Die Pfarrkirchen

An Pfarrkirchen besaß Rostock vier.

Zuerst die St. Jakobi-Kirche, welche seit 1252 urkundlich erwähnt wird. An ihr befand sich ein Kollegiatstift, dessen Errichtung zu großen Streitigkeiten Veranlassung gegeben hatten auf welche hier näher eingegangen werden muss.


Um die Einkünfte der zu Rostock begehenden Universität, welche aus später zu erwähnenden Gründen sehr geschmälert worden waren, zu heben, hatte Herzog Heinrich IV. von Mecklenburg auf Anraten des Rostocker Archidiakons Dr. Heinrich Bentzin, der zugleich Pfarrer der St. Jakobi-Kirche und Vizekanzler der Universität war, beschlossen, eine der städtischen Pfarrkirchen, nämlich die von St. Jakobi, zu einer Kollegiatkirche zu erheben und die hieraus entstehenden Einkünfte auf die Weise auch der Universität zufließen zu lassen, dass Universitätsprofessoren Domherren an dem neuen Stift würden. Herzog Heinrich starb jedoch vor Ausführung dieses Plans. Von seinen Söhnen und Nachfolgern in der Regierung, Albrecht VI. und Magnus II., war Albrecht ein Gegner des Unternehmens. Jedoch änderte er auf dem Totenbette seine Ansicht und bat seine Brüder Magnus und Balthasar, der seit 1479 resignierter Administrator des Bistums Schwerin und Mitregent seines Bruders Magnus war, sie möchten die beabsichtigte Stiftung zu seinem Seelenheil ins Leben rufen. Bischof Konrad von Schwerin und die Rostocker Universität gingen gern auf der Herzöge Vorschlag ein, aber nicht die Stadt Rostock, als Magnus und Balthasar am 28. Mai 1483 zu einer diesbezüglichen Verhandlung nach Rostock kamen: der Rat erklärt: er müsse sich erst mit der Bürgerschaft beraten. In der Bürgerschaft war man aber dem herzoglichen Plan nichts weniger als geneigt:

Von alters her zeigt uns Rostocks Geschichte, dass die Bürger häufig mit den Herzögen von Mecklenburg wegen Privilegien in Streit lagen. So war auch wieder im Jahre 1475 ein Zwist zwischen diesen beiden Parteien über einige Zölle entstanden, welche der Kaiser den Herzögen bewilligt hatte, während Rostock und Wismar sich dadurch beeinträchtigt fühlten. Als dieser Streit endlich am 4. Mai 1478 gütlich erledigt war, bot sich 1480 wegen einer Bede ein neuer Streitpunkt, der allerdings schließlich auch beigelegt wurde, die Bürgerschaft aber immerhin gegen die Herzöge aufgebracht hatte, sodass man in Rostock anfing, die beabsichtigte Errichtung einer Kollegiatkirche für einen neuen Versuch seitens der Herzöge zur Untergrabung der städtischen Privilegien zu halten. So erklärte der Rat denn den Herzögen, die Bürgerschaft sei mit der Errichtung eines Domstifts nicht einverstanden. Die Stadt erhielt nun Bedenkzeit, ließ den Herzögen aber am 8. September nochmals ihre endgültige Ablehnung mitteilen, darauf wurde der geistliche Prozess gegen die Stadt begonnen: der Bischof von Schwerin befahl der Stadt auf Bitten der Herzöge, die Errichtung des Domstifts nicht weiter zu hindern, oder aber ihre Weigerung vor ihm zu begründen. Nun appellierte die Stadt an den Erzbischof von Bremen, wurde aber inzwischen durch den Bischof von Schwerin in contumaciam verurteilt. Eine zweite Appellation der Stadt an den Erzbischof bewirkte, dass ein erzbischöflicher Kommissar ernannt wurde. Dagegen appellierten wieder die Herzöge an den Papst, während der Bischof von Schwerin die Stadt am 9. Mai 1484 mit dem Bann belegte und mit Anrufung des weltlichen Arms drohte. Hierauf erfolgte seitens der Stadt eine dritte Appellation an den Erzbischof und endlich eine Appellation an den Papst. Dieser traten auf Betreiben der Stadt auch Universität und Pfarrklerus bei, denen gegenüber die Stadt sich verpflichtet hatte, für allen aus diesem Anschluss entstehenden Nachteil aufzukommen.

Es würde zu weit führen, den Gang dieser Domfehde im Einzelnen zu verfolgen, sodass es genügen muss, die für die Errichtung des Domstifts wichtigen Punkte hervorzuheben.

Nach manchen heftigen Streitigkeiten und Vermittlungsversuchen der Wendischen Städte, zu deren Quartier Rostock gehörte, gelang es den Herzögen, den neugewählten Papst Innocenz VIII. zu bewegen, am 27. November 1484 eine Bulle zu erlassen, durch welche die Jakobi-Kirche zur Domkirche erhoben wurde. Mit der Ausführung dieser Bulle wurden der Bischof von Ratzeburg, der Dompropst von Schwerin und der Domdechant von Kamin beauftragt. Die Publikation der Bulle erfolgte am 13. März 1485 in dem bei Rostock gelegenen Kloster Marieneh, wogegen die Stadt am 21. März appellierte. Am 1. Juni ließ der Bischof von Ratzeburg befehlen, über die Stadt bei fortdauerndem Ungehorsam das Interdikt zu verhängen, wogegen am 26. Oktober zu Wismar und am 28. Oktober zu Rostock ein päpstliches Inhibitorium seitens der Stadt an die Kirchentüren angeschlagen wurde. Anfang November wurde das Interdikt in der Tat über Rostock verhängt, wogegen die Stadt am 17. November wieder an den Papst appellierte.

Während inzwischen die Kämpfe zwischen den Herzögen, Rostock und den Wendischen Städten fortdauerten, beschloss Herzog Magnus, die Domangelegenheit persönlich beim heiligen Stuhl zu betreiben, und reiste im Anfang des Jahres 1486 in Begleitung des Bischofs von Ratzeburg nach Rom, wohin die Stadt Rostock gleichzeitig zur Vertretung ihrer Interessen den Professor Dr. Johann Berchmann sandte. Dieser bewirkte zwar verschiedene Privilegien für die Universität, konnte aber in den Angelegenheiten des Domstifts nichts für die Stadt ausrichten, da der Papst ihre Appellation am 31. März verwarf, die Stiftung betätigte und den Exekutionsauftrag erneuerte. Dies verkündigte der Bischof von Ratzeburg unter dem 3. April von Rom aus, drohte bei weiterer Kontumaz mit dem Bann und wandte sich für den Fall abermaligen Ungehorsams seitens Rostocks an die weltliche Obrigkeit mit der Bitte um Unterstützung. Herzog Magnus bewilligte nach seiner Rückkehr der Stadt eine Bedenkzeit bis zum 15. Juni, dann bis zum 4. Juli, ohne dass jedoch die Vermittlungsversuche der Wendischen Städte, die jetzt noch gemacht wurden, zu einem Resultate geführt hätten.

Obgleich in Rostock der größere Teil des Rats und der Bürgerschaft auch jetzt noch für Widerstand gewesen zu sein scheint, erklärte der Rat am 15. Juli, wohl in der Hoffnung, die Errichtung des Domstifts werde sich noch hintertreiben lassen, nachdem er inzwischen die päpstliche Bulle am 13. Juli zugestellt erhalten hatte, er und die gesamte Bürgerschaft wollten dem Papst gehorsam sein. Diese Erklärung wurde dem Bischof von Ratzeburg am 18. Juli übergeben. Fast gleichzeitig aber verwahrte sich die Stadt den Herzögen gegenüber energisch gegen jede Vergewaltigung ihrer Rechte. Auf Grund der ihm übergebenen Erklärung ersuchte der Bischof von Ratzeburg den Rat nunmehr um sicheres Geleit für sich, die Herzöge und Alle, welche zur Errichtung des Domstifts nach Rostock kommen müssten. Als ihm entgegnet wurde, dazu bedürfe es erst der Zustimmung der Bürgerschaft, sprach der Bischof, indem er die Urkunde vom 15. Juli für ungültig erklärte, am 7. August über Rostock den schon am 3. April angedrohten Bann ans, ein Verfahren, welches sich schwerlich rechtfertigen lässt. Am 2. September legte die Stadt gegen diese Verhängung des Banns eine Appellation ein, die bereits am 6. August vorbereitet worden war. Es folgten nun abermalige Verhandlungen, die aber zu keinem befriedigenden Abschluss zu führen schienen, sodass offener Kampf zu erwarten stand. Endlich fanden am 15. November nochmals zu Güstrow Verhandlungen zwischen den Herzögen und Rostock statt, bei denen die Abgeordneten der Stadt in Bezug auf die Errichtung eines Domstifts nachgaben. Dieser Vertrag wurde vom Rostocker Rat am 22. November genehmigt. Daraufhin verlangten die Herzöge am 8. Januar 1487 vom Rat Verlängerung des sicheren Geleits, welches an diesem Tage ablief, und hielten am 9. Januar ihren feierlichen Einzug in Rostock, nachdem die Abgesandten des Rats erklärt hatten, die Bürgerschaft habe sich beruhigt. Auch am 11. Januar gab der Rat auf die Frage der Herzöge, ob die Mitglieder des Domstifts auch nach der Abreise der Herzöge sicher sein würden, die Erklärung ab, er werde alle mit den Herzögen gekommenen Personen schützen und im Notfalle die Übeltäter strafen. So wurde denn am folgenden Tage, dem 12. Januar, die Einweihung des Doms gemäß der päpstlichen Bulle in feierlicher Weise durch den Bischof von Ratzeburg vollzogen, die vier Kirchherren der vier Pfarrkirchen wurden als Propst, Dechant, Kantor und Scholastikus des Domstifts eingesetzt, und endlich wurde auch der Bann von der Stadt genommen, da sich Rostock ja nunmehr dem Papst gefügt hatte. Der Rat wohnte der Feier bei, weil die Herzöge trotz gegenteiliger Bitten darauf bestanden hatten.

So schien das Werk, an welchem so lange gearbeitet worden war, nunmehr vollendet zu sein. In der Stadt aber gärte es, und am 14. Januar brach ein wütender Aufruhr los, bei welchem der Dompropst getötet und der Domdechant gefangen genommen wurde, während es den Herzögen gelang, zu entkommen. Es ist selbstverständlich, dass diese Bluttat den Kampf, den man eben erloschen glaubte, von Neuem entfachte, es muss aber hier genügen, die Belagerung der Stadt und das Treffen bei Pankelow zu erwähnen.

Auch nach Innen waren die Folgen für die Stadt sehr traurige, da in ihren Mauern der Bürgerkrieg wütete: der Rat hatte die Zügel der Regierung vollständig verloren, und Ochloarchen wie Hans Runge, Thiedeke Boldewan und Magister Bernd Wartenberg herrschten. Endlich aber wurde man in der Stadt der Volkspartei Herr, Runge und Wartenberg wurden am 9. April 1491 enthauptet, ebenso am 14. April noch zwei ihrer Genossen, während die übrigen teils schon aus der Stadt geflohen waren, teils aus ihr verwiesen wurden. Damit war der Stadt wieder die Möglichkeit geboten, sich mit den Herzögen friedlich auseinander zu setzen, sodass am 20. Mai ein Friede zu Wismar geschlossen wurde. Reben anderen Punkten, die hier nicht interessieren, erkannte Rostock darin das Domstift zu St. Jakobi an, sodass damit endlich die siebenjährige Domfehde beendet war.

Es wurde schon an anderer Stelle erwähnt, dass die obersten Stiftsämter mit den vier Pfarrkirchen verbunden wurden, und zwar so, dass der Kirchherr von St. Marien Dompropst wurde, der Kirchherr von St. Jakobi Domdechant, der Kirchherr von St. Petri Domkantor und der Kirchherr von St. Nikolai Domscholastikus. Diese vier Prälaten waren außerdem verpflichtet, jeder an seiner Pfarrkirche einen Kaplan und einen Schulmeister aus eigenen Einkünften zu unterhalten.

Im Ganzen sollten zwölf Kapitularien vorhanden sein, deren Dotation folgendermaßen geregelt wurde: acht Stellen, wozu die eben genannten vier gehörten, wurden aus den Einkünften der Pfarrkirchen dotiert. Dafür nämlich, dass die vier Kirchherren die obersten Stiftsämter erhalten hatten, mussten sie in einen Abzug von je zwanzig Gulden von ihren bisherigen Einkünften willigen. Diese achtzig Gulden dienten dann zur Dotierung von vier weiteren Präbenden. Die vier letzten Pfründen wurden von den Herzögen dotiert. Dieser Punkt hatte bei dem Frieden zu Wismar noch zu Vorverhandlungen geführt, indem die Herzöge verlangten, die Stadt solle als Sühne für die im Jahre 1487 geschehene Ermordung des Dompropstes neben Anderem vier Domherrenstellen mit je vierzig Rheinischen Gulden ausstatten, eine Verpflichtung, welche der Stadt indessen im Friedensschluss nicht auferlegt wurde.

Von den Patronatsrechten hatte der Papst sich das über die Propstei vorbehalten, das über die Dekanei, Kantorei und Scholasterei stand dem Bischof von Schwerin zu, während die Herzöge Patrone der übrigen acht Stiftsstellen waren. Jedoch hatte sich die Universität für vier die Nomination vorbehalten, was vom Bischof von Schwerin am 22. Mai 1494 bestätigt wurde.

Was die Jakobi-Kirche selbst betrifft, so soll sie 30 Altäre
gehabt haben.

Die zweite Pfarrkirche ist die von St. Marien, welche ebenfalls seit 1252 urkundlich vorkommt, dann abgerissen und nach 1398 neu gebaut wurde. Sie soll 39 Altäre gehabt haben und war in katholischer Zeit sehr berühmt wegen eines wundertätigen Marienbildes, zu dem häufig Wallfahrten unternommen wurden.

Als dritte Pfarrkirche kommt St. Petri in Betracht, welche sich ebenfalls seit 1252 in Urkunden angegeben findet, aber schon 1166 zu bauen angefangen sein und 15 Altäre gehabt haben soll.

Die letzte Pfarrkirche ist die von St. Nikolai, welche sich erst seit 1260 nachweisen lässt. In ihr sollen 18 Altäre gestanden haben.

Jede dieser Pfarrkirchen hatte einen Pfarr- oder Kirchherrn, welcher am Hauptaltar amtierte. Bei den Nebenaltären kommen Vikarien, Eleemosynen*) und Marienzeitensängerlehn**) in Betracht.

*) Eleemosyne ist eine kirchliche Stiftung in der Weise, dass entweder aus einem bestimmten Fonds Almosen gegeben werden, woher der Name stammt, oder dass ein Geistlicher für gewisse kirchliche Funktionen aus einem Fonds Zuwendungen erhält.
**) Marienzeitensängerlehn waren Stiftungen zum Singen der Horae canonicae.

Unter Vikarie versteht man die Einrichtung, dass der ordentliche Pfarrer, welcher nach der Vorschrift der katholischen Kirche nur einmal am Tage Messe lesen darf, sich Gehilfen, die Vikare, annimmt damit diese die sonst etwa fälligen Messen lesen. Die Einrichtung erklärt sich daraus, dass in katholischen Gegenden häufig aus irgend welcher Veranlassung Messen, vielfach an einem bestimmten Altar und Tage zu lesen bestellt werden. Dafür war es im Mittelalter, wie noch jetzt, üblich, eine bestimmte Summe als Geschenk, Vermächtnis u. s. w. für diesen Zweck anzuweisen, woraus dann der Vikar unterhalten wurde.

Ein uns erhaltenes Verzeichnis von 1470 gibt eine Aufzählung der einzelnen Pfarrstellen, Vikarien, Eleemosynen und Marienzeitensängerlehen. Darnach waren vorhanden: an jeder Pfarrkirche je 1 Pfarrstelle; an St. Marien 53 Vikarien, 25 Eleemosynen, 5 Marienzeitensängerlehn; an St. Jakobi 28 Vikarien und 5 Eleemosynen; an St. Petri 15 Vikarien und 7 Eleemosynen; an St. Nikolai 14 Vikarien, 3 Eleemosynen und 4 Marienzeitensängerlehn.

Die Einkünfte der Pfarreien waren natürlich ungleich. Von den Einkünften zu unterscheiden war das Kirchengut, d. h. die Kirche, der Kirchhof, die Kirchherrenwohnung (der Wedem), die Schule und etwa noch ein Ziegelhof. Dieses Kirchenvermögen stand unter der Leitung mehrerer Kirchenvorsteher oder Juraten, von denen gewöhnlich zwei die Verwaltung führten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Einführung der Reformation in Rostock