Dietrich von Berne.

Eine der gewaltigsten Heldengestalten und einer der größten und weisesten deutschen Herrscher auf der Schwelle des Mittelalters war der König der Ostgoten, Theodorich der Große, nach einem bei der Stadt Verona in Oberitalien über die Römer errungenen Siege von den Deutschen Dietrich von Berne genannt und in unzähligen Sagen und Liedern gefeiert und besungen.

Die Ostgoten hatten nach Attilas Tode (Kap. 9) ihre Unabhängigkeit wieder erkämpft und sich von den Hunnen, denen sie durch viele Jahre Heeresfolge geleistet, losgesagt. Bald nachher brachen sie auf Veranlassung des oströmischen Kaisers, der die gefahrlichen Nachbarn gerne los sein mochte, nach Italien auf, zwei- bis dreihunderttausend an Zahl. In drei Schlachten besiegten sie Odoakers deutsche und römische Legionen, und Theodorich traf mit diesem das Abkommen, dass die Ostgoten im Norden, Odoaker ader im Süden Italiens herrschen sollte. Nach kurzer Zeit wurde indes Odeaker auf Theodorichs Veranlassung getötet und die Ostgoten waren nun die Beherrscher von ganz Italien, dessen Bewohner, wenigstens dem äußeren Anscheine nach, mit dem neuen Zustande ganz zufrieden waren.


Die Goten führten die Waffen, die Italier trieben die Gewerbe des Friedens und ernährten durch ihre Abgaben die fremden Herren und Meister des Landes.

Ein Hindernis in der vollständigen Verschmelzung der zwei Nationen bildete die Religion. Die Römer waren katholische, die Goten arianische Christen, die wegen der Verwerfung einiger Glaubensartikel der römisch-katholischen Kirche für Ketzer gehalten wurden. Der weise König nahm aber seinen Stand über den Parteien und verhütete durch rechtzeitige Zugeständnisse nach beiden Seiten hin den Ausbruch von Religionsstreitigkeiten. Auch auf die benachbarten Franken, Burgunder und Alemannen übte Theodorich, ratend und helfend, großen Einfluss aus und stand besonders seinen oft bedrängten Stammesgenossen, den Westgoten in Spanien, getreulich bei. Durch Heiraten verband er sich mit den Königsfamilien der eben genannten Völker so innig wie möglich.

So muss der ostgotische Stamm, trotzdem er dem westgotischen um zwei Jahrhunderte im Untergange vorauseilte, als die eigentliche Verkörperung des Wesens des berühmten Gotenvolkes angesehen werden. Daher schreiben wir auch ihm am liebsten die segensreiche Tätigkeit des gotischen Bischofes Ulfilas gut und darunter in erster Stelle die von diesem verfasste Bibelübersetzung aus dem griechischen in gotischen Text, die erste überhaupt in einer deutschen Mundart vollendete. Bruchstücke derselben, hochwichtige Denkmäler des ältesten deutschen Sprachzweiges, sind noch vorhanden, und es lautet unter anderem der Anfang des Vaterunsers wie folgt: „Atta unfar, thu in himinam, veihnai namo thein......“

Nach dem im Jahre 526 nach dreißigjähriger Regierung erfolgten Tode Theodorichs brachen Feindseligkeiten aus mit dem oströmischen Reiche, welches noch bis auf dreihundert Jahre nach dem Zusammenbruche Westroms Anspruch auf das Erbe desselben machte. Nach nochmals dreißig Jahren ununterbrochener Gegenwehr wurden die Ostgoten unter ihren heldenmütigen Königen Totilas und Tejas von den Oströmern besiegt und verschwanden aus der Reihe der Völker.

In der oberitalischen Stadt Ravenna, der einstigen Residenz des großen Ostgoten, befindet sich Dietrich von Berne's großartiges Grabmal.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen