Die Arbeiterinnenbewegung - ein Bestandteil der Arbeiterbewegung.

Die Nur-Frauengewerkschaften. — Die Trennung der deutschen Arbeiterinnenbewegung von der bürgerlichen Frauenbewegung. — Die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterinnen: in Deutschland, — in Oesterreich, — in England, — in Frankreich, — in den Vereinigten Staaten. Die Schwierigkeit der Organisation der Frauen und ihre Gründe. — Die Mittel zur Besiegung der Organisationsunfähigkeit der Frauen. — Die Teilnahme der Frauen an der genossenschaftlichen Bewegung. — Die Sozialdemokratie und die Arbeiterinnenbewegung. — Die politischen Erfolge der deutschen Arbeiterinnenbewegung. — Die Stellung der Arbeiterinnenbewegung zur bürgerlichen Frauenbewegung. — Die positiven Aufgaben der Arbeiterinnenbewegung.

Als den Ausgangspunkt der bürgerlichen Frauenbewegung haben wir den Kampf um Arbeit kennen gelernt. Er war zugleich ein Kampf gegen den Mann, weil es galt, in seine Berufssphären einzudringen. Die proletarische Frauenbewegung setzte dagegen erst ein, als dieser Kampf durch den massenhaften Eintritt der Arbeiterinnen in die Industrie mit ihrem Siege geendet hatte. Die Arbeiterin hatte den Platz in Werkstatt und Fabrik erobert, als die bürgerliche Frau noch schwer um den Platz im Hörsaal und auf dem Katheder ringen mußte. Die bürgerliche Gegnerschaft gegen den Mann fand ihren Gegensatz in der proletarischen Genossenschaft mit dem Mann.


Infolgedessen ist die Arbeiterinnenbewegung ein integrierender Bestandteil der Arbeiterbewegung, deren nächstes Ziel ist: die Lage des Proletariats zu verbessern, und sie bedient sich zu diesem Zweck drei verschiedener Mittel: der politischen Partei, als desjenigen Mittels, durch das politisch Gleichgesinnte auf Gesetzgebung und Staat Einfluß zu gewinnen suchen, der Gewerkschaften, als der dauernden Verbindungen von Lohnarbeitern zum Zweck der Aufrechterhaltung oder Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen, der Genossenschaften, als der Vereinigungen wirtschaftlich schwacher Personen zu gemeinsamer wirtschaftlicher Thätigkeit. Bedingung ist in allen drei Fällen die Organisation. Sie muß daher gesetzlich gewährleistet und gesichert sein, wenn an ein erfolgreiches Vorgehen der Arbeiter gedacht werden kann.

Die gewerkschaftliche Organisation ist nach dem Buchstaben des Gesetzes den weiblichen wie den männlichen Arbeitern nirgends untersagt. In der Praxis aber wird sie den Frauen, und zwar vor allem der Mehrzahl der deutschen Frauen, sehr erschwert, weil ihnen, nach einer Anzahl deutscher Vereinsgesetze, der Eintritt in politische Vereine verboten ist, und die Grenzlinien zwischen wirtschaftlichen und politischen Fragen außerordentlich schwankende sind. Für die gesamte weibliche Arbeiterschaft kommt aber noch ein tiefgreifenderer Umstand in Betracht, der sich ihrer Organisierung hindernd in den Weg stellt. Während nämlich die Vereinigung von Männern und Frauen innerhalb der einzelnen Berufe die selbstverständliche Konsequenz ihrer gemeinsamen Arbeit sein sollte, scheitert sie vielfach an dem alten Vorurteil der Männer, die sich der Aufnahme weiblicher Mitglieder widersetzen. Diese feindliche Haltung der Männer verschaffte der für die weiblichen Lohnarbeiter völlig falschen, irreführenden Auffassung der bürgerlichen Frauenbewegung von der Notwendigkeit des organisierten Kampfes der Frauen als Frauen um ihre Rechte Eingang bei ihnen, und so gründeten sie zunächst gewerkschaftliche Frauenvereine mit ausschließlich weiblichen Mitgliedern.

In England, der Hochburg des Trade-Unionismus, entstanden schon Anfang der siebziger Jahre eine Anzahl Frauengewerkschaften, die aber ein schnelles Ende nahmen. Erst dem großen Organisationstalent einer ehemaligen Setzerin, Miß Emma Smith, später Mrs. Paterson, gelang es, System in die ganze Bewegung zu bringen, indem sie 1874 die Women's Protective and Provident League ins Leben rief und als das Ziel der Vereinigung die Organisierung der Arbeiterinnen bezeichnete und zwar in Männergewerkschaften, soweit sie Zulassung fänden, in Frauengewerkschaften, soweit es sich nur um weibliche Berufe handelt, oder die Männer die Frauen ausschließen.861 Unter dem Einfluß bürgerlicher Elemente wurde jedoch im Anfang der Bewegung auf die Gründung von Frauengewerkschaften der größte Nachdruck gelegt: die Londoner Buchbinderinnen, Tapeziererinnen, Wäscherinnen und Schneiderinnen wurden organisiert862, aber die kleinen Vereine konnten eine andere als eine erzieherische Bedeutung nicht erringen. Nur zwei von ihnen bestehen noch863, ohne an Wichtigkeit gewonnen zu haben. Im selben Jahr versuchten Pariser Näherinnen ein Syndikat zu gründen, das nur 100 Mitglieder erreichte und sich nach wenigen Jahren auflöste.864 In Deutschland, wo der bürgerliche Einfluß hemmend gewirkt hatte, fing man erst viel später an, Arbeiterinnenvereine mit einem annähernd gewerkschaftlichen Charakter ins Leben zu rufen, die aber rasch wieder eingingen, ohne Spuren ihres Daseins zu hinterlassen. Erst ein äußerer Anlaß trennte mit einem scharfen Schnitt die Arbeiterinnenbewegung von der bürgerlichen Frauenbewegung und machte sie lebensfähig. 1882 kam Gräfin Guillaume-Schack nach Berlin, um für die Ideen der englischen Föderation zur Bekämpfung der Prostitution Propaganda zu machen. Der Kulturbund, den sie gründete, rief aber nicht, wie sie gehofft hatte, eine der englischen ähnliche große Bewegung zu Gunsten der Abschaffung der staatlichen Regulierung und Beaufsichtigung der Prostitution hervor, es entstanden nur drei Vereine rein philanthropischer Natur, die die Erziehung verwahrloster Mädchen, die Gründung von Heimstätten und ähnliches zum Ziele hatten. Ihre Leiterinnen wandten sich auch an die Arbeiterinnen, die anerkennen sollten, wie nötig ihre sittliche Hebung sei. Aber die Zeiten der Abhängigkeit waren vorbei: sie wiesen die Hand der Wohlthäter zurück und erklärten, daß wer der Arbeiterklasse helfen wolle, zuerst dafür sorgen müsse, ihre materielle Lage zu verbessern. Unter dem anfeuernden Ruf einer Veteranin der Arbeit: "Proletarierfrauen, vereinigt euch!" schlössen sich sofort 500 Frauen und Mädchen zu einem selbständigen Arbeiterinnenverein zusammen865, der an Bedeutung alle bisherigen schwachen Versuche nach dieser Richtung bei weitem übertraf. "Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterinnen" nannte sich diese erste wichtige Organisation. Die Regelung von Lohnstreitigkeiten, Errichtung von Arbeitsnachweisen nahm sie in ihre Statuten auf; ein Rest bürgerlicher Auffassungsweise zeigte sich aber nicht nur in der Vereinigung ausschließlich weiblicher Arbeiter, sondern auch in ihrer ablehnenden Stellung gegenüber dem Arbeiterinnenschutz. Sie war im wesentlichen dem Einfluß der Gräfin Guillaume-Schack zuzuschreiben, die sich, zurückgestoßen von der jämmerlichen Haltung der bürgerlichen Frauenbewegung, auf die Seite der Arbeiterinnen stellte, aber selbst noch im Ideenkreis der englischen Feministen befangen war.

Nach allen Richtungen entwickelte sich die lebhafteste Bewegung. Der von der Regierung projektierte Nähgarnzoll, der die armen Näherinnen, die das Garn selbst zu liefern hatten, stark belastet haben würde, gab den Anstoß zum ersten erfolgreichen Eingreifen der Arbeiterinnen. Der junge Verein und zwei neue, ausschließlich von Arbeiterinnen gegründete und geleitete, der Nordverein der Berliner Arbeiterinnen und der Fachverein der Mäntelnäherinnen, gaben den Ton an; Frau Guillaume-Schack unterstützte sie durch die von ihr gegründete Zeitschrift "Die Staatsbürgerin", in der die traurige Lage der Arbeiterinnen rücksichtslos aufgedeckt wurde. Untersuchungen ihrer Lohn- und Lebensverhältnisse durch diese Vereine förderten dann noch ein Material zu Tage, das selbst die Verschlafensten aus ihrem Traum aufrütteln mußte. Im Anschluß daran kam es zu einer Reichstagsdebatte und endlich zur amtlichen Untersuchung der Lohnverhältnisse der Arbeiterinnen in der Wäschefabrikation und der Konfektionsbranche, die nur bestätigen und ergänzen konnte, was jene erste private Erhebung bekundet hatte. Die Verschärfung der Truckgesetze war die weitere Folge und zugleich das erste Resultat der deutschen Arbeiterinnenbewegung, die sich inzwischen durch ihr Eintreten für den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz auch von dem letzten Rest bürgerlicher Tradition frei gemacht hatte.866 Aber in dem Augenblick, wo diese innere Erneuerung zu neuem kräftigen Leben führen sollte, wurde die "Staatsbürgerin" polizeilich verboten, sämtliche Vereine, auch die außerhalb Berlins, aufgelöst und ihre Leiterinnen unter Anklage gestellt. Eine "Gefahr für Deutschland" sahen die Behörden in dem ersten Aufstreben der weiblichen Arbeiterschaft. Aber eine aus den Bedürfnissen der Massen entspringende Bewegung mußte selbst der zähesten Verfolgung Hohn sprechen. Aus dem Widerstand gegen die Verfolgungen des Sozialistengesetzes, das versucht hatte, auch die gewerkschaftliche Bewegung zu vernichten, ging das Solidaritätsgefühl der Arbeiter und Arbeiterinnen nur neu gestärkt hervor.

