Kapitel 27 - Georginens Verdacht. – Kelly rettet seinen Neger.

27. Georginens Verdacht. – Kelly rettet seinen Neger.

An demselben Abend, an welchem Kelly im „grauen Bären“ jene Anordnungen traf, die den Schlag, wenn auch nicht von ihren Häuptern abwenden, doch ihn noch aufhalten sollten, bis sie selbst einer Entdeckung wie Verfolgung lachen konnten, ging Georgine, die Königin des Verbrecherstaats, mit raschen ungeduldigen Schritten in ihrem kleinen prachtvollen Gemach auf und ab. Nur dann und wann blieb sie am Fenster, um hinaus zu horchen, als ob sie Jemanden erwarte, der immer und immer noch nicht kommen wolle.


Die Augen des schönen Weibes glühten in Zorn und Unmuth; ihre kleinen schwellenden Lippen waren fest zusammengepreßt, ihre feingeschnittenen Augenbrauen berührten sich fast, und der zierliche Fuß stampfte mehrmals in rücksichtslos ausbrechendem Unmuth den teppichbelegten Boden. Kelly hatte am Donnerstag Morgen, fast mit Tagesanbruch, die Insel verlassen und sie seit der Zeit nicht wieder betreten, ihr ausgesandter Bote, der Mestize, ein Knabe, den sie aufgezogen und der sich nur ganz und allein ihrem Dienst geweiht, war ebenfalls nicht zurückgekehrt, und ihre Gefangene entflohen – Gott allein wußte wohin; Grund genug ein Gemüth wie das ihre zu äußerster Aufregung zu treiben. Zwar hatte sie schon mehrere Boten dem Mestizen nachgeschickt, doch umsonst; keiner konnte ihr Nachricht über ihn bringen, keiner wollte ihn gesehen haben. Nur noch Einer war jetzt aus – Peter – und lange Stunden hatte sie in immer peinlicher werdender Ungeduld gewartet, ihn zu sehen und günstigen Bericht von ihm zu hören.

Endlich konnte sie das ruhige, unthätige Harren nicht länger ertragen, sie öffnete rasch und heftig die Thür und wollte eben nach Bachelors Hall hinüberschreiten, als das schmale Eingangsthor knarrte und gleich darauf Peter's breitschulterige Gestalt aus dem jetzt dicht auf der Insel lagernden Nebel hervortrat. Dieser, als er die winkende Bewegung der Herrin sah, schritt auf sie zu und mußte ihr augenblicklich zurück in das Haus folgen. Hier aber kündete sein ernstes, bedenkliches Gesicht keineswegs Gutes, und er wollte auch im Anfange gar nicht so recht mit der Sprache heraus; Georgine jedoch, die ihn erst mehrere Secunden lang scharf und prüfend fixirte, faßte plötzlich seine Hand, zog ihn zur eben entzündeten Ampel, die ein sanftes, wohlthuendes Licht über den kleinen Raum warf, und flüsterte endlich – als ob sie durch den leisen Ton der Frage die gefürchtete Antwort zu mildern hoffe:

„Wo ist Olyo?“

„Ich weiß nicht,“ lautete die halb scheue, halb mürrische, kurz herausgestoßene Antwort des Narbigen, der dabei den Kopf zur Seite wandte und mit der andern, ihn frei gelassenen Hand emsig in seiner Tasche nach dem Kautabak suchte.

„Wo ist Olyo?“ wiederholte aber, mit noch dringenderem, ernsterem Tone die Gebieterin – „Mensch, sieh mich an, und beantworte mir meine Frage – wo ist Olyo?“

„Ich weiß es nicht – habe ich Euch schon gesagt,“ knurrte der Bootsmann und spuckte seinen Tabak ziemlich ungenirt auf die blankgescheuerten Messingzierrathen des Kamins – „ich bin im ganzen Walde herumgekrochen, hab' ihn aber nicht finden können.“

„Im Walde? Weshalb im Walde?“ frug Georgine mißtrauisch – „in der Stadt mußte er sein, nicht im Walde – weshalb suchtest Du ihn im Walde?“

„Weil er nicht in der Stadt war – Donnerwetter, durch die Luft kann er nicht davongeflogen sein, und da glaubt' ich, müßt' ich ihn entweder in der Stadt, im Walde oder im – oder wo anders finden. – Irgendwo muß er doch stecken aber umsonst – in der Stadt ist er nicht, im Walde auch nicht –“

„Und im Wasser, Peter? – im Wasser?“ flüsterte Georgine mit kaum hörbarer Stimme.

„Im Wasser?“ sagte der Bootsmann erschreckt und blickte sich scheu nach ihr um – „wie kommt Ihr dar auf?“

Georgine begegnete seinem Auge in stummem Entsetzen und stöhnte endlich – aber so leise, daß er die Worte kaum verstehen konnte:

„Also im Wasser – im Wasser hast Du ihn gefunden? Mensch, rede – Du bringst mich beim ew'gen Gott noch zur Verzweiflung.“

„Nein – auch nicht!“ sagte der Alte und biß ein großes Stück von seinem Tabak herunter.

„Also hast Du doch im Wasser nach ihm gesucht? Du mußt Verdacht geschöpft haben – Du glaubtest ihn dort zu finden. – Sprich und reiße mich aus einer Ungewißheit, die fürchterlicher ist, als selbst die gräßlichste Wahrheit sein könnte.“

„Im Wasser gesucht? Ich? – Unsinn. Weshalb sollt' ich im Wasser suchen? – Harris meinte nur –“

„Was meinte Harris, Peter?“ frug Georgine jetzt mit erkünstelter Fassung, da sie bemerkte, daß der Narbige endlich zu erzählen begann, und ihn irre zu machen fürchtete, wenn sie sich nicht soviel als möglich bezwang.

„Ei nun, daß der Mestize nicht an's Ufer gekommen wäre,“ – fuhr der Bootsmann fort und hustete dabei ein paar Mal, als ob die Worte nicht recht aus der Kehle wollten – „Harris sah das Boot an's Land kommen, und wollte gern nachher mit Olyo sprechen. Den einzigen möglichen Weg aber, der von dort aus, wo das Boot eingelaufen, in den lichteren Wald führte, hatte er nicht betreten, und kein Mensch antwortete ihm auch, als er später nach allen Richtungen hin den Namen rief –“

„Olyo wird sich versteckt haben,“ flüsterte Georgine mit kaum hörbarer Stimme – „er – er traute sicherlich dem Rufe nicht und wünschte ungesehen zu bleiben.“

„Ja, das meinte Harris auch,“ fuhr Peter fort, der jetzt durch die angenommene Fassung der Frau selbst beruhigt und sicher gemacht wurde, – „das meinte Harris auch, es – es kam ihm aber sonderbar vor, daß der Neger so schnell wieder zurückruderte, da er ihn doch eigentlich, wie es am wahrscheinlichsten gewesen wäre, wenigstens so weit hätte begleiten müssen, daß er sich nicht mehr verirren konnte. Bolivar trieb überdies noch ein ganzes Stück stromab, ehe er wieder zu rudern anfing, und war indessen emsig mit Etwas beschäftigt, das Jener aber, der weiten Entfernung wegen, nicht erkennen konnte. Nachher wollte er gern sehen, wo das Boot in der kleinen Bucht, in der es eingelaufen, gelandet wäre – nirgends aber war eine Spur davon zu entdecken, und der weiche Erdboden hätte auf jeden Fall selbst den leisesten Eindruck bewahren müssen.“

„Nun? – Und was weiter?“ frug Georgine, als Jener einen Augenblick schwieg und dann unschlüssig zu der Frau aufblickte. Aber er sah nicht das leise, kaum merkbare Zucken der Lippen, er sah nicht das innerliche Beben der ganzen Gestalt – er sah nicht, wie die eine kleine Hand krampfhaft die Stuhllehne umklammert hielt, auf die sie sich stützte, als ob sie in das reichgeschnitzte Mahagoniholz die zarten Finger fest und tief eingraben wollte. – Nur die todtenbleichen Wangen sah er und das kalt und ruhig auf ihn geheftete Auge, und fuhr nach kurzem Zögern wieder fort:

„Am Ufer war nichts zu erkennen – aber auf dem Wasser –“

„Auf dem Wasser?“ – wiederholte Georgine leise und tonlos.

„Ei zum Teufel, er kann sich auch geirrt haben!“ brach da der Bootsmann die Mittheilung plötzlich kurz ab – er wußte recht gut, wie Georgine an dem Knaben hing, wenn er auch dafür keinen Grund angeben konnte. Es wurde ihm dabei selber peinlich, eine Geschichte, die ihm selbst fatal schien, so aus sich herauspressen zu lassen, während er sich doch auch wieder scheute, gerade von der Leber weg zu reden.

Georgine war aber nicht gesonnen, ihn so wieder los zu geben, da sie jetzt wohl fühlte, er wisse mehr, als er gestehen wollte.

„Er hat etwas auf dem Wasser schwimmen sehen, Peter,“ sagte sie, fast eben so leise als vorher – „was war es? Verheimliche mir nichts – selbst wenn es nur noch Vermuthung sein sollte –“

„Hm, Unsinn,“ brummte Peter und sah sich sehnsüchtig nach der Thür um. Die jetzt auf ihm haftenden Augen des schönen Weibes ließen ihm aber nicht Ruhe noch Rast, wohin er den Blick auch wenden mochte. Er wußte, der ihrige war auf ihn geheftet, und er knurrte endlich, während er halb trotzig den alten schwarzen Filz mit beiden hornigen Fäusten knetete:

„Zum Donnerwetter, wenn Ihr's denn einmal wissen müßt, so kann mir's auch recht sein – Blut, meinte er, wär's gewesen, fettige Blutflecke, mit ihren häßlich schillernden Farben, die sich in der kleinen Bucht herumtrieben und, gerade als er den Platz erreichte, dem Einfluß zuströmten – auch ein paar gelbe Schaumblasen waren dabei, – andere, als sie der Regen auf den Fluß ruft. Der ganze Platz sah unheimlich aus, und ihm, sagt' er, war' es ordentlich so vorgekommen, als ob sich das ganze Schilf des Ufers hinauf- und von dem einsamen Platze fortdrängen wollte.“

„– Hat er die Leiche gefunden?“ flüsterte Georgine, aber so leise, daß sie die Frage wiederholen mußte, ehe sie der Bootsmann verstand.

„Die Leiche? Nein, Gott bewahre – es ist ja auch noch immer nur ein Verdacht, den er hat; Olyo kommt vielleicht heute oder morgen wieder zurück, und dann ist die ganze Sorge um nichts gewesen.“

„Peter –“ sagte die Frau nach kurzem Sinnen, während sie die Hände fast bewußtlos auf die Stuhllehne faltete, auf welche sie sich jetzt wirklich stützen mußte – „willst Du mir in dieser Sache – Gewißheit verschaffen? Willst Du mir –“

„Die könnte am besten der Neger geben,“ entgegnete Peter mürrisch – „aufrichtig gesagt möcht' ich auch mit der ganzen Geschichte nicht viel zu thun haben. – Der – der Capitain könnt' es nicht gern sehen.“

„So? Vermuthest Du das auch?“ frug Georgine rasch.

„Nun ja – er machte sich so nicht besonders viel aus dem Knaben, und wußte auch, daß er ihm aufpassen sollte –“

„Er wußte das? Und so glaubst Du vielleicht gar, daß es ihm lieb sein möchte, den Knaben auf solche Art losgeworden zu sein – daß es vielleicht gar auf seinen Befehl –“

„Bitt' um Verzeihung,“ rief Peter rasch und erschrocken, „so lange in meinem Kopf nur ein Fingerhut voll Verstand bleibt, soll solche Behauptung wahrhaftig nicht über meine Lippen kommen. Das sind auch überdies Sachen, um die ich mich nie bekümmere. Ich thue meine Arbeit und lasse den Rest in Ruh', so lange sie mir ein Gleiches gönnen.“

„Gut dann, Peter, das ist recht von Dir, aber – würdest Du Dich weigern, mir, wenn ich Dich recht dringend darum bäte, einen großen Dienst zu leisten? – einen Dienst, den ich Dir fürstlich lohnen wollte?“

„Einen Dienst zu leisten? – weigern? Ei, Gott bewahre! Es wäre ja nur eigentlich meine Pflicht und Schuldigkeit, besonders gegen eine Lady!“

„Gut – Du versprichst mir also, meine Bitte zu erfüllen?“

„Wenn ich es kann, von Herzen gern.“

„Gieb mir Deine Hand darauf.“

Peter zögerte; die Sache fing ihm an zu ernsthaft zu werden, und es gereute ihn schon fast, sein Wort so ganz bestimmt gegeben zu haben. Georgine streckte ihm aber die weiße und jetzt marmorkalte Hand so bittend entgegen, daß er nicht nein sagen konnte und einschlug. Die Hornfinger ruhten für einen Augenblick in dem weichen Griff der zarten Rechte.

„Du hast Dein Wort gegeben,“ flüsterte jetzt die Frau, „Du wirst es als Mann nicht brechen wollen. – Nimm Haken und Seile mit – jene Bucht, von der Du sprichst, wird nicht so tief sein – und schaffe mir die Leiche – Du kannst einen von den Enterhaken mitnehmen – der, auf dem Boden hingezogen, muß sich in die Kleider –“ sie hielt einen Augenblick inne und barg das Gesicht in den Händen, gleich darauf aber fuhr sie mit der vorigen Ruhe und Festigkeit fort – „in die Kleider des unglücklichen Knaben einhaken. Die Leiche schaffst Du mir, sobald Du sie hast, hier hierüber – Olyo soll wenigstens ein Grab in trockener Erde haben. Willst Du das thun?“

„Wenn aber Capitän Kelly indessen kommt und nach mir fragt?“

„Die Entschuldigung Deiner Abwesenheit laß meine Sorge sein – willst Du mir die Leiche schaffen?“

„Meinetwegen denn, ja,“ – brummte Peter – „die Bucht ist höchstens zehn Fuß tief, vielleicht nicht einmal das, wo aber schaffe ich den – den Cadaver hin?“

„Hier in mein Haus – dort, in jenes Cabinet, das Weitere besorg' ich selber. Doch jetzt noch Eins – wo habt Ihr den Neger aufbewahrt?“

„Der liegt in dem einen Stalle drüben, den sie für ein zeitweiliges Gefängniß hergerichtet haben,“ sagte Peter, „Corny ist heute richtig an den Bißwunden gestorben – es war doch wohl eine Ader gesprengt und nicht recht gebunden, und wir wollen jetzt nur des Capitains Ankunft abwarten, daß dieser beschließt, was mit dem Schuft werden soll. Wenn's kein Neger wäre, so hätten wir uns allerdings nicht so viel Müh' um die Sache gegeben, denn Corny hatte ihn auch genug gereizt, und sie konnten's zusammen ausmachen. Daß sich aber ein Neger an einem Weißen ungestraft vergreifen sollte, dürfen wir doch nicht gestatten, sei's auch nur des bösen Beispiels wegen, und Capitain Kelly mag deshalb bestimmen, was mit ihm werden soll. Losgeben darf er ihn aber nicht; die Leute sind wüthend auf das schwarze Fell.“

„Bring' ihn hierher!“ sagte Georgine jetzt, als sie wie aus tiefem Sinnen emporfuhr.

„Wen? Den Neger?“

„Bolivar – gebunden wie er ist – und – schick' mir zwei von den Männern mit – wähle ein paar von Corny's Freunden!“

„Hm,“ meinte der Alte, „da bedeutet das wohl nichts Gutes für den Schwarzen. – Wenn Ihr übrigens glaubt, daß Ihr den zu irgend einem Geständniß zwingt, so seid Ihr verdammt irre – der ist stöckisch wie ein Maulesel. Doch meinetwegen; ich gehe indessen, mein Wort zu lösen; wenn Ihr mir und Euch übrigens einen Gefallen thun wollt, so erwähnt nichts gegen den Capitain, wenn er etwa kommen sollte.“

Er verließ mit diesen Worten das Zimmer, Georgine aber, kaum von seiner Gegenwart befreit, warf sich auf die Ottomane, und machte ihrem gepreßten und bis dahin nur gewaltsam bezwungenen Herzen Luft in einem wilden, lindernden Thränenstrom. Der Schmerz des schönen leidenschaftlichen Weibes konnte sich aber nicht auf solch' sanfte Art brechen; ihr Charakter wollte nicht leiden und dulden, er wollte ankämpfen gegen den Druck, der ihn beengte, und Rache üben an Dem, der es wagte, ihr feindselig gegenüber zu treten. Grenzenloser Liebe war sie fähig, aber auch grenzenlosen Hasses, und diese Leidenschaften wurden nur verstärkt, da Zweifel und Eifersucht die eine umnachtete, während noch immer die Gewißheit fehlte, der andern freien und ungehinderten Lauf zu lassen. Sie hatte Richard Kelly mit einer Stärke geliebt, die sie selbst erbeben machte – Alles – Alles hatte sie ihm geopfert, Gefahren mit ihm getheilt, Verfolgung und Noth mit ihm getragen, in seinen letzten Schlupfwinkel war sie ihm gefolgt – unter dem Auswurf der Menschheit lebte sie mit ihm – für ihn – jede Rückkehr in das gesellschaftliche Leben war ihr abgeschnitten – ihre einzige Hoffnung auf dieser Welt er; der einzige Stern, zu dem sie bis jetzt mit Vertrauen und Liebe emporblickte, er; der einzige Gott fast, zu dem sie gebetet, er, und jetzt – zum ersten Mal der fürchterliche Verdacht – nein, fast die Gewißheit schon, daß er falsch sei. Das Alles machte ihr Hirn schwindeln, jagte ihr das Blut in Fieberschnelle durch die Adern. Er war schuldig – wozu brauchte er denn auch sonst ihren Boten zu fürchten – wozu hätte er – großer allmächtiger Gott – die Sinne vergingen ihr, wenn sie den Gedanken fassen wollte – das Kind ermorden lassen.

„Gewißheit!“ stöhnte sie mit krampfhaft gefalteten Händen – „Heiland der Welt, gieb mir Gewißheit, nur Gewißheit, und überlaß das Uebrige mir – Richard, Richard, wenn Du Dein Spiel mit mir getrieben –“

Ein Stimmengewirr wurde vor der Thür laut, und als sie diese öffnete, standen etwa ein halbes Dutzend der Insulaner davor, von denen einige Fackeln trugen, andere den gebundenen Neger in der Mitte führten. Bolivar schritt trotzig zwischen ihnen einher; den Kopf umwand eine Binde, und das eine Auge war ihm, vom Kampfe mit der Uebermacht, angeschwollen. Des Messers hatten sie ihn beraubt, daß er nicht doch noch Unheil damit anrichte.

Georgine trat auf ihn zu, sah ihm erst einige Secunden lang fest und starr in das halb trotzig halb scheu zu ihr aufgeworfene Auge, und sagte dann, während sie ein kleines silberverziertes Terzerol spannte und in der Hand hielt, jetzt aber auch in kaum zwei Fuß Entfernung von dem Afrikaner stehen blieb:

„Bolivar – Deine That ist verrathen – Du bist in meiner Macht, und kein Gott könnte Dich vor der verdienten Strafe retten, wäre nicht noch ein Anderer hineinverwickelt, dessen Entdeckung mir wichtiger ist als Dein Leben, Sclave! Du hast den Knaben, der Deiner Obhut anvertraut wurde – ermordet, in jener Bucht drüben den Leichnam versenkt. Du siehst, ich weiß Alles, jetzt gestehe aber auch, so Dir Dein schwarzes Leben nur den Werth einer Glasperle hat, was und wer Dich dazu bewogen. Der Knabe hatte Dir nie ein Leid gethan – er war manchmal übermüthig, nach der Knaben Art, aber sonst noch fast ein Kind – in Deinen Händen mußte er wie die Taube in des Geiers Krallen sein. Wer hat Dich also gedungen, Mensch, oder wessen Befehlen hast Du dabei gehorcht? Sprich, denn ich weiß Alles, aber ich will nur erst durch Deinen Mund Gewißheit – sprich!“

„Ich weiß nicht, wer Euch all' den Unsinn in den Kopf gesetzt,“ knurrte Bolivar, „aber so viel ist gewiß, daß ich hier um nichts und wieder nichts niederträchtig behandelt werde. – Wäre Massa Kelly hier –“

„Der würde Dir beistehen, das glaub' ich,“ flüsterte die Frau – „doch Deine Ausflüchte helfen Dir nichts – gestehe, sag' ich, oder, beim ewigen Gott! ich jage Dir diese Kugel durch's Hirn – Du kennst mich, daß ich Wort halte, wenn es gilt, eine Drohung auch auszuführen.“

„Ja, darin kenn' ich Euch!“ trotzte der wilde Sohn der Wüste – „darin kenn' ich Euch nur zu gut, aber ich lache Eurer Drohungen. Dieses Leben, das ich in letzter Zeit hier geführt, ist doch kaum besser als das eines Hundes gewesen – drückt in drei Teufels Namen ab, aber glaubt nicht, daß ich mich vor solchem Kinderspielwerk fürchten soll – 's wäre lächerlich.“

„Löst ihm die Hände und bindet sie an jenen Baum,“ rief Georgine jetzt, die ihren Entschluß geändert hatte, während sie die kleine Unterlippe fast blutig mit ihren hellglänzenden Zähnen preßte. – „Ich will doch sehen, ob ich die schwarze Bestie nicht zum Reden zwingen kann. – Tusk, bringt die Peitsche heraus, und peitscht ihn mir so lange, bis er bekennt, und wenn Ihr ihm das schwarze tückische Fell in Streifen vom Rücken ziehen solltet. Tod und Verdammniß dieser mörderischen Canaille; er soll mir, wenn er nicht gestehen will, unter der Knute verbluten.“

