Die Parchimsche Beschwerde über das Angehen geistlicher Gerichte

Am 25. Januar 1513 erließen die Herzöge Heinrich und Albrecht "mit ihren trefflicken Rederen", d. h. mit Beirat ihrer Räte aus der Ritterschaft, die sog. Hofgerichts-Ordnung (abgedruckt bei v. Kamptz loc. citat. S. 5-7). Aus dieser Tatsache geht hervor, dass im Jahre 1512 spätestens aber im Januar 1513 eine Versammlung der herzoglichen Räte zur Beratung und Verabschiedung eines auf das Gerichts-Verfahren Bezug habenden Gesetzes stattgefunden hat. Hätte zu dieser Zeit die Parchimsche Beschwerde über das Angehen geistlicher Gerichte schon vorgelegen, so würde dieselbe sicherlich gleichzeitig den Gegenstand der Beratung gebildet haben und die Verordnung gegen das Angehen der geistlichen Gerichte nicht erst fünf Monate später erlassen sein.

Wir müssen daher annehmen, dass die Parchimsche Beschwerde erst nach der Beschlussfassung über das Gesetz vom 25. Januar 1513 eingereicht worden ist, dass auf der Versammlung zu Sternberg am 24. April 1513 in dieser Beziehung weiteres Material den Herzögen mitgeteilt und dass diese, da die Erlassung der Polizeiordnung infolge einer in den einzelnen Städten anzustellenden Erkundigung noch verschoben werden musste, zur Vermeidung weiterer Schwächung ihrer landesherrlichen Autorität eine sofortige, vorläufige Verordnung gegen das Angehen geistlicher Gerichte in rein weltlichen Sachen beschlossen haben. Die kurze Verzögerung (vom 24. April bis zum 29. Juni) in der Publikation dieser Verordnung erklärt sich hinreichend durch die dazwischen fallende, am 5. Juni 1513 zu Wismar mit großem Pomp gefeierte Hochzeit des Herzogs Heinrich mit Helene, der Tochter des Kurfürsten Philipp von der Pfalz. (Meckl. Jahrbücher, Bd. 50, S. 279.)


Dass die Sternberger Vorlage und die oben erwähnte Verordnung vom 29. Juni 1513 zeitlich nahe zusammenfallen, wird durch die Wahrnehmung bestätigt, dass während in den zu Sternberg aufgestellten Grundzügen für die zu erlassende Ordnung und in der vorläufigen Verordnung vom 29. Juni 1513 noch von einem ausnahmslosen Verbot des Angehens geistlicher Gerichte die Rede ist, in der Polizei-Ordnung von 1516 selbst, nach der Beratung mit den Ständen, also auch dem Prälaten-Stande, bereits einige Ausnahmen von dem 1513 aufgestellten Prinzip zugelassen werden.

Ist die Annahme richtig, dass die Verhandlungen zu Sternberg nicht früher als im Jahre 1513 stattgefunden haben und dass die Parchim'sche Vorlage in das Jahr 1512 oder in den Anfang des Jahres 1513 zu verlegen ist, so muß die in der Röbel'schen Beschwerdeschrift erwähnte Krakower Versammlung jedenfalls in das Jahr 1512 und zwar nach dem Sonntage Kantate (9. Mai) fallen, da es bei dem Interesse, das die Herzöge an dem Zustandekommen des Gesetzes zeigten, nicht wahrscheinlich ist, dass man den Städten einen längeren Zeitraum als den eines Jahres zur Beratung des "Krakower Abschiedes" wird gelassen haben.

Nach diesen Ausführungen, für die ich allerdings nur den Wert einer Hypothese in Anspruch nehmen kann, ist der Verlauf der Verhandlungen, die schließlich im Jahre 1516 zur Erlassung der Polizeiordnung geführt haben, folgendermaßen:

Im Jahre 1512 hatten die Herzoge Heinrich und Albrecht zur Beratung mannigfaltiger Beschwerden über Missbräuche in den Städten Vertreter derselben aus dem Rate nach Krakow geladen. Über den Gegenstand der Verhandlung ist weiter nichts bekannt, als dass in dem "Abschiede" den einzelnen Abgeordneten aufgegeben wurde, mit den übrigen Ratsmitgliedern ihrer Stadt weiter zu beraten.

Es liegt nun eine Gruppe von Schriftstücken aus dem Jahre 1512 vor, in denen die Städte Malchin, Parchim, Röbel und Güstrow (letztere in Gemeinschaft mit Neubrandenburg) das Resultat ihrer Beratungen einreichen. Soweit die Beschwerden der einzelnen Städte zusammenfallen, darf man wohl auf eine und dieselbe Veranlassung zur Beratung, also auf den Krakower Abschied schließen. Diese Übereinstimmung zeigt sich bei den Klagen über das Aufkaufen der Wolle durch die Bewohner der Mark und des platten Landes, über das Brauen der Edelleute, Krüger, Müller und anderer Landbewohner, sowie schließlich über das Überhandnehmen der ein Handwerk und die Kaufmannschaft treibenden Personen außerhalb der Städte.

Daneben wünschten Güstrow-Neubrandenburg außer anderen baupolizeilichen Bestimmungen die Erleichterung der Wiederherstellung verfallener Häuser und der Bebauung wüster Hausstellen, sowie das Verbot von Strohdächern und Scheunen in den Städten. Ferner brachten dieselben eine Beschränkung des Aufwandes bei Hochzeiten, und die Erleichterung der Aufnahme in die Handwerksämter in Anregung. Parchim beschwerte sich über die Appellation der Stadtbewohner von dem "richtewalt" der Stadt an die Herzöge, sowie über das Angehen der geistlichen Gerichte in weltlichen Sachen.

Schließlich begehrte diese Stadt ein Privilegium für die Stadtbewohner, ihre auf dem platten Lande wohnenden Schuldner, sobald sie derselben habhaft würden, in die Schuldhaft abführen zu dürfen.

Wenn nun auch der Sternberger "Ratschlag in seinem Eingange bezeichnet ist: Artikel szo die geschicktenn von stedenn hinder sich bringen," d. h. Artikel, worüber die Abgeordneten der Städte nach Hause berichtet haben, wenn er also hiermit auf den Krakower Abschied hinzuweisen scheint, so ist es doch sicher, daß nicht alle in demselben berührten Punkte Gegenstände der Krakower Verhandlungen gewesen sind. Es würden so wichtige Gegenstände, wie die von Parchim erwähnten Klagen vor geistlichen Gerichten und das von dieser Stadt gewünschte Privilegium der Städter gegen die Schuldner vom Lande, wenn sie schon in Krakow zur Sprache gebracht wären, sicherlich auch von den übrigen Städten in den Kreis ihrer Beratungen gezogen und demgemäß auch in ihren Eingaben berührt sein. Es ist somit sicher, dass die Abgeordneten der Städte auch mit mancherlei neuen Wünschen nach Sternberg kamen. Wenn auch nicht alle in die der Versammlung gemachten Vorlage aufgenommen wurden, so sind doch in der Verhandlung, sowie in dem Gesetze selbst alle berücksichtigt worden. Freilich ist dies nicht immer in dem Sinne der Antragsteller geschehen; so wurde die Beschwerde der Stadt Parchim über die Appellation von dem Richtewalt an die Herzöge anscheinend durch die Bestimmung erledigt, dass wenn die Herzöge selbst nicht zu erreichen, die Berufung an den herzoglichen Voigt gehen sollte. Es ist dies ein Beweis, dass es den Herzögen neben dem Bestreben, Ordnung im Lande zu schaffen, auch darum zu tun war, ihre landesherrliche Autorität möglichst zu stärken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Entstehung der mecklenburgischen Polizeiordnung.