Die Deutsch-russischen Handelsbeziehungen nach dem Weltkrieg.

Welch fürchterliche Verluste an Menschen und Gütern auch der Weltkrieg verursacht hat, so ist es dennoch die Verwirrung auf weltwirtschaftlichem Gebiete, unter denen die Völker jetzt noch am meisten zu leiden haben. Die Lücken an Kraft und Materie schließen sich bald, aber der unendlich komplizierte Organismus der Weltwirtschaft lässt sich nicht so schnell wieder in Ordnung bringen. Jetzt, da die Fäden, die die Volkswirtschaften miteinander verbanden, zerrissen sind, sehen wir erst wie eng diese miteinander verbunden waren und erkennen, dass keine von ihnen verletzt werden darf ohne alle anderen in Mitleidenschaft zu ziehen. Nur allzu spät dringt die Erkenntnis von der Solidarität der europäischen Wirtschaftsinteressen durch, und unfassbar erscheinen uns jetzt all die Maßnahmen des „Wirtschaftskrieges", unter deren Folgen alle Staaten, Sieger und Besiegte, noch lange Jahre leiden werden.

Trotz der zahlreichen Verbote und Repressalien, die den vollkommenen Abbruch des Verkehrs zwischen Deutschland und Russland bezwecken sollten, ist es dennoch nie gelungen, die Einfuhr deutscher Waren nach Russland gänzlich zu unterdrücken. Der Verfasser dieser Zeilen hat es noch im zweiten und dritten Kriegsjahre mit angesehen, dass alle möglichen technischen und elektrotechnischen Gegenstände, die, angeblich neutralen Ursprunges, nach dem Ural eingeführt wurden, deutsche Fabrikmarken aufwiesen. Und sieht man sich z. B. die Handelsstatistik Schwedens an, die für den Durchschnitt der Jahre 1909—1913 eine Ausfuhr von 10,4 Millionen Rubel nach Russland aufweist, im Jahre 1915 dagegen eine solche von 54,2 Millionen und 1916 gar von 91,4 Millionen Rubel, so erkennt man ohne weiteres, dass allen künstlichen Hindernissen zum Trotz der deutsch-russische Warenverkehr selbst während des Krieges nicht ganz versiegte, freilich da wo früher ein gewaltiger Strom brauste, sickert nur ein unterirdischer Quell . . .


Offiziell wurden die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland durch die Brest-Litowsker Verträge wieder aufgenommen. Der am 9. Februar 1918 mit der Ukraine abgeschlossene Friedensvertrag regelt in seinem Artikel VII die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den vertragschließenden Teilen. Im wesentlichen wurde hier im Gegensatz zu dem einige Wochen später mit Groß-Russland abgeschlossenen Vertrage die Bestimmungen und Tarife des Handelsvertrages vom Jahre 1904 aufrecht erhalten (122). Der Absatz 1 des genannten Artikels, der einen Warenaustausch durch staatlich organisierte Stellen vorsieht, beansprucht besonderes Interesse, und zwar deshalb weil wahrscheinlich der über kurz oder lang einsetzende Handelsverkehr mit Sowjet-Russland ähnliche Formen annehmen wird. - Zwar haben diese staatlichen Zentralstellen, die den Warenverkehr zwischen Deutschland und der Ukraine regelten, in der kurzen Zeit ihres Wirkens keine besonders günstigen Resultate erzielen können. Aber dies lag zunächst an der durch die kriegerischen Ereignisse verursachten Verwirrung in dem besetzten Lande, als auch daran, dass von deutscher Seite nicht genügende Mengen von industriellen Austauschartikeln herangebracht werden konnten, der russische Bauer aber seine Produkte nicht für Papiergeld hergeben wollte, gegen welches er ein, wie sich zeigte, nur allzu berechtigtes Misstrauen hegte.

Noch viel geringere Ergebnisse zeitigte das am 3. März 1918 mit der Moskauer Regierung abgeschlossene Wirtschaftsabkommen. Dasselbe bildete, da eine Wiederinkraftsetzung des deutsch-russischen Handelsvertrages von 1894/1904 infolge des Widerstandes der russischen Unterhändler nicht erreicht werden konnte, ein Provisorium, das auf gegenseitiger Meistbegünstigung und der Bindung des allgemeinen russischen Zolltarifs vom Jahre 1903 beruhte. — Noch ehe dieser nominellen Wiederaufnahme der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen irgendwelche größere praktische Bedeutung zugemessen werden konnte, erfolgte der deutsche Zusammenbruch.

Die Brest-Litowsker Verträge wurden durch den Friedensvertrag von Versailles aufgehoben. Artikel 292 desselben lautet: „Deutschland erkennt an, dass alle mit Russland oder irgendeinem Staate oder irgendeiner Regierung, deren Gebiet früher einen Teil Russlands bildete, sowie mit Rumänien vor dem 1. August 1914 oder seit diesem Tage bis zum Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages geschlossenen Verträge, Übereinkommen oder Abmachungen aufgehoben sind und bleiben." Es kann zwar großen Zweifeln unterliegen, ob diese Aufhebung auch absolut rechtsgültig ist, da ja weder die russische noch die ukrainische Regierung an dem Versailler Friedensvertrage irgendwelchen Anteil genommen hatte, doch bleibt diese Überlegung gegenstandslos, solange noch Macht über alle Rechtsgrundsätze triumphiert.

Die Frage der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland hatte während der langen Waffenstillstands und der ersten „Friedens"-Periode überhaupt keine praktische Bedeutung für Deutschland. Das Machtgebot der Entente verhinderte jede Verbindung mit Sowjet-Russland, und Deutschland musste sich nolens volens der über das unglückliche Land verhängten Blockade anschließen, da es eine gemeinsame Grenze mit Russland nicht mehr besitzt und die russischen Häfen von der Ententeflotte blockiert wurden. Das wurde erst anders, seitdem England einzusehen begann, dass es Russland weder mit militärischen noch mit wirtschaftlichen Gewaltmitteln beikommen konnte und sich zu einer „friedlichen Durchdringung“ Russlands entschloss. Im Januar 1920 hob es die Blockade auf und begann die Wirtschaftsprobleme mit den bolschewistischen Delegierten zu erörtern. In langwierigen Verhandlungen, die in London zwischen Lloyd George und dem russischen Wirtschaftsdiktator Krassin stattfinden, wird versucht, das schwierige Problem eines Handelsabkommens zwischen dem kapitalistischen England und dem kommunistischen Russland zu lösen. Obwohl diese Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind*), hat der englisch-russische Warenaustausch bereits eingesetzt. Die Zahlen der englischen Außenhandelsstatistik reden eine deutliche Sprache, sie sind im Vergleiche zur Vorkriegszeit bescheiden, aber ihre steigende Tendenz ist unverkennbar. Erleichtert wird diese Tätigkeit der englischen Kaufleute durch Maßnahmen ihrer weitsichtigen Regierung, die als erste größere Summen zur Verfügung gestellt hat, um ihre Untertanen vor jedem Risiko zu schützen, das ihnen aus den mit Russland getätigten Geschäften erwachsen könnte.

*) Während der Drucklegung dieser Zeilen ist das englisch-russische Handelsabkommen unterzeichnet worden.

Die deutsche Regierung hatte bisher zu sehr mit inneren Schwierigkeiten zu kämpfen und war in allen Fragen der Außenpolitik zu sehr zur Passivität verurteilt, als dass sie das russische Problem in seiner ganzen Tragweite erfasst und demgemäß mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu lösen versucht hätte. Wir hörten bisher nur von inoffiziellen Verhandlungen mit dem zur Regelung des Gefangenenaustausches in Berlin weilenden russischen Delegierten Viktor Kopp und der beabsichtigten Entsendung einer Studienkommission nach Russland, Doch scheint man nicht über die ersten Ansätze hinausgekommen zu sein. Nichts aber wäre verfehlter, als in dieser für Deutschland lebenswichtigen Frage dem Prinzipe des laisser fairelaisser aller huldigen zu wollen, zu einer Zeit, da andere derzeit mächtigere und kapitalkräftigere Staaten mit aller Kraft bestrebt sind, Deutschlands bisher überragende Position im russischen Außenhandel einzunehmen. Eine geschichtliche Parallele illustriert uns das. Wir sahen, welch dominierende Stellung die Hanse im russischen Handel innehatte, wie dann die inneren Wirren in Deutschland und schließe lieh der Dreißigjährige Krieg die Macht des einst so stolzen deutschen Städtebundes lähmte, und wie England, die Situation klug benutzend, sich Konzessionen verschaffte, die seinen merchant adventurers die Vormachtstellung in Russland bis ins 19. Jahrhundert hinein sicherten. Jahrhundertelange, zäheste Arbeit war notwendig, bis Deutschland seine ihm gebührende Stellung wiedereroberte, Soll es diese nun kampflos preisgeben? Soll Deutschland tatenlos zuschauen, wie Engländer und Amerikaner, Japaner und Italiener sich des russischen Marktes bemächtigen? Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein, trotz der Bedenken, die gegen die sofortige Wiederanknüpfung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland vorgebracht werden.

Da wird zunächst auf die Gefahren der bolschewistischen Propaganda hingewiesen, der mit der Eröffnung der Handelsbeziehungen mit Russland Tür und Angel geöffnet seien. Es darf sicher nicht verkannt werden, dass das deutsche Volk, nach den gigantischen Anstrengungen des 4 ½ jährigen Weltkrieges erschöpft und durch die ungeheuerlichen Forderungen seiner ehemaligen Feinde erbittert, einer bolschewistischen Infizierung nicht unzugänglich ist, aber diese Gefahr lässt sich nicht durch noch so strenge Absperrung bannen, Ideen lassen sich nicht durch Stacheldrähte aufhalten, sie können nur mit geistigen Mitteln bekämpft werden. Nur indem wir der Idee der revolutionären Umgestaltung unserer gesamten ökonomischen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen die der revolutionären, organischen Entwicklung, nur indem wir dem Prinzip der Diktatur das der Demokratie entgegenstellen, werden wir uns gegenüber dem Bolschewismus behaupten. Und ein offener Meinungskampf ist sicherlich einer unterirdischen, aller Kritik baren Propaganda vorzuziehen. Ein reger Handelsverkehr würde überdies den Stand der russischen Dinge breiteren Kreisen vor Augen führen und sie erkennen lassen, wie himmelweit Ideal und Wirklichkeit des Bolschewismus voneinander entfernt sind.

Weiterhin wird eingewendet, dass, indem wir Beziehungen zu Sowjet-Russland anknüpfen, wir es mit den antibolschewistischen Gruppen verdürben, die über kurz oder lang die Herrschaft in Russland antreten würden. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass es eine Zeit gab, da Koltschak ganz Sibirien und den Ural in der Hand hatte und die tschechischen Legionen bereits nach Ufa und in die Wolganiederung vorgedrungen waren, da Denikin die ganze Ukraine beherrschte und seine Kavallerie im Rücken der roten Armee die Verbindung mit Moskau bedrohte, da Judenitzsch' Truppen schon die Vorstädte Petersburgs stürmten, da die Engländer die Murmanküste besetzt hielten und die französische Flotte vor Odessa operierte, und wenn man sieht, wie gestärkt die Sowjetregierung aus all diesen Kämpfen hervorgegangen ist, so wird man vielleicht zu der Erkenntnis gelangen, dass eben dieser gewaltsame reaktionäre Antibolschewismus im Grunde die Hauptstütze der Sowjetmachthaber gewesen ist und bleiben wird. Denn er gestattet ihnen, die russischen Massen unter nationalen Losungen zu einen und ihre brutale Gewaltherrschaft mit einem Scheine der Notwendigkeit zu umgeben. Wer objektiv die Lage Russlands betrachtet, der kommt zu dem Schluss, den die englische Regierung bereits gezogen hat, dass man dem russischen Volke nur helfen könne, indem man es aus seiner Isolierung reißt und in wirtschaftliche Beziehungen zu ihm tritt. Je reger diese sich gestalten werden, desto kleiner wird der Nimbus des russischen Bolschewismus im Auslande und desto größer das Bewusstsein seiner Unzulänglichkeit im Inlande.

Aber zu den Bedenken sozialer und politischer Art treten auch wirtschaftliche, Bolschewismus, so definiert man, sei die Negation alles Wirtschaftlichen, er bedeute Zerstörung, aber nicht Erhaltung und Schaffung von Gütern. Das ist im wesentlichen richtig, darin unterscheidet sich auch der Bolschewismus von den anderen sozialistischen Richtungen, dass er die kapitalistische Wirtschaftsordnung erst von Grund aus zerstören will, ehe das kommunistische Reich aufgebaut werden soll. Aber diese seine erste Phase hat der Bolschewismus bereits hinter sich. Was von dem russischen Wirtschaftsorganismus im November 1917 noch übrig war, ist gründlich zerstört. Jetzt, da es ans Aufbauen geht, greift die bolschewistische Regierung zu Methoden, die von denen der so verschrienen und in Trümmer geschlagenen bürgerlichen Gesellschaftsordnung keineswegs verschieden sind. Lenin brachte dies zum ersten Male im Frühjahr 1918 in seinem Referate über „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" zum Ausdruck. Er forderte darin: die Gewährung hoher Gehälter an die Betriebsleiter, die widerspruchslose Unterordnung der Massen unter den einheitlichen Willen der Leiter des Arbeitsprozesses, die Anwendung des Taylor-Systems, die Einführung des Akkordlohnes, die Anpassung der Löhne an die allgemeinen Arbeitsergebnisse eines Betriebes und die Organisierung des Wettbewerbes zwischen den einzelnen Produktiv- und Konsumkommunen. Diese Forderungen wurden auch vom Zentralausschuss der Sowjets anerkannt und sind seitdem durch den russischen Wirtschaftsdiktator Krassin, einem Ingenieur und ehemaligen Leiter der Petersburger Siemens-Schuckert-Werke, ihrer Verwirklichung bedeutend nähergebracht worden.

Schließlich wollen wir uns noch mit dem letzten und verfänglichsten Einwände auseinandersetzen, der alle Bemühungen um einen Güteraustausch mit Russland für vergeblich hält, da Russland jetzt nichts ausführen könne. Es wird da auf die furchtbare Lebensmittelnot in den russischen Großstädten hingewiesen, auf die unwahrscheinlich hohen Preise für die allernotwendigsten Bedarfsartikel, und erklärt, dass Russland eher selbst einer internationalen Hilfsaktion bedürfe, als dass es als Versorger des darbenden Mitteleuropa in Betracht kommen könne. — Nun, der Verfasser dieser Zeilen hat selbst neun Monate als Bürger „dritter Kategorie“ in Petersburg 50 g Brot täglich erhalten und ist nicht geneigt, die Verhältnisse Russlands in allzu rosigem Lichte anzusehen, er kommt aber dennoch zu anderen Ergebnissen. Zunächst darf bei der Beurteilung der volkswirtschaftlichen Lage Russlands nicht aus dem Auge gelassen werden, dass sein ungeheures Gebiet keine einheitliche volkswirtschaftliche Struktur aufweist. Während die Ukraine und Sibirien Getreideausfuhrländer sind, sind die nordrussischen Provinzen von jeher Getreideeinfuhrgebiete gewesen. Und gerade auf diese letzteren war die bolschewistische Herrschaft bis vor kurzem beschränkt. Erst seitdem die Armee Denikins auf die Krim zurückgedrängt ist und auch die Herrschaft Koltschaks in Sibirien zusammengebrochen ist, konnte an eine Versorgung des hungernden russischen Nordens gedacht werden. Selbstverständlich ist zuzugeben, dass in allen Teilen Russlands, auch in den gesegneten Gefilden der „schwarzen Erde" ein ungeheurer Produktionsrückgang zu verzeichnen ist. Darüber kann kein Zweifel bestehen, wohl aber, ob dieser Umstand als die Ursache oder nicht viel mehr als die Folge der Ausschaltung Russlands aus dem Weltverkehr zu deuten ist. Wir sind der Ansicht, dass wenn der russische Bauer für seine Erzeugnisse nicht mehr Papiergeld erhalten wird, von den er mehr besitzt, als er zu zählen vermag und mit dem er doch nichts anzufangen weiß, sondern Pflüge, Sensen, Sicheln, Äxte, Beile, Messer, Nägel, Nadeln usw. — was alles er heute auch für Berge von Sowjet-Rubeln nicht erhalten kann — , dass er dann nicht nur dem nötigen Anreiz sondern auch die technische Möglichkeit zu intensivieren Produktionsmethoden erhalten wird. — Selbst wenn man den Fall setzt, dass die Ausfuhr russischer Getreideprodukte vorerst nicht in Schwung kommen wird, bis ihr Verbrauch in allen Teilen Russlands einen normalen Umfang angenommen hat, so kann es doch keinem Zweifel unterliegen, dass andere Landwirtschafts- und Viehzuchtprodukte wie Flachs, Hanf, Baumwolle, Wolle, Haare, Borsten, Felle, Pflanzenöl, Treber, Samen usw. in solchen Mengen vorhanden sind, dass sie Russland zu einer Ausfuhr größeren Stils befähigen. Die Anbauflächen für Flachs und Hanf, die sich zumeist in den unter der Lebensmittelnot leidenden nördlichen Provinzen befinden, sind zwar gegenwärtig zugunsten des Getreidebaues eingeschränkt, doch ist die russische Industrie, deren Leistungsfähigkeit noch weit mehr als die der russischen Landwirtschaft zurückgegangen ist, außerstande, die vorhandenen Vorräte an Flachs und Hanf zu verarbeiten. Ebenso verhält es sich mit der Baumwolle, für deren Anbau aber noch bedeutende Gebiete im südlichen Sibirien und Turkestan erschlossen worden sind, wo zuverlässigen Meldungen nach auch ungeheure Vorräte liegen. Von allergrößter Bedeutung wird für Deutschland die Ausfuhr von russischem Bauholz sein. Russlands Waldreichtum ist unerschöpflich, und Deutschland hat, abgesehen von seiner eigenen nach fünfjähriger Pause verstärkt einsetzenden Bautätigkeit, noch für den Wiederaufbau Nordfrankreichs und Belgiens zu sorgen. Aber auch die mannigfachen Produkte der Holzindustrie und der trockenen Destillation wie Pech, Teer, Terpentin, Kolophonium u. dgl. werden keine unbedeutend den Faktoren des russischen Exports bilden, Kohlen, Erze, Salze usw. werden zunächst dem Bedarfe der eigenen russischen
Industrie dienen müssen, vergegenwärtigt man sich jedoch die mächtigen Erz- und Kohlenlager, die Russland im Dongebiet, im Ural, im Kaukasus und in dem noch völlig unerschlossenen, an Mineralschätzen aber märchenhaft reichen Altei-Gebiete besitzt, so kann man es nur als eine Frage der Technik und der Organisation bezeichnen, ob diese ungeheuren Naturreichtümer der deutschen Industrie, die ihrer nach den durch den Versailler Vertrag bedingten Abtretungen deutscher Erz- und Kohlenlager dringender denn je bedarf, zugeführt werden können. Mangan-, Wolfram- und Platinerze könnten ebenso wie Glimmer und Graphit sofort in größeren Mengen ausgeführt werden. Die russischen Mineralöle werden bei dem allzu hohen Dollarkurse die amerikanischen bald vom deutschen Markte verdrängt haben, und schließlich könnten auch Tabak und Weine, von denen größere Vorräte in der Krim und dem Kaukasus aufgestapelt sind, als Austauschobjekte in Frage kommen.

Überschaut man all diese unerschöpflichen Produktions- und Ausfuhrmöglichkeiten, so erkennt man, dass Russland trotz aller Verwüstungen, die es im Weltkriege und noch mehr durch den Bürgerkrieg erlitten hat, ein reiches Land ist und bleibt. Sein Reichtum beruhte nicht auf seinen Industrie-, Verkehrs- und Handelsanlagen — die sind allerdings zerstört — sondern auf seinen Äckern, Wiesen, Wäldern und mineralhaltigen Bergen — und diese seine Grundelemente sind unberührt, sie haben nichts von ihrem Werte verloren.

Will man die Naturprodukte Russlands dem Wirtschaftsorganismus Europas wieder nutzbar machen, so gilt es allerdings eine Voraussetzung zu erfüllen — die Verbindung mit ihren Produktionsorten herzustellen. Dies ist bei dem jetzigen Stande des russischen Verkehrswesens gewiss eine schwere, aber ebenso dankbare Aufgabe, die gerade den in ihrer Betätigungsmöglichkeit so beschränkten deutschen technischen und organisatorischen Kräften höchst willkommen sein müsste. — Da aber, wie gesagt, die Wiederherstellung des russischen Verkehrswesens die Voraussetzung für jeden Güteraustausch mit Russland bildet, so müsste die Lieferung von Eisenbahnmaterial, ebenso wie die der wichtigsten landwirtschaftlichen Maschinen und Geräte und der notwendigsten Medikamente der Ausfuhr russischer Erzeugnisse vorangehen. Die russische Regierung könnte einen Teil ihres Edelmetallvorrates als Sicherung für derartige Lieferungen zur Verfügung stellen mit der Maßgabe, dass derselbe nach späterer Bezahlung durch russische Produkte zurückerstattet werden müsste. Diese Edelmetalldepots müssten bei der Reichsbank, oder, solange der Versailler Vertrag dies verhindert, bei einem neutralen Bankinstitut hinterlegt werden, und die deutsche Regierung daraufhin befugt sein, den deutschen Lieferanten die vollen Rechnungsbeträge vorzuschießen. So würde den deutschen Firmen die Bezahlung auch der ersten Lieferungen gewährleistet werden, ohne dass sich Russland seines Edelmetallvorrates entledigt, den es zur Wiederherstellung seiner Valuta dringend benötigen wird.

Selbst wenn die Wiederinstandsetzung der russischen Eisenbahnen lange Jahre in Anspruch nehmen sollte, so darf daraus noch nicht der Schluss gezogen werden, dass ebenso lange auch jede Verkehrs- und damit auch Handelsmöglichkeit in und mit Russland ausgeschaltet wäre. Man darf die gewaltigen Ströme Russlands nicht außer Betracht lassen. Diese bilden die bequemsten Zugangsstraßen vom Innern Russlands zu den Häfen der Ostsee, des Schwarzen und des Weißen Meeres. Dass sie bisher nicht zur Linderung der Verkehrsnot beigetragen haben lag daran, dass sie durch die quer durch ganz Russland sich hinziehenden Kampffronten versperrt waren, und die zahlreiche und leistungsfähige russische Binnenflotte von ihrer Brennstoffbezugsquelle, dem Bakuer Petroleumgebiet, abgeschnitten war. Diese Hindernisse sind jetzt aus dem Wege geräumt, und in den mächtigen Verkehrsadern der russischen Tiefebene wird wieder neues Leben pulsieren.

Der deutsche Handelsweg nach Nord- und Mittelrussland kann also wie ehemals wieder über die Ostsee gehen, während der russische Süden durch das Schwarze Meer und die Donau eine bequeme Verbindung mit Deutschland hat. Diese beiden Schiffsverbindungen sind von um so größerer Bedeutung als der Überlandverkehr zwischen Deutschland und Russland darunter zu leiden hat, dass Polen sich jetzt als Pufferstaat dazwischen schiebt und unter französischem Einfluss jede Verbindung zwischen Deutschland und Russland hemmt. Wir werden zwar nicht nur in unserem eigenen, sondern auch im Interesse der ganzen europäischen Wirtschaft die Forderung freien Transitverkehrs durch die russischen Randstaaten aufstellen, aber es wird wahrscheinlich noch einige Zeit vergehen, bis ökonomische Gründe für die Politik Frankreichs und seiner Vasallen maßgebend sein werden.

Schließlich wird auch der Tatsache Rechnung getragen werden müssen, dass auf russischer Seite nicht mehr Privatpersonen unsere Kontrahenten sind, sondern staatliche Organe. Der russische Außenhandel ist nationalisiert und die russische Regierung bedient sich des jetzt unter starker staatlicher Kontrolle stehenden „Zentrosojus", des allrussischen Zentralverbandes der Konsumgenossenschaften, um den internationalen Güteraustausch vorzunehmen. Dieser Zentralverband, der in seinen 500 Unterverbänden und 50.000 örtlichen Genossenschaften fast die gesamte russische Bevölkerung organisiert hat, besitzt zahlreiche Auslandsfilialen, von denen die Londoner und Stockholmer auch gegenwärtig wieder eine lebhafte Einkaufstätigkeit entfalten. Es liegt auf der Hand, dass wir einer derart mächtigen und einheitlich dirigierten Organisation ein ebenbürtiges Zentralorgan entgegenstellen müssen, das die deutschen Interessen ebenso einheitlich und zum Nutzen der gesamten deutschen Volkswirtschaft vertreten könnte. Dieses Zentralinstitut müsste aus Vertretern der am russischen Handel beteiligten Unternehmungen bestehen und nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung aufgebaut werden. Es könnte am besten an die bereits bestehende Organisation des deutsch-russischen Vereines angelehnt werden. — Eine derartige mit öffentlichen Rechten ausgestattete Zentralstelle für den Handel mit Russland würde schon aus valutarischen Gründen von größter Wichtigkeit sein und könnte die hässlichen Begleiterscheinungen, die die Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit den westlichen Ländern zeitigte, vermeiden. Wir würden weder Riesengewinne bringende Konjunkturen, noch ebenso plötzlich hereinbrechende Krisen, noch schwarze Listen deutscher „Kaufleute" im Auslande erleben.

Diese Maßnahmen zur Regelung des deutsch-russischen Handels müssten aber bald getroffen werden. Sonst werden wir die russischen Produkte über Schweden oder England zu teuren Preisen erhalten, und die deutschen Erzeugnisse werden über Polen und Litauen nach Russland geschmuggelt werden. Ganz unterdrücken wird man den deutsch-russischen Güteraustausch weder durch aktive noch durch passive Resistenz. Er wird sich immer wieder, wie all die Jahrhunderte hindurch mit der Kraft eines elementaren, naturnotwendigen Ereignisses Bahn brechen. Freilich hängt es jetzt von der Einsicht der europäischen Staatenlenker und unserer eigenen Tatkraft ab, in welchem Maße die deutsch-russischen Handelsbeziehungen zur Gesundung Deutschlands und Russlands und damit auch ganz Europas beitragen werden. Nichts Besseres kann ich deshalb zum Schluss wünschen, als dass die Worte eines unvoreingenommenen, klar blickenden Engländers mehr Anklang finden mögen als bisher. J. M. Keynes schreibt in seinem Buch über „Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages": „Ich sehe keine Möglichkeit, diesen Verlust an Leistungsfähigkeit (Russlands) in absehbarer Zeit wieder gutzumachen, es sei denn durch Vermittlung deutscher Unternehmung und Organisation. Es ist geographisch und aus vielen anderen Gründen Engländern, Franzosen und Amerikanern unmöglich, das zu leisten. Sie haben weder den Trieb noch die Mittel, die Arbeit in genügendem Umfange zu unternehmen, Deutschland andererseits hat die Erfahrung, den Antrieb und in erheblichem Maße auch die Waren, um den russischen Bauern mit den Gütern zu versorgen, an denen er die letzten fünf Jahre hindurch Mangel gelitten hat, das Verkehrs- und Lagerungsgeschäft wieder aufzunehmen und so zum allgemeinen Nutzen der Weltwirtschaft die Zufuhren wieder zuzuleiten, von denen wir mit so verhängnisvollen Folgen abgeschnitten waren. Es liegt in unserem Interesse, den Tag zu beschleunigen, wo deutsche Agenten und Organisatoren in der Lage sein werden, in jedem russischen Dorfe die gewöhnlichen Antriebe wieder in Tätigkeit zu setzen . . . Wir wollen also Deutschland ermutigen und unterstützen, seinen Platz in Europa als Schöpfer und Organisator des Reichtums bei seinen östlichen und südlichen Nachbarn wieder einzunehmen."
Moskau - tanzende Soldaten

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Moskau - Händler

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