Der Kampf um Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt

Anfänge einer Erziehungsreform unter dem Gesichtspunkt beruflicher Arbeit: Fénelons Reform der Mädchenerziehung. — Basedow und Karoline Rudolphi über die Erziehung der Töchter. — Die Erziehungsreform in England und Amerika. — Der Einfluß der Klassiker auf deutsche Frauenbildung. — Das Eindringen der Frauen in bürgerliche Berufssphären: in Amerika, — in England, — in Frankreich, — in Deutschland. — Die Anfänge der deutschen Frauenbewegung. — Die Bestrebungen für Frauenbildung und Frauenarbeit in neuester Zeit: in den Vereinigten Staaten, — in England, — in Frankreich, — in Rußland, — in Schweden, — in Dänemark, — in Holland und Belgien, — in der Schweiz, — in Italien, — in Spanien und Portugal, — in Oesterreich, — in Deutschland.

Erste Periode. Anfänge einer Erziehungsreform unter dem Gesichtspunkt beruflicher Arbeit.


Theoretische Erörterungen der Frauenfrage haben weder wissenschaftlichen Wert noch praktische Bedeutung, wenn sie lediglich von vorgefaßten Meinungen oder allgemeinen ethischen Prinzipien ausgehen. Um zu richtigen Resultaten zu gelangen, gilt es vielmehr, auf dem Boden der Thatsachen zu fußen. Es erschien deswegen nicht nur notwendig, die geschichtliche Entwicklung der Stellung der Frau im Menschheitsleben im allgemeinen darzustellen, es ist auch erforderlich, von dem Zeitpunkt an, wo die Frauenfrage sich erweitert und in ihr verschiedene gleich wichtige Seiten hervortreten, die historische Betrachtung jedesmal der theoretischen vorauszuschicken. Dabei kann es sich weniger darum handeln, einzelne Thatsachen mit möglichster Vollständigkeit zusammenzustellen, als vielmehr, den Gang der Entwicklung in seinen großen Zügen zu verfolgen und seine treibenden Kräfte aufzudecken.



Die wirtschaftliche Seite der Frauenfrage, die das ganze Erwerbsleben des weiblichen Geschlechts von den Höhen wissenschaftlicher Arbeit bis in den düsteren Abgrund der Prostitution umfaßt, bedarf besonders dieser Behandlungsweise. Viel unfruchtbarer Streit über das Recht der Frauen auf Arbeit, über ihre Zulassung zu oder ihre Ausschließung von männlichen Berufen würden vermieden werden, viele nur moralisierende Sittlichkeitsapostel würden ihre vergeblichen Reformversuche einstellen, wenn an Stelle eingewurzelter Vorurteile und verschwommener Gefühle die historische Erkenntnis treten würde. Sich der Entwicklung in den Weg zu werfen, ist ein nutzloses Bemühen; auch der, der sie fürchtet, kann ihre unheilvollen Wirkungen nicht anders abwenden, als indem er ihr die Wege bahnt. Was die Frauenbewegung an traurigen Resultaten gezeitigt hat, das verdankt sie ausschließlich ihren Gegnern und ihren falschen Freunden. Ihr eigner Gang ist ein klarer, gesetzmäßiger, der auch in dem Kampf um Arbeit in der bürgerlichen Frauenwelt deutlich zum Ausdruck kommt.

Das Ende des achtzehnten Jahrhunderts war für die Frauenwelt eine der bedeutsamsten geschichtlichen Epochen. Wohl waren schon vorher Männer und Frauen aufgetreten, die mehr Gerechtigkeit, mehr Bildung, erweiterte Arbeitsmöglichkeiten für das weibliche Geschlecht gewünscht hatten, aber sie waren vereinzelt geblieben und daher verhallten ihre Stimmen fast ungehört. Erst die hereinbrechende neue Zeit erhob die theoretischen und philosophischen Erörterungen über die Rechte das Weibes in den Bereich praktischer Forderungen. Aber es waren weniger die vielen rednerischen und schriftstellerischen Auseinandersetzungen und Erklärungen der politischen Rechte, die zu Erfolgen führten, als vielmehr die von den Massen der Frauen erhobene Forderung ihres Rechtes auf Arbeit.

Schon das französische Edikt von 1776 hatte mit der Proklamierung der Gewerbefreiheit diese Forderung anerkannt, und nach der Revolution schien es, als stünden den Frauen nunmehr dieselben Wege offen, auf denen die Männer ihrem Broterwerb nachgingen. Bald zeigte sich jedoch, daß die größten Hindernisse erst noch zu überwinden waren, denn es fehlte den Frauen jede Vorbildung; man hatte sie aufs offene Meer hinausgelassen ohne ihnen Steuer, Anker und Kompaß mitzugeben.



Die Frauen und Töchter des arbeitenden Volkes, die in immer ausgedehnterem Maße gezwungen waren, sich einen Broterwerb zu suchen, strömten den Industrien zu, die ungelernte Arbeiter brauchen konnten. Lohndruck, Vergrößerung des Elends, infolgedessen neuer Zuzug weiblicher Arbeiter war die Folge. Aus diesen Anfängen heraus entwickelte sich die Arbeiterinnenbewegung. Aber während diese Schicht der weiblichen Bevölkerung den Kampf ums tägliche Brot von jeher ebenso, ja oft noch viel schwerer empfunden hatte, als die Männer, waren die Frauen und Töchter der Bourgeoisie vom Erwerbszwang bisher verschont geblieben. Sie lebten der häuslichen Thätigkeit und der Kindererziehung, häufig aber lediglich dem Vergnügen, der Schöngeisterei oder anderem maskierten Müßiggang. Die Verarmung des Bürgerstandes, die Revolutionen und Kriege, die Zunahme der alleinstehenden Frauen, der Töchter und Witwen der Opfer des Schlachtfeldes, nötigten die Frauen zu einer Arbeit, die ihnen, weil sie bisher das allein richtige Verhältnis in der Erhaltung der Frau durch den Mann gesehen hatten, nicht nur an sich schwer fiel, sondern auch wie eine möglichst zu verbergende Schande erschien. Zahlreich waren schon Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die armen adeligen Fräuleins, die in den Stellungen als Erzieherinnen fürstlicher Kinder, als Kammerfrauen der Prinzessinnen, ja selbst als Hofdamen an den vielen kleinen Fürstenhöfen nichts anderes suchten als einen Broterwerb und sich oft, unter ängstlicher Aufrechterhaltung äußeren Glanzes kümmerlich genug durchschlugen. Und nicht nur sentimentale Romane, auch manche der an die Nationalversammlung gerichteten Petitionen führen den Beweis dafür, daß viele Bürgertöchter sich gezwungen sahen, durch Stickereien und Wirkereien ihr Brot zu verdienen. Mit den Frauen des handarbeitenden Volkes teilten sie das gleiche Schicksal: die Not trieb sie zur Arbeit; und sie hatten auch noch ein anderes mit ihnen gemein: den Mangel jeglicher Vorbildung zu einem Erwerbsberuf. Aber während für jene, dank der Entwicklung der Technik und des Maschinenwesens, in der Armee der Industriearbeiter Platz genug vorhanden, und ihre, wenn auch ungelernte Arbeitskraft, eine begehrte war, standen diese vor geschlossenen Thüren, vor denen Unbildung und Vorurteil Wache hielt. Die Arbeiterin kämpfte bereits in Reih und Glied mit dem Mann den harten Kampf ums Dasein, während die Frau der Bourgeoisie sich erst ihren Platz neben dem Mann zu erringen hatte. Aus diesem Umstand erklärt sich die oft bis zu Gegensätzen sich steigernde Verschiedenheit der bürgerlichen und der proletarischen Frauenbewegung und auch, die Notwendigkeit, beide getrennt voneinander zu behandeln.

Die Frau der Bourgeoisie wurde für das Haus und für die Geselligkeit erzogen. Auch die erweiterte Bildung, die die neue Zeit für sie forderte, und die über den Religions- und Haushaltungsunterricht des Mittelalters hinausging, hatte nur den Zweck, die geselligen Talente zu unterstützen und dem Mann eine verständnisvollere Gefährtin zu sein.

Die erste Stelle unter den Vorkämpfern der Reform der Mädchenerziehung nahm Fénelon ein.219 Seine pädagogischen Grundsätze veranlaßten Frau von Maintenon, in St. Cyr die erste höhere Mädchenschule zu gründen, die insofern noch ein besonderes Interesse beansprucht, als sie zugleich die erste Anstalt war, die, durch Ausbildung von Erzieherinnen, der beruflichen Thätigkeit der Frau die Wege bahnte.220 Aber sie war nur eine Oase in der Wüste und entsprach so wenig der Zeitströmung, daß sie bald auf das jämmerliche Niveau der üblichen Mädchenschulen herabsank, und Putz, Tanz und Konversation ihr wesentlicher Unterrichtsstoff blieb. Ihrer deutschen Nachahmung, dem Gynäceum A.H. Franckes, erging es nicht anders. Er, der einfache, fromme Mann, mußte es sich gefallen lassen, daß auch seine Gründung, wie damals alle Erziehungsanstalten für Mädchen, in die Hände französischer Gouvernanten fiel, die Modepüppchen darin dressierten.221 Die französische Sprache, die Umgangssprache der höheren Stände, trat überall in den Mittelpunkt des Unterrichts. Französische Erzieher und Erzieherinnen, deren einzige Kenntnis meist ihre Muttersprache war, wurden in jedem Hause, dessen Bewohner auf "Bildung" Anspruch machten, gesucht. Viele zweideutige Existenzen gelangten besonders in Preußen, wo Friedrichs II. Vorliebe für die französische Sprache maßgebend war, zu derartigen Stellungen. Die Bildung, die sie vermittelten, war noch ungesunder und oberflächlicher als die des Mittelalters. Eine Reaktion gegen die herrschende Strömung, gegen die Ausschließung des weiblichen Geschlechts von allen ernsteren Kenntnissen, gegen sein einseitiges Interesse für Putz und Tand, Spielerei und Liebelei, war unausbleiblich. Sie wird in Deutschland durch Gottsched und seine Schule gekennzeichnet und—gerichtet. Denn statt eine durchgreifende Umwandlung der Erziehung der Mädchen anzustreben, beschränkte er und sein Kreis sich auf die Treibhauskultur einzelner weiblicher "Dichter" und "Gelehrten", die mehr als die geputzten Dämchen der höfischen Salons für den niedrigen Stand weiblicher Geistesentwicklung Zeugnis ablegten.222 Die häufigen Krönungen von Dichterinnen, ja selbst manche Promotionen weiblicher Doktoren muten uns heute wie eine grausame Satire an. Es wäre aber durchaus verkehrt, die Schuld daran Einzelnen zuzuschreiben: noch war für die Frauen die Bildung nur ein äußeres Schmuckstück, Kunst und Gelehrsamkeit nur ein Mittel, um in geistreichen Salons zu glänzen. Vertiefung, ernste Arbeit war erst da zu erwarten, wo sie zu einer Berufsthätigkeit die Grundlage zu schaffen hatten, daß sie anfingen, aus diesem Grunde notwendig zu werden, erkannten Tieferblickende nach und nach. So schrieb Basedow schon im Jahre 1770: "Die meisten, die von Erziehung der Töchter schreiben, geben denselben so viel Anmut oder so glückliche Umstände, daß man an ihrer baldigen Verheiratung nicht zweifeln darf. Aber giebt es denn keine häßlichen und gebrechlichen Töchter? Keine, die in ihrem Stande der Armut halber, nach den jetzigen Sitten in Gefahr sind, von einem würdigen Manne nicht begehrt zu werden?" Er giebt danach den "Eltern von Stande, die kein Vermögen besitzen", den Rat, ihre Töchter nicht wie bisher allein im Hinblick auf die Ehe zu erziehen, sondern ihnen eine Bildung zu geben, die es ihnen ermöglicht, als Lehrerinnen und Gesellschafterinnen einmal ein Unterkommen zu finden.223 Sein mutiger Ausspruch, den bisher viele gefühlt, aber niemand zu thun gewagt hatte, fiel auf fruchtbaren Boden. So manches unbefriedigte, einsame Mädchen schuf sich im Lehrberuf einen befriedigenden Wirkungskreis, und trug, indem es sich selbst half, dazu bei, daß seinem vernachlässigten, unwissenden Geschlecht geholfen wurde. Als die hervorragendste ihrer Art sei Karoline Rudolphi genannt, die nach entbehrungsreicher Jugend und Jahren inneren Kampfes zu dem Entschluß kam, Erzieherin zu werden und schließlich in Hamburg eine Mädchenschule gründete, die Vorbild mancher anderen wurde. Ihre Erziehungsgrundsätze hat sie in ihrem Buche: "Gemälde weiblicher Erziehung" niedergelegt; sie gipfeln in dem Ausspruch: "Lasset euere Kinder Menschen werden!"224 Erziehet die Mädchen nicht zuerst zu Damen und Hausfrauen, sondern zu tüchtigen Menschen, die im Notfall auch allein durchs Leben gehen können, die nicht zu verzweifeln brauchen, wenn die führende Hand des Mannes fehlt.



In schroffem Gegensatz steht Karoline Rudolphi zu ihrer Zeitgenossin, Madame de Genlis, die die Mädchen nur für die Ehe, nur für den Mann erziehen wollte, die in der Bildung nichts als ein Mittel, die Langeweile zu bekämpfen und dem Müßiggang vorzubeugen, sah und in logischer Konsequenz zu dem Schlüsse kam: "Das Genie ist für die Frauen eine gefährliche und nutzlose Gabe, es entfremdet sie ihrer Bestimmung und läßt sie diese nur als drückend empfinden."225 Die Verfasserin, die typische Erzieherin ihrer Zeit und ihres Volkes, sprach damit aus, was die Ansicht dessen war, der für die nächsten Dezennien die Geschicke der Welt in seinen eisernen Händen hielt: Napoleons. Wie Rousseau sah er in den Frauen nur Mütter; zu solchen, zu Gebärerinnen und Erzieherinnen eines Geschlechts von Helden, wollte er sie erzogen wissen. Und so schroff und festgewurzelt war seine Meinung, daß er allen geistreichen und gelehrten Frauen mit Widerwillen begegnete, einem Widerwillen, der sich bis zu dem kleinlichen Kampf gegen Madame de Staël steigern konnte. Aber ebenso wie man, besonders außerhalb Frankreichs, über dem Eroberer den Reformator zu vergessen pflegt, so vergißt man auch über dem Gegner der Frauenemanzipation den Beförderer einer verbesserten Mädchenerziehung. Die Mädchenpensionate der Madame Campan in St. Germain und Ecouen fanden seinen lebhaftesten Beifall und unter seinem Einfluß entstanden in Italien die ersten höheren Mädchenschulen. Er scheute sich sogar nicht, eine Frau in ein öffentliches Amt einzusetzen, wo er glaubte, daß sie die Erziehung der Mädchen günstig beeinflussen könnte: 1810 wurde Madame de Genlis Schulinspektorin in Paris.226 Irgend welche staatliche Hilfe den Mädchenschulen angedeihen zu lassen, lag jedoch ganz außerhalb seiner Gedankenrichtung. Aber ein Einzelner, so allmächtig er auch sein mochte, konnte den Gang der Entwicklung nicht ändern, noch aufhalten. Die französischen Frauen forderten nachdrücklich ihr Anrecht an den geistigen Gütern der Nation. Es entstanden immer mehr Mädchenschulen und 1820 endlich nahm der Unterrichtsminister Duruy, von allen Seiten gedrängt, das Projekt wieder auf,227 das schon neunzig Jahre vorher der Abbé de St. Pierre entworfen hatte, wenn er eine staatliche Unterstützung der Mädchenerziehung verlangte.228 Wenn auch sein Plan zunächst an dem mangelnden Verständnis der Regierung scheiterte, so faßte die Idee, daß die Gesellschaft die Verpflichtung habe, auch ihrem weiblichen Teil eine der männlichen annähernd ebenbürtige Erziehung zu gewähren, immer tiefer Wurzel und die Frauen selbst nahmen sich ihrer Ausbreitung energischer an. In ihrer vordersten Reihe kämpfte die Gräfin Rémusat.229 Von der Voraussetzung ausgehend, daß die Frau dem Manne nicht untergeben, daß sie als intelligentes Geschöpf von ihm nicht verschieden und durchaus fähig sei, öffentliche Berufe auszuüben, hielt sie eine Anpassung der Mädchenerziehung an die neuen Verhältnisse für notwendig, ja sie sprach schon von der Zuerkennung einer gewissen Gleichberechtigung an das weibliche Geschlecht, und forderte von den öffentlichen Verwaltungen, daß sie neben dem Lehrerinnenberuf, die Ausübung einer geregelten Wohlthätigkeit den Frauen anvertrauen sollten. Der Kämpfern Arbeit war's, der hier zum deutlichen Ausdruck kam, und die Zeit, in der die Frauen zuerst nach ihm riefen, war die Geburtsstunde der bürgerlichen Frauenbewegung. Sie vollzog sich in merkwürdiger, und doch für den, der die Geschichte der Menschheitsentwicklung nicht allein aus Fürstengezänk, Staatsaktionen und Kriegen herleitet, verständlicher Uebereinstimmung in allen Kulturländern zu gleicher Zeit.

In England, wo schon Daniel Defoe, Mary Astell und Mary Wollstonecraft den Boden vorbereitet hatten, wo ein Sheridan seine Zeitgenossen mit glühender Begeisterung auf den Wert der Frauenbildung aufmerksam machte, denn "von der Geisteskultur der Frauen hängt die Weisheit der Männer ab", entstanden schon Anfang des neunzehnten Jahrhunderts zwei Vereine, die sich die Hebung der Mädchenerziehung zum Ziel setzten. Der praktische Sinn der Engländer erkannte früh, daß die bessere Erziehung ihrer Töchter von der gründlicheren Ausbildung ihrer Lehrerinnen abhängig ist. Von solchen, die sich auf Grund ganz unzureichender Kenntnisse dafür ausgaben, war England überschwemmt, und die Lehrerin war daher eine komische, oft verachtete Erscheinung, an der Thakeray und Dickens noch ihren Witz ausließen. Ihr Los war traurig genug: die Not zwang sie in den einzigen, ihnen offen stehenden Beruf und kümmerlicher Unterhalt und allgemeine Mißachtung waren ihr Lohn. Erst mit der Zunahme geregelterer Mädchenschulen änderte sich langsam auch ihre Lage. Frauen, wie Hannah More und Maria Edgeworth waren hier die Wortführerinnen der beginnenden Frauenbewegung.



In dem, inzwischen von England mit Hilfe der Frauen abgefallenen nordamerikanischen Staatenbunde machten sich gleiche Bestrebungen geltend, weil auch hier die Schäden dieselben waren. Die Vorteile, die die tapferen Kämpferinnen der Befreiungskriege für ihr Geschlecht errungen hatten, waren entweder dürftig von Anfang an oder mit der ebbenden Begeisterung wieder verschwunden. Die wenigen Mädchenschulen, die im Anfang des Jahrhunderts überhaupt bestanden, waren nur während der Hälfte des Jahres geöffnet und auch dann nur zwei Stunden am Tag, während die Knaben, die dasselbe Schulhaus besuchten, Freistunden hatten. Die reaktionärsten Ansichten der alten Welt, die das Mädchen allein auf das Haus verwiesen, fanden in der neuen die allgemeinste Vertretung, um so mehr als hier der Umstand viel weniger ins Gewicht fiel, der der Frauenbewegung Europas den Anstoß gab: der Zwang zur Erwerbsarbeit. Als daher Emma Willard für die höhere Bildung ihres Geschlechts eintrat, stieß sie auf Spott und heftigsten Widerstand. Als sie aber im Jahre 1821, ohne noch länger auf das allgemeine Wohlwollen ihrer Landsleute zu rechnen, in Troy das erste Mädchenseminar gründete, zeigte es sich, daß es eine Notwendigkeit gewesen war, denn es fand zahlreichen Zuspruch und vielfache Nachahmung.230 Emma Willards Schule ist der Grundstein des ausgedehnten Gebäudes weiblicher Bildung geworden, das heute Amerika schmückt. Zu gleicher Zeit begann eine andere Frau ihre öffentliche Thätigkeit: Lucretia Mott. Von 1820 an zog sie ungehindert als Predigerin der Quäker durch die Staaten, nicht nur eine Missionarin ihrer Religion, sondern auch eine Pionierin der Frauenbewegung, deren Auftreten allein den Beweis dafür lieferte, daß die Frau mit derselben Fähigkeit und demselben Erfolg ihren Geist in den Dienst allgemeiner Interessen stellen kann.

Kehren wir nach Deutschland zurück. Dort waren die Schulverhältnisse, trotz Francke, trotz Gottsched und Basedow, aufs äußerste verwahrlost. "Unsere Töchter sind von aller besseren Bildung ausgeschlossen," klagte ein braver deutscher Mann.231 "Aus dem ABC-Unterricht werden sie ohne Gnade an den Kochherd, in die Kinderstube, in das Putzzimmer verstoßen." Und eine mit seltenem Scharfblick ausgestattete Frau, Helene Unger, schilderte in ihrem Roman "Julchen Grünthal" die traurige Pensionserziehung der Mädchen und ihre verderblichen Folgen: Putz und Spiel, französische Konversation und seichte Lektüre füllten das Leben des Schulmädchens aus, um später in die nächste Modekrankheit, die rührselige, vom wirklichen Leben ganz entfremdende Empfindsamkeit überzugehen.232 Aber diese Klagen und verurteilenden Darstellungen waren an sich schon ein Zeichen des Fortschritts. Und es begann in der That in den Köpfen und Herzen der Frauen ein neuer Geist sich zu regen. Die klassische Dichtung und die politische Umwälzung waren seine Erzeuger. Zwar wäre es durchaus verkehrt, von den Frauen aus der Umgebung der großen Dichter auf alle übrigen schließen zu wollen; erst ganz nach und nach drangen ihre Werke bis in die dunklen Winkel bürgerlichen Frauenlebens, erweckten Begeisterung, Sinn für das Schöne und erhoben die armen Vernachlässigten und Verirrten in eine andere geistige Lebenssphäre. Dank einer Lotte, einem Gretchen, einem Klärchen kam die warmblütige Natürlichkeit wieder zu ihrem Recht. Und eine Minna von Barnhelm, eine Jungfrau von Orleans, eine Maria Stuart führten den Blick über die Engigkeit des eigenen Lebens hinaus, in das die Empfindsamen sich in ihrer Selbstliebe eingesponnen hatten. Aber mehr noch wirkte die drückende Not darauf, die ganz Deutschland in einen Trauermantel hüllte. Die Frauen, deren Väter und Brüder, deren Gatten und Söhne unter den Waffen standen, verloren nicht nur den Sinn für die Tändeleien früherer Jahrzehnte, sie lernten auch teilnehmen an den großen Interessen, die die Welt bewegten. Die Mode des Destillierens der gegenseitige Gefühle, der endlosen Gespräche über sentimentale Romanheldinnen, machte der Unterhaltung über die Ereignisse des Lebens Platz. Rahel Varnhagens Kreis233 ist das bekannteste Beispiel für die belebende Wirkung des neuen Geistes. Die langatmigen Briefwechsel zwischen Freunden und Freundinnen zeugen dafür, daß er überall durchbrach, und mit ihm regte sich das Bedürfnis nach einer gründlichen Aenderung der Mädchenerziehung. Verarmte und vereinsamte Bürgerfrauen fanden sich genug, die nach einer Lebensstellung Umschau hielten und denen nichts anderes offen stand, als der Lehrerinnenberuf. Denn wenn auch eine Charlotte von Siebold zum Doktor promoviert worden war und seit 1817 ungehindert in Darmstadt praktizierte, sie stand allein; es fehlte ihren Geschlechtsgenossinnen die Möglichkeit der Vorbereitung zum Studium. Aber das Verlangen nach vertiefterer Bildung der Töchter und das Bedürfnis nach einem Erwerb der Alleinstehenden begegneten sich und führten zwischen 1800 und 1825 zur Gründung eine Reihe von Töchterschulen, die teils ganz durch private Mittel, teils mit Unterstützung der Gemeinden entstanden.234



Zweite Periode. Das Eindringen der Frauen in bürgerliche Berufssphären.

Der folgenreichste Schritt auf dem Gebiete der Erziehung wurde von jenem Lande gethan, das es nicht erst nötig hatte, seine Kräfte durch mühsames Ueberbordwerfen des Ballastes der Vergangenheit abzunutzen, von Amerika, wo Horace Mann die Grundlage zu einem neuen Schulsystem legte. Dem immer dringenderen Verlangen nach einer der der Knaben gleichen Mädchenbildung, konnte man, bei der dünnen Bevölkerung des Landes, durch Gründung besonderer Mädchenschulen nicht nachkommen. So wurde denn aus der Not eine Tugend gemacht und in den neu entstehenden Freien Normalschulen Co-Education eingeführt. Die weittragende Bedeutung des gemeinsamen Unterrichts der Geschlechter hatte sich Horace Mann, der mehr einem praktischen Bedürfnis entgegenkommen wollte, nicht klar gemacht. Nicht nur, daß auch höhere Schulen, in der Art unserer Gymnasien, nach diesem Vorbild eingerichtet wurden,—Oberlin-College in Ohio als das erste seiner Art,—schon 1835 rüttelte eine Schar mutiger Mädchen, die sich mit ihren Schulkameraden die nötige wissenschaftliche Vorbildung erworben hatten, an den Pforten der alten Harvard-Universität235 und kurz darauf begehrte der erste weibliche Arzt, Harriot K. Hunt, wie sie, vergebens Einlaß.236 Was ihr verwehrt wurde, sollte wenige Jahre später der tapferen Pionierin des Frauenstudiums, Elizabeth Blackwell, gelingen. Sie und ihre Schwester Emily sahen sich plötzlich, nach dem Tode ihres Vaters, vor die Notwendigkeit versetzt, nicht nur sich, sondern auch ihre Mutter und ihre jüngeren Brüder und Schwester zu ernähren. Da kam ihnen die Erkenntnis der traurigen Lage ihres Geschlechtes. Sie sahen, wie wenige und schmale Wege zum Erwerb den Frauen nur offen standen und bemerkten "die Massen der Konkurrentinnen, von denen eine die andere niederzutreten suchte. Wir beschlossen, lieber einen neuen Pfad für uns zu entdecken, als in schon überfüllten Berufen einen Platz zu erobern."237 Elisabeth wurde, nachdem sie zwölf medizinische Schulen vergebens um Aufnahme gebeten hatte, Studentin in der Schule von Geneva, Emily in Cleveland. Diese wurde 1850 erste Aerztin an dem ersten, eben gegründeten Frauenhospital in New York, jene ging nach England, der Frauenbewegung dort wie in ihrem Vaterlande Pionierdienste leistend. Indessen wurde durch Gründung von Lehrerinnenseminarien und Colleges dem Bedürfnis der weiblichen Jugend mehr und mehr Rechnung getragen. 1860 entstand das erste College nur für Frauen,—Vassar-College,—das von Anfang an auf einem höheren wissenschaftlichen Standpunkt stand, als die anderen oft sehr primitiven Institute. Hier war es auch, wo zuerst eine Frau den wissenschaftlichen Lehrstuhl bestieg: Maria Mitchel wurde als Professor für Astronomie und Mathematik 1866 nach Vassar berufen. Kurze Zeit später gestattete der oberste Gerichtshof von Iowa Arabella Mansfield die Ausübung der Praxis als Rechtsanwalt. Diesen Frauen, im Verein mit den Schwestern Blackwell, gebührt der Ruhm, in Amerika ihrem Geschlecht Bahnbrecherinnen geworden zu sein. Als die Universität Michigan ihm als erste ihre Thore öffnete, war dies gleichsam die Anerkennung des Beweises, den die Frauen für ihre wissenschaftliche Befähigung erbracht hatten.

Auch auf dem Gebiet des gewerblichen Unterrichts hatten die Frauen Erfolge zu verzeichnen. Zwar wurden die ersten Läden, in denen weibliche Kommis thätig waren, von den sittlich entrüsteten Einwohnern geboykottet,238 aber schon zwei Jahre später, 1856, wurde mit privaten Mitteln die erste Handels- und Gewerbeschule für Frauen in New York eröffnet. Dem wachsenden Bedürfnis gegenüber war sie jedoch keineswegs ausreichend. 1859 gründete Peter Cooper, selbst ein Kaufmann, der die Vorteile weiblicher Arbeit erkannt hatte, eine Schule der Art im größten Stil, die heute noch besteht und eine Musteranstalt genannt werden kann. Eine lebhafte Kontroverse über die Zunahme der Frauenarbeit, ihre Vorteile und Nachteile, entspann sich in der Presse und wurde durch Broschüren und Bücher über den Gegenstand vertieft und erweitert. Gail Hamilton und Catherine Cole traten als Agitatoren im Interesse der Frauen auf und forderten ihre völlige Gleichstellung mit dem Mann in Bezug auf Unterricht, Beruf und Erwerbsbedingungen.239 Epochemachend für ganz Amerika waren die Schriften Virginia Pennys240, in denen sie schilderte, unter welch traurigen Bedingungen die Million arbeitender Frauen, die der Census von 1860 gezählt hatte, zu arbeiten gezwungen wären, und wie nur eine gründliche Vorbereitung zur Berufsarbeit ihre Lage zu ändern im stande wäre. Die Agitation, die in Amerika weniger die Aufgabe hatte, mit heftigen Gegnern zu kämpfen, als vielmehr Blinden die Augen zu öffnen, hatte überall Erfolg: Colleges und Gewerbeschulen öffneten sich mehr und mehr den Frauen, ja die staatlichen und landwirtschaftlichen Schulen, die dadurch ins Leben gerufen waren, daß der Washingtoner Kongreß von 1862 den einzelnen Staaten zu diesem Zweck große Ländereien überwiesen hatte, ließen in immer größerem Umfange Frauen zu. Zum Verständnis für diese, im Vergleich zu Europa ungewöhnlich frühe Erfüllung der Wünsche der Frauen, die zwar darum zu kämpfen hatten, aber auf geringeren Widerstand stießen, muß man sich vergegenwärtigen, daß nicht etwa der größere Edelmut oder das tiefere Verständnis der Amerikaner für die Bestrebungen des weiblichen Geschlechts die Ursache davon ist, sondern vielmehr die Thatsache, daß die Vereinigten Staaten erst auf eine kurze wirtschaftliche Entwicklung zurücksahen und von einer Ueberfüllung der Berufe, die den Widerstand der Männer hätte hervorrufen müssen, keine Rede war.



Im Mutterlande lagen die Dinge anders. Wohl waren schon 1835 Karoline Herschel und Mary Somerville einstimmig zu Mitgliedern der englischen Astronomischen Gesellschaft erwählt worden und ihre wissenschaftlichen Verdienste dadurch zu einer bisher unerhörten Anerkennung gelangt,241 aber die allgemeine Lage der "gentlewoman" war noch jahrzehntelang so gut wie unberücksichtigt geblieben. Zuerst lenkten die traurigen Verhältnisse, in denen sich die Erzieherinnen befanden, deren mühselige Lebensarbeit ihnen nicht einmal ein sorgenloses Alter sicherte, die Aufmerksamkeit auf sich. Es wurde ein Pensionsverein für Lehrerinnen gegründet, und nach unermüdlichen Kämpfen der Lehrerinnen selbst, die längst eingesehen hatten, daß sie nur auf Grund besserer Leistungen eine höhere Entschädigung beanspruchen konnten, wurde 1846 das erste Lehrerinnenseminar eröffnet,242 dem wenige Jahre später Queens College und Bedford-College folgten. Das war ein großer Schritt auf dem Wege der Befreiung der Frauen durch Arbeit, der noch an Bedeutung gewann, als, wieder infolge zäher Agitation, die bis dahin privaten Anstalten die Genehmigung der Regierung erhielten. Damit war dem immer noch verlachten, als unweiblich bekämpften Brotstudium der Frau die erste öffentliche Sanktion erteilt worden. Es hatte dazu noch einer stärkeren treibenden Kraft bedurft, als der Agitation einiger Frauen; sie fand sich in den Ergebnissen der Volkszählung 1851. Furchtbare Zustände deckte sie auf und man stand entsetzt vor der Thatsache, daß über zwei Millionen alleinstehender Frauen auf Selbsterhaltung angewiesen waren, ohne daß ihnen die Mittel dazu zur Verfügung standen. Miß Leigh Smith bearbeitete zuerst in einer aufsehenerregenden Broschüre, Women und Work, die Ergebnisse der Statistik und schuf in dem Englishwomens Journal—1875—das Organ der nunmehr kräftig einsetzenden Frauenbewegung.

Ein neuer Beruf für gentlewomen hatte sich inzwischen aufgethan: die internationale Telegraphengesellschaft stellte seit 1853 Frauen als Telegraphistinnen an. Aber ebenso wie in Amerika die zunehmende Verwendung von Frauen im Lehrberuf, wie Gneist in seiner oben erwähnten Broschüre ganz richtig sagte, nicht auf humanitäre, sondern pekuniäre Ursachen zurückzuführen ist, so wurden hier die weiblichen Arbeitskräfte lediglich ihrer größeren Billigkeit wegen den männlichen vorgezogen. Die kapitalistische Gesellschaft stürzte sich wie ein Raubtier auf seine Beute, auf die ihr durch die Not entgegengetriebenen Opfer. Der bürgerlichen Frauenbewegung fehlte dafür aber das Verständnis. Sie jubelte nur über jede neue Möglichkeit, ihre nach Arbeit suchenden Schutzbefohlenen unterzubringen.243 Neue Arbeitsgebiete zu schaffen, mußte auch in diesem Stadium der Entwicklung ihr wesentlichstes Bestreben sein.

Die Universitäten waren den Frauen noch verschlossen; wie Miß Hunt in Amerika ein Jahrzehnt früher, so hatte Miß Jessie Meriton 1856 in England den ersten vergeblichen Versuch gemacht, zugelassen zu werden.244 Der ersten Engländerin von Geburt, die im Ausland Medizin studiert hatte, Elisabeth Garret, gelang es erst 1865 nach langen Kämpfen, das Recht zu erringen, als Lizentiat der Apothekergesellschaft zu praktizieren. Dieser Weg war also vorläufig für die Masse der Frauen ungangbar. Es mußten andere, die schneller zum Ziele führten und von vielen betreten werden konnten, gefunden werden. Zu diesem Zweck entstand im Jahre 1859 unter Leitung von Miß Jessie Boucherett die Society for Promoting the Employment of Women. Sie setzte sich ausdrücklich das Ziel, den notleidenden Frauen der Bürgerklasse—den gentlewomen—Hilfe zu bringen. Sie eröffnete Unterrichtskurse für Handelsangestellte, Zeichnerinnen, Photographinnen, Holzschneiderinnen, Lithographinnen, Kunststickerinnen u. dergl. und es strömten ihr nicht nur die Schülerinnen zu, sie fanden auch, einmal ausgebildet, leicht ein Unterkommen. Während es 1851 in ganz England keine Photographin und keine Buchhalterin und nur 1742 Verkäuferinnen gab, zählte man 1861 bereits 308 Buchhalterinnen, 130 Photographinnen und 7000 Verkäuferinnen, und 1871 war allein die Zahl der Buchhalterinnen auf 1755 gestiegen.