Der Sieg des Sozialismus nach Jahren schärfster Unterdrückung, die Energie, mit der die Frauen ihr Trotz geboten hatten, ihre selbstbewußten Organisierungsversuche und die wachsende Erkenntnis, daß es einer gefürchteten Schmutzkonkurrenz nur neue Nahrung zuführen hieß, wenn man sie von den männlichen Berufsvereinen ausschloß, führten in der Haltung der Männer nach und nach einen Umschwung herbei. 1890 wurde in Deutschland die Zentralkommission der Gewerkschaften Deutschlands gegründet, die schon durch die Aufnahme einer Frau in den Vorstand ihren Standpunkt kennzeichnete. Sie veranlaßte sofort bei sämtlichen Vorständen der Vereine, daß, soweit Frauen von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren, Anträge auf Statutenänderung gestellt wurden, die in den meisten Fällen zur Annahme gelangten. Unter ihrer Leitung entwickelte sich eine rege Agitation unter den Arbeiterinnen zu Gunsten der Gewerkschaften. Frauen, mit einem Opfermut und einer Ausdauer, wie sie nur im Proletariat zu finden sind, reisen unermüdlich im Auftrage der Generalkommission von Ort zu Ort, allen Polizeichikanen trotzend, denen sie in ausdehntestem Maße ausgesetzt sind; in engen, dumpfigen Lokalen sprechen sie oft Abend für Abend, um ihren Zuhörerinnen klar zu machen, daß sie ihre Lage nur dann verbessern können, wenn sie sich mit den Genossen ihrer Arbeit zusammenschließen und der Profitgier und der Ausbeutungssucht des Unternehmers die Macht vereinter Kräfte gegenüberstellen. Der Erfolg dieser Bemühungen, die durch massenhafte Verbreitung von Flugblättern und Broschüren noch unterstützt wird, ist bisher noch kein großer. Aus folgender Zusammenstellung geht das langsame Wachstum der weiblichen Organisation hervor. Die deutschen, der Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften zählten weibliche Mitglieder:
1892: 4355
1893: 5384
1894: 5251
1895: 6697
1896: 15295
1897: 14644
1898: 13009
1899: 19280
1900: 22844

In einem Zeitraum von acht Jahren ist ihre Zahl zwar um das Fünffache gestiegen, aber von den Industriearbeiterinnen, die hier allein in Betracht kommen, weil die landwirtschaftlichen Arbeiterinnen und die Dienstboten kein Koalitionsrecht besitzen, sind immerhin erst 2,30 % organisiert und von den achtundfünfzig zentralisierten Gewerkschaften weisen nach der letzten Zählung nur einundzwanzig weibliche Mitglieder auf. Sie verteilen sich auf die einzelnen Berufszweige wie folgt:867
Organisation Zahl der weiblichen
Mitglieder 1900 Von 100 Arbeiterinnen
des betreffenden Berufs
sind organisiert
Buchbinder 3046 22,50
Buchdruckereihilfsarbeiter 698 12,15
Fabrikarbeiter 2889 4,97
Glasarbeiter 33 1,02
Handlungsgehilfen 80 0,10
Lagerhalter 9
Handschuhmacher 105 6,65
Holzarbeiter 726 6,62
Hutmacher 121 2,81
Konditoren 15 0,76
Masseure 46 --
Metallarbeiter 2693 11,37
Porzellanarbeiter 357 4,40
Sattler 31 2,04
Schneider 758 1,19
Schuhmacher 1916 20,31
Tabakarbeiter 3922 6,58
Cigarrensortierer 80
Tapezierer 37 10,57
Textilarbeiter 5254 1,16
Vergolder 28 4,45

22844 2,76

Außerhalb dieser durch die Generalkommission zusammengehaltenen Verbände, stehen eine ganze Anzahl sogenannter Lokalorganisationen, die aber zumeist keine Frauen aufnehmen können, weil sie einen ausgesprochen politischen Charakter haben, und einzelne gewerkschaftliche Frauenvereine, die nur ein kümmerliches Dasein fristen. Etwas bedeutungsvoller ist die Teilnahme der Frauen an den 1868 gegründeten Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen, die statutenmäßig sozialdemokratische Arbeiter ausschließen, und, von bürgerlich-liberaler Seite ins Leben gerufen, zum Teil auch geleitet, bis zum Jahre 1895 der Organisation der Frauen ablehnend gegenüber standen. Auf dem Verbandstage jenes Jahres jedoch wurde eine Resolution zu Gunsten der Frauen angenommen, und nach dem Bericht für das Jahr 1901 sind infolgedessen 3392 den Organisationen gewonnen worden; 1165 von ihnen sind Textilarbeiterinnen. Als dritte Variation der Gewerkschaftsbewegung ist die christliche anzusehen, die sich wieder in eine evangelische und eine katholische teilt. Die evangelische entwickelte sich seit 1882, zählt aber keine weiblichen Mitglieder. Die bestehenden Frauenvereine sind ausschließlich religiöser Art und haben keinerlei gewerkschaftlichen Charakter. Die katholische Richtung hat ihren Ursprung in dem Gewerkverein christlicher Bergleute, der im Jahre 1894 gegründet wurde. Mit den Hirsch-Dunckerschen Vereinen teilt sie die entschieden feindliche Stellung gegenüber der Sozialdemokratie, betont aber nebenbei noch die religiös-christliche Gesinnung. Von Anfang an hatte sie ein gewisses sympathisches Verständnis für die weiblichen Berufsglieder, aber auf kirchlichen Anschauungen fußend, die jede Gleichberechtigung zwischen Mann und Weib ablehnen, trat sie nicht für eine gemeinsame Organisation beider Geschlechter, sondern für gesonderte Arbeiterinnenvereine ein, die den Vereinen der männlichen Berufsgenossen anzugliedern sind und als "Schutzverbände der Arbeiterinnen" unter ihrer Leitung und Oberaufsicht stehen, damit im Falle von Arbeitseinstellungen trotz der Sonderung ein gemeinsames Vorgehen gesichert ist.868 Wir finden hier jenes Festhalten an der Tradition in seltsamer Verknüpfung mit Konzessionen an die moderne wirtschaftliche Entwicklung wieder, wie sie alle Bestrebungen der deutschen Centrumspartei,—und um eines ihrer Schoßkinder handelt es sich dabei,—aufweisen. An einer genaueren Statistik der organisierten Frauen fehlt es leider, da in manchen Verbänden die männlichen und weiblichen Mitglieder zusammengezählt wurden. Nur zwei Textilarbeiterinnen-Verbände,—der eine in Aachen, der andere in Eupen,—mit zusammen 430 Mitgliedern, werden besonders genannt.869 Alles in allem dürften in Deutschland, von den Gründungen der bürgerlichen Frauenbewegung abgesehen, nicht mehr als 30000 Frauen gewerkschaftlich organisiert sein.

In Oesterreich ist die Organisation der Arbeiterinnen noch außerordentlich gering. Im Jahre 1892 wurden 4263, 1896 5761, 1899 9206 organisierte Frauen gezählt. Die verhältnismäßig starke Zunahme in den letzten drei Jahren ist auf die gesteigerte agitatorische Thätigkeit der Arbeiterinnen selbst zurückzuführen. Sie gründeten in Wien ein Frauenreichskomitee, an das sich in den Provinzstädten Sektionen angliedern, und deren Hauptzweck die Organisierung der Arbeiterinnen ist. Sie leiten eine systematische Agitation über ganz Oesterreich und werden zweifellos bald noch größere Erfolge aufweisen können. Immerhin erfährt auch die letzte Zählung der Organisierten insofern eine Einschränkung, als von den 9206 angegebenen Vereinsmitgliedern nur 5556 wirklichen Berufsvereinen angehören. Sie verteilen sich folgendermaßen870:
Organisation Weibliche
Mitglieder
Baugewerbe 104
Bekleidungsindustrie 433
Bergbau 187
Chemische Industrie 94
Eisen- und Metallindustrie 105
Galanterie 52
Glas- und keramische Industrie 949
Graphische Gewerbe 1147
Holzindustrie 36
Handel 58
Nahrungs- und Genußmittel 310
Lederindustrie 76
Textilindustrie 1950
Verschiedene Gewerbe 55

