Vierte Fortsetzung

Noch im selben Jahre 1840 leitete der persönlich in Berlin weilende russische Finanzminister neue Verhandlungen ein. Der preußische Minister von Alvensleben gab ihm in einer Denkschrift folgende Wünsche kund:

1 . Herabsetzung der russischen Zölle für Seiden-, Woll-, Baumwoll-, Leinen-, Stahl- und Eisenwaren,
2. Bevollmächtigung der drei russischen Hauptzollämter zur Expedition aller nichtverbotenen Waren,
3. dieselbe Befugnis für die polnischen Hauptzollämter hinsichtlich der nach Russland transitierenden Güter,
4. Erleichterung der Zollabfertigung und Errichtung neuer Neben-Zollämter ,
5. Gleichstellung der preußischen Flagge in Russland und Finnland mit der eigenen,
6. Zulassung der Dampfschifffahrt zwischen Stettin und Petersburg, die bisher zugunsten einer privilegierten Lübeck-Petersburger Linie verboten war.


Im Hinblick auf Polen verlangte die preußische Regierung ebenfalls: 1. Zollerleichterung, 2. Ausdehnung der Befugnisse der Haupt-Zollämter, 3. unbeschränkte Transitfreiheit durch Polen, 4, erleichterten Grenzverkehr, 5. Förderung des Jahrmarktverkehrs, 6. Befreiung der Flussschifffahrt von der 1838 eingeführten Kommunikationsabgabe (75).

Die russischen Unterhändler willigten aber nur in folgendem ein:

1. Gleichstellung der preußischen Schiffe mit den russischen,
2. Gründung zweier neuer Zollämter an der russisch-preußischen Grenze,
3. Erhöhung der Grenzübergangsstellen von 7 auf 12.

Hinsichtlich Polens wurde in die Schaffung einiger neuer Zollämter und Grenzübergangsstellen eingewilligt. — Dagegen verlangten die Russen für ihren Transithandel durch Preußen die Wiedereinführung der Bedingungen des Vertrages vom Jahre 1825 (76).

Die preußische Regierung erklärte die russischen Zugeständnisse für wertlos und drohte mit Nichtverlängerung der Kartellkonvention, durch die Russland in den Stand gesetzt war, die militärische Bewachung seiner Grenzen durchzuführen, da andernfalls ein großer Teil der leibeigenen Soldaten desertieren würde. Nach weiteren Vorschlägen und Gegenvorschlägen gab die russische Regierung am 2. Juli 1842 einen Ukas heraus, betitelt „concessions définitives accordées par la Russie à la Prusse". Darin wurde zugestanden gegenseitige Gleich-Stellung der Flagge, Vermehrung der Zollämter und Grenzübergangsstellen, sowie weitere Erleichterung des Grenz- und Marktverkehrs, die Zollsätze für preußische Leinen- und Hanfwaren wurden herabgesetzt und Meistbegünstigung gewährt. Die Zollämter Polangen, Tauroggen und Yourburg wurden dem Petersburger Zollamte gleichgestellt, ebenso das in Brest-Litowsk, das die Befugnis erhielt, alle preußischen Waren zum Transit durch Polen nach Odessa passieren zu lassen. Ebenso wurden für den preußisch-polnischen Grenzverkehr bedeutende Erleichterungen bewilligt, die polnischen Abgaben auf Flüssen und Kanälen aufgehoben, die Chausseeabgaben erniedrigt und freier Transit durch Polen gewährt (77). — Diese Konzessionen bildeten insofern ein Kuriosum in der Geschichte der deutsch-russischen Handelsbeziehungen, als sie nicht Teil eines gegenseitig verpflichtenden Vertrages waren, sondern den Charakter einer freiwilligen Verpflichtung Russlands hatten. Aber sie waren nicht so ganz auf das Wohlwollen und die Freundschaft des Zaren Preußen gegenüber zurückzuführen, wie das die russischen Staatsmänner glauben machen wollten, das dicke Ende zeigte sich bald: die Zollermäßigungen waren nur für Waren preußischen Ursprungs gewährt, was natürlich in den übrigen Zollvereinsstaaten große Erregung auslöste. In Berlin glaubte man zunächst an ein Versehen der russischen Regierung, wurde aber bald eines Besseren belehrt. So blieb der preußischen Regierung nichts anderes übrig, als unter Hinweis auf die entgegenstehenden Bestimmungen des Zollvereins auf diese Sonderbegünstigungen zu verzichten. Der feine Schachzug der russischen Diplomaten tat aber dennoch seine Wirkung, Preußen ermäßigte seinen Transitzoll und erneuerte die Kartellkonvention auf 12 Jahre. Da zeigte sich auch Russland bereit, seine „concessions définitives'" auf den ganzen Zollverein auszudehnen und führte dieselben während der nächsten Jahre auch ziemlich streng durch.

Über die Höhe der in den vierziger Jahren geltenden russischen und deutschen Zollsätze gibt uns folgende Tabelle Auskunft (78):

Von diesen Artikeln erhielten infolge der ,,concessions definitives' die nachstehenden eine Ermäßigung der Eingangszölle, und zwar;

Es blieben also noch in fast allen Einfuhrgegenständen die russischen Zollsätze um ein Vielfaches höher als die des deutschen Zollvereins. Deshalb ging noch ein großer Teil des deutsc-russischen Handels auf Schmuggelwegen vor sich, so veranschlagte man den Ausfall an Zolleinnahmen, den Russland durch den Schleichhandel erlitt, für das Jahr 1845 auf 5.534.200 Taler, für 1846 auf 5.219.800 Taler (79), — Nach den amtlichen russischen Statistiken gestaltete sich der deutsch-russische Handelsverkehr in diesen Jahren wie folgt:

Die preußische Regierung ließ es auch weiterhin nicht an Vorstellungen fehlen, um Russland von den Schäden der hohen Zollsätze zu überzeugen. Im Februar 1846 wurde dem Zaren eine in ihrem Auftrage von dem Nationalökonomen Freiherrn von Reden verfasste Denkschrift übergeben, in der das Cancrinsche Zollsystem einer gründlichen Kritik unterzogen wurde, Sie hoffte damit die Stimmen am Zarenhofe zu stärken, die seit dem Rücktritte des Grafen Cancrin für eine Ermäßigung der russischen Zollsätze eintraten. Mit immer größerer Eindringlichkeit wurde auf die Gefahr hingewiesen, die Russland durch das Auftauchen neuer Konkurrenten auf dem europäischen Markte, wie Australien, die Vereinigten Staaten und Kanada drohte, die ihre Produkte zu billigen Preisen verkauften und die russische Ausfuhr von Jahr zu Jahr herabdrückten. Um dem zu begegnen, müssten die Preise der russischen Rohstoffe auf den auswärtigen Märkten verringert werden, und dies geschehe am besten durch den Fortfall der Ausfuhrzölle, Aber auch die Eingangszölle müssten verringert werden, denn das bestehende Sperr-System störe den Ausgleich von Ein- und Ausfuhr, den ja auch das Ausland erstrebe, und verteure überdies die eigenen russischen Produkte dadurch, dass die Schiffe anstatt mit Waren mit Ballast einliefen, um sie zu holen. - Zu diesen ökonomischen Erwägungen traten auch politische (81), die dahin gingen, Polen, wo, wie auch im übrigen Europa, in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts lebhafte nationale Strömungen aufkamen, stärker an Russland zu fesseln. Und zwar sollte dies durch Schaffung eines einheitlichen Zolltarifes geschehen, die 1822 zwischen Russland und Polen wiedererrichtete Zollgrenze sollte fallen. Da nun an der polnischen Grenze viel niedrigere Zollsätze galten als an der russischen, der hohe russische Zolltarif aber nach Meinung aller Sachverständigen nicht auf Polen angewendet werden konnte, ohne der polnischen Industrie schweren Schaden zuzufügen, so gelangte man auch aus diesen Erwägungen heraus zu einer Ermäßigung des russischen Zolltarifes.

Im Jahre 1846 wurde der russische Volkswirtschaftler Tengoborski beauftragt, eine Reform des Zolltarifes vorzubereiten, er sollte dabei:

1. die Zolltarife der anderen großen europäischen Staaten in Berücksichtigung ziehen,
2. angeben, welche Zölle, die nur aus finanziellen Erwägungen aufgestellt worden waren, sich als zu hoch erwiesen und den Verbrauch empfindlich beeinträchtigt hätten, zugleich Zollerniedrigungen vorschlagen, die den Schmuggel eindämmen, aber auch das Bedürfnis der Zolleinnahmen nicht aus den Augen verlieren sollten,
3. untersuchen, welche Einfuhrverbote sich als bereits überflüssig oder gar schädlich erweisen, und durch welche Zölle diese Verbote ersetzt werden könnten,
4. die Zollvereinigung mit Polen in Betracht ziehen (82).

Auf diesen Grundlagen baut sich der russische Zolltarif vom Jahre 1850 auf, der am 1. Januar 1851 in Kraft trat. Er bedeutete eine Wendung der russischen Zollpolitik vom Prohibitiv zum gemäßigten Schutzzollsystem. Die Zahl der für die Einfuhr verbotenen Artikel wurde von 89 auf 25 eingeschränkt. Erniedrigt wurden die Zölle auf fast sämtliche Rohstoffe, auf chemische Halbfabrikate, auf Maschinen und Instrumente, Die Zölle für Baumwoll-, Woll-, Leinen- und Seidentuche wurden um 10 — 15% ermäßigt, für Galanteriewaren von 6 auf 2 Rubel per Pfund, für einfache kleine Gegenstände auf 40 Kop. usw. Für die Ausfuhr wurden fast alle bis dahin verbotenen Gegenstände freigegeben und von 179 Zoll-Sätzen 151 ermäßigt. Dieser Tarif hatte auch eine bedeutende Belebung des russischen Außenhandels zur Folge, namentlich der Ausfuhr, die von 109 Mill. Rubel im Jahre 1850 auf 164 Mill. im Jahre 1853 wuchs, die Einfuhr nahm im gleichen Zeiträume von 108 auf 113 Mill, zu (83).

Die preußische Regierung zeigte sieb mit den russischen Zollermäßigungen nicht zufrieden, sie wären gerade für die die deutschen Kaufleute interessierenden Artikel unerheblich. Insbesondere sträubte sie sich gegen eine Zollvereinigung Russlands mit Polen, die dem Wiener Vertrage vom Jahre 1815 durchaus widerspräche. Der preußische Handel hatte an der Aufrechterhaltung des damaligen Zustandes nicht nur wegen der niedrigeren Zölle Polens ein Interesse, sondern auch wegen seiner mangelhaften Grenzbewachung und der großen Bestechlichkeit der polnischen Zollbeamten, die ihre russischen Kollegen in dieser Hinsicht noch um ein Erkleckliches übertrumpften. Doch zeigten sich die Befürchtungen, eine Neuorganisation des Zolldienstes an der preußisch-polnischen Grenze würde den illegalen Handelsverkehr unterbinden, in der Folge als grundlos.

Doch auch der regelrechte deutsch-russische Handelsverkehr entwickelte sich unter dem Einflüsse der gemäßigten Zollpolitik Russlands zusehends. Tengoborski, der spiritus rector des russischen Tarifes vom Jahre 1850 gibt an, dass die preußische Einfuhr, die während der Periode 1827—31 in Russland noch an achter Stelle stand, während der Jahre 1851 — 53 an die zweite Stelle rückte und nur noch von der englischen übertroffen wurde. Von dem Anteil der verschiedenen Staaten an dem Außenhandel Russlands im Durchschnitt der Jahre 1851 bis 1853 gibt uns Tengoborski folgendes Bild (84):

Moskau - Die Zaren-Glocke

Moskau - Die Zaren-Glocke

Moskau - Die Zaren-Kanone

Moskau - Die Zaren-Kanone

Moskau - Droschkenkutscher

Moskau - Droschkenkutscher

Moskau - Ein reicher Händler mit seiner Frau

Moskau - Ein reicher Händler mit seiner Frau

Moskau - Empfang im Kreml

Moskau - Empfang im Kreml

Moskau - Feuerwehr im Einsatz

Moskau - Feuerwehr im Einsatz

Moskau - Glockenspieler

Moskau - Glockenspieler

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