„Das war mein Rath von vornherein,“ rief der angeredete Bootsmann; er hatte seinen Namen von einem eberähnlich vorstehenden Zahn erhalten, der seinem Gesicht etwas Fürchterliches gab. – „Hier hab' ich die Knute gleich mitgebracht, und nun wollen wir doch einmal sehen, ob das Blut eben so schwarz ist wie die Schwarte, unter der es steckt. – Herunter mit dem Kittel, mein Mohrenprinz, und thu mir den Gefallen und schrei nicht gleich ›genug‹, daß der Spaß nicht so bald aus ist.“

Bolivar warf ihm einen wilden, trotzigen Blick zu, aber kein Laut kam über seine Lippen, und schweigend ertrug er es, als der herkulische Bursche die schwere Sclavenpeitsche nach besten Kräften über seinen nur mit einem dünnen Kattunhemd bekleideten Rücken zog, so daß dieses bald in Streifen herunterhing und das helle Blut den fürchterlichen Streichen folgte. – Schweigend knirschte er nur mit den Zähnen, als sie ihn seiner Abkunft und Race wegen verhöhnten, seine Eltern verfluchten und ihm in übermüthigem Grimm in's Gesicht spieen. Schweigend hörte er die Drohungen noch fürchterlicherer Strafe Georginens an, die mit zornfunkelnden Augen vor ihm stand und in der Empfindung befriedigter Rache Gefühl und Weiblichkeit vergessen zu haben schien. Bolivar blieb aber standhaft; seine zerrissenen Schultern zerfleischte die unbarmherzige Knute mehr und mehr; seine Glieder zuckten im gräßlichen Schmerz und die Kniee zitterten unter ihm, er konnte kaum noch aufrecht stehen; aber abgebissen hätte er eher die Zunge, ehe sie seinen Henkern das verrieth, was sie begehrten. – Fest auf einander knirschte er die Zähne und fest auf das stolze Weib heftete er den wilden, drohenden Blick. Vor seinen Augen fing es jetzt an sich in tollen schwarzen und schillernden Nebeln zu regen – Sterne blitzten auf und nieder, und eine unbezwingbare Schwäche überkam ihn. – Er wollte sich mit letzter Anstrengung aufrecht halten – er lehnte seine Schulter an den Baum, der seine Fesseln hielt – aber es war vergebens – die Gestalten fingen an sich vor seinen Augen zu drehen – purpurschimmernde Nacht folgte, und er sank halb ohnmächtig in die Kniee.

„Will die Bestie beten?“ rief der Eine mit dem Eberzahn – „auf, Canaille, wenn wir mehr Zeit haben – rufe Deine schwarzen Götzen an, eh' Du gehangen wirst, – jetzt ist's noch zu früh –“

„Halt!“ rief da dicht neben ihnen eine Stimme, und zwar so kalt und gebieterisch, so ruhig und doch so fürchterlich ernst, daß die Henker überrascht in ihrer blutigen Arbeit inne hielten und auch Georgine sich erschreckt dem wohlbekannten Tone zuwandte. Es war Kelly, der, den bunten mexikanischen Mantel über die Schultern hängend, den schwarzen breiträndigen Filz tief in die Stirn gedrückt, dicht neben ihnen stand und die Hand gegen die mit Peitschen Bewaffneten ausstreckte. – „Wer hat hier ein Urtheil zu vollziehen, das ich nicht gefällt?“

„Ich sprach das Urtheil!“ sagte Georgine mit fest auf ihn gehefteten Augen, indem sie die noch immer gegen die Männer ausgestreckte Hand ergriff, „ich verurtheilte ihn, weil er – den Knaben ermordet hat Das Kind, das ich aufgezogen und gepflegt, hat er mit seinen teuflischen Händen erwürgt, und Du darfst mich nicht hindern, ihn zu strafen – Du darfst es nicht –“ und sie zischte die letzten Worte mit leiser, vor innerer Aufregung fast erstickter Stimme – „wenn Du nicht – selbst als ein Theilnehmer jenes Mordes erscheinen willst.“

„Bindet den Neger los,“ lautete des Capitains ruhiger, den Einwand gar nicht beachtender Befehl – „bindet ihn los, sag' ich – die That soll untersucht werden.“

„Sie ist untersucht, Mann!“ rief Georgine, sich heftig und wild emporrichtend – „ich, ich trete gegen ihn auf und rufe den allmächtigen Gott zum Zeugen an, daß er den Mord verübt. Willst Du ihn jetzt noch schützen und befreien?“

„Bindet ihn los! sag' ich,“ wiederholte Kelly mit finsterer, drohender Stimme – „zurück da, Georgine – Dein Platz ist nicht hier – willst Du alle meine Befehle übertreten?“

Georgine wandte sich erbleichend ab, der Eberzahn aber rief, sich trotzig gegen den Gebieter kehrend:

„Ei, zum Henker, Sir, der Bursche hier hat Hand und Zähne an einen weißen Mann gelegt, und verdammt will ich sein, wenn er nicht dafür hängen soll. Subordination ist ganz gut, muß aber auch nicht zu weit getrieben werden. Wir sind freie Amerikaner, und die Majorität entscheidet sich hier für Strafe. Nichts für ungut, aber den Neger binde ich nicht los.“