Aehnlich wie in Deutschland entschloß sich in England erst 1889 der Gewerkvereinskongreß zu Dundee dazu, die Notwendigkeit der Organisation der Arbeiterinnen grundsätzlich anzuerkennen und seine Unterstützung zuzusagen. Trotzdem entschlossen sich bisher von 1282 Gewerkvereinen nur 111 dazu, weibliche Mitglieder zuzulassen, ein eklatanter Beweis, wie festgewurzelt die Vorurteile gerade die englische Arbeiterschaft beherrschen, deren gewerkschaftliche Bewegung die älteste und die größte ist. Außer diesen 111 gemischten Gewerkvereinen giebt es noch 28 Vereine nur mit weiblichen Mitgliedern.871 Die Gesamtzahl der Organisierten betrug in den Jahren
1896: 117888
1897: 120254
1898: 116048
1899: 120448

Die englischen Arbeiterinnen sind demnach in stärkerem Maße an der gewerkschaftlichen Bewegung beteiligt, als die deutschen. Der Wert dieser höheren Zahlen verliert aber an Bedeutung, wenn wir nicht nur das Alter der gewerkschaftlichen Bewegung in Betracht ziehen,—schon 1824 waren viele Weberinnen von Lancashire Mitglieder des Gewerkvereins und zu Owen's Grand National strömten 1833—34 die Frauen872,—sondern uns auch erinnern, daß der Organisation der Frauen von seiten des Staats und der Behörden keinerlei Schwierigkeiten gemacht werden; selbst die Landarbeiter und die Dienstboten, die in Deutschland vom Koalitionsrecht so gut wie ausgeschlossen sind, können sich zu Gewerkvereinen zusammenthun. Im Verhältnis zu sämtlichen Arbeiterinnen ist die Zahl der Organisierten demnach sehr gering, sie beträgt nur 0,39%, im Verhältnis allein zu den Industriearbeiterinnen beträgt sie dagegen 8,22%. Was die Beteiligung der Arbeiterinnen je nach den Berufen an der Organisation betrifft, so stellt sie sich folgendermaßen dar:
Anzahl der
Gewerkvereine Anzahl der
Mitglieder Von 100 Arbeiterinnen
sind organisiert
Textilindustrie: 88 109076 19,70
Schuh- und Stiefelproduktion: 2 618 1,42
Bekleidungsindustrie: 11 1128 0,26
Hut- und Mützenindustrie: 2 2330 14,21
Druckerei, Papierfabrikation u. ähnl.: 7 763 1,51
Tabakindustrie: 4 2403 19,11
Andere Industrien: 25 4130 1,33

139 120448 8,22

Wir sehen aus vorstehender Tabelle, daß gegenüber der starken Organisation der Textilarbeiterinnen,—sie machen fast 91 % aller Organisierten aus,—sämtliche andere fast verschwinden. Außerordentlich gering ist die Zahl der Organisierten in der Bekleidungsindustrie. Hier finden wir auch unter 9 Gewerkvereinen fünf mit nur weiblichen Mitgliedern, deren kleinster 18 und deren größter 120 Mitglieder hat. Von den Landarbeiterinnen, von denen 1898 noch 14 Frauen zwei landwirtschaftlichen Vereinen angehörten und den Dienstboten, die 1897 noch einen Verein mit 122 Mitgliedern besaßen, ist heute keine einzige mehr organisiert.

In Frankreich ist die Organisierung der Arbeiterinnen sehr spät ernsthaft in Angriff genommen worden; ihre männlichen Berufsgenossen überließen sie gedankenlos sich selbst oder der Obhut kirchlicher Vereinigungen. Auch eine, überdies sehr mangelhafte Statistik der Arbeiterinnen in den Syndikaten giebt es erst für das Jahr 1900.873 Dabei stellte es sich heraus, daß 42984 Frauen Syndikaten als Mitglieder angehören. Da aber darunter auch die Mitglieder der Arbeitgeber-Verbände und diejenigen, die Vereinen von Unternehmern und Arbeitern angehören, verstanden werden, so ist es für unsere Zwecke notwendig, sie auszuscheiden. Denn als Gewerkschaften sind nur Arbeiterorganisationen anzuerkennen. Dies vorausgesetzt, bleiben 30975 weibliche Gewerkschaftsmitglieder in 254 Gewerkschaften übrig; von diesen sind 17 nur Frauengewerkschaften. Nach der Zahl der in den verschiedenen Berufen Organisierten ist ihre Zusammensetzung folgende874:
Berufsarten Zahl der Mitglieder
Tabakindustrie 10194
Textilindustrie 6802
Handelsgewerbe 4376
Eisenbahnangestellte 1611
Bekleidung 1597
Gärtnerei, Obstzucht 1000
Lederbearbeitung 746

26326

Der Rest besteht aus den Mitgliedern der verschiedenartigsten, z.T. winzigen Gewerkschaften, deren häufig außerordentlich geringer Umfang ein Charakteristikum des französischen, jeder Zentralisierung entbehrenden Gewerkschaftswesens ist. Die Frauengewerkschaften sind folgende:
Berufsarten Zahl der
Gewerkschaften Zahl der
Mitglieder
Tabakarbeiterinnen 4 1760
Federnschmückerinnen 1 300
Dienstboten 2 220
Typographen 1 210
Wäscherinnen 1 100
Stenographen 2 94
Kravattennäherinnen 1 89
Schneiderinnen 3 62
Blumenmacherinnen 1 53
Stickerinnen 1 36
Korsettnäherinnen 1 30

18 2954

Auch hier handelt es sich, wie wir sehen, um ganz unbedeutende Vereine, die nur mühsam ihr Leben fristen, meist mit Unterstützung der Damen der bürgerlichen Frauenbewegung, denen einige auch ihre Gründung verdanken. Da die französischen Arbeiterinnen sich ungehindert zu Vereinen mit den Männern und allein verbinden können, so ist das Ergebnis in jeder Beziehung ein klägliches: von 3-1/2 Millionen kaum 31000 organisiert!

Ueber die Beteiligung der Frauen an den Gewerkschaften der Vereinigten Staaten ist wenig in Erfahrung zu bringen. Der erste große Arbeiterverband auf gewerkschaftlicher Grundlage, die Knights of Labour, der 1870 ins Leben trat, nahm nach zehnjährigem Bestehen weibliche Mitglieder auf, und stellte sie den männlichen nicht nur völlig gleich, er eröffnete auch durch Aussendung weiblicher Agitatoren eine wirkungsvolle Propaganda unter den Arbeiterinnen.875 Schon nach wenigen Jahren zählte allein der Zweigverein von Massachusetts 6000 weibliche Mitglieder.876 Dem Einflüsse der Knights of Labour ist es wohl auch zuzuschreiben, daß die Gewerkschaften sich den Frauen gegenüber niemals ablehnend verhielten. So wurden sie von Anfang an in den großen Unionen der Typographen und der Cigarrenarbeiter zugelassen und nur sehr selten kommt es daher vor, daß sie selbständige Frauenvereine gründen.877 Wo es geschieht, ist es meist nur das Resultat bürgerlichen Einflusses. Vielfach haben die in den einzelnen Gewerben organisierten Frauen städtische Ausschüsse gegründet, in denen jedes Gewerbe durch Delegierte vertreten ist und die speziellen Fraueninteressen beraten werden. Auch ein allgemeiner amerikanischer Arbeitsverband der Frauen besteht, der den Zweck verfolgt, die Interessen der Arbeiterinnen und der Kinder zu vertreten und Klagen über Arbeitsverhältnisse zu untersuchen. Trotz der günstigen Lage aber, in der die amerikanischen Arbeiterinnen in Bezug auf die Möglichkeit gewerkschaftlichen Zusammenschlusses sich befinden, sind sie nur in sehr geringem Maße organisiert.878 Die beständige Einwanderung niedrig stehender Volkselemente, die die Sprache des Landes nicht kennen, die schlechtesten Arbeitsbedingungen ruhig acceptieren, und aus denen sich ein großer Teil der weiblichen Arbeiterschaft rekrutiert, sind die wesentliche Ursache hiervon.

