Die deutsch-russischen Handelsbeziehungen von 1800-1870.

Während im Verlaufe des 17. und 18. Jahrhunderts ökonomische und fiskalische Interessen sowohl Russlands als auch Preußens und der anderen deutschen Staaten zu einer immer größeren Entwicklung des deutsch-russischen Handelsverkehrs führten, wurden um die stürmische neunzehnte Jahrhundertwende politische und kriegerische Momente für die Handelspolitik maßgebend und verhinderten während der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts eine weitere Ausgestaltung des internationalen Handels. So ließ der Zar Paul I. am 26. März 1799 alle in den russischen Häfen befindlichen Hamburger Schiffe beschlagnahmen, da er seit einiger Zeit eine „Geneigtheit der Hamburgischen Behörden zu anarchistischen Regeln und eine Anhänglichkeit an die Regierung der französischen Usurpatoren" zu bemerken glaubte (43). Gegen Ende des Jahres 1800 verbot er die Einfuhr von Seiden-, Baumwoll-, Leinen- und Hanfstoffen, von Glas und gläsernen Gegenständen, Porzellan und Steingut (44), eine Maßnahme, die die preußische Tuchindustrie besonders schwer traf, da deren Absatzgebiet sich über ganz Russland bis nach China und Indien hin erstreckte. So betrug die russische Durchfuhr ausländischen Tuches nach China bis 1800 jährlich 60.000 Stück. Im Jahre 1808 nur noch 8.000 Stück. Als im Jahre 1801 Russland sich mit Frankreich verbündete, und sich auch der von Napoleon verfügten Kontinentalsperre anschloss, verbot Paul I, die Ausfuhr russischer Waren nicht nur nach England, sondern auch nach Deutschland, um selbst den indirekten Verkehr mit England zu unterbinden.

Der Nachfolger Pauls, Alexander I. war zwar in der Ideenwelt Adam Smiths aufgewachsen und versuchte auch gleich nach seinem Regierungsantritte freihändlerischen Theorien Geltung zu verschaffen. Doch seine anfänglichen Bestrebungen hatten keinen dauernden Bestand. Die Ziffern des russischen Außenhandels zeigen das ganz deutlich. Im letzten Regierungsjahre Pauls I. betrug der Wert der Ausfuhr Russlands 61.086.000 Rb., der der Einfuhr 46.359.000 Rb., in den ersten Regierungsjahren Alexanders 1801 bis 1805 war der jährliche Durchschnitt der Ausfuhr 75.108.000 Rb. , der Einfuhr 52.765.000 Rb., doch schon in den nächsten Jahren 1806 bis 1808 sank der Jahresdurchschnitt der Ausfuhr auf 43.169.000 Rb., der der Einfuhr auf 32.819.000 Rb. Suchen wir den Gegensatz zwischen den Anstauungen des Zaren Alexander und der während seiner Regierungszeit befolgten Handelspolitik, die eine Fortsetzung und Verstärkung eines starren Prohibitiv-Systems bedeutete, zu erklären, so ergibt sich folgendes:


Die häufigen Kriege und unausgesetzten kriegerischen Vorbereitungen, in die Russland seit der Jahrhundertwende verwickelt war, verursachten ungeheure Ausgaben, die mit den gewöhnlichen Staatseinnahmen nicht zu decken waren. Da griff man zu einem gefährlichen Hilfsmittel, zur Ausgabe von Assignaten, die in immer größeren Mengen in Umlauf gesetzt wurden. Die Folge war, dass der Kurs des Papiergeldes dauernd sank. Noch im Jahre 1784 war der Papierrubel 99 Silber-Kopeken wert,

im Jahre 1800 nur noch 64 Silber-Kopeken
im Jahre 1808 nur noch 50 Silber-Kopeken
im Jahre 1809 nur noch 43 Silber-Kopeken
im Jahre 1810 nur noch 35 Silber-Kopeken
im Jahre 1811 nur noch 23 ½ Silber-Kopeken (45).

Die russische Regierung ergriff nun unter Alexander I. energische Maßnahmen, um dieser katastrophalen Entwicklung Herr zu werden und arbeitete im Jahre 1809 einen Aktionsplan aus, der unter den gegenwärtigen Verhältnissen besonders erwähnenswert ist. Er bestand im großen und ganzen darin, dass die Regierung

1. die Kreditbillette als Staatsschuld anerkennen und ihre weitere Ausgabe unbedingt vermeiden sollte,
2. neue Steuern einführen, eine weitere Erhöhung der Ausgaben verhindern und das Budget in Ordnung bringen sollte,
3. die Zahl der im Umlauf befindlichen Assignaten vermittelst allmählicher Löschung einschränken sollte.

Aber ein derartiger Plan würde nach Meinung seines geistigen Urhebers, Speransky, nur dann zum vollen Erfolge führen, wenn gleichzeitig ein Zolltarif zur Anwendung gelangte, der

1. eine möglichst große Einschränkung der Einfuhr ausländischer Waren und
2. eine möglichste Erleichterung der Ausfuhr inländischer Produkte bewirken würde (46).

Auf diesen Grundlagen wurde das „Statut über den Handel für das Jahr 1811" ausgearbeitet. Gemäß diesem Statut konnten fast alle wichtigen Rohstoffe zollfrei ausgeführt werden, nur von Flachs, Hanf und noch einigen Artikeln, in denen Russland keine Konkurrenten auf dem europäischen Markte hatte, wurde ein mäßiger Zollsatz erhoben, — Zur Einfuhr dagegen waren nur zugelassen einige Hand= Werkzeuge mit mäßigem und Kolonialwaren mit hohem Zollsatz. Für alle übrigen Gegenstände war die Einfuhr überhaupt verboten. Längs der ganzen 150 deutsche Meilen langen Grenze von Memel bis zur Donau wurde die Einfuhr auf drei Punkte beschränkt, die Zollämter Polangen bei Memel, Radziwilow bei Brody und Dybosary am Dnjestr (47).

Die russische Regierung war sich wohl bewusst, welch große Beschränkungen das Statut sowohl für den Handel als auch für die Verbraucher verursachen würde und sah es nur als äußerste zeitweilige Maßnahme an. Aber sowie der damalige Finanzminister Graf Gurjew, der sich bald überzeugt hatte, welch großen Schaden eine dauernde Handelssperre für die russische Volkswirtschaft verursachte (48), sich anschickte, einige Breschen in dies starre Verbot-System zu schlagen, erfolgten laute Proteste aus industriellen Kreisen, die solche Maßnahmen als schädlich und unpatriotisch bezeichneten. Unter dem Einflüsse dieser Proteste ließ der Zar die Reformen des Finanzministers unausgeführt, und so wurde das Statut, das zunächst nur für das Jahr 1811 berechnet war, immer wieder bis zum Jahre 1815 verlängert.

Gründe der hohen Politik waren es wieder, die in diesem Jahre den Zaren Alexander veranlassten, das Handelsstatut aufzugeben. Nachdem durch die endgültige Besiegung Napoleons die seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts unaufhörlich tobenden Kriege zu einem Abschluss gelangt waren, setzte als natürliche Reaktion eine Epoche freundschaftlicher Kongresse ein, auf denen die Ideen der Völker-Verbrüderung, der allgemeinen Abrüstung und des ewigen Friedens üppige Blüten trieben . . . Natürlich war die Wiederherstellung freundschaftlicher Handelsbeziehungen zwischen den europäischen Völkern ein wesentlicher Programmpunkt auf diesen Kongressen, und so willigte Zar Alexander, der persönlich, wie schon erwähnt, freihändlerischen Ansichten huldigte, auf dem Wiener Kongress ein, die wirtschaftliche Isolierung Russlands aufzugeben und an einer ökonomischen Annäherung der europäischen Staaten mitzuwirken. — Der im Jahre 1816 erschienene neue russische Zolltarif stellt einen vorsichtigen Übergang dar, die Mehrzahl der Industrieerzeugnisse blieb immer noch von der Einfuhr ausgeschlossen, erlaubt waren: Schreibmaterialien, billige Tucharten, fertige Kleider, Pelze, Waffen, Messerwaren, Gegenstände aus Gips, Alabaster usw. Der Zoll betrug 25 % des Wertes, für Tuche 35%. Um eine zu niedrige Zolldeklarierung zu verhindern, erhielten die Zollbeamten das Recht, jede eingeführte Ware gegen Zahlung des angegebenen Wertes zuzüglich 10% Verdienst für sich zu behalten (49).

Bisher haben wir in diesem Abschnitt immer nur von der russischen Handelspolitik und ihrem Einfluss auf den deutsch-russischen Handelsverkehr gesprochen. Von einer deutschen Handelspolitik konnte deshalb nicht die Rede sein, weil im Anfange des 19. Jahrhunderts in Deutschland noch ein zollpolitisches Chaos herrschte. Provinz und Provinz, Stadt und Stadt, Stadt und Land standen einander gegenüber mit besonderen Steuergesetzen und besonderen Zolleinrichtungen. In den Tarifen herrschte eine grenzenlose Verwirrung, sie wurden durch Deklarationen ergänzt und einzelne Bestimmungen durch besondere Verfügungen ersetzt, dabei wurden noch die alten Tarife subsidiär benutzt. Kein Mensch kannte sich schließlich aus, und jeder Kaufmann, der einen etwas beträchtlichen Handel mit fremden Waren hatte, musste nach Bequelins Worten bloß für sein Geschäft mit der Akzise einen eigenen Angestellten halten (50). Derartige Verhältnisse erschwerten natürlich jede kaufmännische Tätigkeit ungemein und machten irgendeine Einflussnahme auf den auswärtigen Handel unmöglich.

Es bedurfte erst der eisernen Rücksichtslosigkeit Napoleons, um auch hier gründlichen Wandel zu schaffen. Nachdem er 1806 fast ganz Preußen erobert hatte, führte sein Finanzadministrator in Berlin, Estève, bereits im März 1807 einen einheitlichen Grenzzolltarif für sämtliche preußischen Provinzen ein, dessen Sätze sich zwischen 8 und 25% des Wertes bewegten. Dieser Tarif blieb auch in Geltung, nachdem das Land von den Franzosen geräumt worden war. Aber nach der Besiegung Napoleons war Preußens Zollwesen durch die Wiedererwerbung abgetretener Provinzen und durch die Neuerwerbungen wieder in große Verwirrung geraten. In einem Berichte des Finanzministers Bülow heißt es darüber: „Es bestehen noch innere Grenzen mitten im Staate in Ansehung der Besteuerung, welche sich jetzt, da die Departements- und Kreiseinrichtungen sich nicht nach den ehemaligen Grenzen richten können, oft in demselben Departement und Kreis befinden, so dass die Untertanen im Lande selbst, wenn sie von einem Orte zum anderen gehen, ohne von diesen Grenzen unterrichtet zu sein, vor der Konfiskation ihrer Waren und der Bestrafung als Defraudanten bei dem redlichsten Willen nicht sicher sind . . .“ (51). Diese Zustände im Inneren und ihre Rückwirkungen auf die Handelspolitik den auswärtigen Staaten gegenüber, die sich sämtlich durch radikale Schutzzollsysteme absperrten und denen gegenüber es Preußen-Deutschland an jeder Handhabe fehlte, führten endlich nach vielen fruchtlosen Reformversuchen zum „Gesetz über den Zoll und die Verbrauchssteuer von ausländischen Waren und über den Verkehr mit den Provinzen des Staats, vom 26. Mai 1818". Durch dieses Gesetz wurden sämtliche Zollschranken im Inneren des Landes aufgehoben und eine Zollinie um ganz Preußen gelegt, Preußen war endlich zu einer wirtschaftlichen Einheit geworden! Die wichtigsten der 29 Paragraphen dieses Gesetzes sind folgende:

§ 1. Alle fremden Erzeugnisse der Natur und Kunst können im ganzen Umfange des Staates eingebracht, verbraucht und durchgeführt werden.
§ 2. Allen inländischen Erzeugnissen der Natur und Kunst wird die Ausfuhr verstattet.
§5. Die vorstehend ausgesprochene Handelsfreiheit soll der Verhandlung mit anderen Staaten in der Regel zur Grundlage dienen. — Erleichterungen, welche die Untertanen des Staates in anderen Ländern bei ihrem Verkehr genießen, sollen, soweit es die Verschiedenheit der Verhältnisse gestattet, erwidert, und zur Beförderung des wechselseitigen Verkehrs sollen, wo es erforderlich und zulässig ist, besondere Handelsverträge geschlossen werden. — Dagegen bleibt es aber auch vorbehalten, Beschränkungen, wodurch der Verkehr der Untertanen des Staates in fremden Ländern wesentlich leidet, durch angemessene Maßregeln zu vergelten.
§ 6. Bei der Einfuhr wird von fremden Waren ein Zoll erhoben, der in der Regel ½ Thaler für den preußischen Zentner beträgt.
§ 7. Bei der Ausfuhr gilt die Zollfreiheit als Regel. — Die Ausnahmen ergibt der Tarif.
§ 16. Der Verkehr im Innern soll frei sein und keine Beschränkungen desselben zwischen den verschiedenen Provinzen oder Landesteilen des Staates künftig stattfinden.
§ 23. Es ist nur einmal Ein- und Ausfuhrzoll zu erlegen.
Die Andreaskirche in Kiew

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Fürst Mentschikoff

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Astrachan

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Aus dem russischen Volksleben

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Blick auf Smolensk

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Chiwa

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Die Kathedrale zur hl. Sophie in Nowgorod

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Dorf an der Wolga

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Eriwan

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Fischer an der Wolga

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Heiratsmarkt im Petersburger Sommergarten

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In Moskau kam es zu großen Studentenunruhen

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