Englands Beispiel wirkte anregend auf das Festland, wo dieselben Zustände Abhilfe forderten. In Schweden stellte sich die Frauenzeitung Tidskrift for Hennet an die Spitze der Bewegung; höhere Unterrichtskurse für Mädchen, eine Handelsschule und ein Lehrerinnenseminar entstanden in den Jahren 1859 bis 1861. Selbst Rußland wurde vom Zuge der Zeit berührt. Nach heftiger Agitation, besonders seitens der Lehrerinnen, deren Bildungsgrad ebenso niedrig war, wie ihr Einkommen, entschloß man sich schon 1867, Universitätskurse für Frauen einzurichten. Schon ein Jahr später promovierte Barbara Rudnewa als Dr. med. an der medico-chirurgischen Akademie in Petersburg.245 Zu gleicher Zeit machte ihre Landsmännin, Nadjesda Suslawa in Zürich, wo Frauen nur als Hörerinnen hie und da zugelassen worden waren, ihr Doktorexamen.246 In Holland und Belgien wirkten seit 1865 Vereine für den gewerblichen Unterricht der Frauen; die Zulassung der Frauen zum Apothekerberufe war ihr erster praktischer Erfolg in den Niederlanden247; die Errichtung einer Handels- und Gewerbeschule in Brüssel ihre erste That dort.248



Der fruchtbarste Boden jedoch für die sich anbahnende Umwälzung war der von politischen Stürmen wie von einer Pflugschar immer wieder aufgewühlte Frankreichs. Als die Julirevolution ausbrach, kam der Gedanke an die Befreiung auch der Frauen aus langer Knechtschaft aufs neue deutlicher zum Ausdruck und erregte die Frauenwelt selbst aufs tiefste. Die alte Forderung der politischen Emanzipation trat wieder in den Vordergrund, und der Saint-Simonismus warf einen neuen Zündstoff in die Welt, indem er die Befreiung der Frau von der männlichen Tyrannei auch auf dem Gebiete des Geschlechtslebens verkündete. Eines der interessantesten Dokumente der Zeit ist die von 1832 bis 1834 in Paris erschienene Zeitschrift: La Femme nouvelle. Die neue Frau, die darin geschildert wird, deren Existenzmöglichkeit durch Umwandlung der Gesetze und Sitten gesichert werden sollte, forderte auch ihr Recht auf Arbeit, als Grundlage wahrer Befreiung. Als dann vom Jahre 1836 ab Madame Poutret de Mauchamps an der Spitze der französischen Frauenbewegung trat, begann sie systematisch vorzugehen. La Gazette des femmes wurde ihr Organ, ein treues Spiegelbild ihres Wachstums. Die Eröffnung der Universitäten, die Zulassung der Frauen zu höheren Berufen, das waren die Forderungen, mit denen sie nunmehr ihren Feldzug eröffnete und die Gründung einer Gesellschaft zur Hebung der Lage der Frauen,—der ersten ihrer Art,—war ihr nächster praktischer Erfolg.249 Ein ideeller Erfolg aber von weittragender Bedeutung war das wachsende Interesse, mit dem Männer der Wissenschaft sich der Frauenfrage zuwandten. So hielt Ernest Legouvé im Jahre 1847 im Collège de France eine Reihe von Vorlesungen über die moralische Geschichte der Frauen250, in denen er durch die Schilderung ihrer traurigen Lage den größten Eindruck hervorrief. "Keine öffentliche Erziehung, kein gewerblicher Unterricht für die Mädchen; das Leben ohne Heirat eine Unmöglichkeit für sie, und die Heirat ohne Mitgift unmöglich", rief er aus, und malte mit dunklen Farben das Los der armen Töchter der Bourgeoisie, denen nur das Kloster, der Beruf der Gesellschafterin und Lehrerin, oder das entehrende Bettlerleben bei begüterten Verwandten übrig blieb. Er forderte für sie Zulassung zum ärztlichen Beruf und wünschte ihre staatliche Anstellung als Schul-, Gefängnis- und Fabrikinspektoren,—eine Forderung, über deren Berechtigung noch ein halbes Jahrhundert später, in gewissen Ländern noch immer gestritten wird! "Die Arbeit, das heißt Freiheit und Leben" war für ihn der Ausgangspunkt und das Ziel der Emanzipation. Das Gesetz von 1850, wonach alle Kommunen von 800 Seelen an verpflichtet wurden, mindestens eine Mädchenschule zu gründen251, und die den Frauen erteilte Erlaubnis, den Vorlesungen des Collège de France beizuwohnen, können als Erfolg der von Legouvé mit getragenen Agitation betrachtet werden. Die Reaktion nach 1848 hinderte bald jede lebhaftere Vorwärtsbewegung. Die höhere Mädchenerziehung, die einen so vielversprechenden Aufschwung genommen hatte, litt besonders schwer unter der rapiden Zunahme der Erziehungsklöster, die die Revolution von 1789 völlig unterdrückt und Napoleon auf das äußerste beschränkt hatte. Ihre Konkurrenz war für die weltlichen Pensionen fast vernichtend; nicht nur daß die Bourgeoisie die gut eingerichteten, von Gärten umgebenen, Vorteile aller Art bietenden Klöster den engen, dunklen weltlichen Erziehungsanstalten für ihre Töchter vorzog, auch die Lehrerinnen vermochten sich den Klosterschwestern gegenüber kaum zu behaupten. Die Unterlehrerinnen in den Pensionaten mußten Dienstbotenarbeit mit übernehmen und erreichten kaum ein Gehalt von 200 Frs. im Jahr und die Privatlehrerinnen waren froh, wenn sie nach einem ermüdenden 12- bis 14stündigen Arbeitstag 4 Frs. verdienten. Dabei wuchs ihre Zahl infolge des Mangels anderer Berufsarten enorm. 1864 gab es allein 3000 Klavierlehrerinnen in Paris!252 Erst Englands Beispiel rüttelte die Frauen aus ihrer Lethargie. Madame Allard und Jules Simon gründeten nach dem Vorbild des englischen Vereins zwei Gesellschaften zur gewerblichen Vorbildung der Frauen. Eine Reihe von Artikeln, die im Jahre 1862 über die Frage der Frauenarbeit im Journal des Débats erschienen und das auf gründlichen Studien beruhende Buch von Jeanne Daubié über die Lage der vermögenslosen Frauen253, beeinflußten die öffentliche Meinung und unterstützten die Ideen jener Vereinigungen. Handels- und Gewerbeschulen für Frauen wurden eröffnet und fanden binnen kurzem zahlreichen Zuspruch.254 Die Post machte zuerst den Versuch mit der Verwendung von Frauen, der Staat stellte sie, nachdem seit Frau von Genlis keine Frau mehr den Posten bekleidet hatte, als Schulinspektorinnen an. Und wie in England und Amerika, so pochte auch hier eine Frau, Madame Madeleine Brés, an die Pforten der Universität und verlangte, zu den Vorlesungen der medizinischen Fakultät zugelassen zu werden. Ihre Forderung wurde dem Ministerrat vorgelegt und dem energischen Eintreten der Kaiserin Eugenie zu ihren Gunsten ist es zu verdanken, daß die Pariser Universität den Frauen geöffnet und die Erwerbung akademischer Grade ihnen ermöglicht wurde.255 Wieder war Frankreich, wie zu den Zeiten Condorcets und Olympe de Gouges, bahnbrechend vorgegangen. Und wie hier die Revolution es jedesmal war, mit der der Aufschwung der Frauenbewegung zusammenfällt, so löste sie auch in Deutschland die Zunge der Stummen.

Ihrem Einfluß hat die bürgerliche Frauenbewegung ihre erste Vorkämpferin, Luise Otto, zu verdanken; durch sie bekam sie in ihren stürmischen Anfängen einen politischen Charakter, der aber unter der eisernen Rute der Reaktion schnell wieder verschwand. Die praktische Frage des augenblicklichen Notstands trat in den Vordergrund, und die Erregung, die sich darüber der Gemüter bemächtigte, spiegelte sich vor allem in dem Kampf um die Entwicklung der Mädchenschulen ab; die Radikalen wollten durch die Erziehung die Frauen erwerbsfähig machen, die Konservativen wollten dagegen den häuslichen Beruf wieder stärken und betonen.256 Da sie am Staatsruder saßen und die deutschen Frauen selbst viel zaghafter waren, als ihre ausländischen Genossinnen,—selbst eine Luise Otto schwieg, von der Reaktion eingeschüchtert, viele Jahre lang,—blieben sie Sieger im Kampf auch gegen die privaten Unternehmungen zur Erweiterung der Frauenbildung. Die unter den glänzendsten Aussichten von Emilie Wüstenfeld 1849 in Hamburg gegründete, zwei Jahre lang von Karl Fröbel geleitete Hochschule für Frauen wurde zur Schließung gezwungen. Selbst in den Fröbelschen Kindergärten, die schon vielen Frauen befriedigende Beschäftigung sicherten, sah man Herde verderblicher Aufklärung; sie wurden 1851 von Staats wegen aufgelöst.257 Man brachte die Notleidenden zum Schweigen,—das war ja von jeher das Ziel antirevolutionärer Bewegungen,—aber die Not selbst wuchs im Stillen um so schneller.

Der einzige Beruf bürgerlicher Frauen, der der Lehrerin, war schon aufs äußerste überfüllt. Von 1825 bis 1861 war ihre Zahl allein in Preußen von 705 auf 7366 gewachsen258, während die Gründung von Mädchenschulen nicht im entferntesten gleichen Schritt gehalten hatte. Es kam vor, daß sich innerhalb einer Woche zu einer Schulstelle 114 Bewerberinnen meldeten!259 Dazu kam, daß die preußische Volkszählung von 1861 nicht weniger als 700000 alleinstehende Frauen und Mädchen ergeben hatte. Als daher die Berichte über die englischen und französischen Vereine, die gegen dieselben Zustände kämpften, die hier in die Augen sprangen, nach Deutschland gelangten, wirkten sie wie Schlüssel zu einer neuen Welt. Es waren nicht Frauen, wie dort, sondern Männer—und das ist bezeichnend für den Standpunkt der deutschen Frauen—, die nunmehr die Initiative ergriffen: Adolph Lette legte im Jahre 1865 dem Verein für das Wohl der arbeitenden Klassen eine Denkschrift vor, in der er auf Grund der Ergebnisse der Volkszählung und persönlicher Beobachtungen, die Gründung eines dem englischen und französischen Vorbild ähnlichen Vereines befürwortete.260 Dieser müsse sich in seiner Thätigkeit, so führte er aus, ausschließlich auf die Frauen des Mittelstandes beschränken, und ihnen durch Einführung praktischer Unterrichtskurse neue Berufszweige eröffnen. Als solche bezeichnete er in der Heilkunde den ärztlichen Beruf und den der Krankenpflegerinnen; in der Technik die Anfertigung von chemischen, chirurgischen, mikroskopischen, optischen Apparaten, von Farben, Parfümerien und Essenzen, sowie von Photographieen; im Handel: Buchhaltung, Korrespondenz, Kassenführung, Warenverkauf; im öffentlichen Dienst: Post und Telegraphie. Damit umschrieb er ungefähr die Berufe, die auch heute noch als Berufe bürgerlicher Frauen angesehen werden können. Wenn er, seine Anhänger und alle Beförderer seiner Ideen in ihren Bestrebungen nicht über den Kreis dieser Frauen hinausgehen wollten, so drückt sich darin ein Klassenegoismus aus, der um so abstoßender wirkt, als die Not der Proletarierinnen weit mehr nach Abhilfe zu schreien schien. Aber gerade in dieser Einseitigkeit lag die Stärke der jungen Bewegung. Indem sie mit den beschränkten Kräften, die sie noch besaß, engbegrenzten Zielen zusteuerte, konnte sie sicher sein, sie schließlich zu erreichen. Der Gedanke entsprach so sehr der Zeitströmung, daß er nicht allein durch den Mund Lettes zum Ausdruck kam. Auf dem Vereinstage deutscher Arbeitervereine beantragte Moritz Müller, daß Staat und Gemeinden veranlaßt werden möchten, Gewerbeschulen für Frauen zu gründen, denn "die Frauen sind zu jeder Arbeit berechtigt, zu der sie befähigt sind"; der schlesische Gewerbetag nahm eine Resolution zu gunsten der kaufmännischen Ausbildung und der Anstellung der Frauen im Post- und Telegraphendienst an, und in Leipzig, wo ein Hauptmann außer Diensten, A. Korn, in seiner Allgemeinen Frauenzeitung die Sache der Frauen energisch vertrat, berief er im selben Jahr, als Lette in Berlin seinen Vortrag hielt, eine Frauenkonferenz ein, an deren Spitze die alte Kämpferin Luise Otto trat. Auch hier wurde die Frage der Erweiterung der weiblichen Wirkungskreise allein erörtert. Ihr praktisches Ergebnis war die Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, als dessen Ziel "die erhöhte Bildung des weiblichen Geschlechts und die Befreiung der weiblichen Arbeit von allen Hindernissen" aufgestellt wurde.261 Während der in Berlin ins Leben gerufene Letteverein von Männern geleitet wurde und Frauen nur zur Beihilfe heranzog, stellte der Leipziger Verein sich sofort auf radikaleren Standpunkt, indem er Luise Otto zur Vorsitzenden wählte und Männer sowohl von der Leitung als von der Mitgliedschaft ausschloß. Hier also kämpften die deutschen Frauen zum erstenmal persönlich, in organisiertem Verbande für ihre Rechte. Sie, die durch die Reaktion gleichsam auf den Mund geschlagen worden waren, wagten es nun auch wieder, durch Wort und Schrift ihre Sache zu fördern. Dieselbe Einseitigkeit, die schon den Letteverein charakterisiert, spiegelt sich auch in ihren Ansprüchen wieder und beweist, daß der aus rein wirtschaftlichen Motiven entsprungene Kampf um Arbeit die Urquelle der bürgerlichen Frauenbewegung ist. "Wir verlangen nur, daß die Arena der Arbeit den Frauen geöffnet werde", hatte Auguste Schmidt, die eigentliche Wortführerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins ausgerufen.262 "Die einzige Emanzipation, die wir für unsere Frauen anstreben, ist die Emanzipation ihrer Arbeit"263, schrieb Luise Otto. Und Fanny Lewald-Stahr, die von sich selbst erzählt, daß sie heimlich habe arbeiten müssen, weil es sich für Mädchen ihrer Art nicht schickte, Geld zu verdienen, und die anerkennt, daß "der gewaltigste Aufklärer, die bittere Not" es war, die vielen die Augen geöffnet hat, erklärt die "Emanzipation zur Arbeit" für die einzige, von der vor der Hand geredet werden kann.264



So hatte sich in Nordamerika, in England, Frankreich und Deutschland, dem sich ein Jahr später, durch Gründung des Frauenerwerbvereins, auch Oesterreich anschloß, jener Prozeß vollzogen, durch den die bürgerliche Frau in eine neue Phase ihrer Entwicklung eintrat. Eine Revolutionierung der Sitten und Begriffe, des Haus- und Familienlebens, der Staats- und Gesellschaftseinrichtungen, bereitete sich dadurch vor, die keiner von Denen, die nur der augenblicklichen Not abhelfen wollten, voraussah, ja die sie vor ihrem eigenen Vorhaben zurück hätte schaudern lassen, wenn sie sie hätten ahnen können.

Dritte Periode. Die Bestrebungen für Frauenbildung und Frauenarbeit in neuester Zeit.

Der organisierte Kampf um Arbeit, der an die Stelle des Ringens einzelner Frauen um einen Erwerbsberuf trat, bezeichnet den Beginn der modernen Frauenbewegung. Es mußte ihm erst die wirtschaftliche Entwicklung vorausgehen, die die Frauen mehr und mehr aus der Vereinzelung der häuslichen Thätigkeit herausriß, sie zwang, Arbeit außerhalb der engen vier Wände zu suchen und sie schließlich ihre Interessengemeinschaft lehrte. Selbstverständlich konzentrierte sich die Frauenbewegung je nach dem Grade der Verarmung des Bürgerstandes und der Zahl den die Männer überwiegenden Frauen auf diesen Kampf um Arbeit; und der Widerstand, der ihr auf diesem Gebiet entgegengesetzt wurde, gestaltete sich dort am schärfsten, wo die allgemeine wirtschaftliche Lage die gedrückteste, die Ueberfüllung der Berufe die größte und die Konkurrenz der Männer infolgedessen die stärkste war.

Am leichtesten vollzog sich daher der Kampf in Nordamerika. Die Frauenbewegung war hier seit den Tagen der Sklavenbefreiung in erster Linie eine politische geworden und gegen sie richteten sich hauptsächlich die Gegner, während der Wunsch, der Frauen, zu den höheren Lehranstalten und Berufen zugelassen zu werden, auf geringeren Widerstand stieß. Zwar wurde im Anfang der Vorwurf der Unweiblichkeit auch gegen die Schülerinnen der ersten Frauen-Colleges erhoben, ja von der Kanzel herunter gegen sie gepredigt, besonders das System des gemeinsamen Unterrichts beider Geschlechter heftig befehdet, aber bald beschränkte sich der Widerstand nur auf einzelne Zeloten. In den siebziger Jahren öffnete sich den andrängenden Frauen eine Hochschule nach der anderen und sie entschlossen sich auch zum Teil, ihnen akademische Grade zu verleihen. Die in allen Staaten entstehenden Frauenvereine hatten die Forderung höheren Unterrichts in ihre Statuten aufgenommen; besondere Vereine, wie die Female Medical Educational Society, richteten ihre Agitation auf bestimmte Berufsvorbereitungen. Schon 1874 wurde in der medizinischen Fakultät der Universität Boston ein besonderer Kursus für weibliche Studenten eingerichtet; heute stehen ihnen, mit Ausnahme der Staatsschulen, alle medizinischen Schulen offen. Wie Elisabeth Blackwell auf diesem Gebiet bahnbrechend vorgegangen war, so Antoinette Brown auf dem des Studiums der Theologie. Im Oberlin-College, wo sie ihr Examen glänzend bestanden hatte, waren ihr schon von den Lehrern die größten Schwierigkeiten bereitet worden und man strafte ihr "unweibliches" Vorgehen damit, daß man ihren Namen nicht in die Liste der Graduierten aufnahm. Wenige Jahre später jedoch begannen die kirchlichen Gemeinschaften, mit Ausnahme der katholischen und episkopalischen Kirche, in ihre theologischen Schulen auch weibliche Studenten zuzulassen. Aehnlich entwickelte sich das Studium der Jurisprudenz, das Arabella Mansfield zuerst für sich erzwungen hatte. Viel schwieriger wurde es den Frauen, nun auf Grund ihrer Kenntnisse zur Berufsthätigkeit zugelassen zu werden.

Den weiblichen Aerzten wurde die klinische Ausbildung schon dadurch unmöglich gemacht, daß keines der bestehenden Krankenhäuser sie zuließ, noch weniger fanden sie natürlich Patienten, man begegnete ihnen sogar mit Mißtrauen und Geringschätzung. Als Dr. Emily Blackwell und Dr. Marie Zakzrewska sich in New York niederließen, wo das erste Krankenhaus für Frauen, an dem nur weibliche Aerzte ordinierten, durch sie entstand, war es ihnen zuerst unmöglich, eine Wohnung zu bekommen: kein Hausherr wollte die Verachteten aufnehmen. Die ersten Juristinnen wurden entweder von den Gerichtshöfen als Advokaten nicht zugelassen, oder sie warteten vergebens auf Klienten. Niemand wollte den Frauen seine Sache anvertrauen. Die weiblichen Geistlichen wurden ausgepfiffen, zuweilen sogar mit Steinwürfen vertrieben, und die Graduierten der philosophischen Fakultäten fanden nur selten einen Lehrstuhl in einem College. Etwas rascher gelang den Erwerb Suchenden der Eintritt in den kaufmännischen Beruf und zwar war die Regierung ihnen hier behilflich. Schon 1862 stellte General Spinner, die allgemeine Entrüstung darüber nicht achtend, sieben Frauen als Beamte in der National-Bank an, und 1875 konnte er von über tausend Angestellten im Staatsdienst berichten, und deren Leistungen als durchaus zufriedenstellend bezeichnen.265 Ebenso bewährten sie sich im Postdienst, in dem Mitte der sechziger Jahre gleichfalls die ersten Frauen beschäftigt wurden. Ihr Eintritt in bürgerliche Berufe machte von da an rapide Fortschritte. Ein ganzes Netz von Vereinen aller Art spann sich über Amerika aus; ihre Agitatorinnen reisten von Ort zu Ort, den Gedanken der Frauenbefreiung durch selbständige Arbeit überall hin tragend.

Mehr aber als durch ihre Agitation erreichten die Frauen durch ihre Leistungen während des Bürgerkrieges, wo sie den Beweis für ihre Arbeitsfähigkeit führten. Nicht nur, daß weibliche Journalisten als Leiter von Zeitungen und Berichterstatter sich einen Namen erwarben, es waren auch allein die Frauen, die mit heldenmütiger Aufopferung die Pflege der Soldaten und ihrer Hinterbliebenen übernahmen und einheitlich organisierten. In dieser Zeit entstand in Clara Barton, die bis dahin Geistliche gewesen war, und nun rastlos pflegend und helfend den furchtbarsten Greueln des Krieges ins Antlitz sah, der Plan eines allgemeinen Verbandes von Krankenpflegern, wie er 1864 auf der Genfer Konvention unter dem Namen des Roten Kreuzes ins Leben trat. Zur obersten Leiterin der Verwundetenpflege war während des Krieges Dorothea Dix in Anerkennung für ihre Leistungen als Reformatorin des Gefängniswesens von der Regierung ernannt worden. Zu gleicher Zeit riefen eine Anzahl weiblicher Aerzte einen Frauenverein ins Leben, der zunächst nur den Zweck hatte, für die Pflege, Nahrung, Bekleidung und Unterstützung der Soldaten und ihrer Angehörigen zu sorgen, sich aber nachher zu jener Sanitäts-Kommission entwickelte, deren Zweigvereine heute in jedem Staat und fast jeder Stadt für die unbemittelten Kranken Sorge tragen. So bewiesen die Frauen Kraft zur Arbeit und Verständnis für öffentliche Angelegenheiten. Der Widerstand gegen ihr Ringen um Bildung und Arbeit wurde immer schwächer. Heute haben sie von 484 Colleges und Universitäten zu 345 Zulass von 51 technischen Hochschulen zu 28. Außerdem bestehen 4 Universitäten und gegen 160 Colleges für Mädchen allein. Seit dem Jahre 1886, wo ca. 36000 an diesen Anstalten studierende Frauen gezählt wurden266, hat ihre Zahl sich verdoppelt; allein 25000 studieren davon an den Universitäten.267 Neben 6 medizinischen Frauenhochschulen stehen fast alle Schulen für Männer auch den Frauen offen; in 6 Frauenhospitälern können sie ihrer klinischen Ausbildung nachgehen. Selbst das Studium der Theologie ist ihnen ermöglicht.



Diese glänzenden Resultate eines fast hundertjährigen Kampfes dürfen jedoch nicht mit europäischem Maßstab gemessen werden. Es giebt, besonders im Westen, sogenannte Universitäten, deren Unterrichtskreis nicht über die Tertia unserer deutschen Gymnasien herausgeht; die meisten entsprechen in Lehrplan und Lehrstoff der Sekunda und Prima, sodaß der zum Schluß verliehene Grad eines Bachelor of Arts (B.A.) nicht höher steht, als unser Abiturientenzeugnis. Sehr viele Colleges gleichen höheren Töchterschulen in Deutschland, mit dem Unterschied, daß Mathematik und klassische Sprachen dem Unterricht eingegliedert sind; andere wieder erreichen die Höhe deutscher Universitäten. So kann angenommen werden, daß von den 25000 studierenden Frauen nur etwa 500 in unserem Sinne Studentinnen sind.268 Danach kann auf eine gewisse Höhe der Allgemeinbildung der Amerikanerinnen, nicht aber auf wissenschaftliche Gründlichkeit geschlossen werden. In der Erkenntnis dieser Thatsache suchen nicht nur ernster Strebende an einer europäischen Universität den Doktorgrad zu erringen, sie haben sich auch zur Verbindung der Collegiate Alumnae zusammengethan, die durch Stipendien das Studium im Auslande ermöglicht und ein höheres Niveau der inländischen Ausbildung zu erreichen sucht. Das erstrebenswerteste Ziel aber für die weibliche Jugend Amerikas ist die bisher unerreichte Eröffnung der vier bedeutendsten Universitäten: Harvard, Yale, Johns Hopkins und Columbia. Erst eine Frau hat in Harvard ihr philosophisches Doktorexamen machen dürfen, und diese mußte sich mit einer privaten Bescheinigung darüber begnügen. Da sich nun aus den, als B.A. entlassenen Schülerinnen der Universitäten die Schulvorsteherinnen und Lehrerinnen, auch vielfach die Professorinnen der Colleges rekrutieren, so gehen deren Schülerinnen selbstverständlich wieder als mangelhaft Vorgebildete aus ihnen hervor, ein Zirkel, der nur dann durchbrochen werden wird, wenn die schärfer werdende Konkurrenz mit den Männern die Frauen zu größerer Energie um vertiefteren Unterricht aufstachelt.

Heute wird den Amerikanerinnen der Zutritt zu bürgerlichen Berufen—wohlbemerkt: Erwerbsberufen, nicht staatlichen oder kommunalen Ehrenämtern—nur selten erschwert. Seit 1872, wo Illinois durch Gesetz bestimmte, daß alle Berufe ohne Unterschied des Geschlechtes jedem offen ständen, sind etwa zwei Drittel der Bundesstaaten seinem Beispiel gefolgt. Kaum ein Beruf dürfte den Frauen vollständig verschlossen sein; seit der Ernennung von Dr. Anita Newcomb zur Militärärztin mit dem Range eines Leutnants scheint selbst die militärische Karriere ihnen in gewisser Weise offen zu stehen. Unter den Staatsbeamten finden sich nicht nur Frauen in subalternen Stellungen: in zwei Staaten bekleiden sie das Amt eines Staatssuperintendenten des Schulwesens, sind also mit anderen Worten Unterrichtsminister. Weibliche Gemeindevorsteher giebt es in größerer Zahl.269 In 22 Staaten finden sich 227 Provinzialsuperintendenten der Erziehungsanstalten. Eine Frau, Miß Estelle Reel, wurde von der Bundesregierung zum Oberinspektor der gesamten Indianerschulen ernannt. In Michigan fungiert seit 1899 eine Frau als Staatsanwalt; in Kansas sind 20 Prozent aller Schulräte und 5 Prozent aller Notare Frauen. In verschiedenen Parlamenten sind die amtlichen Stenographen Frauen; 30 weibliche Fabrikinspektoren wirken in den Bundesstaaten. Staatsarchivare und Bibliothekare sind zahlreich angestellt. In allen Ministerien der Bundesregierungen sind weibliche Beamte beschäftigt. In den sogenannten liberalen Berufen ist die Zahl der weiblichen Advokaten besonders bemerkenswert; sie werden in 22 Staaten zugelassen und selbst der oberste Gerichtshof in Washington stellte durch Gesetz vom Jahre 1879 die Frauen den Männern gleich. Bis heute nahm er acht Frauen auf. Weibliche Universitätsprofessoren finden sich auch an den ersten Universitäten des Landes, so in Boston Mercy Jackson als Professor für Kinderkrankheiten, in Wiskonsin Helen Campbell als Professor der Nationalökonomie. Außer in den genannten Berufen haben Frauen sich durch kaufmännische Unternehmungen selbständig zu machen gesucht, und besonders in den Süd- und Weststaaten haben sie sich als Besitzer und Leiter von ausgedehnten Viehzüchtereien und Milchwirtschaften, von Gemüse-, Obst- und Blumenkulturen aus Armut zum Reichtum emporzuarbeiten verstanden.270

Der amerikanischen Entwicklung dieser Seite der Frauenfrage kommt die englische am nächsten; die politische Freiheit verbunden mit der open door policy, d.h. dem Gedanken des freien Wettbewerbs, hatte einen rapiden wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge, der auch den Frauen zugute kam. Der Platz am Brotkorb brauchte ihnen nicht in so heftiger Weise streitig gemacht zu werden, wie sonst in Europa. Auch ihrem Ringen nach höherer Ausbildung wurden weniger Schwierigkeiten in den Weg gelegt.

Nachdem die königliche Kommission zur Untersuchung der Schulzustände, die 1864 eingesetzt wurde, und deren weibliches Mitglied Miß Beale den Stand der höheren Mädchenschulen zu begutachten hatte, die denkbar ungünstigsten Berichte über den Unterricht des weiblichen Geschlechts zu geben gezwungen war, entstanden allenthalben Vereine zur Verbesserung der Mädchenerziehung, die auf die Höhe des vorbereitenden Unterrichts der Knaben zur Universität gehoben werden sollte. Um einen Maßstab für sie zu haben, richtete sich die nächste Agitation auf die Zulassung der Mädchen zu den Lokalexamen der Universitäten. Schon 1865 verstand sich Cambridge, etwas später Oxford zur Abhaltung dieser Examen, die etwa zwischen das 13. und 16. Lebensjahr der Schüler zu fallen pflegen.271 Sie stehen ungefähr den Examen unserer Realschulen gleich und berechtigen keineswegs zum Universitätsstudium. Um dies zu erreichen, das den Frauen hartnäckig verweigert wurde, legte Miß Emily Davies, die schon die erfolgreiche Agitatorin für die Lokalexamen gewesen war, im Jahr 1869 zuerst in einem kleinen Hause in Hitchin die Grundlage zu Girton College. Es gelang ihr, einige Professoren von Cambridge für ihre Idee, ihre Schülerinnen zunächst zu dem leichtesten—dem sogenannten little-go—Universitätsexamen vorbereiten, zu gewinnen. Sie bestanden nicht nur dies, sondern drei Jahre später auch das schwerste, das Triposexamen. Inzwischen wurden nach dem Muster von Girton, Newnham-College, gegründet. Durch vereinte Bemühungen, die oft zu heftigem Federkrieg führten, wurde endlich erreicht, daß die Frauen zu einzelnen Vorlesungen in der Universität selbst Zutritt erlangten und schließlich—im Jahre 1881—wurden sie zu den Universitätsexamen, dem little-go und Tripos, offiziell zugelassen; bis heute jedoch müssen sie sich, trotz dauernder Bemühungen, mit einem einfachen Zertifikat begnügen; die Erteilung, der mit dem bestandenen Examen bei den männlichen Studenten verbundenen Titel wird ihnen standhaft verweigert,—es ist das das letzte Prärogativ, das die Männer sich vorbehalten wollen!—Der Kampf um Oxford war ein ähnlicher, wie der um Cambridge.272 In dem Zeitraum von 1870 bis 1894 wurden die Frauen nach und nach zu den Vorlesungen und Examen aller Fakultäten, mit Ausnahme der medizinischen zugelassen, aber die Titel gönnten ihnen auch hier ihre männlichen Kollegen nicht. Dafür gewährte ihnen schon 1878 die Universität London—lediglich eine Examinationsbehörde—sämtliche Grade, was um so wichtiger ist, als ihre Examen für die weitaus schwersten gelten. Mit kleinen Unterschieden,—so ist das Studium der Theologie und Medizin an einigen Universitäten den Frauen verboten—nehmen heute sämtliche Universitäten Großbritanniens weibliche Studenten mit gleichen Rechten auf wie männliche. Als eine Folge jedoch nicht nur der englischen Prüderie, wie viele meinen, sondern vor allem der auf diesem Gebiet besonders lebhaften Konkurrenzfurcht der Männer muß es angesehen werden, wenn der schwierige Kampf der Frauen sich um das Studium der Medizin, vor allem um die klinische Ausbildung drehte. Keine Schule und keine Examinationsbehörde wollte Frauen zulassen und so entschlossen sie sich denn, sich selbst zu helfen, indem sie, mit Unterstützung einiger Professoren, 1874 die mit einem Frauenhospital verbundene London school of Medicine for women gründeten. Ihrem energischen Vorgehen war es zu danken, daß durch Parlamentsbeschluß zwei Jahre später die Prüfungsbehörden autorisiert wurden, weibliche Studenten zu examinieren. Sie folgten freilich nur sehr langsam dieser offiziellen Aufforderung. Bis heute haben sich neun Universitäten und medizinische Schulen dazu bereit erklärt, außerdem stehen ihnen acht allgemeine Krankenhäuser neben achtzehn Frauenhospitälern offen.273

Dem Beispiel des Mutterlandes folgten die Kolonieen. Die indischen Universitäten sind seit 1878 den Frauen geöffnet; vier höhere Schulen, von denen die in Pronah unter Leitung der gelehrten und wohlthätigen Indierin Pundita Ramabai steht, sorgen für die Vorbereitung; die australischen Universitäten Sydney und Melbourne haben nie einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gemacht.274



Auch auf anderen Gebieten des vorbereitenden Unterrichts für bürgerliche Lebensberufe ist für das weibliche Geschlecht in England fast ebenso gut gesorgt, wie für das männliche. Private und öffentliche Schulen zur gewerblichen, kaufmännischen und künstlerischen Ausbildung nehmen sie auf. Auf den Lehrerseminarien, von denen es für Frauen mehr giebt als für Männer, genießen sie die Vergünstigung unentgeltlicher Ausbildung.