Das Mittel der Selbsthilfe durch die gewerkschaftliche Organisation scheint nach alledem bei den Frauen fast ganz versagt zu haben. Weil dem überall so ist, müssen die Gründe dafür auch überall die gleichen sein. Wir haben sie zunächst in dem Widerstand der Männer und in der Jugend der gewerkschaftlichen Bewegung gefunden. Ein Beweis dafür ist der verhältnismäßig hohe Prozentsatz der englischen organisierten Textilarbeiterinnen: hier war der männliche Widerstand schon Anfang des 19. Jahrhunderts gebrochen; fast hundert Jahre ist demnach auch die Bewegung hier alt. Aber diese Gründe können unmöglich die einzigen sein, schon weil das späte Erwachen gewerkschaftlicher Interessen auf selten der Frauen selbst der Begründung bedarf. Ein Blick auf die gewerkschaftliche Bewegung der Männer dient schon zur Erklärung: teils ist sie eine moderne Fortsetzung der alten Gesellenverbände und ähnlicher Vereinigungen, an denen Frauen fast niemals teilnahmen, teils ist sie den Bedürfnissen der in der Großindustrie zusammengedrängten Arbeiter entsprungen. So stark nun auch das Vordringen der Frauen in der Großindustrie sein mag, sie stehen bei weitem hinter den Männern zurück, und nehmen eine beherrschende Stellung nur in wenigen Industrien ein. Wo sie es thun, wie in der Textilindustrie, in der französischen Tabakindustrie, die infolge des Staatsmonopols die Hausindustrie auf diesem Gebiet fast ganz verdrängt hat, sind sie, wie wir gesehen haben, gewerkschaftlich am zahlreichsten organisiert. Und am schlechtesten ist es da um die Organisation bestellt, wo die Hausindustrie vorherrscht, z.B. in allen Bekleidungsgewerben und wo die Arbeiterin vereinzelt arbeitet, wie im häuslichen Dienst, und zum Teil in der Landwirtschaft. Nicht nur, daß die Arbeiterin hier abgeschnitten ist von dem Einfluß sozialer Bewegungen, daß sie als Heimarbeiterin oder als Dienstmädchen schwer zu dem Bewußtsein solidarischer Verbindung mit ihren Arbeitsgenossen gelangt, sie lebt auch—und das ist ein Moment, das nie genügend hervorgehoben wird—in fast völliger Abgeschlossenheit von dem männlichen Arbeiter, dem Hauptvermittler politischer und gewerkschaftlicher Aufklärung. Je mehr nun die Tendenz dahin geht, in der Industriearbeit eine Geschlechtstrennung vorzunehmen, desto schwerer wird dieser Umstand ins Gewicht fallen, denn infolge der Stellung der Frau im wirtschaftlichen und sozialen Leben ist sie bei weitem nicht so organisationsfähig als der Mann. Die Arbeit ist für ihn der einzige Beruf; die Frau ist zwar gezwungen, mit ihm um die Wette atemlos dem Erwerbe nachzujagen, aber sie hat nebenbei noch so viele Wege zu machen, daß sie nicht nur hinter ihm zurückbleibt und früh erlahmt, sondern auch nicht die mindeste Zeit hat, über ihre Lage und die Bedingungen ihrer Arbeit irgendwie nachzudenken. Sie ist nicht nur Arbeiterin geworden, sie blieb Hausfrau. Sie ist aber auch Mutter. Während der Mann sich in Versammlungen aufklärt, sich mit seinen Kameraden verständigt, Bücher und Zeitungen liest, hat sie zu kochen, zu nähen, zu flicken, Kinder zu pflegen, zu erziehen und zu beaufsichtigen; und um der Kinder willen wird sie sogar häufig zu einer heftigen Gegnerin der Gewerkschaft, die Beiträge von ihr fordert, die sie so notwendig für die Befriedigung ihrer Bedürfnisse braucht, die sie sogar zur Arbeitseinstellung nötigen kann. Und ebenso wie sie die alte Hausfrauenthätigkeit in ihr modernes Erwerbsleben mit hinübernahm, so hat sie auch alte Träume und Traditionen nicht abzuschütteln vermocht. Fast jedes junge Mädchen erwartet die Ehe wie etwas, das ihr ganzes Leben ausfüllen und in Anspruch nehmen wird. Die junge Arbeiterin bildet darin keine Ausnahme: ihre Arbeit ist für sie kein Lebensberuf, sondern nur die Durchgangsstation zu dem eigentlichen Beruf, der Ehe. Infolgedessen hat sie kein Interesse an der Gewerkschaft und giebt das Geld, das in den Beiträgen angelegt werden müßte, lieber für ein wenig Putz und Tand aus, um ihre Person vor dem Erlöser, den Mann, möglichst verführerisch zu gestalten. Damit sind die Schwierigkeiten, die der Organisierung der Frauen entgegenstehen, aber noch nicht erschöpft.

Wir haben gesehen, daß die Frauen infolge ihrer schlechten Ausbildung und ihrer körperlichen Veranlagung sehr häufig nach Qualität oder Quantität geringwertigere Arbeit leisten. Die Gewerkschaft verlangt aber von ihren Mitgliedern Einhaltung der Gewerkschaftsbedingungen, z.B. des Lohntarifs, der jedoch wieder seinerseits eine gewisse Höhe der Leistungsfähigkeit voraussetzt. So entschloß sich der Verein Londoner Setzer, Frauen zu gleichen Bedingungen aufzunehmen wie Männer, infolgedessen hat er nur ein einziges weibliches Mitglied, weil die anderen nicht im stande sind, diese Bedingungen zu erfüllen. Ebenso erklärten die französischen Typographen, Frauen aufnehmen zu wollen, wenn sie den Lohntarif acceptierten,—es fand sich keine einzige, die das vermochte, teils weil ihre Leistungen nicht dem entsprechen, teils weil die Unternehmer in der Frauenarbeit nur die billige Arbeit suchen. Wenn daher manche Gewerkvereine sich den Frauen verschließen, wie der der englischen Bürstenmacher, der Perlmutterknopfarbeiter oder der Kettenaufbäumer und Zwirner, so geschieht es in der Annahme, daß der Eintritt der Frauen ein Herunterdrücken der Gewerkschaftsbedingungen notwendig nach sich ziehen müsse.879 Wie berechtigt das ist, sehen wir daran, daß die Lohnsätze der Industrien mit starker Frauenbeteiligung sich nach den Frauenlöhnen und nicht nach den Männerlöhnen zu regeln pflegen.

Mit welchen Mitteln sind diese Schwierigkeiten zu besiegen, ist überhaupt Aussicht vorhanden, daß unter den herrschenden wirtschaftlichen Verhältnissen eine nennenswerte Organisation der Arbeiterinnen sich wird ermöglichen lassen? Das sind die Fragen, die uns zunächst aufstoßen. Die Geschichte der Gewerkschaftsbewegung hilft sie beantworten. Die Entwicklung zur Großindustrie war die Grundlage, auf der die Organisationen der Männer entstehen und erstarken konnten. Die Frauen stehen aber heute im Erwerbsleben etwa auf dem Standpunkt, den die Männer vor hundert Jahren einnahmen. Die Frauenarbeit zu einer wesentlich großindustriellen zu gestalten, die Heimarbeit in jeder Form zu unterdrücken, ist daher eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Organisierung der Arbeiterinnen.

Was aber ferner die männlichen Arbeiter antreibt, sich zur Erkämpfung besserer Arbeitsbedingungen zusammen zu scharen, ist der Umstand, daß ihr Beruf die einzige Grundlage ihrer Existenz bildet, deren schlechtere oder bessere Gestaltung allein von ihm abhängt. Will man die Frau organisationsfähig machen, so gilt es, ihre Selbständigkeit im Erwerbsleben sowohl in rechtlicher wie in sozialer Hinsicht zu fördern. Unterdrückung der Heimarbeit ist auch hier das Losungswort, denn sie unterstützt die Unselbständigkeit, indem sie den Frauen ermöglicht, als Haustöchter und Hausfrauen einem Nebenerwerb nachzugehen. Die geringere Leistungsfähigkeit der Frau ist ein weiteres ernstes Hindernis ihrer Organisierung. Da gilt es denn nicht nur ihre Arbeitskraft durch ausreichende Vorbildung zu einer möglichst vollkommenen zu gestalten, sondern Mittel und Wege zu finden, um die auch dann noch zurückbleibende Differenz zwischen der ihrigen und der des Mannes möglichst auszugleichen. Englische Arbeiterinnen haben dieser Schwierigkeit gegenüber häufig die Ansicht vertreten, daß für Frauen besondere Lohntarife aufgestellt werden sollten, ein Ausweg, der auf die Irrwege der Nur-Frauengewerkschaften führen würde. Annehmbarer schon erscheint die Vereinbarung der Strumpfwirkergewerkschaft, wonach die Frauen die leichten Maschinen, die Männer die schweren zu bedienen hätten, und jede Konkurrenz dadurch im Keime erstickt würde. Es liegt aber zugleich eine Ungerechtigkeit in diesem Beschluß, da die Arbeit an den leichten Stühlen geringer entlohnt wird und auch solche Frauen zu ihr gezwungen sind, die über ausreichende Kräfte zur Bedienung der schweren verfügen. Am richtigsten verfuhren die Weber von Lancashire, die eine feste, für Männer und Frauen gleichmäßig gültige Stücklohnpreisliste aufstellten. Infolgedessen trat allerdings nach und nach von selbst eine Sonderung der Geschlechter ein, indem die Frauen an den schmalen, die Männer an den breiten Stühlen arbeiteten. Die Bewerber um die Arbeit scheiden sich aber nicht nach dem Geschlecht, sondern nach der Stärke und der Geschicklichkeit; eine starke Frau kann daher ebenso einen breiten, wie ein schwacher Mann einen schmalen Stuhl zu bedienen haben.880 Die Aufstellung fester Lohntarife in allen Gewerkschaften wird daher die schädigende Wirkung weiblicher Mitgliedschaft erst aufheben und den Eintritt der Frauen ermöglichen können.

