Die Stellung der Frauen im Geistesleben

Frauenbildung in der italienischen Renaissance. — Die berühmten Frauen Spaniens. — Christine de Pisan und die Bildung der Frauen Frankreichs. — Der erste deutsche Vorkämpfer der Frauenbewegung. — Die gelehrten Frauen und ihre Neigung zur Mystik. — Die Erziehungspläne Mary Astells. — Die "gelehrten Frauenzimmer" des 18. Jahrhunderts. — Die französische Salondame. — Rousseaus Einfluß auf die Frauen.

Die wirtschaftliche Entwicklung wirkte in steigendem Maße auf die Trennung der Menschheit in die Masse der Besitzlosen auf der einen und die wenigen Besitzenden auf der anderen Seite. Der geistige Fortschritt, die Ausbreitung allgemeinen Wissens und höherer Kultur wurden dadurch bestimmt: harte Arbeit, unaufhörlicher Kampf ums tägliche Brot, raubten dem Volk sowohl die notwendige Muße, als die geistige Frische und Empfänglichkeit für eine tiefere Bildung, die daher zu einem Privilegium der besitzenden Klassen werden mußte. Mehr noch als für die Männer gilt diese scharfe Trennung für die Frauen, denen bedeutend weniger Hilfsmittel zu Gebote standen, um die widrigen äußeren Lebensumstände überwinden zu können.


Auch in die Klöster, die in der ersten Zeit ihres Bestehens Zufluchtsstätten aller Bildung waren, traten meist nur begüterte und vornehme Frauen ein. Wurden Arme aus Gnade und Barmherzigkeit aufgenommen, so fanden sie als Mägde Verwendung und nahmen keinen Teil an dem vielfach reichen geistigen Leben des Klosters. Wenn daher die Geschichte der geistigen Entwicklung des weiblichen Geschlechts verfolgt werden soll, so darf nicht vergessen werden, daß sie sich im allgemeinen auf die Kreise der Besitzenden beschränkt, wie die Geschichte der Frauenarbeit fast ausschließlich nur von den besitzlosen Frauen sprechen konnte.

Im frühen Mittelalter waren Geistliche und fahrende Spielleute die Lehrer der vornehmen Frauen. Sie vermittelten ihnen einen Grad von Bildung, der zwar an sich gering genug war, aber immerhin den der Männer im allgemeinen übertraf. Hieß es doch, daß Gelehrsamkeit den Mann furchtsam und weibisch mache und daher möglichst zu vermeiden sei.136 Manche Burgfrau konnte nicht nur die Heiligenlegenden, sondern auch die Bibel im Urtext lesen. Die traurigen, durch die unaufhörlichen inneren Wirren verursachten Zustände, verbunden mit dem Einfluß der protestantischen Kirche, die aller Frauenbildung durchaus abhold war, hemmten im Norden Europas die Weiterentwicklung der geistigen Hebung des weiblichen Geschlechts. Im Süden dagegen, vor allem in Italien, wo nicht wie im deutschen Reich die unter dem Deckmantel religiöser Kämpfe geführten Kriege der Fürsten untereinander allen Wohlstand untergraben, die Gemüter erhitzt und mit dem schlimmsten Fanatismus, dem religiösen, erfüllt hatten, wurden die Thore der Wissenschaft den Frauen weiter geöffnet als je vorher.

Auf klassischem Boden war die antike Kunst und Wissenschaft zu neuem Leben erwacht. Alle Umstände wirkten zusammen, um diese Wiedergeburt zu ermöglichen. Die Kleriker, die die Sprache des Horaz und des Cicero nicht untergehen ließen, die Kreuzfahrer, die nicht nur das Morgenland, sondern auch das Land Homers und Platos wieder entdeckten, die fahrenden Sänger, die ihre Weisen nach denen heidnischer Dichter formten, sie alle bahnten dem Zeitalter der Renaissance die Wege, und die blühenden Handelsstädte mit ihrem freien Bürgertum, die glänzenden Fürstenhöfe mit ihren an Mitteln und Muße reichen Bewohnern bildeten den Nährboden, aus dem es seine Lebenskraft sog. Auch die Religion war kein Hindernis; der Glanz der Kirche hatte die weltentsagenden Lehren des ursprünglichen Christentums längst vergessen machen.

