Dritte Fortsetzung

Während der Transitverkehr in diesem Vertrage mittels eines in deutscher Sprache beigefügten Zolltarifs genau geregelt war, waren die Bestimmungen über die Ein- und Ausfuhr (Art. 8 und 9) so allgemein gehalten, dass sie die Regierung zu nichts verpflichteten. Eine wesentliche Erleichterung brachte der Vertrag, nominell wenigstens, hinsichtlich der Zollabfertigung durch das russische Zugeständnis von 12 Hauptzollämtern und der im Art. 12 vorgesehenen Erhebung Jourburgs und Polangens zu Zollämtern erster Klasse, was für den Handel Danzigs und Königsbergs von besonderer Wichtigkeit war. Art. 21 sollte der Sicherung eines lebhaften Transitverkehrs mir Manufaktur- und Galanteriewaren dienen, der seinen Ausgangspunkt zumeist in Leipzig hatte, von den unternehmungslustigen jüdischen Händlern des ostgalizischen Städtchens Brody bis Odessa und von dort aus von armenischen Kaufleuten über Tiflis nach Persien hin geführt wurde. Die Bedeutung dieses Handelsweges war für Deutschland um so größer, als derselbe auch dann offenstand, als an den europäischen Grenzen Russlands das starrste Prohibitivsystem herrschte (67). Erst dem russischen Finanzminister Graf Cancrin, einem geborenen Hessen, war es vorbehalten, diesen Handel zu erdrosseln (68). Graf Cancrin, der dem Finanzminister Gurjew 1823 im Amte folgte, übte während der folgenden zwei Jahrzehnte einen nachhaltigen Einfluss auf die russische Zollpolitik aus. Auch er war wie sein Vorgänger von der Notwendigkeit einer aktiven Handelsbilanz überzeugt, doch suchte er sie nicht wie jener durch ein vollständiges Sperrsystem, sondern durch hohen Schutzzoll zu erreichen. Die erste der in seinem Werke „Die Ökonomie der menschlichen Gesellschaft und das Finanzsystem" aufgestellten 13 Regeln lautet: „Das Schutzsystem soll nicht bis zum äußersten geführt werden, Verbote sollen überhaupt nicht oder nur in äußersten, seltenen Fällen zugelassen werden, bei der Einfuhr darf der Zoll nie so hoch sein, dass er einem Einfuhrverbot für die höchsten Sorten der ausländischen Ware gleichkommt. Diese Regel soll im Interesse der Zolleinkünfte befolgt werden, aber insbesondere im Interesse der inländischen Industrie, da die Produktion sich ununterbrochen vervollkommnen muss, dafür aber notwendig ist, dass sie die industriellen Muster der besten ausländischen Waren vor Augen habe." — Für ihn war der Zolltarif nicht nur ein Mittel zur Anspornung der heimischen Industrie, sondern auch ein wichtiger Quell, um den in ständiger Ebbe befindlichen russischen Staatssäckel aufzufüllen. — Er gab dann auch im Verlaufe der nächsten Jahre eine ganze Anzahl bis dahin verbotener Artikel zur Einfuhr frei, belegte sie aber mit hohen Zöllen und erhöhte auch die übrigen Zollsätze beträchtlich, sehr zum Leidwesen der deutschen Fabrikanten und Kaufleute. Diese hatten aber noch mehr unter den in jenen Jahren überhandnehmenden Zollplackereien und Schikanen der russisch-polnischen Grenzbehörden zu leiden. Die regelrechte Abfertigung war dadurch derartig erschwert, dass der Handel nach Russland — und beide Regierungen wussten das — fast ausschließlich auf Schmuggel angewiesen war.

Im Gegensatze zu Russland hatte Preußen seit der Reform des Jahres 1818 in seinem Zollwesen keine wesentliche Änderung vorgenommen. Zwar war eine Berichtigung der Tarifsätze alle drei Jahre vorgesehen, doch waren die Erhöhungen, die Preußen notgedrungen vornahm, mit Ausnahme der erwähnten Retorsionsmaßnahmen Russland gegenüber nur geringfügiger Art. Das im Tarife von 1818 ausgedrückte freihändlerische Prinzip blieb lange Jahre unberührt. Das war zunächst in den Anschauungen der preußischen Beamten und Gelehrten begründet, die damals ganz und gar den Theorien der klassischen Nationalökonomie huldigten. Noch mehr trugen aber dazu die günstigen Wirkungen bei, die die Zollreform von 1818 auf die Volkswirtschaft Preußens ausübte, Industrie, Handel, Exporttätigkeit nahmen in den beiden folgenden Jahrzehnten einen Aufschwung wie nie zuvor. Auf politischem Gebiete zeigten sich zunächst einige Schwierigkeiten insofern, als Preußen mit der Einführung eines einheitlichen Grenzzolles das übrige Deutschland zollpolitisch als Ausland behandeln musste, was natürlich bei den vom preußischen Gebiet ganz oder teilweise umschlossenen nord- und mitteldeutschen Kleinstaaten große Unzuträglichkeiten hervorrief. Um diese zu beseitigen, bot Preußen den in Betracht kommenden Kleinstaaten den Anschluss an sein Zollsystem an. Zuerst entschlossen sich die schwarz-burgischen Staaten dazu, allmählich, wenn auch nach einigem Widerstreben folgten die anderen Staaten. Sie erhielten einen Anteil an den preußischen Grenzzöllen, der je nach ihrer Bevölkerungszahl bemessen war. Damit war ein Prozess eingeleitet, an dessen Vollendung wir jetzt nach einem Jahrhundert wahrscheinlich stehen, das Werden des deutschen Einheitsstaates! Einen gewaltigen Schritt in dieser Richtung bildete der Zollvertrag, der am 14. Februar 1828 zwischen Preußen und Hessen-Darmstadt zustande kam. „Jener denkwürdige Vertrag, der in Wahrheit die Verfassung des deutschen Zollvereins feststellte" (69), Zur gleichen Zeit schlossen sich Bayern, Württemberg und Hohenzollern zu einem süddeutschen und die dazwischenliegenden Staaten zu einem mitteldeutschen Zollverein zusammen. Im Jahre 1833 endlich kam es zu einer Einigung zwischen diesen drei Zollverbänden, und am 1. Januar 1834 trat der „Deutsche Handels- und Zollverein" ins Leben. Das große Ziel Friedrich Liszts, die wirtschaftliche Einheit Deutschlands, war erreicht!


In den verschiedenen, den Zollverein bildenden Staaten wurde ein völlig übereinstimmendes Zollsystem mit wenig lokalen Ausnahmen, im Innern derselben aber Verkehrsfreiheit und Wegfall aller bisherigen Zollgrenzen sowie sämtlicher bestehender Stapel- und Umschlagsrechte eingeführt. Die Grundlage der inneren und äußeren Handelspolitik des Zollvereins blieb das preußische Zollgesetz vom Jahre 1818, das mit der Verkündigung der Zollvereinsverträge in den einzelnen Zollvereinsstaaten publiziert wurde.

Dieselben günstigen Wirkungen, die diese Reform im Jahre 1818 für die preußischen Provinzen zeitigte, machten sich jetzt für das gesamte Zollvereinsgebiet geltend. Unter diesen Umständen nahm der deutsch-russische Handelsverkehr trotz aller Hindernisse immer größere Dimensionen an. Pokrowski beziffert seine Zunahme im Verlaufe des zweiten Viertels des 19. Jahrhunderts allein an der Landgrenze von 6 auf 25 Millionen Rubel, wobei die Ausfuhr Russlands nach Preußen von 4 auf 10,9 Millionen, diejenige Preußens nach Russland von 1,6 auf 14,4 Millionen Rubel stieg. Genauere Auskunft geben uns die seit 1802 alljährlich erschienenen amtlichen russischen Handelsstatistiken, die von 1827 angefangen, die Aus- und Einfuhr auch nach den verschiedenen Ländern gruppieren. Aus den dort angegebenen Zahlen stellten wir folgende Tabellen zusammen:

Ausfuhr Russlands nach Preußen und den Hansestädten 1835 bis 1839

Einfuhr Russlands nach Preußen und den Hansestädten 1835 bis 1839

Die angegebenen Zahlen bleiben aber noch um ein erhebliches hinter dem wirklichen deutsch-russischen Warenverkehr zurück, denn in ihnen sind die großen Mengen der auf Schmuggelwegen eingeführten Güter nicht enthalten, Wohl war es dem Grafen Cancrin gelungen, den in den zwanziger Jahren überhandnehmenden Schmuggel etwas einzudämmen, ihn zu beseitigen, das vermochte er nicht, trotzdem während der ersten zehn Jahre seines Wirkens durchschnittlich für über ½ Mill. Rubel Waren an der europäischen Grenze beschlagnahmt wurden (72), Dazu hätte es zunächst einer gründlichen Änderung der Psyche der russischen Beamten bedurft, deren Bestechlichkeit selbst Peter der Große mit den allergrausamsten Maßnahmen nicht hatte ausrotten können. Vor allem wäre es aber notwendig gewesen, den regelrechten Grenzverkehr nach Möglichkeit zu erleichtern. Das Gegenteil aber war der Fall! Die Schikanen bei der Zollabfertigung nahmen trotz der im Handelsvertrage des Jahres 1825 abgegebenen Versicherungen derartig zu, dass die deutschen Fabrikanten und Kaufleute sich in Klagen überboten, und der Gesandte in Petersburg kaum wusste, wie er alle die an ihn gelangenden Reklamationen bewältigen sollte. Zudem erhöhte Graf Cancrin die Zollsätze alle drei Jahre. Den Transit deutschen Tuches nach China, der noch 1825 292.312 Arschin betrug, verbot er in diesem Jahre gänzlich (73). 1831 versperrte er den Handelsweg über Odessa nach Transkaukasien durch eine unüberwindliche Zollmauer. Unter diesen Umständen verzichtete die preußische Regierung 1836 auf eine Verlängerung des Handelsvertrages vom Jahre 1825 und schritt nun selbst zur Erhöhung des Zolltarifes. Denn inzwischen hatten sich auch in Deutschland — besonders unter dem Einflüsse Friedrich Liszts — die Anschauungen geändert. Liszt stellte der kosmopolitischen Theorie der klassischen Nationalökonomie, die bis dahin die öffentliche Meinung beherrscht hatte, das Prinzip der Nationalität entgegen. Während die klassische Schule sagte, ein Volk muss ebenso wie ein Individuum seine Bedürfnisse auf dem billigsten Markte decken, forderte Liszt entschiedene Förderung der nationalen Volkswirtschaft und empfahl als Mittel hierzu den Schutzzoll. Diese Ideen fanden zunächst in den industriellen, allmählich auch in den Regierungskreisen Anklang und leiteten so den erbitterten Kampf ein, der im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte unter der Losung: „hie Schutzzoll — hie Freihandel" in der deutschen Öffentlichkeit ausgefochten wurde. — Zunächst behielt die schutz-zöllnerische Partei die Oberhand, Der „Vereinszolltarif" des Jahres 1840 weist beträchtliche Erhöhungen auf. Von den für die Einfuhr aus Russland besonders wichtigen Waren wurde der Zoll für Flachs von 0,50 auf 1 M., für Segeltuche von 2 auf 4 M., für Stricke und Taue von 1,50 auf 3 M., für Leder von 12 auf 18 M., für Wachs von 1,50 auf 3 M., für Talg von 9 auf 18 M. (per 100 kg) erhöht (74).
Moskau - Armenküche

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Moskau - Basilius-Kathedrale

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Moskau - Bettler und Obdachlose wärmen sich am Feuer

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Moskau - Bettler vor der Kirche

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Moskau - Blick auf den Kreml

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Moskau - Die Börse

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Moskau - Der Kreml

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