Die gewerkschaftliche Entwicklung hat ferner gezeigt, daß die gut bezahlten Arbeiter sich am raschesten und entschiedensten organisieren, während die sozial tiefstehenden, geistig rückständigen diejenigen sind, die durch völligen Mangel an Solidaritätsgefühl vereinzelt bleiben und jeder für sich versuchen, dem Höherstehenden Schmutzkonkurrenz zu machen. Auf dem Standpunkt der sozial tiefstehenden, schlecht entlohnten Arbeiter stehen aber die Frauen. Ihre demütig-stumpfsinnige Bedürfnislosigkeit, die sie nicht weiter sehen läßt, als über den engen Horizont ihrer eigenen vier Wände und der Befriedigung des rein physischen Hungers, mit allen Mitteln zu bekämpfen, gehört zu den weiteren wichtigen Aufgaben der gewerkschaftlichen Bewegung. Um sie aber aufzuklären, muß zunächst die Möglichkeit gegeben sein, daß diese Aufklärung sie überhaupt erreicht, d.h. sie müssen Zeit haben, um Versammlungen zu besuchen, Zeitungen und Bücher zu lesen. Die Entlastung der erwerbsthätigen Frau von der häuslichen Arbeit, die Verkürzung ihrer Arbeitszeit im Beruf, erweist sich daher als unbedingte Notwendigkeit, wenn eine Einbeziehung der weiblichen Arbeiter in die Gewerkschaften erreicht werden soll. Vor allem aber muß auch die Möglichkeit dazu durch ein gesichertes Koalitionsrecht ihnen gegeben sein.

Der zweite Weg der Selbsthilfe, den die Lohnarbeiter nächst dem der Gewerkschaft beschreiten können, ist der der Genossenschaft. In dem einen Fall ist die Erhöhung des Einkommens eines der wichtigsten Ziele, in dem anderen die billigere Beschaffung der Lebens- und Wirtschaftsbedürfnisse. Unter den vielen Arten der Genossenschaften kommen für die Arbeiter die Konsum- und Baugenossenschaften in erster Linie in Betracht. Es waren ja auch Arbeiter,—arme englische Weber,—die die Bahnbrecher der großen englischen Genossenschaftsbewegung gewesen sind. Eine irgendwie hervortretende, oder gar führende Rolle haben die Frauen nicht darin gespielt, obwohl sie als Konsumenten, als Hausfrauen, wesentlich daran interessiert sein sollten. Erst 1883 wurde in England ein Verein weiblicher Genossenschafter gegründet, dessen Zweige mit den Konsumvereinen in Verbindung stehen, und der lediglich den Zweck hat, die Frauen für die Genossenschaften zu interessieren. Es ist ihm gelungen, 284 Zweigvereine ins Leben zu rufen, die 13000 Mitglieder haben. Auch in Frankreich, wo die Bewegung erfreuliche Fortschritte macht, sind einige kleine Vereine ähnlicher Art entstanden; in Deutschland existiert nicht nur nichts dergleichen, auch die Teilnahme der Frauen an den Genossenschaften selbst ist eine äußerst matte. Lassalles Ansicht, daß die Konsumvereine eine Lohnherabsetzung zur Folge haben würden, spukt, obwohl sie längst durch die Praxis widerlegt wurde, wohl noch in den Köpfen, vor allem aber zeigt sich auch hier, was wir bei der Gewerkschaftsbewegung gesehen haben, daß sozial tiefstehende, schlecht entlohnte Arbeiter für sie nicht zu haben sind, und daß deshalb die Frauen im großen und ganzen ihr fern bleiben und ihr verständnislos und mißtrauisch gegenüberstehen. Nur wo sie durch höheren Lohn und kürzere Arbeitszeit eine gewisse soziale Höhe erreicht haben, werden sie im stande sein, auch diesen Weg der Selbsthilfe zu beschreiten.

Wir sehen also, daß zwei der wichtigsten Ziele der Organisierung zugleich ihre Mittel sind. Als Mittel aber fallen sie für die Frauen weit entscheidender ins Gewicht als für die Männer, weil die weibliche Arbeit noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung steht und durch tief eingreifende, mit dem mütterlichen und dem häuslichen Beruf der Frau zusammenhängende Hindernisse gehemmt wird. Infolgedessen kann eine bloße gewerkschaftliche Agitation und Aufklärung bei den Frauen nicht annähernd den Erfolg haben, wie bei den Männern, es müssen ihr vielmehr gesetzliche Reformen vorausgehen und zu Hilfe kommen. Die Weberinnen von Lancashire waren vor dem Schutzgesetz ebenso ausgebeutet und organisationsunfähig, wie heute die Mehrzahl der Arbeiterinnen. Erst nachdem ihnen durch das Gesetz untersagt wurde, auf schlechte Arbeitsbedingungen einzugehen, begannen sie, den Gewerkschaften und Genossenschaften beizutreten.881

Die Erkenntnis der Notwendigkeit gesetzlicher Reformen zwang die politisch rechtlosen Frauen dazu, sich nach einer Vertretung ihrer Interessen umzusehen, die sie dort fanden, wo ihre männlichen Arbeitsgenossen sie gefunden hatten: im Sozialismus und seinem praktisch-politischen Ausdruck, der Sozialdemokratie. Solange der Arbeiter mit all seinen Ideen und Instinkten der bürgerlichen Begriffswelt angehört hatte und überzeugt gewesen war, daß alle Erscheinungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens von außen willkürlich gemacht werden, konnte er des Glaubens sein, daß die Frauenarbeit sich einfach wieder aus der Welt schaffen ließe; dem modernen wissenschaftlichen Sozialismus, wie Marx und Engels ihn begründeten, blieb es vorbehalten, die ökonomischen Ursachen und Zusammenhänge alles Geschehens aufzudecken, und festzustellen, daß auch die Frauenarbeit ein notwendiges Ergebnis der herrschenden kapitalistischen Produktionsweise ist, man sich daher mit ihr als mit einer gegebenen Thatsache abzufinden hat und es sich nur darum handelt, "die Stellung der Weiber als bloßer Produktionsinstrumente aufzuheben"882, d.h. sie ebenso wie den Arbeiter nicht von der Arbeit, sondern von der Lohnsklaverei zu befreien. Vom Standpunkt des Sozialismus aus haben die Frauen den Kampf um ihre Interessen nicht mehr als Geschlechtsgenossinnen zu führen, sondern als Genossinnen der unterdrückten und beherrschten Arbeiterklasse, mit der sie sich solidarisch fühlen müssen, weil sie unter den gleichen Arbeits- und Existenzbedingungen leiden und im Kampf um die Befreiung aufeinander angewiesen sind. An alle Arbeiter, ohne Unterschied des Geschlechts, ergeht der Ruf, mit dem das kommunistische Manifest schließt: Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Es war der erste klare Ausdruck der modernen sozialen Entwicklung, die zwischen den Interessen der bürgerlichen Gesellschaft und dem des Proletariats eine ungeheuere Kluft gegraben hat, es war aber auch die erste öffentliche Mündigkeitserklärung der Frau, die durch Arbeit und Not mündig geworden war.

In den Programmen der sozialdemokratischen Parteien aller Länder nimmt die Emanzipation der Frau daher einen breiten Raum ein, und in den Parteiorganisationen ist ihnen, soweit die Gesetze es zulassen, volle Gleichberechtigung eingeräumt worden. Sie haben Sitz und Stimme in den Kongressen, sie sind Mitglieder der Vorstände, sie teilen sich mit den Männern auch in die politische Agitation und haben infolgedessen einen weitgehenden Einfluß auf die Haltung der Partei gewonnen.

Der deutschen Arbeiterinnenbewegung gebührt der Ruhm, sich zuerst und mit aller Entschiedenheit der Sozialdemokratie angeschlossen zu haben. Daß es in so unzweideutiger Weise geschah, war nicht zum wenigsten den polizeilichen Verfolgungen und Vereinsauflösungen zu verdanken, die, wie wir gesehen haben, die ersten, zunächst rein wirtschaftlichen Bestrebungen der Arbeiterinnen gewaltsam zu unterdrücken suchten. Die Frauen sahen sich gradezu gezwungen, da sie keine Vereine mehr hatten und selbst öffentliche Frauenversammlungen verboten wurden, an der allgemeinen Arbeiterbewegung teil zu nehmen. Sie fanden hier ihre natürlichen Bundesgenossen. Schon 1869, auf dem Arbeiterkongreß in Eisenach, kam es zu einer längeren Erörterung der Frauenarbeit, und die damals noch allgemein herrschende Feindschaft der Männer gegen die weiblichen Konkurrenten äußerte sich in einem Antrag, der die Abschaffung der Frauenarbeit zum Programmpunkt der Partei machen wollte. Er wurde jedoch mit der Begründung abgelehnt, daß das Ziel, das er im Auge habe, nicht erreicht werden könne, und jede Unterdrückung der Frauenarbeit die auf den Erwerb angewiesenen Frauen nur scharenweise der Prostitution in die Arme treiben würde. Die gefährliche Konkurrenz der Frauen aber ließe sich beseitigen: durch ihre Organisation mit den Männern, durch die Erweckung des Klassenbewußtseins in ihnen und die Erhebung des Weibes zur gleichstehenden Genossin. Diesen Grundsätzen ist die Partei treu geblieben; ihre Befestigung aber und ihr Ausbau ist wesentlich der Teilnahme der Frauen an ihrer Thätigkeit und ihrer Entwicklung zu verdanken.

