Der Zusatzvertrag von 1904 zum Deutsch-russischen Handelsvertrag von 1894.

Geraume Zeit schon vor Ablauf des deutsch-russischen Handels-Vertrages von 1894 trafen sowohl die deutsche als auch die russische Regierung umfassende Vorbereitungen zu seiner Erneuerung. Diese Vorbereitungen gipfelten bei beiden Staaten in der Aufstellung von neuen bedeutend erhöhten Zolltarifen, die die Grundlage für die künftigen Verhandlungen bilden und denjenigen Staaten gegenüber in Anwendung gebracht werden sollten, mit denen ein Vertrags-Verhältnis nicht zustande kommen würde. Die hohen Zollsätze dieser Tarife stellten also gewissermaßen Trümpfe dar, die erst im Verlaufe der Verhandlungen nach Maßgabe der gegenseitigen Zugeständnisse ausgespielt werden sollten. Nur für die wichtigsten Getreidearten Roggen, Weizen, Spelz, Gerste und Hafer waren im deutschen Zolltarifgesetz vom 25. Dezember 1902 diejenigen Sätze besonders angegeben, unter welche die Zollsätze des Tarifes durch vertragsmäßige Abmachungen nicht ermäßigt werden sollten. Diese Festsetzung von Minimalzöllen wurde amtlich damit begründet, dass „Deutschlands künftige Handelspolitik von dem Grundsatz auszugehen habe, dass ihre Maßnahmen zugunsten der Ausfuhrindustrie nicht zu einer Beeinträchtigung des für die Erhaltung des Ackerbaues unentbehrlichen Zollschutzes führen dürfe" (114). In der Tat hatte sich die Lage der deutschen Landwirtschaft infolge der immer größer werdenden Konkurrenz der extensiver und deshalb billiger arbeitenden überseeischen Agrarländer so verschlechtert, dass ein verstärkter Zollschutz unentbehrlich schien, falls Deutschlands Getreideversorgung nicht in gänzliche Abhängigkeit vom Auslande geraten sollte. Aber durch die Festsetzung von verhältnismäßig hohen Minimalzöllen für Getreide wurden die Verhandlungen mit Russland sehr erschwert. Denn auch die russische Regierung hatte, nachdem sie schon im Jahre 1900 fast alle ungebundenen Zollsätze erhöht hatte, am 13. Januar 1903 einen allgemeinen Zolltarif erlassen, der abermals bedeutende Steigerungen der Industriezölle und auch wieder Differenzialzölle für See- und Landeinfuhr brachte (115). Milderungen wollte die russische Regierung nur in dem Maße zugestehen, als der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen Russlands bedeutsame Erleichterungen zugestanden würden. Da die deutschen Unterhändler gerade hierin kein Entgegenkommen zeigen konnten, so drohten die Verhandlungen mehr als einmal auf einen toten Strang zu geraten, Nachdem im Juli 1903 die erste Konferenz der deutschen und russischen Delegierten in Petersburg resultatlos verlaufen war, führte auch die zweite in Berlin im November desselben Jahres stattfindende Beratung zu keinem Ergebnis. Erst im Sommer 1904 kam es in Norderney zu einer Einigung zwischen dem Reichskanzler Bülow und dem russischen Ministerpräsidenten Witte. Am 15. Juli wurde der Vertrag unterschrieben, der spätestens am 1. Juli 1906 in Kraft und bis zum 31. Dezember 1917 Geltung haben sollte.

In diesem Vertrage hielt Deutschland seine Minimalzölle für Getreide aufrecht, die im Vergleich zum Tarife von 1894 für Roggen eine Erhöhung um 43%, für Weizen um 57%, für Hafer um 76% und für Gerste um 100% bedeuteten. Von anderen landwirtschaftlichen Zöllen wurde der Butterzoll von 16 auf 20 M., der Hopfenzoll von 14 auf 20 M. erhöht. Letzterer war im autonomen Zolltarife mit 70 M. angesetzt, musste aber auf Drängen Russlands soweit ermäßigt werden. Unverändert blieben die Zölle für Erbsen, Linsen, Futterbohnen, Rübsen, Raps und Eier. Wirkliche Zugeständnisse machte Deutschland nur bei Futtergerste und bei Holz. Dagegen erhöhte Russland seine Zölle auf Eisenwaren, Maschinen, insbesondere Lokomotiven, Dampfmaschinen, Dampfpumpen, auch auf viele chemische Artikel. Von letzteren blieben unverändert die Zollsätze für Zement, Anilin und Alizarinfarben. Ermäßigt wurden dagegen die Zölle für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte, insbesondere Lokomobilen mit Dreschmaschinen und Dampfpflügen, Im russischen Tarif wurden die Zollsätze für rund 50% der Ausfuhr aus Deutschland gebunden, während die Bindungen des deutschen Zolltarifes etwa 74% der Einfuhr aus Russland betrafen. Für die wichtigsten deutschen Ausfuhrartikel stellten sich die russischen Zölle wie folgt (116):


Deutschland dagegen erhob für die wichtigsten Ausfuhrgüter folgende Zölle (s. Tab. S. 83) (117).

Abgesehen von den Tarifen erlitten auch verschiedene Punkte des Vertrages von 1894 durch den Zusatzvertrag von 1904 Umgestaltungen und Vervollständigungen, von denen wir die wichtigsten herausgreifen (118):

Artikel 1, Absatz 2, bestimmt, dass die bisherige dreijährige Frist für die Zwangs Veräußerung von Grundbesitz, den die Ausländer in Russland durch Erbgang oder Heirat erwarben, für die Deutschen auf zehn Jahre erstreckt wird.

Artikel 1, VI: Innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten des Vertrages soll ein Sonderabkommen zwischen beiden Ländern über den Schutz des Urheberrechtes an Werken der Literatur, Kunst und Photographie getroffen werden.

Durch Artikel 2, Absatz 2, wird den Beamten des deutschen diplomatischen und berufskonsularischen Dienstes in Russland die Befreiung von der russischen Zensur gewährleistet.

Artikel 2, I, 2, stellt hinsichtlich der Geltungsdauer des Passvisa die deutschen Handlungsreisenden jüdischen Glaubens den christlichen gleich.

In Artikel 2, I, 4, wurde das russische Schweineeinfuhrkontingent für den oberschlesischen Industriebezirk von 1360 auf 2500 Stück in der Woche erhöht. Dagegen blieben alle Veterinären Bestimmungen Deutschlands bestehen.

Im Artikel 2, III, erklärte sich die russische Regierung bereit, eine Reihe neuer Zollübergangsstellen zu schaffen und sonstige Verkehrserleichterungen vorzunehmen.

Deutsche Ausfuhr nach Russland. (Wert in Millionen Mark.)

Deutsche Einfuhr aus Russland. (Wert in Millionen Mark.)

Im Unterzeichnungsprotokoll zum Zusatzvertrag erhielt Deutschland die Befugnis zur Erhebung von Zuschlagszöllen von russischem Zucker für die Dauer der Brüsseler Konvention, verpflichtete sich aber von dieser Befugnis nur nach Maßgabe der Brüsseler Konvention und der Beschlüsse der Brüssel er ständigen Kommission Gebrauch zu machen.

Trotz der erheblichen Mehrbelastung, die der Zusatzvertrag vom Jahre 1904 im großen und ganzen für den deutsch-russischen Handelsverkehr bedeutete, ließ die weitere Entwicklung desselben sich doch nicht aufhalten, wie folgende Tabellen beweisen (119):

Die Gesamtergebnisse des Spezialhandels ohne Edelmetalle betrugen nach der Deutschen Statistik/ Russischen Statistik

Die Bedeutung des russischen Handels für Deutschland wird durch folgende Zusammenstellungen gekennzeichnet (120):

Einfuhr Deutschlands aus den hauptsächlichsten Ländern. (In Millionen Mark)

Einfuhr Russlands aus den hauptsächlichsten Ländern. (In Millionen Rubel)

Ausfuhr Russlands nach den hauptsächlichsten Ländern. (In Millionen Rubel.)
Moskau - Gouverneurspalast

Moskau - Gouverneurspalast

Moskau - Große Oper

Moskau - Große Oper

Moskau - Händler

Moskau - Händler

Moskau - Im Kreml 1921

Moskau - Im Kreml 1921

Moskau - Im Kreml

Moskau - Im Kreml

Moskau - Pferdeschlitten vor dem Kreml

Moskau - Pferdeschlitten vor dem Kreml

Moskau - tanzende Soldaten

Moskau - tanzende Soldaten

alle Kapitel sehen