Von Naturwissenschaft, Naturgesetzen und Darwins Theorien.

Erwägt man ferner, welche Charaktereigenschaften der Kampf um die bevorzugte Stellung auch auf andern Gebieten, z. B. dem industriellen erzeugt, wenn die Unternehmer sich gegenüberstehen, mit welch niederträchtigen und oft schurkenhaften Mitteln gekämpft wird, wie Hass, Neid, Verleumdungssucht geweckt werden, so hat man die weitere Erklärung für die Tatsache, dass in dem Konkurrenzkampf der Frauen um die Männer, sich bei ersteren ganz ähnliche Charaktereigenschaften ausbildeten. Daher kommt es, dass Frauen sich durchschnittlich weit weniger miteinander vertragen als Männer, und dass selbst die besten Freundinnen verhältnismäßig leicht in Streit geraten, wenn es sich um Fragen des Ansehens bei dem Mann, der einnehmenderen Persönlichkeit u. s. w. handelt. Ebendaher kommt auch die Wahrnehmung, dass, wo Frauen sich begegnen, und seien sie sich wildfremd, z. B. an öffentlichen Orten und auf öffentlichen Spaziergängen, sie sofort sich gegenseitig wie zwei Feinde ansehen und mit einem einzigen Blick entdeckt haben, wo die Eine oder die Andere eine unpassende Farbe angewandt, eine Schleife unrichtig angebracht, oder ein ähnliches Kardinalvergehen an sich begangen hat. In den gegenseitigen Blicken ist unwillkürlich das Urteil, das Eine über die Andere fällt, zu lesen, und es ist als wollte Jede zu der Andern sagen: „Siehst Du, ich habe es doch besser verstanden wie Du, die Blicke auf mich zu ziehen.“



Die größere Leidenschaftlichkeit der Frau, die in der Furie ihren hässlichsten Ausdruck findet, aber ebenso auch in der höchsten Hingebung und Selbstaufopferung sich offenbart, — man denke nur an die wahrhaft heroische Aufopferung und Zähigkeit mit welcher z. B. meist auf sich angewiesene Wittwen für ihre Kinder sorgen — findet in ihrer Existenz- und Erziehungsweise ihren Grund, die auf die Förderung des Gefühlslebens wesentlich gerichtet sind.

Man sieht aus diesen Ausführungen, in welch enger Verbindung die moderne Naturwissenschaft mit den innigsten Beziehungen unsers sozialen Lebens steht und dass die Naturgesetze, auf die menschliche Gesellschaft angewandt, uns über unser eignes Tun und Treiben Aufschlüsse geben, die ohne ihre Kenntnis gar nicht zu erlangen wären. Wenn wir durch Anwendung dieser Naturgesetze auf die Entwickelung des Menschenwesens zu den Grundursachen vordringen, welche gewisse Charakter- und Körpereigenschaften bei den Einzelnen, wie bei ganzen Völkern erzeugen, so finden wir neben den Einflüssen, welche die Bodenformation und das Klima äußerten, die Einflüsse der sozialen und ökonomischen Verhältnisse, also der gesamten materiellen Existenzbedingungen. Haben wir diese als die eigentlichen Ursachen schlechter und unwürdiger Menschheitszustände erkannt, so folgt logischweiter, dass, wenn die Existenzbedingungen geändert und verbessert werden, die Menschenwesen ebenfalls geändert und verbessert werden.

Unsere Schlussfolgerung lautet also: Die konsequente Anwendung der unter dem Namen des Darwinismus bekannt gewordenen Naturgesetze auf das Menschengeschlecht und die menschlichen Zustände führt naturgemäß und unausweichlich zum Sozialismus. Das Darwin’sche Gesetz des Kampfes um das Dasein, das in der organischen Natur darin gipfelt, dass das höhere und stärkere Lebewesen das niederere verdrängt und vernichtet, dieser Kampf um das Dasein findet bei der Menschheit, kraft ihrer Intelligenz und Entwickelungsfähigkeit den Abschluss, dass sie ihre Lebensbedingungen, also ihre sozialen Zustände, beständig verbessert und schließlich so vervollkommnet, dass für alle Menschenwesen gleich günstige Daseinsbedingungen vorhanden sind, und jeder Einzelne seine Anlagen und Fähigkeiten zwar zu seinem eignen Wohle und zum Wohle der Gesamtheit, nie aber zu deren Schaden, weil dies sein eigner Schade sein würde, anwenden kann.

Auch viele Sozialisten haben die eminente Bedeutung der Darwin’schen Theorien für die sozialistischen Prinzipien bis heute nicht erkannt. Als im Jahre 1877 Professor Virchow auf der Naturforscherversammlung in München gegen Professor Häckel, den Hauptvertreter und Weiterbildner der Darwin’schen Theorie in Deutschland, auftrat, und diesen unter anderem mit dem Haupttrumpf bekämpfte: „die Darwin’sche Theorie führe direkt zum Sozialismus“, da haben manche meiner Gesinnungsgenossen, und keineswegs die weniger Kenntnisreichen, den Kopf geschüttelt und das nicht einsehen wollen. Einige Blätter bestritten sogar die Richtigkeit der Ansicht Virchow’s und gingen, wie z. B. ein Artikel in der ,,Wage“ so weit, zu erklären: der Darwinismus, und namentlich das Gesetz des Kampfes ums Dasein, sprächen weit mehr gegen, als für den Sozialismus.

Ich glaube das gänzlich Falsche dieser Ansicht durch obige Ausführung dargelegt zu haben. Aber Herr Professor Virchow, der nach seinem eigenen wissenschaftlichen Standpunkt unmöglich die Grundanschauung des Darwinismus für falsch erklären kann, wenn er sich auch gegen die Annahme beliebiger Hypothesen, und vielleicht mit Recht, sträubt, hat, indem er das Lehren der Darwin’schen Entwickelungstheorie in der Schule mit Hinweis auf die günstigen Folgen für den Sozialismus bekämpfte, für mich zweifellos dargetan, dass er das Wesen des Sozialismus richtig erfasst hat und nur aus bewussten reaktionärem Eifer jene Ansichten vertrat. Ein wissenschaftlicher Mann aber, der vor den Konsequenzen seiner wissenschaftlichen Überzeugungen, sei es aus Furcht oder aus andern Gründen, zurückschreckt, erniedrigt und verurteilt sich selbst.

Die Art, wie anderseits Herr Dr. Dühring aus ganz entgegengesetzten Gründen wie Herr Professor Virchow, weil er nämlich die Darwin’sche Theorie dem Sozialismus feindlich hält, über Darwin und den Darwinismus herfällt, legt Zeugnis ab von einem großartigen Missverständnis, um nicht zu sagen Unverständnis. „Wenn Darwin in zu ausschließlicher Bearbeitung seines naturwissenschaftlichen Feldes in Bezug auf den Menschen dem Malthusianismus Vorschub leistet, so ist das eine Einseitigkeit, der auch sehr viele andere, aber darum doch immer sehr bedeutende und verdienstvolle Männer verfallen sind. Das rechtfertigt aber nicht, dass Herr Dr. Dühring mit einer fast wüsten Ausdrucksweise die großen Verdienste eines Darwin und der in seiner Richtung Schaffenden herabzieht. Eine klare Einsicht in die Gestaltung der ökonomischen Zustände ist unmöglich ohne ein allgemeines Wissen vom Stande der Naturwissenschaft, speziell des sogenannten Darwinismus, und umgekehrt wird letzterer kein klares Urteil über menschliche und ökonomische Gestaltung der Zustände haben können, wenn er sich nicht Einsicht in die Sozial -Ökonomie verschafft. Das letztere haben bis jetzt sehr berühmte Naturforscher versäumt, wie ebenso das Umgekehrte von Seiten hervorragender Sozial-Ökonomen stattgefunden hat. Im übrigen ist Herr Dr. Dühring selber, trotz allen Räsonierens, vielfach gezwungen gewesen, in seinen sozial-ökonomischen und philosophischen Auseinandersetzungen Darwin’sche Anschauungen zu akzeptieren und zu verwenden.

Nach dieser sehr notwendigen Abschweifung kehre ich zum eigentlichen Thema zurück.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.