Die Elendenbruederschaften

Ein Beitrag zur Geschichte der Fremdenfürsorge im Mittelalter
Autor: Moeller, Ernst von Dr. jur. (1876-?) Privatdozent an der Universität Berlin, Erscheinungsjahr: 1906
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mecklenburg- Vorpommern, Hansestädte, Armenfürsorge,
Inhaltsverzeichnis
    Erster Teil
    1. Die Verbreitung der Elendenbrüderschaften
Einleitung.

Die Elendenbrüderschaften sind bisher in der Literatur nicht näher untersucht worden. Zu nennen wäre höchstens die Arbeit von Leopold v. Ledebur aus dem Jahre 1850 über die Kalands-Verbrüderungen in den Landen sächsischen Volksstammes mit besonderer Rücksicht auf die Mark Brandenburg. Ledebur nennt hier eine Reihe von Elendsgilden und sucht sie von den Kalanden zu unterscheiden. Aber seine Angaben sind im einzelnen vielfach ungenau und durchaus lückenhaft. Über die Verbreitung kommt er zu falschen Resultaten, auf die Tätigkeit der Elendsbrüderschaften hat er sich überhaupt nicht näher eingelassen. Noch viel geringer ist der Wert eines Aufsatzes über „die Elendsgilden in der Mark Brandenburg“, den Oskar Schwebel, damals Kandidat der Theologie in Wittstock, am 23. Februar 1870 im Verein für die Geschichte Potsdams durch den Geh. Hofrat Louis Schneider vorlesen und dann in den Mitteilungen des Vereins drucken ließ.

In anderen Gebieten sind nicht einmal derartige kümmerliche Versuche, das Material zu durchforschen, unternommen worden; auch in Gegenden nicht, in denen die Elendenbrüderschaften ebenso häufig wie in der Mark Brandenburg vertreten sind.

Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, wenn über Verbreitung und Zwecke der Elendsgilden in der Literatur der bunteste Wirrwarr der Meinungen herrscht. Bald wird behauptet, ihr Verbreitungsgebiet decke sich mit dem der Kalande, bald werden wir belehrt, Elendenbrüderschaften habe es in allen Städten gegeben; was beides gleich unrichtig ist. Der eine meint, ihre Hauptsorge sei die Beförderung von Pilgerfahrten gewesen, der andere lässt sie gefangene Christen aus türkischer Sklaverei loskaufen, der dritte bildet sich ein, sie hätten in Beguinenhäusern Krankenpflege geübt. Manche glauben, sie hätten ihre Fürsorge auf Vertriebene und aus ihrer Heimat flüchtige Christen beschränkt, andere sehen in ihnen Hilfsvereine für „unsere Brüder von der Landstraße“. Dieser legt den Nachdruck auf das Herbergen, jener auf das Begraben, ein dritter auf das Gebet samt Messen und Vigilien. Kurz: weder über die Elenden noch über die Liebeswerke, die an ihnen getan werden, herrscht Einhelligkeit. Und sogar die Ansicht hat ihre Vertreter gefunden, dass wir es mit Brüderschaften zu tun hätten, welche aus Elenden beständen.

Schon diese Mannigfaltigkeit der Meinungen zeigt, dass es an Literesse für diese Brüderschaften mit ihrem seltsamen Namen eigentlich nicht fehlt. Und in der Tat ist von ihnen allenthalben bei Juristen und Nationalökonomen, bei katholischen und protestantischen Theologen, bei Historikern aller Gattungen und selbst bei Medizinern die Rede. Die soziale Bewegung unserer Gegenwart hat längst auf allen Seiten das Auge für die soziale Arbeit der vergangenen Jahrhunderte geschärft. Und es ist allbekannt, welch eigenartigen Anteil die Kirche mit ihrem Brüderschaftswesen daran gehabt hat

Aber fast ausnahmslos handelt es sich nur um kurze Erwähnungen und Hinweise. Unter den Rechtshistorikern nehmen z. B. Eichhorn*) und Gierke **) auf die Elendsgilden Bezug. In der allgemeinen Literatur über das Städtewesen werden sie häufig genannt. Wilda ***) macht ein paar nähere Angaben über sie. Ganz ebenso enthalten die zusammenfassenden Darstellungen aus dem Bereich der Kirchengeschichte nur wenig Material. Das beste, was Theologen zu unserem Thema beigesteuert haben, findet sich in Uhlhorns und Batzingers Büchern über die Geschichte der christlichen Liebestätigkeit. Aber auch hier liegt kein planmäßiges, systematisches Studium über die Elendenbrüderschaften vor, sondern nur Mitteilung einzelner älterer Angaben mit ein paar Ergänzungen, die den Verfassern gerade zur Hand waren. Noch spärlicher sind naturgemäß die Notizen, die die Mediziner, z. B. Virchow, Haeser oder Spengler, in ihren Arbeiten über die Geschichte der Krankenpflege beisteuern.

*) Staats- und Rechtsgeschichte II, 1821 p. 456.
**) Genossenschaftsrecht I, 1868 p. 238.
***) Gildenwesen im Mittelalter, 1881 p. 850f.


An Quellen für unsere Untersuchung fehlt es in keiner Weise. Vom Anfang des vierzehnten Jahrhunderts bis auf unsere Gegenwart hin liegen sie allenthalben in großer Menge zerstreut vor. Und an zahllosen einzelnen Punkten hat schon längst die lokale Geschichtsschreibung ihr Augenmerk auf diese Brüderschaften gerichtet. Statuten, Privilegien von Landesherren und Kirchenfürsten, Geschäftsurkunden aller Art, Schenkungsbriefe, Vermögensregister und Mitgliederlisten geben uns aus den verschiedensten Gegenden Deutschlands ein anschauliches Bild nicht bloß von der Existenz, sondern vor allem von der Betätigung der Elendsgilden.

Die Schwierigkeit in der Benutzung dieser Quellen hängt mit dem Mangel jeder einheitlichen Organisation der Elendenbrüderschaften zusammen. Es gibt keine gemeinsamen Quellen, da sie untereinander in keinerlei Verbindung standen. Überall müssen wir auf die lokalen Quellen zurückgehen und in den einzelnen Städten und Dörfern Umschau halten. Nur auf diesem Wege lassen sich die gemeinsamen Grundzüge der Entwicklung feststellen, Regel und Ausnahme voneinander unterscheiden. Das Verfahren ist etwas unbequem, da jede einzelne Quelle meist nur wenig von Belang ergibt und viel unbrauchbares Material auf gut Glück durchmustert werden muss. Aber bei der großen Zahl der Quellen scheint dieser Weg trotzdem lohnend.

Die Rechtsquellen im engeren Sinn, Rechtsbücher, Gesetze, Stadtrechte, Landesordnungen u. dgl., enthalten nur ausnahmsweise Notizen über Elendenbrüderschaften; so z. B. das Rügische Landrecht des Matthäus von Normann. Wo in alter Zeit ein Gesetzgeber allgemeine Normen für solche Vereinigungen aufstellt, da handelt es sich etwa um die Frage der Bestätigung oder der Aufhebung, kurz um Gesichtspunkte, die bei den meisten Brüderschaften zutreffen. Von Gilden oder Zünften insgemein wird dann gelegentlich in einer Polizeiordnung gesprochen. Aber die Elendsgilden im besonderen kommen fast nie zur Erwähnung. Das bloße Schweigen der allgemeinen Rechtsordnungen eines Landes oder einer Stadt ist selbstverständlich niemals zum Beweise gegen ihr Vorkommen zu verwerten.

Sehr viel ergiebiger sind die Urkundensammlungen. Namentlich für das vierzehnte und fünfzehnte Jahrhundert bieten sie eine Fülle von Nachrichten über Rechtsgeschäfte, die von den Elendenbrüderschaften oder zu ihren Gunsten abgeschlossen worden sind. Für die Mark Brandenburg ist viel derartiges Material in Riedels Codex diplomaticus zu finden. Aber hier und in anderen Fällen macht sich sehr lästig fühlbar, dass die vorhandenen Register für unsere Zwecke nicht völlig ausreichen. Brauchbare Sachregister, wie das Mecklenburgische Urkundenbuch sie bietet, sind heute leider immer noch eine Seltenheit.

Viel Material ist in den Hunderten von deutschen Städtegeschichten verstreut. An Vollständigkeit in der Ausnutzung ist hier natürlich so wenig wie bei den Urkundensammlungen zu denken. So lange wir keine reichhaltigen Fachbibliotheken mit Präsenzzwang haben, muss man sich mit Stichproben begnügen. Ein zweites Hindernis liegt in der Art dieser ganzen Literaturgattung. Die Verfasser der Städtechroniken sind großenteils Prediger, Lehrer, Bürgermeister, Schriftsteller, die in der Geschichtsschreibung nur als Laien rangieren. Vorsicht ist hier sehr am Platze. Generalisierenden Behauptungen über Elendenbrüderschaften, wie sie sich in solchen Darstellungen häufig finden, darf man nicht leicht Glauben schenken. Um so wertvoller sind Einzelangaben, zumal wenn sie urkundlich belegt sind. Auch Arbeiten, die wissenschaftlich auf keinem hohen Standpunkt stehen, können in dieser Richtung für uns sehr wertvoll sein.

Neben den Städtegeschichten kommen namentlich die Kirchengeschichten in Betracht, nicht die allgemeinen Lehr- und Handbücher, wohl aber die zahlreichen Darstellungen, die sich mit der Kirchengeschichte einzelner Landesteile oder mit der Geschichte einzelner Kirchen beschäftigen. Diese spezielle kirchenhistorische Literatur ist für die Erforschung der Elendenbrüderschaften im weitesten Umfang wichtig, da die Brüderschaften hoch ins Mittelalter hinaufreichen und andererseits noch heute bestehen. Katholische und evangelische Arbeiten sind gleichmäßig zu berücksichtigen. Besonders ergiebig sind Untersuchungen über die Reformationszeit, weil sich damals der Gegensatz der katholischen und evangelischen Anschauungen über die Brüderschaften am schärfsten geltend machte. Namentlich enthalten die Visitationsprotokolle in Menge interessantes Material über die Elendsgilden; vor allem werden regelmäßig die Besitzverhältnisse sehr genau gebucht.