Die ersten Arbeiterinnenvereine, die noch in völliger Unkenntnis der Handhabung der Gesetze ihnen gegenüber sich ziemlich eng an die Partei anschlossen, entstanden Anfang der siebziger Jahre. Ihre Mitglieder waren zugleich die ersten Frauen Deutschlands, die sich 1874 an der Wahlbewegung durch unermüdliche, opferfreudige Agitation beteiligten. Die Behörden beantworteten ihr Vorgehen mit der Auflösung sämtlicher Vereine, die sozialdemokratische Partei, die ihre wachsende Stärke auch ihnen zu verdanken hatte, mit dem ersten ausführlichen Antrag zur Abänderung der Gewerbeordnung, den sie 1877 im Reichstag einbrachte, und der zur Hebung der Lage der Arbeiterinnen Beschränkung der Arbeitszeit, Schutz der Wöchnerinnen und Schwangeren, Verbot der Nachtarbeit, der Arbeit unter Tage, auf Hochbauten und an im Gange befindlichen Maschinen forderte.883 Die sozialdemokratischen Frauen erweiterten diese Vorschläge, indem sie die zuerst von ihnen allein aufrecht erhaltene Forderung der Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren erhoben. Die Reichstagsfraktion ihrer Partei machte sie zu der ihren und verlangte demgemäß 1884 die Hinzuziehung weiblicher Beamten zur Gewerbeaufsicht. Das Wahlrecht zu den Gewerbegerichten war ein ferneres Ziel der Arbeiterinnenbewegung. Als im Jahre 1890 die Regierung einen Gesetzentwurf zur Abänderung der Gewerbeordnung dem Reichstag vorlegte, stellte die sozialdemokratische Partei ihm einen anderen gegenüber, der für die Frauen das Wahlrecht zu den von ihr geplanten Arbeitskammern in Aussicht nahm. Nach der Ablehnung ihres Entwurfs beantragte sie noch in derselben Session, daß den Arbeiterinnen das aktive und das passive Wahlrecht zu den Gewerbegerichten zuerkannt werde.

Eines der bedeutsamsten Ereignisse aber, das geeignet war, den sozialistischen Charakter der deutschen Arbeiterinnenbewegung zu befestigen, war das Erscheinen von August Bebels Buch "Die Frau und der Sozialismus". An der Hand der Entwicklungsgeschichte und der Statistik wurde hier zum erstenmal der notwendige Zusammenhang der Frauenfrage mit der sozialen Frage dargestellt und bewiesen, daß erst die wirtschaftliche Befreiung der Frau ihre Emanzipation vollenden könne. Die Wirkung dieses Buchs ging bald über Deutschlands Grenzen weit hinaus und hat nicht nur die Frauenfrage in ein neues Licht gerückt, sondern allmählich die Ansichten über ihre Lösung von Grund aus umwandeln helfen.

Die durch alle diese Einflüsse immer mehr erstarkende Arbeiterinnenbewegung bedurfte nun auch einer Organisation, da sie an dem politischen Vereinsleben der Männer infolge der gesetzlichen Beschränkungen nicht teilnehmen konnte. So wurden 1891 allerorten sogenannte Agitationskommissionen gegründet, deren Aufgabe es war, die Agitation unter dem weiblichen Proletariat zu einer einheitlichen und planmäßigen zu gestalten. In der "Arbeiterin" erstand im selben Jahre der Bewegung ein Organ, das zuerst von Frau Emma Ihrer geleitet wurde und später unter dem Titel "Die Gleichheit" in die Hände von Frau Klara Zetkin überging. Der steigende Einfluß der Frauen drückte sich in den Beschlüssen des Erfurter Parteitags aus. In dem Programm, das er aufstellte, und das bis jetzt die Richtschnur der Partei geblieben ist, wurde die Frauenfrage eingehend behandelt. Neben die alten Forderungen für den Arbeiterinnenschutz traten die neuen der Abschaffung aller Gesetze, welche die Frau in öffentlich-und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen und die freie Meinungsäußerung und das Recht der Vereinigung und Versammlung einschränken oder unterdrücken, der rechtlichen Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten mit den gewerblichen Arbeitern, der Abschaffung der Gesindeordnungen. Gleichsam ein Echo dieser Beschlüsse war es, wenn im selben Jahre seitens der Behörden eine wahre Razzia unter den neu entstandenen Arbeiterinnenvereinen abgehalten wurde; in Frankfurt und in Halle wurden sie zuerst aufgelöst. Das war jedoch nur ein Vorspiel zu dem, was noch kommen sollte. Die Arbeiterinnenbewegung, die ganz dazu angethan war, revolutionierende Ideen bis in den Schoß der Familie zu tragen, war den Behörden ein Dorn im Auge. Sie sahen, wie die Frauen mehr und mehr allen politischen Tagesfragen gegenüber Stellung nahmen, wie sie 1893 bei Gelegenheit der Neuwahlen, die unter dem Zeichen der Militärvorlage standen, eine fast fieberhafte Thätigkeit entfalteten. Jeder Arbeiterinnenverein erschien ihnen verdächtig, am verdächtigsten aber die Agitationskommissionen. Im Jahre 1895 wurden sie und sämtliche Vereine aufgelöst, ihre Leiterinnen unter Anklage gestellt und bestraft. Die Antwort auf diese neue Verfolgung war eine über ganz Deutschland sich erstreckende Agitation für die Reform des Vereins- und Versammlungsrechts, das für die Frauen, soweit sie sozialistischer Gesinnung verdächtig sind, nichts als ein großes Unrecht ist. Die politischen Vertreter der Partei waren auch jetzt die Vertreter der Arbeiterinnen, indem sie im Reichstag die volle Koalitionsfreiheit für die Frauen forderten.

Um die Arbeiterinnenbewegung nicht völlig dem Zufall zu überlassen, kam man nach der Vernichtung der Agitationskommissionen zu dem Ausweg, weibliche Vertrauenspersonen zu wählen, die nunmehr die Leitung und das systematische Vorgehen bei der Agitation in Händen haben. Es stehen ihnen eine Anzahl weiblicher Agitatoren, zumeist aus den Kreisen der Arbeiterinnen selbst zur Verfügung, die mit großer Ausdauer fast ständig auf Reisen sind, um bis in die fernsten und kleinsten Winkel des Reichs die Ideen des Sozialismus zu tragen. Der im Kampf ums Dasein abgehärtete Körper, der von einer oft wahrhaft apostolischen Begeisterung für ihre Sache erfüllte Geist hebt sie über alle Chikanen und Verfolgungen der Behörden, über alle Gehässigkeit und alle Verachtung der bürgerlichen Gesellschaft hinweg. Weniger als früher haben ihre Reden allgemeine politische Tagesfragen zum Inhalt. In der richtigen Erkenntnis, daß es gilt, alle Kräfte auf bestimmte Punkte zu konzentrieren, wenn etwas erreicht werden soll, haben die Parteitage zu Hannover 1899 und der zu Mainz 1900 der Frauenagitation den Weg vorgeschrieben. Die Arbeiterinnenbewegung hat sich dabei als nächste Aufgabe den Arbeiterinnenschutz zum Inhalt gegeben. Die in Hannover aufgestellten Forderungen sind im Hinblick hierauf die folgenden884:

1) Absolutes Verbot der Nachtarbeit für Frauen. 2) Verbot der Verwendung von Frauen bei allen Beschäftigungsarten, welche dem weiblichen Organismus besonders schädlich sind. 3) Einführung des gesetzlichen Achtstundentages für die Arbeiterinnen. 4) Freigabe des Sonnabendnachmittags für die Arbeiterinnen. 5) Ausdehnung der Schutzbestimmungen für Schwangere und Wöchnerinnen auf mindestens einen Monat vor und zwei Monate nach der Entbindung; Beseitigung der Ausnahmebewilligungen von diesen Bestimmungen auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses. 6) Ausdehnung der gesetzlichen Schutzbestimmungen auf die Hausindustrie. 7) Anstellung weiblicher Fabrikinspektoren. 8) Sicherung völliger Koalitionsfreiheit für die Arbeiterinnen. 9) Aktives und passives Wahlrecht der Arbeiterinnen zu den Gewerbegerichten.

In der Frauenkonferenz, die im Anschluß an den Mainzer Parteitag stattfand, wurde diesen Beschlüssen noch der hinzugefügt, neben der mündlichen, auch eine schriftliche Agitation für den Arbeiterinnenschutz durch Flugblätter und Broschüren zu entfalten. In derselben Versammlung wurde das System der Vertrauenspersonen, an deren Spitze eine Zentralvertrauensperson mit dem Sitz in Berlin steht, durch Bestimmungen über die Art ihrer Thätigkeit noch einheitlicher ausgebaut und der wichtige Beschluß gefaßt, daß überall dort, wo die Vereinsgesetze dem nicht entgegenstehen, die weiblichen Vertrauenspersonen von den Organen der allgemeinen Bewegung zu allen Arbeiten und Sitzungen hinzuzuziehen sind.885

Fragen wir nach den Erfolgen der politischen Seite der deutschen Arbeiterinnenbewegung, so läßt sich eine zahlenmäßige Antwort, wie bei der Erörterung ihrer gewerkschaftlichen Seite nicht geben. Sie kann weder die ihren Ideen gewonnenen Frauen zählen, wie die bürgerliche Frauenbewegung die Mitglieder ihrer Vereine, noch wie die männlichen Genossen durch die bei der Reichstagwahl abgegebenen Stimmen. Der einzig richtige Maßstab, an dem sie gemessen werden können, ist die Gesetzgebung und die öffentliche Meinung. Dabei sei zunächst an folgende Thatsachen erinnert: das erste energische Auftreten der Arbeiterinnenbewegung war der Kampf gegen den Nähgarnzoll; die Regierungsvorlage wurde abgelehnt, und infolge der durch die Arbeiterinnen und ihre Presse aufgedeckten traurigen Zustände in der Konfektion, jene amtliche Enquete veranstaltet, die zur Verschärfung der Truckgesetze führte. Wenige Jahre später leiteten Berliner Sozialdemokratinnen die erste Kellnerinnenbewegung. Das allgemeine Entsetzen über das was sie zu Tage förderte, führte zu der sich durch Jahre hinziehenden Untersuchung der Lage der Gastwirtsgehilfen durch die Kommission für Arbeiterstatistik, und zu den jetzt zur Beratung stehenden Vorschlägen für eine Schutzgesetzgebung. Der große Konfektionsarbeiterstreik 1896, der die bürgerliche Gesellschaft zwang, in Tiefen des Elends einen Blick zu thun, über die sie bisher achtlos fortgeschritten war, nötigte abermals zu eingehenden Untersuchungen und zu dem ersten Versuch gesetzlicher Regelung der Hausindustrie. Aber mehr noch: da die Arbeiterinnenbewegung Deutschlands durchaus identisch ist mit der Arbeiterbewegung und ihr Einfluß auf die Haltung der sozialdemokratischen Partei unverkennbar ist, so sind die Fortschritte gesetzlichen Arbeiterschutzes, so gering sie auch sein mögen, mit ein Erfolg ihrer agitatorischen Thätigkeit. Die Anträge, die die Fraktion 1877 nach dieser Richtung stellte und die mit überwältigender Majorität abgelehnt wurden, erschienen 13 Jahre später zum großen Teil in der Regierungsvorlage wieder, die zur Annahme gelangte. Wenn Fürst Bismarck gesagt hat, daß wir ohne die Sozialdemokratie auch das bißchen Sozialreform nicht hätten, was wir besitzen, so können wir hinzufügen, daß wir einen Teil von ihr ohne die Mitarbeit der Frauen auch nicht haben würden.

Diese Erfolge aber schrumpfen bedenklich zusammen, wenn wir sie der Lage der Arbeiterinnen gegenüberstellen: sie erscheinen nicht viel anders wie ein schwaches Kerzenlicht in der Dachkammer eines ungeheuren dunklen Schlosses. Und vergegenwärtigen wir uns weiter, welch eine Macht die Millionen proletarischer Arbeiterinnen ausüben könnten, wie sie im stande wären, in die Nacht ihrer Existenz das helle Licht des Tages zu tragen, wenn sie alle einig unter einem Banner zusammen stünden,—so erkennen wir, daß wir überhaupt erst am Anfang der Bewegung stehen, und es drängt sich uns die Frage auf, welche Mittel sie zu ergreifen hat, um vorwärts zu kommen. Es sind sowohl solche negativer, als positiver Art. Betrachten wir zunächst die negativen.

Es bedeutet in jeder Beziehung eine Selbstaufgabe, wenn die Arbeiterinnenbewegung den Charakter der Frauenbewegung im bürgerlichen Sinne annimmt. Soweit sie eine selbständige Existenz neben der Arbeiterbewegung besitzt, ist es keine, aus der Entwicklung der Frauenarbeit sich ergebende Notwendigkeit, wie in der bürgerlichen Welt, sondern nur ein Notbehelf, zu dem sie vielfach durch die rechtliche Stellung, besonders der deutschen Frau, gezwungen wird. Wo ein direkter Zwang nicht vorliegt, ist jede Nur-Frauenorganisation in der Arbeiterinnenbewegung vom Uebel. Dahin gehören z.B. die vielen in Deutschland und Oesterreich entstandenen Arbeiterinnen-Bildungsvereine, dahin gehören die selbständigen sozialistischen Frauenkongresse, wie sie in Belgien schon zweimal abgehalten wurden, dahin gehören vor allem die Frauengewerkschaften, wie sie neuerdings besonders von den radikalen französischen Frauenrechtlerinnen angestrebt werden. Eine sich ihrer Grundlagen und ihrer Ziele klar bewußte Arbeiterinnenbewegung hat diese Art der Organisierung nur da zu gestatten, wo es sich bei Gewerkschaften um ausschließliche Frauenberufe, oder bei Bildungsvereinen um solche Orte handelt, wo überhaupt gar kein anderer, den Arbeiterinnen zugänglicher Verein besteht. Grundsätzlich aber sollte sie sich ihnen gegenüber stets ablehnend verhalten, denn sie können am letzten Ende nur verwirrend wirken und jenen einseitigen Frauenstandpunkt groß ziehen, der das Solidaritätsgefühl zwischen Arbeiter und Arbeiterin, die wichtigste Voraussetzung für einen erfolgreichen Kampf des Proletariats, nicht aufkommen läßt. Die selbstverständliche Konsequenz dieses Standpunktes ist natürlich auch die Ablehnung jeder gemeinsamen Arbeit mit der bürgerlichen Frauenbewegung. Darunter verstehe ich den Eintritt in oder den Zusammenschluß mit bürgerlichen Frauenvereinen einerseits, oder die Zulassung bürgerlicher Frauenrechtler in Arbeiterinnenvereine andererseits. Wie reaktionär beides wirkt, dafür liefert England und Frankreich Beispiele genug: die zahlreichen, von Damen der bürgerlichen Gesellschaft geleiteten Arbeiterinnenklubs, Ferienkolonien und dergl. sind zweifellos eine der Ursachen für die politische Rückständigkeit der englischen Arbeiterinnen, ebenso wie die Einmischung der französischen Frauenrechtler in die Arbeiterinnenbewegung fast einer Zerstörung gleichkommt. Völlig abzulehnen ist daher auch die Thätigkeit bürgerlicher Frauen in Gewerkschaften, die man vielfach selbst in Arbeiterkreisen für unbedenklich hält. Sie wird fast immer in Bevormundung ausarten. Die deutsche Arbeiterinnenbewegung hat die Gemeinschaft mit der bürgerlichen Frauenbewegung stets am schroffsten abgelehnt. Aber weder deren Feindseligkeit gegenüber den sozialdemokratischen Arbeiterinnen, wie sie sich bei Gelegenheit der Gründung des Bundes deutscher Frauenvereine dokumentierte, noch ihre Gleichgültigkeit, die am drastischsten in dem Auflösungsjahr 1895 hervortrat, wo es niemandem einfiel die behauptete Solidarität mit den "ärmeren Schwestern" in der Form energischer Proteste einmal durch die That zu beweisen, bot die Veranlassung dazu, sondern vielmehr die klare Erkenntnis der völligen Differenz der beiden Bewegungen zu Grunde liegenden Weltanschauungen, die Verschiedenheit ihrer Ausgangspunkte, sowohl wie ihrer Ziele.886 Diese Differenz fand in einer auf dem Parteitag zu Gotha angenommenen Resolution ihren prägnanten Ausdruck, in der es unter anderem heißt887:

"Als Kämpferin im Klassenkampf bedarf die Proletarierin ebenso der rechtlichen und politischen Gleichstellung mit dem Manne, als die Klein- und Mittelbürgerin und die Frau der bürgerlichen Intelligenz. Als selbständige Arbeiterin bedarf sie ebenso der freien Verfügung über ihr Einkommen (Lohn) und ihre Person als die Frau der großen Bourgeoisie. Aber trotz aller Berührungspunkte in rechtlichen und politischen Reformforderungen hat die Proletarierin in den entscheidenden ökonomischen Interessen nichts Gemeinsames mit den Frauen der anderen Klassen. Die Emanzipation der proletarischen Frau kann deshalb nicht das Werk sein der Frauen aller Klassen, sondern ist allein das Werk des gesamten Proletariats ohne Unterschied des Geschlechts."

Kommen wir nun, im Anschluß hieran, zu den positiven Mitteln, deren sich die Arbeiterinnenbewegung bedienen muß, so ist eines der wichtigsten, die Ausbreitung ihrer propagandistischen Thätigkeit über alle Kreise weiblicher Lohnarbeiter. Solange eine Bewegung sich in der Entwicklung befindet, ist es eine ihrer Lebensbedingungen, sich zunächst in sich zu konsolidieren, sich über die eigenen Zwecke und Ziele klar zu werden, jede Berührung mit einem fremden Element unbedingt auszuschließen. Die sozialdemokratische Partei ist nicht anders verfahren und der Erfolg beweist, daß ein Zuviel nach dieser Richtung immer besser ist als ein Zuwenig. Es ist wie mit dem Menschen: Elternhaus und Schule entlassen ihn erst dann, wenn sein Charakter und seine Bildung soweit gefestigt erscheint, daß man glaubt, ihn ruhig allein in die Welt hinaus gehen lassen zu können, ohne fürchten zu müssen, daß sie ihn zu Grunde richtet. Auch die Arbeiterinnenbewegung hat die Kinderschuhe ausgetreten, sie kann ihr Wesen nicht mehr verändern, wohl aber vermag sie es anderen aufzuprägen; sie steht fest auf eigenen Füßen, sie bedarf keiner Hilfe Außenstehender, um vorwärts zu kommen. Aus diesem Gefühl ihrer Kraft heraus sollte sie nun aber auch ihren Einfluß überall, wo die Wege dazu offen stehen, zur Geltung zu bringen suchen. Auch in der bürgerlichen Frauenbewegung; nicht weil die Arbeiterinnen etwa ihrer Hilfe bedürften, sondern weil sie einen Grad der Entwicklung erreicht hat, von dem aus sie ihnen schaden kann. Sie hat Macht genug, große Massen von Proletarierinnen in ihr Lager zu ziehen, sie hat Bedeutung genug, sich im öffentlichen Leben Einfluß zu verschaffen. Es ist eine Unterlassungssünde, die sich schon gerächt hat, und ein Mangel an Selbstvertrauen, wenn die Arbeiterinnenbewegung irgend eine Gelegenheit vorübergehen läßt, wo sie dem Sozialismus einen Fuß breit Erde gewinnen kann, wenn sie für sie nicht Propaganda macht für die Vereinigung auch derjenigen Proletarierinnen, die noch, wie die geistigen Lohnarbeiterinnen fast alle, im Banne bürgerlicher Anschauungsweise stehen, wenn sie die Macht, die sie besitzt, nicht ausübt. Diese Beeinflussung der Glieder der bürgerlichen Frauenbewegung steht durchaus nicht im Widerspruch mit der Ablehnung der Arbeit mit ihr, denn es handelt sich dabei nicht um ein Unterordnen und Einreihen. Ein Beispiel illustriere das Gesagte: Der große liberale Frauenverband Englands, der schroffste Gegner jedes gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, macht seit kurzem eine merkwürdige Wandlung zu Gunsten des Arbeiterinnenschutzes durch. Und die Ursache? Die Agitation einer einzigen überzeugten Sozialdemokratin, Mrs. Amie Hicks, die in den Versammlungen des Verbandes Jahre hindurch ihre Ideen verteidigte. Kein Frauenkongreß, keine die Interessen der Arbeiterinnen berührende Versammlung sollte vorübergehen, ohne daß der sozialistische Standpunkt propagiert worden wäre.