Den Weg zu einem neuen Frauenberuf eröffnete die 1891 gegründete Gartenbauschule von Swanley275. Durch ihre Erfolge wurde den Frauen auch die Schule der königlichen botanischen Gesellschaft zugänglich. Eine landwirtschaftliche Schule, die statutengemäß ausschließlich für gentlewomen, d.h. Frauen der bürgerlichen Kreise bestimmt ist, richtete Lady Warwick auf ihrer Besitzung 1898 ein. Wie sie neben der Gärtnerei die Geflügel- und Bienenzucht und die Milchwirtschaft in den Kreis neuer $Arbeitsmöglichkeiten einbezog, so geschieht es auch durch die von den Grafschaftsräten und Gemeinden vielfach ins Leben gerufenen landwirtschaftlichen Schulen; auch die landwirtschaftliche Nationalunion von Großbritannien hat sich durch Gründung eines Frauenzweigvereins der Sache angenommen. Durch die Einrichtung der Krankenpflegerinnenschule am St. Thomashospital, die Florence Nightingale durchgesetzt hatte, nachdem ihr im Krimkrieg die Schäden der dilettantischen Krankenpflege traurig genug bekannt geworden waren, wurde auch dieser Beruf ein Erwerbsberuf gebildeter Frauen. So giebt es kaum ein Gebiet des Berufslebens, für das die Engländerinnen sich nicht vorbereiten könnten. Im Unterschied von Amerika aber ist die Erziehung der Geschlechter,—mit Ausnahme von Irland, wo kürzlich der Versuch eines für Knaben und Mädchen gemeinsamen Colleges gemacht wurde,—fast durchweg eine getrennte. Daraus ergeben sich sowohl praktische als psychologische Folgen schädlichster Natur und die Ausbildung der Frauen ist vielfach eine minderwertige; so werden sie z.B. in zwei Jahren zu Landschaftsgärtnern vorbereitet, während Männer dazu eine Studienzeit von 5 bis 6 Jahren brauchen; und fast alle, für das weibliche Geschlecht allein eingerichteten kaufmännischen und künstlerischen Schulen haben einen kürzeren oder weniger gründlichen Studiengang, als die für Männer bestimmten. Andererseits wird aber auch durch das System der Trennung der Gegensatz zwischen den Geschlechtern, der durch den Konkurrenzkampf hervorgerufen wird, noch verschärft, statt daß er durch gemeinschaftliche Erziehung hätte gemildert werden und der Begriff der Interessengemeinschaft seine Stelle hätte einnehmen können.

Der Zugang zu bürgerlichen Berufen wurde den Engländerinnen im allgemeinen nicht allzu schwer gemacht. Sie waren nicht nur seit den Zeiten des Feudalismus keine unbekannte Erscheinung im öffentlichen Leben, sie hatten auch durch frühe, ausgedehnte und vortrefflich organisierte philanthropische Thätigkeit für ihr Verständnis und ihre Leistungskraft Zeugnis abgelegt. Von Elisabeth Fry, der Reformatorin des Gefängniswesens, bis zu Beatrice Webb finden wir eine Reihe bedeutender Frauen, die durch ihre Leistungen, mehr als durch ihre Worte für das Recht der Frau auf Arbeit kämpften. So konnte die Regierung schon 1873 den Versuch machen, die erste Frau, Mrs. Nassau Senior, als Inspektor der unter dem Localgovernment Board geregelten Armenpflege anzustellen, und wie sie schon 1864 eine Frau in die Kommission zur Untersuchung der Schulverhältnisse berufen und ihr eine außerordentlich wertvolle Arbeit zu verdanken hatte, so übergab sie nach und nach immer häufiger Frauen wichtige Aufgaben. Von einschneidender Bedeutung war 1892 die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der Arbeiterverhältnisse, in der vier Frauen mit Erhebungen über die Lage der Arbeiterinnen betraut wurden. Sie bewährten sich so, daß kurze Zeit später eine von ihnen, Miß Abraham, als erste Fabrikinspektorin und eine andere, Miß Collet, als Korrespondentin des Labour Department angestellt wurde. Auch Aerztinnen wurden als Bezirksärzte, als Sanitätsinspektorinnen, als Leiter öffentlicher Krankenhäuser,—besonders in den Kolonieen,—Beamte der Regierung. Vier von ihnen sind im Postdepartement beschäftigt.

Seit 1870 hatte die Regierung die Telegraphenlinien aus dem Besitz der privaten Gesellschaft übernommen und die weiblichen Angestellten beibehalten, ja sie hatte, trotz der lebhaften Agitation dagegen,—der einzigen, die in so großem Stil gegen das Eindringen der Frauen in bürgerliche Berufe in England entfaltet wurde,—Frauen bei den Postsparkassen angestellt. Heute stehen 25928 Frauen im Post- und Telegraphendienst Großbritanniens.276 Unter ihnen giebt es eine Anzahl, die bis zur Stellung von Postmeistern emporgestiegen sind. Fast in allen Ministerien beschäftigt die Regierung Beamtinnen, ebenso in der Gefängnisverwaltung und -Aufsicht, auf königlichen Observatorien und als Assistenten der Bibliothekare. In hervorragend leitenden Stellungen jedoch befinden sich keine Frauen. Bis vor einigen Jahren führte Miss Abraham ziemlich selbständig die Geschäfte des aus 7 Personen bestehenden weiblichen Fabrikinspektorats; als sie jedoch infolge ihrer Heirat ausschied, nahm man dies zum Vorwand, die weiblichen Inspektoren unter die Leitung des männlichen Oberinspektors zu stellen. Es scheint, daß sich in der: Zurückdrängung der Frauen auf untergeordnete Stellungen der letzte Kampf gegen ihr Gleichberechtigungsbestreben ausdrückt. Er spielt sich in den englischen Lokalverwaltungen ebenso ab, obwohl die Frauenarbeit hier noch ausgedehnter und segensreicher wirkt, als im Dienst der Regierung. Wohl haben die Frauenvereine in jedem Ort, fast in jeder Gemeinde um die Anstellung weiblicher Beamten jahrelang ringen müssen, jetzt aber können sie stolz auf das Erreichte sein: Wir finden sie als Schul-, Sanitäts und Handelsinspektoren, als Polizeimatronen und Leiterinnen öffentlicher Anstalten aller Art, als Standes- und Kirchspielbeamte, als Armenpfleger, als Steuererheber, als Landschaftsgärtner öffentlicher Anlagen und als Dozentinnen in den Haushaltungs- und landwirtschaftlichen Schulen der Grafschaftsräte thätig, aber Gemeindevorsteher und Bürgermeister wie in Amerika finden wir nicht. Anders gestaltet es sich in den privaten Berufen, wo die persönliche Leistungsfähigkeit allein den Ausschlag giebt. Nicht nur, daß weibliche Handelsangestellte, Stenographinnen und Maschinenschreiberinnen vor den Männern schon vielfach den Vorzug erhalten, immer mehr Frauen arbeiten sich zu Leiterinnen großer Geschäfte, selbst zu Bankiers empor, die, obwohl die Börse ihnen verschlossen ist, zahlreiche Kunden haben. Und die Zahl der Privatgelehrten und Schriftstellerinnen, der Journalisten und Reporter nimmt Jahr um Jahr erheblich zu. Selbst in scheinbar den Frauen fernliegenden Berufen, wie in dem des Architekten, finden wir sie thätig und zwar mit solchem Erfolg, daß kürzlich eine von ihnen zum Mitglied der sehr exklusiven Königlichen Gesellschaft der Architekten gewählt wurde. Unter den gelehrten Berufen aber ist der medizinische derjenige, in dem die Frauen in England wie in Amerika sich am meisten auszeichnen. Sie erfreuen sich großer Praxis und allgemeiner Anerkennung, die auch den Konkurrenzneid der Männer soweit besiegte, daß sie vor wenigen Jahren Mrs. Garrett-Anderson zur Vorsitzenden einer großen Abteilung der fast nur aus Männern bestehenden medizinischen Gesellschaft erwählten.

Am stärksten ist natürlich das weibliche Geschlecht im Lehrberuf vertreten. Nicht nur, daß sie die männlichen Lehrer an Zahl überwiegen, es ist ihnen gelungen, leitende Stellungen, auch an Knabenschulen zu erobern. Dabei muß eingeschaltet werden, daß das englische höhere Schulwesen ausschließlich in Privathänden ruht, weder Staatshilfe noch Staatsaufsicht genießt und die Gesellschaften, die es leiten, zum großen Teil auch aus Frauen bestehen. Infolgedessen konnte die englische Lehrerin zu solcher Bedeutung gelangen. Die männlichen Staats- und Lokalverwaltungen repräsentieren immer eine konservative Macht, die nur schwerfällig vorwärts schreitet. Das zeigt sich auch dort, wo die Frau solche Stellungen zu erreichen strebt, auf deren Gewährung die Behörden, vom eingewurzelten Vorurteil überdies unterstützt, irgend welchen Einfluß üben. Kranken- und Armenpflege, Erziehung und Unterricht waren seit alten Zeiten ein Frauenberuf innerhalb der Familien und des Stammes, es galt nur, ihn weiter auszubilden, ihn über die ursprünglichen Grenzen herauszuführen, um zur Armenpflegerin und Inspektorin, zur Lehrerin und Aerztin zu führen. Berufe aber, die nicht von Anfang an mit dem Weib als Geschlechtswesen in engem Zusammenhang standen, galten von vornherein für unweiblich und wurden ihr daher verschlossen. So geschieht es z.B. in England noch bei dem Beruf des Geistlichen und des Advokaten; nur einzelne Sekten haben Predigerinnen und Missionarinnen, die Hochkirche läßt sie ebensowenig zu wie die lutherische und katholische; und nur als Rechtskonsulenten dürfen Frauen seit kurzem praktizieren, weibliche Advokaten schließt jeder Gerichtshof vorläufig noch aus.

Frankreich, das im 18. Jahrhundert der Frauenbewegung Richtung und Ziel gegeben und sie in den revolutionären Stürmen des 19. Jahrhunderts jedesmal zu neuem Leben erweckt hatte, blieb schließlich in seinen Erfolgen hinter Amerika und England zurück. Die Ursache davon ist vorwiegend in der durch die Napoleonische Gesetzgebung hervorgerufenen zivilrechtlich ungünstigen Lage der Frauen zu suchen. Sobald daher die Frauenbewegung sich von der Reaktion der fünfziger Jahre erholt hatte, verwandte sie ihre besten Kräfte auf den Kampf gegen eine Unterdrückung, die wohl geeignet war, jedes Vorwärtsstreben zu erschweren. Ihre Agitation für höheren Unterricht und Zulassung zu bürgerlichen Berufen war aber immerhin, wenn sie auch in zweiter Linie stand, eine lebhafte. Zunächst galt es, die teilweise Eröffnung der Universität nicht dadurch illusorisch werden zu lassen, daß die Erfüllung der Vorbedingungen nicht vorhanden war. Man versuchte es Ende der sechziger Jahre mit der Einrichtung freier Vortragskurse für Mädchen, ohne Erfolg zu haben. Auch die Privatanstalten genügten nicht. Legouvé, der nach wie vor an der Spitze dieser Bewegung stand, sammelte schließlich eine immer größere Zahl von Frauen und Männern um sich, die für die Idee der staatlichen Intervention eintraten und die Errichtung von Mädchengymnasien verlangten, die denen für Knaben entsprechen sollten. Aber erst im Jahre 1880 setzte Camille Sée ein Gesetz durch, wonach der Staat sich verpflichtete, mit Unterstützung der Kommunen höhere Mädchenschulen ins Leben zu rufen. Wenn dies Gesetz auch den Wünschen der Frauen und ihrer Freunde noch nicht entsprach, denn in der Praxis gestalteten sich die neuen Institute, von denen jetzt 32 staatliche und 27 städtische bestehen, nur zu erweiterten Elementarschulen, keineswegs zu Gymnasien, so war die Anerkennung der Notwendigkeit höherer Frauenbildung durch den Staat immerhin ein Fortschritt. Seine Bedeutung ist um so größer, als von vornherein ausschließlich Frauen zu Leitern und Lehrern in den Lyceen bestimmt wurden. Das brachte eine Hebung des Lehrerinnenberufs mit sich und führte schon ein Jahr später zur Gründung der Ecole normale in Sèvres, an der die Ausbildung der dem höheren Mädchenunterricht sich widmenden Frauen erfolgt277, soweit sie sich nicht durch Universitätsstudien vorbereiten. Seit 1870 schon stehen ihnen, mit Ausnahme der theologischen, nicht nur sämtliche Fakultäten offen, sie können auch dieselben Grade erwerben wie die Männer. Auf dem Gebiet der Medizin hatten sie allerdings einen Kampf zu kämpfen, der bis heute noch nicht ganz zum Ziele führte: Zur klinischen und chirurgischen Ausbildung und dem damit verbundenen Examen wurde ihnen gar nicht oder nur ausnahmsweise Zulaß gewährt. Schließlich erreichten sie es, in den Pariser Spitälern vier Jahre studieren zu dürfen, ohne daß man sie jedoch zu den höheren Prüfungen zuließ. Die Studenten sowohl wie die Aerzte waren während des ganzen Kampfes ihre ausgesprochenen Gegner. Auch auf einem anderen Gebiete, dem des künstlerischen Studiums, war von einer Gleichberechtigung der Frauen lange Zeit hindurch keine Rede. Selbst die Leistungen einer Rosa Bonheur, einer Vigé-Lebrun waren nicht im stande gewesen, den Frauen den Zugang zur Ecole des Beaux-Arts zu ermöglichen. Die traditionelle Meinung, daß die guten Sitten dadurch verletzt würden, mußte hier ebenso wie beim klinischen Unterricht als Vorwand der Ausschließung dienen. Erst 1897 erfolgte die Zulassung; die französische Kammer bewilligte zugleich eine bestimmte Summe zur Gründung von zwei Ateliers für Schülerinnen, um damit dem Vorurteil der gemeinsamen Ausbildung der Geschlechter entgegen zu kommen.



Viel rascher ging die Frage des gewerblichen und kaufmännischen Unterrichts der Frauen einer Lösung entgegen. Schon 1870 zählten die fünf Pariser kaufmännischen Schulen 800 Schülerinnen. In den Provinzen entstanden, zum Teil durch die Kommunen, ähnliche Anstalten, deren starke Frequenz dafür Zeugnis ablegt, daß sie einem dringenden Bedürfnis entsprechen.

Die Frau im kaufmännischen Beruf ist denn auch seit langem eine wohlbekannte Erscheinung in Frankreich, und man rühmt ihr allgemein ihre Umsicht und ihren praktischen Verstand nach. Frauen, die ihr Geschäft wirklich ganz selbständig leiten, sind hier daher verhältnismäßig häufiger zu finden, als in anderen Ländern. Schon in den fünfziger Jahren wurden ihre Talente dadurch anerkannt, daß die Eisenbahngesellschaften anfingen, Frauen in ihren Bureaux anzustellen, und der Staat, der schon im Anfang des Jahrhunderts Frauen im Postdienst beschäftigt hatte, vermehrte ihre Zahl von 1877 ab bedeutend.278 Außerdem vertraute er sämtliche Tabakgeschäfte—die Tabakfabrikation und der Handel mit Tabak sind bekanntlich Staatsmonopol—, Frauen an, und beschäftigt eine große Zahl von ihnen in der Bank von Frankreich. Im übrigen ist die Zahl der staatlich angestellten Frauen gering und sie befinden sich fast ausschließlich in untergeordneten Stellungen. Den höchsten Rang nehmen die Gefängnis- und Schulinspektorinnen—von denen es allerdings nur drei giebt—ein. Die Fabrikinspektorinnen bekleiden nur das Amt von Assistentinnen, haben sich aber so bewährt, daß z.B. allein im Seine-Departement 14 thätig sind. Außer ihnen sind weibliche Staatsbeamte als Gefangenenwärter, als Lehrerinnen in Taubstummen- und Hebammenschulen zu finden. Seit einiger Zeit hat die Regierung auch Aerztinnen in ihren Dienst genommen: Madame Sarraute wirkt an der großen Oper; für das weibliche Postpersonal sind in Paris zwei Aerztinnen angestellt, andere Aerztinnen wurden den afrikanischen Missionen angeschlossen oder an staatlichen Mädchenlyceen verwendet.279 Von allen Frauen werden natürlich Lehrerinnen vom Staat und von den Kommunen am meisten beschäftigt. Ihr Einfluß reicht soweit, daß sie sowohl den Departementsräten als dem Oberschulrat als gleichberechtigte Mitglieder angehören können. Aber noch keiner Frau ist es gelungen, als Dozent an der Universität zugelassen zu werden oder die Leitung eines Hospitals in die Hand zu bekommen. Sobald es sich um angesehene oder besser bezahlte Stellungen handelt, hört auch bei den damenfreundlichen Franzosen das Entgegenkommen auf. Trotzdem wird der Zugang zu bürgerlichen Berufen den Frauen leichter gemacht, als etwa in England; sei es, weil infolge der stagnierenden Bevölkerung die Konkurrenz keine so lebhafte ist, sei es, weil die Französinnen der bürgerlichen Kreise selbst noch nicht nach Amt und Brot so heftig zu streben gezwungen sind. Unter den Studentinnen giebt es wenig geborene Französinnen, selbst unter den Aerztinnen, von denen in Paris allein 77 eine große Praxis ausüben, sind viele Ausländerinnen. Neuerdings hat die französische Frauenbewegung dadurch einen wichtigen Schritt vorwärts gethan, daß die Frauen zur Advokatur zugelassen wurden. Es war das jedenfalls nur die notwendige Konsequenz der Zulassung zum juristischen Studium. Jeanne Chauvin, die es schon vor Jahren glänzend absolvierte, hatte lange vergebens alles aufgeboten, um zu ihrem Recht zu gelangen. Nur als Beamte in den Bureaux der Rechtsanwälte hatten Frauen festen Fuß gefaßt. 1899 jedoch nahm die Kammer einen Antrag des sozialistischen Abgeordneten Viviani an, der die Zulassung der Frauen zur Advokatur forderte. Im Herbst 1900 bestätigte der Senat das Votum und ein Vierteljahr später wurde die erste Advokatin, Madame S. Balachowski-Petit, feierlich vereidet.

Unter den bürgerlichen Berufen privater Natur, in denen die Französinnen thätig sind, wird einer von ihnen besonders geschätzt: der schriftstellerische und journalistische. Von jeher haben sich die Französinnen durch ihre Gewandtheit, mit der Feder umzugehen, hervorgethan. Es sei hier nur auf Madame de Staël, Georges Sand, Madame d'Agoult (Daniel Stern), neuerdings auf Juliette Adam, die Severine, die Gyp und viele andere hingewiesen. Seit 1898 nun haben sie, allen anderen Ländern vorangehend, den Versuch gemacht, die weiblichen Talente zusammenzufassen, indem Madame Marguerite Durand unter dem Titel La Fronde eine nur von Frauen redigierte, geschriebene, ja sogar gedruckte politische Tageszeitung gründete. So wenig solch ein Unternehmen auch dem wirklichen Fortschritt entspricht und im Interesse der Frauenbewegung gelegen ist—denn erst das Zusammenarbeiten von Mann und Weib auf gleichen Gebieten und unter gleichen Bedingungen würde ihre Kräfte stählen und erproben—, so liefert es doch für die Fähigkeiten der Frau den Beweis und bahnt den Weg zu neuen Erwerbsmöglichkeiten.

Trotz der Fortschritte, die Frankreich auf dem Gebiet der bürgerlichen Frauenarbeit gemacht hat, sind sie doch nicht in demselben Tempo erfolgt, wie man es nach den Anfängen der französischen Frauenbewegung hätte annehmen können, und in dem, was erreicht wurde, ist es von manchen anderen Ländern überflügelt worden.

Nur ein flüchtiger Ueberblick,—die Schilderung der Frauenbewegung eines jeden Landes würde ins Endlose führen und im großen und ganzen dieselben Entwicklungslinien zeigen, die wir schon verfolgt haben,—soll den Beweis dafür erbringen.

In Rußland, das schon in den sechziger Jahren Universitäts- und medizinische Kurse eingerichtet hatte, vermochte selbst die mehr als zehnjährige Reaktionszeit von 1882 an, während der das Studium der Medizin den Frauen nicht gestattet wurde, dem Fortschritt ihrer Sache nicht Einhalt zu gebieten. Schon 1883 wirkten allein in Petersburg 52 Aerztinnen. 1896 erfolgte dann die Neueröffnung der medizinischen Hochschule, die den Frauen dieselbe Ausbildung zu teil werden läßt, wie sie die Männer erhalten, und sie denselben Prüfungen unterwirft. Sowohl in Moskau als in Kiew können sie unter gleichen Verhältnissen Medizin studieren, außerdem steht ihnen in Petersburg ein orientalisches Seminar zur Verfügung. Die Vorbereitung zur Universität vermitteln die schon 1868 von Frauen gegründeten und geleiteten höheren Frauenkurse, die mit der Zeit in Bezug auf den Unterrichtsstoff und die Organisierung immer besser ausgebildet wurden. Außer ihnen bestehen noch klassische Mädchengymnasien, deren Besuch ebenfalls zum Universitätsstudium berechtigt, und 350 Mädchenlyceen, die in manchen Punkten unseren höheren Töchterschulen ähnlich sind, in anderen wieder,—z.B. werden die klassischen Sprachen gelehrt, wenn auch dieser Unterricht nur fakultativ ist,—weit über sie hinaus gehen.280 Besonders hoch steht in Rußland die Ausbildung der Lehrerinnen. Nicht nur, daß sie großenteils Universitätsbildung besitzen, es wird ihnen auch in den "Instituten der Kaiserin Maria", die der kaiserlichen Kanzlei unterstehen, eine ebenso billige wie vortreffliche Erziehung geboten, die sie, nach Absolvierung der Prüfungen, zum Gouvernanten- und Volksschullehrerinnenberuf berechtigt. Es ist wohl nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß unter den russischen Frauen die Lehrerin die Trägerin nicht nur der Frauenbewegung, sondern auch die wichtigste Beförderin der Volksaufklärung und des sozialen Fortschrittes ist. Ihre Leistungen fanden soweit öffentliche Anerkennung, daß Mädchenschulen und Mädchengymnasien großenteils weibliche Lehrkräfte und sogar weibliche Direktoren haben, die allerdings zum Direktor des Knabengymnasiums in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis stehen.

Einer großen Beliebtheit erfreuen sich die weiblichen Aerzte, deren staatliche Anstellung immer allgemeiner wird. Im Gegensatz zu der herkömmlichen Ansicht, daß Frauen großen körperlichen Strapazen nicht gewachsen sind, hat es sich gezeigt, daß gerade die Landärztinnen, die gezwungen sind, unter elenden Verhältnissen, inmitten einer rohen Bevölkerung, auf schlechten Landwegen, bei allen Schauern eines russischen Winters, ihrer Praxis nachzugehen, sich außerordentlich bewähren. Aber auch in den Großstädten sind sie mit Erfolg thätig. In Petersburg, wo neben 21 männlichen 15 weibliche Bezirksärzte und außerdem 35 Aerztinnen in staatlichen Krankenhäusern Anstellung fanden281, hat der Magistrat in einem offiziellen Bericht festgestellt, daß auf einen männlichen Arzt 5400 bis 8000 Patienten, auf einen weiblichen 7000 bis 11000 fallen, diese also vom Publikum bevorzugt werden. Außer ihnen erfreuen sich auch die weiblichen Apotheker eines guten Rufs. Noch ein anderer für die russischen Verhältnisse wichtiger Frauenberuf findet die Unterstützung des Staates: Seit kurzem hat das Ministerium für Landwirtschaft landwirtschaftliche Lehranstalten für Frauen in allen Teilen des Landes eingerichtet, in denen sie sich für alle in Betracht kommenden Fächer ausbilden können. Die ersten, die ihre Studien zu Ende führten, wurden von der Regierung teils in den Bureaux des Ministeriums, teils als Inspektorinnen angestellt. Auch der Frage der Fabrikinspektoren ist Rußland in ähnlicher Weise nahegetreten, indem es zunächst die Einrichtung von Unterrichtskursen plant, deren Schülerinnen dann als Aufsichtsbeamte Verwendung finden sollen. Als ein großer Erfolg kann es ferner betrachtet werden, daß die Staatsbank Frauen beschäftigt. Diese Unterstützung, die seitens der öffentlichen Verwaltung der Frauenbewegung zu teil wird, läßt sich wesentlich aus dem Mangel an Arbeitskräften erklären und der geringe Widerstand, der ihr seitens der Männer entgegengesetzt wird, hat seinen Grund darin, daß das riesige Land und das große Volk besonders für Lehrer und Aerzte noch unendlich viel Platz haben.



Noch weiter vorgeschritten als Rußland ist Finland, wo Gymnasien und Universität dem weiblichen Geschlecht mit gleichen Rechten offen stehen, wie dem männlichen. Hier finden sich neben staatlich angestellten Aerztinnen auch weibliche Armenpfleger und Direktoren von Armenhäusern. In den Privatberufen haben die Frauen sich vor allem als Leiterinnen und Lehrerinnen der weit verbreiteten Volkshochschulkurse hervorgethan.

Das benachbarte Schweden, das schon 1870 zwei Universitäten den Frauen eröffnete und ihnen die medizinische Laufbahn erschloß, gewährt ihnen heute fast überall dieselben Rechte wie den Männern. Die Mädchenschulen, an die sich Gymnasialklassen anschließen, bereiten zum Abiturientenexamen vor, das auch von den Mädchen mit Vorliebe gemacht wird, die nicht das Universitätsstudium daran schließen; infolgedessen ist die Bildung der Schwedinnen eine im allgemeinen hohe. Seit Sonja Kowalewska als erster weiblicher Dozent den Lehrstuhl für Mathematik in Stockholm bestieg, steht auch diese Laufbahn den Frauen offen. Dr. Ellen Fries war ihre nächste Nachfolgerin, und 1897 wurde Dr. Elsa Eschelson zum Professor der Jurisprudenz an die gleiche Universität berufen. Ein Jahr später wurde eine Aerztin am Pathologisch-Anatomischen Institut der Stockholmer medizinischen Hochschule angestellt. Die Lehrerinnen, die an der Lehrerschaft Schwedens mit 63 Proz. beteiligt sind, können schon seit 15 Jahren Mitglieder der Schulaufsichtsbehörden werden, auch als Armenpfleger und im Dienste der Sittenpolizei finden Frauen Verwendung. Seit dem Jahre 1898 sind sie offiziell zur Advokatur zugelassen. Norwegen war darin mit gutem Beispiel vorangegangen. Der erste juristische Verein hatte sich mit solchem Nachdruck auf die Seite der Frauen gestellt, daß sogar ihre Zulassung zum Verwaltungsdienst und zum Notarberuf erfolgte,282 Die Universität, die ihnen erst 1880 eröffnet wurde, läßt sie heute zu jedem Studium und zu allen Prüfungen zu, ebenso sind die Gymnasien ihnen geöffnet. Apothekerinnen und Aerztinnen, Gymnasiallehrerinnen und Schulinspektorinnen sind schon lange eine gewohnte Erscheinung. Im Post- und Telegraphendienst befinden sich Frauen in Norwegen und Schweden schon seit 1857 resp. 1860.

Dänemark steht hinter den genannten Ländern zurück. Zwar läßt die Universität Kopenhagen seit 1825 Frauen mit gleichen Rechten zu, Aerztinnen sind den Aerzten gleichgestellt, und die Schulbehörden haben weibliche Mitglieder, aber der Anwaltsberuf ist ihnen verschlossen und der Staat stellt nur selten weibliche Beamte an.

Ein ähnliches Verhältnis besteht in Belgien, wo sogar die Aerztinnen ihrem Beruf nicht ungehindert nachgehen können. Besonders gut eingerichtet ist dagegen hier die gewerbliche und landwirtschaftliche Ausbildung der Frauen, die auch vom Staat dadurch unterstützt wird, daß landwirtschaftliche Lehrerinnen zur Abhaltung von Vortragskursen und Leitung praktischen Unterrichts auf das Land geschickt werden. Einen heftigen, aber bisher ganz vergeblichen Kampf kämpfen bisher die Frauen unter Führung der Juristin Marie Popelin um Zulassung zur Advokatur.283

Weit größere Fortschritte hat die holländische Frauenbewegung zu verzeichnen. In Bezug auf wissenschaftliche Ausbildung genießen die Frauen genau dieselben Vorteile wie die Männer. Auch die Gymnasien besuchen Knaben und Mädchen gemeinsam. Ebenso ist kein wissenschaftlicher Beruf ihnen verschlossen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die weiblichen Aerzte. Eine von ihnen, Fräulein Dr. von Tussenbroek, wurde 1898 als Professor der Frauenheilkunde an die Universität Utrecht berufen. Unter den drei von der Kommunal-Verwaltung Amsterdams angestellten Aerzten ist einer eine Frau, und die medizinische Examinationskommission hat seit 1898 auch ein weibliches Mitglied. Im Staatsdienst steht außerdem eine Assistentin der Fabrikinspektion, deren Anstellung allerdings erst das Ergebnis einer sehr langen Agitation gewesen ist.

Die Schweiz, die zuerst Frauen zum Universitätsstudium zuließ, ist ihrem frauenfreundlichen Prinzip seitdem treu geblieben. Zunächst spricht die steigende Verwendung von Lehrerinnen dafür: seit 1871 haben sie um 87 Proz., die Lehrer nur um 9 Proz. zugenommen. Einen noch stärkeren Beweis liefert der Umstand, daß die Frauen nicht nur als Schulräte, Schulinspektoren, Armenpfleger und,—wenn auch vorläufig in geringem Umfang,—als Arbeitsinspektoren thätig sind, sondern daß ihnen auch das Recht gewährt wurde, Lehrstühle der Universitäten einzunehmen, sowie seit 1899 als Rechtsanwälte zu praktizieren.

Italien hat gleichfalls seine alten Traditionen nicht verleugnet. Wie im Mittelalter, so lehren auch jetzt noch weibliche Dozenten an den Universitäten, die den weiblichen Studenten nie verschlossen waren, und in denen sie seit 1890 den männlichen in jeder Beziehung gleichstehen. Die Knabengymnasien werden auch von Mädchen besucht, außerdem existieren noch besondere Mädchengymnasien mit dem gleichen Lehrplan, von denen das erste 1891 vom Kultusministerium in Rom eröffnet wurde. Schon 1868 stellte der Staat die erste Schulinspektorin an284; heute sind doppelt soviel Lehrerinnen als Lehrer thätig und wirken sowohl an Knaben- wie an Mädchenschulen. Aerztinnen und Apothekerinnen stehen den Männern völlig gleich. Nur um die Zulassung zur Advokatur kämpfen die Frauen, seitdem Laida Poët, nach glänzend absolviertem Doktorexamen, energisch dafür eintrat285, bis heute ebenso vergebens wie in Belgien, und im Staatsdienst stehen, außer den Post- und Telegraphenbeamtinnen, nur wenige Frauen.

Unter den romanischen Ländern sind Spanien und Portugal die zurückgebliebensten, obwohl auch ihre Universitäten, zum Teil sogar seit Jahrzehnten, den Frauen offen stehen. Es fehlt jedoch an den Mitteln zur nötigen Vorbildung. In Spanien sind auch die höheren Berufe den Frauen verschlossen, während in Portugal weibliche Aerzte praktizieren dürfen.286 Selbst die Türkei, wo ein Mädchengymnasium besteht, gestattet den Frauen schon seit 1894 das Studium der Medizin und ließ sie bereits ein Jahr früher zur ärztlichen Praxis zu. Griechenland, Serbien und Rumänien gewähren den Frauen in Bezug auf Bildung und Beruf fast völlig gleiche Rechte mit den Männern. Rumänien läßt sie zu den Lehrstühlen der Universität und zur Advokatur zu.287 Erklären läßt sich diese, für die kulturell im allgemeinen zurückgebliebenen Länder merkwürdige Erscheinung dadurch, daß der Zudrang zum Studium und zu den wissenschaftlichen Berufen seitens der Männer kein großer ist, und man nicht nur die Lücken durch Frauen ausfüllen, sondern auch durch ihren Wettbewerb die Leistungen der Männer steigern will. Hierzu kommt, daß weibliche Aerzte gerade in muhamedanischen Bevölkerungen, wo die kranken Frauen jeder ärztlichen Hilfe entbehrten, weil sie nur von Männern ausging, einem dringenden Bedürfnis entsprechen.

Aus diesem Grunde hat auch Oesterreich sich schon verhältnismäßig früh entschlossen, Aerztinnen anzustellen, obwohl seine Stellung zur Frauenbewegung damals noch eine reaktionäre war. 1890 wurde die erste Aerztin, Dr. Krajewska, nach Bosnien berufen, der bald drei andere folgten. Sie stehen in ihren amtlichen Rechten und Pflichten den männlichen Aerzten völlig gleich. Ihrer Ausbildung konnten sie jedoch nur auf nicht-österreichischen Universitäten nachgehen. Obwohl bereits im Jahre 1878 die ersten Frauen als Gäste einzelnen Vorlesungen an österreichischen Universitäten beiwohnen durften, wurden sie erst seit 1897 als Studentinnen zu den Vorlesungen und Prüfungen der philosophischen Fakultät zugelassen, während sie offiziell weder Medizin studieren noch darin geprüft werden konnten. Erst neuerdings ist es ihnen ermöglicht worden; es steht sogar zu erwarten, daß das Studium der Jurisprudenz ihnen an allen Universitäten gestattet wird. Günstiger stellt sich die Frage des Universitätsstudiums der Frauen in Ungarn, wo sie 1896 an der Universität Budapest zu allen Fakultäten zugelassen wurden.288 Die Vorbereitung zur Universität ist die Aufgabe einer Anzahl privater Mädchengymnasien, die seit Anfang der neunziger Jahre in Prag, Wien, Budapest, Krakau und Lemberg bestehen und auf die zähe Agitation verschiedener Frauenvereine zurückzuführen sind.

Die Berufsthätigkeit der österreichischen Frauen, die sich besonders im letzten Jahrzehnt rasch erweitert hat, beschränkt sich trotzdem nur auf wenige Berufe. Zwar steht ihnen die ärztliche Laufbahn offen, in Ungarn sind sie auch zum Apothekerberuf zugelassen, im allgemeinen aber wenden sich die meisten erwerbsuchenden Frauen aus bürgerlichen Kreisen noch dem traditionellen Lehrerinnenberuf zu. Dort hat die Regierung sich nach und nach immer mehr dazu verstanden, die Volksschule, vielfach auch die Knabenklassen, weiblichen Lehrkräften anzuvertrauen. Seit kurzem—1899—hat Galizien den Anfang gemacht, Frauen auch in den Bezirksschulrat aufzunehmen,—ein Vorgehen, das von den übrigen Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie bald nachgeahmt werden dürfte. Im Staats- und Gemeindedienst stehen, außer den Volksschullehrerinnen, die Post- und Telegraphenbeamtinnen, deren Zulassung erst nach hartem Kampf mit den männlichen Kollegen erfolgte, eine Anzahl Gerichtssachverständige und Bureaubeamte in untergeordneten Stellungen.

Noch ein Blick auf die außereuropäischen Länder vollende die Uebersicht: in Australien genießen die Frauen fast überall die gleichen Rechte auf Bildung und Beruf wie die Männer. Sie stehen als Fabrik- und Schulinspektoren, als Ministerialbeamte im Staatsdienst; sie wirken als Aerzte, Anwälte und Lehrer ungehindert. In Mexiko und Brasilien können sie als Advokaten und Aerzte praktizieren. Selbst in Asien hat die Frauenbewegung Fortschritte zu verzeichnen: weibliche Aerzte und Rechtsanwälte sind in Indien, dessen Universitäten den Frauen offen stehen, keine Seltenheit. Neuerdings nimmt auch die japanische Universität Studentinnen auf und die Gründung einer eigenen Frauenhochschule steht in Aussicht. Im japanischen Postdienst finden Frauen Verwendung. China hat kürzlich ein Mädchengymnasium gegründet und an der Universität Peking dozieren weibliche Professoren. Der Negus von Abessinien und der Emir von Afghanistan haben Aerztinnen an ihren Hof berufen, und in Arabien verbreitet eine Frauenzeitung die Ideen der Frauenbewegung.



Wenden wir uns nunmehr Deutschland zu, das wir absichtlich zurückgestellt haben, damit es sich um so deutlicher, gleichsam wie ein dunkles Relief von einem hellen Hintergrund, von der vorgeschrittenen Entwicklung der übrigen Länder abhebe.

Der Fortschritt der Frauenbewegung wurde hier zunächst allein durch die Organisation der Frauen bezeichnet. Für die deutsche Frau, die mehr als irgend eine andere an die Familie, an das Haus gebunden gewesen war, erschien die Gründung von Frauenvereinen an sich schon als ein bedeutsames Ereignis. Daß es einem Bedürfnis entsprach, bewies das zahlreiche ins Leben treten von Verbänden im Anschluß an den Allgemeinen deutschen Frauenverein und an den Letteverein. Einesteils drängte das von Sorgen und Zweifeln übervolle Frauenherz nach Aussprache, andererseits trieben die traurigen Vermögensverhältnisse Tausende auf die Suche nach Arbeit. Schon 1869 konnte daher der Letteverein an die Spitze eines Verbandes deutscher Bildungs- und Erwerbsvereine treten, deren Organ "Der Frauenanwalt" eine freilich recht gemäßigte Sprache führte, und der Allgemeine deutsche Frauenverein konnte für sich und seine Zweigvereine das Blatt "Die neuen Bahnen" ins Leben rufen, das etwas energischer auftrat. Auf eine bessere Ausbildung der Mädchen versuchten beide zunächst einzuwirken. Handels- und Gewerbeschulen, wie sie in Berlin, Leipzig und Hannover seit einigen Jahren bestanden289, wurden auch anderwärts eingerichtet, um die Mädchen vor allem zum kaufmännischen Beruf vorzubereiten; sie verdankten ihr Entstehen jedoch fast ausschließlich privater Unterstützung. Staat und Kommunalverwaltungen verhielten sich ganz ablehnend. Noch schroffer war ihre Haltung, sobald die Frage der wissenschaftlichen Erziehung der Mädchen an sie herantrat. Fanny Lewald hatte ihre Zulassung zu den bestehenden Gymnasien gefordert290; der Allgemeine deutsche Frauenverein war schon vorsichtiger, indem er auf einer seiner Generalversammlungen der Rede des Dr. Wendt zustimmte, der die Gründung von Realgymnasien für Mädchen befürwortete. Aber nicht nur außerhalb, auch innerhalb des Vereins gab es noch ängstliche Gemüter genug, die um die Gefährdung der Weiblichkeit zitterten, oder die Bestrebungen der Frauen mit Hohn und Spott überschütteten. Unter den Politikern, wie unter den Männern der Wissenschaft fand sich kein Verteidiger ihrer Sache. Die erste Petition des Lettevereins um Errichtung von Mädchengymnasien wurde mit Entrüstung zurückgewiesen291, und Heinrich von Sybel machte sich zum Wortführer der Gegner des Frauenstudiums, indem er sich scharf gegen jede Emanzipation wandte und das Schlagwort von dem "einzigen Beruf" des Weibes, dem, Gattin und Mutter zu sein, schuf, das die poetischen wie die prosaischen Feinde der Frauenbewegung mit gleicher Gewandtheit seitdem im Munde führen. Ganz blind konnte jedoch selbst er nicht an den thatsächlichen Verhältnissen vorübergehen, die es vielen Frauen unmöglich machten, ihren "einzigen Beruf" zu erfüllen und so entschloß er sich zu der Inkonsequenz, der Unverheirateten wegen, die Einrichtung von naturwissenschaftlichen, medizinischen und kaufmännischen Schulen für wünschenswert zu erklären.292

Eine ähnliche Stimmung zeigte sich überall: man gab die Notwendigkeit besserer Mädchenerziehung zu, aber man hütete sich ängstlich, sich einzugestehen, wodurch sie verursacht wurde. Charakteristisch hierfür waren die Verhandlungen der Töchterlehrerversammlung in Weimar 1872. Eine Neuorganisation des höheren Mädchenschulwesens, sogar ihre gesetzliche Regelung wurde allgemein gewünscht, die Erwerbsfrage aber feige verleugnet und ausdrücklich bestimmt, daß die Mädchenschule die Teilnahme an der allgemeinen Geistesbildung den Frauen ermöglichen solle, ihre Gestaltung aber auf die Natur und die Lebensbestimmung des Weibes Rücksicht zu nehmen habe. Der deutsche Verein für das höhere Mädchenschulwesen, der ein Jahr später ins Leben trat, fußte auf diesen Grundsätzen, und als sich im selben Jahre das preußische Unterrichtsministerium entschloß, sich mit der Frage zu beschäftigen, stellte es sich auf den gleichen Standpunkt, machte aber der Frauenbewegung insofern eine Konzession, als es erklärte, daß die Vorbildung für künftige Berufsarbeit besonderen Einrichtungen vorbehalten werden müsse. Solche Einrichtungen zu treffen, sollte jedoch ganz der privaten Initiative überlassen bleiben. Eine Ausländerin, Miß Archer, war es, die zuerst dazu den Mut gefunden hatte, indem sie unter dem Namen Viktoria-Lyceum in Berlin eine Anstalt ins Leben rief, in der Mädchen, die die Schule absolviert hatten, sich wissenschaftlich weiterbilden konnten. Fast zehn Jahre später wurde die Humboldt-Akademie in Berlin zu ähnlichem Zweck gegründet, ohne daß beide zunächst praktische Folgen aufweisen konnten, weil das Studium in den Anstalten zu keinerlei Prüfung berechtigte. In dieser ganzen Zeit war die Agitation der Frauen für ihre Sache eine sehr zaghafte. Sie beschränkte sich fast nur auf die Thätigkeit innerhalb der Vereine. Dagegen setzte die litterarische Fehde seit Sybels Auftreten ihr Für und Wider lebhaft fort. Die streitbare Feder Hedwig Dohms trat seit Anfang der siebziger Jahre in den Dienst der Frauenbewegung293, während die milde Luise Büchners durch Rücksichtnahme auf Tradition und Vorurteil die Leser zu gewinnen suchte294. So wurde zwar die Aufmerksamkeit mehr als bisher auf die Frauenfrage gelenkt, aber von öffentlichem Interesse war sie nicht.

Mit dem Ende der achtziger Jahre entwickelte sich eine lebhaftere Bewegung zu gunsten des wissenschaftlichen Unterrichts der Frauen. Unzufrieden mit dem vorsichtigen Vorgehen des Allgemeinen deutschen Frauenvereins, der außerdem seine Kräfte vielfach verzettelte, wurde der Verein Frauenbildungs-Reform ins Leben gerufen, der die Errichtung von Mädchengymnasien und Eröffnung von Universitäten zu seinem ausschließlichen Ziele nahm und sofort 1888-89 an die Unterrichtsministerien und Volksvertretungen aller Staaten eine Petition um Zulassung zu den Maturitätsprüfungen der Gymnasien und dem Studium an den Hochschulen versandte. Inzwischen war auch der Allgemeine deutsche Frauenverein lebendiger geworden; er reichte im selben Jahre allen Kultusministerien Deutschlands ein Gesuch ein, wonach das Studium der Medizin, sowie alle Studien und Prüfungen, durch welche die Männer die Befähigung zum wissenschaftlichen Lehramt erlangen, den Frauen freigegeben werden möchten. Die Antworten, die beide Vereine erhielten, gaben die Stimmung Deutschlands gegenüber den Frauen zu einer Zeit, wo sie in fast allen Kulturländern studieren, als Aerztinnen oder Advokatinnen praktizieren konnten und wichtige Staatsämter ihnen anvertraut wurden, deutlich genug wieder: dem Verein Frauenbildungs-Reform gegenüber erklärten sich die Einzelstaaten nicht kompetent zur Lösung der Frage, der Reichstag aber verwies wieder an die Einzelstaaten, und der Allgemeine deutsche Frauenverein bekam von 7 Staaten eine ablehnende, von 6 gar keine Antwort. Nur in einer Beziehung kam der Staat den Frauen entgegen, indem er dem Viktoria-Lyceum das Recht erteilte, Oberlehrerinnen auszubilden und sie durch eine offizielle Prüfungsbehörde examinieren ließ.

Inzwischen war noch ein anderer Verein mit radikaleren Zielen unter dem Namen "Frauenwohl" entstanden, der sich zur Gründung von Realkursen für Mädchen entschloß, aus denen einige Jahre später unter der Leitung von Helene Lange Gymnasialkurse sich entwickelten. Ihrer klugen und energischen Agitation war es auch zu danken, daß endlich, 1893, die Zulassung zum Abiturientenexamen den Mädchen gestattet wurde. Die Gymnasien selbst blieben ihnen verschlossen,—nur die Gymnasien von Pforzheim und Mannheim nehmen neuerdings auch weibliche Schüler auf,—man sah sich daher wieder auf Selbsthilfe angewiesen. Allmählich entstanden in einer Reihe deutscher Großstädte Gymnasien nach dem Muster der Knabengymnasien oder Gymnasialkurse, die Mädchen nur nach der absolvierten Töchterschule aufnehmen wie das Berliner Vorbild. Von großer Bedeutung war es, daß die Stadt Karlsruhe das Gymnasium schließlich selbst übernahm, es schien gewissermaßen die öffentliche Sanktion der bisher privaten Bestrebungen der Frauen zu sein. Die Städte München und Breslau gingen noch weiter, indem sie Mädchengymnasien selbständig errichten wollten. Aber die Erlaubnis wurde ihrem staatsgefährlichen Beginnen versagt! Der damalige preußische Kultusminister Dr. Bosse sprach in Bezug auf das Breslauer Unternehmen von einem Flämmchen, das er ersticken müsse, ehe es zur verheerenden Flamme werde. Und das geschah im Jahre 1898, zu einer Zeit, wo Rußland schon 30 Jahre lang staatliche Mädchengymnasien besaß, und China im Begriffe stand, das erste zu gründen! Daß die Haltung der Regierung und der Volksvertretung gegenüber der Forderung der Zulassung der Frauen zu den Universitäten keine freundliche war, wo schon ihre Vorbereitung dafür keine Unterstützung fand, ist nicht zu verwundern. Als 1891 die erste Petition um Freigabe des ärztlichen Studiums im deutschen Reichstage zur Verhandlung kam, wurde sie wie ein revolutionärer Akt betrachtet. "Das deutsche Weib", "die deutsche Familie", "die deutsche Sittsamkeit", wurden mit großem Aufwand an Pathos ihr gegenüber verteidigt. Nur die Sozialdemokraten, Bebel an ihre Spitze, traten mit nachdrücklichem Ernst für die Sache der Frauen ein295,—gefährliche Bundesgenossen, denn nun war in den Augen aller Konservativen die Frauenbewegung rot abgestempelt. Als in den folgenden Jahren die Petition aufs neue zur Verhandlung kam, zeigten sich die Vertreter liberaler Parteien zwar der Sache geneigter, das Resultat aber blieb dasselbe: die Wünsche der Frauen wurden durch einfachen Uebergang zur Tagesordnung erledigt.296



Seitdem hat eine Aenderung der Verhältnisse sich im stillen vorbereitet. Die Universitäten fingen an, Frauen als Hospitantinnen zuzulassen, zunächst—wahrscheinlich aus Ehrfurcht vor dem "deutschen Weibe"—wesentlich Ausländerinnen, von denen einige sogar deutsche Doktordiplome erringen durften, dann aber auch Deutsche. Die Erfahrungen, die man machte, mußten keine schlechten sein, denn, obwohl die Aufnahme weiblicher Hörer von dem Wohlwollen jedes Dozenten abhing, steigerte sich ihre Zahl von Jahr zu Jahr. Und zwar ließen, im Unterschied zu anderen Ländern, Professoren aller Fakultäten, auch der theologischen, Frauen zu ihren Vorlesungen zu. Aber einen praktischen Wert besaß ihr Studium insofern nicht, als sie immer nur geduldet und nicht geprüft wurden. Erst im Jahr 1899 beschloß der Bundesrat die Zulassung der weiblichen Studierenden zu den medizinischen und pharmazeutischen Staatsprüfungen. Gegenwärtig hat er auf Antrag des Reichskanzlers beschlossen, den Frauen weitere Zugeständnisse zu machen, indem ihnen die Studienzeit auf ausländischen Universitäten,—auf die sie bisher allein angewiesen waren, wollten sie mit dem Examen abschließen,—bei der Meldung zur deutschen Staatsprüfung voll angerechnet werden soll. Das ist für Deutschland ein großer Fortschritt, auch wenn man in Betracht zieht, daß in Italien schon seit zehn Jahren weibliche Dozenten der Medizin Lehrstühle der Universitäten bekleiden, Griechenland dem Deutschen Reich um zwei, die Türkei gar um fünf Jahre voraus ist, und in Rußland schon seit nahezu 18 Jahren die Staatsprüfungen den Frauen offen stehen.

Der Geist des neuen Jahrhunderts schien sich endlich auch der deutschen Frauen erbarmen zu wollen: Heidelberg und Freiburg gewährten ihnen volles akademisches Bürgerrecht.

Nach alledem sind die deutschen Töchter der Bourgeoisie auf folgende Bildungsmöglichkeiten angewiesen: Es stehen ihnen neben Privatinstituten 580 höhere Mädchenschulen offen, im Gegensatz zu 850 höheren Knabenschulen, die aber nur gehobene Elementarschulen und im preußischen Etat z.B. den Volksschulen zugerechnet sind; von ihnen sind nur 17 staatlich. Sie können ferner Mädchengymnasien, die, bis auf eins, unter privater Leitung stehen, besuchen und zum Abiturientenexamen Zulassung finden. Wollen sie sich zur Lehrerin vorbereiten, so stehen ihnen in Deutschland 114 Seminare zur Verfügung. Charakteristisch ist, daß in Preußen allein 112 Staatsseminare für Männer und—10 für Frauen gezählt werden. Das Oberlehrerinnenexamen können sie auf Grund ihrer Studien am Viktoria-Lyceum, an der Humboldt-Akademie oder in den von Göttingen eingerichteten Fortbildungskursen machen. Nur an zwei Universitäten können sie mit gleichen Rechten wie die Männer studieren und nur das medizinische Doktorexamen steht ihnen offiziell überall offen. Die staatlichen Kunst- oder Kunstgewerbeakademieen verhalten sich nicht anders als die Mehrzahl der Universitäten.

Zu den nicht wissenschaftlichen Berufen wird ihnen die Vorbereitung weniger erschwert, obwohl die betreffenden Schulen auch hier fast ausschließlich privater Initiative ihren Ursprung und ihr Bestehen verdanken. Neben den Handels- und Gewerbeschulen sind neuerdings, nach dem Muster Englands, auch Gartenbauschulen für Frauen entstanden.

Das trübe Bild, das wir entwerfen mußten und das auf einen außerordentlich langsamen zaghaften Fortschritt schließen läßt, wird noch um vieles trüber, wenn wir von dem Kampf um Ausbildung für das Berufsleben zum Kampf um die Berufe selbst übergehen.

Im Jahre 1867, als in England und Frankreich Frauen schon mit Erfolg im Post- und Telegraphendienst standen, erregte die darauf bezügliche erste Petition des Allgemeinen deutschen Frauenvereins im Reichstag des Norddeutschen Bundes nichts als schallende Heiterkeit297, die sich fünf Jahre später, unter Führung des Staatssekretärs von Stephan wiederholte298, und nur insofern einen Fortschritt in der Stimmung zum Ausdruck brachte, als sie dem Reichskanzler zur Berücksichtigung überwiesen wurde. Gleiches Schicksal erfuhren die Petitionen um Zulassung der Frauen zum Apothekerberuf. In der Frauenwelt selbst war ein leiser, aber anhaltender Fortschritt bemerkbar. Not lehrt denken, und so wurden in den freilich engbegrenzten Kreisen der Vereine die Erwerbsmöglichkeiten in eingehende Erwägung gezogen. Der Börsenkrach von 1873 bis 1874 zwang besonders Scharen von Frauen und Mädchen dazu, sich nach einem Beruf, der sie ernähren konnte, umzusehen. Man petitionierte bei den verschiedenen Landesvertretungen um vermehrte Anstellung von Lehrerinnen, man gründete—im Allgemeinen deutschen Frauenverein—einen Stipendienfonds, um arme Mädchen im Ausland studieren zu lassen, man sprach zum erstenmal davon, daß Frauen im Gemeindedienst, in Kranken-, Armen- und Arbeitshäusern, in Gefängnissen und bei der Sittenpolizei Verwendung finden müßten, ohne natürlich den geringsten positiven Erfolg zu haben. In der Not verstieg man sich sogar dazu, den "wohlerzogenen" Mädchen den Beruf der Schneiderinnen anzupreisen, "deren Los ein angenehmes und besonders einträgliches sei".299 Thatsächlich wandten sich auch, in Ermangelung anderer Berufe, viele Frauen der Bourgeoisie Arbeiten zu, die ihnen für Haus und Familie schon gewohnt waren und die sie nun ernähren, oder—der häufigste Fall—ihre finanzielle Lage verbessern sollten. Dem deutschen Philister war solch ein Vorgehen, das Weib und Tochter nicht dem "trauten Heim" entriß, sympathisch; kämpfte er doch sogar gegen jede Erweiterung desjenigen Berufs an, der schon lange ein Frauenberuf war: dem der Lehrerin. Dabei leitete ihn freilich weniger Vorurteil und Sentimentalität, als Konkurrenzfurcht.—Die Differenzen zwischen Lehrern und Lehrerinnen traten zuerst im Verein für das höhere Mädchenschulwesen zu Tage, ergriffen aber schnell weitere Kreise. Die Männer wollten die Thätigkeit des weiblichen Erziehers womöglich nur auf die Elementarfächer beschränken, während die Frauen, gereizt durch diese Haltung, in das entgegengesetzte Extrem verfielen, und den ganzen Mädchenunterricht in die Hände bekommen wollten, indem sie sich natürlich auch ihrerseits auf Sittlichkeit, Weiblichkeit und wie die schönen Worte alle heißen, die dem Deutschen besonders geläufig sind, beriefen. Dieser Streit spitzte sich zu, als der Verein für höhere Mädchenschulen darum petitionierte, daß die Leitung solcher Anstalten nur einem Mann anvertraut, die Lehrerinnen dagegen dem Unterrichtsministerium ein Gesuch einreichten, wonach der Unterricht in der Mittel- und Oberstufe hauptsächlich den Frauen überlassen werden sollte. Erst nach fast zwanzigjährigem Kampf bestimmte das preußische Kultusministerium die stärkere Verwendung weiblicher Lehrkräfte und die Anstellung von Oberlehrerinnen für die Oberstufe.300 Dieser Erfolg war großenteils dem organisierten Vorgehen der Lehrerinnen selbst zu danken, die sich unter Leitung von Fräulein Helene Lange 1890 zu einem Verein zusammengeschlossen hatten, der heute über elftausend Mitglieder zählt. Trotz seiner numerischen Stärke, die allerdings zu der Gesamtzahl der deutschen Lehrerinnen in traurigstem Mißverhältnis steht, ist die Anstellung von Oberlehrerinnen sein wesentlichster Erfolg geblieben, der noch dadurch beeinträchtigt wurde, daß die Wünsche der Männer von der Regierung insofern Berücksichtigung erfuhren, als die Oberlehrerin nicht selbständige Direktorin werden kann, sondern nur dem Direktor als oberste Hilfskraft zur Seite gestellt ist.

Schroffer noch als gegen die Lehrerin, die doch immerhin die Tradition für sich hat, war bis in die neueste Zeit die Stellung der deutschen Bourgeoisie der Aerztin gegenüber. Sie konnte zwar, dank der Gewerbefreiheit, nicht an der Ausübung ihres Berufs gehindert werden, aber sie rangierte unter den Kurpfuschern, und jede öffentliche Stellung war ihr nicht nur verschlossen, sie war auch ständig der Gefahr ausgesetzt, auf Grund von Denunziationen oder dergleichen um ihr Brot gebracht zu werden. Wiederholt wurden Petitionen an den Reichstag sowohl wie an die Landtage gerichtet, die eine Aenderung dieses Zustandes und die Gleichstellung der weiblichen mit den männlichen Aerzten wünschten. Die vom Jahre 1894 trug nicht weniger als 50000 Unterschriften. Aber die Regierung sowohl als die Majorität des Reichstags sprach sich gegen sie aus. Wie in der Frage des Studiums, so stellte sich auch in dieser Berufsfrage die sozialdemokratische Partei allein rückhaltlos auf die Seite der Frauen. Seit den Reaktionsjahren nach 1848 hatte der deutsche Liberalismus seinen revolutionären Geist und seine demokratischen Ideen so sehr eingebüßt, daß er die Vertretung liberaler Forderungen mehr und mehr der Sozialdemokratie überließ. So kam es, daß zu einer Zeit, wo die Frage der Zulassung der Frauen zum ärztlichen Beruf in Amerika, England, Frankreich, Rußland und Oesterreich soweit entschieden war, daß sie sogar im Staatsdienst Verwendung fanden, in Deutschland ihre Lösung zu Gunsten der Frauen wie ein revolutionärer Akt gefürchtet wurde. So kam es aber auch, daß die Frauenbewegung bei allen "staatserhaltenden" Parteien in den Geruch sozialdemokratischer Gesinnung kam und zahllose von ihren Vätern, Männern und Brüdern abhängige Frauen sich entweder ganz von ihr zurückzogen, oder so vorsichtig und zurückhaltend in ihren Wünschen wurden, wie etwa der Allgemeine deutsche Frauenverein es stets gewesen ist.



Der im Jahre 1894 nach dem Vorbild des amerikanischen Nationalverbandes gegründete Bund deutscher Frauenvereine wirkte, so bürgerlich ängstlich er auch auftrat, doch belebend auf die deutsche Frauenbewegung, die an der großen Organisation—er umfaßt heute 131 Vereine—einen Rückhalt hat. Der Widerstand gegen sie wurde aber dadurch nur noch heftiger herausgefordert. Ein charakteristischer Beweis dafür ist die Haltung der Aerzte gegenüber den Ansprüchen, die die Frauen auf Eintritt in ihren Beruf erhoben. Es war auch hier in erster Linie der Kampf ums Brot, der die Mediziner zu den Waffen rief. Einige waren ehrlich genug, das ohne weiteres zuzugestehen, andere handelten wie blinde Fanatiker, indem sie die Verhältnisse im Ausland unrichtig darstellten, um ihre Ansicht zu unterstützen.301 Zu einem gemeinsamen Vorgehen gestalteten sich die Verhandlungen und Beschlüsse des 26. deutschen Aerztetags in Wiesbaden 1898, wo im Anschluß an Professor Penzoldts, auf einseitigstem Material beruhendem Referat gegen die Zulassung der Frauen zur ärztlichen Berufsthätigkeit Beschluß gefaßt wurde,—im selben Jahr, als der große englische Verein der Mediziner Mrs. Garrett-Anderson zu seiner Präsidentin erwählte! Einen ähnlichen, in schroffster Form ausgedrückten Beschluß faßte zu gleicher Zeit der deutsche Apothekerverein, während ein Jahr früher der belgische Pharmazeutenkongreß zu Mons genau das Gegenteil erklärt hatte, der russische Staat eine pharmazeutische Schule für Frauen gründete und in Holland bereits seit 30 Jahren weibliche Apotheker thätig waren! Aber das war noch nicht alles. 1899 weigerte sich der Kongreß deutscher Zahnärzte, eine Berufskollegin als Teilnehmerin aufzunehmen, und der Berliner ärztliche Standesverein denunzierte den Hilfsverein für weibliche Angestellte, weil er es gewagt hatte, für seine 10000 Mitglieder drei weibliche Aerzte anzustellen. Infolgedessen befahl das Polizeipräsidium die Streichung der Aerztinnen aus der Liste. Damit aber auch die alten Aerzte sicher sein konnten, nicht auszusterben, erließen die Kliniker in Halle einen fulminanten Protest "im Interesse der Sittlichkeit und Moral" gegen die Beteiligung von Frauen an klinischen Vorlesungen; schließlich kamen diese Ansichten im Reichsamte des Innern zu offiziellem Ausdruck, als die medizinische Sachverständigen-Konferenz die Frage der Zulassung des weiblichen Geschlechts zum ärztlichen Beruf noch nicht für spruchreif erklärte—nachdem seit über zwanzig Jahren Aerztinnen in Amerika, Australien, England, Rußland praktizierten, und der Negus von Abessinien und der Emir von Afghanistan dem Volke der Denker schon so weit voraus waren, daß sie Leib- und Hausärztinnen ernannten.

Diese lächerlichen Feindseligkeiten hemmten zwar die Bewegung, vermochten aber nicht, ihr Einhalt zu gebieten. Die in Deutschland thätigen weiblichen Aerzte, deren Bahnbrecherin Fräulein Dr. Tiburtius gewesen war, erfreuen sich einer großen Praxis. Die Lebensversicherungsgesellschaften stellen sie mehr und mehr in ihren Dienst, und die Krankenkassen, die sich auf ihrer Generalversammlung 1899 einstimmig zu ihren Gunsten aussprachen, setzten es durch, daß ihre Anstellung offiziell genehmigt wurde. Als Assistentinnen wirken eine Anzahl Aerztinnen in Krankenhäusern und Sanatorien. Kürzlich hat auch die Berliner Sittenpolizei einen weiblichen Arzt angestellt. Seit einigen Jahren besteht eine von Berliner Aerztinnen gegründete und geleitete Klinik, die zwar winzig ist im Vergleich zu den Hospitälern Amerikas und Englands, aber sicher eine günstige Entwicklung haben wird. Durch die Zulassung der Studentin zu den Staatsprüfungen dürfte die Aerztinnenfrage endlich auch in Deutschland gelöst sein.

Von bedeutenden Erfolgen der Frauenbewegung ist auf dem, Gebiet der Berufsthätigkeit nicht viel zu berichten. Sie sind minimal, wenn wir sie im Lichte der ausländischen Entwicklung betrachten: Seit kurzem werden hie und da weibliche Inspizienten des Handarbeitsunterrichts angestellt, den bisher Männer zu begutachten hatten; einige Kommunalverwaltungen machen den Versuch mit der Beschäftigung von Armen- und Waisenpflegerinnen; in Mannheim wurde eine Frau in den Aufsichtsrat der höheren Mädchenschule berufen; auch in städtischen Arbeitsvermittlungen sind zuweilen Frauen thätig. Im Staatsdienst stehen, neben den Post-, Telegraph- und Telephonbeamtinnen, Gefängnisaufseherinnen in untergeordneten Stellungen und einige Gerichtssachverständige und Dolmetscher; neuerdings sollen Frauen auch als Aufsichtsorgane in der Zwangserziehung Verwendung finden. Als Assistentinnen an Universitätsinstituten sind gleichfalls auch Frauen thätig. Weit wichtiger ist die nach langer hartnäckiger Agitation endlich erfolgte Anstellung weiblicher Assistenten der Fabrikinspektoren in Bayern, Württemberg, Baden, Hessen, Sachsen-Coburg-Gotha und schließlich auch in Preußen. Die Diskussionen, die ihrer Berufung im Reichstag und in den Landtagen vorausgingen, bilden allein ein interessantes Kapitel der Frauenbewegung. Im Anfang wurde die von den Sozialdemokraten unterstützte Forderung mit Gelächter aufgenommen, etwas später entschloß man sich zu ernster Erörterung, begründete aber die ablehnende Haltung mit den—Mißerfolgen der Fabrikinspektorinnen in England und besonders in Amerika, während ihre Existenz in Frankreich überhaupt angezweifelt wurde. Als schließlich auch die Liberalen der Sache Verständnis entgegenbrachten, wurde sie von den Konservativen bekämpft, als gelte es, die Grundlagen des Staates zu schützen. Man sprach sogar von Seiten der Regierung die Befürchtung aus, die weiblichen Beamten könnten zu sehr die Partei der Arbeiterinnen nehmen. Im sächsischen Landtag erklärte ein Abgeordneter die Standesehre der Fabrikanten durch ihre Anstellung für verletzt, und als im März 1899 die Frage dem preußischen Abgeordnetenhaus zur Entscheidung vorlag, wurde von allen Seiten betont, daß nur ein Versuch gemacht werden solle und die Frauen auf keinen Fall selbständig sein, sondern nur als "Beamte zweiter Kategorie" angesehen werden dürfen. Nur in diesem Sinn wurde endlich die Entscheidung getroffen.

Einen etwas günstigeren Verlauf nahmen die Bestrebungen zur Erweiterung der Berufsthätigkeit auf privatem Gebiet. Der von der Tradition geheiligte alte Frauenberuf der Krankenpflegerin, der bisher für die einzelnen mehr eine Opferthat religiöser Gesinnung, als ein aus Gründen des Erwerbs aufgesuchter Lebensberuf war, begann sich langsam den modernen Forderungen anzupassen. Sowohl der Verein des Roten Kreuzes, als, in noch höherem Grade, der evangelische Diakonieverein, bieten den Krankenpflegerinnen neben einer festen Organisation eine von religiöser Engherzigkeit befreite Thätigkeit.302 Aber das Odium christlicher Liebesarbeit, die keinen Lohn verlangt, klebt dem Berufe noch so fest an, daß er noch keinen ausreichenden Lebensunterhalt bietet und dabei eine Aufgabe alles persönlichen Behagens fordert, der nur wenige gewachsen sind.303 Infolgedessen bietet er noch Platz für viele. Erst eine völlige Umgestaltung, durch die die Erinnerung an die Nonne ganz verwischt wird, kann hierin Wandel schaffen, und würde viele brach liegende Frauenkräfte nutzbar machen. Wenn auch eine "Lösung der Frauenfrage" nicht davon zu erwarten ist304, so doch eine Erleichterung und Bereicherung des Frauenlebens.

Manche Enthusiasten der Frauenarbeit—es giebt auch solche in Deutschland!—haben durch einen anderen Beruf die Frauenfrage zu lösen geglaubt: durch den der Handelsangestellten. In der That ist ihre Zahl in rapider Zunahme begriffen und sie bewähren sich so sehr, daß ihre Verwendung selbst in verantwortlichen Stellungen eine immer häufigere ist. Wir finden weibliche Handelsreisende und Agenten, weibliche Beamte in Lebensversicherungs-Gesellschaften und Banken, in den Bureaux der Rechtsanwälte und der großen Industriellen. Zumeist aber erklärt sich ihre starke Vermehrung weniger aus dem Wunsch, den Bedürfnissen der Frauen entgegenzukommen, sondern vielmehr daraus, daß sie ihren männlichen Berufsgenossen gegenüber als Lohndrücker ausgespielt werden. Auf anderen Gebieten, die sich die Frauen erst neuerdings erobert haben, fällt dieser Umstand weit weniger ins Gewicht.

So sind in den zoologischen Instituten weibliche Hilfspräparatoren, in einzelnen chemischen Fabriken akademisch gebildete weibliche Chemiker thätig, und den Aufschwung des Kunstgewerbes haben sich viele Frauen zu nutze gemacht, indem sie als gelernte Modelleure und Zeichner in großen Werkstätten Anstellung fanden, oder selbständig als Kunststicker, Dekorateure u. dergl. arbeiten; auch als Gärtner, Obst- und Gemüsezüchter finden Frauen eine lukrative Berufsthätigkeit. Ebenso sind weibliche Photographen, Bibliothekare, Versicherungsagenten keine Seltenheit mehr.305 Einen weiteren Schritt auf dem Wege zur Gleichstellung hat die Humboldt-Akademie in Berlin den Frauen eröffnet, indem sie in immer größerem Umfange wissenschaftlich Gebildete, meist weibliche Doktoren, zur Abhaltung von Vortragskursen heranzog. Allerdings ist das nicht im entferntesten ein Lebensberuf, wohl aber eine Anerkennung der wissenschaftlichen Befähigung der Frauen. Vorteilhafter für sie ist ihre zunehmende Verwendung im Journalismus. Zwar sind sie noch weit davon entfernt, wie in Amerika und England als Kriegskorrespondentinnen großer Zeitungen, oder, wie in Frankreich, als Leiterinnen politischer Blätter thätig zu sein, ihre Mitarbeit beschränkt sich meist auf spezielle Gebiete des Frauenlebens und der Frauenfrage, und sie stehen nur an der Spitze von Frauenzeitschriften, aber ihrem Einfluß ist der Umschwung in der Stimmung gegenüber der Frauenbewegung, der unverkennbar Platz greift, mit zu verdanken. Von wesentlicher Bedeutung hierfür ist es jedoch, daß auch die deutschen Frauen anfangen sich wissenschaftlich zu bethätigen, und durch ihre Leistungen dem Gegner Achtung abnötigen. Während bis vor nicht allzu langer Zeit selbst die Führerinnen der Frauenbewegung einen Mangel an Kenntnissen, selbst in Bezug auf ihr eigentliches Gebiet, verrieten, der oft geradezu verblüffend war, haben sie im Laufe des letzten Jahrzehnts an Vertiefung und Einsicht gewonnen. Eine Reihe von Frauen haben Arbeiten über die rechtliche sowohl wie über die soziale Lage des weiblichen Geschlechts geliefert306, die zwar an die Leistungen einer Beatrice Webb oder Helen Campbell nicht heranreichen, aber doch verraten, daß sie mit dem Dilettantismus, dem traurigen Schoßkind gerade der deutschen Frauen, endgültig gebrochen haben. Auch das Prinzip ängstlicher Zurückhaltung, das bisher die deutsche Frauenbewegung kennzeichnete, scheint mehr und mehr zu verschwinden. Die Berührung mit dem Ausland,—ein Verdienst des Bundes deutscher Frauenvereine, der sich im Anschluß an den internationalen Frauenbund bildete,—die Kenntnisnahme der Stellung und der Handlungsweisen der nichtdeutschen Frauen, die mit der Gewalt einer neuen Entdeckung wirkte, waren von belebendem Einfluß. Vor allem aber ist es die zunehmende Not, die mit ihren Peitschenhieben auch die Trägsten vorwärts treibt.