Die Erfinder Niépce und Daguerre

Ohne Kenntnis voneinander zu haben, beschäftigten sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts zwei Franzosen, Niépce und Daguerre, mit dem Fotografischen Problem.

Abb. 11 Stereo-Daguerreotypie um 1850 Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin


Der Ehegatte als Daguerreotypiste, Satirische Lithographie von Ch. Vernier, Um 1840, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Abb. 12 „Pikante“ Stereo-Daguerreotypie um 1850, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Joseph Nicephore Niépce (1765—1833) in Châlon-sur-Saône, ur sprünglich Lehrer, dann bis zu einer Erkrankung Offizier, später Erfinder auf verschiedenen Gebieten, war durch Aloys Senefelders (1771—1834) Lithographien zu Versuchen angeregt worden, die Bilder der Camera obscura haltbar zu machen; er ersetzte den lithographischen Schiefer durch Metallplatten, überzog diese mit lichtempfindlichen Schichten und kopierte geeignete Vorlagen auf diese. Bereits im Jahre 1816 konnte Niépce mit Hilfe seiner „Heliographie“ ätzbare Druckplatten herstellen; er verwendete in jenen Jahren eine lichtempfindliche Asphaltschicht auf Metall, löste die unbelichtet und deshalb löslich gebliebenen Schichtteile weg und ätzte den frei gelegten Metallgrund. Derartige Verfahren werden heute noch in der reproduktionstechnischen Druckplattenherstellung verwendet. Im Jahre 1822 soll Niépce auf seinen lichtempfindlichen Schichten den ersten Bildeindruck in der Camera obscura bei einer Belichtungszeit von 12 Stunden erhalten haben, und man neigt in seiner Heimat Frankreich dazu, in diese Zeit die Geburtsstunde der Fotografie zu verlegen. Niépce und Daguerre bezogen ihre Apparate von dem Pariser Optiker Charles Chevalier (1804-1859), der im Jahre 1826 Niépce darauf aufmerksam machen ließ, dass der Maler Louis Jacques Mande Daguerre (1787-1851) in Paris ähnliche Versuche mache, und auch Daguerre auf die Versuche des Niépce verwies. Da wandte sich bald darauf Daguerre brieflich an Niepce, und als dieser ein Jahr später durch Paris reiste, lernte er Daguerre persönlich kennen; dieser war als Landschafts- und Theatermaler, hauptsächlich aber als Erfinder der Dioramen (1822), d. h. großer, auf durch scheinendem Stoff zweiseitig gemalter Bilder, bei welchen durch wechselnde Beleuchtung Bildveränderungen eintraten, ein weit bekannter Mann, der die Einkünfte aus seiner Erfindung bei seinen Fotografischen Experimenten verbrauchte. Die anfängliche gegenseitige Zurückhaltung beider Erfinder schwand, als Niépce den Daguerre veranlasste, mit ihm einen notariellen Vertrag über die weitere Zusammenarbeit und die Ausbeutung „der von Niépce gemachten und von Daguerre vervollkommneten Erfindung“ zu schließen; dieser Vertrag kam am 14. Dezember 1829 zustande und sollte 10 Jahre gelten; jedoch schon im Jahre 1833 starb Niépce und hinterließ Daguerre alle seine Erfahrungen und Ergebnisse; dieser selbst einigte sich mit dem Sohn Isidore Niépce (1805-1868), der in die vertraglichen Rechte seines verstorbenen Vaters eintrat. Niépce-Vater hatte sein heliographisches Reproduktionsverfahren auf asphaltüberzogenen Metallplatten, Daguerre eine neue Anordnung der Aufnahmekamera (Einführung periskopischer Linsen) in die Gemeinschaft eingebracht. Niépce hatte bereits Versuche mit Silberplatten angestellt, die er Joddämpfen aussetzte, um blanke Stellen abzudecken (1829); Daguerre fand (1831), dass das Licht auf das sich bildende Jodsilber einwirke, eine Entdeckung, die er angeblich einem Zufall verdankte, und die durch einen weiteren Zufallsfund, die Entwickelbarkeit des latenten, d. h. durch Belichtung unsichtbar erzeugten Bildes auf Jodsilberschichten durch Quecksilberdämpfe, entscheidend für die Gestaltung und Ausübungsmöglichkeit der Fotografie in einem uns heute noch geläufigen Sinne wurde. Daguerres „Hervorrufung“ des latenten Jodsilberbildes durch Quecksilber dämpfe ermöglichte eine 60bis 80 fache Abkürzung der Belichtungszeit, d. h. einen außerordentlichen Fortschritt, wenn man bedenkt, dass Niépce seine Asphaltschichten viele Stunden lang der Lichtwirkung in der Camera obscura aussetzen musste, während Daguerre sonnenbeschienene Gebäude in einer Viertelstunde im Bilde festhalten konnte. Vielleicht wäre Daguerre, auf sich selbst angewiesen, nie zur Lösung des Problems gelangt; sicher aber entstammen seinen Beobachtungen jene Verbesserungen, welche die Erfindung des Niépce erst lebensfähig machten. Vergeblich versuchten Daguerre und Niépce-Sohn (1837 bis 1838) eine geldliche Ausbeutung der neuen Erfindung; und so beschlossen sie gegen Ende des Jahres 1838, den Physiker Francois Arago (1786—1853) in das Verfahren einzuweihen, um es durch ihn der französischen Regierung anzubieten. Auch Alexander von Humboldt (1769—1859) gehörte zu den Auserwählten, welche in der Werkstatt des Daguerre (im „Diorama“, das mit allen Fotografischen Versuchen am 8. März 1839 einer Feuersbrunst zum Opfer fiel) die ersten Fotografischen Bilder entstehen sahen. Arago erkannte sogleich die Tragweite der Erfindung und machte am 7. Januar 1839 der französischen Akademie der Wissenschaften die erste Mitteilung, setzte sich in den folgenden Monaten mit ganzer Kraft unter Ausnutzung seines großen Ansehens und seiner vielseitigen Beziehungen für Daguerre ein und erreichte, dass durch ein im Juli 1839 angenommenes Gesetz Daguerre eine lebenslängliche Jahresrente von 6.000 Franken, Niépce-Sohn eine solche von 4.000 Franken zugesichert wurde gegen Bekanntgabe der genauesten und ausführlichsten Beschreibung der Erfindung. Daraufhin konnte Arago in der denk würdigen Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Paris am 19. August 1839 in allen seinen Einzelheiten das Verfahren bekanntgeben, dem man zu Ehren des noch lebenden Miterfinders den Namen „Daguerreotypie“ gab, während die Aufnahmekamera „Daguerreotyp“ genannt wurde. Dieser Tag machte die Fotografie zum Gemeingut aller Menschen; in allen Kulturländern erschienen Beschreibungen des Verfahrens, die ersten aus Daguerres Hand stammenden Bildproben (einstweilen nur Stillleben, Architekturen und Landschaften) wurden mit hohen Summen bezahlt, und allerorts begann man mit Fotografischen Experimenten.

Abb. 13 Stehender Akt, Fotografie um 1880
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Erotik in der Fotografie
Erotik 011 Stereo-Daguerreotypie um 1850 Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Erotik 011 Stereo-Daguerreotypie um 1850 Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Erotik 012 „Pikante“ Stereo-Daguerreotypie um 1850, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Erotik 012 „Pikante“ Stereo-Daguerreotypie um 1850, Sammlung Professor Erich Stenger, Berlin

Erotik 013 Stehender Akt, Fotografie um 1880

Erotik 013 Stehender Akt, Fotografie um 1880

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