Musste dieser umständliche Weg zur Auffindung der Quellen eingeschlagen werden, so lag es nahe, noch einen Schritt weiter zu gehen und auch ungedrucktes Material zu verwerten. In Berlin habe ich zu diesem Zweck das Geheime Staatsarchiv und das Stadtarchiv benutzt. Ferner sind mir vom Staatsarchiv in Koblenz, von den Stadtarchiven in München und Stendal und von der Elendenbrüderschaft in Paderborn einige interessante Schriftstücke durch Übersendung nach Berlin zugänglich gemacht worden. Und außerdem habe ich an eine Reihe von staatlichen und städtischen Archiven die Anfrage gerichtet, ob in den dortigen Akten Angaben über Elendenbrüderschaften vorhanden seien. Den Mitteilungen, die ich daraufhin erhielt, habe ich zahlreiche wertvolle Aufschlüsse entnehmen können. Ganz besonders gilt das von den Nachrichten, die mir von den preußischen Staatsarchiven in Koblenz, Magdeburg, Münster, Schleswig, Stettin und Wiesbaden zugegangen sind. Allen Archivverwaltungen und allen einzelnen, die mich in dieser oder jener Weise bei diesen Nachforschungen unterstützt haben, sage ich meinen ergebensten Dank.

Die Einteilung der Untersuchung kann keinerlei Schwierigkeiten bereiten. Den Ausgangspunkt bildet naturgemäß die Frage nach der Verbreitung der Elendenbrüderschaften. Nur wenn wir wissen, wo und wann sie vorkommen, gewinnen wir festen Boden unter den Füßen. Wir werden uns dann im zweiten Teile mit der Organisation, den Zwecken und dem Ursprung der Elendenbrüderschaften beschäftigen. Auf diesem Wege werden wir allen Einzelheiten der Überlieferung gerecht werden können und vor allem die falsche, immer noch aus Bequemlichkeitsrücksichten so beliebte Methode vermeiden, einfach das lokale Vorkommen zum Haupteinteilungsgrund zu nehmen und dann aufzuzählen, was über diese, was über jene Elendenbrüderschaft für Angaben vorliegen. Dies Verfahren, das z. B. Virchow in seiner Abhandlung über den Aussatz eingeschlagen hat, ist nicht bloß langweilig, es erschwert nicht nur den Überblick, sondern es führt fast notwendig zu falschen Verallgemeinerungen. Die Unbequemlichkeit in der Benutzung ist die Folge der Bequemlichkeit des Verfassers. Statt auf die Hauptsache wird auf die einzelne Erscheinung das Hauptgewicht gelegt und Genauigkeit im einzelnen erreicht, im Resultat aber nicht. Materialsammlung ist nur ein Teil der wissenschaftlichen Arbeit. Erst die Gegenüberstellung und Vergleichung der Überlieferung über die Elendengilden aus den verschiedenen Gegenden Deutschlands ermöglicht uns, sie richtig zu beurteilen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung
Erster Teil. Die Verbreitung der Elendenbrüderschaften

I. Berlin und die Provinz Brandenburg
II. Schlesien, Posen, Preußen und Pommern
III. Mecklenburg, die Hansestädte, Schleswig-Holstein und Skandinavien
IV. Die Provinz und das Königreich Sachsen, Anhalt und die thüringischen Staaten
V. Braunschweig, Hannover, Westfalen, Waldeck, Hessen-Nassau und Rheinprovinz
VI. Süddeutschland

Zweiter Teil. Die Organisation, die Zwecke und der Ursprung der Elendenbrüderschaften

I. Die Organisation
II. Die Betätigung im eigenen Kreise
III. Die Elenden
IV. Die Fürsorge für die Elenden bei Lebzeiten
V. Die Fürsorge für die Elenden nach ihrem Tode
VI. Der Ursprung der Elendenbrüderschaften
Ortsregister

Kirchlicher Würdenträger in der Hansezeit

Kirchlicher Würdenträger in der Hansezeit

Edelfrau in der Hansezeit

Edelfrau in der Hansezeit

Fuhrmann in der Hansezeit

Fuhrmann in der Hansezeit

Jäger in der Hansezeit

Jäger in der Hansezeit

Hanseatische Kaufleute

Hanseatische Kaufleute

Hanseatische Kaufleute (2)

Hanseatische Kaufleute (2)

Kriegsmann mit Beute beladen

Kriegsmann mit Beute beladen

Sittenbild aus der Hansezeit

Sittenbild aus der Hansezeit

Familienbad

Familienbad

Gesellschaftsbad

Gesellschaftsbad

Handelshaus im Mittelalter

Handelshaus im Mittelalter

Öffentliche Badestube

Öffentliche Badestube

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Sittenbilder aus dem Mittelalter

Einschiffung im Mittelalter

Einschiffung im Mittelalter