Die Frauen nahmen, soweit sie den begüterten Volksklassen angehörten, ohne darum kämpfen zu müssen an den geistigen Schätzen teil, die in fast unerschöpflicher Fülle gehoben wurden. Ihre Zeit und ihre Kräfte wurden nicht mehr durch die umfangreiche hauswirtschaftliche Thätigkeit früherer Jahrhunderte in Anspruch genommen, da Handwerk und Industrie die Herstellung einer großen Menge Gebrauchsgegenstände übernommen hatten und die grobe tägliche Arbeit ausschließlich den Mägden überlassen blieb. So war es nur eine natürliche Folge der Befreiung des begüterten Teils des weiblichen Geschlechts von einförmiger Arbeitslast, daß er an der Kunst, die ihn umgab, an der Wissenschaft, von der er reden hörte, lebhafteres Interesse nahm und daß einzelne, besonders begabte Frauen gelehrte Berufe ergriffen, oder künstlerisch thätig waren. In den Häusern der Handelsherrn und den Palästen der Fürsten genossen die Kinder beiderlei Geschlechts von humanistisch gebildeten Erziehern denselben Unterricht. Hervorragende Pädagogen widmeten ihre ganze Kraft der Heranbildung ihrer Zöglinge, sodaß z.B. eine Cäcilia Gonzaga unter Leitung Vittorinos de Feltre schon mit zehn Jahren die klassischen Sprachen vollkommen beherrschte.137 Aber nicht einseitige Gelehrsamkeit war das Ziel der Erziehung, vielmehr war es die harmonische Ausbildung der ganzen Persönlichkeit, die Individualisierung des einzelnen Menschen.138 Die große Errungenschaft der Renaissance für das weibliche Geschlecht lag demnach nicht darin, daß die Universitäten den Frauen geöffnet wurden und der Ruhm einzelner weiblicher Gelehrten die damalige Welt erfüllte, sondern in der Anerkennung der Frau als eines selbständischen Menschen. Die höhere Form des Umganges zwischen den Geschlechtern, von dem die italienischen Novellisten139 und Biographen erzählen, ist allein schon ein Beweis dafür. Der Inhalt der Geselligkeit bestand nicht mehr allein in den Freuden der Tafel und der Liebe, das Weib war nicht mehr nur Schaffnerin und Geliebte, sie nahm an wissenschaftlichen Unterhaltungen teil, vor ihr trugen die Dante, Petrarca, Boccaccio ihre Dichtungen vor, und ihr reifes Urteil wurde dem der Männer gleich geachtet, ja häufig wog es schwerer, als jenes.140 Frauen, wie Katharina Cornaro in Venedig, Isotta Malatesta in Rimini, Aemilia Pia in Urbino, Isabella von Este in Mantua, Veronica Gambarra in Bologna waren der Mittelpunkt geistig lebendiger Kreise, von deren Meinung der Ruhm so mancher Dichter und Künstler abhing. Die größere Freiheit, welche die Frauen der Renaissance genossen, die Selbständigkeit, mit der sie ihren eigenen Ueberzeugungen und Gefühlen folgten, hat religiöse und moralische Zeloten veranlaßt, sie als ganz besonders sittenlose Geschöpfe hinzustellen, und manche führen sie noch heute als Beispiele dafür an, daß das Weib verderbe, wenn es dem Manne sich gleich stellen wolle. Ein Vergleich jedoch zwischen den im allgemeinen geistig tief stehenden Frauen Frankreichs und Englands im 15. und 16. Jahrhundert mit den hochgebildeten Frauen Italiens zur gleichen Zeit, muß durchaus zu Gunsten dieser entschieden werden.141 Sie waren keine stillen stumpfen Dulderinnen oder hinterlistige Intrigantinnen, sie zerrissen daher häufig die Bande entwürdigender Ehen und folgten der Stimme ihres Herzens, und diese höhere Sittlichkeit schloß von selbst leichtfertige Sittenlosigkeit gerade bei den bedeutendsten unter ihnen aus.

Wo aber die allgemeine Bildung der Frauen in einseitige Gelehrsamkeit ausartete und wo Frauen als Künstlerinnen, Dichterinnen oder Rednerinnen öffentlich auftraten, machte sich ein Charakterzug besonders bemerkbar: ihre Wissenschaft wie ihre Kunst trugen ein völlig männliches Gepräge, und das höchste Lob, das ihnen gezollt wurde, war das, einen männlichen Geist zu haben. Schon die Theologin Boulonnois, die im 13. Jahrhundert in Bologna predigte und Professor wurde,142 war wegen der "männlichen Kraft" ihrer Rede berühmt. Novella d'Andrea, die holdselige Lehrerin des kanonischen Rechts und Magdalena Buonsignori, die gepriesene Verfasserin von "de legibus connubialibus"143 waren Rechtsgelehrte von "männlichem Scharfsinn". Isotta Nogarola, die vor Päpsten und Kaisern Vorträge hielt, Cassandra Fedele, die in Padua dozierte, Ippolita Sforza, die auf dem Kongreß zu Mantua den Papst begrüßte, Isikratea Monti und Emilia Brembati, deren Redekunst Hunderte von Zuhörern anzog—sie alle sahen ihren höchsten Ehrgeiz darin, ihr Geschlecht vergessen zu machen. Und so sehr war diese Auffassung gang und gäbe, daß sogar bedeutende Frauen vor sich selbst das Gelübde der Keuschheit ablegten, weil sie zwischen dem Dienst der Wissenschaft oder Kunst und dem physischen Leben des mütterlichen Weibes keine harmonische Verbindung fanden. Zu ihnen gehörte Vittoria Colonna, die gefeierte Dichterin, die unsterbliche Freundin Michelangelos.144 Auch sie vermochte, trotz der geistigen Höhe, auf der sie stand, trotz der geistigen Kraft, die ihr eigen war, die Kluft zwischen dem Weibe als Geschlechtswesen und dem Weibe als Künstlerin und Gelehrte nicht zu überbrücken. Und an diesem Punkt mußten die Frauen der Renaissance scheitern, weil die Rolle, die sie als ausübende, nicht nur als anregende und urteilende Kräfte im geistigen Leben spielten, nicht das Ergebnis einer aus der inneren Entwicklung des gesamten weiblichen Geschlechts herauswachsenden Bewegung, sondern nur eine spontane Befreiung einzelner Frauen aus geistiger Gebundenheit war. Darum blieb diese Erscheinung auch ohne tiefgreifende Folgen; sie war nicht einmal ein ausreichender Beweis für die geistige Ebenbürtigkeit der Frauen, weil sie zu ängstlich in die Fußstapfen der Männer traten, statt zu zeigen, daß sie auch ihren eigenen Weg zu gehen wissen.

