Kapitel 25 - Das Flatboot legt bei. – Der Piraten List.

25. Das Flatboot legt bei. – Der Piraten List.

Der Nebel hatte sich, während die Schildkröte mit der reißenden Strömung rasch hinabtrieb, mehr und mehr verdichtet. Die nur kurze Strecke vom Boot entfernten Stücken Floßholz ließen sich kaum noch erkennen, und an eine Bestimmung des Ufers war längst nicht mehr zu denken. Blackfoot, der den Strom nicht so genau kannte wie sein Kamerad, fing denn auch bald an unruhig zu werden, blickte oft forschend nach allen Seiten hinaus, und wandte sich endlich mit etwas ängstlicher und bedenklicher Miene an den Steuermann.


„Höre einmal, Bill,“ sagte er, „die Sache fängt an verdammt unklar zu werden. Bist Du auch sicher und Deiner Sache gewiß, daß Du die Insel findest? Bedenke wohl, die Strömung ist jetzt, durch das steigende Wasser, selbst viel stärker geworden, und ich bin fest überzeugt, sie würde einen Gegenstand, den sie früher vom Arkansas-Ufer aus gerade auf unsere Sandbank warf, wie die Sache jetzt steht, weit darüber hinweg führen.“

„Darin magst Du Recht haben,“ erwiderte, mit dem Kopfe nickend, Bill: „Du weißt aber auch, daß unsere Insel ein paar Meilen lang ist und wir, fast die ganze Strecke daran hin, das Brechen des Wassers gegen die in den Strom geworfenen Baumstämme hören können. Leicht wird es dann sein, die Bootsleute zum Anlegen zu bewegen, denn es fängt ihnen allen schon jetzt an unheimlich auf dem Wasser zu werden. Wenn's nicht dasselbe mit mir wäre, wollte ich sagen, es gäbe Ahnungen.“

„Hm – ja, das möchte gehen – haben wir noch weit bis zur Landspitze?“

„Meiner Berechnung nach kann's keine halbe Meile mehr sein – geh aber indessen einmal vorn auf's Boot und horch' ein wenig aus, ob Du das Rauschen noch nicht hören kannst. Halt, noch Eins – bist Du auch sicher, daß des Alten Büchse von der Pfanne blitzt?“

„Haha“ – lachte der dunkle Geselle höhnisch, „das war ein verdammt guter Einfall – der kann schnappen, bis ihn der Finger schmerzt. Vielleicht war es aber gar nicht nöthig, er hat das alte Schießeisen heruntergetragen, damit ihm das Pulver nicht feuchtet, und da unten wird's denn auch wohl liegen, wenn er sich's hier an Deck wünschen soll.“

Still und höhnisch vor sich hin lächelnd schritt der Pirat nach vorn und traf hier Mrs. Everett, die noch immer mit gefalteten Händen und gesenktem Haupt auf einer ihrer Kisten saß, und sich nicht entschließen konnte, den freien Raum zu verlassen. Ihre ganze Gestalt zitterte und bebte, als sie der schlauen List der Fremden dachte, die auf Fürchterliches schließen ließ.

„Nun, meine junge Lady,“ sagte der Händler, als er neben ihr stehen blieb und in das bleiche, rasch und erschreckt zu ihm aufgehobene Antlitz des jungen Weibes sah – „noch immer die Scene mit der Dame nicht verschmerzt? Hahaha! Mrs. Breidelford ist ein wenig oben hinaus, wenn sie sich in ihren Rechten gekränkt glaubt – was war denn eigentlich vorgefallen?“

„Gott weiß es,“ stöhnte die Arme und zwang sich gewaltsam, gefaßt zu bleiben – „irgend ein Mißverständniß wahrscheinlich. – Ich bin ihr nie zu nahe getreten, ja habe früher nie ein Wort mit ihr gewechselt, noch ihre Schwelle je überschritten.“

