Vorreformatorische Strömungen

Der Gedanke an eine Kirchenreformation, wie sie im sechzehnten Jahrhundert in Deutschland durchgeführt wurde, ist sehr alt. Derartige Bestrebungen finden sich schon im frühen Mittelalter, wie die Gestalt eines Arnold von Brescia zeigt. Sein Unternehmen scheiterte, weil die rechte Zeit noch nicht gekommen war. Damit gingen aber diese Tendenzen nicht unter: in Frankreich tauchten die Waldenser auf, welche sich trotz der blutigsten Verfolgungen erhielten; in Italien erklärte Savonarola, der mutige Prior von San Marko in Florenz, dem Papsttum und damit nach damaliger Anschauung der katholischen Kirche den Krieg; in England ließ John Wicleff seine Stimme erschallen und zu Konstanz büßte Johannes Hus aus Prag sein Auftreten gegen die herrschende Lehre mit dem Feuertode.

Auch Rostock blieb von hussitischen Einflüssen nicht unberührt: dort lebte ein Priester und baccalaureus formatus theologiae Nikolaus Rutze, der mit den Hussiten in Verbindung gestanden haben muss. Die Nachrichten, die wir über Rutzes Person haben, sind nur spärlich: Rutze, der seit 1550 in der Literatur fälschlich ,,Rus“ genannt wird, stammte aus Rostock, wo er wahrscheinlich in den fünfziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts geboren ist. 1477 wurde er an der dortigen Universität immatrikuliert, steht 1479/80 als Baccalaureus in der Artisten-Matrikel und wurde 1485 Magister. Rutze hielt, wie nunmehr urkundlich feststeht, Vorlesungen an der Rostocker Universität. Für die spätere Entwicklung der Reformation in Mecklenburg wurde er dadurch bedeutsam, dass neben einem gewissen Vitus, über dessen Person und Wirksamkeit sich bis jetzt nichts Bestimmtes sagen lässt, Konrad Pegel, mit dem wir uns noch zu beschäftigen haben werden, sein Schüler war. Gestorben ist Rutze wohl zwischen 1508 und 1509 in Rostock, wenigstens hat er um diese Zeit sein Testament, das uns freilich nicht erhalten ist, gemacht.


Es ist nunmehr erwiesen, dass Rutze in Beziehungen zu den Hussiten gestanden hat, denn er gab, allerdings unter seinem Namen, Schriften heraus, welche Hus in czechischer Sprache geschrieben hatte.

Das bekannteste, noch im fünfzehnten Jahrhundert zu Lübeck gedruckte derartige Werk ist die Schrift ,,Van deme rêpe“, was später irrtümlich mit ,,De triplici funiculo (,,Von den drei Strängen,) übersetzt wurde. Bis zum Jahre 1846 kannte man dies Buch nur aus der Angabe, welche sich hierüber bei Matthias Flacius Illyricus in seinem ,,Catalogus Testium veritatis, qui ante nostram aetatem reclamarunt Papae“ Brasileae 1556 (S. 1014-1016) findet. 1846 wurde Rutzes Buch in der Rostocker Universitäts-Bibliothek wieder aufgefunden als das erste Denkmal hussitischer Propaganda in niederdeutscher Sprache.

Das Werk zerfällt in zwei ungleiche Teile, von denen nur der erste und kleinere den angegebenen Titel führt. Die Benennung ,,Von den drei Strängen“, richtiger von ,,Von dem dreifachen Strang“, erklärt sich daraus, dass der Verfasser sich sinnbildlich einen aus drei Strängen geflochtenen Strick als ein heiliges Leben und Rettungsmittel aus Sünde und Tod vorstellt. Diese drei Stränge find der lebendige Glaube, die Hoffnung und die Liebe, deren Inhalt in zwölf Kapiteln kurz dargestellt wird. - An diesen ersten Teil schließt sich dann in 95 Kapiteln eine ausführliche praktische Auslegung des apostolischen Glaubensbekenntnisses, der zehn Gebote und des Vaterunsers.*)

In seinen Ausführungen wendet sich der Verfasser scharf gegen die entartete kirchliche Lehre und Sitte seiner Zeit, besonders gegen die unevangelische Stellung, die der Papst und die Geistlichkeit in der Kirche, die für ihn die Versammlung der Heiligen oder Auserwählten ist, einnehmen. Zwar erkennt der Verfasser, dass Gott Barmherzigkeit will, nicht Opfer, entwickelt auch hinsichtlich der Bibel evangelische Ansichten, dringt aber nicht zu der Erkenntnis hindurch, dass allein der Glaube Gerechtigkeit, Seligkeit und Heiligung bewirkt. Im Einzelnen wendet der Verfasser sich gegen verschiedene Hauptlehren der katholischen Kirche und sagt z. B., die Sündenvergebung durch den Papst sei ein Betrug der Gläubigen, die wahre Sündenvergebung werde denen, die ihre Sünden wahrhaft bereuten, nur durch Gott um Christi willen zu Teil; der Papst habe gar nicht die ihm von vielen zugeschriebene Macht, und man dürfe nur dann auf ihn hören, wenn er die Wahrheit verkündige; die Gebeine der Heiligen dürfe man nicht anbeten, überhaupt die Heiligen nicht anrufen; die Geistlichen müssten Steuern zahlen und der weltlichen Obrigkeit unterstehen; die von Menschen herstammende Tradition sei zu verwerfen; besonders aber sei das schandbare Leben der Geistlichen zu tadeln, die sich gar nicht um ihr Amt kümmerten, sodass sie Diener des Antichrists wären.

*) Nachricht über die Auffindung und eingehende Inhaltsangabe des Buches gibt J. Wiggers in der Zeitschr. für hist. Theologie 1850, S. 171-237.

Es steht jetzt, wie schon erwähnt, fest, dass nicht Rutze der Verfasser dieser Schrift ist, sondern dass es sich um eine Übersetzung von Arbeiten des Hus handelt. So ist der zweite Teil der in Rede stehenden Schrift Rutzes nichts weiter wie eine Übersetzung der Schrift des Hus ,,Auslegnng des Glaubens, der zehn göttlichen Gebote und des Gebetes des Herrn“. Rutze jedoch scheint diese Tatsache, um die Verbreitung der Schriften nicht von vornherein zu hindern, als strenges Geheimnis bewahrt zu haben. Auch hat er die betreffenden Schriften des Hus nicht einfach übersetzt, sondern einige Stellen und Lehransichten, so die Lehre vom Fegefeuer, fortgelassen, wenn er mit ihnen nicht übereinstimmte, oder von Hus aufgehellte Lehren modifiziert, so besonders die Lehre vom Eid: Hus bezieht sich bei der Behandlung des Meineids auf eine Äußerung des Johannes Chrysostomus, die wörtlich angeführt wird; Rutze gibt statt dessen einen andern Text, sagt aber ausdrücklich, obwohl Auslassungen vorgenommen sind, dies seien die Worte des Johannes Chrysostomus unverkürzt. - Auch lässt Rutze das Kapitel ganz fort, das bei Hus die Überschrift trägt: „Ist Schwören erlaubt?“

Nach dem, was wir bis jetzt über Rutzes Schriften gesagt haben, ist es interessant, festzustellen, dass in der Gegenwart von katholischer Seite behauptet worden ist, es handele sich nicht um ein ketzerisches Buch, sondern um ein solches, das auf rechtgläubigem katholischem Standpunkt stehe. Zu Rutzes Zeiten hat man dies nicht gefunden, sondern das Buch sollte auf Betreiben der Inquisition vernichtet werden. Es gelang aber, einige Exemplare zu retten, sodass Flacius sie später benutzen konnte. Auch soll Rutze nach Flacius (a. a. O.) seiner Lehre wegen Verfolgungen zu erleiden gehabt haben, sodass er nach Wismar und Riga geflohen und nach einer Überlieferung in letzterer Stadt gestorben sei. Diese Mitteilungen sind aber zweifellos unrichtig: Rutze wird der Rostocker Universität bei ihrer noch zu erwähnenden Auswanderung während der Domfehde nach Wismar gefolgt sein, dann aber unangefochten in Rostock, wo er ansässig war, bis zu seinem in Rostock erfolgten Tode (1508 oder 1509) gelebt haben. Auch scheint er sich trotz seiner abweichenden Lehre durchaus nicht von der katholischen Kirche losgesagt zu haben, denn er setzte in seinem Testament ein kirchliches Legat aus.

Von Rutze besitzen wir weiter noch einen kleinen Traktat ,,dit is wedder de, dede van deme loven willen treden, edder willen nicht loven, dat jhesus is des waren godes sones effte de ware messias.“ Endlich erwähnt Flacius (a. a. O.) noch eine Evangelienharmonie des Rutze, die aber verschollen ist.

Weiter fehlte es in Rostock auch nicht an Anhängern der Lehren Wicleffs, sodass sogar eine Frau als Ketzerin verbrannt wurde, weil sie eine Anhängerin des englischen Reformators sein sollte. Dass Wicleffs Lehren überhaupt Eingang in Rostock gesunden hatten, ist erklärlich, wenn man bedenkt, in wie lebhaften Handelsbeziehungen Rostock mit England stand.

Der wichtigste Faktor aber für die Anbahnung der Reformation war das Aufblühen des Humanismus in der Stadt, welcher das geistige Leben des Volkes in ganz neue, bisher unbekannte Bahnen lenkte.

Der Humanismus ging aus das Studium der alten Schriftsteller in der Ursprache zurück und warf damit das bisherige Lehrsystem, welches sich mit Übersetzungen begnügt hatte, die oft sehr falsch und lückenhaft waren, über den Haufen. Da die hier besonders in Betracht kommenden Universitäten damals noch eng mit der Kirche zusammenhingen, so ist es leicht verständlich, dass mit einer freieren wissenschaftlichen Forschung, deren Ergebnisse sich häufig mit den kirchlich approbierten Ansichten durchaus nicht deckten, auch ein freierer Standpunkt der Kirche selbst gegenüber gewonnen werden musste, als die Humanisten anfingen, auch die Schriften der Kirche, wie die Bibel, und diejenigen der Kirchenväter in den Kreis ihrer Studien zu ziehen. Gerade die Humanisten waren es auch, welche die Geistlichen wegen ihrer verschiedenen Fehler scharf geißelten, und, indem sie die Lehren der Kirche auf Grund der Urtexte der maßgebenden Bücher prüften, durch Wort und Schrift in den wissenschaftlich gebildeten Kreisen, aber auch in der großen Masse des Volkes das Bewusstsein weckten, dass die Kirche reformationsbedürftig sei.

Um zu erkennen, in wie weit der Humanismus für Rostock bedeutungsvoll geworden ist, muss auf die hiesige Universität eingegangen werden.

Am Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts lag das wissenschaftliche Leben in Mecklenburg arg danieder; kaum in den großen Städten war es möglich, sich auf Schulen eine wissenschaftliche Bildung zu verschaffen, während es sonst überhaupt an Schulen und ganz besonders an Lehrern fehlte.

Auch war die Universität Prag, die damals besonders von Deutschen, und so wohl auch von Mecklenburgern, besucht wurde, in Verfall gekommen: die meisten dort studierenden Deutschen hatten Prag um diese Zeit verlassen, da dort das Tschechentum eine heftige Unterdrückung des Deutschtums an der Universität begann, wobei Hus als Vorkämpfer der Böhmen auftrat. Die Folge dieser Verhältnisse in Prag war, dass in Deutschland Universitäten gegründet wurden, so bekanntlich 1409 in Leipzig.

Da aber in ganz Norddeutschland ebensowenig wie in Dänemark, Schweden und Norwegen damals eine Universität bestand, so fassten die Herzöge Johann III. und Albrecht V. von Mecklenburg den Plan, in ihren Landen eine Universität, die ihren Sitz in Rostock haben sollte, zu gründen, und teilten dies durch Schreiben vom 8. September 1418 dem Papst Martin V. mit.

Es ist bekannt, dass die Pflege der Wissenschaften während des Mittelalters fast ausschließlich in den Händen der Geistlichkeit lag, sodass man auch die Universitäten als kirchliche Anstalten betrachtete. Deshalb mussten sich die Herzöge für ihr geplantes Werk der Zustimmung des Bischofs von Schwerin versichern. Dies war damals Heinrich II. von Nauen, welcher sich dem Vorhaben der Herzöge geneigt zeigte und sich gleichfalls am 8. September 1418 in dieser Angelegenheit befürwortend an den Papst wandten indem er gleichzeitig versprach, in Universitätsangelegenheiten aus seine bischöfliche Jurisdiktion zu verzichten.

Der Rat der Stadt Rostock, deren Bürgerschaft sehr damit einverstanden war, eine Universität in ihren Mauern zu erhalten, sandte sogar Abgeordnete an den Papst, um die Ausführung des herzoglichen Planes zu betreiben.

So erließ denn Papst Martin V. am 13. Februar 1419 die Bulle über die Gründung der Rostocker Universität, untersagte der neuen Hochschule jedoch die Errichtung einer theologischen Fakultät. Jedoch haben auch schon damals einige Theologen als Universitätslehrer in Rostock gewirkt.

Bei der engen Verbindung, in welcher damals die Wissenschaft überhaupt mit der Kirche stand, ist es erklärlich, dass die Universität das Fehlen einer theologischen Fakultät sehr schmerzlich empfand; jedoch waren alle Versuche, Papst Martin V. zu einer Zurücknahme seines Verbots zu bewegen, vergeblich, und erst sein Nachfolger Eugen IV. genehmigte am 28. Januar 1432 auf dringende Vorstellungen der Herzöge Heinrich und Johann von Mecklenburg sowie des Bischofs Hermann von Schwerin die Errichtung einer theologischen Fakultät in Rostock zur Befestigung des kirchlichen Glaubens.

Die Geschichte der Stadt Rostock beim Ausgang des Mittelalters spielte sich ebenso stürmisch ab wie in den übrigen Hansestädten, zu denen unsere Stadt ja gehörte: es handelte sich dabei einerseits um innere Kämpfe, welche die Bürgerschaft mit dem Rat um die Stadtregierung führte, andrerseits um äußere Kämpfe mit den Herzögen von Mecklenburg, dem König von Dänemark und Anderen. Bei diesen Kämpfen war die Stadt nicht immer glücklich. Ein sehr schwerer Schlag traf sie aber, als sie trotz mannigfacher gegenteiliger Bemühungen von dem Konzil zu Konstanz mit Bann und Interdikt belegt wurde.

Neben allen sonstigen bösen Folgen, die eine derartige Maßregel stets für eine Stadt hatte, wurde hier auch die Universität in Mitleidenschaft gezogen, indem die Kirchenversammlung der Universität befahl, die verurteilte Stadt zu verlassen. Nur zögernd fügte sich die Universität, deren Aufblühen durch die bisherigen Wirren nicht beeinträchtigt worden war, diesem Ansinnen, obgleich sie die Möglichkeit einer Auswanderung schon früher ins Auge gefasst hatte. Als sie jedoch im Falle weiteren Ungehorsams selbst mit dem Bann bedroht wurde, gehorchte sie, zumal ihre Privilegien auch an dem anderen zu wählenden Ort bestehen bleiben sollten, und verlegte im März 1437 ihren Sitz nach Greifswald, von wo sie Ende April 1443 nach Rostock zurückkehrte.

Nunmehr entwickelte sich die Universität fröhlich weiter, woran auch der Umstand nichts änderte, dass 1456 in Greifswald eine eigene Universität errichtet wurde, eine Tatsache, die anfangs in Rostock große Besorgnis hervorgerufen hatte.

Jedoch hatte die Greifswalder Zeit für die Rostocker Universität die Unannehmlichkeit mit sich gebracht, dass ihre Einkünfte bedeutend geschmälert waren. So fassten die Herzöge von Mecklenburg, wie schon früher gesagt, den Plan, eine Kollegiat- Kirche in Rostock zu stiften; dadurch sollten die Einkünfte der Universität in der Weise gehoben werden, dass Professoren zu Stiftsherren gemacht würden und dadurch genügende Einkünfte erhielten, woran es augenblicklich durchaus fehlte. Dass sich aus der Verwirklichung dieses Plans die Rostocker Domfehde entwickelte, wurde schon früher gezeigt und dabei ein kurzer Überblick über dieselbe gegeben, wobei auch, soweit nötig, bereits auf das Verhalten der Universität Bezug genommen wurde. Hier ist noch nachgetragen, dass sich die Universität im Jahre 1487 von den Herzögen einen Geleitbrief bis Wismar erbat, den sie auch am 14. Februar erhielt. Wahrscheinlich nach Ablauf des Mai wanderte die Universität dann zum zweiten Mal aus, zuerst für ganz kurze Zeit nach Wismar, darauf nach Lübeck, von wo sie, wohl im August, 1488 nach Rostock zurückkehrte.

Die Befürchtung Papst Martins V., eine theologische Fakultät in Rostock möchte von dem Gift der Haeresie infiziert werden, ging nicht in Erfüllung: die dortigen theologischen Professoren standen durchaus auf dem kirchlichen Standpunkt und waren anderen und freieren Strömungen nichts weniger als geneigt.

Als Hauptvertreter dieser Richtung ist Albert Krantz zu erwähnen, der einen höchst bedeutenden Einfluss als Universitätslehrer, Geschichtsschreiber und Staatsmann entwickelte. In diesem Manne tritt uns eine Persönlichkeit entgegen, welche mit ganzer Seele an der katholischen Kirche hängt, deren Einrichtungen mit begeisterten Worten preist und verteidigt, sich aber auch nicht der Einsicht verschließt, dass die damalige Beschaffenheit der Kirche weit von dem Ideal entfernt ist, wie es ihm vorschwebt. Weil aber trotzdem für ihn alles Heil nur von der Kirche kommen kann, so ist er ein erbitterter Feind alles dessen, was sich zu ihr in Widerspruch setzt, besonders der Lehre des Hus.

Für die Einführung der Reformation in Rostock ist Krantz dadurch bedeutungsvoll geworden, dass er der Onkel des Dr. Johann Oldendorp war, dessen reformatorische Anschauungen sich auf Krantz zurückführen lassen, und dessen Wirken für die Reformation in Rostock wir später noch darzulegen haben werden.

So eng auch die Universitäten des Mittelalters mit der Kirche in Verbindung standen, so war es doch natürlich, dass die neue geistige Richtung, die der Humanismus brachte, trotz aller Gegenströmungen aus ihnen Eingang und Unterstützung fand. So hielt der Humanismus denn auch an der Rostocker Universität seinen siegreichen Einzug.

Der erste Humanist, welcher nach Rostock kam, war Konrad Celtes, welcher, seit 1487 poëta laureatus, die verschiedenen deutschen Universitäten besuchte, um den Humanismus auf ihnen einzubürgern. So finden wir ihn mit wechselndem Erfolg in Heidelberg, Erfurt, Leipzig und Rostock. Wann er in dieser letzten Stadt geweilt hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen: wahrscheinlich fällt sein Aufenthalt in die Zeit kurz nach der Rückkehr der Universität aus Lübeck. Jedenfalls aber hat seine Anwesenheit bewirkt, dass schon seit dem Anfang des sechzehnten Jahrhunderts in Rostock regelmäßige Vorträge über lateinische Schriftsteller gehalten wurden, wie denn um 1503 Tielemann Heverlingh besonders Juvenals Satiren erklärte.

Um diese Zeit kam ein zweiter hervorragender Vertreter des Humanismus nach Rostock: Hermann von dem Busch. Er hatte mit Erasmus von Rotterdam zusammen die Schule in Deventer besucht, seine humanistischen Studien in Italien beendet, Reisen durch Deutschland, Frankreich und England unternommen, war in Köln, wo er einige Zeit lebte, in den Kampf verwickelt worden, der von den Dominikanern gegen die humanistischen Sprachstudien angefangen wurde, und hatte dann längere Zeit in seiner Heimat Westfalen, in Hamm, Münster und Osnabrück für den Humanismus gewirkt. In Münster fand er Unterstützung bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben zum Springborn, einem Bruderhaus, das, wie wir gesehen haben, für Rostock bedeutungsvoll geworden ist. Dann begab sich Busch über Bremen, Hamburg, Lübeck und Wismar nach Rostock, wo er freundliche Aufnahme und großen Zulauf von Studierenden bei seinen Vorlesungen über Abschnitte aus Cicero, Vergil und Ovid fand. Leider dauerte sein hiesiger Aufenthalt nicht lange, da Tielemann Heverlingh, dessen Vorlesungen durch die des Hermann von dem Busch stark beeinträchtigt wurden, es bewirkte, dass dieser schon um das Jahr 1507 Rostock wieder verlassen musste. Jedoch hatte Buschs so kurzer Aufenthalt immerhin dazu beigetragen, den Humanismus in Rostock zu befestigen, sodass die humanistischen Studien auch dort eine immer wachsende Bedeutung gewannen.

Die Lücke, welche für den Humanismus in Rostock durch Buschs Fortgang entstanden war, wurde sehr bald dadurch ausgefüllt, dass unmittelbar darauf Ulrich von Hutten von Greifswald aus nach Rostock kam, allerdings in bedauernswertem Zustande, da er krank und völlig mittellos war. Doch fand er in Rostock tatkräftige Unterstützung, besonders durch den Professor Egbert Harlem, sodass er nach seiner Herstellung Vorlesungen halten konnte, die sich allgemeinen ungeteilten Beifalls erfreuten. Lange aber hielt es Hutten bei seinem unruhigen Geist auch hier nicht aus, obgleich nicht feststeht, wann sein Fortgang von Rostock stattgefunden hat; wahrscheinlich ist es im Jahre 1512 gewesen.

Im Oktober 1515 kam dann Johannes Hadus nach Rostocks ein Mann, der als Humanist und als Dichter in gleicher Weise hervorragt. Er hatte seine Studien wahrscheinlich in Erfurt begonnen, sie dann in Italien bei den dortigen Humanisten vollendet und war darauf Universitätslehrer in Greifswald geworden, wo er die Aufgabe hatte, die Klassiker zu erklären und überhaupt wohl Bahn für den Humanismus zu brechen. In diesem Bestreben stieß er jedoch auf Widerstand, sodass er beschloss, Greifswald zu verlassen. Da er Hutten vermutlich persönlich kannte, so wählte er Rostock zu seinem neuen Aufenthaltsort, da er hoffen durfte, die dortige Universität werde ihn ebenso freundlich aufnehmen, wie sie es bei jenem getan hatte. Seine Vermutung täuschte ihn auch nicht: er fand hier, wo die humanistischen Studien damals sehr eifrig betrieben wurden, große Anerkennung bei seinen Vorlesungen.

Den bedeutendsten Einfluss auf die Entwicklung des Humanismus in Rostock übte aber Nicolaus Marschalk aus, welcher als Schriftsteller eine höchst bedeutende und vielseitige Tätigkeit entwickelt hat, in welcher er Krantz gleichgestellt werden kann, wenn er auch bei Weitem nicht dessen Gründlichkeit und Zuverlässigkeit besitzt.

Marschalk stammte aus Roßla in Thüringen und studierte in Erfurt, wo er Baccalaureus und Magister utruisque juris wurde. Wahrscheinlich durch seine freundschaftlichen Beziehungen zu Spalatin wurde er nach der Gründung der Universität Wittenberg dorthin berufen und von dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen häufig zu Gesandtschaften verwendet. Da er aber auf die Dauer von den Wittenberger Verhältnissen wohl nicht befriedigt wurde, folgte er einem Ruf des Herzogs Heinrich von Mecklenburg, dessen Kanzler Kaspar von Schöneich er persönlich kennen gelernt hatte, und kam als herzoglicher Rat nach Schwerin, wo er als Jurist und als Diplomat eine umfassende Tätigkeit ausübte.

Sein Hauptinteresse lag jedoch auf dem Gebiete der Wissenschaften; an einer derartigen Beschäftigung hinderten ihn aber seine Amtspflichten, wozu noch gekommen sein mag, dass ihm die Art seiner amtlichen Tätigkeit und das Schweriner Hofleben überhaupt nicht auf die Dauer zusagte. So siedelte er denn nach Rostock über, um dort ganz seinen Studien zu leben. Wann dies gewesen ist, steht nicht fest: wir wissen nur, dass er seit dem Herbst 1510 in Rostock wohnte und an der Universität lehrte, wenn schon sich dabei in seinen Beziehungen zum Herzog und zum Kanzler von Schöneich nichts geändert zu haben scheint, da er auch jetzt noch häufig im Auftrag des Herzogs tätig war.

An der Universität hielt Marschalk, ohne ordentlicher Professor zu sein, bis zu seinem am 12. Juli 1525 erfolgten Tode Vorlesungen sowohl über bürgerliches und kanonisches Recht, als auch über naturhistorische Gegenstände, ja, er scheint sogar über die heilige Schrift griechisch und hebräisch gelesen zu haben, wenigstens hat er sich sehr eingehend mit dem Bibelstudium besaßt. Hauptsächlich aber beschäftigte er sich mit Geschichte und Altertumskunde.

Gerade dieser letzte Umstand ist für uns bedeutungsvoll, da sich in ihm Marschalks Bedeutung für den Humanismus in Rostock zeigt. Er besaß einen für die damalige Zeit erstaunlichen Schatz des Wissens, war selbst von regem wissenschaftlichem Eifer erfüllt und nahm auch an derartigen Bestrebungen Anderer lebhaften Anteil, sodass er, selbst ein eifriger Anhänger des Humanismus, diesen auch nach Kräften in Rostock zu verbreiten suchte. Besonders verdient machte er sich noch dadurch, dass er zuerst die Behandlung der griechischen Sprache und Literatur an der Universität einführte, während sich die übrigen Humanisten nur mit den lateinischen Klassikern beschäftigt hatten.

Erwähnenswert ist noch, dass Marschalk, der schon früher in Erfurt und Wittenberg seine eigene Druckerei besessen hatte, sich auch in Rostock eine solche einrichtete, in der nicht nur seine eigenen schriftstellerischen Werke, sondern auch zahlreiche andere Drucke hergestellt wurden. Ob und inwieweit Marschalk hier mit den Brüdern vom gemeinsamen Leben, welche in diesem Punkt, wie schon erwähnt, ja auch für Rostock von Bedeutung waren, in Beziehung gestanden hat, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen.

Von sonstigen Rostocker Gelehrten, welche in dieser Zeit dem Humanismus zugetan waren, mögen hier noch folgende Universitätslehrer genannt werden: die Theologen Barthold Moller, ein Schüler des Albert Krantz, und Gerhard Vrilden; die Juristen Nicolaus Löwe, Peter Boye und Johann Berchmann, welcher schon bei der Schilderung der Domfehde von uns erwähnt worden ist; der Professor der Philosophie Egbert Harlem, der tatkräftige Freund Huttens und des Hadus; der Mediziner Rembert Giltzheim; der schon erwähnte Nicolaus Rutze und endlich sein auch schon genannter Schüler Konrad Pegel, auf den wir noch in anderem Zusammenhange zurückkommen werden.

Wenn wir betrachten, inwieweit der Humanismus für Rostock bedeutungsvoll geworden ist, so müssen wir nochmals die schon früher erwähnten Brüder vom gemeinsamen Leben ins Auge fassen.

Es wurde von uns schon gesagt, dass diese Brüderschaft sich besonders mit der Herstellung von Druckwerken beschäftigte. Dies hing damit zusammen, dass bei den Brüdern von jeher ein reges wissenschaftliches Streben herrschte. So darf man wohl mit Recht vermuten, dass gerade deshalb Rostock von ihnen als Ort für eine neue Niederlassung gewählt worden ist, weil sich dort eine Universität befand, bei welcher sie auf Unterstützung dieses Strebens hoffen konnten. Dass sie auch in der Tat zu der Universität in freundschaftliche Beziehungen getreten sind, zeigt der Umstand, dass Henricus Arsenius, der letzte Rektor des Rostocker Fraterhauses, an der hiesigen Universität Vorlesungen über griechische und römische Klassiker gehalten hat.

So haben denn auch die Fraterherren an ihrem Teil geholfen, den Humanismus in Rostock einzubürgern, und so die Reformation dort mit vorzubereiten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Einführung der Reformation in Rostock