Durch oberflächliche Beurteilung könnte aus den zahllosen Schriften jener Zeit über die Frauen, ihren Ruhm und ihre Fähigkeiten eine tiefgehende Frauenbewegung gefolgert werden. Eine nähere Kenntnis jedoch beweist, daß viele Schriftsteller, der antikisierenden Mode folgend, einen wahren Heroenkultus trieben und jeder ein Plutarch zu sein glaubte, wenn er Biographien berühmter Männer schrieb. Solche berühmter Frauen konnten nicht ausbleiben, da sie überall mit im Vordergrund des geistigen Lebens standen. Boccaccio ging zuerst mit dem Beispiel voran und schilderte in seiner lateinisch geschriebenen Abhandlung: De casibus virorum et feminarum illustrium eine Reihe hervorragender Frauen von den Griechen an bis zu seiner Zeit. Wie wenig er dadurch zu einem Vorkämpfer der Frauenfrage wurde, zeigt seine heftige Satire auf das weibliche Geschlecht: Il Corbaccio. Zahlreich waren seine Nachahmer;145 sie suchten einander nicht durch Geist und Witz, sondern durch die Masse der verherrlichten Frauen zu übertreffen, bis schließlich Peter Paul Ribera durch sein Werk über die unsterblichen Triumphe und heldenhaften Abenteuer von 845 Frauen alle in den Schatten stellte. Es war nur ein Schritt weiter auf dem einmal betretenen Wege, wenn mit großem Aufwand von tönenden Worten nunmehr der höhere Wert des weiblichen Geschlechts vor dem männlichen gepriesen146 und die Frage zum Stoff gesellschaftlicher Unterhaltung wurde, an dem Redekunst und geistreicher Witz sich übten. Einen tieferen Eindruck hinterließ diese ganze Litteratur auf die Dauer in Italien nicht, weil sie dem Bedürfnis zu fern lag und nur für jene wenigen Frauen von Interesse sein konnte, die dank ihrer günstigen äußeren Verhältnisse sich mit gleichen geistigen Waffen mit den Männern zu messen vermochten.

Ihre Zahl war, trotz der 845 berühmten Frauen Riberas, im Verhältnis zur Allgemeinheit und zu der Zeitspanne, auf die sie sich verteilten, nur gering. Auch Spanien, dessen Frauen sich damals mehr als andere ihres männlichen Geistes wegen rühmten, brachte nur wenige wirklich hervorragende weibliche Gelehrte hervor, unter denen die Theologin Isabella von Cordoba147 und die in vierzehn Sprachen gleich gewandte Rednerin Juliana Morelli von Barcelona sich besonders auszeichneten.

Während in Italien und Spanien die Frauen, ohne darum kämpfen zu müssen, gewissermaßen selbstverständlich an den geistigen Errungenschaften teil nahmen—als Empfangende, wie als Gebende, war ihre Lage in Frankreich, England und vor allem in Deutschland eine durchaus andere. Sie waren gedrückt durch die wirtschaftliche Lage, und Wissenschaft und Kunst gelangte nur durch zweite und dritte Hand zu ihnen. Darum entstand zunächst nur in wenigen Frauen durch das Beispiel der Italienerinnen der Wunsch nach geistiger Fortbildung, nach intellektueller Gleichberechtigung. Und er trat—bezeichnend genug für die Zustände in Mitteleuropa—häufig in Gemeinschaft mit dem Bedürfnis nach einem Broterwerb auf. Die französische Schriftstellerin Christine de Pisan ist ein klassisches Beispiel dafür.148 Früh verwitwet, sah sie sich gezwungen, ihre Kinder zu ernähren und groß zu ziehen. Da sie eine, für die Ansichten ihrer Zeit, des 15. Jahrhunderts, gute Erziehung genossen hatte, bildete sie sich mit eiserner Energie weiter aus und ermöglichte es, von ihrer Schriftstellerei mit ihren Kindern leben zu können. Ihr Roman von der Rose, ihre geistvolle Geschichte Karls V. machten ihr über die Grenzen ihres Vaterlandes hinaus einen Namen. Für die Beurteilung der Frauenfrage jener Zeit ist jedoch ihre Streitschrift "La cité des dames" besonders interessant. Sie schilderte darin das Leben und Wirken der italienischen Juristin Novella d'Andrea, um, daran anknüpfend, für die wissenschaftliche Bildung der Frauen einzutreten, und erklärte zum Schluß, daß die Männer nur aus dem Grunde dagegen seien, weil sie fürchteten, die Frauen könnten klüger werden als sie. Christine de Pisan genießt den Ruhm durch diese Arbeit die erste Schrift zur Frage der Emanzipation der Frauen geschrieben zu haben; sie war, infolge ihres eigenen Lebenskampfes, prädestiniert dazu. Nicht der Süden, der über seine Kinder einen solchen Ueberfluß an Reichtum und Schönheit ausschüttete, daß auch die Frauen nicht abseits stehen konnten, sondern die Länder Mittel- und Nordeuropas, wo der Kampf ums Dasein alle, auch die Frauen erfaßte, waren der Nährboden der Frauenfrage und der Frauenbewegung. Diejenigen, die sich der Not und Unterdrückung ihres Geschlechts zuerst bewußt wurden und sie in Worte zu fassen wagten, konnten natürlich nicht die Allermißhandeltsten sein; sie mußten auf einer gewissen Höhe der Bildung und des Verständnisses stehen. Denn die tiefste Not macht stumpf; sie zerstört alle Thatkraft; sie läßt selbst das Gefühl der Unzufriedenheit mit dem eigenen Elend nicht aufkommen.

Die erste Nachfolgerin Christinens in Frankreich war darum auch eine Frau desselben Standes wie sie: Mademoiselle de Gournay, die Adoptivtochter Montaignes. Sie proklamierte die Gleichberechtigung der Geschlechter mit Ausnahme der Wehrpflicht. Einen direkten praktischen Erfolg hatten diese Bemühungen selbstverständlich nicht, aber sie wirkten im Verein mit dem Einfluß des Humanismus, dem Aufblühen von Kunst und Litteratur und dem durch zunehmende Ausbeutung des Volks wachsenden Wohlstand der oberen Klassen auf die Erhöhung der Frauenbildung. Was Geist und Wissen betrifft, ragte eine Königin, die beinahe zu einer sagenhaften Gestalt geworden ist, aus der Menge gelehrter Frauen hervor: Margarete von Navarra, die Schwester Franz' I.149 Ihre Erzählungen, ihre Gedichte, vor allem aber ihr Briefwechsel, geben den Geist des 16. Jahrhunderts mit all seinem Leichtsinn und seiner Grazie lebendig wieder, sie weisen aber auch überall die Spuren der Nachahmung italienischer Vorbilder auf. Ihre gleich kluge, aber, im Gegensatz zu ihr, sittenlose Namensschwester, Margarete von Valois, die Gattin Heinrichs IV.150, schrieb fünfzig Jahre später einen selbständigeren Stil und verfaßte, voller Verachtung für die sie umgebende schwächliche und gemeine Männerwelt, trotzend auf ihren energischen Geist, eine Schrift über die Ueberlegenheit des weiblichen Verstandes.

Bedeutende Leistungen auf wissenschaftlichem Gebiet haben die Frauen Frankreichs jedoch nicht aufzuweisen. Eine einzige nur ragt aus der Menge hervor: Anna, die Tochter des gelehrten Philologen Tanneguy Lefèbre und Gattin seines unbedeutenden Schülers André Dacier. Die ersten französischen Uebersetzungen des Plautus und Aristophanes, des Terenz und vor allem des Homer stammen von ihr, und ihre Streitschrift: Traité des causes de la corruption du goût, worin sie die Angriffe Lamottes gegen die Ilias und die Odyssee energisch zurückwies, hat einen dauernden Wert behalten. Daß Anna Dacier so allein steht, ist leicht begreiflich, denn die Gelehrsamkeit, die ein Mittel geistiger Befreiung, vertieften und verfeinerten Lebens für alle hätte werden sollen, wurde zur Modelaune der "guten Gesellschaft", die sich schließlich bis zu lächerlichen Verzerrungen verstieg. Die Frauen fanden, wie in Italien, die Harmonie zwischen ihrer weiblichen Natur und ihrer wissenschaftlichen Bildung nicht. Auch sie entsagten vielfach der Liebe und der Mutterschaft, um sich ungestört ihren Studien zu widmen. So brachten z.B. die Précieuses des Hotel Rambouillet die gelehrten Frauen in berechtigten Verruf, und wenn Molière in seinen Lustspielen Précieuses ridicules und Femmes savantes ihrer Unnatur tödliche Streiche versetzte, so zeigte er sich damit nicht als Feind, sondern als Freund des weiblichen Geschlechts.

Weit mehr als auf die geistige Entwicklung Frankreichs hatte die Wiederbelebung des klassischen Altertums auf die Deutschlands eingewirkt. Aber die Zeiten waren zu schwer, die Masse des Volks zu arm, die Frauen zu tief befangen in dem engen Kreis ihrer häuslichen Sorgen, als daß sie in nennenswerter Weise daran hätten teilnehmen können. Erst sehr allmählich drang der Geist der neuen Zeit aus den Stuben der Gelehrten und den Hörsälen der Universitäten auch zu ihnen. Während das fünfzehnte und sechzehnte Jahrhundert die Blütezeit weiblicher Gelehrsamkeit in Italien, in Spanien, zum Teil auch in Frankreich war, setzte sie in Deutschland erst im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ein. Viel früher beschäftigten sich jedoch die Humanisten mit der theoretischen Erörterung der Frauenfrage, wie sie die italienische Renaissance dadurch aufgestellt hatte, daß sie den Frauen die Pforten zur klassischen Bildung nicht verschloß. Was dort ohne Kampf unter dem unmittelbaren Eindruck der großen geistigen Errungenschaften geschah, darüber mußte der grüblerische Deutsche erst langatmige Theorieen aufstellen, und der langsame, künstlich niedergehaltene Geist der deutschen Frau konnte die fremde Nahrung nur in homöopathischen Dosen vertragen. Der erste Gelehrte, der als Vorkämpfer dieser Art Frauenfrage gelten kann, war der merkwürdige platonisch-christliche Philosoph Cornelius Agrippa von Nettesheim. Seine Schrift über den Vorzug des weiblichen Geschlechts,151 die 1505 erschien, liest sich zum Teil wie eine moderne Verteidigung des Rechts der Frauen auf Bildung. Er geißelt die Erziehung der Mädchen zur Faulheit und erklärt, daß nur sie daran schuld sei, wenn die Frauen ihre Fähigkeiten nicht entwickeln und den Beweis ihrer der männlichen gleichwertigen Geisteskraft nicht liefern könnten. Das mystisch-phantastische Beiwerk erdrückt freilich häufig den klaren Gehalt seines Werkes. Von seinem Erscheinen ab nahm der Federkrieg für und wider die höhere Frauenbildung kein Ende. Die Gegner verstiegen sich sogar bis zu der Behauptung, daß die Weiber keine Menschen seien und forderten dadurch die Freunde, wie Simon Gedicke, Andreas Schoppius und Balthaser Wandel zur Verteidigung heftig heraus.152 Trotz aller theoretischen Auseinandersetzungen aber blieb die weibliche Bildung auf die elementarsten Kenntnisse beschränkt; eine Charitas Pirkheimer, die im Hause ihres Bruders die Leuchten deutscher Kunst und Wissenschaft versammelt fand, und, ähnlich den Prinzessinnen an den Höfen italienischer Mäcene, zwischen ihnen lebte, gehörte zu den sehr vereinzelten Ausnahmen.153 Der Adel war verroht, das Bürgertum beschränkt und nüchtern, die Fürstenhöfe arm und klein. Erst mit dem 17. Jahrhundert trat ein Wandel ein. Aber gerade jetzt, wo die Gelehrsamkeit der Männer etwas Müdes, Unproduktives, Epigonenhaftes an sich trug, konnte auch das endlich zum Vorschein kommende Bedürfnis der Frauen nach höherer Bildung nicht in lebenspendender Weise befriedigt werden. Wohl lernten Fürstinnen und Gelehrtentöchter die klassischen Sprachen, wohl wurden Wunderkinder, wie Anna Marie Kramer, angestaunt, die mit 12 Jahren alte Professoren in der Disputation besiegten, wohl brachten einzelne Frauen154 es zu einem solchen Grade von Gelehrsamkeit, daß ihre Arbeiten nicht gleich mit ihnen starben, wohl wurden Ströme von Tinte zu ihrem Lobe verschrieben,155 aber keine einzige, wirklich durchbildete, geistig reife, und dabei weibliche Persönlichkeit ist unter ihnen zu finden. Die Gelehrsamkeit haftete nur an der Oberfläche, sie war nichts weiter als jener "Wissenskram" Fausts, den starke Naturen abschütteln, wie bunte Lappen, um von innen heraus erst sie selbst zu werden. Einen Versuch der Art hat vielleicht Elisabeth von der Pfalz, die Tochter des unglücklichen Winterkönigs gemacht, die durch großes Elend zu tieferer Weltanschauung gelangte. Sie war zuerst eine eifrige Schülerin von Descartes gewesen, mit dem sie in regem Briefwechsel gestanden hatte, und warf schließlich all ihre gelehrten Bücher bei seite, die ihr Gemüt unbefriedigt ließen, und der Hunger nach einem vollen Lebensinhalt durch alle eingelernte Weisheit nicht zu stillen war. So wandte sie sich der mystischen Sekte der Labadisten und schließlich den Quäkern zu, weil auch sie die Einheit zwischen Leben und Wissen nicht fand. Zu ihren Freunden gehörte jene weit über ihr Verdienst bewunderte Niederländerin Anna Maria von Schurmann. Man pries sie als das Wunder des Jahrhunderts, als zehnte Muse. Und doch litt auch sie Schiffbruch im Glauben an sich selbst und ihre Weisheit und folgte ebenfalls, eine schlichte Büßerin, dem neuen Propheten Jean Labadie.

Das Schicksal der gelehrten Königin Christine von Schweden gestaltete sich kaum anders; auch ihr Wissen wurde nicht Gehalt und Bereicherung ihres Daseins, auch sie suchte schließlich durch ihren Uebertritt zum Katholizismus in der Religion das was sie bisher nicht gefunden hatte: Befriedigung für ihr vernachlässigtes Gemüt.

Die Erkenntnis von der Notwendigkeit einer allgemeineren Bildung des weiblichen Geschlechts, die nicht gelehrte, sondern denkende, für die Erziehung der eigenen Kinder fähige Frauen schaffen sollte, ließ allenthalben den Wunsch nach höheren Schulen für Mädchen laut werden. In England, wo die weibliche Schulbildung eine sehr mangelhafte war, trat der Dissenter und treue Anhänger Wilhelms von Oranien, Daniel Defoe,156 für die Gründung einer Frauenakademie ein, indem er erklärte: Wenn Wissen und Verstand überflüssige Zuthaten für das weibliche Geschlecht wären, so hätte ihnen Gott nicht die Fähigkeiten dazu verliehen,157 und Mary Astell,158 die mit Christine de Pisan als Vorkämpferin der Frauenbewegung in eine Reihe gestellt werden kann, unterwarf die Erziehung des weiblichen Geschlechts einer scharfen Kritik. Sie schlug vor, Anstalten zu gründen, in denen nicht nur die Mädchen in den Wissenschaften unterrichtet, sondern auch die alleinstehenden, unzufriedenen, weil unthätigen Frauen zu nützlicher Arbeit im Dienste der Armen und Kranken angehalten werden sollten.159 Mit logischer Schärfe wandte sie sich gegen das Recht des Stärkeren: "Wenn durch Naturgesetz jeder Mann jeder Frau überlegen ist, so dürfte selbst die größte Königin nicht regieren, sondern ihrem letzten Diener gehorsam sein ... Wenn bloße Stärke das Recht zu herrschen giebt, so sind wir jedem Lastträger Gehorsam schuldig ... Aber der kräftigste ist nicht immer der weiseste Mann ... Geist ist ein Geschenk, das Gott unparteiisch unter die Geschlechter verteilte."

Aus dem Ton ihrer Sprache geht deutlich hervor, daß keine zaghafte, unselbständige Frau ihn gebraucht hat. Denn trotz der mangelhaften Bildung stand die Engländerin, was ihre Stellung in der Gesellschaft und ihren Charakter betrifft, über den Frauen des nördlichen Kontinents. Die freiheitliche politische Entwicklung, die schon damals aus jedem Mann einen Staatsbürger mit den Rechten und Pflichten eines solchen gemacht hatte, konnte auch an der Frau nicht spurlos vorübergehen. Und die großen Herrscher ihres Geschlechtes mußten die gesamte Meinung über die Frau günstig beeinflussen; vor allem aber lebten Traditionen einer Vergangenheit in ihnen fort, in der die Frauen der höheren Stände politische Rechte besessen hatten. Die Großgrundbesitzerinnen aus den alten eingesessenen Familien und die freien Bürgerinnen der Städte sandten ihre Vertreter ins Parlament. Staatliche Aemter, so das der Friedensrichter, wurden häufig von Frauen bekleidet. Erst auf das Betreiben des berühmten Juristen, Sir Edward Coke, der sich auf die Vorschriften des Neuen Testaments berief und eine Frau nicht einmal als Zeugin vernehmen wollte, wurde das weibliche Geschlecht Anfang des 18. Jahrhunderts vom Wahlrecht ausdrücklich ausgeschlossen.160 In Anna Clifford verkörperte sich kurz vorher noch einmal die ganze stolze Selbständigkeit der englischen Staatsbürgerin. Jahrelang protestierte sie gegen die Vergewaltigung ihrer Rechte; als sie unter Karl II. ihr Wahlrecht ausübte, ihre Wahl jedoch beanstandet wurde und die Regierung an Stelle ihres Kandidaten einen anderen aufstellte, erklärte sie ihr: "Ein Usurpator hat mich vergewaltigt, ein König hat mich verachtet, aber ein Unterthan wird mich nicht beherrschen. Ihr Mann wird Westmoreland nicht vertreten."

Der Kampf um die mit Füßen getretenen Grundrechte des englischen Volkes und die Declaration of rights, sowie ihre gesetzliche Bestätigung im Jahre 1689 mußten auch in das geistige Leben der Frau eingreifen, wenn sie auch persönlich unberücksichtigt blieb. Steigerte doch die Erweiterung und Befestigung der Rechte der Bürger, die Einschränkung der Befugnisse der Krone die allgemeine Sicherheit und das Selbstbewußtsein jedes Einzelnen. Alle diese Ursachen wirkten zusammen, um die Anfänge der Frauenfrage in England anders zu gestalten, als auf dem Kontinent. Sie spitzte sich gleich zu einer rechtlichen und politischen Frage zu, und der Kampf um die intellektuelle Gleichberechtigung trat mehr in den Hintergrund. Daher werden wohl die Namen derer genannt, die wie Anna Clifford, ihre politischen Rechte verteidigten, aber der Typus der gelehrten Frau tritt nur ganz vereinzelt auf. Das Interesse für die Wissenschaften äußerte sich weit mehr durch Gründung und Unterstützung gelehrter Anstalten—nicht weniger als zwölf Colleges wurden vom 14. bis zum 16. Jahrhundert von Frauen gegründet161—als durch produktive Geistesarbeit. Keiner dieser Frauen fiel es ein, eine Hochschule für ihr eigenes Geschlecht ins Leben zu rufen. Defoes Plan und Mary Astells Vorschlag blieben somit unbeachtet.

In Deutschland fanden sie—soweit es sich eben nur um Pläne handelte—zahlreiche Nachahmer. Die moralischen Wochenschriften im Anfang des 18. Jahrhunderts erörterten das Thema nach allen Richtungen hin. In Hamburg war man sogar nahe daran, eine Akademie zu gründen. Aber es kam nicht dazu. Statt dem weiblichen Geschlecht eine fruchtbare allgemeine Bildung zu vermitteln, vermehrte sich nur die Zahl einseitiger "gelehrter Frauenzimmer". Gottsched, der lange Zeit der litterarische Alleinherrscher war, sang ihnen unverdiente Loblieder, während seine weit klügere Frau sich in ihren Briefen wiederholt über die Frauen lustig machte, deren sehnsüchtig erstrebtes Ziel der Doktorhut war. Thatsächlich erwarben ihn Frauen, die durch den Mangel selbständiger Leistungen deutlich genug zeigten, daß mehr Eitelkeit und Ehrgeiz, als Talent und Wissensdurst die Triebfedern ihres Strebens waren. Zu den wenigen Ausnahmen gehörte Dorothea von Schlözer, die unter anderem ein dem weiblichen Geschmack scheinbar so fernab liegendes Thema, wie die russische Münzgeschichte, behandelte. Die hervorragendste aller gelehrten Frauen Deutschlands, die freilich weit in die moderne Zeit hineinreicht, bedurfte zur Erhöhung ihres Ruhmes der akademischen Würden nicht: es war Karoline Herschel,162 die Entdeckerin von sechs Kometen, die große Gehilfin ihres großen Bruders.

Trotz des absprechenden Urteils, das im allgemeinen über die weiblichen Gelehrten des 17. und 18. Jahrhunderts zu fällen ist, dürfen doch die Dienste nicht vergessen werden, die sie der Frauenbewegung leisteten: sie brachten durch eigenes energisches Heraustreten aus dem gewöhnlichen Rahmen des Frauenlebens die Frage der höheren weiblichen Bildung in Fluß und auf sie ist es mit zurückzuführen, daß ihre Lösung die erste Aufgabe der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung, ja die eigentliche Triebfeder ihrer Entstehung wurde.

