treibt die durch die Not vorwärts gepeitschte Menschenkraft die Räder, als die motorische Kraft es thun würde, und der Profit ist der einzige ausschlaggebende Faktor.

Furchtbarer als Dantes Hölle ist diese Welt der Arbeit, bevölkert mit bleichen Gestalten, die sich auf wunden Füßen nur schwer fortbewegen, deren Hände, aus denen Behaglichkeit, Wärme, Schönheit, Nahrung, Kleidung für die glücklicheren Menschen hervorgehen, bluten und schwären, deren Rücken gekrümmt, deren Glieder zerfressen sind von Giften, aus deren irren Blicken oft der Wahnsinn starrt. Und doch fehlt zur Vollendung des Bildes noch eins: dichte Wolken von Staub umhüllen die Gestalten,—Staub aus scharfem Metall, aus Pflanzenfasern und Tierhaaren, mit Gift und Krankheitskeimen durchsetzt. Er verdichtet sich vor unseren Augen zu dem riesigen, hohlwangigen Gespenst, das in den Proletariervierteln sein Wesen treibt: der Lungenschwindsucht. Wer kann sagen, in welchem Industriezweig es am meisten zu Hause ist: bei den Textilarbeitern, bei den Tabakarbeitern, bei den Töpfern?! Es herrscht überall, wo die Jagd nach Gewinn rücksichtslos über Menschenleichen dahinbraust!

Kann es noch schwereres Leiden geben, als das, was an uns vorüberzog? O ja; und es findet sich dort, wo es die Frau nicht mehr allein, sondern durch sie auch ihre Kinder trifft. Das Mädchen träumt noch von der Zukunft; es glaubt, die Ehe wird sie aus dem Arbeitsjoch erlösen, darum bringt es seinem Beruf bei weitem nicht das Interesse entgegen, das der Mann ihm entgegenbringt, für den er zum ausschließlichen Lebensberuf werden soll; die Frau aber hat keine Hoffnung mehr auf Befreiung. Und ihre Not verschärft sich ins unerträgliche durch den Anblick der Not ihrer Kinder. Wie häufig hört man angesichts des Elends sagen: Die Leute sinds nicht anders gewöhnt, sie spüren es nicht. So richtig es nun auch sein mag, daß die im Elend Geborenen nicht die Empfindung dafür haben, wie die, welche erst hineingestoßen wurden, so falsch ist es, daß irgend eine Mutter in der Welt, und wäre es die allerärmste, sich jemals an das Leid ihrer Kinder gewöhnen wird. Kinderleid ist das größte auf Erden, weil es die Unschuldigen und die Wehrlosen trifft.

Nach allgemeiner Annahme kann in Deutschland eine aus Mann, Frau und zwei Kindern bestehende Arbeiterfamilie mit 1500 Mk. im Jahre die notwendigsten Bedürfnisse decken.555 Eine auskömmliche Lebenshaltung, bei der aber von einer Befriedigung höherer Bedürfnisse,—Kunst, Theater, Natur,—auch nur in ganz geringem Umfang die Rede sein kann, ist erst mit einer jährlichen Einnahme von 2000 Mk. möglich.556 Es müßte demnach für den ersten Fall eine tägliche Einnahme,—ohne Unterbrechung!—von fünf Mark, im zweiten eine von fast sieben Mark gesichert sein. Das davon nur in Ausnahmefällen die Rede sein kann, lehrt ein Blick auf unsere Lohntabellen. Aeußerst selten nur erreicht der Mann allein solch einen Verdienst, aber selbst die Mitarbeit der Frau, die sich, nach diesem Maßstab gemessen, als unbedingt notwendig erweist, kann ihn nicht gewährleisten. Einnahmen von 800 bis 1000 Mk. gelten in Proletarierkreisen schon als gute. Sie sind vollständig unzureichend und auch die von 1000 bis 1500 Mk. sind es, sobald mehr als zwei Kinder zu erhalten sind. Es klingt geradezu wie Wahnsinn, und doch ist es Thatsache: je mehr Kinder die Familie besitzt, je mehr also die Mutter zu Hause nötig ist, desto notwendiger muß sie in die Fabrik. Und doch kann sie sich und ihren Kindern dadurch noch kein einigermaßen behagliches Leben erkaufen. Der Grund- und Boden- und der Häuserwucher verschlingt zum großen Teil, was sie erwirbt, und läßt ihr dafür eine elende Behausung, die den Namen Wohnung nicht verdient. Schon im Jahre 1880 wurde in deutschen Großstädten eine erschreckende Zahl übervölkerter Wohnungen konstatiert557; die Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik deckten entsetzliche Zustände auf, die vielleicht nur noch von denen in Wien übertroffen wurden.558 Hier wurde z.B. ein Zimmer mit Küche von einer Witwe mit sechs Kindern und zwei Schlafleuten bewohnt, die sich alle in drei Betten, einem Kinderbett und einem Sofa teilten; in einer Kammer mit einem einzigen Fenster nach dem Flur hauste ein Ehepaar mit vier Kindern, in einer anderen von 13 qm Bodenfläche, fand sich eine siebenköpfige Familie! Parterrewohnungen in Hinterhäusern, die mit dem engen Hofe auf gleicher Höhe liegen, im Sommer heiße, im Winter eisigkalte Dachkammern, Wohnungen mit nur einem heizbaren Raum, oder ganz ohne Küche, sogenannte Kochstuben, als einzigen Raum559,—das sind die Wohnungen, in denen das Familienleben der Arbeiter sich abspielen und gedeihen soll! Und doch sind auch diese vielfach noch unerschwingbar für ihren schwindsüchtigen Beutel. In Nürnberg kostet der qm Wohnraum in den kleinsten Wohnungen 7,70 Mk., in den größten 4,36 Mk., in Basel im mittleren Stockwerk 3,04, im Dachgeschoß 4,15 Mk.560 In den Fabrikstädten Nordböhmens kostet ein cbm Luftraum jährlich nur um eine Kleinigkeit weniger, als in den Palästen der Wiener Ringstraße.561 Nach einer Zusammenstellung des Gewerbeaufsichtsbeamten für Sachsen-Koburg-Gotha schwankte die Summe, die der Arbeiter zur Bestreitung seiner Wohnungsmiete zu verausgaben hat, zwischen 20 und 38 % seines Arbeitslohnes; er müßte bis zu 57 Tagen arbeiten, um allein den Mietspreis zu verdienen, während für die begüterten Schichten der Bevölkerung die Ausgabe für Wohnungsmiete im allgemeinen mit zehn bis höchstens zwanzig Prozent des Einkommens angesetzt wird.562 Die Armen haben also für ihre elende Wohnung relativ mehr zu bezahlen, als die Reichen, und sind daher gezwungen, sie mit Fremden, Aftermietern und Schlafleuten zu teilen, ihre Kinder nicht nur ohne Luft und Licht aufwachsen zu lassen, sondern sie auch noch der moralischen Vergiftung auszusetzen. Und wie sieht der Haushalt aus, wenn die Hausfrau in die Fabrik gehen muß. Am frühen Morgen, häufig ehe die Kinder erwachen, muß sie zur Arbeitsstelle eilen. Die ein- bis einundeinhalbstündige Mittagspause, die ihr in Deutschland gesetzlich gewährleistet wird, reicht nicht immer aus, um heimzukehren, und niemals um, wie die Gewerbeordnung prahlend sagt, den Haushalt zu besorgen. Bestenfalls wird das abends vorher zusammengekochte Essen aufgewärmt, oder das vom Morgen an langsam auf dem Grudeofen brodelnde auf den Tisch gestellt, in beiden Fällen ist aus den an sich schon minderwertigen Speisen der Nährwert entflohen. Am häufigsten begnügt sich die ganze Familie bis zur Heimkehr der Mutter am Abend mit Butterbrot und Kaffee, dann erst bereitet die übermüdete Frau die Hauptmahlzeit, dann erst, nach zehn-, elf-, auch dreizehnstündiger Arbeit, beginnt ihre häusliche Thätigkeit. Sie näht und flickt und wäscht und scheuert, wenn sie gewissenhaft ist, so daß ihr kaum fünf Stunden zum Schlafen übrig bleiben. Vorzeitiges Altern, geistige und körperliche Erschöpfung sind die Folgen. Oder sie kümmert sich um nichts mehr, wenn die Arbeit sie schon stumpfsinnig und gleichgültig gemacht hat: dann verwahrlost die Wirtschaft und die Kinder. Zwischen diesen beiden Wegen allein hat sie zu wählen! Wie oft sie den ersten wählt, dafür spricht die Bewunderung, mit der die gewiß wenig enthusiastischen deutschen Fabrikinspektoren von der Willensstärke, dem Opfermut und der unermüdlichen Arbeitskraft der verheirateten Arbeiterinnen reden.563 Aber selbst mit der Hingabe ihrer Kräfte können sie dem Haushalt nicht die Leiterin, den Kindern nicht die Mutter ersetzen.

Eine gründliche Statistik der Kinderzahl der Arbeiterinnen giebt es leider nicht. Die deutschen Erhebungen der Gewerbeaufsichtsbeamten für das Jahr 1899 sind nach dieser Richtung völlig ungenügend. Nur in siebzehn Bezirken von 78 wurden Untersuchungen darüber angestellt, und auch hier handelt es sich lediglich um Stichproben. Sie werfen aber immerhin genügendes Licht in dieses dunkle Bereich des Proletarierlebens; die folgende Tabelle bietet eine Zusammenstellung aller Ergebnisse:
Bezirk Anzahl der
befragten Frauen Von diesen Frauen
hatten Kinder Von den Kindern waren
noch nicht
schulpflichtig schulpflichtig schulentlassen
absolut % absolut % absolut % absolut %
Oppeln -- 1057 -- 765 35 886 41 509 24
Magdeburg 2680 1858 70 1283 31 1878 45 996 24
Minden 1120 701 63 703 46 804 54 -- --

Aachen 2412 1576 65 2859 82 643 18
Sigmaringen 56 29 52 37 55 21 31 9 14
Anhalt -- 805 -- 511 28 742 41 577 31
Bremen 541 411 76 428 41 628 59 -- --
Württemberg III 175 147 84 154 47 77 23 97 30

Darmstadt 848 522 62 1513
Offenbach 843 568 67 -- -- -- -- -- --
Gießen 510 420 82 318 32 352 35 328 33
Oberbayern 641 347 54 1231 54 844 37 188 9

Niederbayern 329 232 74 690

Pfalz 1978 1348 70 3208
Oberpfalz 213 165 77 143 37 154 39 93 24

Unterpfalz 388 272 70 578

Zittau 4494 2523 56 4484

Aus der umstehenden Tabelle geht hervor, daß 65 % aller Frauen Kinder haben; auf 100 Frauen kommen im ganzen 231 Kinder, darunter 90 Kinder unter 6 Jahren, 108 Kinder unter 14 Jahren, im allgemeinen 201 Kinder, die noch nicht der Schule entwachsen sind. Legen wir denselben Maßstab an sämtliche verheiratete Arbeiterinnen an, wie die deutsche Berufszählung von 1895 sie zählte, so haben 149067 Frauen, d.h. 65 % aller verheirateten Arbeiterinnen, 334345 Kinder, von denen 299625 noch zu Hause sind. Diese Zahl ist aber noch viel zu niedrig gegriffen, weil die ledigen Mütter und deren Kinder nicht mit eingerechnet sind. Es dürfte wohl kaum übertrieben sein, wenn wir sagen, daß etwa eine halbe Million Kinder unter 14 Jahren in Deutschland Arbeiterinnen zu Müttern haben, also so gut wie mutterlos aufwachsen. Diese Mutterlosigkeit beginnt schon in der allerersten Lebenszeit der Säuglinge: Kaum vier Wochen nach der Geburt muß die Mutter wieder zur Arbeit zurück, ja wo die Not groß ist, versucht sie noch viel früher etwas zu verdienen, indem sie, solange die Thore der Fabrik ihr noch verschlossen sind, durch Waschen, Nähen oder Reinemachen das Nötigste zum Leben zu schaffen versucht. Die Nahrung, die eine gütige Natur dem mütterlichen Weibe für das hilflose kleine Wesen mit auf den Weg gab, versiegt fast ungenutzt; noch häufiger wohl hat die Ueberanstrengung und schlechte Ernährung während der Entwicklungsjahre des Mädchens und während der Schwangerschaft sie gar nicht in Erscheinung treten lassen. Statt dessen wurde im Mutterleibe schon das Kind vergiftet; man hat im Fruchtwasser, wie im Fötus all diejenigen Gifte gefunden, die durch die Lunge und durch die Poren in den Körper der Arbeiterin eindringen: Blei, Quecksilber, Phosphor, Jod, Anilin und Nikotin; häufig schädigen sie sogar die Frucht mehr als die Mutter564, und für die Erblichkeit der Tuberkulose, jener eigentlichen Proletarierkrankheit, spricht deutlicher als das Urteil medizinischer Autoritäten ein Blick auf die Kinder in den Proletariervierteln.

