Die Einführung des Branntweinmonopols

Eine äußerst wichtige Erscheinung der letzten Zeit war die Einführung des Branntweinmonopols, welches zwar anfänglich nicht fiskalischen Zwecken dienen sollte, das aber später trotzdem für diese ausgebeutet wurde. Die Preise für Spiritusgetränke werden auf Antrag des Finanzministeriums vom Staatsrat festgesetzt, und zwar die äußersten Preise; innerhalb derselben darf aber der Minister für bestimmte Rayons die Preise selbst bestimmen, was ihm eine ungeheure Macht verleiht. Es wird nicht ohne Berechtigung behauptet, dass das Finanzministerium auf diese Art eine gewisse gesetzgeberische Macht erhält.

Das Branntweinmonopol ergibt die größten Einkünfte, beeinflußt aber die Finanzen der Städte und des Landes ungünstig. Früher hatte das Dorf die Schankkonzession zu erteilen und erhob selbst für diese Konzession einen Betrag, ein Recht, welches die ländliche Gemeinde mit Einführung des Monopols eingebüßt hat. Die Regierung berücksichtigt zwar mitunter den Widerspruch der Gemeinde gegen die Eröffnung einer Schenke, aber das Recht auf den Ersatzbetrag ist der Gemeinde ein für alle mal genommen. Die Finanzen der Städte haben ebenfalls durch das Branntweinmonopol großen Schaden erlitten, da die Schenken, die den Branntwein in versiegelten Gefäßen verkaufen, nur eine geringe Kommissionsentschädigung von der Regierung erhalten und folglich den Städten die Summe nicht auszahlen können, die sie früher für das Schankrecht zahlten; die Erlaubnis aber, den Branntwein frei auszuschenken, ist sehr schwer zu erlangen und wird nur ganz wenigen Schenken erteilt.


Die Hauptsache aber ist, dass die Branntweinbrenner durch das Monopol in Abhängigkeit von der Staatskasse geraten sind: die Regierung erwirbt den Spiritus bekanntlich von Privatgesellschaften, setzt nach Belieben bald hohe, bald niedrige Preise fest und erscheint so als Herrin der Situation.

Unter dem Einfluss der landwirtschaftlichen Krise wurden zur Hebung der Landwirtschaft den ländlichen Brennereien besondere Privilegien erteilt, und überhaupt trat die Tendenz hervor, die Brennereien und die Landwirtschaft mehr mit einander zu verbinden. Gegen das Monopol wird hauptsächlich eingewendet, dass es die Möglichkeit gibt, die Besteuerung des Spiritus nicht öffentlich zu erhöhen. Der Minister hat das Recht, innerhalb der vom Staatsrat festgesetzten Preise die Spiritussteuer heraufoder herabzuschrauben.

Bekanntlich wurde offiziell die Einführung des Monopols mit dem Wunsche motiviert, den Alkoholismus zu bekämpfen, zu welchem Zweck auch besondere Kuratorien in der Stadt und auf dem Lande organisiert wurden; allein diese Bestrebungen hatten geringen Erfolg.

Vor kurzem wurde ein Bericht über die Tätigkeit der erwähnten Kuratorien veröffentlicht, aus welchem zu ersehen ist, dass sie von der Regierung — außer Petersburg und Moskau — mit 2.157.000 Rubel subventioniert waren; außerdem erhielt Petersburg 600.000 und Moskau 250.000 Rubel. Die Gesamteinnahmen aller Kuratorien aber erreichten 5.869.000 Rubel. Abgesehen von den Regierungsunterstützungen, hatten sie nämlich Einkünfte aus Teeund Speisewirtschaften, aus Büchern und Lesehallen und aus Unter haltungsabenden.

Man kann nicht sagen, dass die Regierung sehr freigebig mit ihren Subsidien war,nnd so war denn auch die Tätigkeit auf diesem Gebiete nur äußerst bescheiden. In ganz Russland hatten die Kuratorien im Jahre 1901: 3.254 Tee- und Speisehallen und 1.711 Volksbibliotheken eröffnet. Es ist charakteristisch, dass die Besucher an den letzteren kein reges Interesse nehmen, da die Bücher schlecht gewählt sind. Bücherlager gab es im ganzen Reiche im Jahre 1901 nur 200 und nur 2.697 Lesestellen existierten für das Volk in ganz Russland, dem doch wirklich die Ausbreitung von Bildung nottut!

Wir sehen also, wie wenig diese Gesellschaften zu leisten imstande sind, wie ihre Tätigkeit bei der Bekämpfung des Alkoholismus kaum ins Gewicht fällt. Man weist zwar auf den bureaukratischen Charakter derselben hin, es könnte jedoch nur zum Teil besser werden, wenn die Semstwos und die Städte sich damit befaßten, da der Mangel an Mitteln und die allgemeinen Verhältnisse, in denen der Alkoholismus wurzelt, seine Ausrottung verhindern. Der Alkoholismus wurzelt im letzten Grunde in der Armut der Bevölkerung selbst. Eine Hebung der Arbeiterlage, der Fabrikgesetzgebung und der Lage des Landvolks würde das einzige Radikalmittel zu seiner Bekämpfung sein. Unser Bauer trinkt aus Armut: um den Anblick der darbenden Kinder, die drohende Hungersnot, die zerfallene Hütte, die Missernte auf eine Weile zu vergessen, sucht er sich durch Branntweingenuss zu betäuben. Nur so entgeht er auch der moralischen Not und spürt nicht jene drückende Atmosphäre, die ihn umgibt; denn auf dem Bauern lastet der Druck des Landhauptmanns, des Ortsschulzen und der gesamten Obrigkeit. Er ist sich stets dessen bewußt, dass er keine Sicherheit hat, dass sein Recht mit Füßen getreten wird, und, um die Entehrung seiner persönlichen Würde nicht mehr so schmerzlich zu empfinden, nimmt er zum Schnaps seine Zuflucht. Ein ähnliches Los drängt auch den Fabrikarbeiter, den Handwerker, den Ladenangestellten zum Spiritus. Selbst das intelligente Russland trinkt viel, wenn auch nicht aus Armut, so aus Kummer; denn schrecklich ist die Dissonanz zwischen den Grundlagen des russischen Lebens und dem immer wachsenden Persönlichkeitsgefühl. Die Individualität kann sich unter dem herrschenden Drucke niemals frei ausleben, die Fähigkeiten können sich nicht entfalten; und wenn die so Unterdrückten ihr Bestes immer wieder verkommen sehen, dann greifen sie zuletzt zum Alkohol, so muss man denn die Trunksucht aus diesen Gründen entschuldigend als einen gewissen notwendigen sozialen Faktor anerkennen. Diese Menschen sind, wie schon früher gesagt wurde, zersplittert und einsam, weil den Vereinigungen jedes denkbare Hindernis in den Weg gelegt wird, und so sind sie einfach darauf angewiesen, die Schenken aufzusuchen, wo sie allein ihr Bedürfnis nach Geselligkeit in rechtlicher Weise befriedigen können. Darin sehen sie Klubs und Bureaus für Arbeitsnachweis, und so ziehen sie gewisse Vorteile aus dem Schenkenleben: man muss begreifen, dass der Alkoholismus eine soziale Krankheit ist, die, wenn man sie ausrotten will, an den tiefsten Wurzeln angefasst werden muss; man bessere die materielle Lage des Volkes und gebe ihm Bildung — alle andern Mittel werden nur eine kurze, vorübergehende Wirkung haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Finanzpolitik
Nikolaus I. (1769-1855), russischer Zar

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Moskau

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Tatar auf der Halbinsel Krim

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Strafe des Räderns z. Zeit Peters des Großen

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Russische Kirche

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