„Wunderlicher Kauz das, diese Mrs. Breidelford,“ lachte Blackfoot – „sehr wunderlicher Kauz – aber seelensgut, wo 'was zu verdienen ist – aufopfernd für Freunde, wo sie Nutzen erwartet – uneigennützig wie Keine, wenn sie Alles hat, was sie will – und nützlich – Sie glauben gar nicht wie nützlich, Mrs. Everett. – Eine sehr vortreffliche Frau, diese Mrs. Breidelford.“ –

Der Mann war augenscheinlich in äußerst guter Laune, denn er schritt lachend bis an den Vordertheil vor, und blieb hier, auf die Vorfinne gelehnt, jetzt aber mit nicht zu verkennender Aufmerksamkeit lauschend, stehen. Er hörte gar nicht, wie Edgeworth wieder in diesem Augenblick, von dem langen Hosier gefolgt, die Leiter heraufkam. – Die übrigen Leute waren kurz vorher in den Raum hinabgestiegen.

„Hallo, Sir,“ sagte Blackfoot plötzlich, als er sich umwandte und den alten Mann mit der Büchse neben sich stehen sah – „wollt Ihr Nebelkrähen schießen? Ich hatte eben Lust, mein Gewehr hinunter in's Trockene zu tragen, und Ihr bringt das Eurige wieder herauf?“

„Eine alte Angewohnheit,“ sagte der Jäger – „ich kann nicht gut ohne die Büchse sein, und da ich die Nacht an Deck schlafen will, soll sie wenigstens neben mir liegen. Meine Pfanne schließt ausgezeichnet, und das Pulver, was Ihr mir aufgeschüttet habt, wird sich ja wohl trocken halten.“

„Ei gewiß, aber ich würde Euch nicht rathen, oben zu schlafen, die Nässe dringt förmlich durch, und in Euren Jahren –“

„Schadet nichts – bin's gewohnt, und habe schon manchmal in Sturm und Regen draußen gelegen. Aber komm, Bob Roy,“ – wandte er sich dann an den Hosier – „ruf einmal die Anderen auch herauf – ich denke, wir legen lieber bei – ich mag nicht länger in dem Nebel herumfahren!“

„Beilegen jetzt?“ sagte Blackfoot rasch – „das ist noch zu früh – Bill meint, es hätte jetzt noch gar keine Gefahr.“

„Ich will aber auch nicht warten, bis Bill meint, daß es wirklich Gefahr hätte,“ erwiderte Edgeworth. „Ob wir nun noch ein paar Meilen weiter fahren, oder jetzt anhalten, das wird sich in der Zeit ziemlich gleich bleiben. – Da drüben hör' ich die Schläge einer Axt, und zwar gar nicht weit entfernt, dort muß also auch Land sein, und da wollen wir denn nicht warten, bis uns die Strömung wieder mitten in den Fluß hineinnimmt. Von dort an fahr' ich auch nicht eher wieder ab, bis es nicht heller lichter Tag geworden und der Nebel gewichen ist.“

Die Bootsleute kamen jetzt rasch an Deck, machten die Finnen frei und stellten sich bereit, sobald das Steuerruder gerichtet wäre, einzufallen. Bill aber, der von seinem Platz aus die ganze Bewegung mit keineswegs freudigem Staunen beobachtet hatte, rief jetzt ärgerlich aus:

„Ei! Zum Donnerwetter, – wer hat Euch denn gesagt, daß Ihr rudern sollt? Ihr wollt wohl auf irgend einen Snag mit aller nur möglichen Gewalt auflaufen?“

„Nein, Bill,“ sagte Edgeworth, stellte seine Büchse an das Zelt, neben dem Wolf noch immer lagerte, und ging auf ihn zu – „wir wollen dort drüben, wo Ihr noch jetzt die Axt hören könnt, anlegen, bis sich der Nebel verzogen hat. Haltet ein bischen hinüber –“

„Unsinn,“ brummte der Steuermann – „das Ufer dort drüben starrt vor lauter Snags und Sawyers – wenn wir nicht ganz genau den Landungsplatz treffen, so laufen wir so sicher auf, wie wir jetzt gutes Fahrwasser unter dem Rumpfe haben. Legt die Finnen wieder hoch und wartet noch ein paar Stunden – am Fuß von Zweiundsechzig ist ein trefflicher Landungsplatz, und ich glaube auch, wir können am östlichen Ufer von Einundsechzig ohne Gefahr eine Stelle erreichen, wo wir im Stande sind, die Taue zu befestigen.“

„Schadet nichts, Bill,“ sagte der alte Mann ruhig, „haltet nur nach Arkansas hinüber, ich will lieber ein bischen zu vorsichtig sein, als nachher Boot und Ladung einbüßen.“

„Aber ich sage Euch, Sir!“ fiel Blackfoot hier etwas ärgerlich ein – „wir dürfen die schöne Zeit nicht noch länger nutzlos versäumen. – Ich muß die Ladung morgen früh mit Tagesanbruch in Victoria haben, wenn ich sie überhaupt gebrauchen kann.“

„Ei, Sir, von muß darf hier gar keine Rede sein,“ erwiderte Edgeworth ernst. „Wenn es übrigens blos die Ladung wäre, so möchte es noch angehen, ich würde sagen, laßt's uns riskiren, geschähe ein Unglück, so wäre weiter nichts als Geld verloren, aber hier stehen auch Leben auf dem Spiel. Wir haben nicht einmal die Jolle am Boot, um uns bei irgend einem Zufall hinein zu flüchten – die Dame hier hat mir ebenfalls Alles anvertraut, was sie noch auf dieser Welt besitzt, und wir müssen deshalb vorsichtig, ja vielleicht vorsichtiger sein, als es sonst nöthig wäre.“

„Aber mir nützt die Ladung nicht einen Cent, wenn ich sie nicht –“

„Ei, so laßt sie in Gottes Namen mir,“ erwiderte Edgeworth kaltblütig. – „Liefere ich Euch die Güter nicht zur bestimmten Zeit nach Victoria, so seid Ihr an nichts gebunden; die Waaren sind doch deshalb nicht schlechter geworden, daß schon Jemand darauf geboten. Haltet hinüber, Bill, oder wir treiben wieder vorbei.“

Blackfoot stampfte ärgerlich mit dem Fuße, Bill aber, der wenige Secunden unschlüssig dagestanden, schien sich jetzt eines Besseren besonnen zu haben, hob rasch das Ruder, drückte es nach Larbord hinüber und ließ den Bug langsam gegen die Richtung zu anluven, von wo aus die regelmäßigen Schläge der Axt noch immer herübertönten. Die Ruderleute legten sich dabei scharf hinter die Finnen, denn sie wußten doch nun einmal wieder, nach welcher Richtung zu es eigentlich ging, und langsam strebte der breite Bug, ein klein wenig nach oben gehalten, quer durch die Strömung, daß sich die Wasser leicht an seiner Starbordseite kräuselten. Einzelne niedertreibende Stämme und Holzstücke legten sich dabei nicht selten gegen die mächtige Flanke des Bootes, so daß sie dieses, wenn der Andrang und das Gewicht solcher Holzmassen zu schwer wurde, völlig stromauf halten mußten, um jene Anhängsel abwerfen zu können.

„Aber sag' einmal, Bill, bist Du denn ganz des Teufels, daß Du diesem alten Seehund gehorchst?“ zürnte Blackfoot, als er, während die Leute eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigt waren, zu dem Kameraden an's Steuer getreten war. „Wenn wir jetzt anlegen und bis Tagesanbruch hier liegen bleiben, so ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß unser schöner Plan zu Wasser wird. – Der Nebel geht dann allerdings fort, aber wir haben helles Tageslicht und müssen gewärtig sein, daß uns vorbeitreibende Flatboote oder Dampfboote die Ausführung unserer Absicht total vereiteln.“

„Bist Du nun fertig?“ grollte der Steuermann, während er das Boot eben wieder gerade stromauf hielt – „Avast da mit den Starbordrudern – so – das thut's – nun wieder ein!“ Die laut gerufene Rede galt den Bootsleuten, die solchem Befehl auch willig gehorchten. „Willst Du Dich jetzt widersetzen?“ fuhr dann Bill nach kurzer Zeit mit gedämpfter Stimme fort – „wo wir Zwei gegen die Ueberzahl nicht allein nichts ausrichten könnten, sondern uns selbst noch muthwillig in die größte Gefahr stürzten? Willst Du jetzt einen Verdacht erwecken, der jenen Burschen dann gleich von vornherein gegen uns mißtrauisch machen müßte?“

„Aber wie, zum Henker –“

„Bist doch sonst nicht so auf den Kopf gefallen,“ höhnte der Steuermann, ohne die Einrede zu beachten – „so nimm die fünf Sinne auch jetzt ein bischen zusammen, und laß ihnen für den Augenblick den Willen – Du hast den Alten durch Dein tolles Dazwischenfahren ohnedies schon stutzig gemacht. – In zwei Stunden, von hier aus, treiben wir hinunter an Ort und Stelle. Haben sie aber jetzt ihr Boot befestigt, und finden sie, daß wir ebenfalls damit einverstanden sind, so legen sie sich ruhig auf's Ohr, und es ist dann nichts leichter, als das Tau sachte zu lösen oder durchzuschneiden, das uns an's Ufer befestigt hält. Merken sie's nicht, so erwachen sie, wenn sie eben so gut hätten bis in die Ewigkeit fortschlafen können, und sehen sie's vor der Zeit, ei, dann haben wir einen kleinen Tanz zu bestehen, aber ändern können sie nachher nichts mehr an der Sache, noch dazu, da der Alte nicht einmal einen Compaß bei sich führt und des Nebels wegen ruhig wird stromab treiben müssen.“

„Das ist eine gefährliche Sache,“ sagte Blackfoot mürrisch – „Gift und Klapperschlangen, wenn die verwünschten Hosiers nur noch eine Stunde gewartet hätten. Da muß aber jener vermaledeite Holzhacker da drüben noch bis in die späte Nacht hinein an seinem Holze herumschlagen, und richtig, die alte Landratte hört kaum die bekannten Laute, da segelt sie auch schon mit vollen Backen darauf los – hol' sie der Böse!“

„Steht bei dem Springtau!“ rief Bill jetzt, seinen Gefährten nicht weiter beachtend, laut den Bootsleuten zu – als plötzlich vor ihnen die dämmernden Schatten der Uferbäume sichtbar wurden. Edgeworth stand vorn am äußersten Ende des Bugs und suchte mit den Augen die Dunkelheit zu durchdringen, denn er fürchtete nicht mit Unrecht die in der Nähe des Landes stets häufigen Snags. Dicht unterhalb tauchten da plötzlich die weitgespreizten weißen Arme einer erst kürzlich stromeingestürzten Sykomore auf, und gleich unter dieser zog sich – das konnten sie deutlich erkennen – der Strom wieder scharf nach Westen hinüber. Diese Spitze einmal passirt, so konnten sie nur durch gewaltiges Rudern, und vielleicht selbst dann nicht, das Ufer wieder gewinnen, da die Strömung von hier aus mit ungeheurer Kraft zur Mitte zurückschoß.

„Hurrah,“ jubelte Blackfoot mit unterdrückter Stimme – „die Sache geht besser, als ich dachte – ich glaubte noch gar nicht, daß wir der Spitze so nahe wären. Jetzt sollen sie's wohl bleiben lassen, das Land zu erreichen, und sind wir nur erst einmal wieder so weit ab, daß uns der Nebel umgiebt, dann brauchst Du den Bug nur ein klein wenig weiter nieder zu halten, und wir treffen die westliche Sandbank unserer Insel nach Herzenslust.“

Bill erkannte gleichfalls, wie ihr Plan hier ganz unerwarteter Weise durch Ufer und Strömung begünstigt wurde, und wollte eben den Bug wieder abfallen lassen, damit sie an den starren Aesten der Sykomore vorbeitrieben, Bob Roy aber, der mit dem Springtau vorn am Bug stand und diese Bewegung von vornherein beobachtet hatte, schrie ihm wild zu:

„Port, Sir – hart an Port – verdamm' Euch! Wollt Ihr unsere ganze Arbeit zu Schanden machen?“

„Geht zum Teufel!“ fluchte Bill und hob das Ruder nach der entgegengesetzten Seite, Edgeworth aber sprang rasch nach dem vorn eingefügten Stiershorn und riß es nach der Larbord-Seite hinüber. Bill schien nicht übel Lust zu haben, sich dem zu widersetzen, Blackfoot war aber nach vorn zu gegangen, um wahrscheinlich zu sehen, was Bob Roy eigentlich mit dem Springtau wolle, und die Ruderleute hatten sämmtlich ihre Finnen herausgehoben und, zum Wiedereinsetzen bereit, zurückgetragen, was die Hintersten bis dicht an den alten Mann brachte. Die Uebermacht war unstreitig gegen ihn und er fügte sich. Seine Aufmerksamkeit wurde übrigens in diesem Augenblick ebenfalls nach vorn gelenkt, denn Bob Roy's sonore Stimme rief aus:

„Steht bei hier – Boys – steht bei – nehmt das Tau – ahoi!“ und ehe nur irgend Einer recht begreifen konnte, was er eigentlich meine, denn er rief gerade, als ob er Jemandem, der draußen stände, das Tau zuwerfen wolle, schleuderte er es mit kräftigem Wurf über den alten Sykomore-Stamm hinüber und folgte dann mit Blitzesschnelle dem vorangesandten.

Alles drängte sich jetzt nach vorn, das Resultat eines solchen Wagstücks zu sehen, denn das Boot trieb rasch vorüber, und gelang es ihm nicht, in wenigen Secunden das Tau so zu befestigen, daß es dem ganzen ungeheuren Druck des schweren Bootes widerstehen konnte, so war Zehn gegen Eins zu wetten, daß es ihn selbst in die Fluth hinabriß, wo sein Untergang zwischen den starren, knorrigen Aesten der Sykomore ziemlich gewiß war. Bob Roy hatte das Ganze aber keineswegs unternommen, ohne sich ziemlich sicher in der Ausführung zu fühlen. Kaum erfaßte er einen der gerade emporragenden Zweige, als er auch mit der Gewandtheit in solchen Sachen geübter Matrosen das Tau um einen starken Ast schlug, und das ziemlich kurze Ende einmal durchzog und befestigte. Den zweiten, sichern Halt war er noch nicht im Stande ihm zu geben, als sich plötzlich das starke Tau straffte, etwa zwei Fuß auf der schlüpfrig- nassen Rinde fortglitt, und dann, als es in anderen Aesten Widerstand fand, mit fürchterlichem Ruck vom Gewicht des ganzen Bootes gezogen, den zitternden Stamm aus seinen Fugen zu reißen drohte.

Der alte Baum saß aber gar ingrimmig fest in seinem schlammigen Bett und war nicht so leicht zu überreden, den lange behaupteten Platz zu verlassen; – er wich und wankte nicht, aber der blattlose Wipfel wurde durch den Anzug tief hinein in den Strom gerissen, und ein Schrei der Angst rang sich gewaltsam aus der Brust der sonst gerade nicht sehr empfindsamen Bootsleute, als plötzlich, im entscheidenden Moment, der ganze weitästige Baum mit dem fest daran geklammerten Kameraden in der gelben, sprudelnd aufgähnenden Fluth verschwand.

Es war aber auch nur ein Augenblick, denn gleich darauf tauchten wieder einzelne Spitzen aus der kochenden Stromfläche empor, und während das tolle Anschäumen der Wasser, gegen den breiten Bug des Flaatboots, und das rasche Herumschwenken seines Sterns verrieth, wie es wirklich und glücklich von dem so keck befestigten Tau gehalten werde, kam auch das nasse, von langem braunen Haar umklebte Gesicht des Bootsmannes wieder zum Vorschein. Der aber öffnete die Augen nur eben weit genug, um den Ort zu erkennen, wo das Tau saß, ergriff dieses rasch, den angefangenen Knoten erst noch fester durch ein zweites Umschlagen zu schürzen, und arbeitete sich dann an dem straffgespannten Tau so schnell als möglich zum Boot zurück. Er fürchtete nämlich nicht mit Unrecht, durch den hier wirbelnden und reißenden Strom unter das Boot gezogen zu werden, wenn er es mit Schwimmen erreichen wollte, denn die Anziehungskraft solcher flachen „Bottoms“ ist ungemein stark und äußerst gefährlich.

Aller Arme streckten sich ihm hier entgegen, und während ihm noch ein Theil vollends heraufhalf, bemühte sich der andere, das Tau auch an Bord ordentlich und sicher zu befestigen. Das Ganze aber hatte kaum so viele Secunden gedauert, als ich hier Minuten Zeit zum Erzählen brauchte, und noch standen die Männer, über die Tollkühnheit des Kameraden plaudernd, zusammen, als auch dieser schon wieder in trockenen Kleidern oben erschien und sich behaglich auf seine dort ausgebreitete Decke streckte. Das Abendessen, das vorher durch den schnellen Aufruf zum Rudern unterbrochen war, wurde jetzt beendet, wobei der Whiskybecher fleißig im Kreise herumging, und die Mannschaft schien sich überhaupt, mit der solchen Leuten eigenen Sorglosigkeit, ungestörtem Frohsinn hinzugeben. War ja doch für den Augenblick jede Gefahr und Ungewißheit beseitigt, und ihr Boot lag sicher und ruhig vor starkem Tau. Brach sich mit der Morgendämmerung dann der Nebel, so konnten sie ruhig und bequem stromab treiben und ihre Fahrt beenden.

Mürrisch ging Blackfoot indessen an Deck auf und ab, während sich Bill dagegen den Zechenden an schloß, und in bester Laune von der Welt mit dem jetzigen Beilegen des Bootes vollkommen einverstanden schien. Edgeworth hielt sich von seinen Leuten etwas abgesondert, und sprach nur einmal, als er an ihm vorüberging, einige Worte mit Bob Roy, während sich Mrs. Everett in ihr Zelt zurückzog und dort Gott in heißbrünstigen Gebeten anflehte, sie Alle aus einer Gefahr zu retten, die um so peinlicher und fürchterlicher war, da sie ihren Umfang wie ihre Nähe nicht einmal kannten.

Nach und nach wurde es ruhiger an Deck – die Leute waren meistens in ihre Schlafkojen hinabgegangen. Nur Blackfoot und der Steuermann lagen, dieser am Steuer, der Andere dem Vordertheil des Bootes näher, wo das Springtau an Bord befestigt war, und zwar mit seinem Kopf auf dem Coil desselben. Edgeworth hatte sich gleichfalls mehr nach vorn, aber dicht an dem dort aufgeschichteten Gepäck ein Lager gesucht, neben dem auch Wolf, dicht zusammengerollt, schlief und träumte.

Obgleich Edgeworth aber still und regungslos dalag, so schlief er doch keineswegs, und horchte vielmehr mit durch innere Aufregung noch mehr geschärften Sinnen selbst dem leisesten Geräusch, das ihn umgab. Das heute Erlebte ließ ihn nicht ruhen, und er konnte auch kaum noch einen Zweifel hegen, daß jene beiden Männer, sein Steuermann und der fremde Händler, ein Einverständniß, und zwar zu unrechtlichen, ja vielleicht gar gewaltthätigen Zwecken mitsammen hatten. Den in sein Zündloch geschobenen Stift hatte er richtig gefunden, und einen Grund mußte der Fremde gehabt haben, seine Waffe unbrauchbar zu machen. Was es aber auch sei, er fürchtete es nicht, und es lag ihm jetzt fast eben so viel daran, ihre Pläne zu ergründen und zu nichte zu machen, als die Schuldigen zu gleicher Zeit zu ergreifen und der strafenden Gerechtigkeit zu überliefern.

Mehrere Stunden waren so verflossen und dunkle, rabenschwarze Nacht lag auf dem Strom. – Lautloses Schweigen herrschte, und nur das Wasser schäumte und rauschte um die emporragende Aeste der Sykomore und gegen den breiten Bug des Flatbootes an. Oben vom Himmel aber, doch nur gerade über ihren Häuptern, denn, der Nebel erlaubte ihnen nicht in schräger Richtung seine finsteren, undurchsichtigen Massen zu durchdringen, blitzten einzelne Sterne wie aus mattem Schleier hernieder, und vom nicht fernen Ufer trug dann und wann ein starker Luftzug das Quacken der Frösche und den einsamen Ruf des Whip-poor-will herüber. Es war eine stille, aber unfreundliche Nacht auf dem gewaltigen Strom. – Die ungesunden Dünste der Niederung rollten in immer dichteren Massen hervor und mischten sich mit dem zähen Nebel des Mississippi, und wenn der Himmel auch klar und heiter darüber ausgespannt blieb, so fiel doch ein häßlicher feuchter Schwaden nieder und durchnäßte die ihm Ausgesetzten fast stärker, als es ein derber, aber schnell vorübergehender Regen gethan haben würde.

Bill, der schon seit einigen Minuten mehrmals den Kopf erhoben und über das ruhige Boot hingehorcht hatte, warf jetzt seine Decke von sich und stand leise auf. Nichts regte sich, und die ausgestreckten Gestalten Blackfoot's und des Alten waren das Einzige, was seinem Blick begegnete. Leise und vorsichtig schritt er dem Bug zu und lauschte hier mehrere Minuten aufmerksam irgend einem entfernten Geräusch. – Er kannte es gut genug, es war das Schäumen der Wasser an der gar nicht weit mehr entfernten Drift. Trieb das Boot von hier fort, so führte es die Strömung unrettbar gegen den künstlich gebildeten Damm von Einundsechzig, wo es, wenn die Ruder nicht scharf dawider anarbeiteten, auf jeden Fall festrennen mußte.

Nur Eins blieb zu fürchten – der Ruck, den das Boot that, sobald es sich in solcher Strömung von seinem Tau befreite oder plötzlich von ihm getrennt wurde, mußte fast die Schläfer erwecken, die überhaupt auf längeren Reisen eine Art gemeinsames Leben mit ihrem Fahrzeug zu haben scheinen und fast jeden Stoß, jede unregelmäßige Bewegung desselben so genau fühlen, als ob die Einwirkung unmittelbar auf sie selbst geschähe. Fanden sie dann das Tau durchschnitten, so war ein Verdacht unvermeidlich, und die Folgen konnten für sie Beide gefährlich werden. Außerdem blieb es auch ziemlich wahrscheinlich daß sich die Hosiers in diesem Falle aus Leibeskräften in die Finnen legen würden, um ihr Fahrzeug, so lange sie noch wußten, auf welcher Seite das nächste Land eigentlich lag, auch in der im Navigator angegebenen Strömung zu halten.

„Ist es Zeit?“ frug jetzt Blackfoot, der dicht neben ihm lag und vorsichtig den Kopf hob.

„Ja,“ sagte Bill leise – „aber ich weiß nicht –“ er sah auf den Kameraden nieder und bemerkte, wie dieser, ohne weiter eine Erklärung seiner Absicht zu geben, den Arm ausstreckte, so daß seine Hand auf das fest und stramm angespannte Tau zu liegen kam; im nächsten Moment vernahm das scharfe Ohr des Steuermanns das Reißen einzelner Hanffasern.

„Gut!“ murmelte er leise und lächelte still vor sich hin – „sehr gut – wenn Du aber –“

Blackfoot winkte ihm ungeduldig, sich zu entfernen, um die Aufmerksamkeit der vielleicht Erwachenden nicht unnützer Weise hierher zu lenken, und Bill, nachdem er noch einen flüchtigen Blick umhergeworfen, folgte schnell der Aufforderung, deren Zweckmäßigkeit er selber einsah. Eben so leise, als er gekommen, schritt er wieder auf seinen früheren Platz zu rück und warf sich hier, in seine Decke gehüllt, auf's Neue nieder, jetzt aber mit dem Gesicht dem Steuerruder zu, damit er, sobald sich das Boot von seinem Halt losrisse, die Richtung, die es nähme, im Auge behalten und seine Berechnung der Inselnähe danach machen könne.

Edgeworth hatte, als der Steuermann nach vorn ging, vorsichtig nach seiner Büchse gegriffen und den Kopf gehoben, um zu sehen, was Jene mitsammen trieben. Die stille Nacht trug ihm auch die leise gemurmelten Laute einer Stimme, aber nicht die Worte selbst herüber, und als er bald darauf die lange Gestalt seines Lootsen wieder auf ihren früheren Platz schreiten sah, und hörte, wie sie sich dort an Deck streckte, ließ auch er den Kopf zurücksinken auf sein hartes Kissen, und das matte Blinken der auf ihn niederscheinenden Sterne, das melancholische, monotone Rauschen der Wasser, das Murmeln und Plätschern des rasch vorbeifluthenden Stromes fing bald an den Schlummer auf seine müden Augenlider herabzuziehen.

Es dauerte nicht lange, so verschmolzen die äußeren ihn umgebenden Scenen mit seinem innern Geist, und Traum und Phantasie führten ihn zurück zu den Ufern des Wabasch, an das Grab seines Sohnes, über dem die kreuzbezeichnete Eiche rauschte und wunderlich wilde Weisen in ihren weitausgestreckten Aesten und Zweigen sang und murmelte.

Das starke Tau aber, durch welches sein gefährdetes Boot an sicherem Ankerplatz gehalten wurde, zitterte und zuckte unter der leichten, doch scharfen Schneide des feindlichen Stahls – Faser nach Faser gab wiederfibrirend nach, und kaum ein Drittheil des Ganzen hielt noch die gewaltige an ihm hängende Last. Blackfoot lag jetzt ebenfalls regungslos still – er erwartete geduldig die Wirkung des einmal verletzten Taues. Das aber schien in seinen letzten Theile auch seine zäheste Kraft vereinigt zu haben, und ein kaum daumenstarkes Seil stemmte sich wacker gegen Strömung und Fluth der auf es eindringenden Wassermasse. Da glitt noch einmal rasch und vorsichtig die scharfe Schneide über die schon ohnedies zum Zerspringen angespannten Fasern hin, von denen zum Bestehen des Ganzen keine einzige mehr entbehrt werden konnte. – Blackfoot hörte, wie in rascher Reihenfolge eine nach der andern sprang, und jetzt – ängstlich und selbst erschreckt hob er den Kopf – jetzt riß auch der letzte schwache Halt, und mit plötzlichem Ruck, aber sonst still und geräuschlos, verließ das Boot im nächsten Augenblick pfeilgeschwind die alte Sykomore, die nun, von ihrer gewaltigen Last befreit, in dem sie umschäumenden Strome auf- und niederflog und sich in grimmer Lust zu freuen schien.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi