Ist die Ehe die Grundlage der Gesellschaft?

Die Frage entsteht nun: Hat die gegenwärtige Gesellschaft die Anforderungen an eine vernünftige Lebensweise der Menschen, insbesondere des weiblichen Geschlechts erfüllt? Kann sie dieselbe erfüllen? Und wenn: nein! wie können dieselben erfüllt werden?

,,Die Ehe ist die Grundlage der Familie, die Familie die Grundlage des Staats, wer die Ehe angreift greift die Gesellschaft und den Staat an und untergräbt Beide“, so rufen die Verteidiger der heutigen ,,Ordnung“. Gewiss ist die Ehe die Grundlage aller gesellschaftlichen Entwickelung. Es fragt sich nur, welche Ehe die sittlichere, d. h. dem Zweck der Menschheitsentwickelung und des Menschenwesens selbst entsprechendere ist. Ob die auf das bürgerliche Eigentum gegründete Zwangsehe, die mit ihren zahlreichen Auswüchsen und der meist unvollkommenen Erreichung ihres sittlichen Zwecks vielfach nicht besser und nichts anderes als Prostitution ist, dabei Millionen verhindert ihren Naturzweck zu erreichen, oder ob die auf freier Liebeswahl gegründete rein moralische Ehe, wie sie vollkommen allerdings, nur die sozialistische Gesellschaft ermöglicht. Mit Bezug auf die heutige Gestalt der Ehe, ruft John Stuart Mill, den Niemand meiner Gegner im Verdacht haben wird, ein Sozialist oder Kommunist zu sein: ,,Die Ehe ist die einzige wirkliche Leibeigenschaft, welche das Gesetz kennt“.




Doch kehren wir zunächst noch einmal zu unserer historischen Entwickelung zurück.

Es wurde oben ausgeführt, wie die allmählich sich entwickelnde starre Gebundenheit der städtischen Gemeinwesen eine Menge von Existenzen, so zu sagen in die Luft stellte, und damit der Entsittlichung Tür und Tor öffnete. Es wurde weiter hervorgehoben, wie die kirchliche Organisation und die sich steigernden Unterdrückungen und Beraubungen der Schwachen durch die Starken, die auf die Vagabundage angewiesene Bevölkerung verstärkten. Wie nun immer, wenn solche aus den allgemeinen Zuständen sich entwickelt habenden Übel, bis zu schwerster Schädigung des Gemeinwesens sich steigern, die herrschende Gewalt nicht daran denkt die Ursachen der Übel zu beseitigen, was ja stets auf ihre (der herrschenden Gewalt) eigene Beseitigung hinauskäme, so wurden auch jetzt die gewaltsamsten Mittel zur Unterdrückung gegen die Einzelnen, in deinen sich doch nur die Wirkung der Ursache darstellt, angewandt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.