Die deutsche Sozialdemokratie und mit ihr derjenige Teil von ihr, der die Frauen umfaßt, ist wie ein junger Riese, der sich seiner Kräfte nicht recht bewußt ist und die mächtigen Glieder noch nicht vollkommen zu beherrschen weiß. Er sollte unter die Menschen treten, aber nicht um sich dem Gewimmel kleiner Leute unter ihm zu beugen, wohl aber um alle diejenigen, die marsch- und kampffähig sind, in seine Gefolgschaft zu zwingen.

Aber der Bethätigungskreis der Arbeiterinnenbewegung müßte sich auch noch in anderer Richtung entwickeln: in der genossenschaftlichen nämlich. Sie müßte bei den Frauen das Interesse für die Konsumgenossenschaften zu erwecken suchen, denn jede Verbesserung ihrer Lage bedeutet einen Schritt näher zur gewerkschaftlichen Organisation und zur politischen Aufklärung. Und ebenso wie billigere und bessere Nahrungsmittel bedeuten auch billigere und bessere Wohnungen, wie die Baugenossenschaften sie bieten, eine wesentliche Hebung ihrer Lage. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist dabei der erzieherische Einfluß der Genossenschaften: sie fördern die Solidarität und das Klassenbewußtsein, weil sie sich selbstbewußt dem kapitalistischen Unternehmertum gegenüberstellen. Sie lehren den Mitgliedern nicht nur Geschäftskenntnisse, sie machen sie auch fähig zur Leitung geschäftlicher Unternehmungen,—eine Erziehung, die sich in der Zukunft als außerordentlich wichtig erweisen dürfte. Neben die sehr vernachlässigte Propaganda für die bestehenden, sollte jedoch auch noch die für eine neue Art Genossenschaft treten, deren Vorteile gerade den Frauen zu Gute kommen.

Bei der Betrachtung der Lage der verheirateten Arbeiterinnen, wie bei der Erörterung der Organisationsschwierigkeiten im Hinblick auf die Frauen haben wir gesehen, daß die doppelte Arbeitslast,—die Hausarbeit neben der Erwerbsarbeit,—sie besonders schädigt und ihren Fortschritt hemmt. Es müßten daher Mittel und Wege gefunden werden, um sie von der Hauswirtschaft möglichst zu befreien. In der genossenschaftlichen Hauswirtschaft, wie ich sie bereits als eines der Mittel schilderte, um die Erwerbsarbeit der bürgerlichen Frauen zu ermöglichen, glaube ich es auch für die Proletarierinnen gefunden zu haben.888 Die Grundidee, die Frauen zu entlasten, die Kosten für die Hauswirtschaft durch den Ersatz der verschwenderischen Kleinbetriebe durch Großbetriebe zu verringern, die Lebenshaltung durch bessere, weil verständiger zubereitete Nahrung zu erhöhen, ist bereits in weite Kreise gedrungen und hat verschiedene Projekte hervorgerufen. In Amerika wird sie zum Teil in der von mir vertretenen Weise der Verwirklichung entgegengeführt889, zum Teil versucht man, die Frauen dadurch zu entlasten, daß möglichst alle Speisen außer dem Hause vorbereitet und geliefert werden.890 In England wieder ist der Versuch gemacht worden, genossenschaftliche Verteilungsküchen zu gründen, die die fertigen Mahlzeiten ins Haus liefern, und in Frankreich entstehen Arbeitergenossenschaften, die Restaurants ins Leben rufen, aus denen das Essen auch nach Hause geholt werden kann. Jedenfalls liegt es im notwendigen Gang der Entwicklung, wenn an die Stelle des innerlich schon überwundenen Einzelhaushalts der genossenschaftliche Haushalt tritt, und es gehört um so mehr zur Aufgabe der sozialistischen Arbeiterinnenbewegung, morsche Gemäuer vollends umzustoßen, wenn Frauen in Gefahr kommen, darin zu Grunde zu gehen.891

Die weitaus wichtigste Funktion aber der Arbeiterinnenbewegung, ohne die alle anderen bedeutungslos werden, ist aber die, eine immer festere Verbindung mit der sozialdemokratischen Partei zu suchen, die Proletarierinnen politisch aufzuklären und ihr zuzuführen. Die Resolution des Gothaer Parteitags sagte ganz richtig:

"Durch ihre Erwerbsarbeit wird die proletarische Frau dem Manne ihrer Klasse wirtschaftlich gleichgestellt. Aber diese Gleichstellung bedeutet, daß sie, wie der Proletarier, nur härter als er, vom Kapitalisten ausgebeutet wird. Der Emanzipationskampf der Proletarierinnen ist deshalb nicht ein Kampf gegen die Männer der eigenen Klasse, sondern ein Kampf im Verein mit den Männern ihrer Klasse gegen die Kapitalistenklasse. Das nächste Ziel dieses Kampfes ist die Errichtung von Schranken gegen die kapitalistische Ausbeutung. Sein Endziel ist die politische Herrschaft des Proletariats zum Zwecke der Beseitigung der Klassenherrschaft und der Herbeiführung der sozialistischen Gesellschaft."

Aber es sind nicht nur die Frauen, denen diese Wahrheit noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, auch die Männer stehen ihr zum Teil gleichgültig gegenüber. Mag die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts in der gewerkschaftlichen wie in der politischen Bewegung noch so allgemein und offiziell anerkannt sein, mögen die Parteiprogramme aller Länder sich noch so feierlich zu ihr bekennen, in sehr vielen Sozialdemokraten steckt in Bezug auf die Frauenfrage noch der alte reaktionäre Philister. In einer Variation des Napoleonischen Ausspruchs heißt es bei ihnen: Tout pour la femme, mais rien avec elle,—wir wollen der Frau alle Rechte erkämpfen, aber wir wollen nicht, daß sie mit uns kämpft. Die Zunahme der weiblichen Arbeiter hat diesen Standpunkt in den Gewerkschaften zwar stark erschüttert, denn die Organisierung der Frauen wird mehr und mehr zu einer Lebensbedingung für sie: die unorganisierten Arbeiterinnen vermögen den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen zu einem aussichtslosen zu machen. In der politischen Bewegung aber liegt kein unmittelbarer Zwang vor, in der Frau die gleichberechtigte Genossin anzuerkennen, weil ihre Stimme in der Wagschale der Parteien kein Gewicht besitzt. Je mehr aber die Bewegung zu Gunsten der Bürgerrechte der Frau an Boden gewinnt,—und sie hat in Amerika, in Australien und in England bereits große Siege zu verzeichnen—desto dringender wird die Aufgabe, das weibliche Geschlecht politisch aufzuklären und zu erziehen, denn es können einmal die Stimmen der Frauen sein, die auf Jahrzehnte hinaus alle Errungenschaften eines jahrhundertlangen Kampfes vernichten und den Fortschritt hemmen, wie das Eis im Winter die Wellen des Stromes. Aber noch ein anderes kommt hinzu: das Weib ist die Mutter derer, in deren Händen die künftigen Geschicke der Menschheit ruhen. Sie formt zuerst die Seelen der Kinder, und was sie ihnen aufprägte, ist fast unzerstörbar. Gewinnt der Sozialismus die Frauen, so gewinnt er die Kinder und mit ihnen die Zukunft. Die Arbeiterinnenbewegung zu fördern, sie immer enger an sich zu schließen, die Gleichberechtigung, die auf dem Papiere steht, überall in die That zu übersetzen, ist daher nichts, was von den Sozialisten gefordert wird, wie man etwa einst von den Rittern den Frauendienst forderte, es gehört vielmehr zu den Verpflichtungen der modernen Ritter der Arbeit im Interesse ihrer selbst und ihrer Sache. Am weitesten wird die Arbeiterinnenbewegung gekommen sein, wenn Gesetz und Vorurteil ihr vollkommenes Aufgehen in der Arbeiterbewegung gestatten.