Das Christentum und die Frauen

Christus und die Frauen. — Das kanonische Recht. — Die römisch-katholische Kirche in Bezug auf die Frauenfrage. — Die Nonnenklöster und ihre Bildung. — Die Folgen der Reformation für das weibliche Geschlecht.

Während Rom auf der Höhe seiner äußeren Macht zu stehen schien, im Innern aber von der schleichenden Krankheit der allgemeinen Korruption so zerfressen wurde, daß sein Zusammensturz nahe bevorstand, war über Bethlehem, mitten unter dem geknechteten, geschmähten Judenvolk jener Stern aufgegangen, durch dessen Glanz Rom zu neuer Weltherrschaft auferstehen sollte.


Es ist hier nicht der Ort, den innigen Zusammenhang der Entstehung des Christentums mit den wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen der Zeit, in der es sich ausbreitete, näher zu erörtern. Es mußte über den Kreis des armen Volks, dem sein Gründer angehörte, schnell hinauswachsen, weil der Boden im römischen Reich überall dafür vorbereitet war. Den Philosophen waren seine Gedanken zum Teil schon vertraut; von dem Nebenmenschen als dem Bruder hatte schon Plato gesprochen; die Stoiker lehrten die Verachtung irdischer Güter und waren die ersten gewesen, die erklärten, daß der Mensch auch gegen seine Sklaven moralische Verpflichtungen zu erfüllen habe. Und der Mühseligen und Beladenen gab es mehr als genug; für sie alle war das Christentum der Rettungsanker, der sie über ihr eigenes Elend hinaushob, der Hoffnungsstrahl, der in ihre Nacht leuchtete. Es war nicht jene vage Hoffnung der späteren Christen, die von der ewigen Seligkeit die Entschädigung für ihre irdischen Schmerzen erwarteten, sondern der sichere Glaube an das nahe Ende der Welt, an die Wiederkehr Christi und an die Aufrichtung des tausendjährigen Reiches. Unter all den Armen und Elenden, die ihm zuströmten, kamen auch jene gequältesten aller Menschen in Scharen, die Frauen. Ihnen brachte das Christentum neben dem Trost und der Hoffnung, die es allen Unterdrückten brachte, noch etwas ganz Besonderes: Die Gleichwertung des Weibes mit dem Manne als moralisches Wesen, als "Kind Gottes".



Sowohl die orthodoxen Anhänger des Christentums als seine fanatischen Verächter sind, soweit sie für die Frauenemanzipation eintreten, anderer Ansicht. Die einen behaupten, indem sie das Wort des Apostels Paulus: "Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib;"61 aus dem Zusammenhang herausreißen, daß das Christentum sich darin für die volle Gleichberechtigung der Frauen ausspricht; die anderen stützen sich auf jenen Satz desselben Apostels: "Das Weib schweige in der Gemeine,"62 wenn sie erklären, das Christentum habe das weibliche Geschlecht nicht nur nicht befreit, sondern nur noch vollständiger geknechtet.

Das ursprüngliche Christentum aber ist von beiden Meinungen gleich weit entfernt. Eine Frauenemanzipation im modernen Sinn ist ihm ebenso fremd, wie eine Emanzipation der Sklaven ihm fremd war. Dagegen hatten Leid, Not und Unterdrückung die männlichen und weiblichen Lasttiere der Gesellschaft so aneinander gekettet, daß die neue Religion beiden denselben Trost, dieselbe Hoffnung, dieselben Vorschriften geben mußte. Wenn der Apostel Paulus sagt: "hier ist kein Mann noch Weib", so fügt er gleich hinzu: "ihr seid allzumal einer in Christo Jesu" und schickt voraus: "ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christo Jesu".63 Nur vor Gott also, nicht vor dem Staat, sind Herren und Sklaven, Männer und Frauen gleich. Aber auch die Verachtung des Weibes ist keine ursprüngliche Lehre des Christentums. Wenn als eine natürliche Reaktion gegen die furchtbaren geschlechtlichen Ausschweifungen jener Zeit die Enthaltung von allem Geschlechtsverkehr als besonders heilig und eines Christen würdig gepriesen wurde, so wurde die keusche Jungfrau stets dem keuschen Jüngling gleich gestellt.64 Nicht der Mann wurde vor der Berührung des Weibes, als des bösen Prinzips, gewarnt, sondern beiden wurde der ledige Stand als der gottgefälligere anempfohlen.65

Wie wir wissen, galt bei den Alten der Ehebruch des Weibes für ein todeswürdiges Verbrechen, während der ehebrecherische Mann zumeist straflos ausging. Christus stellte das sündige Weib dem sündigen Manne gleich, indem er sagte: "wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie", und er verdammte die Reuevolle nicht.66 Er forderte von beiden die eheliche Treue,67 seine Jünger verlangten vom Mann, daß er sein Weib liebe, wie sie ihn,68 und die Ausgießung des heiligen Geistes erfolgte ausdrücklich über "Söhne und Töchter".69 In dieser moralischen Gleichstellung der Frau mit dem Mann liegt die Bedeutung des Christentums für das weibliche Geschlecht. Weiter aber reicht sie nicht. Alle Einzelvorschriften, soweit sie sich auf das Weib beziehen, erheben sich nicht über die bekannten religiösen und weltlichen Gesetze der morgen- und abendländischen Völker. Das Weib muß dem Manne gehorchen, ihm unterthan,70 schweigsam und häuslich sein,71 es darf weder lernen noch lehren72 und soll selig werden durch Kinderzeugen.73 Das alles bedeutet keinen Fortschritt in Bezug auf die Auffassung von der Stellung des weiblichen Geschlechts, aber es bedeutet ebensowenig eine verschärfte Knechtung.



Erst als das Christentum aus einer Religion der Armen und Verfolgten zur Staatsreligion wurde, erfuhr es seitens seiner Hauptträger eine den neuen Verhältnissen entsprechende Umwandlung. Die Kirchenväter und die Gesetzgeber des kanonischen Rechts nutzten Aussprüche Christi und der Apostel insoweit aus, als sie der Ausbreitung der Macht der Kirche förderlich sein konnten, und ließen andere außer acht, die diesem Zweck nicht dienstbar zu machen waren. Während Paulus seine Predigt von der größeren Heiligkeit des ehelosen Lebens nicht nur an beide Geschlechter richtet, sondern sie ausdrücklich damit einleitet, daß er sagt, er teile nur seine eigene Meinung, nicht ein Gebot des Herrn mit,74 klammerten sich asketische Eiferer an Sätze wie: "Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre",75 und "Adam ward nicht verführet; das Weib aber ward verführet und hat die Uebertretung eingeführet"76 und verdammten die Ehe als ein Laster, das Weib als diejenige, die dem Teufel Eingang verschaffte.77 Das kanonische Recht erhob die Auslegungen der apostolischen Lehren durch die Kirchenväter zum Gesetz, indem es unter anderem verfügte: "die Frau ist nicht nach dem Bilde Gottes geschaffen. Adam ist durch Eva verführt worden und nicht Eva durch Adam. Es ist daher recht, daß der Mann der Herr der Frau sei, die ihn zur Sünde reizte, auf daß er nicht wieder falle. Das Gesetz befiehlt, daß die Frau dem Manne unterworfen und beinahe seine Dienerin sei."78

Am deutlichsten jedoch kam die niedrige Auffassung, welche die römische Kirche vom Weibe hatte, dort zum Ausdruck, wo sie dem Rechtsbewußtsein der Germanen gegenübertritt, und zwar ist eine einzige Thatsache ausreichend, um den Gegensatz beider zu kennzeichnen: die Germanen verlangten für ein verletztes Weib ein höheres Wehrgeld als für einen verletzten Mann, weil sie in jedem Weibe die Mutter ehrten, und die Schwache und Wehrlose zu verwunden für besonders schmachvoll galt; vom Mörder einer Frau forderten sie ein zweimal höheres Wehrgeld, als vom Mörder eines Mannes. Nach dem ersten Gesetzbuch dagegen, das durch die römische Kirche einem germanischen Volke gegeben wurde—dem Fuero juzgo der Wisigoten—und das in Bezug auf die Ansichten des Klerus von den Rechten der Frau typisch ist, galt des Weibes Leben nur halb so viel als das des Mannes, denn ihrem Mörder wurde nur die halbe Buße auferlegt.79

In einer Beziehung nur machte die römische Kirche den heidnischen Germanen und ihrer Verehrung des mütterlichen Prinzips in der Natur eine Konzession, um sie dadurch leichter unter Kreuz und Krummstab zwingen zu können: sie erhob die Mutter mit dem Kind auf den Thron des Himmels. Dem ursprünglichen Christentum hatte der Kultus der Frau fern gelegen; die Mutter Jesu verschwindet in den Evangelien fast vollständig, Christus selbst weist sie hart zurück, als sie wagt, ihm einmal einen mütterlichen Rat zu geben. Ihre Gestalt, wie sie der Katholizismus heute kennt, und die Verehrung, die ihr gezollt wird, sind nichts anderes als eine Reminiszenz an den heidnischen Götterdienst. Die Kirche verstand es, die heidnischen Feste durch christliche, die Götter durch Heilige zu ersetzen und den Germanen das Christentum durch die "Mutter Gottes" vertraut zu machen. Daß der Madonnenkultus ein dem Baum der Kirche künstlich aufgepfropftes Reis war, geht schon daraus hervor, daß trotz der Verehrung der himmlischen Jungfrau die Missachtung des weiblichen Geschlechts sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt steigerte.

Die "Kreuzigung des Fleisches" wurde gleichbedeutend mit der Flucht vor dem Weibe. Auf dem Konzil zu Mâcon entschied sich die Majorität dafür, dem Klerus zu befehlen, die Frauen zu fliehen. Das Konzil zu Metz verschärfte diesen Befehl, indem es den Priestern sogar den Umgang mit Mutter und Schwester verbot. Während sich in der ersten Zeit des Christentums nur die Mönche dem Gebot der Keuschheit unterworfen hatten, wurde es nun für den gesamten Klerus obligatorisch. Die Folgen des Cölibats einer großen Zahl von Männern—meist der geistig hervorragendsten ihrer Zeit—waren von weittragender Bedeutung. Wohl hat sich die Kirche in ihnen eine Armee hingebender Kämpfer geschaffen, die durch keinerlei Familieninteressen von ihren Pflichten ihr gegenüber abgelenkt wurden, aber wenn sie glaubte durch die Verherrlichung der Keuschheit, durch die erzwungene Abtötung der geschlechtlichen Triebe im Dienste einer höheren Sittlichkeit zu handeln, so hatte sie nur mit abstrakten Theorieen, nicht aber mit der lebendigen Natur gerechnet. Sie erreichte nicht nur das Gegenteil von dem, was sie bezweckte, denn neben dem außerehelichen Geschlechtsverkehr und der raschen Zunahme der Prostitution wuchsen besonders in den Klöstern die widernatürlichen Laster empor, sie fügte dem ganzen sittlichen Leben des Volkes einen Schaden zu, an dem es noch heute krankt, und durch den das weibliche Geschlecht am schwersten getroffen wird. Sie degradierte die natürlichsten Beziehungen der Geschlechter zu einander und suchte sie als etwas, dessen sich der Mensch schämen müsse, zu verhüllen; die Ehe war für sie in erster Linie eine "Vereinigung der Seelen", selbst die Geschlechtsliebe in der Ehe galt für sündhaft oder besten Falls für einen Tribut, den der Mensch seiner sittlichen Schwachheit, seiner Gottentfremdung bringen müsse.80 Die äußere Heiligung der Ehe durch ihre Erhebung zum Sakrament und die Erklärung ihrer Unauflöslichkeit hat die innere Zerstörung, der die tiefste Beziehung der Menschen zu einander durch die Kirche ausgesetzt wurde, nicht aufzuhalten vermocht. Heuchelei, Prüderie, Unterdrückung der besten Gefühle durch eine falsche Moralität sind die Folgen davon und ein großer Teil der psychologischen und sittlichen Seite der Frauenfrage ist auf die durch die römische Kirche dem Volksbewußtsein eingeimpfte Meinung von Liebe und Ehe zurückzuführen.



Aber auch nach anderer Richtung hin wurde die Entstehung der Frauenfrage durch die Kirche beeinflußt: der wachsenden Zahl der ehelosen Geistlichen und Mönche stand eine gleiche Zahl alleinstehender Frauen gegenüber. Die Gründung der Nonnenklöster war eine notwendige Folge davon. In Massen strömten die Frauen in ihre schützenden Mauern. Es blieb ihnen nur die Wahl zwischen dem Kloster und dem Frauenhaus und wenn auch viele nur Nahrung und Obdach suchten, so wurde doch auch die Zahl derer immer größer, die sich vor den Unbilden des rauhen Lebens draußen in der Welt nach einer Stätte friedlicher Arbeit und geistiger Vertiefung sehnten. In den Klöstern wurde den Frauen eine im Vergleich zur allgemeinen Bildung ihres Geschlechts hohe Gelehrsamkeit zu teil. Sie lernten die klassischen Sprachen und gewisse Zweige der Wissenschaften und manche weise Klosterfrau wurde die Beraterin von Päpsten und Königen. Eine solche war Hildegard von Bockelheim, die Aebtissin des Klosters Rupprechtshausen, die im 11. Jahrhundert neben Heiligengeschichten eine Reihe physikalischer und zoologischer Werke schrieb.81 Auf derselben Stufe der Bildung stand die vielbewunderte "nordische Seherin" Brigitta von Schweden82 und Hrotswith, die lateinische Dichterin der Ottonenzeit. Viele gelehrte Nonnen beschäftigten sich mit dem Abschreiben alter Werke, dem Malen von Initialen und Miniaturen, während andere als Lehrerinnen in den Mädchenschulen ihrer Klöster, als Krankenpflegerinnen, Stickerinnen, Weberinnen und Wäscherinnen thätig waren. So lösten die Klöster zum Teil die mittelalterliche Frauenfrage, indem sie nicht nur der großen Menge alleinstehender Frauen eine Zuflucht gewährten, sondern sie auch geistig auf eine höhere Stufe erhoben und ihnen selbständige Berufe eröffneten. Freilich darf nicht vergessen werden, daß ihre Bedeutung für die Hebung des weiblichen Geschlechts nur ein paar Jahrhunderte lang geltend blieb, denn schon mit dem 11. und 12. Jahrhundert begann ihr sittlicher Verfall. Die bedenklichen, sich immer häufiger wiederholenden Gründungen von Doppelklöstern,—Mönchs- und Nonnenklöster dicht nebeneinander,—gaben mit den Anlaß dazu. Die Natur ließ ihrer nicht spotten; sie siegte über einen asketischen Fanatismus, der die unfruchtbaren "Gottesbräute" heilig sprach und die Mütter vor ihnen erniedrigte. Aus Orten der Gelehrsamkeit und des Fleißes wurden die Klöster Orte des geistigen Stumpfsinns und der Trägheit, aus Stätten frommer Andacht und reiner Sitte, Stätten lüsterner Freuden und wilder Unzucht. Die Reformation fegte sie fort, und es ist nicht zu verwundern, daß die Reformatoren in ihrem blinden Eifer vergaßen, den Weizen von der Spreu zu sondern. Sie schadeten dadurch dem weiblichen Geschlecht um so mehr, als es in den Stürmen des dreißigjährigen Krieges und dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang Zufluchtsstätten dringend nötig hatte und in ihrer Ermangelung der Prostitution mehr denn je in die Arme getrieben wurde.

Auch die Ansicht, die die Reformatoren vom Weibe hatten, war nicht geeignet, es aus seiner gedrückten physischen und moralischen Lage zu befreien. In schroffem Gegensatz zu der katholischen Predigt von der Kreuzigung des Fleisches und der Verherrlichung des Cölibats hielten sie das eheliche Leben für das eines Christen allein würdige,83 aber nicht als eine "Vereinigung der Seelen", sondern ausdrücklich als ein "weltlich Geschäft", eine Vereinigung von Mann und Weib zur Befriedigung natürlicher Bedürfnisse. Luther ging soweit, zu erklären, daß der Mann das Recht habe mit der Magd sich einzulassen, oder sein Weib zu verstoßen, wenn es ihm nicht zu Willen sei84 und er gestattete sogar dem Landgrafen Philipp von Hessen, eine zweite Ehe neben der ersten zu schließen, weil er eine Doppelehe für sittlicher hielt, als eine Mätressenwirtschaft und von der Unterdrückung sinnlicher Leidenschaft nichts wissen wollte. Nach ihm war die Frau ausschließlich für den Mann geschaffen; um Haushaltung und Kinderwartung allein hatte sie sich zu kümmern,85 eine Ansicht, die sich in der orthodoxen protestantischen Kirche bis in die Neuzeit hinein erhalten hat.86 Dem, übrigens sagenhaften Streit der katholischen Priester zu Mâcon, ob die Frau eine Seele habe, können die einundfünfzig Thesen der Wittenberger Protestanten, welche beweisen sollten, daß die Weiber keine Menschen seien, würdig zur Seite gestellt werden.



Das Christentum, dem die Frauen so begeistert wie einem Befreier entgegenkamen, für das sie glaubensmutig den Märtyrertod starben, hat ihre Hoffnungen nicht erfüllt. Mehr noch als aus den direkten Beziehungen der Kirche zu den Frauen, tritt diese Thatsache aus der allgemeinen Lage des weiblichen Geschlechts in rechtlicher, wirtschaftlicher und sittlicher Beziehung während der geschichtlichen Entwicklung der früheren Jahrhunderte hervor.

Das germanische Recht, dem das Gefühl der Hochachtung für die Frau und Mutter zu Grunde lag, machte mehr und mehr jenem Rechte Platz, das dem heidnischen und dem christlichen Rom zusammen seinen Ursprung verdankte, und daher für das weibliche Geschlecht nur nachteilig sein konnte. Wie es im allgemeinen sein Grundzug war, die Heiligkeit und Unverletzlichkeit des Privateigentums scharf zu betonen, so trat diese Tendenz besonders in Bezug auf die Frau hervor, die als des Mannes unumschränktes Eigentum angesehen wurde. Der Vater konnte seine Tochter vermählen, mit wem er wollte; der Vormund hatte volles Verfügungsrecht über sein Mündel. Der Mann konnte sein Weib verschenken, ja bis ins 13. Jahrhundert herein war es ihm im Notfall sogar gestattet, es zu verkaufen.87 Seine Witwe konnte er einem anderen vermachen, wie jedes Stück seines Vermögens; und charakteristisch für die Rechtsanschauung der Zeit war es, daß nur die Frau die Ehe brechen konnte,(88) denn sie beging dadurch ein Verbrechen an des Mannes Eigentum; dagegen war er unbeschränkt in der Freiheit, neben der Ehe im Konkubinat zu leben, niemand nahm Aergernis daran. Aber auch ihrem Kinde gegenüber befand sich die Frau, sofern es männlichen Geschlechts war, in untergeordneter Stellung. Nur während der ersten Kindheit hatte die Mutter rechtliche Gewalt über den Sohn. Mit dem siebenten Jahre schon war er ihr entwachsen(89) und konnte sich z.B. in Friesland, falls sein Vater nicht mehr am Leben war, selbst für mündig erklären und der Vormund der eigenen Mutter werden.

Wie in der Familie, so war die Frau natürlich auch sonst überall rechtlos. Sie konnte keinerlei Geschäfte selbständig abschließen; es war genau vorgeschrieben, für welche Summe die Hausfrau, ohne die Einwilligung des Hausherrn einzuholen, Einkäufe machen durfte. Nach päpstlichem Recht konnte sie nicht als Zeugin auftreten, da ihr Zeugnis stets für unzuverlässig galt.(90) Wo das Landesrecht es ihr gestattete, wie z.B. im Kanton Bern, hatte nur die Aussage zweier Frauen die Beweiskraft der eines Mannes.(91)

Hinter all diesen Vorschriften standen die höchsten Autoritäten: Staat und Kirche. Gehorsam, Bescheidenheit, Unterwürfigkeit, Selbstlosigkeit — das waren die Tugenden, die den Frauen von früh an gepriesen wurden und die sie mit allen Unfreien gemeinsam hatten. Die Gleichwertigkeit aller Menschen, — der Herren und Knechte, der Männer und Weiber, — war ein Begriff, der mit dem primitiven Christentum wieder verschwunden war.