Schneller zuckt kaum der zündende Blitz aus wetterschwangerer Wolke in den stillen Wald, als Kelly's schweres Messer in seiner Hand blitzte, zurückfuhr und dem trotzigen Gesellen im nächsten Augenblick mit fürchterlicher Sicherheit das Herz durchbohrte. Er blieb noch mehrere Secunden mit stieren, entsetzt vor sich hin starrenden Augen stehen, schlug dann die Arme empor und stürzte, eine Leiche, nach vorn auf sein Gesicht nieder. Die Anderen sprangen wild empor, Kelly aber, unbewaffnet die Gefahr verachtend, warf sich ihnen entgegen und rief zürnend:

„Rasende – wollt Ihr Euch selbst verderben? Verrath umgiebt Euch von allen Seiten – unsere Insel ist entdeckt – Spione von Helena durchziehen nach allen Richtungen hin den Strom – unser Leben und das, was wir mit saurem Schweiß erbeutet, steht auf dem Spiele, und Ihr hier, in wahnsinnigem Uebermuth, fröhnt dem eifersüchtigen Trotz eines Weibes und schlagt gegen die Hand an, die allein im Stande ist, Euch zu retten. Thoren und Schufte, die Ihr seid, an Eure Posten! Ein fremdes Boot ist hier gelandet, und sein Besitzer liegt vielleicht nur wenige Schritte von uns versteckt, unser Treiben zu belauschen. Er darf die Insel nicht wieder verlassen, Fort – in Bachelors Hall erwartet meine Befehle – ich bin im Augenblick bei Euch – bindet den Neger los, sag' ich, und Ihr Beiden – schafft den Leichnam hinaus aus der Fenz und begrabt ihn. – Der Bursche kann froh sein, noch so aus dieser Welt hinausgeschickt zu sein – er hatte Schlimmeres verdient. – Er war in Helena schon einen Contract eingegangen, uns zu verrathen – nur die Gier, noch höheren Lohn zu erhalten, hatte ihn bis jetzt daran verhindert – fort mit ihm, und Du, Bolivar, erwartest mich hier, bis ich zurückkehre.“

Die Männer gehorchten schweigend den Befehlen, Kelly aber folgte Georginen in ihre Wohnung, wo ihn diese mit kaltem mürrischen Trotz empfing.

„Wo ist die Kranke?“ sagte er, als er, in der Thür stehen bleibend, mit seinen Blicken den kleinen geschmückten Raum überflog – „wo ist das Mädchen, das Du hier bei Dir behalten und bewahren wolltest?“

„Wo ist der Knabe?“ rief Georgine jetzt, vielleicht noch durch das Bewußtsein eigener Schuld gereizt, wild und heftig dagegen auffahrend, „wo ist der Knabe, den jener teuflische Afrikaner auf Deinen Befehl erschlug? Wo ist das Kind, das ich mir aufgezogen hatte – das einzige Wesen, das mit wahrer aufopfernder Liebe an mir hing, und dessen alleinige Schuld nur – die Treue gegen mich gewesen sein konnte. Kelly – Du hast ein entsetzliches Spiel mit mir gespielt, und ich fürchte fast, ich bin das Opfer einer gräßlichen Bosheit geworden.“

„Du phantasirst,“ sagte Kelly ruhig, während er den breiträndigen Hut abnahm und auf den Tisch warf – „was weiß ich, wo der Knabe ist – weshalb hast Du ihn von Dir gesandt? – Ich rieth Dir stets ab. – Ueberhaupt kann er ja auch heute oder morgen zurückkehren, wer weiß, ob er nicht, froh der neugewonnenen Freiheit, in tollem Uebermuth in Helena herumtummelt, wo unser Aller Leben an seiner kindischen Zunge hängt. Wo ist das Mädchen? – ruf es her!“

„Zurückkehren?“ rief Georgine in bitterem Schmerz – „ja, seine Leiche – Peter holt sie aus der Bucht drüben, wo sie der Neger versenkte – sein „toller Uebermuth“ wurde in gieriger Fluth gekühlt, und seine kindische Zunge droht keinem Leben mehr Gefahr.“

Der lange zurückgehaltene Schmerz des stolzen Weibes brach sich jetzt endlich in wilden, undämmbaren Thränen Bahn; Georgine barg das Antlitz in ihren Händen und schluchzte laut.

Kelly stand ihr erstaunt gegenüber und hielt das dunkle Auge fest und verwundert auf ihre zitternde Gestalt geheftet.

„Was war Dir jener Knabe?“ sagte er endlich mit leiser, schneidender Stimme – „welchen Antheil nimmst Du an einem Burschen, der, aus gemischtem Stamm entsprossen, Dir nur als Diener lieb sein durfte? – Georgine – ich habe Dich nie nach jenes Knaben Herkunft gefragt, jetzt aber will ich wissen, woher er stammt.“

„Aus dem edelsten Blut der Seminolischen Häuptlinge!“ rief das schöne Weib und richtete sich, ihren Schmerz gewaltsam bezwingend, stolz empor – „seines Vaters Name war der Schlachtschrei einer ganzen Nation; er ist unsterblich in der Geschichte jenes Volks.“

„Und seine Mutter?“

Georgine fuhr wie von einem jähen Schlage getroffen zusammen; – ihre ganze Gestalt zitterte, und fast unwillkürlich griff sie, eine Stütze suchend, nach dem Stuhl, neben welchem sie stand. Kelly's Lippen umzuckte ein spöttisches Lächeln, aber er wandte sich, als ob er ihre Bewegung nicht bemerke, oder doch nicht bemerken wolle, rasch dem kleinen Cabinet zu, wo Marie ihren Schlafplatz angewiesen bekommen.

