Verfolgung der Freudenmädchen im Mittelalter.

Wie manchmal noch heutzutage, so wurden das ganze Mittelalter hindurch häufig die gewaltthätigsten Verfolgungen gegen die Freudenmädchen inszeniert, und zwar von derselben Männerwelt, die durch ihr sittliches Verhalten und ihr Geld diese Dirnen unterhielt. Was soll man z. B. dazu sagen, wenn Kaiser Karl der Große verordnete, dass eine Prostituierte nackt auf den Markt geschleppt und ausgepeitscht werden sollte, während er selber, der ,,allerchristlichste“ König und Kaiser, nicht weniger als sechs Frauen auf einmal hatte.

Dieselben Gemeinwesen, welche officiell das Bordellwesen organisierten, die öffentlichen Häuser unter ihren Schutz nahmen und ihren Insassinnen allerlei Privilegien einräumten, ja sie eine förmliche Zunft bilden ließen, die bei öffentlichen Aufzügen mitwirkte, hatten die härtesten und grausamsten Strafen für eine arme, verlassene Gefallene. Die Kindesmörderin, die aus Verzweiflung ihre Leibesfrucht getödtet hatte, ward in der Regel den grausamsten Todesstrafen unterworfen, nach dem gewissenlosen Verführer krähte kein Hahn. Er saß vielleicht mit im Gericht, welches das Todesurteil über das arme Opfer fällte.




In Würzburg schwor im Mittelalter der Frauenwirt dem Magistrat: „Der Stadt treu und hold zu sein und Frauen zu werben.“ Ähnlich war es in Nürnberg, Ulm und anderwärts. In Ulm, wo 1537 die Frauenhäuser aufgelöst wurden, beantragten die Zünfte 1551 wieder ihre Einführung ,,um größeres Unwesen zu verhüten!“ Hohen Fremden wurden auf Stadtkosten Freudenmädchen zur Verfügung gestellt, und als König Ladislaus 1452 in Wien einzog, sandte ihm der Magistrat, eine Deputation von öffentlichen Dirnen entgegen, die nur mit leichter Gaze bekleidet, die schönsten Körperformen zeigten. Bei seinem Einzug in Brügge wurde Kaiser Karl V. von einer Deputation ganz nackter Mädchen begrüßt. Solche Fälle kamen in jener Zeit nicht selten vor, ohne Anstoss zu erregen.

Lag in diesem offenen Rechnungtragen der Sinnenlust eine Anerkennung des in jedem gesunden und reifen Menschen unausrottbar eingepflanzten Naturtiebs und die Anerkennung der Berechtigung, denselben befriedigen zu können, und ist darin gewissermaßen ein Sieg der gesunden Natur über die Ascese des Christentums zu erkennen, so muss doch immer wieder hervorgehoben werden, dass diese Anerkennung und Begünstigung nur dem einen Geschlecht zu Gute kam, dass man; das andere hingegen behandelte, als könnte und dürfte es gar nicht die gleichen Triebe haben, und dass die geringste Übertretung gegen die von der Männerwelt vorgeschriebenen Moralgesetze auf das härteste und ungerechteste bestraft wurde. Das weibliche Geschlecht hat in Folge fortgesetzter Unterdrückung und eigenartiger Erziehung durch das andere Geschlecht, sich derart in den Ideengang seines Beherrschers hineingelebt, dass es diesen Zustand ganz natürlich und in der Ordnung findet.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.