Der Handel: Die Löhne der Verkäuferinnen.

Die Ladenzeit. — Die Überbürdung der Lehrlinge. — Das Alter der Verkäuferinnen. — Die gesundheitlichen und sittlichen Folgen der Frauenarbeit im Handel. — Die Entwicklung zum Großbetrieb.

Die Ausbreitung der Frauenarbeit im Handel ist in nennenswertem Umfang erst viel später in Erscheinung getreten, als in anderen Arbeitsgebieten. Zwar petitionierten bereits 1848 die Berliner Kommis an das preußische Staatsministerium um Einschränkung der weiblichen Konkurrenz694, aber erst seit den letzten zwanzig Jahren droht ihnen durch sie eine ernste Gefahr. Einerseits sind es die Töchter des mittleren und kleinen Bürgerstandes, die mehr und mehr vor die Notwendigkeit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gestellt werden und im kaufmännischen Beruf ein standesgemäßes Unterkommen zu finden glauben, andererseits sieht die aufstrebende Arbeiterklasse in ihm eine höhere Stufe der sozialen Stufenleiter und versucht in steigendem Maße ihre Töchter hinauf zu heben.


Die Entwicklung des Handels, seine Konzentrierung in Bazaren und Warenhäusern kommt diesen Bestrebungen entgegen. Immer geringer werden hier die Anforderungen an kaufmännische Bildung und genaue Warenkenntnis, da jede Verkäuferin nur eine bestimmte Abteilung zugewiesen bekommt und auf den einzelnen Gegenständen die Preise meist deutlich vermerkt zu werden pflegen. Infolgedessen ist es erklärlich, daß in zahlreichen Geschäftszweigen, besonders in den Geschäften für Bekleidung und solchen für frische Nahrungsmittel mehr Frauen als Männer zu finden sind; sie rekrutieren sich meist aus proletarischen Kreisen, haben oft nur die Volksschule besucht und können, wie z.B. in Berlin, nur selten grammatikalisch und orthographisch richtig schreiben.695 Aber nicht nur ihrer Herkunft, sondern vor allem den Bedingungen ihrer Arbeit nach, müssen die Verkäuferinnen zu den Kreisen der proletarischen Frauenarbeit gerechnet werden. Die Untersuchungen aller Länder, die sich mit ihrer Lage beschäftigen, stimmen darin überein, daß der Lohn zur Leistung in größtem Mißverhältnis steht, und alle charakteristischen Zeichen der proletarischen Arbeit,—Ueberarbeit und Arbeitslosigkeit,—auch auf sie zutreffen.

Was zunächst die Lohnfrage betrifft, so ist ein einigermaßen ausreichendes Material zu ihrer Beleuchtung nicht vorhanden. Selbst die deutsche Kommission für Arbeiterstatistik hat es bei Gelegenheit ihrer Untersuchungen der Lage der Handelsgehilfen unbegreiflicherweise förmlich ängstlich vermieden, sich über den Stand der Arbeitsentschädigung Aufklärung zu verschaffen. Auch die englische Arbeitskommission bringt nur spärliche Ziffern. Wir müssen uns daher im wesentlichen auf die Resultate privater Enqueten stützen.

Das Durchschnittseinkommen Berliner Verkäuferinnen wird vom kaufmännischen Hilfsverein für weibliche Angestellte auf 58 Mk. monatlich geschätzt. Da die Zeit der Arbeitslosigkeit durchschnittlich 1-3/4 Monate betragen soll, so würde ein Jahreseinkommen von 594 Mk., eine tägliche Einnahme von 1,60 Mk. zu verzeichnen sein.696 Schon mit dieser Summe ist es für die großstädtische Verkäuferin nicht möglich auszukommen. Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn eine Jahreseinnahme von 900 bis 1000 Mk. erst als diejenige angesehen werden kann, die der Berliner Verkäuferin eine sorgenfreie Existenz zu sichern vermag. Nun gehören aber die Mitglieder des Hilfsvereins für weibliche Angestellte zweifellos zur Elite der Ladengehilfinnen; ihr Lohn kann daher für die große Masse nicht maßgebend sein. Thatsächlich kommen selbst in Berlin Monatslöhne von 30 bis 40, ja sogar von 20 bis 30 Mk. vor; in der Provinz, besonders in den kleinen Städten, sind solche Sätze keine Seltenheit; das Durchschnittsgehalt der Verkäuferinnen in Köln betrug 40, in Frankfurt 39, in Kassel 30, in Königsberg gar nur 27 Mk.697, ein Lohn, der vielfach hinter dem der Fabrikarbeiterinnen zurücksteht. Selbst Leipzig weist Monatslöhne von 20 bis 30, ja sogar solche unter 20 Mk. auf.698 Verkäuferinnen, die eben die Lehrzeit hinter sich haben, müssen sich sogar oft genug mit 10 Mk. im Monat einrichten.699 Männlichen Verkäufern wagt man solchen Gehalt nur höchst selten anzubieten, wo es geschieht, handelt es sich um einen Anfangsgehalt, der schnell gesteigert wird; ihr Durchschnittseinkommen wird auf 100 Mk. angegeben, beträgt also fast das Doppelte des Einkommens ihrer weiblichen Kollegen. Je nach der Zahl der Dienstjahre kann nun zwar auch die Verkäuferin auf Steigerung des Gehalts rechnen; 70 und 80 Mk. bezeichnen aber in den meisten Fällen ein nur schwer erreichbares Maximum, Monatseinnahmen von 100 bis 120 Mk. kommen nur ausnahmsweise vor. Da die Zeit der Arbeitslosigkeit sich häufig bis auf drei Monate ausdehnt, so schrumpft die im ganzen Jahr der Verkäuferin zu Gebote stehende Summe so sehr zusammen, daß ein Auskommen schwer möglich ist. Die Angaben Berliner Handelsgehilfinnen bestätigen das. Danach betrug die durchschnittliche Ausgabe für Kost und Wohnung 51 Mk., 30 Mk. wurde als das geringste bezeichnet, womit das Leben sich notdürftig bestreiten ließe.700 Stellen wir diesen Ausgaben die Durchschnittseinnahme von 58 Mk. gegenüber, so ist ohne weiteres klar, daß mit einem Rest von 7 Mk. die Ausgaben für Wäsche, Kleidung, Tramwayfahrten etc.—vom Vergnügen ganz abgesehen—nicht gedeckt werden können. Besonders die Ansprüche an die Toilette, die das Budget der Handelsangestellten so sehr belasten, können damit nicht bezahlt werden und doch riskiert die Verkäuferin ihre Stellung, wenn sie sie nicht erfüllt. Wie hoch sie sind, beweist eine amerikanische Zusammenstellung der Ausgaben für Wohnung und Kleidung je nach den Berufen der Arbeiterinnen. Während die Fabrikmädchen oft kaum den vierten Teil dessen für ihre Kleidung verwenden, was sie für ihre Wohnung ausgeben, übersteigt die Summe, mit der die Verkäuferinnen ihre Toilette bestreiten, fast immer die Ausgaben für die Wohnung, sehr oft sogar ist sie höher, als diejenige, die sie für ihren ganzen Lebensunterhalt anlegen.701 Denken wir nun aber an Monatseinnahmen, die den Durchschnitt von 58 Mk. nicht erreichen, die vielleicht nur 20 oder 30 Mk. betragen, so ist, selbst bei einer Aufwendung von nur 30 Mk. für Kost und Wohnung, wobei nur eine Schlafstelle in Betracht kommen kann und die Unterernährung chronisch wird, ein bedeutendes Defizit unvermeidlich. Die Existenz ist nur dann gesichert, wenn die dermaßen niedrig Entlohnten bei ihrer Familie wohnen. In welchem Umfang dies thatsächlich geschieht, läßt sich nicht feststellen. Eine Privatenquete, die 825 Berliner Handelsangestellte umfaßte, ergab, daß 585, also 71 %, von ihnen bei Familienangehörigen wohnen; 240 sind darauf angewiesen, sich ihr Unterkommen selbst zu beschaffen, und zwar haben 36,75 % dieser selbständigen Mädchen eine Monatseinnahme von unter 30 bis zu 60 Mk.702, sie gehören also zu denjenigen, die nach unserer Berechnung entweder nur unter größten Entbehrungen, oder unter fortwährender Anhäufung von Schulden ihr Leben fristen können. Da es sich jedoch auch bei diesen Handelsgehilfinnen um besonders Bevorzugte handelt,—nur die besser gestellten, intelligenteren unter ihnen entschließen sich, einem Verein beizutreten, und Vereinsmitglieder waren sämtliche Expertinnen,—so ergiebt sich, daß für die Allgemeinheit sowohl der Prozentsatz der niedrig Entlohnten, als der der Alleinstehenden ein wesentlich höherer sein muß. Aber selbst wenn wir die sehr günstige Berliner Berechnung zu Grunde legen, um die Lage aller Handelsgehilfinnen danach zu beurteilen, zeigt es sich, daß von 365005 nicht weniger als 105851 allein stehen, und von diesen wieder beinahe 17000 von dem Ertrag ihrer Arbeit nicht leben können.

In England sind die Lohnverhältnisse keineswegs besser, obwohl man zuweilen versucht ist, es anzunehmen, weil die Handelsangestellten neben dem Gehalt freie Station haben. Aber selbst den unwahrscheinlichen Fall angenommen, daß diese so vortrefflich ist, daß ein Zuschuß zur Ernährung aus dem eigenen Beutel sich nicht als nötig erweist, reicht ein Jahreseinkommen von 10 bis 12 £703 in den Großstädten Englands bei weitem nicht aus, um die notwendigen Ausgaben, die den Verkäuferinnen erwachsen, zu bestreiten. Dabei herrscht in England das Unwesen der Strafgelder in ausgedehntestem Maße. In manchen Geschäften giebt es bis zu hundert verschiedene Versäumnisse, die durch Lohnabzüge gebüßt werden müssen.704

Für Frankreich können wir uns auf offizielle Untersuchungen nicht berufen, um die Lage der Handelsangestellten danach zu schildern; dafür liegt in Zolas "Au Bonheur des Dames" ein weit wertvolleres Dokument vor. Es zeigt uns den kleinen Laden mit seinen schlecht genährten und schlecht bezahlten Arbeitern, es führt uns in das fieberhafte Getriebe des großen Warenhauses, das Nerven- und Muskelkräfte untergräbt; es öffnet uns die Thür zu den winzigen, unheizbaren, allen Komforts entbehrenden Dachkammern, wo die Mädchen abends halb ohnmächtig auf ihr Lager sinken und zu den Eßsälen, wo die menschlichen Arbeitsmaschinen mit weit weniger Sorgfalt gespeist werden, als die eisernen Maschinen in den Fabriken. Es nimmt uns mit seiner großartigen Wirklichkeitsschilderung jede Illusion über die Lage der Ladenmädchen. Aber weit mehr noch als für das Riesenhandelshaus, das durch seinen gewaltigen Umsatz im stande ist, seinen Angestellten eine gesicherte Stellung zu geben, trotz aller Ausbeutung und Vernachlässigung, gilt es für die kleinen, mühsam um ihr Bestehen kämpfenden Geschäfte, wenn sich der äußere Glanz des kaufmännischen Berufs bei näherem Zuschauen in sein Gegenteil verwandelt. Je kleiner der Laden und die Stadt, desto trauriger steht es um die Angestellten, desto klarer ist es vor allem, daß die Wohnung und Beköstigung im Hause des Prinzipals zwar eine Wohlthat ist, aber nicht für die Angestellten, sondern für ihn. Er macht dadurch nicht nur Ersparnisse, sondern er hat auch ein Mittel in der Hand, über seine Angestellten wie über häusliche Dienstboten frei verfügen zu können.705 Die Beköstigung im Hause des Chefs, die in Deutschland besonders auch dort häufig üblich ist706, wo die Verkäuferinnen für ihre Wohnung selbst zu sorgen haben, bietet den willkommenen Vorwand, die Mittagspause entweder sehr einzuschränken oder überhaupt dem Zufall und der momentanen Geschäftsruhe zu überlassen. In England wurden Mittagspausen von zehn bis höchstens zwanzig Minuten festgestellt, die noch dazu jeden Augenblick durch den Eintritt von Kunden unterbrochen werden konnten707; in Deutschland ist es nicht viel besser; dabei ist diese Pause oft die einzige; Frühstücks- und Vesperpausen werden, vor allem in den kleinen Geschäften, sehr selten gewährt.708 Abendbrot giebt es in England häufig gar nicht, so daß die Mädchen genötigt sind, es sich selbst zu beschaffen709; die Beköstigung ist dort wie in Deutschland meist, was Quantität und Qualität betrifft, gleich minderwertig710, und muß im Geschäftsraum selbst oder in engen, dumpfigen Nebenräumen hastig verschlungen werden. Nur die großen Geschäfte, die großen Warenhäuser und Bazare machen hie und da eine rühmliche Ausnahme; wo sie überhaupt ihren Angestellten Beköstigung bieten, ist sie ausreichend, besondere Speisesäle sind dafür angelegt und die Zeit zu ihrer Einnahme ist so weit gesteckt, daß sie auch ein Ausruhen in sich schließen kann. In den kleinen Städten und in den kleinen Geschäften, wo die weiblichen Angestellten auch häusliche Arbeiten verrichten müssen, ist ihre Lage durchweg eine traurige; auch in Bezug auf die Wohnung unterscheiden sie sich nicht von den Dienstmädchen: es werden ihnen unheizbare Dachstuben oder schlecht gelüftete, halbdunkle Räume neben dem Laden zur Unterkunft angewiesen711; in England und Amerika gilt dasselbe sogar in den großen Städten und Geschäften. Londoner Verkäuferinnen müssen sich oft zu zweien in ein Bett teilen, und die Räume, in denen sie hausen, entbehren jeder Bequemlichkeit.712 In den Riesengeschäften New-Yorks wohnen die Mädchen so eng, daß man Gefangenen solch einen Mangel an Luftraum nicht bieten würde.713 Damit sind die Nachteile der freien Station jedoch noch nicht erschöpft; die Prinzipale bestimmen auch, unter dem Vorwand der Aufrechterhaltung der Moral und des patriarchalischen Familienverhältnisses, über die freie Zeit der Angestellten. Sie sind nicht nur im Hause selbst der strengsten Aufsicht unterworfen, sie dürfen auch nur an bestimmten Abenden der Woche ausgehen und müssen vor Thorschluß heimkehren, da sie sonst keinen Einlaß mehr finden.714 In England sind sie andererseits vielfach verpflichtet, am Sonntag früh das Zimmer zu verlassen und erst spät abends heimzukehren.715 Der Prinzipal spart auf diese Weise an sechzig Tagen des Jahres die Beköstigung; die arme Verkäuferin aber, die oft am liebsten den Tag verschlafen, oder die ihn, als die einzige freie Zeit, zur Herstellung ihrer Garderobe benutzen möchte, muß entweder an solch erzwungenen Festtagen ihre schmale Börse leeren, oder Bekanntschaft suchen, die sie versorgt.

Die Beraubung der schwer verdienten Ruhe ist hierbei wohl das härteste, denn die Arbeitszeit der Handelsgehilfin war bis vor kurzem eine ganz unbeschränkte. Die Ladenzeit betrug im Deutschen Reich im Maximum bis zu achtzehn Stunden, im Durchschnitt vierzehn Stunden täglich716; nicht weniger als 43 % der Betriebe mit weiblichem Personal hatten eine Ladenzeit von dreizehn bis sechzehn Stunden.717 Die längste fand sich in der Lebensmittel-und Bekleidungsbranche; in Breslauer Kolonialwarenhandlungen kam es vor, daß der Laden um fünf Uhr früh geöffnet und um zehn oder elf Uhr nachts geschlossen wurde.718 In der Hochsaison verlängerte sie sich überall, dabei war von einer Vergütung der Überstunden selten die Rede,719 und wenn der Laden geschlossen war, ging die aufreibende Arbeit hinter verschlossenen Jalousien bis in die sinkende Nacht weiter. In England waren die Verhältnisse genau dieselben.720 Und doch wären diese Zustände noch erträglich zu nennen, wenn sie nicht durch die schlimmsten Qualen verschärft worden wären: nicht nur, daß die armen Mädchen von morgens bis abends mit freundlichem Diensteifer die Kunden,—und unter ihnen die unangenehmsten,—zu bedienen haben, daß sie die Leitern hinauf und hinab klettern, Stöße von Waren hin und her schleppen müssen, sie dürfen sich, auch wenn niemand im Laden ist, auch wenn ihre Kniee zittern und ihre Füße schmerzen, nicht setzen721! Stehen—stehen—zwölf, vierzehn und mehr Stunden stehen—und dabei lächeln, immer lächeln! Eine Folter, die würdig wäre, spanische Inquisitoren zu Erfindern zu haben!

Erst in jüngster Zeit hat man allenthalben den Versuch gemacht, diesen Übelstand aus der Welt zu schaffen; bei der Zaghaftigkeit aber, mit der vorgegangen wurde, ist wohl anzunehmen, daß er, in etwas gemilderter Form vielleicht, noch immer besteht. In Betreff der Arbeitszeit gilt dasselbe; ist doch sogar nicht einmal die Sonntagsruhe den abgehetzten Mädchen überall gesichert; auch am Sonntag müssen sie stundenweise im Laden stehen, damit nur ja dem Herrn Prinzipal kein Pfennig Profit entgeht.

Am schlimmsten von allen sind die Lehrlinge, wahre Prügelknaben und Mädchen für alles, daran. Kaum der Schule entwachsene Kinder werden mit Vorliebe aufgenommen; sie kosten wenig und lassen sich widerstandslos ausnutzen. Welchen riesigen Umfang ihre Beschäftigung annimmt, geht daraus hervor, daß sie in einem Viertel aller deutschen Geschäfte die Gehilfen an Zahl überragen, in einem Fünftel sich noch einmal so viel Lehrlinge als Gehilfen befinden, und es sogar vorkommt, daß Geschäfte vielfach alle Gehilfen durch Lehrlinge ersetzen.722 Sie sind Laufmädchen, Hausmädchen, Verkäuferin—alles in einer Person. In einem Alter, wo der weibliche Körper der Schonung bedarf, müssen sie dieselben, ja oft noch längere Arbeitszeiten aushalten, als die Erwachsenen.723 Nur die Stärksten überstehen es, die anderen werden in der Blüte geknickt, noch ehe ihnen die Frühlingssonne recht aufging. Trotzdem fehlt es nie an neuem Nachwuchs; in Scharen, wie die Motten, fliegen die Mädchen zu dem blendenden Licht hinter den Spiegelscheiben, von dem sie Märchenwunder erwarten. Und der Handel braucht Jugend! Die Kunden sehen nicht gern alte Gesichter; ein hübsches junges Mädchen ist eine stärkere Anziehungskraft, als die beste Ware. Sehen wir uns um in den Geschäften, besonders in denen der Großstadt: fast lauter junge Dinger mit hochfrisiertem Lockenkopf und glänzenden Augen treten uns entgegen. Die Statistik bestätigt das: von den Berliner Verkäuferinnen sind 71 % 15 bis 21 Jahre alt724! Wo bleiben die Alternden, diejenigen, die nicht heiraten, die nicht das ungewöhnliche Glück haben, sich selbständig machen zu können? Die edelsten Pferde haben das traurige Schicksal, daß sie aus dem Rennstall-Palais, wo sie in ihrer Jugend genährt, gepflegt und gehütet wurden, sorgfältiger als mancher Mensch, zuerst in den engen Stall des Droschkenkutschers und dann zu den armseligen Ackergäulen des Bauern geraten—je älter sie werden, desto härter wird ihr Los. Den arbeitenden Frauen, und unter ihnen ganz besonders den Verkäuferinnen, geht es nicht anders. Werden sie alt und häßlich, so treten Junge an ihren Platz, und sie müssen sich mit immer schlechteren Stellungen begnügen. Der in Deutschland bisher übliche Modus, wonach keine oder nur ganz kurze Kündigungsfristen ausgemacht wurden,—d.h. der Prinzipal konnte die Angestellte oft von einem Tag zum andern entlassen, die Angestellte aber mußte die Kündigung vier Wochen vorher einreichen,725—hatte zur Folge, daß die alternden Gehilfinnen sich einer dauernden Wanderschaft ausgesetzt sahen und nie wissen konnten, ob nicht der nächste Tag sie arbeitslos macht. Mit 40 Jahren freilich sind sie so wie so schon verbraucht.

Infolge des vielen Stehens, der langen Arbeitszeit und der schlechten Ernährung tritt schon früh allgemeine Entkräftung und Muskelschwäche ein. Die jungen Mädchen werden fast durchweg von der Bleichsucht heimgesucht,—ein Blick in die Gesichter der Verkäuferinnen beweist das zur Genüge,—Unterleibsleiden treten hinzu. Dabei schwellen die Fußgelenke an, an den Beinen zeigen sich Krampfadern, Magenkrankheiten zerstören den Rest der Nervenkraft. Infolgedessen wird die Mutterschaft für die meisten ehemaligen Verkäuferinnen zu einer schweren Krankheit.726 Die große körperliche Abspannung, die oft so weit geht, daß die jungen Mädchen sich abends mit den Kleidern aufs Bett werfen, weil sie nicht mehr die Kraft haben, sich auszuziehen,727 führt schließlich auch zu geistiger Erschlaffung. Selten nur reichen die Interessen über die alltäglichen, persönlichen hinaus; ein energischer Kampf um bessere Arbeitsbedingungen liegt ganz außerhalb der Vorstellungsmöglichkeit.

Neben die körperlichen und geistigen Folgen der proletarischen Frauenarbeit im Handel treten aber noch die traurigen moralischen hinzu. Die große Masse der Angestellten kann von ihrem Arbeitseinkommen nicht leben; nicht nur, daß sie sehr häufig das einfachste Leben kaum fristen können, ihre Ansprüche sind auch von Haus aus höhere und werden durch ihre ganze Umgebung, besonders in den Bazaren und Konfektionsgeschäften, noch gesteigert. Und Gewohnheit und Ansprüche gilt es in Rechnung zu ziehen, wenn man Notlagen und die Größe der damit verbundenen Gefahren richtig beurteilen will. Eine Fabrikarbeiterin in irgend einer kleinen sächsischen Fabrikstadt kann sich durch dasselbe Einkommen gesichert und befriedigt fühlen, das eine Verkäuferin in einem Berliner Geschäft der Schande in die Arme treibt. Weit stärkere Einflüsse, als auf die arme Arbeiterin, wirken bei ihr noch mit: diese heiratet leicht, nach der Ansicht kühler Rechenmeister, leichtsinnig; ihr Erwählter sieht in ihrer Arbeitskraft ihre wertvollste Mitgift, für jene aber ist die Heirat ein selten erreichter Traum, denn ihre männlichen Arbeitsgenossen suchen vor allem eine klingende Mitgift, um sich dadurch selbständig machen zu können, und schließt für die Frauen ihr Beruf die Ehe aus. Wenn die Not sie nicht zu Falle bringt, so ist es der Durst ihres Herzens und ihrer Sinne, der sie in jene Liebesverhältnisse verstrickt, die so oft ein tragisches Ende finden. Dabei naht ihr auch die Verführung mehr als anderen durch den Verkehr mit der Kundschaft. Es ist nicht übertrieben, sondern entspricht den täglich zu beobachtenden Thatsachen, daß die Lebemänner der Großstädte in den Bazaren und Warenhäusern ein beliebtes Feld für ihre Jagd nach Menschenware erblicken. Aber auch für die Chefs selbst sind ihre Angestellten nicht selten Freiwild. Ein armes Mädchen muß entweder ein hohes Maß an sittlicher Kraft, Selbstverleugnung und Entsagungsfähigkeit, oder einen traurigen Mangel an Jugendlust und Liebessehnsucht besitzen, um rein und unangefochten aus diesem Leben hervorzugehen. Wie Zolas Denise sieht sie sich umgeben nicht nur von leichtsinnigen, sondern auch von moralisch verdorbenen Kolleginnen. Und damit berühren wir einen der traurigsten Punkte der Frauenarbeit im Handel, der es so vielen unmöglich macht, sich durch eigene Kraft ehrlich durchzuschlagen: unter dem Deckmantel der Verkäuferin und mehr noch der Probiermamsell verbirgt sich häufig die Prostitution in grober und feiner Art. Die femme soutenue ist es besonders, die hierbei in Betracht kommt, und da sie hübsch ist und jung und elegant, auf die Höhe des Lohnes wenig Wert legt, so macht der Unternehmer ein gutes Geschäft durch ihre Anstellung. Schulter an Schulter mit ihr machen die wohlerzogenen Töchter des mittleren Bürgerstandes, die Wohnung und Kost bei ihren Eltern haben und mit einer Einnahme, die nur ein Taschengeld repräsentiert, zufrieden sind, den alleinstehenden, mühsam sich emporringenden Arbeiterinnen die empfindlichste Konkurrenz. Sie erhalten die Löhne auf einem niedrigen Niveau, ja sie drücken sie durch ihr massenhaftes Eintreten in den Handel vielfach noch herunter. Infolgedessen zeigt sich in höherem Maße noch als in der Fabrikarbeit, daß die Entwicklung der Löhne mehr und mehr die Tendenz hat, sich nach den Frauenlöhnen zu gestalten, so daß der Unterhalt der Familie auf dem Erwerb von Mann und Frau beruht. Da die verheiratete Frau aber unter den Angestellten eine beinahe unmögliche Erscheinung ist,—die Heirat bedeutet fast stets den Austritt aus dem Geschäft,—so sind die Folgen dieser Entwicklung zunächst für Mann und Weib gleich traurige.

Die Lage der Handelsgehilfinnen würde eine verzweifelte sein, wenn sich nicht in der öden Wüste ihres Daseins Quellen künftigen blühenden Lebens nachweisen ließen. Eine der stärksten und wichtigsten ist auch hier die Entwicklung zum Großbetrieb. Je größer der Betrieb desto höher ist der Lohn, desto kürzer die Arbeitszeit und geregelter die Ruhepausen, desto mehr nimmt aber auch die im Hause des Prinzipals lebende Zahl der Angestellten ab. Damit schwindet das patriarchalische Verhältnis mehr und mehr, der Angestellte nimmt nach und nach dieselbe Stellung ein, wie der Fabrikarbeiter, dessen persönliches, häusliches Leben und Treiben den Unternehmer nicht kümmert. Hierdurch und durch die allerdings erst in den ersten Anfängen steckende Regelung der Arbeitszeit, wird es schließlich auch der verheirateten Frau leichter möglich sein, ihrem Mädchenberuf treu zu bleiben. Das alles würde aber nur wenig nützen, wenn nicht noch ein anderes Moment hinzukäme: die Töchter des Bürgerstandes werden durch den Druck der Verhältnisse,—nicht zum mindesten hervorgerufen durch die, das kleine Geschäft tötenden Warenhäuser,—gezwungen werden, den Lohn nicht mehr als Mittel zur Befriedigung von Luxusbedürfnissen, sondern als Mittel zum Lebensunterhalt anzusehen. In der Not selbst liegen die Keime für ihre Beseitigung.

Neben der Entwicklung zum Großbetrieb, die aber,—das sei all denen gesagt, die bequem genug sind, sich durch Zukunftshoffnungen über die Gegenwart trösten zu lassen,—eine außerordentlich langsame ist, läuft eine andere her, die eine entgegengesetzte Tendenz zu haben scheint und gerade im Hinblick auf die Frauen sehr wichtig ist: die Zunahme der von Frauen geleiteten Alleinbetriebe. Nach der Zählung von 1895 gab es deren 145165, was gegenüber der Zählung von 1882 einer Zunahme von 41 % gleichkam, während die von Männern geleiteten Alleinbetriebe um 5 % abgenommen haben.728 Trotz der Selbständigkeit der Händlerinnen ist ihre Existenz eine proletarische, ihr Kampf ums Dasein ebenso so hart, als der der Arbeiterin. Ueber die Hälfte,—56 %,—sind Witwen, 27 % verheiratete Frauen, aber nur 17 % ledige. Die Witwen richten das Geschäft, wenn es nicht vom Manne ererbt ist, mit einem oft winzigen Kapital ein, um sich und ihre Kinder zu erhalten; die verheirateten Frauen, häufig ehemalige Dienstmädchen, wenden ihren Sparpfennig daran, um durch ihren eigenen Erwerb den des Mannes zu ergänzen; alternde Mädchen, oft frühere Verkäuferinnen in ähnlichen Geschäften, versuchen gleichfalls damit ihr Brot zu verdienen. Eine wichtige Rolle spielt bei dieser Art Frauenarbeit der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten und gerade er ist geeignet, sich auch fernerhin in Zwergbetrieben zu konzentrieren: die Waren bilden den täglichen Bedarf jeder Hauswirtschaft, sie müssen also möglichst in der Nähe zu haben sein und können daher auch nicht in Warenhäusern aufgestapelt werden; allein das Wachstum der Städte führt ihre Vermehrung herbei, die scharfe Konkurrenz jedoch macht sie zu wahren Eintagsfliegen und zwingt die Besitzerinnen, die bisher mühsam ihre Selbständigkeit aufrecht erhielten, zur Lohnarbeit. Trotzdem ist ihre Zunahme, solange die Privatküchen bestehen werden, wahrscheinlich und sicher ist, daß sich gerade dieses Handelszweiges mehr und mehr die Frauen bemächtigen werden.

Welches Los härter ist, das der Angestellten im glänzenden Kaufhaus, die in seinem Dienst hinwelkt, die ihre Jugend entweder vertrauern oder wegwerfen muß, oder das der Händlerin im düsteren Keller oder stickigen Laden, die oft auch noch die Nächte opfert, um ihre armselige Häuslichkeit in Ordnung zu halten, und sich um ein paar Pfennige plagt von früh bis spät—das wage ich nicht zu entscheiden.