Kapitel 36 - Die Piraten zum Aeußersten getrieben. – Der Van Buren vom Black Hawck verfolgt.

36. Die Piraten zum Aeußersten getrieben. – Der Van Buren vom Black Hawck verfolgt.

Adele schritt rasch ihrem schwarzen Begleiter voran, und sie erreichten in demselben Augenblick Frontstreet, als der Richter von Porrel Abschied genommen und, Elmstreet hinauf, seinem Hause zueilen wollte. Obgleich er die junge Dame nun freilich lieber vermieden hätte, so ging das doch nicht an; sie hatte ihn schon gesehen und kam rasch auf ihn zu. Da blieb sie plötzlich stehen und schaute die Straße am Ufer hinab – Scipio starrte ebenfalls dorthin und schlug die Hände in lauter Verwunderung zusammen, und als der Squire ihrem Blick mit den Augen folgte, sah er eben noch, wie dicht am Ufer ein Pferd mit seinem Reiter zusammenbrach und diesen weithin über sich schleuderte. Von allen Seiten eilten Menschen herbei, ihm beizustehen; der Mann aber, obgleich von dem gewaltigen Sturz etwas betäubt, raffte sich doch schnell wieder empor und warf den Blick scheu im Kreise umher. Dort aber mußte er wohl bekannte Gesichter treffen, denn Dayton sah, wie er dem Einen die Hand reichte und ein paar Worte mit ihm wechselte, und wie dieser dann der Stelle zudeutete, wo er selber stand.


Dayton erschrak – es lag etwas Unheimliches in dem ganzen Benehmen des Reiters, der nicht einmal nach dem gestürzten Thier zurückschaute, sondern nur weiter und weiter strebte, als ob er etwas Entsetzliches hinter sich wisse, das er fliehen wolle. Er ging ihm ein paar Schritte entgegen und blieb, als er ihn erkannte, wie in den Boden gewurzelt stehen. Es war Peter – bleich und mit Blut bedeckt – die Kleider zerrissen und beschmutzt, den Hut verloren, das Haar wirr um den Kopf hängend – die kaum geheilte Narbe auf der Wange blutroth und entzündet – er hätte ihn kaum wieder erkannt.

„Capitain Kelly,“ stöhnte der Mann, als er ihn jetzt erreichte und den Blick scheu zurückwarf, ob auch der, dem die Worte galten, sie allein vernähme – „rettet Euch – die Insel ist genommen.“

„Bist Du rasend?“ rief der Richter und trat entsetzt zurück – „rasend oder trunken?“

„Gift und Verdammniß!“ zischte der Narbige durch die zusammengebissenen Zähne hindurch – „ich wollte, ich wär' es und spräch eine Lüge – ein Dampfboot landete dort heute Morgen – bei allen tausend Teufeln, da unten kommt's schon um die Spitze – ich habe Euern Fuchs todtgeritten, und so dicht sind sie hinter mir.“

„Alles verloren?“ rief Dayton und sah den Unglücksboten mit stierem Blick an.

„Alles!“ stöhnte dieser.

„Und Georgine?“ frug der Capitain.

„Verließ heute vor Tag in Eurer Jolle die Insel!“

„Allmächtiger Gott, Dayton – was ist Dir? – Du bist todtenbleich,“ rief die in diesem Augenblick herbeieilende Adele – „die ganze Stadt scheint in Aufruhr – Mr. Cook und Tom Barnwell sollen verhaftet sein – der Constabler sprengt zu Pferde hin und wieder – eine Masse fremder Menschen zieht bewaffnet durch die Straßen –“

„Fort von hier, Adele,“ sagte der Richter und that sich Gewalt an, ruhig zu bleiben – „fort – dies ist nicht Dein Platz – Scipio, geleite sie wieder nach Hause, ha – was ist das?“

Er horchte den Fluß hinauf, und die Erde schien plötzlich von den donnernden Hufen heransprengender Rosse zu beben – die Straße herab stürmte es, in wilder Hast – Reiter nach Reiter jagte heran – Elm-, Walnut- und Frontstreet nieder und über den Platz hin, dem Gefängniß zu. Es waren die wilden Rotten der Hinterwäldler, in Jagdhemden und Moccasins, die langen Büchsen auf der Schulter, die Messer an der Seite. Wie ein Ungewitter stürmten sie herbei – der gellende Jagdruf, scharf hinaustönend wie der Schlachtschrei der kaum wilderen Indianer, sammelte sie auf dem freien Platze vor den Häusern, und ganz Helena schien sich jetzt um sie sammeln zu wollen.

Adele schmiegte sich ängstlich dem Richter an – James war der Führer der Schaar, und sein Befehl sandte flüchtige Reiter hinauf und hinab in die Stadt mit Windesschnelle.

Der Squire stand starr und regungslos, von tausend auf ihn eindrängenden Gefühlen bestürmt. Dort, fast neben ihm, lag das Boot, das ihn der Rettung entgegenführen konnte – seine Schornsteine qualmten, das Oeffnen der Ventile, die den eingehemmten Dampf mit wildem Rauschen in's Freie ließen, bewies deutlich die Ungeduld des Ingenieurs – die schnellen Schläge der Glocke mahnten zur Abfahrt. Bolivar drängte sich in diesem Augenblick zu ihm hin.

„Massa,“ flüsterte er leise, „der Capitain vom Dampfer läßt Euch sagen, er müsse fort – er könne nicht länger warten.“

„Ha – Squire Dayton!“ rief da James Lively, dessen Blick, durch das lichte Kleid der jungen Dame angezogen, den Richter erkannte – er ritt noch das Pferd, das ihm Adele gebracht, und sein Schenkeldruck trieb es rasch dem Platze zu, wo Dayton stand.

„Squire!“ sagte er hier, während er rasch von seinem schnaubenden Thier herabsprang und tief erröthend die junge Dame grüßte – „Squire – es sind heute Morgen wunderliche Sachen in Helena vorgegangen. Wir hatten die Nachbarn aufgeboten, dem Gesetz, wo es Hülfe brauche, beizustehen – Cook eilte zu diesem Zweck voraus, und wie ich jetzt höre, ist er verhaftet.“

„Mr. Lively,“ sagte der Squire, und sein Herz klopfte, als ob es ihm die Brust zersprengen sollte – das Dampfboot von stromauf kam mit jedem Augenblick näher – nur Zeit jetzt gewonnen, nur wenige Minuten Zeit – „Cook's wilder Hitzkopf hatte sich allein das zugezogen – ich mußte ihn fast mehr noch seiner eigenen Sicherheit wegen verhaften lassen, als eines andern Grundes wegen. – Das Alles hat sich jetzt jedoch erledigt, und da nun auch kein weiterer Grund vorliegt, will ich selbst hinausgehen und ihn in Freiheit setzen.“

„Möchte kaum nöthig sein, Sir,“ sagte lächelnd der junge Hinterwäldler, „Vater ist dorthin aufgebrochen und wird ihn wohl mitbringen – wahrhaftig, ich glaube, dort kommen sie schon.“ Er richtete sich rasch empor, und in der That sprengten eben einzelne Reiter, mit Cook und Tom Barnwell in ihrer Mitte, aus der obern Straße heraus. Der Squire bog sich schnell zu seinem Neger nieder.

„Bolivar!“ flüsterte er – „hinauf, und bringe Mrs. Dayton hin auf's Boot – Leben und Freiheit hängt an Deiner Eile.“

„Squire! Wir haben eben den ›grauen Bären‹ gestürmt,“ wandte sich James wieder an diesen – „aber das Nest ist leer! Unser Geheimniß ist verrathen – die Bande hat –“

Ein lauter Ruf des Entsetzens, den Bolivar in Furcht und Staunen ausstieß, unterbrach ihn. – Der Neger, schon im Begriff, den ihm gegebenen Befehl zu erfüllen, hatte aber auch Ursache, zurückzuschrecken, denn dicht vor ihm – den alten schwarzen Filzhut abgeworfen – das marmorbleiche Antlitz von wilden dunkeln Locken umwallt – die Augen stier und geisterhaft – die blassen Wangen von zwei kleinen blutrothen Flecken gefärbt – die Lippen zitternd und halb getrennt – stand ein Knabe – und hob langsam die Hand gegen den Richter auf –

„Georgine!“ stöhnte der Häuptling, und das Blut wich aus seinen Wangen.

„Dayton,“ bat Adele in Todesangst – „was um des Himmels willen ficht Dich an – was bedeutet dies Alles?“

„Hahahaha!“ lachte mit markdurchschneidendem Hohn Georgine und richtete sich stolz und wild empor – sie hielt in diesem Augenblick Adele, die sie früher noch nicht gesehen, für des Richters Gattin – „Richard Kelly, der Kindesmörder, fürchtet die eine seiner Frauen zu begrüßen, weil die andere daneben steht – herbei Ihr Leute, herbei!“

„Wahnsinnige!“ rief Dayton und ergriff rasch ihren Arm.

„Zurück von mir!“ schrie aber das Weib in wilder Wuth – „wahnsinnig? Ja, ich bin wahnsinnig, ich will es sein – aber Du – Du hast mich dazu gemacht. – Herbei, Ihr Farmer – herbei, Ihr Männer von Helena – herbei – der, der hier vor Euch steht als Richter und Squire – der, der Jahre lang in Eurer Mitte gelebt hat – wie sich die Schlange im stillen Haus, in der Nähe der Menschen ihr Nest sucht –“

„Georgine!“ rief Dayton in Entsetzen.

„– ist Kelly! der Häuptling der Piraten – der Herr jener Räuberinsel – und ich – ich – ich bin sein Weib!“

Der schwache Körper konnte nicht mehr ertragen – Aufregung, Schmerz, Wuth und Rache hatten ihre Kräfte wohl noch bis zu diesem Augenblick aufrecht erhalten, jetzt aber ließ auch die letzte, zu straff angespannte Sehne nach, und bewußtlos sank sie zurück und wäre zu Boden gestürzt, hätte nicht James sie in seinem Arm aufgefangen.

Dayton stand, einer aus Stein gehauenen Bildsäule gleich, starr und regungslos da, und hörte die Worte, die sein Todesurtheil sprachen, wie Einer, der einem fernen, fernen Tone lauscht. So lange der Blick Georginens auf ihm haftete, war er nicht im Stande, sich zu regen – jetzt aber, als sie zurücksank, als ein Ausruf des Entsetzens den Lippen Adelens entfuhr und der Racheschrei der ihn umgebenden Feinde zum Himmel emporstieg, durchzuckte auch ihn wie mit wilder, zündender Gluth das Gefühl seiner Lage, das Bewußtsein der Gefahr, in der er schwebe. Jetzt war jede Verstellung unnütz – der letzte Augenblick erschienen, die Maske gefallen.

„Faßt den Räuber – laßt ihn nicht entkommen!“ schrie es von allen Seiten, und Adele trat unwillkürlich und erschreckt von ihm zurück; James aber, ihm der Nächste, wurde noch durch die Gestalt Georginens am Vorspringen verhindert und war auch wirklich durch das Ueberraschende und Fürchterliche dieser Anklage so betäubt, daß er kaum wußte, ob er wache oder träume. Während aber jetzt von allen Seiten die übrigen Männer herbeieilten, Farmer und Bootsleute – zum Angriff – zur Vertheidigung, die bis dahin offen getragenen oder verborgenen Waffen gezogen, riß Kelly zwei kleine Doppelpistolen aus seinen Taschen.

„Verloren!“ schrie er mit heiserer Stimme – „verloren, und verdammt – herbei denn, Piraten, herbei! Schaart Euch um Euren Führer – Freiheit und Rache!“ Und die Ersten, die ihm entgegenstürmten, fielen von den nur zu sicher gezielten Kugeln durchbohrt, während die Angreifer überrascht zurückfuhren, denn rechts und links tauchten Feinde auf – in ihrem Rücken knallten Pistolenschüsse und blitzten Messer, und für einen Augenblick wußten sie nicht, wie es der entsetzliche Mann ja auch berechnet hatte, wer Freund noch Feind sei, und für wen oder gegen wen sie zu kämpfen hätten.

Das Signal ward gegeben – oben und unten in der Stadt wurde es beantwortet – aus den Straßen kamen eilenden Laufes wilde, trotzige Gestalten – die Boote spieen sie aus, mit Büchsen, Aexten, Messern und Harpunen, der kleine Chickenthief besonders, der dicht vor dem Dampfboot lag, wurde lebendig, und Cotton und Sander, von jubelnden Piraten gefolgt, sprangen in's Freie.

Der Capitain des Van Buren sah erstaunt die plötzlich der Erde und dem Wasser scheinbar entsteigenden Schaaren, und fürchtete nicht mit Unrecht für die Sicherheit seines Bootes, denn über dessen Planken flohen auch schon viele Einzelne an Bord. Rasch gab er den Befehl, die Taue zu kappen und die Planken einzuziehen, während die Klingel des in sein Haus springenden Lootsen den Ingenieur zum Bereitsein mahnte. Wohl kam eben so schnell die Antwort zurück, und die Matrosen flogen an ihre Plätze, aber – es war zu spät.

„An Bord, Boys!“ schrie die donnernde Stimme des Piratenhäuptlings – „entert das Dampfboot – an Bord!“

Die Matrosen, die sich niedergebogen hatten, die Planken zu fassen und einzuziehen, wurden von schon früher Eingeschlichenen rasch zur Seite geworfen. – Im nächsten Augenblick sprangen von allen Richtungen her dunkle Gestalten über die Bretter. An den Seiten des Bootes und aus Kähnen kletterten sie herauf, und während die noch am Ufer Befindlichen Front gegen die jetzt vorstürmenden Farmer machten, bemächtigten sich jene des ganzen Dampfers, rannten auf die erste Kajüte und auf das Hurricane-Deck hinauf, und eröffneten von hier aus ein tödtliches Feuer gegen die mehr und mehr sie umzingelnden Feinde.

Georgine, wenn auch für den Augenblick durch den sie bewältigenden Sturm der Leidenschaften betäubt, raffte sich jetzt, von dem Lärm und Schießen umtobt, wieder empor; James aber sah sich kaum von seiner Last befreit, als er auch auf Adele zusprang und sie rasch aus dem Getümmel führte, wo ihr Leben ja von allen Seiten bedroht war. – Hier traf er glücklicher Weise Cäsar und Nancy, die gerade im Begriff gewesen waren, mit Koffern und Schachteln dem Van Buren zuzueilen, und übergab ihnen das arme Mädchen, das nach dem eben Erlebten fast Alles willenlos mit sich geschehen ließ.

Dann aber sammelte auch der wohlbekannte, scharf ausgestoßene Jagdruf die Seinen, mit denen er sich, von Cook, Smart und dem Virginier unterstützt, im wilden Ansturm auf die Feinde warf. Diese, von den Uebrigen umdrängt, behielten natürlich keine Zeit, die abgeschossenen Gewehre wieder zu laden, und suchten die Angreifer nur mit Messern und Büchsenkolben abzuhalten. Mehr und mehr aber zogen sie sich dabei auf das Boot zurück; der Raum, den sie zu vertheidigen brauchten, wurde immer kleiner, das Feuer vom Boot selbst aus immer vernichtender, und fast alle Farmer waren verwundet, während Kelly, in der Linken sein breites Bowie, in der Rechten den Lauf einer abgebrochenen Büchse, Tod und Verderben um sich her säete.

Oben auf dem Hurricanedeck stand Sander und jubelte, während er sein Gewehr zwischen die am Ufer Stehenden abschoß:

„Hurrah, Boys! Kommt an Bord – Anker gelichtet, der Freiheit entgegen!“

Aus einem rasch in den Fluß hinausgeruderten Boot sprang ein Mann und schwang sich auf das Steuer des Van Buren.

„An Bord!“ schrie Kelly – „an Bord, Ihr Leute – kappt die Taue –“

„Hierher – Ihr Rächer – hierher!“ rief eine weibliche Stimme, und Georgine, den Tomahawk eines der Gestürzten in hochgeschwungener Rechte, sprang den Kämpfenden zu.

James, dessen Absicht es jetzt war, die Planke zu gewinnen, damit er denen, die am Ufer standen, den Rückzug abschneiden und den Häuptling wo möglich lebend fangen könnte, sprang in das Wasser und wollte das Boot schwimmend erreichen, zwei Kugeln aber trafen ihn fast zu gleicher Zeit und er sank. Cook warf sich indessen, von Mills und Smart unterstützt, auf den Kern des Ganzen, wo Kelly die Seinen antrieb, auf das Boot zu flüchten, während er selbst ihren Rückzug decken wollte.

Der Virginier hatte sich dabei den Capitain der Schaar ganz besonders zum Angriff ausersehen.

„Teufel!“ schrie er und warf sich ihm mit keckem Sprung entgegen, „die Stunde der Rache ist gekommen – fahre zur Hölle!“ Und mit seinem Messer führte er einen Streich nach dem Piraten, der sein Schicksal sicherlich besiegelt hätte; doch Bolivar fiel dem jungen Mann in den Arm, umfaßte ihn und schlug ihn mit dem Eisenschädel so gewaltig gegen die Stirn, daß er bewußtlos hintenüber stürzte. Kelly sprang auf die Planke – die Taue waren gekappt, das Boot lag frei und die Räder fingen an zu arbeiten – die Planken bewegten sich schon – ein Kolbenschlag warf Jonathan Smart, der überdies auf dem durch Blut schlüpfrig gewordenen Holze ausglitt, in den Fluß hinab – er war gerettet!

„Du bist mein!“ drang da ein gellender Ton in sein Ohr – „mein und mein sei auch die Rache!“ Und Georgine, in wilder, Alles um sich her vergessender Wuth, stürzte sich mit funkelnden Augen und Jubelgeschrei ihm entgegen. Fast unwillkürlich zuckte Kelly's Hand empor und die stahlbewehrte Faust senkte sich im nächsten Augenblick auf die Schulter des schönen Weibes nieder – Georgine war zum Tode getroffen, aber fallend ergriff sie die Kniee des Verräthers, und während sich dieser bemühte, das dadurch gefährdete Gleichgewicht zu bewahren, sprang Cook vor, schlug den Neger zu Boden, deckte sich mit dem rechten Arm, indem er sein Bowie schwang, gegen den nach ihm geführten Hieb eines der Feinde, ergriff mit der Linken den Piratenführer und stieß ihm, mit dem Racheschrei auf den Lippen, das breite Messer in die Brust. Eine nach ihm geschossene Kugel streifte ihm die Schulter – ein Kolbenschlag fuhr ihm am Haupte nieder, aber er wankte und wich nicht, und als die Planke von dem zurückgleitenden Boot in den Fluß stürzte und Alle in dem hoch aufschlagenden Wasser versanken, hielt er sich krampfhaft fest in die Kleider des Feindes geklammert und mußte mit dem Leichnam an's Ufer gezogen werden.

Da, während das flüchtige Boot vom Lande schoß, wurde ein Schrei vom menschengedrängten Hurricanedeck gehört. – Aller Augen richteten sich dorthin, und der alte, ebenfalls aus zwei tiefen Wunden blutende Lively, der seinen Sohn gerade an's Ufer gezogen hatte, rief erstaunt aus:

„Hawes – bei Gott!“ Im nächsten Augenblick stürzten aber auch schon zwei menschliche, fest zusammengeklammerte Gestalten von der nicht unbeträchtlichen Höhe des obern Decks herab in den aufgewühlten Strom, während von allen Seiten Boote abstießen, die wüthenden Kämpfer aufzunehmen.

Noch hatte der Van Buren die Landung aber keine zweihundert Schritte verlassen, als der Black Hawk, seine Decks mit Soldaten erfüllt, unter dem raschen Anschlagen der Glocke heranfuhr. Wohl standen auch die Matrosen vorn mit den Tauen bereit, sie an's Ufer zu werfen, aber Capitain Colburn, der das Schießen gehört und den Kampf schon von Weitem mit dem Fernglas beobachtet hatte, schrie oben vom Pilothaus mit dem Sprachrohr sein –

„What's the matter?“ herunter. Die einzelnen, dem davonbrausenden Dampfboot nachgefeuerten Schüsse, das Winken und Schreien der am Ufer Stehenden und die umhergestreuten Leichen waren seine Antwort und ließen ihn mit dem, was er schon selbst über die Verhältnisse in Helena erfahren, nicht länger mehr in Zweifel.

„Give her hell, boys“ rief er vom Deck herunter, – „feuert, daß die Kessel roth werden, den Burschen da vorn müssen wir einholen – hurrah für old Kentucky!“

Rasch an den weiter oben liegenden Flatbooten vorbei glitt der Black Hawk, wie der Vogel, dessen Namen er trug; die Feuerleute schürten mit ihren mächtigen Eisenstangen in der Gluth, die Soldaten und Mannschaften trugen Holz und Kohlen herbei, und die Maschine that, ohne selber Gefahr zu laufen, ihr Aeußerstes. Aber der Black Hawk war ein altes, der Van Buren dagegen ein neues und fast das schnellste Boot des Mississippi. – Wie ein Pfeil schoß es eine kurze Strecke den Strom hinauf, dann fiel sein Bug plötzlich vor der Fluth ab – von Helena aus konnten sie das von Menschen gedrängte Steragedeck übersehen – und Jauchzen und Jubeln scholl von dort herüber. Die Schnelle, mit der es die Fluth durchschnitt, war entsetzlich – der eingehemmte Dampf jagte die Räder in rasendem Wirbelschwung um ihre Achsen – Fett und Oel schleppten die Piraten herbei und warfen es unter die Kessel – während sich zwei der Männer an die Ventile hingen, um selbst der unbedeutendsten Quantität Dampf den Ausgang zu verwehren. Es galt ja auch hier nicht allein dem Feind zu entgehen, sondern weiten Vorsprung genug zu gewinnen, um nicht Gefahr von anderen Booten fürchten zu müssen.

Aber wo war der Mann, der diese wilde, zuchtlose Schaar hätte in Ordnung halten können? Wer verstand die Leitung dieser Maschinen, um die Sicherheit ihrer Kraft zu bestimmen? Nur wilde, ungeregelte Flucht war der Gedanke der Piraten. – Die Maschine arbeitete – Holz lag noch an Bord, die Kessel glühten, die Bucketplanken der Räder peitschten die Fluth – vorn am Bug zischte der gelbe Schaum empor, und dort – ha, wie weit zurück hatten sie schon die Verfolger gelassen. Fast war die Landspitze erreicht, die sie ihren Blicken entzog – und dort vor ihnen lag der weite ruhige Strom, der sie der Freiheit entgegentragen sollte. Noch leuchtete hoch und hell die Sonne am Himmel, und wenn sie unterging, wenn dunkle Nacht – heiliger Gott, der Schlag, der das Innerste des stolzen Baues erbeben machte! – Weißer siedender Qualm stillte den Raum oder quoll aus den Seiten des Decks, und zum Himmel emporgeschleudert schossen zerstückte Leichname und Bootstrümmer, und stürzten nach kurzem schauerlichen Flug, schwerfällig und matt tönend, auf die zitternde Wasserfläche nieder. – Das halbe Boot war verschwunden, aber Verzweifelnde kämpften noch mit den Wogen, als der Black Hawk vorüberbrauste und auf derselben Stelle einschwenkte, auf welcher wenige Minuten vorher die Kessel des Van Buren gesprungen waren.

In Helena stieg, als sie von dort aus die Explosion des Piratenbootes erkannten, ein Jubelruf aus hundert Kehlen und mischte sich mit dem fernen Angstschrei und Todesröcheln der Verbrecher. – Die Feinde waren vernichtet, die Insel hatte der Black Hawk gestürmt, und was nicht im Kampfe seinen Tod fand, brachte er gefesselt an Bord. An der Landung von Helena aber suchten weinende Frauen und Mädchen unter den Todten ihre Lieben und Freunde und ernste Männer trugen die verwundeten Kameraden in die nächsten Häuser hinauf.

Wer aber waren die Beiden, die noch immer mitsammen ringend dem Wasser entstiegen? – das Volk sammelte sich um sie, und Manche wollten mit Hand anlegen und die Feinde trennen. Tom Barnwell, der Eine von ihnen, hatte aber sein Opfer zu fest und sicher gepackt, und wenn auch dieses in verzweifelter, wilder Wuth gegen ihn ankämpfte, und Nägel und Zähne einschlug in das Fleisch seines ihm überlegenen Siegers, so schien der die Wunden kaum zu fühlen, viel weniger zu achten.

„Zurück!“ rief er – „gleichen Kampf und Einer gegen Einen – der hier ist mein – bei dieser rechten Hand hab' ich's geschworen, daß ich ihn zwingen will, mir zu folgen, und meine rechte Hand soll den Schwur halten, ob er den Arm auch bis auf die Knochen abnagte.“

„Hallo, Tom,“ rief ihn hier ein Bekannter an, „will ihm die Beine ein bischen heben, daß er's bequemer hat.“

„Zurück da, Bredschaw – zurück!“ schrie aber der junge Bootsmann – „hinauf schleifen will ich ihn, wenn die Bestie nicht mehr gehen kann, aber kein Mann weiter soll Hand an ihn legen.“

Mit wildem Jauchzen schleppte, in fast wahnsinniger Aufregung, der wilde Bootsmann sein heulendes Opfer die Straße hinauf, des Richters Wohnung zu; einzelne der Männer folgten ihm, aber er sah sie nicht – nur vorwärts – vorwärts strebte er. „Marie!“ war das Wort, das er manchmal zwischen den zusammengebissenen Zähnen vorknirschte, – „Marie, ich bring' ihn Dir – ich bring' ihn Dir.“

Jetzt erreichte er das Haus – Niemand war in dem Vorsaal – die Hausthür nur angelehnt – Adele hatte, selbst kaum stark genug, sich aufrecht zu erhalten, die über den Kampf zum Tod erschrockene Hedwig hinauf in ihr Zimmer geführt, daß sie das Gräßlichste noch nicht hören, noch nicht erfahren sollte. Unten aber in dem kleinen kühlen Gemach, das man erst heute der Kranken angewiesen, – an dem Lager, auf dem eine bleiche Mädchengestalt starr und regungslos ausgestreckt lag, standen zwei Frauen – Mrs. Smart und Nancy – und der ersteren liefen, während sie mit gefalteten Händen vor sich nieder sah, die klaren, hellen Thränen über die Wangen hinunter, indeß sich Nancy zu Füßen des Bettes niederkauerte und die großen dunkeln Augen fest und ängstlich auf die Züge der – Leiche geheftet hielt.

„Ich bring' ihn, Marie – ich bring' ihn!“ schallte die wilde, jubelnde Stimme des Rasenden in das Zimmer der Todten – „hier herein, hierher, und jetzt auf die Kniee nieder vor einer Heiligen – herein hier, Bestie!“ Und mit gewaltigem Griff, dem selbst der in verzweifelter Angst sich sträubende Verbrecher nicht widerstehen konnte, riß er den Verräther in den schmalen Hausgang und in die erste offene Thür, die er erreichte.

Mrs. Smart und Nancy stießen einen Schrei der Angst und Ueberraschung aus, und Tom, der den Verbrecher nachschleppte, schlug jetzt selbst erschreckt die Augen auf und starrte verwundert umher. Sein Blick flog über die beiden entsetzt zu ihm aufsehenden Frauen, über die ganze wohnliche Umgebung des kleinen Gemachs, über die dichtverhangenen Fenster hin, durch die sich nur hier und da ein einzelner schimmernder Strahl die leuchtende Bahn erzwang; – es war fast, als ob er Jemanden suche und sich doch fürchte, nach ihm zu fragen. – Da – erkannte er das Bett, das in der dunkelsten Ecke stand; nur dort, wo sich der Vorhang ein klein wenig verschoben hatte, stahl sich, von der dünnen Gaze noch gemildert, ein lichter Glanz hindurch und legte sich wie ein Heiligenschein um das bleiche, ruhige Todtenantlitz.

Der Bootsmann zuckte, wie von einer Kugel getroffen, zusammen – er sah weiter nichts mehr, als jene blasse, rührende Gestalt – seine Hand ließ bewußlos in ihrem Griff nach, mit dem sie ihr Opfer bis dahin in eisernen Fängen gehalten; Sander aber, den viel leicht nie wiederkehrenden Augenblick zur Flucht benutzend, schlüpfte, von jenem unbeachtet, rasch aus der Thür und in's Freie.

Tom sah ihn nicht mehr – als ob er die vielleicht nur Schlummernde zu wecken fürchte, trat er auf das Bett zu, faltete die Hände und schaute ihr lange still und ernst in das liebe bleiche Angesicht. – – Viele, viele Minuten stand er so; kein Laut entfuhr seinen Lippen, kein Seufzer seiner Brust, und die Frauen wagten kaum zu athmen, der stumme Schmerz des Armen hatte etwas gar zu Ehrfurchtgebietendes und Gewaltiges – sie konnten es nicht über's Herz bringen, ihn zu stören. Endlich beugte er langsam den Kopf zum todten Liebchen hinab, ein einzelner Wehelaut:

„Marie!“

rang sich aus seiner Brust, und laut schluchzend sank er neben der Leiche in die Kniee nieder.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi