Die Ermordung Kotzebues.

Autor: Börne, Carl Ludwig (1786-1837)
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Die Ermordung Kotzebues. – Man kömmt nie zu spät und zu weit her, sich diese Begebenheit zu beschauen; sie ist der Kristallisationspunkt, um den die neue Geschichte der Deutschen sich ansetzt. Nicht die nachgeborenen Folgen, erst die Enkel der furchtbaren Tat werden unter dem Fluche des Schicksals erliegen. Es gibt keine Betrachtung, die sich hier nicht anreihen ließe, und darum darf auch nichts, was in diesem Kreise liegt, unbetrachtet bleiben. Professor Lehmann hat eine „Beleuchtung einiger Urteile über Kotzebues Ermordung“ herausgegeben. Das Werkchen ist zu Bartenstein in Ostpreußen (nahe bei der russischen Grenze) erschienen. Es ist nicht lang, aber breit und in einem stammelnden Stile geschrieben, so daß, der Natur dieses Sprachfehlers gemäß, bald ein Sinn fehlt, bald ein anderer sechsmal wiederholt wird. Der Verfasser nimmt sich die unnötige Mühe, zu beweisen, daß Kotzebue kein Spion gewesen sei, und gibt über diese Würde eine gelehrte Erläuterung, deren Gründlichkeit wir auf Glauben annehmen müssen, da wir von der Sache gar nichts verstehen. Dann wird eifrig der Vorwurf widerlegt, als habe Kotzebue gesucht, die deutsche Freiheit zu untergraben. Etwa, weil er gegen das Turnwesen und den heißen Verfassungstrieb geredet? Unsere gelehrten Vorfahren haben von allem diesem Zeuge nichts gewußt (sagt Herr Lehmann). „Wenn es wahr ist, daß der wissenschaftliche Geist unter Deutschen sehr lau und stille wird, weil der Geist unter ihnen sich mit seinem Wissen und Prüfen auf die bürgerliche Seite legt (der Verfasser scheint sich auf die adelige zu legen); auf Verfassungen, Abgaben, Maschinen, Reformen, Berechnungen (also selbst die Mechanik und die Arithmetik käme uns nicht zu?); der in einem Mystizismus verfällt, dagegen unsere Eltern mit ihrem Denken rein wissenschaftlich werden konnten, indem ihre Bürgerlichkeit in Ruhe und Bestand lebte (d.h. schlief), ohne sie so anzuschlagen in lauter Veränderungen und Raffinerien, wie solche wir erfahren, so sind eben die Anstalten und das Treiben der Zeit, gegen welche K. sich empörte, von der Art, daß man sagen muß, sie allein führen uns mit der wahrhaft wissenschaftlichen Aufklärung in Finsternis und Barbarei, und K. hatte, indem er gegen ein solches bürgerliches Treiben sich verbreitete, wohl gar nicht das Verdienst (wohl gar noch!), eben der Barbarei, welche uns droht, entgegen zu wirken und die wahre Aufklärung unter uns zu fördern. Es ist also ein gar irriger Gedanke in dem Schlusse: wer das bürgerliche Licht in Deutschland auslöschen will, geht auf eine totale Finsternis aus, indem vielmehr das bürgerliche Licht den wissenschaftlichen Geist ganz ausbrennt und selbst erlöschen muß, wenn eine freie Wissenschaftlichkeit gedeihen soll. Indem unsere Philosophen sich in Kriegswissenschaften werfen, in Staatswissenschaften und auf der bürgerlichen Oberfläche der äußern Freiheit umtreiben, vernachlässigen sie die rein wissenschaftliche Tiefe des freien Geistes, und so sind eben sie es, die eine Barbarei des Geistes über uns bringen; wer sie nun in diesem bürgerlichen Felde angreift, um solche Freiheiten ihnen zu beschneiden, ist dagegen eben der, welcher die eigentliche Barbarei begraben und die wahre Freiheit des Geistes erhalten will.“ Wenn Herr Lehmann durch die Lehre oder Heuchelei solcher Grundsätze sich auf die schwere Seite zu werfen gedachte, so kann man ihm das leicht verzeihen, da er sie durch sein Gewicht wahrlich nicht schwerer gemacht hat; aber die angeführten Reden führen zu Folgerungen, die er nicht beabsichtigt haben konnte. Denn wenn es wahr ist, daß das bürgerliche Licht den wissenschaftlichen Geist ganz ausbrennt, so würde ja daraus folgen, daß alle diejenigen, welche mit bürgerlichen Dingen beschäftigt sind: sämtliche Minister und Staatsbeamten, unwissende Menschen und niedergebrannte Geister wären, die man auf ein Profitchen stecken müßte – eine Behauptung, die wenigstens Herr Lehmann nicht wagen wird. Die so häufig ausgesprochene Unverträglichkeit des wissenschaftlichen Forschens mit der Teilnahme an bürgerlichen Angelegenheiten ist eine so plumpe Lüge, daß sich auch der schwachsinnigste Mensch nicht dadurch täuschen läßt. Cicero war trotz seiner Gelehrsamkeit ein so großer Bürgermeister als irgend einer unserer Zeit, der diesen Fehler nicht hat. Cäsar schrieb trotz seiner Heldentaten so gut als ein Professor in Breslau, und man hört nicht klagen, daß so viele berühmte, gelehrte Mitglieder der deutschen Bundesversammlungen durch ihren wissenschaftlichen Geist in ihren Staatsgeschäften je wären aufgehalten worden. Über Kotzebues Ermordung sagt Herr Lehmann sehr naiv, er werde der Meinung sein, welche die Regierungen davon haben werden. Bei der Frage also, ob dieser Mord ein gemeiner sei oder nicht, muß in Beziehung auf K. die Antwort noch warten, bis man sieht, was die Regierungen aus ihm machen werden (das sind echte gehorsame Ansichten). Daß sich unsere Jugend so viel herausnehme, daran wären Umstände schuld, „wohin ich (sagt der Verfasser) außer dem Turnwesen, welches die Körper und Geister wählig macht, auch das noch rechne, daß unsere Schulen die Köpfe der Kinder so anfüllen, daß dieselben leicht die Köpfe der Eltern überwiegen, wodurch denn der Sohn über den Vater, der Jüngling über den Alten eine Bedeutung bekommt, als dürfe er sich nur immerhin zum Herrschen anschicken; zumal die Zeit mit ihrer wilden Not die Alten so mürbe geschlagen hat, daß sie überall an Kraftlosigkeit und Schwächen leiden.“ Kostbare Geständnisse, die Herr Lehmann aus Unachtsamkeit verloren hat! Wenn unsere Alten zu wenig gelernt haben und unsere Jugend zu viel lernt, so widerspricht ja das der frühern Behauptung, daß die Wissenschaftlichkeit der Vorfahren in dem bürgerlichen Treiben des jetzigen Geschlechts zu Grunde gegangen sei. Mürbe – ja, das ist das rechte Wort, aber nicht die Not der Zeit hat die Alten mürbe geschlagen, sie hat sie so gefunden; wären sie nicht mürbe gewesen, hätte die Not der Zeit nicht entstehen können ... Um dem herrschenden Mystizismus entgegen zu wirken, schlägt der Verfasser das Studium der Logik als einen sichern Damm vor. Wir haben die Logik immer höchst langweilig gefunden; aber wenn es ihr gelingt, die Mystik, diese schändliche Gelegenheitsmacherin des Despotismus, zu vertreiben, so wollen wir ihre besten Freunde werden und täglich beim Frühstücke eine Viertelstunde in des Professors Maas Kompendium lesen.