Um aber das Bild der Frau der oberen Stände bis zur Schwelle des 19. Jahrhunderts, also bis zu der Zeit, von der ab eine planmäßige Frauenbewegung überall zum Durchbruch kam, zu vollenden, darf die französische Beherrscherin der Salons des vorigen Jahrhunderts nicht vergessen werden. In den zahllosen Memoiren jener Zeit spiegelt sich das Bild ihres Wesens wieder: ihre Grazie und ihre Frivolität, ihre Gefühlsroheit und ihre Sentimentalität, ihre tiefe Erniedrigung und ihr Erwachen. Selbst durch die dicken Mauern der Klöster, in denen die jungen Mädchen erzogen wurden, schlüpfte die Lascivität: so schmiedete eine der Maitressen Ludwigs XV. hier schon als Schülerin den Plan, durch den sie den König einfangen wollte.163 Glanz und Vergnügen war Aller Sehnsucht; eine Ehre war's, die Heldin eines Skandals zu sein und die Kavaliere des Hofes konnten sich der Verfolgungen hoher Damen kaum erwehren.164 Die Ehe war ein zwischen den Eltern des Paares abgemachtes Geschäft. Es widersprach durchaus der Sitte, galt für altmodisch und lächerlich, wenn die Gatten einander Liebe zeigten. Die Frau hatte ihre Liebhaber, der Mann seine Maitressen. Bei der umständlichen Morgentoilette empfing die Dame des Hauses ihre ersten Besuche; abends in der kleinen, dicht verschlossenen Theaterloge, die auch gegen den Zuschauerraum durch Vorhänge geschützt werden konnte, nachts auf den üppigen Maskenbällen hatte sie ihre rendez-vous. Wie die Mode alle Natur unterdrückte, die Taille gewaltsam einzwängte, die Hüften durch Reifröcke ins Ungeheuerliche vergrößerte, die Haare durch Puder ihrer Farbe beraubte, das Gesicht durch Schminken und Schönpflästerchen zur Maske machte, so waren auch alle natürlichen Gefühle erstickt und verzerrt. Liebe, Kunst, Wissenschaft—alles stand nur im Dienst der Genußsucht. Die vielgerühmte geistreiche Konversation des 18. Jahrhunderts war schillernd und oberflächlich, nur auf Triumphe der Eitelkeit berechnet. Für die Korruption des weiblichen Geschlechts spricht jedoch eine Thatsache lauter als alles andere: die Verachtung der Mutterschaft, das Verleugnen des Kindes. Kaum geboren, schickte die Mutter es aufs Land zu einer Amme; es selbst zu nähren, verbot die Rücksicht auf die Gestalt und die Forderung des geselligen Lebens. Zurückgekehrt, wurde es einem Hofmeister, oder einer Gouvernante übergeben, die so früh als möglich einen jungen Herrn oder eine junge Dame aus ihm machten. Daß es eine fröhliche Kindheit für diese armen Geschöpfe nicht gab, beweisen die steifen Toiletten—Miniaturausgaben der Anzüge Erwachsener—die geschminkten Kinderwangen und gepuderten Löckchen. Das Kloster löste schließlich die Erziehung durch die Gouvernante ab.165 Und währenddessen ging die Mutter dem Vergnügen nach, ohne selbst zu wissen, daß sie in dieser Hetzjagd dasjenige suchte, was ihr verlassenes Kind ihr hätte bieten können: ein innerlich reiches Leben.

Aber während auf der einen Seite ihr Gemütsleben abstarb und über all den schönen und klugen Frauen jener Zeit ein Schatten von Trauer ruht, entwickelte sich auf der anderen Seite ihr Verstand, ihr kritisches Urteil in einem bisher unbekannten Grade, und die Frau wurde die Herrscherin nicht nur im Reiche der Geselligkeit, der Mode, der schönen Künste, sondern auch im Reiche der Politik. Die Könige, die Minister und Diplomaten wurden in ihren Entschlüssen von ihr gelenkt, in ihren Sympathieen und Antipathieen von ihr beeinflußt.166 In den Salons der Gräfin Boufflers, der Freundin des Prinzen Conti, der Du Barry, der Estrades, der Herzogin von Gramont, der Prie und der Langeac liefen die Fäden der inneren und äußeren Politik zusammen. Das Reich der Frauen war, wie Montesquieu sagte, ein Staat im Staate: "Wer die Minister handeln sieht und die Frauen nicht kennt, die sie beherrschen, ist wie jemand, der eine Maschine arbeiten sieht, aber die Kräfte nicht kennt, durch die sie bewegt wird."167 Diese Hintertreppenpolitik, welche die Frauen treiben mußten, weil sie öffentliche Rechte nicht besaßen, wirkte natürlich äußerst nachteilig auf ihren Charakter; denn je schlauer und intriganter sie waren, desto mehr erreichten sie. Andererseits wurde ihr Interesse für die Fragen des öffentlichen Lebens dadurch erweckt, und während die große Courtisane und begabte Diplomatin, Marquise de Tencin zu Gunsten ihrer Liebhaber und ihrer korrumpierten Gesellschaft politisierte und intriguierte,168 traten die Frauen des Bürgertums, eine Necker, eine Roland, für die Vorkämpfer der Revolution in die Schranken der politischen Arena.

Auch die Revolution des Geistes, die von Diderot, d'Alembert, und ihren Freunden, den Encyklopädisten, getragen wurde, fand Unterstützung durch die Frauen. Aber diese Unterstützung darf nicht überschätzt werden. Nur zu oft war es das Bedürfnis nach neuen Sensationen, das den modernen Philosophen die Salons und die Herzen öffnete. Alle Genüsse hatten diese Frauen durchkostet; sie haschten nur begierig nach einem neuen Genuß. Daher ist die entschieden frauenfeindliche Richtung der Encyklopädisten leicht zu erklären, ebenso wie der bei dem lebendigen geistigen Leben zunächst überraschende Umstand, daß keine Frau es zu großen schöpferischen Leistungen brachte. Während aber ein Voltaire die Frauen verspottete, ein Montesquieu ihnen alle Gaben des Geistes absprach und nur ihre körperlichen Reize gelten ließ,169 war es Rousseau, der die Fehler und Schwächen des weiblichen Geschlechts erkannte, um mit feinem psychologischen Verständnis ihren Ursachen nachzuspüren und sie von da aus zu bekämpfen. Wenn er dabei über das Ziel hinausschoß und die Frauen, die, losgerissen von jedem festeren Grund ihres Daseins, zu seiner Zeit halt- und ziellos umherschweiften, nur im Haus und für das Haus erzogen wissen wollte, so wiegte diese eine Uebertreibung sehr leicht gegenüber den Diensten, die er den Frauen geleistet hat. Unnachsichtig in seiner Kritik, erklärte er doch zugleich viele ihrer Schwächen: eine Frau, die sechs Stunden am Tage zum Anziehen braucht, meinte er, zeigt dadurch, daß sie nichts Besseres zu thun hat, um ihre Langeweile zu töten.170 Der Kindheit und der Jugend wollte er die harmlose, ungebundene Heiterkeit,171 dem Weibe die reine Liebe wiedergeben, denn nicht ihre Eltern haben den Gatten zu wählen, sondern ihr eigenes Herz.172 Er hielt ihr den Spiegel der Natur vor Augen, damit sie ihre eigene innere und äußere Unnatur beschämt erkennen möchte. Er geißelte rücksichtslos ihren Müßiggang, und wandte sich an beide Geschlechter, wenn er ausrief: Wer in Unthätigkeit verzehrt, was er nicht selbst verdient hat, ist ein Dieb.173 Das erlösende Wort jedoch für die eingeschnürte Frauenseele war dies noch nicht; er fand es in der kurzen Weisung: werde Mutter! Nähre dein Kind an deinem eigenen Busen, hüte es, erziehe es, und von selbst wird die Sittenlosigkeit verschwinden, das Gefühlsleben zur Natur zurückkehren, werden die Eheleute sich innig verbunden fühlen; denn sobald die Frauen wieder anfangen, Mütter zu sein, werden die Männer es lernen, wieder Gatten und Väter zu werden.174

Mit diesem Hinweis auf die Verachtung der Mutterschaft hatte Rousseau die verborgene Wunde der Frau des 18. Jahrhunderts aufgedeckt. Da er aber kein Prophet im Sinne naiver Gläubiger war, aus dessen Kopf völlig neue Gedanken unvermittelt aufsteigen, wie Athene aus dem Haupte des Zeus, sondern nur einer jener genialen Männer, die das geheime Leid ihrer Nebenmenschen, ihr wortloses Seufzen und Sehnen zuerst vernehmen und aussprechen, so begrüßten zahllose ihn als ihren Erlöser. Sagte er doch nur, was sie selbst dumpf empfunden hatten, wies er ihnen doch nur den Weg, den sie unsicher tappend, wie Blinde, selbst schon suchten. Nirgendwo zeigt sich diese Wirkung deutlicher als in den wundervollen Memoiren der Madame d'Epinay. Für eine kommende Zeit und ein neues Geschlecht mit jugendkräftigen Gliedern und warm pulsierendem Herzensblut, schrieb Rousseau, derselbe Mann, der der Gegenwart das Grablied sang, den feurigen Morgengruß: Der Mensch ist frei geboren.... Stärke gewährt kein Recht.... Auf seine Freiheit verzichten, heißt auf seine Menschheit, seine Menschenrechte, ja selbst auf seine Pflichten verzichten.... Der Grundvertrag der Gesellschaft muß an Stelle der physischen Ungleichheit eine sittliche und gesetzliche Gleichheit setzen.175

Wie er damit die Grundlinien einer Revolutionierung des bestehenden Gesellschaftssystems zog, so bezeichnete er dadurch zu gleicher Zeit die Leitsätze für eine Revolutionierung der Stellung der Frau. Da aber die kräftigste Saat unfruchtbar bleiben muß, wenn sie nicht auf fruchtbaren Boden fällt, so wäre auch keiner dieser Gedanken in die Köpfe und Herzen des Volkes eingedrungen, wenn nicht die wirtschaftliche und politische Entwicklung sie dafür empfänglich gemacht hätte. Nicht die wenigen Männer, deren spekulativer Verstand ihnen die Erkenntnis der Notwendigkeit tiefgreifender Wandlungen vermittelte, machten die Revolution, sondern sie wuchs mit der Gewalt eines Naturgesetzes aus den gesamten verrotteten Zuständen heraus; und nicht die wenigen Frauen, die infolge persönlicher Begabung die ihrem Geschlecht gesteckten Grenzen überschritten, oder infolge persönlicher Schicksale ihre unwürdige Lage erkannten, machten die Frauenbewegung—zu der sittlichen mußte die materielle Not der Masse der Frauen kommen, die, herausgerissen aus Haus und Familie, in harter Arbeit den Kampf ums Dasein kämpften, damit sie entstehen konnte.