Von verschiedenen Formen der Ehebündnisse.

Die Schließung eines legitimen Eheverhältnisses zwischen Freien, die nur wenige Prozent der Bevölkerung bildeten, war äußerst einfach. Es existierte für sie keine jener Beschränkungen, welche erst weit später aufkamen und deren letzte Reste erst vor wenig Jahren in Deutschland aufgehoben wurden. Jeder volljährige Freie konnte sich, wann und wie er wollte, mit einer Freien verehelichen und seinen Wohnsitz aufschlagen, wo es ihm genehm war. Weder die Familie, noch die Gemeinde, noch der Mark- oder Gauverband — der Begriff des Staates entstand erst später — stellten ihm ein Hindernis entgegen. Mit seiner Verheiratung trat er sofort als Vollberechtigter in die Gemeinde-, Mark- und Gaugenossenschaft ein und erhielt sein entsprechend Teil vom Grundeigentum oder vom Erträgnis desselben zugewiesen. Weide, Wald und Wasser waren gemein. Auch war bei allen Stämmen allgemein eingeführt, dass junge Eheleute besondere Gewährungen für die Gründung ihres Hausstandes erhielten, so z. L. ein Fuder Buchenholz und das Holz zum Blockhaus, wie Haus- und Ackergerät. Auch halfen die Nachbaren bereitwillig beim Anfahren und Zimmern. Wurde den Eheleuten eine Tochter geboren, so hatten sie ein Anrecht auf ein besonderes Fuder Holz, war das Neugeborne dagegen ein Sohn so auf zwei.



Von einer Mitwirkung der Kirche bei der Eheschließung war keine Rede, die beiderseitige Willenserklärung genügte, und sobald das Ehebett beschritten war, war die Ehe perfekt. Die Sitte, dass die Ehe zu ihrer Gültigkeit auch eines kirchlichen Aktes bedürfe, kam erst im neunten Jahrhundert auf und sie wurde erst im sechzehnten Jahrhundert, durch das Trienter Conzil, für ein kirchliches Sakrament erklärt. Die Geschichtsschreiber berichten nicht, dass die früher so einfache Form der Eheschließung, wonach dieser wichtige Akt als ein einfacher Privatvertrag von zwei Personen angesehen wurde, die gegenseitig übereinkamen ein Ehebündnis einzugehen, und damit ohne weiteres für ihr Teil das Recht auf das Gemeineigentum erlangten, irgend welche Nachteile für das Gemeinwesen oder die Sittlichkeit gehabt habe. Es ist vielmehr festgestellt, dass die Gefahr für die Sittlichkeit nicht in der Art des Ehebündnisses bestand, sondern darin, dass der Freie als Gebieter unumschränkter Herr von Sklaven oder Hörigen seine Macht über den weiblichen Teil derselben, auch in geschlechtlicher Beziehung, missbrauchen konnte und ungestraft durfte. Hierin allein lag die Gefahr für die Reinheit des ehelichen Bündnisses und das Herabsetzende für die legitime Frau.

Dieses Ergebnis ist so wichtig, dass ich den Leser bitten muss, diese Tatsache sich besonders fest einzuprägen, zumal sie für unsere Schlussausführungen von großer Bedeutung ist. Denn, gelingt es, nachzuweisen, dass unsere Kulturentwickelung darauf hinausläuft einen Gesellschaftszustand zu begründen, in welchem das Eigentum Gemeingut ist, und die Frau geistig entwickelt als vollkommen ebenbürtig neben dem Manne steht, das dann auch kein Hindernis mehr existieren kann, die Ehe einzig und allein auf die Liebe und die freie, durch keinen äußerlichen Grund beeinflusste Zuneigung der beiden Geschlechter zu begründen, d. h. sie als rein moralisches Band, auf wahrhafter Sittlichkeit beruhend, anzusehen und zu erhalten.

Aber die geschilderte primitive Form der gesellschaftlichen Organisation unserer Vorfahren beruhte auf der Knechtschaft der einen Klasse durch die andere, auf der Knechtschaft der Majorität durch die Minorität; dieser Zustand war also unsittlich und musste, auf dem Höhepunkt seiner Entwickelung angekommen, einer andern Gesellschaftsform Platz machen.



In der Zeit der Leibeigenschaft und Hörigkeit besaß der Grundherr die unbeschränkte Verfügung über seine Leibeigenen, die fast unbeschränkte Verfügung über seine Hörigen. Darnach stand dem Grundherrn das Recht zu, jeden jungen Mann, sobald er 18 Jahre alt war, und jedes Mädchen, sobald es das 14. Lebensjahr erreicht hatte, zu zwingen, ein Ehebündnis einzugehen; er konnte dem Manne die Frau, der Frau den Mann vorschreiben. Dasselbe Recht hatte er in Bezug auf Wittwen und Wittwer. Auch besaß in allen Fällen der Grundherr das sogenannte jus primae noctis (das Recht der ersten Nacht), auf das indess in den meisten Fällen durch Leistung einer bestimmten Steuer, die schon durch ihren Namen ihre Natur verriet, (Bettmund, Hemdschilling, Jungfernzins, Schürzenzins etc.) Verzicht geleistet wurde.

Da nun die Eheschließungen im Interesse des Grundherrn lagen, weil die daraus erwachsenden Kinder in dasselbe Untertänigkeitsverhältnis wie ihre Eltern zu ihm traten, also seine Arbeitskräfte vermehrt wurden und damit sein Einkommen stieg, so begünstigten geistliche wie weltliche Gründherren die Eheschließungen ihrer Unterthanen. Anders gestaltete sich für die Kirche das Verhältnis in solchen Fällen, wo sie Aussicht hatte, in Folge von Eheverhinderungen Land und Leute durch Erbschaft in kirchliches Besitztum zu bringen. Das betraf aber nur die Freien und zwar meist die niederen, deren Lage allerdings im Laufe der Zeit durch Umstände, deren Darlegung nicht hierher gehört, eine immer unhaltbarere wurde, und die dann häufig den religiösen Einflüsterungen und Vorurteilen folgend, ihr Besitztum an die Kirche abtraten und selbst hinter den Klostermauern Schutz und Frieden suchten. Andere Grundeigentümer wieder, die sich zu schwach sahen dem gewalttätigen Aufsaugungsprozess durch die großen Grundherren zu widerstehen, ein Aufsaugungsprozess, der sich zu jener Zeit in ganz unverhüllter Form durch die gewaltsame Unterjochung resp. Wegnahme des fremden Eigentums manifestierte, traten gegen Leistung gewisser Abgaben und Dienste unter den Schutz der Kirche, sie oder ihre Nachkommen erfuhren aber häufig auf diesem Wege mit der Zeit dasselbe Loos, dem sie hatten entrinnen wollen.

Die aufblühenden Städte hatten in den ersten Jahrhunderten ebenfalls ein lebhaftes Interesse den Bevölkerungszuwachs zu begünstigen, indem sie die Niederlassung und die Eheschließung möglichst erleichterten. Aber mit der Zeit änderten sich alle diese Verhältnisse. Sobald die Städte Macht erlangt hatten, ein durchgebildeter und in sich organisierter Handwerkerstand vorhanden war, wuchs die Feindseligkeit gegen Neuhinzuziehende, in denen man nur unbequeme Konkurrenten erblickte. Mit der steigenden Macht des Bürgertums vervielfältigten sich auch die Schranken, die man gegen den Neuanziehenden aufrichtete. Hohe Niederlassungsgebühren, kostspielige Meisterprüfungen, Beschränkungen eines jeden Gewerbes auf eine gewisse Kopfzahl von Meistern und Gesellen zwangen Tausende zur Unselbständigkeit, zum außerehelichen Leben und zur Vagabundage.



Als dann die Blütezeit der Städte vorüber war und der Verfall begann, lag es in den beschränkten Anschauungen jener Zeit, dass die Hindernisse zur Niederlassung und Selbstständigmachung sich sogar noch vermehrten. Andere Ursachen wirkten ebenfalls demoralisierend.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.