Der Deutsch-russische Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 10. Februar 1894.

Die Bestimmungen des Vertrages lehnen sich im allgemeinen an die Systematik der neuen deutschen Handelsverträge an, zum Teil jedoch unter Berücksichtigung derjenigen Verträge, welche Russland früher mit anderen Staaten abgeschlossen hat (106).

Artikel 1 enthält den Grundsatz der Gleichstellung der Angehörigen des fremden Staates mit den Einheimischen in Bezug auf Handel- und Gewerbebetrieb, unter Zusicherung der Meistbegünstigung und mit der Maßgabe, dass die Landesgesetze auf die Fremden Anwendung finden sollen. Hierzu ist im Schlussprotokoll die Meistbegünstigung noch ausdrücklich hinsichtlich des Passwesens ausbedungen.


Durch Artikel 5 verpflichten sich die vertragschließenden Teile von Ausfuhr- und Einfuhrverboten im allgemeinen Abstand zu nehmen, sowie den Transitverkehr auf den demselben geöffneten Wegen zuzulassen. Nur für Artikel, welche Gegenstand eines Staatsmonopols bilden, sind Ausnahmen von diesen Bestimmungen zulässig, desgleichen im Interesse der Gesundheits- und der Veterinärpolizei, ferner der öffentlichen Sicherheit oder aus anderen schwerwiegenden Gründen.

Artikel 6 sichert den beiderseitigen Boden- und Gewerbeerzeugnissen generell die Meistbegünstigung zu hinsichtlich der Zollbehandlung, einschließlich des Verkehrs in zollamtlichen Niederlagen und des Wiederausfuhr- und Transitverkehrs.

Hierzu enthält das Schlussprotokoll die Verpflichtung russischerseits, dass mit dem Tage des Inkrafttretens des Vertrages die bestehenden Unterscheidungszölle (für Kohle, Koks, Baumwolle, Roheisen) bei der Einfuhr über die Landgrenze bzw. die baltischen Häfen Russlands fallen und künftighin derartige Unterscheidungszölle auf der deutschen Grenze Russlands für die Vertragsdauer ausgeschlossen sein sollen. - Deutscherseits wird in dem Schlussprotokoll die Verpflichtung übernommen, unbeschadet der Aufrechterhaltung einiger geringfügigen bestehenden Unterscheidungszölle für den Land- bzw. Seeweg an der russischen Grenze, keine höheren Eingangszölle zu erheben wie an den übrigen Grenzen.

Durch Artikel 8 wird ausbedungen, dass die Waren des einen vertragschließenden Teiles unter keinen Umständen in dem Gebiete des anderen Teiles mit Staats- und Gemeindeabgaben schwerer belastet werden dürfen als die einheimischen.

Artikel 10 schließt alle Durchfuhrabgaben aus.

Artikel 13—17 regeln die Rechte der beiderseitigen Schifffe und zwar im allgemeinen auf der Basis der Gleichstellung der fremden Flagge mit der einheimischen und unter Wahrung der Meistbegünstigung. — Für die Küstenschifffahrt sollen die Landesgesetze maßgebend sein. Auch die Fischerei ist von der Gleichstellung mit der einheimischen ausgeschlossen.

Artikel 19 behält im Eisenbahnverkehr beiden Reichen die unbeschränkte Freiheit zur Ausgestaltung ihrer Tarife vor. Die bestehenden Tarife müssen indessen auf die Angehörigen beider Reiche gleichmäßig angewendet werden. Die Bestimmungen des Schlussprotokolls zu Artikel 19 bezweckten insbesondere den deutschen Ostseehäfen Danzig, Königsberg und Memel die Teilnahme an der überseeischen Vermittlung des Verkehrs nach und von Russland zu wahren, es ist daher die weitere Ausbildung direkter Eisenbahntarife zwischen diesen Häfen und russischen Plätzen nach dem hervortretenden Bedürfnis in Aussicht genommen. Hierbei sollten auf den im Staatsbesitz befindlichen Eisenbahnen die Frachtsätze für Getreideartikel, sowie für Hanf und Flachs der russischen Ausfuhr bis zu den genannten Häfen durchgerechnet und gleichmäßig verteilt werden, und zwar nach denselben Grundsätzen, wie dieselben für den russischen Eisenbahnverkehr nach Libau und Riga jeweilig maßgebend sind.

Artikel 20 bestimmt die Datier des Vertrages vom 20. März 1894 bis zum 31. Dezember 1904. Im Falle keiner der vertragschließenden Teile 12 Monate vor dem Eintritt des letzten Termins seine Absicht, die Wirkungen des Vertrages aufhören zu lassen, kundgibt, soll dieser in Geltung bleiben bis zum Ablaufe eines Jahres von dem Tage ab, wo der eine oder der andere der vertragschließenden Teile ihn kündigt.

