Der häusliche und der persönliche Dienst: Dienstbotenlöhne.

Die Dienstvermittlung. — Die Wohnräume der Dienstmädchen. — Die Beköstigung. — Die ununterbrochene Arbeitsbereitschaft. — Die freie Zeit der Dienstmädchen. — Ihre Herkunft. — Die sittlichen Gefahren des häuslichen Dienstes. — Das Ammenwesen. — Umwandlung des Haushalts durch den Mangel an Dienstboten. — Die Wäschereien im Klein- und Großbetrieb. — Die Entwicklung des Wirtshauslebens. — Die Lehrzeit im Kellnerinnenberuf. — Die Arbeitszeit der Kellnerinnen. — Die Lohnverhältnisse im Gastwirtsgewerbe. — Die Trinkgelder und ihr Einfluß. — Wohnung und Kost. — Die sanitären und sittlichen Folgen des Kellnerinnenberufs.

Die Gruppe von Arbeiterinnen, die wir unter der vorstehenden Bezeichnung zusammenfassen, besteht aus folgenden Kategorien: den häuslichen Dienstboten, einschließlich der außer dem Hause der Arbeitgeber wohnenden, den Wäscherinnen und Plätterinnen, den Kellnerinnen und den sonstigen Gastwirtsgehilfinnen. Im Begriff der Bedienung liegt ihr gemeinsames Merkmal. Als Arbeiterinnen im gewöhnlichen Sinn des Wortes sind sie bisher nicht angesehen worden, weil man darunter im allgemeinen nur diejenigen verstand, die durch ihre Arbeit Verkaufsartikel produzieren. Diesen fast ganz allein hat sich die Aufmerksamkeit der Sozialpolitiker wie der Gesetzgeber zugewandt. Daher ist auch das Material, auf Grund dessen sich die Lage dieser Arbeiterinnen schildern ließe, ein sehr unzureichendes. Den Wäschereien und ihren Arbeiterinnen wandte man zuerst die Aufmerksamkeit zu, weil sie zu Großbetrieben sich entwickelten und aus dem Kreise des Hauses und der Familie heraustraten. Zögernd und vorsichtig tastend wandte man den Blick auf die wachsende Zahl der Gastwirtsgehilfinnen, und an den häuslichen Dienstboten ging man so gut wie achtlos vorüber. Nicht nur, daß man nicht wagte, den Schleier zu heben, der über ihrer sozialen Lage liegt, in den Staaten, wo sie unter Sondergesetzen, den Dienstbotenordnungen, stehen, die der Feudalzeit würdig wären, dachte man selbst in den Jahren lebhafter sozialer Gesetzesthätigkeit nicht im entferntesten daran, diese Millionen Menschen aus dem drückenden Joch zu befreien. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch für das deutsche Reich, welches das Recht des 20. Jahrhunderts enthalten soll, hat sie fast unverändert bestehen lassen. Der Kultus der Familie hat die häuslichen Dienstboten mit einer chinesischen Mauer umgeben, deren Uebersteigung noch heute für strafbar gilt. Erst als der Gesellschaft das Elend der Hausindustrie wiederholt und so dicht vor Augen geführt wurde, daß selbst die Kurzsichtigsten es sehen mußten, wagte man es schüchtern und vorsichtig, eine kleine Bresche in die Mauer zu schlagen. Handelte es sich doch auch hier nur um das Eindringen in die Familien armer Leute. Wollte man den häuslichen Dienst einer Untersuchung unterziehen, oder gar gesetzlich zu regeln versuchen, so hieße das die Mauer umreißen und der Oeffentlichkeit in die eigenen Familienverhältnisse Zutritt gewähren. Selbst freisinnige Geister, die den Zuständen der Arbeiterklasse fest ins Auge zu blicken wagen, und mit radikalen Hilfsmitteln bei der Hand sind, werden reaktionär, sobald die Dienstbotenfrage berührt wird. "My house is my castle" heißt es dann und in diese Zwingburg, in der Millionen Menschen ihre Arbeitskraft opfern, dringt kein Strahl sozialpolitischer Erkenntnis.


Obwohl die Lage der häuslichen Dienstboten uns weit genauer bekannt sein sollte, als die irgend einer anderen Arbeiterinnenschicht, weil wir sie täglich vor Augen sehen, hat die einschläfernde Macht der Gewohnheit bis jetzt die aufklärende Gewalt persönlicher Erfahrung zu unterdrücken gewußt. Wo wir auch in der Vergangenheit Aeußerungen über die Dienstboten begegnen, sind es rein subjektive, vom egoistischen Standpunkt der Arbeitgeber ausgehende, und die Dienstbotenfrage erscheint dem weitaus größten Teil derer, die sie in den Mund nehmen, nur als die Frage, wie dem Mangel an Dienstboten und den Fehlern der Dienstboten abzuhelfen ist. Daß sie ein Teil der Arbeiterfrage ist und wie sie behandelt werden muß, daß der große Strom der Entwicklung, der in der Arbeiterbewegung zu so gewaltigem Ausdruck kommt, vor den Mauern des bürgerlichen Haushalts nicht Halt macht, sondern ihn in seinen Grundpfeilern erschüttert,—und der häusliche Dienst ist solch ein Grundpfeiler,—diese Erkenntnis fängt erst jetzt an zu dämmern, wo die Dienstboten selbst anfangen, zum Bewußtsein ihrer Lage zu kommen. Nun entdeckt man gleichsam in der uns täglich umgebenden eine neue unbekannte Welt und fängt an, zu begreifen, daß ein Leben noch kein menschenwürdiges ist, auch wenn Hunger und Obdachlosigkeit ihm ferner bleiben, als dem Leben anderer Arbeiterinnen.

Die große Verschiedenheit in der Lage der Dienstboten, nicht nur was die einzelnen Länder, sondern auch was die Stellungsgrade betrifft, macht es besonders schwierig, ein klares Bild von ihr zu gewinnen. So variieren z.B. in Deutschland die Löhne zwischen 8 und 100 Mk. monatlich, der Durchschnittssatz dürfte 15 bis 25 Mk. betragen. Charakteristischerweise sind es die Kindermädchen, die den niedrigsten, die Köchinnen, die den höchsten Lohn erhalten. Ob darin eine Bewertung der Wichtigkeit der Kinderstube und der Küche liegen soll?! Was thatsächlich damit ausgedrückt wird, ist die Anforderung, die man an Köchin und Kindermädchen stellt: während die eine eine gewisse Vorbildung, in ihrem Beruf einen bestimmten Grad von Erfahrung haben muß, wird von dem gewöhnlichen Kindermädchen nichts von beidem verlangt; kaum der Schule entwachsen, hält man es für fähig, Kinder zu warten und zu erziehen. Die nächste Lohnstufe nimmt zumeist das sogenannte "Mädchen für Alles" ein, das Kinder-, Stubenmädchen und Köchin zugleich ist; ihre Einnahme bewegt sich zwischen 15 und 20 Mk. im Monat. Das einfache Hausmädchen, das die Zimmer zu reinigen, das Küchenmädchen, das abzuwaschen und der Köchin zu helfen hat, haben zumeist denselben Lohn. Die Kinderfräuleins oder Kindergärtnerinnen, die eine Zwitterstellung zwischen Dienstmädchen und Erzieherin einnehmen, pflegen auch nur selten höher entlohnt zu werden. Einen höheren Lohn erreicht das feine Stubenmädchen, das gewöhnlich die Plätterei und Näherei verstehen muß, und die Jungfer, der die persönliche Bedienung der Frau des Hauses allein obliegt. Ist sie zugleich eine perfekte Schneiderin, so steigt ihr Lohn bis auf 50 und 75 Mk. im Monat. Die Köchin hat, je nach den Anforderungen, die an sie gestellt werden, ein monatliches Einkommen von 20 bis 50 Mk.; in der Mehrzahl deutscher, bürgerlicher Haushaltungen dürfte sie zwischen 18 und 24 Mk. erhalten. Am besten gestellt ist die Wirtschafterin in großen Häusern oder auf Landgütern, die an Stelle der Hausfrau die Leitung von Küche und Vorratsraum in Händen hat und die Amme, die an Stelle der Mutter den Säugling ernährt.

Eine Untersuchung, die nur Berlin betrifft, wo die höchsten Löhne in Deutschland gezahlt werden, und die nur 449 Dienstmädchen umfaßt, kommt zu folgenden Resultaten.788 Es erhalten danach:
21 Mädchen oder 4,7 Proz. einen Jahreslohn von 100-150 Mk.
152 " " 33,9 " " " " 150-200 "
179 " " 39,9 " " " " 200-250 "
56 " " 12,5 " " " " 250-300 "
41 " " 9,0 " " " " 300 u. mehr "

Die Mädchen für Alles werden durchweg am schlechtesten bezahlt, 58,8 % von ihnen haben weniger als 200 Mk. jährliches Einkommen. Die Köchinnen erreichen die höchsten Lohnsätze, die außerdem bei ihnen niemals unter 150 und selten unter 200 Mk. herabsinken.

In England, für das eine offizielle Untersuchung über Dienstbotenlöhne vorliegt789, sind die Verhältnisse ganz ähnliche, obwohl die Löhne eine größere Höhe erreichen, als in Deutschland. Der Durchschnittslohn englischer Dienstmädchen beträgt 15,10 £, in Schottland steigt er auf 17,12 £, in London auf 18,2 £, während er in dem armen Irland auf 12 bis 14 £ fällt. Den niedrigsten Lohn erhalten auch hier die kaum der Schule entwachsenen Kindermädchen, die sich mit einem Jahreseinkommen von 5 bis 6 £ begnügen müssen.790 Die Stufenleiter ist im übrigen folgende:791
Mädchen für Alles erhalten einen Jahreslohn von 6-17 £
Küchenmädchen " " " " 5-21 "
Einfache Hausmädchen " " " " 7-24 "
Stubenmädchen " " " " 14-24 "
Köchinnen " " " " 11-28 "
Kinderwärterinnen " " " " 6-30 "
Kammerjungfern " " " " 19-30 "
Wirtschafterinnen " " " " 34-52 "

Um aber aus obigen Angaben zu keinem falschen Resultat zu kommen, ist es notwendig, auch die Durchschnittslöhne festzustellen, die aus der Untersuchung der Lohnverhältnisse von 5338 weiblichen Dienstboten gewonnen wurden. Sie betrugen für
Mädchen für Alles 16 £
Kinderwärterinnen 16 "
Hausmädchen 16 "
Stubenmädchen 20 "
Köchinnen 20 "
Kammerjungfern 24 "
Wirtschafterinnen 34 "

Das Kindermädchen rangiert also auch hier, was den Lohn betrifft, hinter der Köchin. Noch drastischer tritt dieses Verhältnis in Frankreich, der Hochburg kulinarischer Genüsse hervor, wo die Löhne der Köchinnen zwischen 50, 100 bis 120 frs. und darüber schwanken, während Kindermädchen im besten Fall 50 bis 60 frs., meistens aber nur 30 bis 40 zu bekommen pflegen. Ungewöhnlich hoch sind hier die Löhne der Ammen, die häufig bis zu 150 frs. monatlich einnehmen sollen. Hohe Löhne, im Vergleich zu Deutschland, werden auch in den Vereinigten Staaten gezahlt. Nach einer Enquete beträgt der durchschnittliche Lohn der Dienstmädchen 3,23 $ die Woche. 48 % der Dienenden bekamen mehr, 52 % ebensoviel oder weniger, so daß sich daraus ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 167,96 $ ergiebt. Auch hier sind es die Mädchen für alles, die am wenigsten bekommen,—durchschnittlich 2,88 $ wöchentlich,—und die Köchinnen, die sich mit durchschnittlich 3,64 $ am besten stehen.792

Nach alledem scheint festzustehen, daß nicht die Quantität, sondern die Qualität der geleisteten Arbeit am höchsten bezahlt wird, und zwar ist die Ursache davon nicht die, daß die Nachfrage nach der qualitativen Leistungsfähigkeit absolut eine besonders starke ist,—könnte man es zahlenmäßig nachweisen, so würden zweifellos die Mädchen für Alles als die am meisten begehrten erscheinen,—sondern weil sie im Verhältnis zum Angebot gelernter Arbeiterinnen überall hoch erscheint, und von den zahlungsfähigsten Kreisen ausgeht. Aus denselben Gründen sind die Löhne der männlichen Dienstboten unverhältnismäßig höher als die der weiblichen. Unter 360 Mk. im Jahr dürfte kaum ein deutscher Diener, unter 38 £ kein englischer zu haben sein. Ein deutscher Privatkoch verlangt stets 50 bis 100 Mk. im Monat, ein englischer hat durchschnittlich eine Jahreseinnahme von 128 £.

Als Ergänzung des Lohns kann das Trinkgeld und das häufig im Geldwert bestimmt ausgemachte Weihnachts- oder Neujahrsgeschenk angesehen werden. In Familien, die einen ausgedehnten Verkehr haben und viele Gesellschaften geben, erreicht die Einnahme aus den Trinkgeldern eine oft respektable Höhe. So ist mir bekannt, daß ein Stubenmädchen in der Familie eines höheren Offiziers, das den geladenen Gästen beim Aus- und Ankleiden behilflich war, im Laufe des Karnevals gegen 200 Mk. einzunehmen pflegte. Dem Trinkgeld haftet aber hier noch nicht in dem Maße das Odium des Entehrenden an, weil es thatsächlich nur als Belohnung für außergewöhnliche Dienste auftritt und die Höhe des Lohns durch die Aussicht darauf nicht beeinflußt wird. Anders steht es, soweit die Stubenmädchen der Hotels und Pensionen in Betracht kommen. Sie werden in den weitaus meisten Fällen mit einem sehr geringen Lohn angestellt und sind auf die Trinkgelder der Fremden angewiesen. Für ihre harte Arbeit müssen sie auch noch in der beschämenden Haltung der Bittenden vor die Fremden hintreten, müssen ihnen, wie die Strauchritter am Wege, in den Korridoren auflauern, wenn sie abreisen und statt ihres guten Rechts, des Lohns ihrer Arbeit, ein widerwillig gegebenes Almosen entgegennehmen, an das noch dazu häufig genug beleidigende Anforderungen geknüpft werden.

In den vorhergehenden Abschnitten ist versucht worden, die Höhe des Lohns mit den notwendigen Ausgaben zu vergleichen. Dasselbe Prinzip läßt sich in Bezug auf die Dienstboten nur schwer anwenden, ja es scheint fast als müßte ihr Einkommen unbedingt als ein hohes anzusehen sein, weil sie nicht selbst für Kost und Wohnung aufzukommen haben. Dabei wird stets außer acht gelassen, daß allein an die Kleidung des Dienstmädchens ganz andere Ansprüche gestellt werden, als etwa an die Fabrikarbeiterin, und daß gerade bei der häuslichen Arbeit sehr viel verbraucht wird. Nur in reichen Häusern Englands und Frankreichs, sehr selten in Deutschland,—wo man sich auf das weiße Häubchen als Abzeichen der Dienstbarkeit beschränkt,—wird die Kleidung, die dann immer eine Art Uniform ist, den Dienstmädchen ebenso geliefert, wie den Dienern. Meist müssen sie sie selber schaffen, was ihr schmales Beutelchen noch schmaler werden läßt. In sehr vielen Fällen aber haben sie von ihrem Lohn alte Eltern und Geschwister zu unterstützen. Wie oft sind mir Mädchen begegnet, die über die Hälfte ihres Geldes nach Hause schickten. Noch häufiger freilich haben sie eigene uneheliche Kinder zu ernähren, wofür sie monatlich 12 bis 15 Mk. der Pflegerin geben müssen—meist den größten Teil ihres Verdienstes! Diese Unglücklichen sind die Bedauernswertesten von allen; sie lassen sich wehrlos ausbeuten und peinigen, sie halten überall aus, denn mit der Stellenlosigkeit wäre die Existenz ihres Kindes aufs Spiel gesetzt! Sie können keine Ersparnisse machen, um ihr Alter zu sichern,—dienen, dienen ist ihr Los, solange der müde Rücken es aushält, solange man sie nicht hinauswirft, wie ein verbrauchtes Hausgerät. Aber auch auf dem Lohn derjenigen, die für niemanden zu sorgen haben, lastet eine Steuer, die schwer genug drücken kann: die Dienstvermittlungsgebühren.

Die Dienstvermittlung ruht fast ausschließlich in den Händen privater Vermittler. Nach einer amtlichen Erhebung in Preußen gab es hier allein 5216 Stellenvermittler, von denen 3931 weiblich und fast 1/8 vorbestraft waren, was auf den Charakter derjenigen, in deren Händen das Los der Dienstmädchen liegt, ein scharfes Licht wirft. Ihre möglichste Ausbeutung liegt natürlich im Interesse der Vermittler und so müssen die Dienstmädchen für jede Stelle entweder eine bestimmte Summe, in Deutschland 50 Pf. bis 3 Mk., oder einen Prozentsatz vom Jahresgehalt, oft bis zu 10 %, bezahlen. Da im Durchschnitt die großstädtischen Dienstmädchen zweimal im Jahr den Dienst zu wechseln pflegen, so kommen dabei Summen zusammen, die eines besseren Zweckes würdig wären. In Wien allein wurden im Jahr 1892 192831 fl. von den Vermittlungsbureaus eingenommen.793 Bei dieser Steuer, die die armen Mädchen zu tragen haben, bleibt es aber nicht allein. Sehr häufig nehmen die Vermittlerinnen sie während der Zeit der Stellenlosigkeit in Kost und Wohnung; sie üben dadurch, daß sie ihre Mieterinnen bei der Auswahl der Stellung bevorzugen, einen empfindlichen Druck auf sie aus und haben es überdies in der Hand, die Mädchen möglichst lange bei sich festzuhalten. Die unerfahrenen Mädchen, die vom Lande in die Stadt kommen, sind stets ihre leichte Beute, und da sie es verstehen, sie durch Versprechungen, durch Schmeicheleien und wohl auch durch häusliche Feste,—wobei die Mädchen natürlich die Zeche bezahlen müssen,—an sich zu fesseln, so ist das Netz dieser Spinnen immer voll armer kleiner Fliegen. Ein Blick in das Wartezimmer einer großstädtischen Vermieterin enthüllt für den, der sehen will, oft mit einem Schlage das ganze Elend des Dienstbotenlebens. Da stehen dicht gedrängt die Mädchen, vor ihnen die feilschenden "Gnädigen" mit prüfenden Blicken und Fragen, die eines Untersuchungsrichters würdig wären,—ein Sklavenmarkt mit all seinen Schrecken! Jedes deutsche und österreichische Mädchen hat überdies noch ihr Dienstbuch, wie der Schuljunge sein Zeugnis, vorzuweisen, das ihren ganzen Lebenslauf wiedergiebt und Urteile enthält, die alles vermuten und erraten lassen. Wagt es das Dienstmädchen seinerseits nach den Arbeitsbedingungen zu fragen, die seiner warten, so gilt es für frech und unverschämt, obwohl es doch mindestens dasselbe Interesse daran hat, zu wissen, was ihm bevorsteht, als diejenige, die es in ein Kreuzverhör nimmt.

Und was wartet seiner?

Zur Entlohnung der häuslichen Dienstboten gehört, außer dem Lohn, Wohnung und Kost. Das Wohnen im Hause der Herrschaft ist allgemein üblich; die vollständige Abhängigkeit, die stete Arbeitsbereitschaft, in der sich der Dienstbote auch in Zeiten der Ruhe befindet, kommt dadurch zu deutlichem Ausdruck. Durch die Art der Wohnungen erfährt sie Abstufungen verschiedenster Art. Die amerikanischen und englischen Dienstboten haben nicht nur ihr eigenes Zimmer, sondern zumeist auch, wo mehrere Dienstboten gehalten werden, einen gemeinsamen Wohnraum, wo sie ihre Mahlzeiten einnehmen und wohl auch ihre Freunde empfangen können.794 Daß es sich dabei nur um die Dienstboten wohlhabender Familien handeln kann, liegt auf der Hand. In Frankreich und ebenso in Süddeutschland und Oesterreich befinden sich die Zimmer der Dienstboten in den Mietshäusern immer im obersten Stockwerk. Sehr häufig sind sie nicht zu heizen, so daß die Kälte im Winter sehr empfindlich ist, aber noch empfindlicher vielleicht ist die Sommerhitze unter dem glühenden Dach. In solchem Raum, der oft kaum das Nötigste zu fassen vermag, hausen meist zwei, oft auch drei Dienstmädchen zusammen. Thür an Thür führt vom engen Gang aus in die Zimmer des Hauspersonals; alt und jung, Mädchen und Männer, Verdorbene und Unverdorbene wohnen hier oben nebeneinander. Und doch sind diese Unterkunftsräume noch als gute zu bezeichnen im Vergleich mit denen, die der größten Mehrzahl der weiblichen Dienstboten in den norddeutschen Städten geboten werden. Die Hängeböden sind hierfür besonders charakteristisch. Man versteht darunter Räume, die auf halber Höhe über dem Badezimmer, dem Kloset, dem Flur oder einem Küchenwinkel angebracht zu werden pflegen und nur mittelst einer Leiter oder einer steilen Hühnerstiege zu erreichen sind. Meist sind sie so niedrig, daß ein normal gewachsener Mensch nicht aufrecht darin stehen kann, und so klein, daß neben dem Bett kaum Platz genug bleibt, um sich anzuziehen. Ein Fenster,—klein ist es natürlich stets,—wird auch oft zu den Luxusgegenständen gerechnet, die nach der Küche oder dem Flur hinausmündende Thür ist dann das einzige Ventilationsmittel des engen, dunklen Loches. Oft führt der Kamin der Küche direkt daran entlang, so daß eine unerträgliche Hitze sich der schlechten Luft zugesellt, und Ungeziefer aller Art eine förmliche Brutstätte hier findet. Noch häufiger liegt Badezimmer und Kloset unter dem Hängeboden, den infolgedessen eine wahre Typhusatmosphäre erfüllt. Einen solchen Wohnraum für Dienstmädchen habe ich in einem der vornehmsten Häuser Berlins gesehen, der ein Bett, einen Stuhl und einen kleinen Waschtisch enthielt, dabei selbst für kleine Menschen zu niedrig war; die Hausfrau, die mir ihre Wohnung zeigte, erklärte stolz, daß er geräumig genug sei, um zwei Mädchen zu beherbergen! Natürlich besaß sie einen Salon, der nur für Gesellschaftszwecke geöffnet wurde und ein Fremdenzimmer, das monatelang leer stand. Aber die letzte Stufe des Wohnungselendes ist damit doch noch nicht erreicht: in einer eleganten Pension des Berliner Westens fand ich ein Dienstmädchen, das während der Wintermonate in einem Winkel des dunklen Hausflurs, den jeder Bewohner zu passieren hatte, hinter einem Vorhang ihr Nachtlager aufschlug. Stillichs Untersuchungen der Berliner Dienstbotenverhältnisse kommen zu denselben Resultaten: Fensterlose, feuchte Kammern, Speise- oder Dachkammern, Kellerräume, Abteilungen des Badezimmers, in dem sich zugleich das Kloset befindet, oder des Korridors werden von seinen Expertinnen als ihre Schlafräume angegeben, und zwar sind es nicht weniger als 48 % aller, die in dieser Weise untergebracht wurden. Wenn 24 bis 50 cbm Luftraum pro Person als notwendig erscheinen, so entsprechen von 256 Schlafstellen Berliner Dienstmädchen nur 93 diesen Anforderungen; etwa die Hälfte sind in Bezug auf die sanitären Bedingungen ihrer Wohnung ungünstiger daran als die Gefangenen in preußischen Zuchthäusern.795

In einigen Städten, unter anderem in Berlin, hat man das erwachende Gewissen durch Bauordnungen und Polizeiverordnungen zu beschwichtigen gesucht. Die Benutzung der nur mittelst einer Leiter zu erreichenden Hängeböden als Schlafraum wurde verboten; der Bau von Hängeböden, außer von solchen mit fester Treppe, festgesetzter Höhe und bestimmtem Luftraum untersagt. Natürlich steht all dergleichen fast nur auf dem Papier, denn die Wohnungsverhältnisse der Dienstboten sind nicht etwa nur der Ausfluß ausgesuchter Bosheit der Herrschaft, sondern die Folge der allgemeinen ökonomischen Verhältnisse. Mit den gesteigerten Lebensansprüchen haben die Einnahmen des weitaus größten Teils der Aristokratie und der Bourgeoisie nicht gleichen Schritt gehalten, ja sie reichen zur Aufrechterhaltung der alten Lebensgewohnheiten kaum mehr aus. Infolgedessen wird überall dort gespart, wo das Auge des Fremden nicht hindringen kann, und die großstädtischen Wohnungen sind der Ausdruck dieser Entwicklung: das Eßzimmer, der Salon sind geräumig und glänzen in falscher Pracht; die Schlafzimmer sind schon eng und dunkel, der Raum für das Dienstmädchen ist eine Art Höhle. Wer weiß, in welchem Maße von der Aufrechterhaltung des äußeren Scheins das Ansehen, der Kredit, ja die Existenz der Familien abhängt, wer dabei die furchtbare Macht der Gewohnheit kennt, die ganz zu überwinden nur Auserwählten gelingt, der wird sich auch sagen müssen, daß die Wohnungsmisère der Dienstboten nicht durch Polizeiverordnungen oder Sittenpredigten beseitigt werden kann. Das geht schon aus der Art hervor, wie die neuen Bauordnungen gewirkt haben. An Stelle der Hängeböden tritt nämlich nunmehr in den mittleren Wohnungen eine schmale Kammer, die oft nur ein schwer zu öffnendes kleines Fenster, das zugleich die Speisekammer erhellt, aufweist und ebenso wie die Hängeböden, nicht Raum genug bietet, um sich zu bewegen und die notwendigen Einrichtungsgegenstände unterzubringen. In den seltensten Fällen, in Privathäusern, bei reichen oder kinderlosen Leuten, hat das Dienstmädchen ein Zimmer, in das es sich abends, nach der Arbeit, gern zurückzieht, wo es aufatmen, sich selbständig und unbeaufsichtigt fühlen kann. Wohnräume für Dienstboten, wo ihre Freunde sie besuchen können, gehören auf dem Kontinent zu den größten Seltenheiten, die nur in sehr reichen Häusern zu finden sind. Die Küche ist fast immer ihr Wohn-, Eß- und Empfangszimmer.

Wie der Lohn, so ist die Beköstigung der Dienstboten die verschiedenartigste, sowohl was ihre Qualität, als was die Art der Darreichung betrifft. Bei den oberen Zehntausend aller Länder, die über eine Schar dienstbarer Geister verfügen, ist es üblich, daß für sie extra gekocht wird und die Mahlzeiten zu bestimmten Tageszeiten an gedeckten Tischen eingenommen werden. Zwar sind die Reste des "herrschaftlichen" Tisches vom Tage vorher zumeist für die Herstellung der Speisen verwendet worden, sie pflegen aber ausreichend und nicht gerade schlecht zu sein; um so erträglicher ist die Ernährung, als sie mit einer bestimmten Ruhepause verbunden und im gemeinsamen Wohnzimmer eingenommen wird. Fassen wir aber an Stelle dieser wenigen Begünstigten die Masse der Mädchen ins Auge, die im Dienste des kleinen und des mäßig begüterten Bürger- und Beamtentums steht, so ist das Bild gleich ein völlig verändertes. Auch dort, wo die Nahrung ausreicht, um den Hunger zu stillen, ist sie minderwertig, denn sie besteht, wenigstens was die Hauptmahlzeit betrifft, aus den kalten und unappetitlichen Ueberresten des Mittagstisches der Arbeitgeber. Ohne eine bestimmte Essenspause muß sie in der Küche, zwischen dem ungeputzten Kochgeschirr, an einem Winkel des Tisches, der notdürftig frei gemacht wird, hastig verzehrt werden. Sehr häufig ist sie aber auch durchaus nicht ausreichend, was ihre Quantität betrifft: das Mädchen darf sich nicht nach Gefallen satt essen, jeder Bissen wird ihr vielmehr von der Herrin zugeteilt. In Frankreich findet man zu dem Zweck in kleineren Haushaltungen besonders geformte tiefe Teller, ähnlich den Näpfen, in denen man den Haushunden das Fressen vorzusetzen pflegt: die ganze Mahlzeit wird darin zusammengeworfen. Man hält es vielfach für selbstverständlich, daß das schwer arbeitende junge Dienstmädchen durch das geringste Maß an Kost, durch die schlechtesten Bissen befriedigt sein muß: eine Tasse dünnen Kaffees mit einer dünn gestrichenen Semmel, ein Teller voll kalter Mittagsreste, ein Butterbrot mit schlechter Wurst und gewärmtem Kaffee—darin besteht nur zu oft die tägliche Nahrung. Trotzdem wird das Los des Dienstmädchens gegenüber dem der Fabrikarbeiterin als ein glänzendes gepriesen und unterscheidet sich doch was Wohnung und Kost betrifft häufig kaum von ihm. Vielfach ist es Sitte, einen Teil der Kost durch einen bestimmten Geldbetrag abzulösen; in Deutschland, England und Frankreich ist besonders das Bier- resp. Weingeld üblich, das in Deutschland kaum über 6 Mk. monatlich steigt, in Frankreich dagegen 15 bis 25 frs. erreicht. In großen englischen Haushaltungen wird manchmal für die ganze Beköstigung der Dienerschaft eine Summe ausgesetzt, die für Mädchen etwa 1 bis 1-1/2 sh. täglich zu betragen pflegt. Für das Abendessen werden in Deutschland 25 bis 50 Pf. gezahlt. Alle diese Einrichtungen liegen zweifellos auf dem Wege einer Verselbständigung der Dienstboten, sie entspringen aber zunächst der Bequemlichkeit der Herrschaften, die sich dadurch einer lästigen Kontrolle enthoben fühlen und der gefürchteten Unredlichkeit einen Riegel vorzuschieben glauben. Thatsächlich wird ihr dadurch Vorschub geleistet, denn was das Dienstmädchen an barem Gelde neben ihrem meist geringen Lohn bekommt, das legt sie am liebsten zurück, oder giebt es für etwas anderes aus, als die Nahrung; sie wird also entweder zur Unterernährung veranlaßt, indem sie von ihrem ersten Frühstück oder ihrem Mittagbrot noch etwas zum Abend sich aufspart, oder sie ißt trotzdem aus der Speisekammer der Herrschaft. Es heißt auch die Modernisierung des Dienstbotenwesens bei einem verkehrten Ende anfangen, wenn man dem Mädchen, das unsere Wohnung und unser Leben teilt, unsere Mahlzeiten herrichtet, verwehren will, von unserem Brote zu essen. Die patriarchalische Ordnung, die man auf der einen Seite, soweit es den Herrschenden nämlich zum Vorteil gereicht, durchaus aufrecht erhalten will, läßt sich auf der anderen nicht willkürlich durchbrechen. Nur das Gewähren von Geld als Ersatz für alkoholische Getränke scheint mir entschuldbar, weil diese zu den notwendigen Nahrungsmitteln nicht gehören und man dadurch,—eine Wirkung, die in England zum Beispiel schon beobachtet wurde,—ihrem Genuß entgegenwirkt.

Während Löhne, Wohnung und Kost die verschiedensten Abstufungen aufweisen, bleibt die Arbeitszeit, wenn wir, wie es allein richtig ist, darunter auch die Zeit der Arbeitsbereitschaft verstehen, sich im allgemeinen ziemlich gleich. Es war das Charakteristikum des Sklaventums, daß der Herr die Person des Sklaven, seine ganze Arbeitskraft, seine ganze Zeit erkaufte, und das ist heute das Charakteristikum des Dienstbotenwesens. Der Arbeiter verkauft einen, wenn auch den allergrößten Teil seiner Arbeitskraft, der Dienstbote verkauft seine Person; er hat Tag und Nacht dem Rufe seines Herrn zu folgen, jeder Widerstand dagegen gilt als Unbotmäßigkeit. "Mit welchem Entsetzen," sagt Anton Menger, "sehen die Sozialpolitiker der Gegenwart auf die ungemessenen Fronden früherer Jahrhunderte zurück, ohne zu bedenken, daß sie zu ihren Dienstboten in einem ganz ähnlichen Rechtsverhältnisse stehen. Denn wenn man das Wesen des Dienstvertrags darin erblickt, daß der Arbeiter dem Dienstherren seine Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit oder einen bestimmten Zweck zur Verfügung stellt, so haben unsere Dienstboten in Wirklichkeit einen Normalarbeitstag von 24 Stunden."796 Je nach dem Dienst in begüterten oder minder begüterten Familien ändert sich nur die Intensität der Arbeit; die Arbeitszeit, die sich durch den Wechsel zwischen der Zeit der Abhängigkeit vom Willen anderer und der der freien Verfügung über die eigene Person kennzeichnen läßt, bleibt stets dieselbe, d.h. eine ununterbrochene. Der höchste Grad der Arbeitsintensität findet sich bei den am niedrigsten Entlohnten: den Kindermädchen und den Mädchen für Alles. Die Mutter erfreut sich der ungestörten Nachtruhe, das Kindermädchen aber opfert ihrem Sprößling die ihre, sie ist den ganzen Tag mit dem Kinde oder für das Kind beschäftigt, denn während es schläft, wird die Kinderwäsche gewaschen, gebügelt, geflickt; während es wacht, wird es genährt, angekleidet, unterhalten, spazieren gefahren oder getragen. Zwar wird der gesundheitliche Nachteil starker Arbeitsüberlastung dadurch vielfach aufgewogen, daß das Kindermädchen sich stundenlang mit ihrem Schützling in frischer Luft aufhalten muß, aber der Zwang, die Kinder tragen zu müssen,—aus falsch verstandenen Gesundheitsrücksichten auf sie ist er besonders in Frankreich weit verbreitet,—verwandelt den Vorteil wieder in einen empfindlichen Nachteil. Besonders junge Mädchen sind dadurch allen Gefahren der Rückgratsverkrümmungen und Unterleibsleiden ausgesetzt. Können die Kinder laufen, so ist die körperliche Anstrengung zwar geringer, die der Nerven aber um so größer. Ununterbrochen Kinder zu hüten, gehört thatsächlich, so leicht es den Fernstehenden erscheint, die sogar geneigt sind, das Leben eines Kindermädchens für ein wahres Faulenzerleben zu erklären, zu den aufreibendsten Aufgaben. Die Mütter aber, die ihre lieben Kleinen im besten Fall ein paar Stunden um sich haben, können trotzdem nicht genug über die Roheit und Schlechtigkeit der Kindermädchen klagen, die um so eher die Geduld verlieren, als sie meist selbst jung, ungebildet und undiszipliniert sind. Kaum geringer, dabei der Gesundheit nachteiliger ist die Arbeitsintensität der Mädchen für Alles. Wo die Hausfrau nicht mithilft, sind die Anforderungen, die an sie gestellt werden, oft unerfüllbare: Kochen und einkaufen, waschen und plätten, Kleider putzen und Zimmer reinigen, nähen und flicken, die Familie bedienen, den Gästen aufwarten,—das alles und noch mehr ist ihre Aufgabe. Von früh bis in die Nacht ist ihre Zeit ausgefüllt; oft muß sie bis ein, zwei Uhr und länger thätig sein, weil Gesellschaft im Hause ist und kann des Morgens nicht ausschlafen, weil für die schulpflichtigen Kinder oder den Hausherrn das Frühstück zur gewöhnlichen Zeit bereit stehen muß. Spät in der Nacht hat sie wohl auch die gnädige Frau oder das gnädige Fräulein vom Ball oder vom Theater heimzuholen. Niemandem fällt es ein, welchen Gefahren ein junges Mädchen bei weiten nächtlichen Wegen sich dabei aussetzt, denjenigen am wenigsten, die sich abholen lassen um dieser Gefahren willen. Wehe aber dem armen Ding, wenn es Müdigkeit oder Mißmut fühlen läßt; auch die gleichmäßige gute Laune gehört zu den ausbedungenen Pflichten eines Dienstmädchens. Die Arbeitszeit der Köchin ist vielfach weniger ausgefüllt als die des Mädchens für Alles; auf sie dürfte im allgemeinen zutreffen, was die deutsche Untersuchung der Lage der Gasthausköchinnen ergeben hat, die während vierzehn bis sechzehn Stunden durchschnittlich zu thun haben.797 Was ihre Situation jedoch besonders verschlechtert, sind die gesundheitlichen Nachteile ihres Berufes: das viele Stehen verursacht Krampfadern und geschwollene Füße, das Einatmen der Speisenausdünstungen bewirkt Magenstörungen, die oft chronisch werden, das beständige Hantieren am glühenden Herd zerrüttet die Nerven. Die Klagen über launenhafte cholerische Köchinnen, denen es doch "so gut" geht, sind nur allzu bekannt!

Bequem soll vor allem der Dienst der Kammerjungfer sein, und doch ist ihre Nachtruhe oft mehr beeinträchtigt als die des Kindermädchens. In der Zeit der geselligen Hochflut, die für viele Damen der großen Welt, deren Leben sich zwischen der Großstadt und den Modebädern abspielt, nur durch kurze Ruhepausen unterbrochen wird, hat sie fast nie eine ausreichende und ungestörte Nachtruhe. Was es aber für ein junges Mädchen heißt, ihre oft viel ältere Herrin Tag für Tag in glänzender Toilette von einem Fest zum andern eilen zu sehen, während es, das junge, hübsche, lebenslustige Mädchen, zu gleicher Zeit allein in seiner Kammer sitzen und bei trübem Lampenlicht allnächtlich auf die Heimkehr der "Gnädigen" warten muß,—das macht sich selten jemand klar. Wer wird denn auch die Gefühle eines Dienstmädchens mit demselben Maße messen, wie die eigenen!

Unter der schwersten Arbeitslast aber leiden die Stubenmädchen in den Hotels, in Pensionen. Um einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen, wird so wenig als möglich Personal angestellt. Es kommt vor, daß ein Mädchen die Bedienung von 30 bis 40 Gästen, die Instandhaltung von 20 bis 25 Zimmern zu übernehmen hat.798 Die Nachtruhe währt oft kaum fünf bis sechs Stunden, weil der Dienst vor dem Abgang des ersten angetreten, und nach der Ankunft des letzten Zuges erst verlassen werden darf. Eine Arbeitszeit von achtzehn bis zwanzig Stunden dürfte kaum zu den Ausnahmen gehören.799 Stillichs Untersuchung der Berliner Dienstbotenverhältnisse bestätigt nur alle unsere Angaben. Von 547 Mädchen arbeitet die Hälfte,—51,5%,—länger als 16 Stunden täglich. Die andere Hälfte arbeitet 12 bis 16 Stunden und nur 2% weniger als 12 Stunden. Und zwar sind es die am schlechtesten Entlohnten, die Mädchen für Alles, die am längsten arbeiten müssen; für 59% dauert der Arbeitstag über 16 Stunden.800 Unter den fortgeschrittenen Verhältnissen der Vereinigten Staaten scheint auch die Arbeitszeit der Dienstboten eine geringere zu sein, obwohl die zweifelhafte Art ihrer Berechnung,—ob nämlich die Zeit der Arbeitsbereitschaft als Grundlage diente, oder etwaige Pausen abgerechnet wurden,—ein falsches Bild hervorrufen kann. 38% der nordamerikanischen Dienstmädchen sollen 10 Stunden, 37% mehr als 10 und 25% weniger als 10 Stunden thätig sein.801

Die freie Zeit der Dienstmädchen beschränkt sich in Deutschland, Oesterreich und Frankreich zumeist auf einen halben Sonntag alle zwei Wochen. Für Berlin hat sich herausgestellt, daß 69% der Dienstmädchen innerhalb eines halben Monats nur fünf bis sechs Stunden für sich haben.802 Denn der vierzehntägige Ausgang schrumpft noch außerordentlich zusammen, weil das Mädchen erst nach beendeter Arbeit fortgehen darf und vielfach vor zehn Uhr abends zurück sein muß. Nur selten und ungern wird ihm in der Woche eine Zeit gewährt, in der es seine eigenen Besorgungen machen oder etwa daheim seine Kleidung in Ordnung bringen kann. Es sind wieder nur die reichen Häuser, wo die Arbeit eines Dienstboten leicht von einem anderen übernommen werden kann, ohne daß es die Bequemlichkeit der Herrschaft stört. In den begüterten Familien Englands ist es allgemein Sitte, daß jeder halbe Sonntag, ein Abend in der Woche und ein voller Tag im Monat den Dienstboten freigegeben wird, häufig bekommen sie sogar vierzehn Tage Sommerurlaub, oder es wird einem jeden gestattet, an einem Abend in der Woche den Besuch von Freunden zu empfangen. Aber auch im englischen Mittelstand hat sich die Sitte des einen freien Tags im Monat und des freien Abends in der Woche nach und nach eingebürgert.803 Auf dem Kontinent wird solch eine Forderung seitens der Dienstmädchen als eine unerhörte Frechheit, als ein "neues Zeichen des Rückgangs alter Zucht und Ordnung" angesehen. Daß das Dienstmädchen Zeit für sich braucht, wenn auch nur um seine Sachen in Ordnung zu halten, daß es ein Bedürfnis nach Unterhaltung, oder am Ende gar nach geistiger Fortbildung haben könnte, das kommt den guten Hausfrauen nicht in den Sinn und am wenigsten denen, die selbst im Winter fast täglich in Gesellschaften gehen, oder Theater, Konzerte und Vorlesungen besuchen. Es fällt ihnen aber auch nicht ein, den Lohn ihrer Dienstmädchen zu erhöhen, wenn sie sehen, daß die überlange Arbeitszeit sie nötigt, ihre Kleidung von Lohnarbeiterinnen ändern und herstellen zu lassen.

Die Folgen der niedrigen Löhne, der schlechten Wohnung und ungenügenden Kost, der steten Arbeitsbereitschaft und des Mangels an freier Zeit sind in ihrer Mehrzahl identisch mit den Fehlern, die die Hausfrauen an ihren Dienstmädchen nicht scharf genug rügen können. So wurde von jeher darüber geklagt, daß die Dienstmädchen die Herrschaften dadurch übervorteilen, daß sie die Waren billiger einkaufen, als anrechnen, daß sie den sogenannten Marktgroschen in die eigene Tasche stecken. Diese alte Gewohnheit, die Einnahmen ein wenig zu erhöhen, wird heute von den Dienstboten und den Verkäufern als ein selbstverständliches Recht angesehen. In Frankreich bekommt das Dienstmädchen für jeden Einkauf vom Händler einen Sou (fünf Centimes) für den bezahlten Franc. In Deutschland werden ihr meist bestimmte Prozente zugesichert. Es liegt also in seinem Interesse, die Herrschaft zu möglichst vielen Ausgaben zu veranlassen, oder selbst recht teuer einzukaufen. Der niedrige Lohn ist demnach, wenn nicht die Veranlassung zu direkten Unredlichkeiten, so doch ein Mittel, den Gegensatz der Interessen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu besonders schroffem Ausdruck zu bringen. Der Mangel eines eigenen Zimmers, durch den jedes persönliche Leben unmöglich gemacht wird, führt andererseits dazu, daß die Dienstmädchen sich nicht heimisch fühlen im fremden Haus, wie man die Stirn hat, es angesichts der Hängeböden von ihnen zu verlangen. Die Unmöglichkeit, mit seinesgleichen zu verkehren, ohne unter der ständigen Kontrolle auch der wohlmeinendsten Hausfrau zu stehen, treibt die Mädchen auf die Straße, in den Grünkramkeller, in die Portierloge804, und ihre Herrinnen jammern dann über ihre "Schwatzhaftigkeit, Pflichtvergessenheit, Faulheit und Liederlichkeit".

Das gilt besonders für jene Mädchen für Alles, die keine Gefährtin im Haushalt haben. Den Typus eines solchen Mädchens, dessen Sehnsucht nach dem Verkehr mit ihresgleichen durch die Einsamkeit und Abgeschlossenheit zu einem unwiderstehlichen Verlangen wurde und sie immer tiefer dem Verderben in die Arme treibt, haben die Brüder Goncourt mit vollendeter Meisterschaft in Germinie Lacerteux geschildert. Sie verstanden auch darzustellen, wie die Kluft zwischen Herr und Diener sich selbst durch Wohlwollen auf der einen und Anhänglichkeit auf der anderen Seite nicht überbrücken läßt.805 Selbst der Versuch, den gutmütige, aber unverständige Frauen zuweilen machen, indem sie das Mädchen zur Familie heranziehen, es womöglich am gemeinsamen Mittagstisch teilnehmen, mit ihnen am selben Platz nähen und flicken lassen, bietet keinen Ersatz für den Verkehr mit Klassengenossen. Der Abgrund ist zu tief, der unsere geistige Welt von der jener aus der Volksschule und der Dorfkate in unser Haus verschlagenen Kinder materieller und geistiger Armut trennt. Zieht nun aber solch ein Mädchen den Küchenwinkel dem Platz am Herrschaftstische vor, so spricht man wohl von Undankbarkeit und sieht darin den Beweis dafür, daß die Dienstboten sich gar nicht aus der Einöde ihres Daseins emporheben lassen wollen. Die schlimmsten Folgen jedoch zeitigt der Zwang zu steter Arbeitsbereitschaft, die Ueberbürdung und der Mangel an freier Zeit; ihnen entspringen all jene viel bejammerten Untugenden: Widerwilligkeit, Unlust zur Arbeit, Langsamkeit, Ungehorsam, schlechte Laune, denn nichts wirkt deprimierender als das graue Einerlei unaufhörlicher Werkeltage und die Unmöglichkeit, sich selbst zu gehören. Aber noch ein Resultat rufen diese Zustände zusammen hervor, das für den Charakter der Herren wie der Diener gleich schädlich ist: Verlogenheit und Heimlichthuerei. Schon die antike Welt bezeichnete beides als Sklaveneigenschaften und stellte ihnen den Freimut und die Wahrhaftigkeit des freien Mannes gegenüber. Nun, der Sklave sowohl wie der Dienstbote verfügen über kein anderes Mittel, sich Freiheit zu verschaffen, als indem sie den Gebieter hintergehen und belügen, das Dienstmädchen, das im Grünkramkeller mit ihren Freundinnen zusammentrifft, muß für ihr langes Ausbleiben nach einer anderen Ausrede suchen; heimlich verläßt sie abends das Haus, will sie sich amüsieren, heimlich empfängt sie ihre Besuche; ihre, durch die äußeren Verhältnisse großgezogenen Untugenden sind wieder die Ursache jenes tiefgewurzelten Mißtrauens ihrer Arbeitgeber gegen sie. Sie wittern auch dort, wo nichts davon vorhanden ist, Unredlichkeit und Lüge. Sie beleidigen dadurch unaufhörlich das Ehrgefühl der Bediensteten. So entsteht jene heimliche, bittere Feindschaft zwischen Herren und Dienern, die abzuleugnen dumm und feige ist, und der Octave Mirbeaus Kammerjungfer Célestine806 treffenden Ausdruck giebt, wenn sie sagt: "Man behauptet, die Sklaverei sei abgeschafft. Welch ein Hohn! Und die Dienstboten, was sind sie denn, wenn nicht Sklaven? Sklaven in der That, mit allem was die Sklaverei an niedriger Gesinnung, an Korruption, an rebellischen, von Haß erzeugten Gefühlen in sich schließt.... Man erwartet von uns alle Tugenden, alle Resignation, alle Opfer, allen Heroismus und nur die Laster, die der Eitelkeit unserer Herren schmeicheln: all das im Eintausch gegen Verachtung und Lohn. Und leben wir dabei nicht in dauerndem Kampf, in dauernder Angst zwischen einem vorübergehenden Schein von Wohlleben und dem Elend der Stellungslosigkeit; werden wir nicht dauernd von kränkendem Mißtrauen verfolgt, das die Thüren, die Schränke, die Schlösser vor uns verschließt und das ohne Aufhören über unsere Hände, in unsere Taschen, unsere Koffer die Schmach spürender Blicke gleiten läßt.... Und dann die Qual jener schrecklichen Ungleichheit, die trotz aller Familiaritäten, alles Lächelns, aller Geschenke zwischen uns und unsere Gebieterinnen unübersteigbare Felsen, eine ganze Welt von unterdrücktem Haß und quälendem Neid auftürmt."

Nirgends steht sich Reich und Arm so nah gegenüber, als in der Häuslichkeit. Es gehört der ganze Stumpfsinn niedergedrückter, von der frischen Luft der neuen Zeit künstlich abgeschlossener Volksschichten dazu, um es erklärlich zu machen, daß die Dienstboten angesichts dieser krassen Gegensätze bisher noch nicht revoltierten. Sie stammen ihrer großen Mehrzahl nach aus sozial und ökonomisch tief stehenden Schichten der Bevölkerung, aus Gegenden, die von der Kultur am wenigsten berührt wurden. Der Stadt gehen sie mit der größten Erwartung entgegen, in ihr atmen sie, im Vergleich zu den Verhältnissen, denen sie auf dem Lande meist entronnen sind, Freiheitsluft und fügen sich daher ohne Murren in harte Lebenslagen. 1895 gab es in Berlin neben 9010 geborenen Berlinerinnen, 49849 ortsfremde Dienstmädchen807, und in einem Jahr, 1898, zogen allein 42418 aus den Provinzen zu.808 Von ihren Arbeitskolleginnen in Wien kommen 87 % von außerhalb.809 In Amerika sind die meisten Dienstmädchen arme Ausländerinnen, deren Ansprüche weit geringere sind, als die der Eingeborenen. In Frankreich und England bevorzugt man neuerdings mehr und mehr das deutsche Mädchen,—eine Bevorzugung, der wir uns, wenn wir die Ursachen erkannt haben, nur zu schämen haben, denn überall im Ausland tritt der deutsche Dienstbote als Lohndrücker auf. Dazu kommt ferner, daß die sozialen Schichten, aus denen die Dienstmädchen hervorgehen, tiefstehende sind. Von den Berliner Dienstmädchen z.B. stammen ab von810
Handwerkern 27 Proz.
Arbeitern 24 "
Kleinen Landwirten 17 "
Kleinen Beamten 12 "
Anderen Gewerbetreibenden 7 "
Ungenau 13 "

Die große Zahl derjenigen, die ihre Herkunft nicht genau angeben oder angeben konnten, findet darin ihre Erklärung, daß es gerade unter den Dienstmädchen sehr viele Waisen oder uneheliche Kinder giebt, die von früh an im Dienst fremder Leute herumgestoßen werden.811 Die meisten von ihnen beginnen ihre Laufbahn sehr früh. Von den österreichischen Dienstmädchen waren nach der letzten Zählung 28 % 11 bis 20 Jahre alt812; in Deutschland wurden 1895 allein 32653 Dienstmädchen gefunden, die das 14. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, 14 bis 18 Jahr waren 348712, 18 bis 20 Jahr 204225.813 Ohne Gelegenheit gehabt zu haben, die Außenwelt vorher kennen zu lernen, werden sie von früh an vor der Berührung mit ihr sorgfältig abgeschlossen. Nicht nur, daß sie ihre besten Jahre der härtesten Fron opfern und durch sie verbraucht werden, sie haben es auch, infolge ihrer Abgeschlossenheit und Vereinzelung, am schwersten, sich mit ihren Arbeitsgenossen zusammenzuschließen.814 Aus all diesen Gründen sind sie so rückständig und fangen erst langsam an, das Unerträgliche ihrer Lage zu empfinden. Nicht auf den äußeren Arbeitsbedingungen und deren Folgen allein beruht es; sondern oft noch mehr auf der Behandlung, die sie sich gefallen lassen müssen. Man verlangt von ihnen die ununterbrochene Ausübung der schwersten Tugenden, und bietet ihnen im besten Fall kühle Gleichgültigkeit. Sie sollen trauern mit unserer Trauer, sich freuen mit unserer Freude, sie sollen Rücksicht nehmen auf unsere Nerven, uns pflegen, wenn wir krank sind,—daß auch ihr Leben Schmerz und Freude kennt, daß auch sie Nerven haben und krank sein können, das fällt den guten Hausfrauen selten ein, und wenn sie es bemerken, so schelten sie über Launenhaftigkeit, Mangel an Selbstbeherrschung und Faulheit. Sie beklagen sich bitter über die Dummheit und Ungeschicklichkeit ihrer Mädchen, ohne auch nur einen Augenblick daran zu denken, daß solch ein armes Geschöpf oft vorher nichts kennen gelernt hat, als die dürftigsten Verhältnisse und nun plötzlich den bürgerlichen Haushalt und die bürgerlichen Gewohnheiten mit all ihren Finessen verstehen soll. Wie viele Hausfrauen zeigen ihren Mädchen niemals ein freundliches Gesicht; keine Bitte, kein Dank kommt über ihre Lippen, Scheltworte statt dessen um jede Kleinigkeit; selbst an rohen Thätlichkeiten fehlt es nicht, wie zahlreiche Gerichtsverhandlungen der letzten Jahre beweisen. Das Beispiel der Mutter wirkt anfeuernd auf die Kinder: ihr Benehmen gegenüber den Dienstboten spottet oft jeder Beschreibung. Was bei den Kleinen Unart ist, wird bei den Heranwachsenden Frechheit, bei den großen Gemeinheit. Wie oft wird das Dienstmädchen das Opfer der Begierden der früh verdorbenen Söhne der Bourgeoisie! Mir ist eine Frau begegnet, die das Verhältnis ihres Sohnes mit ihrem Stubenmädchen mit der Begründung duldete: dabei bleibt er wenigstens gesund! Aber auch die Hausherren selbst sind von der Ehrlosigkeit, in vielen Fällen die Verführer ihrer Angestellten zu sein, sicher ebensowenig freizusprechen, wie die Fabrikanten und Geschäftsleiter. Wie tief in Bezug hierauf die Begriffe von Ehre und Sittlichkeit gesunken sind, das lehrt ein Blick in die humoristische Presse. Sie beschäftigt sich in wahrem Wohlbehagen mit den Liebeleien, die der Hausherr hinter dem Rücken der Gattin mit den Dienstmädchen anspinnt. Zeitschriften, wie die Münchener Fliegenden Blätter, die jedes Schulkind in die Hand nimmt, sind darin kaum minder frivol, wie die stärker auftragenden französischen Journale.

Die größten sittlichen Gefahren drohen den Stubenmädchen in den Hotels und Pensionen der Badeorte. Die Schamlosigkeit mancher Reisender, die zu den persönlichen Diensten, die für ein Trinkgeld geleistet werden müssen, die Befriedigung ihrer Lüste oft wie etwas Selbstverständliches zählt, übersteigt häufig alle Grenzen, sie geht bis zur brutalen Vergewaltigung.815 Nun wäre es freilich übertrieben, die große Zahl unverheirateter Mütter unter den Dienstmädchen,—in Berlin haben 33 % aller unehelichen Kinder Dienstmädchen zu Müttern,—allein auf die Verführung ihrer Herren und deren Söhne zurückzuführen. Die Ursache davon liegt aber zweifellos nicht in der ursprünglichen Liederlichkeit der Mädchen, über die alle Hausfrauen einig zu sein pflegen, sondern in den Verhältnissen, die sie umgeben. Es wird ihnen nicht gestattet, offen mit ihresgleichen zu verkehren, sie haben nicht einmal einen anständigen Raum dafür, sie haben zu harmlosen Jugendfreuden keine freie Zeit; so empfangen sie denn heimlich bei Nacht und Nebel ihre Besuche und verstecken sie hastig in der engen Kammer, die oft nichts enthält, als das Bett; sie gehen heimlich, wenn die Argusaugen der Herrschaft nicht mehr zu fürchten sind, auf nächtliche Vergnügungen. Haben sie nicht etwa dasselbe Recht auf Jugendlust, dasselbe Verlangen danach, wie die Töchter ihrer Gnädigen? Die bürgerliche Gesellschaft treibt sie zum Fall; es gehört große sittliche Festigkeit dazu, unberührt zu bleiben, die von den Mädchen nicht erwartet werden kann, die, wie wir aus der Darstellung der Lage der Landarbeiterinnen gesehen haben, zumeist einem Milieu entstammen, das an sich schon korrumpiert genug ist. Die meisten Dienstmädchen kehren aus den Städten mit einem Kinde aufs Land zurück.816 Sehr viele fallen schließlich der Prostitution in die Arme. So konstatierte eine Berliner Statistik des Jahres 1874, daß von 100 Prostituierten 36 ehemalige Dienstmädchen waren817, eine amerikanische Berechnung zählt sogar 47 auf 100.818

Aber noch andere indirekte Einflüsse kommen hinzu, um die weiblichen Dienstboten zu verderben: das Beispiel ihrer Herrschaft. Man sagt mit Recht, daß vor seinem Bedienten der Größte klein wird; das heißt mit anderen Worten: kein Stand kennt so genau die Kehrseite der Medaille, keiner wird so vertraut mit den häßlichen, gemeinen, niedrigen Eigenschaften der Menschen, blickt so tief in ihr oft durch und durch wurmstichiges Leben, als der der Dienstboten. Und er sollte unberührt davon bleiben?! Eitelkeit und Putzsucht, Hochmut und Verschwendungssucht, Frivolität und Liederlichkeit, daneben oft die ganze Verlogenheit äußeren Glanzes, der den inneren Zusammenbruch decken soll, umgeben ihn, wie die Luft, die er atmet. Man müßte ein gereifter, moralisch gefestigter Mensch sein, um aus dieser Atmosphäre rein hervorzugehen, nicht aber ein junges Mädchen, das aus dem Dunkel kommt und geblendet wird von all dem gleißenden Schein. "Der Dienstbote ist kein normales Wesen mehr", sagt Célestine819, "... er gehört nicht mehr zum Volk, aus dem er hervorgeht, und nicht zur Bourgeoisie, in deren Mitte er lebt und zu der er hinneigt.... Den gerechten Sinn und die naive Kraft des Volkes hat er verloren; die Neigungen und Laster der Bourgeoisie hat er sich angeeignet, ohne die Möglichkeit zu haben, sie zu befriedigen.... Die Seele beschmutzt, so geht er durch diese anständige bürgerliche Welt und durch nichts als durch die Thatsache, daß er den tödlichen Dunst, der aus diesem Sumpf emporsteigt, eingeatmet hat, verliert er die Sicherheit seines Geistes bis zur völligen Aufgabe seiner Persönlichkeit." Wie sehr rügen die braven Bürgerfrauen die Putzsucht ihrer Dienstmädchen, ihr Bestreben, es den Herrinnen gleich zu thun; als ob sie selbst nicht häufig genug durch ihren Luxus und ihre Sucht, die reiche Nachbarin womöglich in der Kleiderpracht noch zu übertreffen, den Ruin der Familie herbeiführen helfen. Wie kommen sie dazu, von ihrem armen Dienstmädchen mehr Bescheidenheit und Zufriedenheit, kurz einen besseren Charakter zu verlangen, als von sich selbst? Wenn mich etwas in Erstaunen setzt, so sind es nicht die Fehler, sondern die vielen Tugenden unserer Dienstmädchen: sie härmen sich mehr an unserem Krankenbett, als wir an dem ihren; sie nehmen häufig innigeren Anteil an unserem Leid, als wir an dem, was sie bedrückt; sie verfolgen, aus unserem Hause geschieden, oft mit größerem Interesse unser Schicksal, als wir das ihre; sie pflegen unsere Kinder vielfach mit größter, gradezu mütterlicher Sorgfalt.820 Statt daß ihre Klatschsucht Empörung hervorruft, sollten die Herrschaften sich vielmehr über ihre Verschwiegenheit verwundern. Ich kannte einen jungen, begabten Diener, den ich veranlaßte, seine Erinnerungen niederzuschreiben; er hatte schon viele Seiten gefüllt, da zerriß er sein Manuskript, aus Angst, nach seiner Veröffentlichung keine Stellung mehr zu bekommen. Selbst die Anonymität, glaubte er, könne ihn nicht schützen. Wenn der Mund dieser Stummen sich erst einmal furchtlos öffnen kann, so wird die Welt sich vor dem entsetzen, was sie dann wird hören müssen. Ein Mensch mit niedriger kriechender Gesinnung wird verächtlich eine Bedientennatur genannt, Mangel an Stolz, an Charakterstärke gegenüber Höherstehenden wird als Bedientenhaftigkeit bezeichnet,—die beginnende Revolte der Einzelnen, wie der organisierten Dienstboten, ist das erfreuliche Zeichen dafür, daß das beschämende Bewußtsein des eigenen physischen und seelischen Sklaventums in den Dienstboten erwacht und sie an den entehrenden Ketten zu rütteln beginnen.

Werfen wir noch einen Blick in das tiefste Dunkel des Dienstbotenelends, das die bürgerliche Gesellschaft auch mit dem buntesten Tand und Flitter nicht zu verdecken vermag: das Ammenwesen. Rousseaus glühende Ansprachen an die Mütter sind längst verhallt, beinahe zu einer litterarischen Merkwürdigkeit geworden; die Degeneration der bürgerlichen Gesellschaft hat seitdem rapide Fortschritte gemacht, die Brüste ihrer Mütter sind immer häufiger leer, teils, weil die Sünden der Vorfahren sich an ihnen rächen, teils weil ungesunde Erziehung und Lebensweise sie ihrer Naturkraft beraubt hat. Nach wie vor ist aber auch Vergnügungssucht und Eitelkeit stärker als das Bewußtsein der Mutterpflichten, und statt dem Kinde zu geben, was die gütige Natur für es geschaffen hat, wird ein Ersatz dafür gesucht. Mit Gold erkauft sich alles in dieser besten der Welten, auch die Muttermilch, und so ist die Ernährung fremder Kinder mit der dem eigenen entzogenen Milch zu einer Lohnarbeit geworden! Dieselbe Gesellschaft, die verächtlich auf ein gefallenes Mädchen herabsieht, die die Heiligkeit der Familie von allen Kanzeln predigt, züchtet künstlich, weil sie ihrer bedarf, die Unsittlichkeit, vernichtet das einfachste Ehrgefühl, zerstört die Familien, denen sie die Mütter entreißt, opfert das Leben tausender vielleicht physisch und geistig gesunderer Kinder, ihren so oft durch und durch degenerierten Sprößlingen. Der ganze Spreewald Preußens lebt von dem Verdienste der Ammen; häufig gehen die Mädchen viele Jahre lang ihrem "Berufe" nach, bis sie genug verdient haben, um zur begehrten Partie zu werden oder bis ihre Gebärfähigkeit versagt. Der Bauer der Bretagne wählt seine Frau je nach der Fähigkeit, die sie hat, durch Ammendienste ihn und seine Familie zu erhalten. Er selbst zwingt sie, ihr Heim zu verlassen, seinem eigenen Kinde entzieht er die Muttermilch, um ihren Ertrag womöglich zu versaufen und zu verprassen.821 Die kräftige Nahrung, die oft kostbare Kleidung, die gute Behandlung, die den Ammen gewährt wird,—nicht aus Mitleid und Dankbarkeit natürlich, sondern nur aus Rücksicht auf den Säugling,—bietet keinen Ersatz für das unendliche Elend, die um sich fressende Korruption, die man verbreiten hilft. Schon beginnt die Strafe dem Verbrechen zu folgen: es giebt ganze Landstriche, wo gesunde Ammen nicht mehr aufzutreiben sind; die Mutter vermochte noch zu nähren, die Tochter, die mit allerhand schlechten Surrogaten aufgepäppelt wurde, wird ein schwaches, elendes Ding. Noch schlimmer kann ihr Los sich gestalten, wenn ihre Mutter sie genährt hat, nachdem sie früher ahnungslos ein syphilitisches Bürgerkind an ihren gesunden Brüsten groß zog; ihre eigene Nachkommenschaft vergiftet sie nun mit dem Gift, das das fremde Kind ihr einimpfte. Vielleicht überträgt die lebendige Nährmaschine es auch weiter auf andere fremde Kinder, deren eigene Mütter währenddessen stolz die nicht entstellten gesunden Brüste beim strahlenden Licht der elektrischen Lampen und rauschenden Klang der Geigen den Blicken ihrer Verehrer preisgeben.

Dienstbotenelend! Wer vermag es noch mit dem egoistischen Blick der jammernden Hausfrau anzusehen? Dienstbotennot! Wer wagt es noch über sie unter dem Begriff der Not an Dienstboten zu klagen? Es ist ein Zeichen gesunden Gefühls und kräftigen Aufstrebens breiter Volksschichten, daß diese Not ständig zunimmt. Nach einem Bericht der städtischen Waisenverwaltung in Berlin, die es sich besonders angelegen sein läßt, ihre Zöglinge für den Hausdienst vorzubereiten und in ihm festzuhalten, waren von 51 Waisen, die im Jahre 1890 Stellungen annahmen, nach 6 Jahren nur noch 23 im Dienst, die meisten waren Arbeiterinnen geworden, sie hatten die persönliche Freiheit, auch wenn sie oft durch Hunger und Not erkauft werden muß, dem modernen Sklaventum, auch wenn es oft die Allüren des Herrentums annimmt, vorgezogen.

Für viele zweifelhafte Menschenfreunde ist es, sobald sie von dem Elend der Fabrikarbeiterin hören, zum Schlagwort geworden, womit sie aller Not zu begegnen, alles Ungemach abzuwenden glauben: werdet Dienstmädchen! Selbst die Trostlosigkeit des Arbeiterhaushalts und die schlechte Ernährung der Arbeiterfamilie wird darauf zurückgeführt, daß die Frauen nicht vor der Ehe Dienstmädchen waren, und es giebt Leute genug, die nicht nur sich selbst, sondern auch den Arbeiterinnen zu nützen glauben, wenn sie für die jungen Mädchen eine Art Dienstzwang einführen möchten.

Die Working Women's Guild von Philadelphia veranstaltete unter 600 Arbeiterinnen aller Art eine Umfrage, um ihre Meinung kennen zu lernen, warum sie nicht vorziehen, Dienstbote zu werden. Sie gaben dafür übereinstimmend folgende Gründe an: 1) Mangel an Freiheit und unaufhörliche Beaufsichtigung. 2) Verletzung der Selbstachtung durch das Unterthänigkeitsverhältnis. 3) Endlose Arbeitszeit. 4) Kränkende Behandlung besonders von seiten der Herren und Söhne des Hauses. 5) Kein eigenes Zimmer. 6) Verlust der Achtung anderer Arbeiterinnen. 7) Keine Möglichkeit, Freunde zu empfangen, außer in der Küche unter Aufsicht der Herrschaft.822

Diesseits des Oceans sind die Gründe dieselben wie jenseits. Es fragt sich nur, ob die bürgerliche Familie mit ihrer gegenwärtig bestehenden Privathaushaltung im stände ist, sie aus der Welt zu räumen. Eine verneinende Antwort scheint mir aus unserer Darstellung der Lage der Dienstmädchen ohne weiteres hervorzugehen, denn sie entspringt nicht dem schlechten Charakter und bösen Willen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer, sondern der ökonomischen und sozialen Seite des persönlichen Dienstverhältnisses und seiner jahrtausendlangen Tradition.

Wir haben gesehen, daß in den Häusern der oberen Zehntausend, wo infolge eines zahlreichen Personals eine bestimmte Arbeitsteilung neben hohem Lohn, gutem Unterkommen und anständiger Kost gewährt zu werden pflegt und nebenbei auch, bei der persönlichen Distanz zwischen Herrn und Diener, die Reibungsmöglichkeiten seltener sind und das sogenannte patriarchalische Verhältnis ganz ausgelöscht ist, die Lage der häuslichen Bediensteten sich am günstigsten gestaltet. Je kleiner der Haushalt und je beschränkter die Mittel, desto unerträglicher wird sie. Da nun aber die große Masse des Bürgertums, teils infolge direkter Vermögensverluste, teils infolge des zunehmenden Mißverhältnisses zwischen Einnahmen und Ansprüchen, sich pekuniär keinesfalls in aufsteigender Linie bewegt, so ist für eine Hebung der Lage der Dienstboten von dieser Seite nichts zu erwarten. Immer mehr wird das Mädchen für Alles zur begehrtesten Persönlichkeit werden; weder ihr Unterkommen, noch ihr Lohn, noch ihre Arbeitszeit können eine wesentliche Verbesserung erfahren. Oder sollte es wirklich Leute geben, die sich in dem Glauben wiegen, die bürgerliche Welt, wie sie heute geworden ist, wäre insgesamt im stande, die eigenen Bedürfnisse den Dienstboten zu Liebe erheblich einzuschränken, sich etwa mit einem Zimmer weniger zu begnügen, um es dafür dem Dienstmädchen einzuräumen, Vergnügungen und Luxus aller Art, vielleicht sogar liebe Gewohnheiten aufzugeben, um besseren Lohn zahlen und reichlichere Kost gewähren zu können? Selbst wohlwollende Hausfrauen, die der Dienstbotenbewegung volles Verständnis entgegenbringen, sind, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, außer stände, ihren Forderungen Rechnung zu tragen. Aber auch die sittlichen Mißstände und die Divergenz der Interessen können sich mit der zunehmenden Aufklärung der Dienstboten und dem Widerstand der Herrschaften dagegen nur verschärfen. Denn mit der Abnahme der Dienstboten wird es sich immer deutlicher zeigen, daß damit die Aufrechterhaltung der Privathaushaltung in ihrer jetzigen Form in Frage steht, und der vielfach wütende Fanatismus, mit dem die große Mehrzahl der Hausfrauen, von der bürgerlichen Presse lebhaft unterstützt, gegen die Dienstbotenbewegung Stellung nimmt, ist auf das freilich gegenwärtig meist noch unklare Gefühl davon zurückzuführen.

Langsam und im stillen, von den Beteiligten selbst fast unbemerkt, hat sich die Umwandlung des Haushalts, die durch den Mangel an Dienstboten nur rascher vorwärts getrieben werden wird, schon seit geraumer Zeit angebahnt. Nicht nur, daß die Produktion für den Haushalt schon längst nicht mehr durch ihn geschieht, auch die speziellen Verrichtungen der häuslichen Dienerschaft werden mehr und mehr von außer dem Hause wohnenden Arbeitskräften übernommen. Schon an der zunehmenden Zahl der Aufwartefrauen läßt sich das ermessen. Meist pflegen es Arbeiterfrauen und Witwen zu sein, die gezwungen sind, ihre Familie zu erhalten oder erhalten zu helfen. Gleicher Kategorie sind die Kochfrauen, Waschfrauen und die Flickerinnen, die ins Haus kommen.

Einen Schritt weiter noch ging die Entwicklung, indem sie auch diese Arbeiten außer das Haus verlegte. In den Großstädten wird es besonders mehr und mehr üblich, die Wäsche in Wäschereien reinigen und plätten zu lassen. In Deutschland giebt es nach der letzten Betriebszählung 73766 Wäschereien. Von diesen sind nur 7084 Gehilfenbetriebe, und zwar entfallen auf 5800 davon kaum je drei Gehilfen. Alleinbetriebe aber werden 66662 gezählt.823 Die sanitären Verhältnisse sind überall höchst bedenkliche: In den Großbetrieben, meist Dampfwäschereien, herrscht eine feuchte Hitze, die bis zu 35° R. erreicht und in der die meist jungen Arbeiterinnen elf und mehr Stunden aushalten müssen, die Atmosphäre wird aber zu einer noch bedeutend gefährlicheren in den Plättereien, wo die Gasdünste der Plätteisen die Luft verpesten. Trotz aller dahingehenden Bestimmungen ist die Ventilation dabei eine höchst mangelhafte, weil die Rücksicht auf die Wäsche, die durch den eindringenden Staub beschmutzt werden könnte, der Rücksicht auf die Arbeiterinnen vorangeht.824 Aber immerhin sind diese großen Wäschereien im Vergleich zu den kleinen fast ideale Arbeitsstätten, denn alle Schrecken der Heimarbeit konzentrieren sich in diesen. Die arme Waschfrau, die vielleicht allein oder mit Hilfe der Tochter oder eines Mädchens die Arbeit übernimmt, pflegt zunächst die abgeholte schmutzige Wäsche in dem einzigen Wohn- und Schlafraum der Familie zu sortieren, nachzuzählen und mit Zeichen zu versehen. Alle Krankheitskeime, die ihr anhaften, werden auf diese Weise aufgewirbelt, und setzen sich in dem engen Raum fest, wo kleine Kinder in nächster Nähe schlafen, oder zwischen der schmutzigen Wäsche spielend auf der Erde herumkriechen. Oft kocht auf demselben Herd, auf dem das Essen für die Familie bereitet wird, in großen Kesseln die Wäsche; der daraus aufsteigende Dunst erfüllt das ganze Zimmer. Häufig genug wird selbst ein Teil der Wäsche im Wohnraum zum Trocknen aufgehängt, womöglich über den Betten der Kinder und der Kranken. Die Plätterei steigert noch die Gefahren für die Arbeiterinnen wie für die übrigen Bewohner des Raumes. Sommer und Winter ist der Plättplatz dicht neben dem glühenden Ofen, um möglichst schnell die Eisen aus dem Feuer ziehen zu können. Und in dieser Umgebung, inmitten direkter und indirekter Lebensgefahren existiert nicht nur die ganze Familie, es arbeiten alte Frauen und kaum den Kinderschuhen entwachsene Mädchen bis zur Entkräftung darin. Zum Schluß wird die sauber zusammengelegte Wäsche zum Nachzählen abermals im Zimmer ausgebreitet. Oft genug kommt es vor, daß bei den engen Räumlichkeiten fertige Wäschestücke auf den Betten masern- und scharlachkranker Kinder liegen. So werden die Krankheiten, die durch die Wäsche reicher Leute in die Behausung der Armen gelangen, wieder aus ihnen heraus in die Häuser der Reichen getragen.825 Das Idyll der "alten Waschfrau" löst sich eben, in der Nähe betrachtet, ebenso in trübe Elendsbilder auf, wie das Idyll der "lustigen Nähmamsell". Würden nicht die Hausfrauen mit einer Zähigkeit, die nur der Unkenntnis der Thatsachen entspringen kann, an den kleinen Wäschereien festhalten, weil die Dampfwäschereien angeblich die Wäsche mehr verderben, sie wären schneller, als es jetzt schon geschieht, dem verdienten Untergang geweiht.

Mehr noch als die Vergebung häuslicher Arbeiten an Außenstehende hat die rapide Ausbreitung der Pensionen und Wirtshäuser die bisherige Form des Familienlebens, das sich wesentlich um den eigenen Herd gruppierte, zu erschüttern vermocht. In einem Zeitraum von dreizehn Jahren haben allein in Deutschland die Gastwirtschaften um 94594, d.h. um 116 %, und die Zahl der darin beschäftigten Personen um 295713, d.h. um 132 % zugenommen. Nun ist zwar das Wirtshausleben der Männer eine alte Erscheinung, aber das der Frauen und ganzer Familien ist eine Errungenschaft der Neuzeit, die durch das Pensionsleben Amerikas und Englands in wachsendem Maße zur Auflösung des privaten Haushalts führt.

Das Wirtshaus wurde von jeher als ein Ersatz der eigenen Häuslichkeit betrachtet, seine Angestellten, waren sie nun in Küche und Keller oder bei der Bedienung der Gäste beschäftigt, galten für häusliche Dienstboten, und wie an diesen, so ging daher lange Zeit die soziale Untersuchung und Gesetzgebung auch an jenen vorbei. Erst als eine Reihe von Mißständen schroff zu Tage trat und man anfing, besonders im Kellnerinnenwesen eine sittliche Gefahr für die männliche Tugend zu erblicken, entschloß man sich, die Zustände einmal in der Nähe zu betrachten. Durch die Königliche Arbeitskommission geschah es in England, durch die Kommission für Arbeiterstatistik in Deutschland, eine Anzahl von Privatuntersuchungen trat ergänzend hinzu. Nur ein sehr kleiner Kreis der in Betracht kommenden Personen wurde von den Enqueten erfaßt,—in Deutschland z.B. von 37121 Kellnerinnen nur der neunte Teil, 4093,—und, wie es gewöhnlich zu geschehen pflegt, blieb die sozial am niedrigsten stehende Kategorie von ihnen ganz unberührt. Kellnerinnen aus Cafés, Café-Restaurants, Gastwirtschaften und Bierkellern wurden befragt, die Angestellten der sogenannten, in Norddeutschland sich, trauriger Berühmtheit erfreuenden Animierkneipen blieben ausgeschlossen. Trotz alledem war das Ergebnis ein sehr mißliches; man war ausgezogen, bereit, den Bannstrahl über Scharen von Sünderinnen zu schleudern, und fand schwer um ihre Existenz ringende, jeder Art der Ausbeutung schutzlos preisgegebene Arbeiterinnen.

Betrachten wir zunächst die Anforderungen, die an sie gestellt, und sodann die Entschädigungen, die ihnen dafür geboten werden. Als ein junges, schmächtiges Ding von vierzehn bis sechzehn Jahren tritt die angehende Kellnerin, wenn sie nicht etwa schon zu Hause die nötigen Fertigkeiten sich aneignen konnte, in den Dienst. Sie wird Wassermädchen, d.h. sie hat den Gästen nur das Wasser zu bringen und steht gewissermaßen im Dienste der Kellnerinnen, denen sie die unangenehmsten Arbeiten, z.B. das Reinigen, Ordnen und dergl. mehr abzunehmen hat. Ihre Arbeitzeit ist infolgedessen eine ungewöhnlich lange, da sie meist vor den Kellnerinnen ihre Arbeit beginnen muß und sie oft erst nachher verlassen kann. Es kommen sechzehn-bis achtzehnstündige Arbeitszeiten vor826, ja zur Karnevalszeit werden oft noch schulpflichtige Mädchen ganze Nächte durch aushilfsweise beschäftigt.827 Den ganzen Tag haben sie nicht nur auf den Beinen zu sein, sie befinden sich in einer fast ständigen Hast, als Sündenbock von jedermann. Zeigt sich die junge Novize anstellig, ist sie hübsch und verfügt sie über eine chike Toilette, so hat sie Aussicht, bald eine Staffel empor zu rücken. Die Dienstvermittlung wird in ihrem Fall durch private Bureaus besorgt, die ihr Ausbeutungssystem noch schärfer handhaben, als die für häusliche Dienstboten. Gebühren von 10 bis 30 Mark sind an der Tagesordnung828; vielfach wird von vornherein ein Einschreibegeld verlangt, das auch dann zurückbehalten wird, wenn die Stellungsuchende es vergebens bezahlt hat. Ist eine Stellung gefunden, so wird sie in den weitaus meisten Fällen ohne schriftliche Vertragsschließung angetreten und von einer Kündigungsfrist ist, unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften, schon deshalb meist keine Rede, weil die Kellnerin es sich gefallen lassen muß "auf Probe" angestellt zu werden829; vielleicht ist sie ungeschickt oder gar unfreundlich, vielleicht gefällt sie den Gästen nicht, dann fliegt sie hinaus von einem Tage zum anderen. Sehr oft ist es auch der Dienstvermittler, der sie durch Versprechungen fortlockt, oder den Wirt gegen sie aufhetzt, um recht viel an ihr zu verdienen.830

Der Tagesdienst beginnt, je kleiner die Wirtschaften sind, desto früher. In den kleinsten ist die Kellnerin zugleich Dienstmädchen und ehe sie Gäste bedient, hat sie den Haushalt zu besorgen. Die Reinigung der Gastzimmer, der Gläser und Tassen liegt ihr vielfach ob; wenn nicht, so hat sie das für diese Arbeiten angestellte Personal zum großen Teil aus eigener Tasche zu bezahlen. Ihre eigentliche Berufsarbeit beginnt mit dem Eintritt des ersten Gastes. Von nun an ist sie immer auf den Füßen; immer lächelnd, immer zuvorkommend, der gröbsten wie der gemeinsten Behandlung gegenüber, hat sie die Getränke und Gerichte heranzuschleppen. In den Hotels englischer Seebäder wurde fast durchweg konstatiert, daß die Kellnerinnen von sieben Uhr früh bis zwei Uhr nachts thätig sind; in den Restaurant-Waggons wurde eine wöchentliche Arbeitszeit von achtundneunzig Stunden festgestellt, die kein einziger Ruhetag unterbricht.831 Von den etwa 4000 befragten deutschen Kellnerinnen haben eine regelmäßige tägliche Arbeitszeit von
12 und weniger Stunden 5,0 Proz.
12 bis 14 Stunden 19,3 Proz.
14 bis 16 Stunden 51,8 Proz.
16 bis 18 Stunden 23,4 Proz.
mehr als 18 Stunden 0,5 Proz.832

Die überwiegende Mehrzahl hat demnach eine Arbeitszeit von vierzehn bis sechzehn Stunden. Je nach der Saison und dem Zudrang der Gäste steigert sich diese Arbeitszeit willkürlich. Während des Karnevals in München kommt es vor, daß Kellnerinnen mit nur zwei- bis dreistündiger Pause während vierundzwanzig bis sechsunddreißig Stunden hintereinander Dienst thaten.833 Von regelmäßigen Pausen ist überhaupt nur selten die Rede; sie richten sich lediglich nach der zu leistenden Arbeit. Ist die Wirtsstube leer, so kann das müde Mädchen vielleicht auf kurze Zeit des Ausruhens rechnen, kaum betritt es ein Gast, so heißt es geschäftig aufspringen und seine Wünsche befriedigen. In zahlreichen Wirtshäusern wird den Kellnerinnen sogar, auch wenn sie unbeschäftigt sind, das Sitzen verboten, weil das einen schlechten Eindruck auf die Eintretenden machen könnte. Nur beim Essen können sich auf kurze Zeit die matten Glieder ausruhen. Noch schlimmer als um die Pausen ist's um die freie Zeit bestellt. Von Sonntagsruhe ist keine Rede, der Sonntag und der Feiertag bringt vielmehr die meiste Arbeit, dann gilt es, für die glücklichen Arbeitfreien zu laufen und zu springen. In München wird vielfach alle vierzehn Tage ein freier Nachmittag in der Woche gewährt834, aber auch nur unter der Bedingung, daß ein Ersatz von der Kellnerin selbst beschafft und entlohnt wird. Nur in 19,9 % der von der Kommission für Arbeiterstatistik untersuchten Betriebe hatten die Angestellten regelmäßig einen ganzen Ruhetag und zwar in 6,5 % zwölfmal, in 7,4 % dreizehn- bis vierundzwanzigmal, in 6 % noch öfter im Jahr. In der Hälfte der Betriebe wurden Ausgehzeiten zugestanden, die sich aber immer nur auf Stunden ausdehnen.835 In den allermeisten Wirtshäusern giebt es demnach im ganzen Jahr keinen einzigen freien Tag und in der Hälfte giebt es nicht einmal freie Stunden!

Es sind vor allem die Besitzer der mittleren und kleineren Wirtschaften, die ihren menschlichen Arbeitsmaschinen keinen Augenblick des Ausruhens zugestehen836, und sich dann, ähnlich wie die Hausfrauen den Dienstboten gegenüber, darauf berufen, daß ihre Angestellten einen leichten Dienst hätten. Als ob selbst der leichteste Dienst die freie Zeit, in der der Mensch einmal ganz sich selbst gehören kann, zu ersetzen im stände wäre! Diese lange, ununterbrochene Arbeitszeit wird nun aber auch in der größten Anzahl der Fälle in Räumen zugebracht, die allen hygienischen Ansprüchen spotten: der Tabaksqualm in der Stube vermischt sich darin mit den Speisengerüchen und den Ausdünstungen der Menschen. Wo gelüftet wird, entsteht eine Zugluft, die die erhitzten Kellnerinnen empfindlich trifft. Trockene, schlechte Luft, Uebermüdung und Erhitzung rufen aber auch ein ständiges Durstgefühl hervor, das in Bier, Wein und Kaffee befriedigt wird und den einer gesunden Arbeit folgenden Hunger mehr und mehr in zweite Linie schiebt. Es ist jedoch nicht nur der freie Wille, der zum Trinken zwingt. In den Kneipen mit Damenbedienung, die besonders in Norddeutschland florieren, gehört es zum Beruf der Kellnerin, den Gast zum Trinken zu animieren, indem sie mit ihm trinkt und so eine möglichst hohe Zeche erzielt. Zum Entgegenkommen gegenüber dem Gast, auch wenn es nicht im Bescheidthun beim Trinken besteht, ist sie überhaupt immer gezwungen; mehr als von ihrer Arbeitstüchtigkeit hängt hiervon ihre gesicherte Stellung ab. Um die Gäste möglichst zufrieden zu stellen, sieht sie sich häufig genug genötigt, die beliebtesten Zeitungen und Zeitschriften, die im Lokal nur in je einem Exemplar aufliegen, selbst zu halten, was eine bedeutende Summe monatlich ausmachen kann; auch Zahnstocher, Zündhölzchen und dergl. hat sie vielfach aus eigener Tasche zu bezahlen.837 Bis auf ihre äußere Erscheinung erstrecken sich schließlich noch die Dienstvorschriften: in großen Lokalen ist eine bestimmte Toilette, selbst eine bestimmte Frisur, durch die die Mädchen veranlaßt werden, sich täglich vom Friseur die Haare machen lassen zu müssen, Vorschrift.838 In den Animierkneipen werden die Kostüme häufig geliefert; Mädchen aber, die etwas auf sich halten und nicht anziehen mögen, was so und so viele mehr oder weniger fragwürdige Vorgängerinnen schon getragen haben, müssen sie selbst beschaffen. Die Verletzung einer dieser verschiedenartigen Pflichten, Müdigkeit, Unfreundlichkeit gegen einen gar zu frechen Gesellen, der vielleicht ein gut zahlender Stammgast ist, kostet der Kellnerin ihre Stellung. Ja, es bedarf gar keines solchen Vorwandes; sie braucht nur durch ihr Aeußeres Mißfallen zu erregen, so muß sie schleunigst einer anderen Platz machen. "Wenn eine Kellnerin vierzehn Tage oder drei Wochen da ist, dann heißt es bei den Gästen: die wollen wir nicht mehr sehen, wir wollen ein anderes Gesicht", wird aus Dresden berichtet839; nur um den Gästen durch den Wechsel einen Gefallen zu thun, kündigen die Wirte den Kellnerinnen, lautet das Urteil an einer anderen Stelle.840 So kommt es, daß über die Hälfte der von der deutschen Kommission befragten Kellnerinnen nur drei Monate und weniger, und nur ein Sechstel aller über ein Jahr in ihrer Stellung waren.841

Je älter die Kellnerin wird, desto trauriger ist ihr Los. Sie, die vielleicht einst die Hauptanziehungskraft eines großstädtischen Lokals war, muß schließlich zufrieden sein, in der Kneipe einer Kleinstadt ein armseliges Dasein zu führen. Die Gäste wollen nur von jungen, hübschen Mädchen bedient werden.842 Nach der deutschen Berufsstatistik von 1895 giebt es daher unter 37121 Kellnerinnen nur 7422, d.h. 20 %, die über 30 Jahre alt sind. Schließlich stellt selbst das geringste Wirtshaus die alt gewordene nicht mehr an; wozu auch? Sie bringt nichts ein, sie kann sich nicht einmal selbst erhalten, weil die Trinkgelder immer schmaler werden. Im besten Fall fristet sie noch als Wäscherin, Geschirrputzerin oder Reinemachefrau ihren elenden Lebensrest; nur selten vermag sie sich empor zu arbeiten, nur allzu oft endet sie auf der Straße, als die verachtetste aller Frauen.843

Und doch strömen dem Kellnerinnenberuf jährlich Tausende zu; immer wieder sind Junge da, um die Alternden zu ersetzen. Sind die Arbeitsbedingungen vielleicht sonst so glänzend, um diesen Zudrang zu rechtfertigen? Die Kommission für Arbeiterstatistik stellte fest, daß von den befragten Kellnerinnen 79 % ein Bargehalt empfingen, das durch Wohnung und Kost im Hause des Wirts ergänzt wird. 21 % bekommen demnach gar nichts. Und von denen, die einen bestimmten Lohn erhielten, war die eine Hälfte auf ein Einkommen von 10 bis 30 Mk., die andere auf 10 Mk. und weniger angewiesen. Je nach den Landesteilen bieten die Lohnverhältnisse ein anderes Bild: in Norddeutschland haben nur die Hälfte der Kellnerinnen einen Bargehalt; in den Großstädten, wo die Animierkneipen eine große Rolle spielen, kommt es fast niemals vor, daß sie überhaupt eins beziehen,—in Berlin z.B. nur 0,5 %, in Hannover nur 8 % der Kellnerinnen,—in Mittel- und Süddeutschland steigt dagegen der Prozentsatz der entlohnten Kellnerinnen auf 88 resp. 91 %844 Aber auch hier machen die Großstädte eine Ausnahme. In München, wo allein gegen 3000 Kellnerinnen gezählt wurden, ist der Lohn gleichfalls fast ganz abgekommen.845 Aber dabei allein bleibt es nicht. Wie es in großen Restaurants fast durchweg Sitte ist, daß der Oberkellner dafür, daß er bedienen kann, dem Wirt eine bestimmte Summe bezahlt, so kommt es auch immer häufiger vor, daß von den weiblichen Angestellten dasselbe verlangt wird. Bei der Pariser Weltausstellung im Jahre 1878 wurde dies System von dem bekannten Unternehmer Duval, der nur Kellnerinnen beschäftigt, zum erstenmal eingeführt, und hat sich seitdem überall hin verbreitet.846 In Oesterreich, vor allem in den großen Bädern, wie in Karlsbad, Marienbad etc., soll es besonders üblich sein, jedenfalls ist dort der feste Lohn so gut wie vollständig abgekommen. Sein Ersatz ist das Trinkgeld.

In der Anerkennung außergewöhnlicher Dienstleistungen ist sein Ursprung zu suchen847, als solche hatte es nichts Demütigendes an sich. Es bildete jedoch den Ansporn für die profitgierigen Wirte, die Verpflichtung der Lohnzahlung an die Bedienenden mehr und mehr von sich auf den Gast abzuwälzen. Aus einem freiwilligen Geschenk für besondere Fälle ist es demnach zu einer Steuer geworden, die das Publikum zu tragen hat. Trotzdem ist es aber ein Geschenk geblieben, das der Kellner halb bittend, halb fordernd verlangen, für dessen Erreichung besonders die Kellnerin sich nur zu oft demütigen und ihre Würde preisgeben muß. Es ist gewissermaßen der äußerste, krankhafte Auswuchs des Lohnsystems: jede Arbeiterin riskiert ihre Stellung und ihr Brot, wenn sie dem, der sie bezahlt, durch irgend etwas mißfällt, die Kellnerin setzt ebenso ihre Existenz aufs Spiel, nur daß sie sich die Entlohnung ihrer Arbeit groschenweise zusammenbetteln muß. Im allgemeinen hat der Arbeitgeber nur ein Recht auf die Arbeitskraft seiner Angestellten, der trinkgeldzahlende Gast erkauft sich zum mindesten die Aufmerksamkeit und Freundlichkeit der Kellnerin, nicht nur ihre in dem Zutragen der Speisen bestehende Arbeit, und verlangt für jeden Groschen einen Dank. Zu dem Herabwürdigenden einer Art Almosenempfangs tritt aber noch seine vollständige Unsicherheit hinzu. Eine Regelung der Ausgaben auf Grund der Einnahmen ist für die Kellnerin ganz ausgeschlossen. Sie wird, und wäre sie ein noch so gewissenhafter Charakter, förmlich zur unordentlichen und leichtsinnigen Wirtschaftsführung dressiert, denn sie weiß von einem Tage zum anderen nicht, was sie einnehmen wird. Außerordentlich schwer läßt sich die Höhe der Trinkgelder bestimmen; die Wirte werden stets geneigt sein, sie zu hoch, die Kellnerinnen sie zu niedrig anzugeben. In besuchten Lokalen und in der hohen Saison mag es vorkommen, daß die abendliche Abrechnung einen Ueberschuß von 6 bis 7 Mk. ergiebt; aber Einnahmen von 60 Pf. und weniger dürften in nicht so bevorzugten Plätzen weit häufiger sein. Von 1108 Berliner Kellnerinnen hatten nur 21, also nur 2 %, ein ausreichendes Einkommen.848 Sei es nun aber hoch oder niedrig, es bedeutet noch immer keinen reinen Gewinn. Die Wassermädchen, die kein Trinkgeld bekommen, und die Putzerinnen werden meist von den Kellnerinnen bezahlt, eine Ausgabe, die bis 360 Mk. jährlich steigen kann; die Strafgelder bilden einen weiteren großen Posten in ihren Ausgabebudgets, kommt es doch vor, daß jeder Kellnerin für zerbrochenes Geschirr täglich ein für allemal 20 Pf. angerechnet werden, auch wenn sie nichts zerbrach. Das ganze Strafgeldersystem ist dabei stets vom Wirt willkürlich zusammengestellt, ohne daß die Neueintretenden auch nur Kenntnis davon bekommen. Selbst für die Lieferung der Kostüme werden den Kellnerinnen häufig 30 Pf. bis 1 Mk. vom Wirt abgezogen.849 Ihr Verdienst muß demnach schon ein ganz guter sein, ehe sie für sich einen Pfennig erwerben. Neben dem Trinkgeld besteht ihr Einkommen besonders in norddeutschen Kneipen aus bestimmten Prozenten der verkauften Getränke,—ein System, das die armen Mädchen dazu zwingt, durch möglichste Zuvorkommenheit den Gast zum Bleiben zu verlocken.

Auf der guten Laune und dem Wohlwollen des Gastes allein beruht die Existenz der Kellnerin. Sie ist vollständig von ihm abhängig. Wer begreifen will, was das bedeutet, der beobachte nur einmal das Benehmen der Männer in einem Wirtshaus mit weiblicher Bedienung. Besonders der Deutsche, der sonst so gern mit seiner ritterlichen Verehrung der Frauen prahlt, zeigt sich hier von der rohesten Seite: weil die Kellnerin auf sein Trinkgeld angewiesen ist, gilt sie ihm nicht mehr als jede käufliche Dirne. Daß die schmutzigsten Gespräche ungeniert vor ihr geführt werden, ist das geringste der Uebel; man belästigt sie aber mit zweideutigen Redensarten, und von da bis zu Handgreiflichkeiten ist dann nur ein Schritt. Jeder ekelhafte Geselle glaubt ein Recht mindestens auf die Duldung seiner Zärtlichkeiten zu haben; der Widerstand der Gequälten aber bedeutet einen Ausfall der Einnahme, oder die Entlassung. Eine Beschwerde des Gastes beim Wirt über die "Unfreundlichkeit" der Kellnerin genügt, um die "dumme Gans" hinauszuwerfen. Und zwar gilt dies ebenso für die anständigen Wirte, wie für die der Animierkneipen. Hier allerdings hat die Kellnerin in ihrer "Zuvorkommenheit" noch weiter zu gehen. Wenn auch in den meisten Städten Polizeiverordnungen bestehen, die der Kellnerin verbieten, dem Gast Gesellschaft zu leisten, so steht, bei dem Mangel an Aufsicht, dergleichen fast immer nur auf dem Papier, und es giebt beinahe überall in dieser Art Wirtschaften sogenannte Weinzimmer nach hinten heraus, in die das Auge des Gesetzes nur selten dringt, und wo die Kellnerin auf ihrem absteigenden Lebenslauf die Staffel zur Prostitution betritt. Man behauptet nun vielfach, daß kein völlig unbescholtenes Mädchen sich als Kellnerin in eine Kneipe dieser Art verlieren wird. Thatsächlich wurde konstatiert, daß die meisten Berliner Kellnerinnen in irgend einer Weise gescheiterte Existenzen sind850, aber, ganz abgesehen davon, daß diese stets mehr Unglücklichen als Schuldigen,—verführte Dienstmädchen, verlassene Frauen und dergleichen,—fast immer noch emporsteigen könnten, statt hier unterzugehen, kann im allgemeinen davon nicht die Rede sein. Denn eine Herde gewissenloser Agenten ist stets auf dem Pürschgang nach flüchtigem Wild, und ahnungslose Stellungsuchende werden von ihnen solchen Kneipen nur zu oft zugeführt. Können sie die Vermittlungsgebühr nicht gleich bezahlen, so hält allein die Notwendigkeit, diese Schuld nach und nach abzutragen, sie bei dem Wirte fest, und dieser ist in sehr vielen Fällen der erste, dem sie zum Opfer fallen. Wie es Fabrikanten giebt, so giebt es Wirte, die in ihren Angestellten die Sklavinnen ihrer Lüste sehen und dann noch dem Gast gegenüber Kupplerdienste leisten.851

Sehr oft sieht sich die Kellnerin genötigt, auch für Kost und Wohnung selbst aufzukommen, obwohl der Wirt, vor allem in Süddeutschland, ihr beides zusichert.852 Er sorgt aber meist dafür, das die oft einzige Entschädigung für ihre Dienste eine ganz unzureichende ist. In unheizbaren, schlecht zu lüftenden Dachkammern, häufig zu zweien in einem Bett, werden die Kellnerinnen untergebracht. Es kommt vor, daß eine Lüftung überhaupt unmöglich ist, oder daß die Bettwäsche nicht einmal beim Einzug neuen Personals gewechselt wird.853 Oft haust das ganze Küchenpersonal mit den Kellnerinnen im gleichen engen Raum.854 Da ist es nicht zu verwundern, daß sie, wenn es irgend geht, eine eigene Schlafstelle suchen. Wie schwer das ist, kann derjenige beurteilen, der weiß, welch eine Mühe es überhaupt einzelnen Frauen kostet, ein Unterkommen zu finden, und nun gar einer Kellnerin, der von vornherein das Odium der Liederlichkeit anhaftet. Sie muß für ihre Wohnung doppelt und dreifach zahlen, und riskiert dabei immer, Kupplerinnen oder ähnlichem Gelichter in die Hände zu fallen. Nicht besser als die Wohnung ist zumeist die Kost beim Wirt: sie besteht oft in nichts anderem als in aufgewärmten Resten, die drei bis acht Tage alt sind, oder gar von den Gästen auf den Tellern übrig gelassen, an Zwirnsfäden aufgereiht und aufs neue gekocht wurden! Der Ekel zwingt die Kellnerin nur zu häufig, sich selbst das Essen zu besorgen.855 Dabei hat sie nicht einmal bestimmte Essenszeiten; sie muß es hinunterschlingen, wenn gerade wenig zu thun ist, oft muß sie sich bis spät abends mit Kaffee, Bier oder sonstigen Getränken aufrecht erhalten.

Das ist die Existenz der Kellnerin: Ueberarbeit, entlohnt durch schlechte Wohnung und Kost, im übrigen fast allein begründet auf dem groschenweise zu erbettelnden Wohlwollen der Gäste.

Und die Folgen?—Das deutsche Reichsgesundheitsamt hat auf Grund seiner eingehenden Untersuchungen festgestellt, daß die Erkrankungsgefahr und die Krankheitsdauer der Kellnerinnen größer sind, als für den Durchschnitt sämtlicher anderen bei den Krankenkassen versicherten Personen; die übermäßig lange Arbeitszeit ist die Ursache. Es hat ferner gefunden, daß die Lungenschwindsucht besonders stark unter ihnen wütet und sie in frühem Lebensalter dahinrafft856; der dauernde Aufenthalt in schlechter Luft verbunden mit der allgemeinen Entkräftung ist ihr Nährboden. Den verschiedensten Erkrankungen sind sie außerdem noch ausgesetzt: Krampfaderentzündungen, geschwollenen Füßen, Bleichsucht, Unterleibs- und Nierenleiden857; das andauernde Stehen und Laufen, die unzureichende Ernährung, als Ergänzung der starke Genuß von alkoholischen Getränken rufen sie hervor. Das ist aber noch nicht alles: nach dem Bericht der Ortskrankenkasse der Berliner Gastwirte machen die Kellnerinnen weitaus die Hälfte aller Geschlechtskranken aus; in badischen Krankenhäusern setzt sich der größte Teil der syphilitisch kranken Mädchen aus Kellnerinnen zusammen858; die Münchener Kassenärzte der Ortskrankenkasse IV, deren Mitglieder hauptsächlich dem Beherbergungs- und Erquickungsgewerbe angehören, vertreten die Ansicht, daß 80 % der Erkrankungen der Mädchen auf Geschlechtskrankheiten zurückzuführen859, und die Hamburger Kassenärzte gehen so weit, zu behaupten, daß von 100 Kellnerinnen 99 geschlechtlich krank sind.860 Diese physischen Folgen sind ein treues Spiegelbild der sittlichen Korruption, der die Kellnerinnen rettungslos überliefert werden. Das ist die einfache Konstatierung einer Thatsache, aber keineswegs die Verurteilung des Kellnerinnenstandes selbst. Er hat zweifellos viele ehrenhafte Mitglieder, um so ehrenhafter, als sie ihre Ehre im Kampfe gegen tägliche Versuchungen gewahrt haben. Auch besteht zwischen den Kellnerinnen der süddeutschen Kaffee- und Bierhäuser und denen der norddeutschen Kneipen ein erheblicher Unterschied in Bezug auf ihre Sittlichkeit. Es ist aber vielfach nur ein Gradunterschied. Jede Kellnerin, sei es wo es auch sei, ist infolge ihrer ökonomischen Abhängigkeit vom Gast, ihrer sittlichen Beeinflussung durch ihn, seiner Verführungskunst und ihrer eigenen natürlichen Jugendlust und Liebessehnsucht dem ausgesetzt, was man mit dem häßlichen Ausdruck "fallen" zu bezeichnen pflegt. Und so wenig es mir in den Sinn kommt, Liebesverhältnisse, die zwei junge warmblütige Menschenkinder ohne die standesamtliche Bescheinigung miteinander eingehen, sittlich zu verurteilen, so steht doch das Eine fest, daß in den weitaus meisten Fällen die Mädchen, nach kurzem Rausch, ihre armen Opfer sind. Und die Verzweiflung, die Notwendigkeit, vielleicht ein Kind zu erhalten, die Entwöhnung von dem grauen Einerlei der Arbeit,—das alles treibt nur zu leicht die Verlassene von Stufe zu Stufe hinab. Es ist nicht mehr ihre Arbeitskraft, es ist ihr Körper, den sie nun zu Markte trägt.

Einen langen, öden Weg haben wir durchschritten. Bald sengte die Sonne, bald troff der Regen, bald brauste der Sturm—kein Dach, kein Baum bot Schutz. Und immer dasselbe Bild: Millionen grauer Gestalten, alte und junge, die durch den Staub und Schmutz dieser Lebensstraße die Last ihrer Arbeit schleppen. Lacht ihnen einmal die Sonne, so ist es die Fiebersonne der pontinischen Sümpfe, die sie ins Verderben zieht mit ihrem Kuß. Nicht ein notwendiges Lebensbedürfnis, kein Genuß, kein Luxus, an dem nicht der Schweiß dieser Scharen klebte. Aus ihrem Fleiß wächst die Muße der Glücklichen, aus ihrem Hunger ihr Sattsein, aus ihrem Leid ihre Freude.

Die Alten hielten die körperliche Arbeit für eine Schmach; wir glauben darüber erhaben zu sein und messen ihr denselben sittlichen Wert bei, als der geistigen. Die proletarische Frauenarbeit steht aber thatsächlich, was Bewertung und Ansehen betrifft, nicht höher als Sklavenarbeit; die Bezeichnung "Arbeiterin" gilt nicht für einen Ehrentitel. Ein Fabrikmädel—eine Nähmamsell—eine Kellnerin,—welch eine Flut von cynischer Verachtung drückt sich in diesen Worten aus! Die schmutzigste und schwerste und niedrigste Arbeit—das ist Frauenarbeit. Die schlechteste Wohnung, die geringste Kost, der niedrigste Lohn—das ist der Preis dafür. Und die Schande, das ist seine Ergänzung.

Aber damit nicht genug: hinter den Frauen, die wir auf ihrem Wege verfolgten, drängt sich ein Heer kleiner, blutleerer Gestalten: ihre Kinder. Aus müden, alten Augen blicken schon die kleinsten in das Leben, das ihnen Kraft und Freude, das ihnen ihr Bestes, die Mutter, nahm. Und sie rächen sich an ihm: Krankheit und sittliche Entartung ist ihre Gegengabe für Hunger und Schmerz.

In dieser besten aller Welten ist Armut ein Verbrechen, das mit lebenslänglicher Zwangsarbeit gestraft wird; und Kinder und Kindeskinder tragen noch das Kainszeichen der Vorfahren. Wohl sind Knute und Hetzpeitsche verschwunden, mit denen die Sklaven zur Arbeit getrieben wurden; aber aus dem Gold, das der Arme dem Schoße der Erde entriß, hat die bürgerliche Gesellschaft eine Waffe geschmiedet, die fürchterlicher ist als alle Folterwerkzeuge. Damit beherrscht und knechtet sie die Besitzlosen und zwingt sie, mit krummem Rücken und schwieligen Händen immer weiter und weiter für den Herrscher nach Gold zu graben. Vor der Gier danach zerstoben all die Tugenden, die ihre Prediger, ihre Dichter und Denker preisen: Großmut, Barmherzigkeit, Nächstenliebe, und die Ehrfurcht vor allem vor denen, unter deren Herzen das Herz der kommenden Menschheit schlägt. Mit dem Fuß auf dem Nacken der Frau ragt der Koloß der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in das 20. Jahrhundert hinein.

Während die bürgerliche Frau die Arbeit als die große Befreierin sucht, ist sie für die Proletarierin zu einem Mittel der Knechtung geworden; und während das Recht auf Arbeit eines der vornehmsten Menschenrechte ist, ist die Verdammung zur Arbeit eine Quelle der Demoralisation. Ueber eine Gesellschaftsordnung aber, die darauf beruht, die sich auf der Entwürdigung der Arbeit und der Versklavung der Arbeitenden aufbaut, ist das Todesurteil gesprochen.