Eine erschreckend hohe Sterblichkeit, besonders der Säuglinge, ist die Folge der ursprünglichen Infizierung und der Entziehung der Muttermilch. Nur sieben von tausend mit Muttermilch genährten Kindern pflegen im ersten Lebensjahr zu sterben, von 1000 mit Tiermilch und Milchsurrogaten genährten dagegen 125, und zu ihnen gehören die meisten Arbeiterkinder. Nur 8 % der Kinder der höheren Stände sterben im ersten Lebensjahr, für die Kinder des Proletariats steigt die Sterbeziffer bis auf 30 %565 Im reichsten Wiener Stadtviertel kommt ein Todesfall im ersten Lebensjahr auf 870 Bewohner, im Arbeiterviertel dagegen schon auf 71. Im wohlhabenden Viertel der Berliner Friedrichstadt starben von 1000 Säuglingen 148, im armen des Wedding 346.566 In den Fabrikbezirken am Niederrhein starb die Hälfte der Arbeiterkinder im ersten Lebensjahr567; die verheirateten Fabrikarbeiterinnen von Massachusetts verloren 23 % ihrer Kinder im gleichen Alter.568 Wie sehr die Säuglingssterblichkeit mit der Zunahme der Frauenarbeit im Zusammenhang steht, geht aus seinem Wachstum in den Industriezentren hervor. In Berlin ist sie während eines vierjährigen Zeitraumes fast um das Doppelte569, in Plauen von 33 % im Jahre 1800 auf 43 % im Jahre 1899 gestiegen.570 Die Beschäftigungsarten der Mütter sind dabei von größtem Einfluß In Bezirken der englischen Textilindustrie starben von 100 22, in denen der deutschen 38 Säuglinge im ersten Lebensjahr.571 Von 100 Kindern der Berliner Papierwarenindustrie starben nicht weniger als 48 im Säuglingsalter.572 Der höchste Prozentsatz der Säuglingssterblichkeit findet sich aber unter den Kindern der Quecksilber- und Tabakarbeiterinnen: 65 von 100 lebend Geborenen sind dem Tode verfallen573, noch viel mehr erblicken gar nicht das Licht der Welt. Es ist eine alte Erfahrung, daß Frauen, welche Kinder haben wollen und sich schwanger fühlen, die Tabakfabrik verlassen, während schwangere Mädchen darin Arbeit suchen, weil nur selten Kinder von Tabakarbeiterinnen lebend zur Welt kommen. Und wenn sie leben, sind sie meist gezeichnet vom ersten Augenblick an, oder sie trinken sich den Tod aus den Brüsten der Mütter, deren Milch von Nikotin durchsetzt ist.574 Dabei beschäftigt die Tabakindustrie nächst der Textilindustrie die meisten Frauen! Furchtbar sind die Opfer des Quecksilbers; selten kommen Kinder lebendig zur Welt. So war ein Fürther Spiegelbeleger dreimal mit Arbeitsgenossinnen verheiratet, von allen hatte er Kinder, kein einziges lebte und auch die Mütter starben sämtlich an der Auszehrung.575 In einem anderen Fall hatte eine Arbeiterin bei zehn Schwangerschaften acht Fehlgeburten, eine Totgeburt und nur ein lebendes Kind, das nach fünf Monaten starb. Aehnlich vernichtend wirkt z.B. das Gas, wie in Plättereien, Glasbläsereien u.s.w., auf das keimende Leben. Wo es nicht geschieht, wächst ein skrophulöses, rachitisches, schwachsinniges Kind heran.576 So werden dem Moloch des Kapitalismus Hekatomben unschuldiger Kinder geopfert! Wachsen sie gesund auf, so werden die Gefahren, die sie bedrohen, nicht geringer. Die Straße ist ihr Spielplatz, ihre Erziehungsanstalt; daß sie, besonders in den Großstädten, keinen günstigen Einfluß übt, daß der physische und moralische Schmutz, den sie vielfach ausströmt, an den Kindern hängen bleiben kann, bedarf keines Beweises. Die arme Mutter ist diesen Gefahren gegenüber nicht blind. Sie möchte ihre Kinder davor behüten und kommt oft auf die seltsamsten Auskunftsmittel: sie schließt die Kinder bis zu ihrer Rückkehr im Zimmer ein, sie bindet sie im Bettchen fest, sie wird grausam aus lauter ängstlicher, vorsorglicher Liebe. Und dann kommt es zu jenen schrecklichen Unglücksfällen, von denen die Zeitungen so häufig berichten, und denen gegenüber der behäbige Bürger nicht genug über die "Roheit" der proletarischen Mütter zetern kann. Die armen Kleinen kommen dem Ofen zu nahe und verbrennen, sie greifen in das Waschfaß, verlieren das Gleichgewicht und ertrinken, sie klettern zum Fenster, um doch wenigstens durch das Hinausschauen die Langeweile zu vertreiben—Spielzeug, das sie beschäftigen könnte, haben sie ja nicht—und stürzen kopfüber auf den Hof, sie verwickeln sich im Bettchen und die Mutter findet, heimkehrend, ihr Jüngstes erstickt unter dem Kissen.

Neben all diesen äußeren und inneren Gefahren, die die Kinder der Proletarierin umdrohen, wenn die Mutter fern ist, giebt es aber noch andere, denen sie unterworfen sind, wenn die Mutter heimkehrt. Sie hat auch dann keine Zeit für ihre Kinder. Einen erzieherischen Einfluß auf sie kann sie nur in oberflächlichster Weise ausüben. Sie hat keine Ruhe, um ihre Wesen zu beobachten, sie ist geistig infolge all der unausgesetzten Arbeit zu stumpf geworden, um den kindlichen Geist durch den ihren zu befruchten. Verlassen die Kinder ihr Haus, so hat sie ihnen meist nichts, was ihr inneres Leben erfüllen und begeistern könnte, mit auf den Weg zu geben. Sie war schon eine gute Mutter, wenn sie sie rein und ordentlich hielt, ihnen ausreichend zu essen gab und sie nicht betteln schickte. Aber eine Freundin der heranwachsenden Kinder hat sie nur in seltenen Fällen zu werden vermocht. Und doch beruht gerade auf dem geistigen und sittlichen Einfluß der Mutter ein gut Teil der Entwicklung der jungen Generation. Den Samen, den sie in Herz und Geist der Kinder streut, kann kein Lebenssturm völlig verwehen, aus ihm wächst häufig der starke Baum empor, der dem erwachsenen Menschen den einzigen Schutz gewährt. So wird die Ueberlastung der Mutter zum Fluch für die Kinder und für die Gesellschaft, deren Glieder sie sind, deren gute und schlechte Entwicklung mit von ihnen abhängt.

Aber auch der Mann hat unter der Erwerbsarbeit seines Weibes zu leiden: sie hat auch für ihn keine Zeit. Die kurzen Stunden, die sie daheim verbringt, muß sie der Haushaltung und den Kindern widmen. Ist die Arbeit gethan, so sinkt sie müde aufs Bett, unfähig, an anderen Dingen teil zu nehmen als an den täglichen, sie umdrängenden Sorgen. So wird sie oft dem Manne fremd und fremder, sie versteht seine Interessen nicht und sie bekämpft sie, sobald sie auch nur ein paar Groschen kosten. Gelangweilt, verärgert, von der unordentlichen Wirtschaft und dem schlechten Essen angewidert, sucht so mancher seine Zuflucht mehr und mehr in der Kneipe und im Alkoholgenuß.

Für die Frau persönlich bedeutet die Ueberlastung mit Arbeit den körperlichen und geistigen Ruin. Nicht nur, daß sie unnatürlich früh altert—seht doch die Arbeiterinnen an, wie oft sind sie mit vierzig Jahren schon alte Frauen!—sie verliert auch jede Widerstandskraft gegen Krankheit und drohende Gebrechen. Sie kann sich keine Ruhe gönnen, auch wenn sie der Ruhe bedürftig ist, darum stellen sich Leiden aller Art bei ihr ein, die entweder ihr ganzes Leben vergiften, sie arbeitsunfähig machen oder einem frühen Tode entgegenführen.

So hart wie ihren Körper trifft die Ueberlastung ihren Geist. Ihm, dem schon die Volksschule nur die allernotdürftigste Nahrung zuführte, vermag sie noch weniger zu bieten; wohl lechzt auch sie nach der Quelle des Wissens, wohl steigert sich ihr Durst, je mehr sie, gezwungen durch die Arbeitsbedingungen, unter denen sie leidet, Interesse gewinnt an den Fragen des öffentlichen Lebens, sie hat aber keine Zeit dazu, sich satt zu trinken.

Je mehr die Frau in die Großindustrie eindringt, desto mehr werden sich all die Konflikte und all die Leiden zuspitzen und vergrößern, die wir geschildert haben.

Je mehr aber auch die Industrie sich auf Frauenarbeit stützen wird, desto mehr werden zwei Momente hervortreten, die beide auf dem Wege der Emanzipation des Weibes liegen: die lohndrückende und die arbeitszeitverkürzende Tendenz ihrer Arbeit. Unter Lohndrückung verstehe ich hier die Hemmung einer Lohnsteigerung, die sich voraussichtlich entwickeln würde, wenn der Mann der alleinige Ernährer der Familie bliebe. Je weniger er das ist und zu sein braucht, desto näher rückt das weibliche Geschlecht jenem Grundprinzip seiner Befreiung, der ökonomischen Selbständigkeit. Daß tiefgehende Umwandlungen sowohl des Familien- und häuslichen, als des öffentlichen Lebens damit in Verbindung stehen werden, beweist nur nochmals, welche revolutionierende Macht der Frauenerwerbsarbeit innewohnt. Sie zeigt sich auch auf dem Gebiete der Arbeitsregelung und des Arbeiterschutzes. Der Arbeiterschutz war in erster Linie ein Frauen- und Kinderschutz, die Regelung der Arbeitszeit bezieht sich noch heute fast nur auf die Frauen. Dabei zeigt sich aber, daß sie notwendig auch die Regelung der männlichen Arbeitszeit nach sich ziehen muß. In allen Industrien, wo Männer und Frauen beschäftigt werden, regelt sich schon jetzt die männliche Arbeitszeit nach der der Frauen, weil anderenfalls Betriebsstörungen eintreten würden. Eine weitere Herabsetzung der Arbeitszeit Wird zunächst für die Frauen, auf Grund der Erkenntnis der geradezu völkermordenden Folgen der Ueberanstrengung, eintreten müssen und wieder auf die Männer zurückwirken. Die Mehreinstellung von Arbeitern wird sich dann als notwendig erweisen, da es aber an männlichen Arbeitskräften mangelt, wird Platz geschaffen für die in immer stärkerem Maße arbeitsuchenden Frauen. Und ganz allmählich wird die befreiende Macht der Arbeit auch an ihnen zur Geltung kommen. Die ersten Zeichen davon treten heute schon hervor: es entwickelt sich gerade aus der Arbeiterschaft heraus ein Geschlecht thatkräftiger, geistig und materiell selbständiger Frauen, die beginnen, über den engen Kreis ihrer Interessen hinauszuwachsen, die jene Konflikte spüren, die bisher fast nur zu stumpfer Resignation geführt haben, und an ihrer Lösung mitzuarbeiten versuchen. Denn die Erkenntnis der eigenen Lage ist das erste Mittel, sich aus ihr zu befreien.