Die Rolle der Frau in der Geschichte der Völker.

Die Geschichte aller alten Völker, wie der Zustand der noch heute existierenden rückständigen Völker, lehrt uns, dass überall die Frau als untergeordnetes Wesen angesehen und behandelt wurde; dass ihr, der körperlich schwächeren, überall der schwerere Teil der Arbeit und der Mühe zugemutet wurde. Die schwersten und unangenehmsten häuslichen Verrichtungen waren ihr aufgebürdet; sie hatte neben der Last und Sorge der Kindergebärung und Erziehung, die Hauptarbeit im Ackerbau zu verrichten, für Wohnung wie Bekleidung zu sorgen. Der Mann spielte den Herrn und Gebieter, der der Jagd und dem Fischfang oblag, den öffentlichen Angelegenheiten sich, widmete, Spielen und Gelagen beiwohnte und seiner Kraft und seinem Ehrgeiz durch den Krieg Befriedigung verschaffte. Bis auf den heutigen Tag ist es im Wesentlichen nicht anders. Die Gesellschaft hat sich allerdings kultiviert und verfeinert, die Beschäftigungsweisen der Frau sind vielfach andere, würdigere geworden, aber die Auffassung in Bezug auf das Verhältnis der beiden Geschlechter ist im Grunde wesentlich dasselbe geblieben. Professor Lorenz von Stein gibt in seiner Schrift: „Die Frau auf dem Gebiete der National-Ökonomie“, eine Schrift, die, beiläufig bemerkt, wenig ihrem Titel und den gehegten Erwartungen entspricht, poetisch verschönert ein Gemälde, das angeblich die heutige Ehe darstellen soll, aber auch in dieser Gestalt die untertänige Stellung der Frau gegen den ,,Löwen“ Mann kennzeichnet. Er schreibt unter anderem: „Der Mahn will ein Wesen, das ihn nicht bloß liebt, das ihn auch versteht. Er will Jemanden, dem nicht bloß das Herz für ihn schlägt, sondern dessen Hand ihm auch die Stirne glättet, der in seiner Erscheinung den Frieden, die Ruhe, die Ordnung, die stille Herrschaft über sich selbst und die tausend Dinge ausstrahlt, zu denen er täglich zurückkehrt; er will Jemanden, der um alle diese Dinge jenen unaussprechlichen Duft der Weiblichkeit verbreitet, der die belebende Wärme für das Leben des Hauses ist.“



In diesem anscheinenden Lobgesang auf die Frau verbirgt sich der niedrigste Egoismus des Mannes. Ganz willkürlich malt sich der Herr Professor für seinen Geschmack die Frau als ein duftiges Wesen, das dabei doch mit der nötigen praktischen Rechenkunst ausgestattet, das Soll und Haben der Wirtschaft im Gleichgewicht zu erhalten versteht, und im übrigen zephirartig, wie holder Frühling um den Herrn des Hauses, den gebietenden Löwen, schwebt, ihm jeden seiner Wünsche an den Augen absieht und mit der weichen kleinen Hand ihm die Stirne glättet, die er, der ,,Herr des Hauses“, vielleicht im Brüten über seine eigenen Dummheiten gerunzelt. Kurz, der Herr Professor von Stein schildert eine Frau und eine Ehe wie unter hundert kaum eine vorhanden ist und vorhanden sein kann. Von den Tausenden von unglücklichen Ehen und ihrem Missverhältnis zwischen Müssen und Wollen, den zahllosen Einzelnen, die in ihrem Leben nie an eine Ehe zu schließen denken können, den Millionen, die als Lasttiere neben dem Ehegatten von früh bis spät sich sorgen und abrackern müssen, um das elende bisschen Brod für den laufenden Tag zu erwerben, bei denen die herbe raue Wirklichkeit die poetische Färbung leichter noch wie die Hand den Farbenstaub von den Flügeln des Schmetterlings hinweggestreift, davon sieht und weiß der gelehrte Herr nichts, das würde ihm sein poetisch angehauchtes Gemälde recht arg zerstört und das Konzept verdorben haben. —

Indess, es wäre falsch zu verkennen, dass sich im Laufe der Zeit die gesellschaftliche Stellung der Frau im Ganzen nicht unerheblich verbessert hat, und mit Recht ist es ein von allen Seiten als richtig anerkannter Satz, ,,dass der beste Maßstab für den Kulturzustand eines Volks, die Stellung ist, welche die Frau einnimmt.“ Damit ist den Meisten unbewusst ausgesprochen und anerkannt, dass die Stellung der Frau im Laufe der Geschichte eine sehr wechselnde war, und auch unser heutiger Kulturzustand noch recht unvollkommen sein muss, da er die volle Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau mit dem Manne noch nicht herbeigeführt hat.

An der Hand des zitierten Satzes lässt sich auch ermessen, welche Bedeutung wir sowohl dem Kulturzustand der alten Kulturvölker, wie dem des Christentums beizulegen haben.

Untertänige des Mannes in allen staatlichen und sozialen Beziehungen, war die Frau es auch in Bezug auf seine geschlechtlichen Begierden, die in dem Maße stärker werden, wie die Wärme des Klimas das Blut heißer und rascher fließen macht, die Fruchtbarkeit des Bodens aber ihn der Sorge und des Kampfes um das Dasein enthebt. In Folge dessen ist der Orient seit uralter Zeit die Pflanzstätte aller geschlechtlichen Laster und Ausschweifungen gewesen, denen die Reichsten wie die Ärmsten, die Weisesten wie die Unwissendsten sich überließen. Die öffentliche Preisgabe der Frau war in den alten Kulturländern des Orients schon sehr frühzeitig eingeführt und nicht nur von Staatswegen geduldet, sondern selbst zum Gegenstand eines förmlichen religiösen Kultus gemacht, den zu erfüllen ihre Pflicht war.

So bestand in Babel, der mächtigen Hauptstadt des babylonischen Reichs, die Vorschrift, dass jede Frau in ihrem Leben wenigstens einmal, und zwar im jugendlichen Alter, nach dem Tempel der Göttin Mylitta wallfahrten musste, um sich dort, zu Ehren der Göttin, der freien Wahl der herzuströmenden Männer Preis zu geben. In Armenien wurde der Venus unter dem Namen der Göttin Anaitis in ähnlicher Weise geopfert. Ähnlich religiös organisiert war der Geschlechtskultus in Ägypten, Syrien und Phönizien, auf der Insel Cypern, in Karthago und selbst in Griechenland und Rom. Auch die Juden blieben, wovon das alte Testament genügendes Zeugnis ablegt, diesem Kultus und der Preisgabe der Frau nicht fern. Abraham verlieh seine Sara ohne Skrupel an andere Männer, und zwar an hohe Herren, die ihn reichlich dafür belohnen konnten. Der Erzvater der Juden und der Urahn Jesu fand also in diesem, nach unseren sittlichen Begriffen höchst schmutzigen und unanständigen Handel, durchaus nichts Anstößiges und unsere Kinder werden auch heute noch in der Schule in der höchsten Verehrung dieses Mannes erzogen. Jacob besaß mehrere Frauen, obendrein Schwestern, die ihm auch noch selbst ihre Mägde beilegten, und die jüdischen Könige David, Salomon und Andere verfügten über ganze Harems, ohne bei Jehova die Gunst einzubüßen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Frau und der Sozialismus.