Kapitel 2 - Der Kampf. – Smart und Dayton.

2. Der Kampf. – Smart und Dayton.

In Helena1 herrschte ein gar ungewöhnlich reges Leben und Treiben, und aus der ganzen Umgegend mußte hier die Bevölkerung zusammengekommen sein. Ueberall standen eifrig unterhandelnde Männer, theils in die bunt befranzten Jagd-Hemden der Hinterwäldler, theils in die blauen Jeansfracks der etwas mehr civilisirten Städter gekleidet, in Gruppen umher, während heftige Reden und lebhafte Gesticulationen ihr Gespräch als ein keineswegs alltägliches verkündeten.


Vor dem Union-Hotel – dem besten Gasthause der Stadt – schien sich ganz besonders ein nicht geringer Theil dieser Menschenmasse concentrirt zu haben, und der Wirth desselben, eine lange hagere Gestalt, mit blonden Haaren, scharfen Backenwochen, etwas spitzer, gerade vorstehender Nase, aber blauen gutmüthigen Augen, kurz jeder Zoll ein Yankee, hatte schon eine geraume Zeit dem Drängen und Treiben vor seiner Schwelle mit augenscheinlichem Wohlbehagen zugesehen. Im Innern des Hauses fehlte es allerdings keineswegs an Arbeit, und die thätige Hausfrau hatte, von ihrem Dienstboten und einem Neger unterstützt, alle Hände voll zu thun, die Gäste zu befriedigen und Schlafstellen für Die herzurichten, die zu weit entfernt von Helena wohnten. Trotzdem aber verharrte der Wirth in seiner ruhigen Stellung und kümmerte sich nicht im Geringsten um das innere Hauswesen.

Durch den Wortwechsel und vielleicht auch durch geistige Getränke erhitzt, artete indeß die bisherige ruhige, wenigstens friedliche Unterhaltung immer mehr und mehr aus. – Einzelne heftige Flüche und Drohungen überschallten zuerst für Augenblicke das übrige Wortchaos, und plötzlich kündete ein scharfer Schrei und ein wildes Drängen, wie es endlich, was der lächelnde Wirth schon lange ersehnt haben mochte, zu Tätlichkeiten gekommen sei.

Mit halb vorgebeugtem Oberkörper, die beiden Hände tief in den Beinkleidertaschen und die rechte Schulter an den Pfosten seiner Thür gelehnt, stand er da, und man sah es ihm ordentlich an, welch' Vergnügen ihm ein Kampf mache, dessen Resultat so ganz seinen Wünschen entsprochen haben mußte.

Der nämlich, der den ersten Schlag gegeben, war ein kleiner, untersetzter Irländer mit brennend rothen Haaren und wo möglich noch rötherem Barte, dazu in Hemdsärmeln, mit offenem Kragen und etwas kurzen, eng anschließenden Nankingbeinkleidern, was seiner Figur einen eigenthümlich komischen Anstrich gab. Außerdem bewies sich aber Patrick O'Toole nichts weniger als komisch oder auch nur spaßig, sobald er ein paar Tropfen Whisky im Kopfe und irgend Ursache zu einem vernünftigen oder „raisonnablen“ Streite, wie er es nannte, hatte. Wenn auch nicht zänkisch, so war er doch der Letzte, der einen Platz verlassen hätte, wo noch die mindeste Aussicht zu einer anständigen Prügelei zu erwarten gewesen wäre.

So gerechte Sache aber Patrick oder Pat, wie er gewöhnlich im Städtchen hieß, diesmal haben mochte, so sehr fand er sich bald im Nachtheil, denn kaum lag sein Gegner vor ihm im Staube, als der größte Theil Derer, die bis jetzt wenig oder gar keinen Antheil an dem Zanke genommen, auf ihn eindrangen und den Gefallenen rächen wollten.

„Zurück mit Euch! – weg da, Ihr Blackguards, Ihr – Söhne einer Wölfin!“ – schrie der Irländer und theilt? dabei, ohne Unterschied der Person, nach links und rechts so gewaltige und gut gezielte Stöße aus, daß er die Angreifer blitzesschnell zu sicherer Entfernung zurückscheuchte. –

„Ehrlich Spiel hier!“ schrie er dabei und streifte sich schnell den immer wieder niederrutschenden Aermel auf – „ehrlich Spiel. Ihr Spitzbuben, Einer gegen Einen, oder auch Zwei und Drei, aber nicht Acht und Neun; die Pest über Euch – ich klopfe Euch die Schädel so breiweich, wie Euer Hirn ist – Ihr hohlköpfigen Halunken Ihr!“

„Ehrlich Spiel!“ riefen auch Einige aus der Menge und suchten die übrigen Kampflustigen zurückzudrängen. Der zu Boden Geschlagene hatte sich aber in diesem Moment ebenfalls wieder aufgerafft, und das eine blau unterlaufene Auge mit der linken Hand bedeckend, riß er mit der rechten ein bis dahin verborgen gehaltenes Messer unter der Weste vor und warf sich mit einem Schrei des wildesten, unbezähmbarsten Ingrimms auf den ihn ruhig erwartenden Iren.

Dieser jedoch, ohne weiter seine Stellung zu verändern, fing den drohend gegen ihn gerichteten und sicherlich gut gemeinten Stoß auf, indem er den Angreifer am Handgelenk erfaßte, zum zweiten Mal niederschlug und nun in dem Rechtlichkeitssinn der ihn Umgebenden hinlängliche Bürgschaft zu finden glaubte, daß sie einen andern dem ähnlichen Ueberfall verhindern würden.

Die Volksmenge schien ihm aber keineswegs geneigt – man entzog zuerst den Besiegten seinen Händen, und dann brach der Sturm in plötzlicher, aber desto verheerenderer Gewalt über ihn los.

„Zu Boden mit dem irischen Hund! nieder mit ihm!“ tobten sie. – „Er hat Hand an einen Bürger der Vereinigten Staaten gelegt – was will der Ausländer hier? der über's Wasser Gekommene?“

„In's Wasser denn mit ihm!“ schrie ein breitschulteriger bleicher Gesell, dem sich eine tiefe, noch kaum geheilte Narbe vom linken Mundwinkel bis hinter das Ohr zog, was seinem Gesicht etwas unbeschreiblich Wildes und Unheimliches verlieh – „in's Wasser mit ihm – die irischen und deutschen Halunken verderben armen ehrlichen Arbeitern ohnedies die Preise. In den Mississippi mit der dünnbeinigen Canaille, da kann sie mit den Seespinnen Hornpipes tanzen!“ und mit diesen Worten, während er einen nicht sehr lauten, aber ganz eigenthümlichen Pfiff ausstieß, warf er sich so plötzlich gegen den überraschten Irländer, daß er diesen für den Augenblick zum Wanken brachte. Den geübten Boxer würde er jedoch trotz alledem nicht übermannt haben, wären nicht die ihm zunächst Stehenden und mehrere Andere, die sich schnell hinandrängten, rasch zu seiner Hülfe herbeigeeilt, und O'Toole sah sich gleich darauf von mehreren Seiten erfaßt und zu Boden geworfen.

„In den Mississippi mit dem Schuft!“ tobte der Haufen – „bindet ihm die Hände auf den Rücken und laßt ihn schwimmen! – Fort nach Irland mit ihm – er kann sich unterwegs ein Schiff bestellen,“ jubelte ein Anderer, und wenn auch Einzelne der friedlicher Gesinnten, die keineswegs wollten, daß ein bloßer Streit ein solch tragisches Ende nehmen sollte, dazwischen sprangen und den Ueberwältigten zu retten suchten, so wurden diese doch leicht zurückgehalten, und jauchzend schleppten die Rasenden ihr Opfer dem Flußrande zu.

O'Toole's Lage war eine höchst mißliche, und er selbst wußte nur zu gut, wie feindlich ein großer Theil der Bewohner von St. Helena gegen ihn gesinnt sei, um nicht das Schlimmste zu fürchten. Schwerlich würden ihm aber seine verzweifelten Anstrengungen, mit denen er versuchte, den Mördern Trotz zu bieten, etwas genützt haben. Die Uebermacht war zu groß, und die Nähe des Flusses ließ ihnen auch keine Zeit zum Ueberlegen, sondern schien ihr Vorhaben eher noch zu begünstigen. – Da war es ein Einzelner, der sich plötzlich mitten zwischen die Wüthenden warf und, den Arm des Iren ergreifend, jeden weiteren Fortschritt hemmte; dieser Einzelne aber niemand Anderes, als unser freundlicher Wirth, Jonathan Smart, der hier mit einer Autorität sein „Halt – das ist genug!“ aussprach, als ob er von dem Haufen ganz besonders zum Friedens- und Schiedsrichter bestellt gewesen wäre.

Die Menge zeigte indessen nicht die mindeste Lust, das so unerwartete und ungebetene Einschreiten geduldig zu ertragen.

„Zurück, Smart – laßt den Mann los und geht zum Teufel!“ und mehrere ähnliche und gleich freundliche Anreden schallten ihm aus fast jedem Munde entgegen. Smart aber behauptete nichtsdestoweniger seinen Platz und rief nur mit fester Stimme dagegen:

„Ich will verdammt sein, wenn Ihr ihm ein Haar krümmt!“

„So sei es denn!“ schrie der Eine seiner Gegner, zog eine kleine Taschenpistole, richtete sie auf den Yankee und drückte ab. Nun versagte zwar zum großen Glück des menschenfreundlichen Retters die Waffe, Jonathan Smart war aber nicht der Mann, der ruhig auf sich zielen ließ. Mit schnellem Griff riß er ein unter seinem Rock getragenes, wenigstens zwölf Zoll langes Bowiemesser vor und führte damit schon in der nächsten Secunde einen so kräftigen wohlgemeinten Hieb nach dem entsetzt Zurückfahrenden, daß er ihm, wenn Jener Stich gehalten, den Schädel unfehlbar mit dem schweren Stahl gespalten haben müßte. Der aber, dem die jetzt zornfunkelnden Augen des Gereizten nur zu deutlich verriethen, was ihn erwarte, sprang mit lautem Aufschrei zur Seite, und nur noch die Spitze des Messers traf ihn vorn an der Schulter, von wo an sie ihm den Rock bis hinab an den Saum mit einem Hiebe aufriß.

Der Schlag war zu tüchtig geführt gewesen, um an dem vollen Ernst des Mannes nur einen Augenblick zu zweifeln. Sein Auge flog auch jetzt mit so dunkelglühendem und herausforderndem Trotz über die Anderen hin, daß sie scheu und fast unwillkürlich den Iren losließen. Der aber fühlte seine Glieder kaum wieder frei, als er auch schon rasch emporsprang und nicht übel Lust zu haben schien, den für ihn fast so verderblich gewordenen Kampf an Ort und Stelle zu erneuern. Smart jedoch hielt seinen rechten Arm wie mit eisernem Griff umspannt, und ehe noch die für den Augenblick wie vor den Kopf gestoßenen Männer einen neuen Entschluß fassen oder es über sich gewinnen konnten, dem ihnen so herausfordernd gezeigten Stahl zu trotzen, zog der Wirth den kleinen Irländer mit sich fort, seinem eigenen Hause zu, und verschwand gleich darauf im Innern desselben.

„Verdamm' meine Augen!“ schrie da plötzlich der schon früher erwähnte bleiche Gesell mit der Narbe – „sollen wir uns das gefallen lassen? Wer ist denn der langbeinige Schuft von einem Yankee, der hier nach Arkansas kommt und einem ganzen Haufen ordentlicher Kerle vorschreiben will, was er zu thun und zu lassen hat? Ei so steckt doch dem Halunken das Haus über dem Kopfe an!“ –

„Bei Gott, das wollen wir – kommt, Boys, holt das Feuer aus seiner eigenen Küche!“ tobte und wüthete die Schaar – „nieder mit der Kneipe, die Bestie will so nichts pumpen!“

Die Masse wandte sich – rasch zur Unthat erschlossen – gegen das also bedrohte Haus, und wer weiß, wie weit sie in ihrem augenblicklich heftig entflammten Grimme gegangen wäre, hätte sich ihr nicht jetzt, aber mit der freundlichsten, bittendsten Geberde ein Mann entgegengestellt, der sie mit hoch erhobenen Armen und lauter Stimme bat, ihm einen Moment Gehör zu schenken. Er war hoch und schlank gewachsen, mit offener, freier Stirn, dunkeln Augen und Haaren, und feinen, fast weiblich scholl geschnittenen Lippen. Auch in seiner ganzen Haltung lag etwas Gebieterisches und doch wieder Geschmeidiges, und seine Kleidung, die aus feinem schwarzen Tuch und schneeweißer Wäsche bestand, verrieth ebenfalls, daß er entweder diesen Kreisen fremd sei, oder doch eine Stellung bekleide, die ihn über seine Umgebung erhebe. Er war zu gleicher Zeit Advokat und Arzt und seit einem Jahr erst aus den nördlichen Staaten hier eingetroffen, wo er sich seiner Kenntnisse und seines einnehmenden Betragens wegen in gar kurzer Zeit nicht allein eine bedeutende Praxis erworben hatte, sondern auch in Stadt und County zum Friedensrichter ernannt worden war.

„Gentlemen!“ redete dieser jetzt die ihm wunderbarer Weise rasch Willfahrenden an – „Gentlemen, bedenken Sie, was Sie thun wollen. – Wir befinden uns unter dem Gesetze der Vereinigten Staaten, und die Gerichte sind sowohl bereit, Sie gegen den Angriff Anderer, als Andere gegen Ihren Angriff zu schützen. Mr. Smart hat Sie aber nicht einmal beleidigt – er hat Ihnen im Gegentheil einen Gefallen gethan, indem er Sie vor einer Gewaltthat bewahrte, die wohl böse Folgen für Manche von Ihnen gehabt haben könnte – Sie sollten ihm eher dankbar sein – Mr. Smart ist auch sonst in jeder Hinsicht ein Ehrenmann.“

„Hol' ihn der Teufel!“ rief hier Der, nach dem der Wirth mit seinem Messer gehauen, „dankbar sein – Ehrenmann – ein Schuft ist er und hätte mich beinahe gespalten wie eine Apfelsine. – In die Hölle mit ihm! – Feuer in sein Nest, das ist mein Rath!“

„Gentlemen! Hat Sie Mr. Smart beleidigt,“ nahm hier der Richter auf's Neue das Wort, „so bin ich auch überzeugt, daß er Alles versuchen wird, seinen begangenen Fehler wieder gut zu machen; kommen Sie, wir wollen ruhig zu ihm hinausgehen, und er mag dann mit freundlichem Wort und einer kleinen, freiwilligen Spende an Whisky, die wir ihm auferlegen werden, das Geschehene ausgleichen – sind Sie das zufrieden?“

„Ei, hol's der Henker – ja!“ sagte der mit der Narbe – „er soll tractiren. – Tritt er mir aber wieder einmal in den Weg, so will ich verdammt sein, wenn ich ihm nicht neun Zoll kalten Stahl zu kosten gebe.“

„Hätte nur mein verdammtes Terzerol nicht versagt“ – zischte der Andere – „die Pest über den Krämer, der – so erbärmliche Waaren führt.“

„Kommt, Boys, in's Hotel – Smart mag herausrücken, und wenn er's nicht thut, so soll ihm der – Böse das Licht halten –“ sagte der Narbige.

„In's Hotel – in's Hotel!“ jauchzte die Schaar – „er muß tractiren, sonst schlagen wir ihm den ganzen Kram in tausend Stücken!“

In jubelndem Chor wälzte sich der zügellose Haufe dem Gasthaus zu, und wer weiß, ob des Advocaten freundlich gemeinte Beilegung des Streites nicht hier zu noch viel ernsthafteren Auftritten geführt hätte. Smart kannte aber seine Leute zu gut und wußte, wie er, sobald er den Schwarm wirklich in sein Haus lasse, gänzlich in den Händen der schon halb Betrunkenen sei und dann auch jedem ihrer Wünsche willfahren müsse, wollte er sich nicht der größten Gefahr an Leben und Eigenthum aussetzen. Als sich daher die Rädelsführer seiner Thür näherten, trat er plötzlich mit gespannter und im Anschlag liegender Büchse ruhig auf die oberste Schwelle und erklärte fest, den Ersten niederzuschießen, der die Stufen seiner Treppe betreten würde.

Smart war als ein ausgezeichneter Schütze bekannt, und sicherer Tod lag in der ihnen drohend entgegen gehaltenen Mündung. Der Advocat trat aber auch hier wieder vermittelnd zwischen den Parteien auf, bedeutete den Yankee, daß die Männer hier keine Feindseligkeiten weiter gegen ihn nährten, und bat ihn, die Büchse fortzustellen, damit auch das Letzte entfernt sei, was auf Streit und Kampf hindeuten könne.

„Gebt den guten Leuten ein paar Quart Whisky,“ schloß er dann seine Rede, „und sie werden Eure Gesundheit trinken. Es ist ja doch besser, mit Denen, die unsere Nachbarn in Stadt und Haus sind, friedlich und freundlich beisammen, als in immerwährendem Streit und Hader zu leben.“

Der Yankee hatte bei den ruhigen Worten des Advocaten, den er selbst schon seit längerer Zeit als einen ordentlichen und, wenn es galt, auch entschlossenen Mann kannte, den Büchsenkolben gesenkt, ohne jedoch die rechte Hand vom Schlosse zu entfernen, und erwiderte jetzt freundlich:

„Es ist recht hübsch von Ihnen, Mr. Dayton, daß Sie nach besten Kräften Streit und Blutvergießen gehindert haben – mancher Ihrer Herren Kollegen hätte das nicht gethan. Damit Sie denn auch sehen, daß ich keineswegs geneigt bin, mit den guten Leuten, gegen die ich ja sonst nicht das Mindeste habe, wieder auf freundschaftlichen Fuß zu kommen, so bin ich gern erbötig, eine volle Gallone zum Besten zu geben, aber – ich will sie hinausschicken. – Ich habe Ladies hier im Hause und die Gentlemen draußen werden gewiß selbst damit einverstanden sein, ihren Brandy im Freien zu trinken und sich nicht dabei durch die Gegenwart von Damen gestört zu wissen.“

„Hallo – Brandy?“ rief der mit der Narbe – „wollt Ihr uns wirklich eine Gallone Brandy geben und dabei erklären, daß Euch das Geschehene leid sei?“

„Allerdings will ich das!“ erwiderte Jonathan Smart, während ein leichtes spöttisches Zucken um seine Mundwinkel spielte, „und zwar vom vortrefflichsten Pfirsich-Brandy, den ich im Hause habe – sind die Herren damit einverstanden?“ „Ei – Bootshaken und Enterbeile – ja!“ nahm der Bleiche das Wort – „heraus mit dem Brandy, – wenn Unterröcke drin sitzen, wird's einem ordentlichen Kerl doch nicht so recht behaglich zu Muthe – aber schnell, Smart – Ihr trefft uns heute in verdammt guter Laune und könnt Euch gratuliren; laßt uns deshalb also auch nicht lange warten.“

Fünf Minuten später erschien ein starker, breitschulteriger Neger, mit achtem Wollkopf und fast ungewöhnlich streng ausgeprägten äthiopischen Gesichtszügen, in der offenen Thür und trug – während er die Versammlung, jedoch noch immer mißtrauisch, bald links bald rechts zu betrachten schien – in dem linken Arme eine große, breitbäuchige Steinkruke, in dem andern ein halbes Dutzend Blechbecher. Die Schaar empfing ihn aber jubelnd, untersuchte vor allen Dingen das Getränk, ob es auch wirklich der gute, ihnen versprochene Stoff sei, und zog dann jauchzend dem Fluß zu, wo sie an Bord eines dort liegenden Flatbootes gingen und bis in die späte Nacht hinein zechten und tobten. Dayton dagegen blieb noch eine Weile stehen und blickte den Davontobenden still und, wie es schien, ernst sinnend nach. Smart aber störte ihn bald aus seinem Nachdenken auf; – er lehnte die Büchse oben an einen Pfosten der Veranda und stieg zu dem ihm so freundlich zu Hülfe gekommenen Richter nieder.

„Dank' Euch, Sir,“ sagte er hier, während er ihm freundlich die Hand entgegenstreckte, „dank' Euch für Euer sehr zeitgemäß eingelegtes Wort – Ihr hättet zu keinem gelegeneren Moment dazwischen treten können.“

„Nicht mehr als Bürgerpflicht,“ lächelte der Richter; „die Menge läßt sich gern von einem entschlossenen Manne leiten, und wenn man den richtigen Zeitpunkt auch richtig trifft, so vermag ein einzelnes ernstes Wort oft Gewaltiges.“

„Nun, ich weiß nicht“ – meinte Smart kopfschüttelnd, während er einen nichts weniger als freundlichen Seitenblick nach dem Fluß hinab warf, „dergleichen Volk läßt sich sonst nicht leicht, weder von freundlicher Rede, noch von feindlicher Waffe zurückschrecken. Es sind meistens Leute, die nichts weiter auf der Welt zu verlieren haben als ihr Leben, und deshalb der Gefahr, da sie das Leben keinen Pfifferling achten, trotzig entgegengehen. Ich bin übrigens doch froh, so wohlfeilen Kaufes losgekommen zu sein, denn – Blut zu vergießen ist immer eine häßliche Geschichte. Aber so tretet doch einen Augen blick in's Gastzimmer, ich komme gleich nach – muß nur erst einmal nach meiner Alten in der Küche sehen und alles Nöthige bestellen.“

„Ich dank' Euch,“ sagte der Richter, „ich muß nach Hause. – Es sind mit dem letzten Dampfboot heut Briefe angekommen, und vom Fluß herunter habe ich auch – mehrerer Geschäftssachen wegen – einen Besuch zu erwarten. Wollt Ihr mir aber einen Gefallen thun, so kommt Ihr nachher ein bischen zu mir herüber. – Bringt auch Eure alte Lady mit – ich habe überdies noch Manches mit Euch zu besprechen.“

„Meine Alte wird wohl daheim bleiben müssen,“ sagte der Yankee lächelnd, „wir haben das Haus voll Leute, aber ich selbst – ei nun, ich bin überdies recht lange nicht bei Mrs. Dayton gewesen – die – Burschen werden doch nicht etwa noch einmal kommen?“ –

„Habt keine Angst,“ beruhigte ihn der Richter – „das Volk ist wild und hitzköpfig, auch wohl ein wenig roh – aber überdachter Schlechtigkeit halte ich sie nicht für fähig. Sie hätten Euch vielleicht im ersten wilden Zorn das Haus über dem Kopfe angesteckt; den aber erst einmal verraucht, so wird auch Keiner mehr daran denken, Euch zu belästigen.“

„Desto besser,“ sagte Jonathan Smart, „Angst hätte ich übrigens auch nicht – mein Scipio hält, wenn ich fort bin, Wacht, und der Hornruf aus dem Fenster kann mich überall in Helena erreichen. – Also auf Wiedersehen – in einem halben Stündchen komme ich hinüber.“

Er trat bei diesen Worten, während der Richter seiner eigenen Wohnung zuschritt, in's Haus zurück und stand gleich darauf vor seiner „besseren Hälfte“, wie sie sich selbst zu nennen pflegte, die er übrigens, theils durch die überhäufte Arbeit, theils durch die vorgegangene Scene, in der übelsten Laune von der Welt fand.

Mrs. Smart war denn auch keineswegs die Frau, die irgend einen Groll lange und heimlich mit sich herum getragen hätte. Was ihr auf dem Herzen lag, mußte heraus, mochte es sein, was es wollte. So schob sie sich denn auch, als sie ihren Herrn und Gemahl nahen hörte, das Sonnenbonnet, das sie der Kamingluth wegen auch in der Küche trug, zurück, stemmte beide Arme – in der Rechten noch immer den langen hölzernen Kochlöffel haltend – fest in die Seite und empfing den langsam herbeischlendernden Gatten mit einem scharfen:

„So – was hat der Herr denn heute wieder einmal für ganz absonderlich gescheidte Streiche angerichtet? Man darf den Rücken nicht mehr wenden, so ist irgend ein Unglück in Anmarsch, und kein Kuchen kann im ganzen Neste gebacken werden, ohne daß Mr. Smart seinen Finger und seine Nase hineinstecken müßte.“

„Mrs. Smart,“ sagte Jonathan, der gerade jetzt viel zu guter Laune war, um sich diese durch den Unwillen seiner Gattin verderben zu lassen – „ich habe heut ein Menschenleben gerettet, und das, sollte ich denken –“

„Ach was da, Menschenleben“ – unterbrach ihn in allem Eifer Mrs. Smart – „Menschenleben hin, Menschenleben her – was geht Dich das Leben anderer Leute an. An Deine Frau solltest Du denken, aber die mag sich schinden und quälen, die mag sich mühen und placken, das ist diesem Herrn der Schöpfung ganz einerlei. Er wirft auch die Gallonen guten Pfirsich-Brandy gerade so auf die Straße hinaus, als ob er sie da draußen gefunden hätte, während ich hier im Schweiße meines Angesichts arbeiten und unser Aller Brod verdienen muß –“

– „wäre mit der gehabten Mühe keineswegs zu theuer erkauft gewesen“ – fuhr Smart ruhig, ohne die Unterbrechung seines Weibes auch nur im Mindesten zu beachten, fort.

„Ich sage Dir aber: es wäre zu beachten gewesen,“ eiferte die hierdurch nur noch mehr erzürnte Frau – „es wäre zu beachten gewesen, wenn Du nur so viel Gefühl für Dein eigen Fleisch und Blut hättest. Aber Philippchen kann heranwachsen und groß werden – das kümmert Dich nicht. – Nach Deiner Wirthschaft geht Alles zu Grunde und muß Alles zu Grunde gehen, und wenn der arme Junge einmal das Alter hat, so wird er wohl nicht einmal eine Stelle haben, wohin er sein Haupt legt – Du Rabenvater.“

„Der Rabenvater hatte auch keine Stelle, wo er sein Haupt hinlegen konnte, als er heranwuchs“ – lächelte Mr. Smart gutmüthig und rieb sich dabei die Hände – „Mr. Smart senior gab ihm aber allerlei gute Lehren, und die haben denn auch so gute Früchte getragen, daß sich Smart junior nach mehrmaliger Ernte das schönste Gasthaus in ganz Helena bauen konnte. – Smart senior ist nun todt, und Smart junior ist Smart senior geworden; wenn also in natürlicher Folge Smart junior jetzt –“

„Nun hör' einmal auf mit all' dem Unsinn von senior und junior – geh an Dein Geschäft, besorge die Pferde, die draußen im Stalle stehen – schick' mir den Neger her und laß ihn Bohnen aus dem Felde bringen. Zum Kaufmann muß er auch hinübergehen, um das Faß Zucker zu holen – Mann, Du wirst mich mit Deinem Leichtsinn noch in die Grube bringen.“

„– dem Rathe des Smart senior so folgt, wie Smart senior damals dem Rath seines Vaters folgte,“ fuhr der unverwüstliche Yankee ruhig und unbekümmert fort – „so ist alle Hoffnung vorhanden, daß auch ohne unser Zuthun Smart junior schon seinen Lebensunterhalt auf anständige Weise gewinnen werde.“

„Scipio soll hierher kommen,“ schrie jetzt Mrs. Smart, wirklich zur äußersten Wuth getrieben, während sie mit dem Fuße stampfte und den Stiel des Löffels auf den einzigen kleinen Tisch niederstieß – „hörst Du, Jonathan? – Scipio soll herkommen, und nun fort mit Dir, Mensch, der Du meinen Tod willst, oder ich gebrauche, so wahr mich unser lieber Herrgott erhören soll, mein Küchenrecht.“2 – Und mit raschem Griff erfaßte sie den kupfernen langstieligen Schöpfer und fuhr damit in den Kessel voll siedenden Wassers, der über dem Feuer zischte und sprudelte.

Nun wußte Mr. Smart allerdings, daß es zwischen ihnen, trotz dem von Seiten Madames oft hitzig geführten Zungenkampf, nie zu Tätlichkeiten kam, denn Madame kannte zu gut den ernsten und festen Sinn ihres Mannes, so etwas je zu wagen. Um aber auch jedem Wortwechsel ein Ende zu machen und die erzürnte Ehehälfte, die ihm sonst eine brave und treue Gattin war, freundlicher zu stimmen, zog er sich ruhig zur Thür zurück und frug nur hier, die Klinke in der Hand, „ob Mrs. Smart sonst noch etwas zu bestellen habe da er ein paar Geschäftswege abmachen müsse.“

Diesen Rückzug nahm Madame übrigens als ein still schweigendes Zeichen der Anerkennung ihrer Autorität, um bedeutend milder gestimmt, goß sie das kochende Wasser wieder zurück in sein Gefäß, wischte sich mit der Schürze den Schweif von der gerötheten Stirn und sagte in noch halb ärgerlichem aber doch nicht mehr heftigem Tone:

„Nein, Mr. Smart – wenn Sie Ihre Geschäfte außer dem Hause haben, so brauchen Sie sich auch nicht um die meinigen zu kümmern. – So viel sage ich Ihnen aber, die Pferde –“

„Sind sämmtlich gefüttert und besorgt,“ bemerkte Smart. –

„Und das Faß Zucker –“

„Steht in der Bar.“

„Aber die Bohnen –“

„Sind von Scipio schon vor einer halben Stunde gepflückt worden.“

„Und die beiden Zimmer, die noch für die letztgekommenen Gäste geräumt werden sollten –“

„Können jeden Augenblick bezogen werden,“ lächelte Jonathan – „Mr. Smart und Scipio haben das Alles besorgt – sonst noch etwas?“

Madame – jetzt wirklich ärgerlich, daß weiter gar nichts zu bemerken war, arbeitete mit immer größerem Eifer und immer röther werdender Physiognomie in den Kohlen herum auf die sie sich schon zweimal vergebens bemüht hatte, den schweren eisernen Kessel zu heben. Jonathan aber, dies bemerkend, sprang rasch hinzu – ergriff die Haken und schwang das mächtige Gefäß mit leichter Mühe auf seinen Ort, wandte sich dann lächelnd nach seiner kaum noch schmollenden Ehe Hälfte um, drückte ihr einen raschen, aber nichtsdestowenige derbgemeinten Kuß in das rothe, gutmüthige Gesicht und stieß im nächsten Augenblick – aus Leibeskräften den Yankeedoodl pfeifend und die Hände tief in die Beinkleidertaschen vergraben – mit raschen Schritten zur Thür hinaus in's Freie.

Fußnoten

1 Helena, eine kleine Stadt in Arkansas, am Ufer des Mississippi.


2 Das hier gemeinte und in Nordamerika so geltende Küchenrecht, was nicht selten, besonders auf Dampfbooten, seine Anwendung findet, besteht darin, einen Kochlöffel voll siedenden Wassers gerade über dem, den man aus der Küche haben will, an die Decke zu schleudern, daß, wenn er sich nicht rasch durch die Flucht den Folgen entzieht, die heiße Fluth auf ihn hinabträufelt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi