Kapitel 10 - Lively's Farm.

10. Lively's Farm.

Dicht hineingeschmiegt in den grünen Wald, wo die fleißige Hand des Menschen kaum der riesenmäßigen Vegetation ein freies Plätzchen abgewonnen hatte, und die mächtigen, starr emporragenden Nachbarstämme immer noch so aussahen, als ob sie das kleinliche Treiben der Civilisation unter sich nur eben duldeten, und nicht übel Lust hätten, sich nächstens einmal in ganzer Länge und Gewichtigkeit selbst drein zu legen; – da, wo zwar Menschen, sorgende, geschäftige Menschen, starke Männer und zarte Frauen wirkten und schafften, und fröhlicher Kinderjubel von lieben, herzigen Mäulchen die heilige Ruhe der Wildniß unterbrach; wo der Haushahn Morgens seinen schmetternden Gruß der Morgenröthe entgegenjubelte, wo die Schwalbe in besonders dazu angebrachten Kästen ihr Nest gebaut hatte und sich jetzt alle nur mögliche Mühe gab, die kleinen unbehülflichen Gelbschnäbel das Fliegen zu lehren – wo aber auch Nachts noch der Wolf die Fenzen umschlich, und Panther oder Wildkatze das zahme Hausvieh oft in Augst und Schrecken setzte, wo der Hirsch nicht selten zwischen den weidenden Heerden getroffen wurde, und der Bär nur zu oft in stiller Abendstunde die Maisfelder besuchte: da stand ein für solche Umgebung gar stattliches und wirklich wohnlich eingerichtetes Doppelhaus. Es war von hoher, regelmäßiger Fenz umgeben und, wie es schien, mit allen den Bequemlichkeiten versehen, die man außerdem nur möglicher und vernünftiger Weise in solcher Wildniß beanspruchen konnte.


Vor diesem Hause saß auf einem erst frisch gefällten und hier zum Sitze hergerollten Stamme ein silberhaariger, noch rüstiger, lebensfrischer Greis, dessen gesundheitstrotzende Wangen und muntere klare Augen wohl schon mehr als sechzig Mal den Frühling hatten kommen und gehen sehen und doch noch keck und freudig in das schöne Leben hinausschauten. Sein Kopf war unbedeckt, und das schneeige Haar hing ihm in langen, glänzenden Locken bis auf den sonngebräunten Nacken hinunter. Er trug einen pfeffer-und salzfarbenen, wollenen Frack, eben solche Beinkleider, eine blauwollene Weste und ein schneeweißes Hemd, aber – bloße Füße, und nur dann und wann schienen ihn an diesen die dort ziemlich zahlreichen Mosquitos zu belästigen. Mit dem rothseidenen Taschentuche, das er in der Hand hielt, um sich Wind und Kühlung damit zuzufächeln, schlug er wenigstens zuweilen nach ihnen, ohne jedoch nur einen Blick hinab zu werfen.

Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand ein an derer, aber bedeutend jüngerer Mann, und zwar eben eifrig beschäftigt, einen frisch erlegten Spießer abzustreifen. Dieser war mit den Hinterläufen an einem Baume aufgehangen, und ein großer schwarzer Neufundländer mit weißer Brust und weißen Füßen und der braunen Zeichnung amerikanischer Braken an den Lefzen und über den Augen, hob gar klug und aufmerksam die treuen Augen zu ihm auf, als ob er nur Interesse an der Arbeit nähme und nicht etwa seinem Herrn durch störendes Betteln zur Last fallen wolle.

Der junge Jäger, dessen ledernes abgeworfenes Jagdhemd neben ihm am Boden lag, war ganz nach Art der westlichen Jäger gekleidet; die blonden, krausen Haare aber und das blaue Auge hätten ihn fast als einen Ausländer erscheinen lassen, wäre nicht in einem kleinen Liede, das er bei der Arbeit vor sich hin summte, sein reines, nur mit dem leisen westlichen Dialekt gefärbtes Englisch Bürge seiner amerikanischen Abkunft und Erziehung gewesen. Es war William Cook, der Schwiegersohn des alten Lively, der erst vor wenigen Tagen vom Fourche la fave hierher zu den Eltern seiner Frau gezogen war und nun im Sinne hatte, eine eigene, dicht an die seiner Schwiegereltern stoßende Farm urbar zu machen. Für den Augenblick aber, und bis sein noch zu errichtendes Haus stand, hielt er sich mit seiner kleinen Familie bei Livelys auf und bewohnte dort den linken Flügel jenes schon erwähnten Doppelgebäudes.

In der Thür desselben erschien indessen gerade eine allerliebste junge Frau, seine Frau, mit dem jüngsten Kind auf dem Arme, zwei andere weißköpfige und rothbäckige kleine Burschen tummelten sich aber zwischen den abgehauenen Baumstümpfen des Hofraumes umher und jagten bald bunten flatternden Schmetterlingen nach, bald ärgerten sie den ersten Haushahn, der mit höchst mißvergnügtem Gekake und mächtig langen Schritten seinen kleinen unermüdlichen Quälgeistern zu entgehen suchte. Erst wie er das unmöglich fand, flog er endlich, des Spielens überdrüssig, auf die Fenz, schlug hier mit den Flügeln, und fing nun zum großen Ergötzen der darunter stehenden kleinen Schelme an aus Leibeskräften zu krähen.

Das Kleine aber, das die Mutter noch auf dem Arme trug, hatte indessen die sich munter herumtummelnden Geschwister entdeckt, streckte nun ungeduldig strampelnd die dicken Aermchen nach ihnen aus, und wollte unter jeder Bedingung Theil an dem Spiele nehmen.

„Ei, so laß doch den Schreihals herunter, Betsy!“ rief ihr da lachend der Gatte zu – „laß ihn nur nieder, siehst Du denn nicht, daß er helfen will?“

„Er wird sich Schaden thun,“ sagte besorgt die Mutter – „es ist hier so rauh und steinig.“

„Thorheiten – der Junge muß Grund und Boden kennen lernen – er mag seinen Weg suchen;“ und die Mutter ließ, während sie sich von der hohen Schwelle des Hauses niederbog, lächelnd den kleinen Schreier auf die ebene Erde nieder, die dieser mit lautem Jubelgekreisch begrüßte. Ohne weiteren Zeitverlust arbeitete er auch gleich auf allen Vieren zum Vater hin, der ihm freundlich zuwinkte.

Der große schwarze Neufundländer aber, der bis jetzt neben seinem Herrn gesessen hatte, sprang nun mit weiten Sätzen dem kleinen Burschen entgegen, hob die schöne buschige Fahne und das mit kleinen krausen Löckchen versehene Behänge hoch empor, bellte ihn ein paar Mal mit tiefer volltönender Stimme an, und versuchte dann vorsichtig, das Kind am Gurt des kleinen Röckchens zu fassen, um ihm die Bahn zu erleichtern, oder es seinem Herrn ganz zu apportiren.

„Laß ihn gehn, Bohs,“ rief dieser lachend, „laß ihn gehn. – Warte Bursche – glaubst Du, der könne nicht allein kommen? Will der Hund! – Nun seh Einer den ungeschlachten Schlingel an – dreht er mir den Jungen ganz herum.“

Der Zuruf galt aber wirklich dem Hunde. Als es diesem nämlich verboten worden, das Kind in die Schnauze zu nehmen, übersprang er dasselbe mehrmals mit hohen Sätzen und versuchte dann, den Kopf dabei zur Seite gebogen und mächtig dazu mit dem Schwanze wedelnd, es mit der breiten kräftigen Tatze zu sich herüber zu ziehen. Allerdings rollte er die kleine unbeholfene Gestalt des Kindes dabei rund herum; das aber nahm die Freiheit keineswegs übel, sondern schien sich im Gegentheil sehr über den ungeschickten Spielkameraden zu freuen. Es jauchzte ein paar Mal laut auf und setzte dann seine Bahn zum Vater fort, der ihm nun auf halbem Wege entgegenkam und es lächelnd zu sich emporhob.

„William,“ sagte der Alte, während er sich vergnügt und schmunzelnd die Hände rieb. „William – das ist ein capitales Stück Wildpret; – das reine Feist, wie man sich's nur wünschen kann, und die Rippen werden unmenschlich gut schmecken. Es war doch gut, daß Du heute Mittag noch einmal am Rohrbruch hingingst – ich dachte mir's immer, Du würdest dort 'was finden.“

„Ach mit dem Denken, Vater,“ lachte der junge Mann, während er das rothwangige Kind herzte und küßte und auf den Armen schaukelte – „mit dem Denken ist's eine gewaltig unsichere Sache. So sagt man nachher immer, und wenn man's genau nimmt, so hat man sich beim Burschen hinter jedem Dickicht, an jedem sonnigen Hügel ein Stück Wild gedacht. – Dafür lob' ich mir aber auch das Burschen. – Es giebt kein herrlicheres Vergnügen auf der weiten Gotteswelt – eine gute Bärenhetze vielleicht ausgenommen, und ich glaube, ich könnte gleich aus freien Stücken ein Indianer werden, wenn ich –“

„Wenn ich Jemanden dabei hätte, der mir Mais und süße Kartoffeln baute, nicht wahr?“ unterbrach ihn lachend der Alte – „oh ja, so zum Vergnügen den ganzen Tag im Walde herum zu spazieren und weiter keine Arbeit zu haben, als gute Stücken Fleisch zum Haus zu tragen, das glaub' ich schon, das ließe ich mir auch gefallen, das geht aber nicht. – Mein Junge zum Beispiel würde jetzt schön gucken, wenn sein alter Vater in seiner Jugend weiter nichts gethan hätte, als Büchsenläufe schmutzig gemacht. Nein, dafür sind wir – der Henker soll doch die Mosquitos holen, sie beißen heute wie besessen“ – und er rieb sich abwechselnd mit den rauhen Sohlen die kaum zarteren, wenigstens eben so braun gebrannten Spannen seiner bloßen Flüße – „dafür sind wir hierher gesetzt, daß wir im Schweiß unseres Angesichts – wie der alte Schleicher sagt – unser Brod verdienen sollen. Das heißt, wir müssen uns schinden und plagen, um das Jahr über genug Mais und süße Kartoffeln zu haben.“

„Alle Wetter!“ lachte Cook, während er erstaunt von seiner Arbeit aufsah, „Ihr haltet ja heute ordentliche Reden – die sind doch sonst Eure Passion nicht –“

„Nein, Junge“ – sagte der Alte – „Euch jungem Volke muß man aber dann und wann in's Gewissen reden, das ist Pflicht und Schuldigkeit, und da thut mir's gut, wenn ich einmal so mit meiner Meinung herausbrennen kann, ohne daß die Alte gleich ihren Senf dazu giebt, denn die nimmt Eure Partei.“

„Hallo“ – sagte Cook, „da wollt Ihr mir wohl eine Predigt gegen die Jagd halten? Das ist göttlich – hol' mich Dieser und Jener, das ist kostbar.“

„Ja, und nicht allein gegen die Jagd,“ fuhr der Alte fort, während er langsam und vorsichtig das rechte Bein emporhob und mit der Hand scharf auf einen, seine große Zehe belästigenden Mosquito visirte – „nicht allein gegen die Jagd, auch gegen das gotteslästerliche Fluchen“ – die Hand schlug herunter, der Mosquito hatte aber Unrath gemerkt und sich bei Zeiten der Gefahr entzogen – „verdammte Bestie“, unterbrach der alte Mann mit halblauter Stimme seinen Vortrag – „auch gegen das gotteslästerliche Fluchen“ – fuhr er dann gleich darauf wieder fort.

„Hahaha –“ rief Cook und wandte sich gegen den Alten, „ich soll wohl nicht wieder ›verdammte Bestie‹ sagen?“

„Unsinn,“ brummte Lively und kratzte sich die Stelle, wo das kleine Insect eben gesogen hatte – „Unsinn – aber heda – Bohs fährt auf – unsere Gäste kommen wahrscheinlich.“

Bohs fuhr in diesem Augenblicke wirklich rasch empor, windete wenige Secunden lang gegen den Wald hin, und schlug dann in lauten, vollen Tönen an. Blitzesschnell wurde das von den übrigen, meistens im Schatten gelagerten Rüden begleitet, die gleich darauf herbeistürmten, um nun auch zu sehen, was die Aufmerksamkeit ihres Führers erregt habe. James' fröhlicher Jagdruf antwortete aber dem drohenden Gebell der Meute. Jauchzend sprangen sie ihrem jungen Herrn entgegen und begrüßten bald darauf mit fröhlichem Gebell und Heulen die kleine Reiterschaar, die nun am Holzrand sichtbar wurde und rasch zu dem roh gearbeiteten Gatterthor, das Einlaß in die Farm gewährte, herantrabte.

Cook sprang schnell hinan, die Vorlegebalken zurückzuziehen, James aber, hier ganz in seinem Element, rief ihm nur ein fröhliches „Loock out“ entgegen, und in demselben Moment hob sich auch, von Schenkeldruck und Zügel getrieben, das wackere Thierchen, das ihn trug, auf die Hinterbeine und flog mit keckem Satz über die doch wenigstens vier Fuß hohe Barriere. Sander, ebenfalls ein tüchtiger und sattelfester Reiter, wollte natürlich nicht hinter dem rohen Backwoodsman, der ihnen eine kurze Strecke entgegengeritten war, zurückstehen und folgte seinem Beispiel. Als Beide aber jetzt aus dem Sattel sprangen und zur Fenz eilten, die Stangen niederzulegen, vereitelte Adele, deren munteres Thier unter ihr tanzte und in die Zügel schäumte, diese Absicht, denn sie schien keineswegs gesonnen, den Männern etwas nachzugeben.

„Habt Acht, Gentlemen!“ rief sie nur, tummelte ihren Zelter noch einmal zu kurzem Anlauf zurück, und ehe noch Mrs. Dayton, die nur erschreckt ein kurzes „Um Gottes willen – Adele!“ ausstoßen konnte, recht begriff, was das kecke Mädchen eigentlich wollte, sprengte sie an und setzte nicht über das niedere Eingangsthor, sondern über die wohl einen Fuß höhere Fenz hinweg. In der nächsten Secunde hielt sie auch schon neben der Thür des Hauses, wo sie, ehe die Männer ihr beistehen konnten, rasch aus dem Sattel, die Stufen des Hauses hinaufsprang, und hier von der alten Mrs. Lively und Cook's junger Frau auf das Herzlichste, aber auch mit Vorwürfen über ihr wirklich tollkühnes Reiten begrüßt wurde.

Cook hatte indessen die Stangen niedergeworfen, Mrs. Dayton einzulassen, und die kleine Gesellschaft fand sich bald ganz gemüthlich vor der Thür des Hauses, im Schatten eines breitästigen Nußbaumes zusammen, wo sie auf Stämmen, Stühlen und umgedrehten Kästen, was gerade in der Nähe zu finden war, Platz suchten. Mrs. Liveley ließ es sich indessen, trotz ihrer Jahre, nicht nehmen, die große Kaffeekanne herbeizubringen, füllte mit Mrs. Cook's Hülfe die blauen Tassen und Blechbecher – denn so viel Tassen zählte der Hausstand nicht – und reichte sie den willkommenen Gästen herum.

„Ei, Kaffee nach Tische, Mrs. Lively?“ rief da Adele erstaunt; „das ist ja eine ganz neue Sitte – wer trinkt denn um solche Zeit Kaffee?“

„Das hab' ich von den Deutschen, meinen früheren Nachbarn, gelernt, Kindchen,“ sagte die alte Dame und klopfte den Nacken des schönen Mädchens – „und das ist eine gar prächtige Erfindung. – Kaffee schmeckt nie besser als nach Tisch – Morgens und Abends ausgenommen – und für so liebe, liebe Gäste muß man denn doch auch ein bischen was herbeischaffen, daß sie nicht ganz trocken sitzen.“

„Wer ist denn der hübsche junge Mann, der da mit Euch gekommen ist?“ flüsterte Cook dem jungen Lively zu, neben dem er stand. – „Mir kommt das Gesicht bekannt vor –“

„Weiß der Teufel, wer es ist,“ sagte James und warf dem Fremden einen keineswegs freundlichen Blick zu – „eingeladen hab' ich ihn nicht, und er behandelt Miß Adele, als ob er mit ihr aufgewachsen oder ihr Bruder wäre, und doch weiß ich, daß sie gar keinen Bruder hat.“

„Prächtiges Haar!“ sagte Cook.

„Prächtiges Haar?“ murmelte James verächtlich – „wie ein Bündel Flachs sieht's aus – und das käseweiße Gesicht könnte mir den ganzen Appetit verderben, wenn mir den nicht schon überdies seine Gegenwart verdorben hätte.“

Cook lächelte – es war nicht schwer, die Beweggründe zu durchschauen, die des jungen Mannes Aerger erregt hatten. Aber auch Adele schien etwas von dem gewahrt zu haben, denn sie warf, während sich ihr Nachbar eifrig mit ihr unterhielt, den Blick mehrere Male halb lächelnd, halb ungeduldig nach ihm hinüber und rief ihn endlich, indeß Mrs. Dayton eine lange Abhandlung mit den beiden Farmerfrauen über Butter, Käse, junge Ferkel und alte Kühe hatte, an ihre Seite.

„Nun, Sir“, sagte sie und blickte dabei den ohnedies schon dadurch in die entsetzlichste Verlegenheit Gebrachten mit den großen, glänzenden Augen so fest und durchdringend an, daß der arme Bursche, obgleich er gewiß die besten Vorsätze gehabt haben mochte, liebenswürdig zu erscheinen und die verwünschte Blödigkeit bei Seite zu werfen, den breiträndigen Strohhut abnahm, und erst langsam und dann immer schneller und schneller zwischen den Fingern herumlaufen ließ – „Sie versprachen mir doch unterwegs das Abenteuer zu erzählen, was Sie neulich mit dem alten Panther gehabt. – Wie ich höre, hängt dort drüben an dem Persimonbaum das Fell – Herr Hawes hier behauptet eben, es sei einem einzelnen, blos mit einem Messer bewaffneten Mann gar nicht möglich, einen Panther zu besiegen.“

„Nun, ich weiß nicht,“ stotterte James, denn hier vor der jungen Dame von seinen Thaten zu sprechen, kam ihm fast wie eine häßliche Prahlerei vor – „ich weiß doch nicht – Mr. Hawes – es ist auch vielleicht –“

„– schwieriger, mit einem Panther anzubinden, als sich's nachher erzählt,“ sagte Sander, und ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen. – „Ja, ja, man vergißt bei solcher Erzählung gewöhnlich die Hunde, die ihre Leiber dem Feinde bloßgeben, schießt das Thier aus sicherer Ferne mit der Kugel nieder und stößt dem schon Verendeten das Messer noch ein paar Mal in Brust und Weichen, um an dem aufgespannten Felle die – Beweise unserer Heldenthaten zu haben. – Ich bin ja auch schon auf solcher Jagd gewesen.“

James blickte zu dem Sprecher auf, und selbst das ganze Wesen des Mannes, der in nachlässiger Stellung dicht neben einem Mädchen lehnte, wo er selbst sich schon beklommen und eingeschüchtert fühlte, wenn er ihr nur gegenüber stand, hatte etwas ungemein Widriges, ja Empörendes für ihn. Kaum begriff er aber den Sinn dieser Worte, die dem einfachen Hinterwäldler anfangs fast unverständlich blieben, als ihm das Blut schneller und heftiger in die Wangen schoß, und damit auch seine bis dahin fast unüberwindbare Scheu und Verlegenheit mehr und mehr schwand.

„Wenn ich einmal behauptet habe,“ sagte er, und seine Stimme wurde beinahe von dem in ihm auflodernden Zorn erstickt – „ich hätte einen Panther im Zweikampf und mit dem Messer erlegt, so meine ich damit nicht, daß mir die Hunde oder Pulver und Blei dabei geholfen hätten. Ich weiß nicht, Fremder, wo Ihr solche Ansichten gelernt haben mögt, aber hier in den Wald passen sie nicht. – Kein Mann hier, den James Lively zu seinen Freunden zählt, würde eine Lüge sagen.“

„Bester Mr. Lively,“ lächelte Sander, in dessen Plan es keineswegs lag, Streit zu beginnen – „Sie wissen gewiß recht gut, daß das, was man Jägergeschichten nennt, nicht unter die Rubrik von Lügen gesetzt werden darf. Ein Jäger hat das Privilegium, Poet zu sein, und wie der Novellist nicht in seiner Erzählung die trockenen Thatsachen rein und ungeschmückt hinstellen darf, so ist es jenem ebenfalls nicht allein erlaubt, sondern wird sogar theilweise verlangt, daß er seine Jagdabenteuer in einem bunten Kleide bringt und – wenn er keine zu bringen hat – aus einfachen Jagden interessante Jagdabenteuer macht.“

„Ich verstehe nicht recht, was Sie mit alle dem meinen,“ sagte James und leerte die ihm von seiner Mutter gereichte Tasse auf einen Zug; „auch begreife ich nicht gut, wie man Jagdabenteuer machen kann. – So viel ist aber gewiß, ich habe noch keinen Messerstich gegen ein Thier gethan, wenn es nicht nöthig war. Was übrigens die Haut da drüben betrifft, so war Cook hier Zeuge der ganzen Sache, und hat gesehen, ob und wie ich sie verdient habe.“

„Bei den Messerstichen,“ unterbrach hier der alte Lively das etwas ernsthaft werdende Gespräch noch ganz zur rechten Zeit, „fällt mir eine kostbare Anekdote ein, die meinem Vater einmal begegnet ist.“

„Wollen Sie sich denn nicht setzen, Mr. Lively?“ redete hier Adele den jungen Farmer an und schob zugleich ihren eigenen Stuhl etwas zurück, so daß dicht neben ihr auf einem dort gelegenen Baumstamm ein Sitz frei wurde. James machte auch schnell genug von der Erlaubniß Gebrauch, rückte aber, aus wirklich unbegründeter Furcht, seiner schönen Nachbarin lästig zu werden, so weit von ihr fort, als ihm das die noch emporstehenden Aeste nur immer verstatteten. Dadurch kam er freilich auch auf das scharfe und rauhe Holz zu sitzen, und er würde sich, was die Bequemlichkeit anbetraf, wohl gerade so wohl auf einem Beine stehend befunden haben. Trotzdem hätte er aber doch seinen Sitz in diesem Augenblick nicht um den schönsten gepolsterten Stuhl der ganzen Vereinigten Staaten eingetauscht.

„Also mein Vater,“ begann Lively senior wieder –

„Komm, Alter – die Geschichte kannst Du uns lieber drin erzählen,“ fiel ihm da plötzlich die Frau in's Wort. – „Es wird Nacht hier draußen, Kinder, die Sonne ist unter, und die Damen aus der Stadt könnten sich erkälten; das wäre mir nachher eine schöne Bescheerung, wenn sie hier blos zu uns herausgekommen sein sollten, die lieben guten Wesen, um sich einen Schnupfen oder noch 'was Schlimmeres zu holen.“

„Aber, liebe gute Mrs. Lively,“ sagte Mrs. Danton, „es ist hier draußen ja noch so schön, und gerade jene wunderherrlichen Tinten der mehr und mehr dort verblassenden Abendwolken geben dem dunkeln Fichtenwald, auf dem sie ruhen, etwas so ungemein Reizendes und Romantisches.“

„Das mag Alles recht gut sein,“ sagte die alte würdige Dame – „es klingt wenigstens sehr schön, die Sache bleibt sich aber doch gleich. – Im Hause ist's besser, und wenn Mrs. Dayton die Wolken noch ein bischen betrachten will, so kann sie das am allerbequemsten durch's Kamin thun, da ziehen sie gerade drüber hin. Jetzt aber komm, James – hilf die Sachen ein bischen in's Haus thun – wo ist denn Cook? Ach, de bringt die Hirschkeulen und Rippen hinein. Das ist gescheidt von ihm – einen Truthahn hat James auch heute Morgen geschossen. Du, Lively, magst die leere Kanne nehmen – so, Kinder, nun kommt, in zehn Minuten können wir uns ganz prächtig drinnen eingerichtet haben, und dann wollen wir auch recht munter und vergnügt sein. Es thut einer alten Frau, wie ich bin, wohl, einmal so viele liebe, freundliche Gesichter um sich zu sehen, wie heut Abend.“

Und ohne weiter eine Einrede anzunehmen oder überhaupt abzuwarten, fing Mrs. Lively selbst an, die umherliegenden Sachen in's Haus zu tragen, so daß die jungen Leute schon mit angreifen mußten. Bald darauf saßen Alle um den großen, in die Mitte gerückten Tisch fröhlich versammelt, und der alte Lively, der sich ganz in seinem Element zu fühlen schien, erzählte eine Menge von Iagdanekdoten und Abenteuern. Seine Frau aber fuhr indessen hin und her, trug Alles auf, was Küche und Rauchhaus zu liefern vermochten, und hielt nur dann und wann in ihrem geschäftigen Eifer ein, um von Adele zu Mrs. Dayton zu gehen und ihnen mit einem herzlichen Händedruck zu wiederholen, wie sie sich freue, daß sie endlich einmal ihrer Einladung gefolgt wären, und daß sie nun auch nicht daran denken dürften, sie unter sechs oder acht Tagen zu verlassen. Daß Adele am nächsten Tage schon eine Freundin am Mississippi besuchen wolle, verwarf sie total, und erklärte, Mr. Hawes sei ihr ein sehr lieber und willkommener Gast, wenn er ihr aber ihre liebe Adele entführen wolle, dann habe er es mit ihr zu thun, und das zwar nicht in Liebe und Güte.

James' Herz klopfte wild und stürmisch – deshalb also war jener glattzüngige Fremde mit hierher gekommen, Miß Adele wollte er schon am nächsten Morgen wieder mit fortnehmen – Pest – in welchem Verhältniß stand er überhaupt zu Adelen – wäre er am Ende gar – es überlief ihn siedendheiß.

„Miß Adele,“ sagte er mit von innerer Bewegung erregter Stimme – „Sie – Sie wollen uns also verlassen?“

„Ja, Mr. Lively,“ erwiderte das junge Mädchen, und ein eigenes, schelmisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel – „Mr. Hawes hier will mich auf seine neugekaufte Plantage führen zu – zu seiner Schwester.“

Hätte ein zündender Strahl in diesem Augenblick vor James Lively den Boden aufgerissen, ihm wäre das Blut in den Adern nicht schneller, nicht erkältender gestockt. – Sie wollte Mr. Hawes' neugekaufte Plantage besehen – seine Schwester besuchen – armer James, da war für Dich wenig Aussicht! Er fühlte, wie sein Blut die Wangen verließ und jeder Tropfen in das erstarrende Herz zurückkehrte. Gleich darauf aber strömte es ihm auch mit nicht zu dämmender Gewalt wieder aufwärts in Stirn und Schläfe, und er sprang, die innere Bewegung zu verbergen, von seinem Sitz empor.

„Heh, James, wo willst Du denn hin?“ frug der Vater.

„Das übrige Hirschfleisch hinter's Haus schaffen,“ rief der Davoneilende zurück – „es hängt hier vorn zu niedrig; am Ende könnten sich doch die Hunde darüber machen.“

„Da hast Du Recht,“ sagte der Alte – „daran hätt' beinahe nicht gedacht. Da ist's uns hier einmal vor vierzehn Tagen beinahe komisch gegangen – die Geschichte muß ich Ihnen erzählen, Mr. Hawes“ – und der vermeintliche Mr. Hawes, der mit einem höchst selbstzufriedenen Lächeln bemerkt hatte, wie und weshalb James aufgestanden und hinausgegangen war, lieh sein Ohr geduldig der Anekdote von einem erlegten Hirsch und den damit verknüpften Umständen. – In der That aber lauschte er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit den Worten der jetzt im eifrigen Gespräch begriffenen Damen Dayton und Lively, die sich über eine Familie des Staates Georgia unterhielten, mit der Mrs. Dayton und Adele entfernt verwandt, wo aber die letztere erzogen und wie das Kind im Hause behandelt worden war.

„Sie können sich fest darauf verlassen, Mrs. Dayton,“ betheuerte die alte Dame, „Lively hat erst vorgestern einen Brief von da erhalten. – Lieber Gott, wir sind ja dort sechzehn Jahre ansässig gewesen und kennen jedes Kind. Der alte Benwick soll seine Frau nur dreimal vierundzwanzig Stunden überlebt haben, und das Testament ist, dem Schreiben nach, schon am Mittwoch eröffnet worden. – Sie können mit jeder Stunde Nachricht erhalten.“

„Es kamen heute Morgen zwei Briefe an meinen Mann,“ sagte Mrs. Dayton, „das schienen aber Geschäftsbriefe zu sein, er hätte doch sonst gewiß etwas erwähnt.“

„Ei, die Gerichte nehmen sich auch bei so etwas Zeit, meine gute Mrs. Dayton,“ sagte Mrs. Lively – „so geschwind sind die nicht im Nachrichtertheilen, besonders wenn's darauf ankommt, Geld außer Land zu schicken.“

„Welche von den beiden wäre Ihnen nun lieber gewesen,“ wandte sich jetzt der alte Lively plötzlich, und zwar so direct an seinen bis dahin nichts weniger als aufmerksamen Zuhörer, daß dieser, fast wie auf einem Abwege ertappt, zusammenfuhr und nur noch Geistesgegenwart behielt, die Frage in's Blaue hinein zu beantworten.

„Die erste, unbedingt die erste.“

„Nun, sehen Sie, das freut mich,“ sagte der alte Mann, „das war auch meine Meinung. – James, sagt' ich, Du mußt unbedingt die erste nehmen, und – soll mich der Henker holen, wenn er's am Ende nicht doch noch gewann.“

„Wunderbar,“ sagte Sander zerstreut, und hatte keine Idee davon, welche letzte und erste da gemeint und was eigentlich zu gewinnen gewesen. Adele aber, die sich so plötzlich, allerdings etwas durch eigene Schuld, von ihren beiden Nachbarn vernachlässigt sah, setzte sich hinüber zu Mrs. Cook, die eben, die müden Kinder zu Bett gebracht hatte. Hier aber, indem sie ganz in das einfache Wirken und Leben der guten Frau einging, und bald nach dem und jenem frug und über dies und das mit ihrer kindlichen Gutmüthigkeit plauderte, gewann sie sich das Herz derselben so sehr, daß diese endlich mit einem freundlichen Händedruck ausrief:

„Ach, Miß Adele, wie wünschte ich doch, daß Sie hier draußen bei uns blieben und eine wackere tüchtige Farmersfrau würden. Sie sollten einmal sehen, wie es Ihnen bei uns gefiele. – Es ist gar zu hübsch hier, und besonders im Frühjahr und Sommer, wenn sie in den Städten fast vor Hitze und Staub umkommen.“

„Mir gefällt es auch recht gut auf dem Lande,“ sagte Adele – „ich bin –“ und eine leichte Röthe färbte ihre Wangen, „ich bin am liebsten unter grünen Bäumen, aber – wir armen Mädchen, Mrs. Cook, müssen ja doch am Ende stets dahin gehen, wo uns das Schicksal hinwirft, und ein Glück noch, wenn wir dabei der Stimme des Herzens folgen dürfen.“

„Ja, Miß Adele, das ist ein Glück,“ sagte die wackere Frau – „Sie glauben gar nicht, wie leicht und gern man alles Ueberflüssige entbehren lernt, wenn man nur bei Dem sein kann, den man so recht herzlich lieb gewonnen hat. – Es wird Einem auch Alles noch einmal so leicht, und Arbeiten, von denen man sonst gar nicht geglaubt hat, daß man sie verrichten könne, thun sich fast von selber. Und nun gar erst die Kinde – ja in den lieben Dingern wird man noch selbst einmal wieder jung.“

„Haben Sie Ihre bisherige Farm ungern verlassen?“ frug Adele.

„Wir? Jh nun, ja und nein,“ sagte Mrs. Cook – „es war herrliches Land am Fourche la fave und nach all' dem Vorgefallenen ließ es sich erwarten, daß wir nun vor dem schlechten Gesindel dort Ruhe haben würden. Aber dann lebten doch hier die Eltern und der Bruder, und Vater, Mutter und James sind so liebe, treffliche Leute, da glaubten wir denn Beide, es sei besser, in deren Nähe zu wohnen und sie zu Nachbarn zu haben. Vielleicht sucht sich dann James mit der Zeit auch irgendwo ein Mädchen, das ihn gern hat, aus, und dann könnten wir eine ganz prächtige kleine Colonie bilden; oh, Miß Adele, wenn Sie nur dann in die Nähe kämen!“

„Kommt, Kinder – es ist Zeit zum Schlafengehen,“ sagte jetzt plötzlich der alte Lively, der seine Geschichte glücklich zu Ende gebracht hatte und dann müde geworden war. Der alte Mann hielt überhaupt seine ziemlich regelmäßige Zeit, und da des engen Raumes wegen der männliche und weibliche Theil der Gäste für diese Nacht in verschiedenen Häusern untergebracht werden mußte – die Damen sollten nämlich in Lively's, die Männer in Cook's Wohnhause schlafen – so konnte er selbst nicht eher zur Ruhe kommen, bis die Anderen nicht ebenfalls ihre Schlafstätten angewiesen bekommen. Mrs. Dayton, die seine Gewohnheit kannte, schob deshalb auch ihren Stuhl zurück und gab damit das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch.

Adele sprang ebenfalls empor; aber als ihr Blick den kleinen Raum schnell durchfliegen wollte, begegnete er plötzlich, und zwar dicht neben sich, dem auf ihr haftenden Auge James', das sich freilich, als ob er auf einer Frevelthat ertappt wäre, schnell und schüchtern abwandte; Adele aber, mit dem Gefühl, als ob sie einen Fehler begangen hätte, fürchtete fast, und wußte selbst doch eigentlich nicht warum, ihn beleidigt zu haben und sagte leise:

„Mr. Lively – ich – Sie sind wohl böse auf mich, daß ich die freundliche Einladung Ihrer Eltern so wenig zu schätzen scheine und schon morgen wieder fort will? – Es ist aber eine liebe Jugendfreundin von mir, die ich seit ihrer Verheirathung nicht gesehen habe, und – wenn ich Mrs. Lively nicht zur Last falle, dann komm' ich recht bald wieder heraus – und bleibe dann auch wohl längere Zeit hier. – Es gefällt mir recht gut hier draußen – viel besser als in Helena drin.“

„Sie sind zu gütig, Miß Adele,“ erwiderte James in größter Verlegenheit – „wie sollte ich denn böse auf Sie sein dürfen – ach – Sie wissen gar nicht –“

„Gute Nacht, Ladies,“ sagte Sander und trat ohne weitere Umstände zwischen die Beiden, „gute Nacht, Miß – schlafen Sie hübsch aus, denn wir haben einen scharfen Ritt vor uns.“ Die Hand des jungen Mädchens ergreifend, die er leise an seine Lippen drückte, verließ er schnell das Haus, und James, der jetzt zu seinem Schrecken sah, daß er der letzte der Männer war und die Damen augenscheinlich warteten, allein gelassen zu werden, folgte ihm eben so rasch. Mehr aus alter Gewohnheit als zu irgend einem andern Zweck, nahm er noch seine Büchse und Kugeltasche über der Thür weg und mit zu dem eigenen Lager hinüber. Er schlief nicht gern, wie er selbst gestand, ohne die Waffe in der Nähe zu wissen.

In Cook's Hause lag jedoch schon Cook's eigene Büchse über der Thür und der junge Mann hing deshalb seine Kugeltasche auf die eine Stuhllehne und stellte das treue Rohr in die Ecke neben sein Bett.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Flusspiraten des Mississippi