Außer diesen wichtigen Zugeständnissen, die unter anderen auch den Mitgenuss der Frankreich gewährten Begünstigungen in sich schloss, umfasste der Vertrag noch eine große Anzahl von Zollermäßigungen und -Bindungen. Russischerseits lag denselben der Zolltarif vom 11. Juli 1891 zugrunde, so dass also beim Inkrafttreten des Vertrages nicht nur der SOprozentige KampfzoIIzuschlag in Wegfall kam, sondern auch die 20— 30prozentigen Zuschläge, durdi weldie der 1891er Tarif zum Maximaltarif ausgestaltet wurde. Von den 218 Zollsätzen des Tarifes vom 11. Juni 1891 wurden 71 teils ermäßigt, teils gebunden. Folgende besonders wichtige deutsche Ausfuhrartikel betreffende Zollermäßigung seien hervorgehoben:

Deutschland hingegen gewährte Russland die Zollsätze seines Vertragszolltarifes, von denen 27 ganz oder teilweise für die Dauer des Vertrages gebunden wurden. Über den Vertragszolltarif vom 1. Februar 1892 hinaus wurden Russland Zugeständnisse gemacht in der Zollbindung für Lumpen, Asbest, Pappe und Papier aus Asbest, nicht besonders genannte vegetabile Spinnstoffe, Stuhlrohr, Hornstäbe, Maschinen ganz oder überwiegend aus Holz, Kaviar, Fischspeck, Knochenfett und sonstiges anderweit nicht genanntes Tierfett, Pech und Harze, Tuchleisten, grobe Filze und bedruckte Wollwaren. Außerdem wurde unter Aufrechterhaltung der Autonomie des Zollsatzes die alternative Verzollung der gereinigten Mineralleuchtöle nach Hohl- oder Gewichtsmaß bewilligt, was für Russland insofern von Bedeutung war, als das russische Petroleum schwerer ist als das amerikanische und bei einer Verzollung nach Litern besser wegkommt. Die wichtigsten Zollermäßigungen, die Russland durch den Vertrag erlangte, sind folgende (107).

Nach der Meinung Professor Ballods begünstigte der Handelsvertrag vom Jahre 1894 die russische Ausfuhr nach Deutschland mehr als die Ausfuhr deutscher Industrieprodukte nach Russland (108). Seinen Berechnungen zufolge betrug der Zoll auf den wichtigsten Ausfuhrartikel Russlands, Getreide, im Durchschnitt 29,7% des Wertes, dagegen war der russische Zoll auf die wichtigsten deutschen Ausfuhrwaren, Eisen und Maschinen, mit 52,9% nahezu doppelt so hoch, die russischen Zölle auf Farbwaren, fertige Gewebe, Wäsche, Kleider, Papier, Zucker wären mit 100— 300% geradezu prohibitiv. Nichtsdestoweniger zeigten sich gerade die deutschen Industriekreise über das Zustandekommen des Vertrages äußerst zufrieden, als dessen Hauptvorteil sie die Gewährung einer größeren Stabilität der Zollverhältnisse ansahen (109). In ihren Erwartungen wurden sie auch nicht getäuscht, denn die Ausfuhr deutscher Industrieerzeugnisse nach Russland, namentlich von Eisen und Maschinen, nahmen in den nächsten Jahren einen ungeheuren Aufschwung, Andererseits gelang es auch Russland, bald seine dominierende Stellung in Deutschlands Getreide-Versorgung wieder einzunehmen. Die Statistik gibt uns ein deutliches Bild von der günstigen Wirkung des Handelsvertrages auf den deutsch-russischen Handelsverkehr, trotzdem die Ergebnisse der deutschen Reichsstatistik erheblich von denjenigen der russischen abweichen, wie folgende Tabelle zeigt:

Deutsch-russischer Warenverkehr im Spezialhandel (ohne Edelmetalle.)

Die russische Ausfuhr gibt für die Ausfuhr viel niedrigere Zahlen, für die Einfuhr dagegen höhere an als die deutsche. Namentlich differieren die russischen Exportziffern gegenüber denen des deutschen Imports. Das hat seinen Grund darin, dass ein großer Teil der russischen Ausfuhr nach Deutschland auf dem Seewege über Holland, Belgien usw. geht, in der russischen Statistik figuriert er nun als Ausfuhr nach Holland, Belgien usw., in der deutschen aber als Einfuhr aus Russland, Die Zahlen der russischen Einfuhr und der deutschen Ausfuhr differieren in den beiden Statistiken nicht zu sehr in den Mengen als in den Werten (111).

Dies rührt daher, dass im Gegensatz zu der in Deutschland üblichen amtlichen Besetzung von Einheitswerten für die einzelnen Warengruppen in Russland die Importeure selbst den Wert der Waren angeben und meist Zoll und Fracht zum Kaufpreis zuschlagen, — Der deutschen Reichs-Statistik nach gestaltete sich der Güteraustausch während der Wirkungszeit des deutsch-russischen Handelsvertrages vom Jahre 1894 wie folgt:

Deutsche Ausfuhr nach Russland. (Wert in Millionen Mark)
Moskauer Börse 1920

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Moskau Roter Platz, 1921

Moskau Roter Platz, 1921

Armenisches Büffelgespann

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Tarantaß - Russlands Postkutsche

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Gasthaus im Kaukasus

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