Erste Fortsetzung

Die günstige Wirkung dieses Gesetzes auf das handelspolitische Verhältnis in Russland machte sich bald geltend. Noch im selben Jahre gelang es, die sich jahrelang hinziehenden Verhandlungen zum Abschluss zu bringen. Den Ausgangspunkt derselben bildete der Artikel 18 des 1815 vereinbarten Wiener Traktates, durch den sich Preußen, Österreich und Russland verpflichtet hatten, auf dem Gebiete, das im Jahre 1872 zu Polen gehört hatte und nunmehr unter die drei Mächte verteilt worden war, einen freien und unbegrenzten Warenverkehr zu gestatten (53), — Preußen war an der Ausführung dieser Bestimmung sehr interessiert, weil es dadurch die Ausfuhrmöglichkeit nach Russland, die, wie wir sahen, durch den russischen Zolltarif von 1816 nur im beschränkten Maße gewährleistet war, zu erweitern hoffte, Russland hingegen vertrat die Interessen der Polen, die schon aus Nationalgefühl eine wirtschaftliche Einheit ihres zerstückelten Landes anstrebten, Nach endlosen Verhandlungen, die zuerst in Warschau und dann in Petersburg stattfanden (54), unterschrieben schließlich am 19. Dezember 1818 der deutsche Bevollmächtigte Karl Semler und der russische Unterhändler Peter von Oubril ein Übereinkommen, das als der erste moderne Handelsvertrag zwischen Preußen und Russland angesehen werden darf. — In demselben wurde zunächst bestimmt, dass preußische und russische Untertanen auf dem Gebiete des ehemaligen Königreiches Polen gleichberechtigt waren und ungehindert Handel und Schifffahrt betreiben könnten. Es folgen genaue Bestimmungen über Art des Handels, Zahlungsbedingungen, Gewichte, Maße usw. (55), Die im Artikel 6 Absatz a getroffene Bestimmung, dass die festgelegten Zollsätze nicht ohne beiderseitige Zustimmung erhöht werden könnten, wurde illusorisch gemacht durch den Absatz d desselben Artikels, in dem beiden Mächten das Recht zugestanden wird, von eingeführten Waren eine beliebige Verbrauchssteuer zu erheben, ein Recht, von dem Russland dann ausgiebigen Gebrauch machen sollte! Nur für preußische Fabrikate aus Leder, Leinwand und Wolle war ein Maximum an Grenzzoll und Verbrauchssteuer vorgesehen, das ohne Einwilligung Preußens nicht überschritten werden durfte. Im Vergleich zum Tarif im Jahre 1816 war der Zollsatz für diese drei Warengattungen ein sehr gemäßigter. Einen weiteren erheblichen Vorteil für Preußen gewährte der erste Separatartikel, in dem Russland den Transit preußischen Tuches nach Asien zum Zoll von 12 Kopeken für den Arschin gewährte.

Durch diese preußisch-russische Konvention wurde der russische Zolltarif vom Jahre 1816 an vielen Stellen durchbrochen. Russland sah sich deshalb, um nicht Preußen allein die beträchtlichen Handelserleichterungen zu gewähren, gezwungen, einen neuen allgemeinen Zolltarif einzuführen, der auch bereits am 20. November 1819 veröffentlicht wurde und als einer der gemäßigsten gilt, den Russland je besessen hat. In Wirklichkeit ist er gar nicht so niedrig, denn außer dem Grenzzoll, den der Importeur bezahlte, unterlagen die ausländischen Waren noch einer Verbrauchssteuer, die der Konsument bezahlte und die ein Vielfaches des Grenzzolles ausmachte (56). Im übrigen betrafen die niedrigen Zollsätze von 2%, 3, 5, 6 und 15% entweder Rohprodukte, die Russland damals nicht hervorbrachte, oder kleine wertvolle Gegenstände, die leicht auf Schmuggelwegen eingeführt werden konnten. Alle anderen Waren wurden mit 30 oder 60% ihres Wertes verzollt, je nachdem es sich um Luxus- oder Gebrauchsgegenstände handelte (57). Mit dem Tarife von 1816 verglichen bedeuteten diese Zölle dennoch eine wesentliche Ermäßigung, die Zahl der verbotenen Artikel war bei der Einfuhr von 188 auf 5, bei der Ausfuhr von 6 auf 3 herabgegangen, die Zahl der zollfreien Artikel bei der Einfuhr von 32 auf 61, bei der Ausfuhr von 41 auf 66 angewachsen (58).


Wegen dieser seiner liberalen Tendenz war der Tarif auch von Anfang an großen Anfeindungen seitens der russischen Industriellen ausgesetzt. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass er der russischen Industrie und insbesondere der Manufaktur einen starken Stoß versetzte, aber diese Erschütterung rührte nicht so sehr von den niedrigen Zollsätzen her, wie vielmehr von der Plötzlichkeit, mit der derselbe eingeführt worden war. Selbstverständlich war der bis dahin ängstlich umhüteten Treibhauspflanze, wie sie die russische Industrie darstellte, der plötzlich scharf einsetzende Zug der freien Konkurrenz nicht gerade zuträglich. Dazu aber trat noch, dass der Zolltarif des Jahres 1819 auch technisch grobe Fehler aufwies. So wurden, um eine möglichste Einfachheit und Kürze zu erzielen, Gegenstände verschiedensten Gehaltes und Wertes in allgemeine Gruppen zusammengezogen, für die, da der Zoll ja dem Werte nach bemessen wurde, unmöglich ein auch nur annähernd richtiger Durchschnittspreis festgestellt werden konnte.

Oberhaupt wurde die Bewertung der Waren sehr unvorsichtig und ohne jede Sachkenntnis vorgenommen. Die Folge einer derartigen Tarifierung war natürlich, dass der Zollsatz für alle billigeren Sorten irgendeiner Ware ein unerträglich hoher, für die teuren dagegen ein kaum in Betracht zu ziehender war. Er bedeutete eine Vergünstigung der Luxus- und eine Benachteiligung der Gebrauchsgegenstände, was natürlich den Intentionen des Gesetzgebers geradezu widersprach. Unter diesen Umständen fiel es den Schutzzöllern nicht allzu schwer, wieder Oberhand am Zarenhofe zu gewinnen. Der russische Finanzminister Gurjew, dessen Verwandte an russischen Tuchfabriken stark interessiert waren, hatte auch bald ein Mittel gefunden, um einen wesentlichen Punkt des mit Preußen abgeschlossenen Vertrages wenigstens teilweise zu umgehen. Er interpretierte denselben, als in der Folge eine sehr lebhafte Tucheinfuhr begann, plötzlich dahin, dass nur russischen Kaufleuten das Recht zustehe, mit schlesischen Tüchern Handel nach Asien zu treiben, und dass rheinische Tücher auf Zulassung zum Transit überhaupt keinen Anspruch hätten (59). Im Juli 1821 hob die russische Regierung „aus Sparsamkeitsrücksichten" 15 Grenzzollämter, darunter die wichtigen Stellen Zielun und Herby auf, und kurz darauf verbot sie die Einfuhr von Kolonialwaren und Spirituosen auf der Landgrenze. Alle Vorstellungen Preußens blieben erfolglos. Der Finanzminister Gurjew war fest entschlossen, das Prohibitivsystem lückenlos wieder herzustellen. Im Dezember 1821 erhielt der russische Gesandte in Berlin, Graf Alopeus, die Weisung, eine formelle Änderung oder selbst Annullierung des Vertrages vom Jahre 1819 zu erlangen, was ja nach den Bestimmungen desselben nur unter beiderseitiger Zustimmung geschehen konnte. Als die preußische Regierung die nach so vieler Mühe erlangten Zugeständnisse nicht ohne weiteres preisgeben wollte, schrieb Zar Alexander eigenhändig am 15. Februar 1822 einen Brief an König Friedrich Wilhelm, in dem er die verhängnisvolle Wirkung des Vertrages vom 19. Dezember 1818 für den Handel und die Industrie Russlands und Polens schilderte (60) „Plus l'Acte du 7. (19.) décembre continue à s'exécuter, plus les principes qu'il a établis, acquièrent de développement et plus en Russie comme en Pologne, rindustrie agricole et manufacturière, non seulement s'arrète dans ses progrès, mais s'approche même d'une inévitable ruine.“ Der Dezember Vertrag sollte die auf dem Wiener Kongresse anerkannten Prinzipien zur Anwendung bringen, die gewiss verständig und nützlich sein würden, wenn alle Staaten sie befolgten. Aber nicht nur in England und Österreich und Frankreich, sondern in Preußen selbst herrsche das Prohibitivsystem, Russland und Polen seien mit fremden Waren überschwemmt, während die auswärtigen Häfen für den Import russischer Produkte geschlossen seien. Die Landwirtschaft ohne Absatz, die Industrie ohne Schutz seien im Verfall und die solidesten Handelshäuser ins Wanken geraten. Diese Lage sei unerträglich geworden, und die russische Regierung sehe sich deshalb genötigt, einen neuen Prohibitivtarif aufzustellen.

Friedrich Wilhelm antwortete am 22. März 1822 (61). Er gab zunächst seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Zar mit unbedingter Treue die einmal übernommenen Verträge halten würde. Der die Handelsbeziehungen zwischen Preußen einerseits und Russland und Polen andererseits regelnde Vertrag sei die Frucht langer Verhandlungen, und die einzelnen Bestimmungen seien so eng verbunden, dass keine einzige beseitigt werden könne, ohne dadurch die Basis des Vertrages anzugreifen, Preußens Vorteile seien durch Gegenkonzessionen erkauft, und ohne Entgelt könne der König im Interesse seiner Untertanen nichts nachgeben. Doch der Vertrag habe ja gemeinsame Verhandlungen über neu auftauchende Fragen vorgesehen und deshalb seien seine Minister zu Verhandlungen mit dem russischen Gesandten Grafen Alopeus angewiesen.

Dieser ließ sich aber auf Verhandlungen gar nicht ein, sondern teilte am 13. April einfach mit, dass Russland genötigt gewesen sei, durch Ukas vom 12. März 1822 einen neuen Zolltarif einzuführen. Dieser bestimmte (62):

1. dass ausländische Rohstoffe und Nahrungsmittel, die schlechterdings unentbehrlich wären, zollfrei bleiben müssten,
2. dass notwendige oder nutzbringende Materialien, deren Hervorbringung im Inlande mit der Zeit erreichbar scheine, niedrig zu verzollen wären,
3. dass hingegen Luxusartikel, entbehrliche Manufakturwaren, sowie solche Erzeugnisse, die bei einer intensiven Gewehrbeförderung auch im Inland beschafft werden könnten, mit hohen Zöllen zu belegen wären,
4. dass endlich die Einfuhr von Artikeln, die dem Aufblühen der eigenen Industrie hinderlich sein könnten, zu verbieten wäre. Dieser Tarif bedeutete eine strikte Umkehr zum Prohibitiv-System, bei der Einfuhr enthielt er 301, bei der Ausfuhr 22 verbotene Artikel. Mit der Einführung desselben wurde die Zollgrenze zwischen Russland und Polen erneuert, wo der Tarif vom Jahre 1819 noch in Geltung blieb.
Moskau

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Nikolaus I. (1769-1855), russischer Zar

Nikolaus I. (1769-1855), russischer Zar

Odessa

Odessa

Reval

Reval

Riga

Riga

Russische Kirche

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Sibirische Post

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Sibirischer Galgen

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Strafe des Räderns z. Zeit Peters des Großen

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Tatar auf der Halbinsel Krim

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Tatar

Tatar

Tierhetze in Moskau

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Universität in Dorpat

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Usbeken auf dem Pferdemarkt

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