„Wo ist die Kranke?“ frug er, den Ton zu dem gleichgültigen Gesprächs verändernd – „ist sie in ihrer Kammer?“

„Sie schläft!“ sagte Georgine, wohl überrascht über das kurze Abbrechen seiner Frage, doch schnell gesammelt – „störe sie nicht – sie bedarf der Ruhe!“

„Ich will sie sehen!“ erwiderte der Capitain und näherte sich dem Vorhang, der das kleine Gemach von dem Wohnzimmer trennte.

„Du wirst sie wecken,“ bat Georgine – „thu mir die Liebe und laß sie ungestört.“

Kelly wandte sich gegen sein Weib und schaute ihr mit so scharfem forschenden Blick in's Auge, als ob er ihre innersten Gedanken ergründen wollte. – Ihr Antlitz blieb aber unverändert und sie ertrug ohne Zucken den Blick. Schweigend drehte er sich von ihr ab und lüftete den Vorhang. – Das Bett stand diesem gerade gegenüber, und auf ihm, die schlanken Glieder von warmer Decke umhüllt – den Rücken ihm zugewendet, daß nur der kleine, von wirren Locken umschmiegte Kopf, ein Theil des blendend weißen Nackens und die rechte, auf der Decke ruhende zarte Hand sichtbar blieben, lag eine weibliche Gestalt. Die äußeren Umrisse hatten auch Aehnlichkeit mit dem entflohenen Mädchen: aber Kelly's scharfer Blick entdeckte rasch den Betrug.

Im ersten Moment machte er allerdings eine fast unwillkürliche Bewegung, als ob er noch weiter vortreten wolle – plötzlich aber hielt er wieder ein, ließ noch einmal seinen Blick erst über die ausgestreckte schlummernde Gestalt, dann über das schöne, doch marmorbleiche Antlitz seines Weibes schweifen, und verließ dann rasch die Kammer und das Haus.

Draußen schritt er an dem Neger vorüber, der noch neben dem Baum kauerte, an welchem er mißhandelt worden, und trat zwischen die jetzt in Bachelors Hall versammelten Männer. Die Zeit drängte – keinen Augenblick durfte er verlieren, denn der nächste konnte schon Verderben bringend über sie hereinbrechen, und in kurzen klaren Befehlen vertheilte er Einzelne der Schaar über die Insel, von denen einige die Ufer nach einem gelandeten Kahn absuchen, andere die Dickichte durchstöbern sollten. Fanden sie den Kahn, so war weiter nichts nöthig, als ihn wohlversteckt zu bewachen, der Ire mußte dann in ihre Hände fallen. Ahnte er aber, daß er endeckt sei, und hielt er sich verborgen, nun so konnte er auch die Insel nicht verlassen und war für den Augenblick unschädlich gemacht, bis ihn das Tageslicht seinen Verfolgern entdecken mußte. Posten wurden dann auch, jeder andern, bis jetzt noch unbekannten Gefahr zu begegnen, an all' den Plätzen ausgestellt, wo eine Landung überhaupt möglich war, und die Bewohner der Insel erhielten gemessenen Befehl, ihre Sachen gepackt in Bereitschaft zu halten, um jeden Augenblick zum Aufbruch fertig und gerüstet zu sein. Ihre Boote mußten zu diesem Zweck doppelt bewacht und überhaupt Alles gethan werden, den Ausbruch des ihnen drohenden Wetters so lange als möglich zu verzögern. Noch war ja auch nicht einmal die Gewißheit da, daß ihr Schlupfwinkel ernstlich verrathen sei, denn die Beiden, die auf dessen Erforschung ausgegangen, konnten unschädlich gemacht werden.

Ließen sich die Bewohner von Helena, oder besonders die der Umgegend wieder beruhigen, so wäre es thöricht gewesen, in unkluger Furcht voreilig einen Platz zu verlassen, wie es vielleicht keinen zweiten für sie in den Vereinigten Staaten gab. Auf jeden Fall konnten sie ihn dann so lange behaupten, bis sie im Stande waren, all' ihre Habseligkeiten in die südlicher gelegenen Staaten, besonders nach Texas und Mexiko zu schaffen, so daß, wenn später ja einmal eine Nachsuchung gehalten wurde, die Nachbarn höchstens den leeren Horst, die Geier aber ausgeflogen fanden. Zu diesem Zweck mußte Kelly jedoch augenblicklich wieder nach Helena hinauf, und wollte nur in dem Fall gleich zu ihnen zurückkehren, wenn unverzögerte Flucht nöthig werden sollte. Galt es die letzte Rettung, so blieb ihnen auch immer das letzte Mittel gewiß, sich Bahn zu hauen, ehe die Feinde auch nur eine Ahnung bekamen, wie stark und zahlreich sie wären.

Diese Anordnungen waren alle so umsichtig getroffen und die Kräfte derer, deren Macht sie zu fürchten hatten, so genau dabei berechnet, daß wirklich eine ganz genaue Kenntniß jener Verhältnisse dazu gehörte, mit solcher Sicherheit selbst den letzten Augenblick abzuwarten, wo eine einzige versäumte Stunde Alle in's Verderben stürzen konnte. Sei es aber nun, daß die Insulaner nicht von der Nähe der Gefahr so genau unterrichtet waren. denn Kelly theilte ihnen nur das mit, was sie nothwendiger Weise wissen mußten, oder vertrauten sie ihm und seiner Klugheit wirklich so viel, kurz die Meisten schienen die Sache ungemein leicht zu nehmen und trotzten sogar auf ihre Uebermacht. Solch lange Ungestraftheit ihres verbrecherischen Treibens hatte sie übermüthig ge macht, und Einige äußerten sich sogar ganz offen darüber, es wäre ihnen gleichgültig, ob sie entdeckt seien oder nicht. Den wollten sie sehen, der sie hier in ihrer eigenen Veste angriffe.

Kelly dachte hierüber freilich anders und kannte recht gut die Gefahr, die ihnen drohte, wie die Mittel, die ihnen zu Gebote standen, ihr zu begegnen. Ihn beunruhigte aber auch jetzt das Ausbleiben des schon längst von Indiana erwarteten Bootes, denn der Zeit nach, und wenn es fortwährend flott geblieben, hätte es die Insel lange erreichen und passiren müssen. Der entsetzliche Nebel erklärte freilich in etwas dieses Zögern. Entweder hatte der alte Hosier die Sicherheit seines Bootes nicht preisgeben wollen, oder Bill mochte auch selbst gefürchtet haben, vielleicht zu früh aufzulaufen oder gar vorbei zu rennen und die kostbare Beute dadurch auf's Spiel zu setzen. Es schien indessen, als ob sich der Nebel lichten würde, der Wind fing wenigstens an zu wehen, immer hierfür ein gutes Zeichen, und es war also möglich, daß jenes Fahrzeug mit oder vielleicht gleich nach Tagesanbruch eintreffen würde.

Während sich jetzt die Männer über die Insel zerstreuten, um die gegebenen Befehle zu erfüllen und ihr Asyl gegen Verrath zu schützen, schritt Kelly langsam zu dem Neger zurück und legte leise seine Hand auf dessen Schulter. Der Afrikaner zuckte zu sammen, als er den leichten Druck der Finger auf seiner Achsel fühlte, sie hatten eine durch die Peitsche gerissene Wunde getroffen. – Bald erkannte er aber seinen Herrn und erhob sich schweigend.

„Bolivar,“ flüsterte der Capitain und blickte finster in das Antlitz des Negers – „sie haben Dich mißhandelt und mit Füßen getreten, weil Du mir ergeben bliebst?“

Der Neger knirschte mit den Zähnen und warf den funkelnden Blick nach dem hell erleuchteten Fenster der Herrin hinüber.

„Ich weiß Alles,“ sagte Kelly und hob beruhigend die Hand gegen ihn auf – „aber – vielleicht ist es gut, daß es so gekommen, auf keinen Fall soll es Dein Schade sein. Doch hier darfst Du nicht bleiben,“ fuhr er nach kurzer Pause fort – „Georgine weiß, was Du gethan, und kennt in diesem Punkte keine Grenze ihrer Rache – wir haben uns Beide dagegen zu wahren. Packe das, was Du mitzunehmen gedenkst, zusammen und komm mit mir.“

Bolivar blickte staunend zu dem Capitain empor. Es lag ein finsterer Ausdruck in diesen Worten – wollte er die Insel – wollte er Georgine ihrem Schicksal überlassen?

„Kehren wir nicht zurück?“ frug er, als er den Blick des Herrn von sich abgewendet sah.

„Du nicht, wenigstens nicht in nächster Zeit – ich vielleicht schon morgen,“ sagte Kelly – „doch eile Dich, eile Dich – unsere Minuten sind gemessen, wir haben manche lange Stunde gegen die Strömung des Mississippi anzurudern.“

„Ich kann nicht rudern!“ murrte der Neger – „meinte Arme sind gelähmt – die Peitsche hat mich meiner Kraft beraubt.“

„Du wirst steuern,“ sagte der Capitain – „hast mich manchmal hinübergerudert und magst heute Deine Arme ruhen lassen. Doch, Bolivar, willst Du fortan auch mir nur folgen, Dein Leben meinem Dienst weihen und in unveränderter Treue an mir hängen? Willst Du gehorchen, was auch immer der Befehl sein möge?“

„Ihr habt mich heute gerächt, Massa,“ flüsterte der Neger, und seine dunkelglühenden Augen hafteten an der Gruppe, die eben den Leichnam des Erstochenen durch die Einfriedigung schleppte. „Das Blut jenes Schurcken, von Eurer Hand vergossen, ist über mich weggespritzt, und jeder einzelne Tropfen war wie Balsam auf meine brennenden Wunden; glaubt Ihr, daß ich das je vergessen könnte?“

Kelly's prüfender Blick haftete wenige Secunden auf ihm, dann sagte er leise:

„Genug – ich glaube Dir – geh jetzt und rüste Dich; mein Boot liegt auf seinem gewöhnlichen Platz.“ Und rasch wandte er sich von ihm ab, ihn zu verlassen. Da hemmte des Negers Ruf noch einmal seine Schritte.

„Massa!“ sagte Bolivar und griff in die Tasche seiner Jacke – „hier sind zwei Briefe, die – der Rothhäutige bei sich gehabt hat – sie scheinen aber nicht für Euch bestimmt.“ „Schon gut,“ flüsterte Kelly und nahm sie an sich – „ich danke Dir“ – und schnell verließ er durch das kleine nordwestliche Thor die innere Einfriedigung, die ein schmaler Pfad mit dem obern Theil der Zwischenbank verband. Bolivar aber schlich in seine eigene Hütte, raffte dort das Beste seines Eigenthums zusammen und verließ, ohne Gruß oder Wort weiter an irgend ein lebendes Wesen der Insel zu richten, durch den feuchtdunstigen Nebel hin und dem wohlbekannten Pfade folgend, die Colonie, um seinen Capitain an dem bestimmten Platz zu treffen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi