Die Deutschen jenseits des Ozeans.

Die Eroberungszüge der deutschen Völkerschaften beschränkten sich zur Zeit und nach der Völkerwanderung nicht auf das europäische Festland. Sie suchten vielmehr auch die Inseln und sagar einen anderen Weltteil heim, um sich auf den Trümmern des Römerreiches Herrschaft und Beute zu erringen.

Vor allen zu jener Zeit sich kürzer oder länger hervortuenden Stämmen gehörten die, gewöhnlich zur gotischen Gruppe gerechneten Vandalen zu den wildesten und kriegerischsten. Sie wohnten ursprünglich im deutigen Schlesien, von wo sie sich allmählich gegen den Rhein vorschoben. In den ersten Jahren des fünften Jahrhunderts verheerten sie Gallien, drangen sodann nach Spanien vor, von wo sie unter, ihrem Könige Geiserich nach Afrika hinüberfuhren und nach jahrelangen Kämpfen sich den größten Teil der römischen Provinz Nord-Afrika aneigneien.


Sie wurden bald eine gefürchtete Seemacht, der Schrecken des Mittelländischen Meeres und seiner Küsten, welche sie in so furchtbarer Weise verheerten, daß ihr Name selbst heute noch als Bezeichnung grausamer Plünderung gilt. Innere Zwiste aber, Religionsstreitigkeiten, und die Heere Ostroms machten nach kaum hundertjährigem Bestehen dem Vandalenreiche ein Ende. In mehreren Schlachten desiegt, wurden ihre waffenfähigen Mannschaften nach Asien abgeführt, um für die Oströmer gegen die Perser verwendet zu werden. Nur ein kleiner Teil des einst so gefürchteten Volkes rettete sich in das afrikanische Gebirge und verlor sich bald unter den eingeborenen Barbaren und Romanen, wo man gegenwärtig noch Dörfer mit blondhaarigen, blauäugigen Bewohnern findet, in welchen Nachkommen der Vandalen vermutet werden.

Zum Beweise, wie selbst in den kriegslustigsten und als rohe Barbaren verschrieenen alten Deutschen ideale Züge immer zu finden waren, wird erzählt, daß der letzte Vandalenkönig, Gelimer, von den Oströmern gedetzt und verfolgt, sich in einer Gebirgsschlucht verschanzt und verborgen halten musste. Als ihm, dem Hungertode nahe, Freunde irgend eine Hilfsleistung anboten, ohne ihn aber aus seiner Lage tatsächlich befreien zu können, da erbat Gelimer sich nur eine Laute, um in der Musik Erholung zu finden und bei ihren Klängen lieber zu sterben, als sich den Römern zu ergeben.

Eine ganz andere Rolle in der Weltgeschichte zu spielen, war den bereits früher genannten Angelsachsen beschieden. Als die Römer, von den Hunnen bedrängt, ihr sämtlichen Legionen so schnell wie möglich in Italien und Gallien zusammenzuziehen sich genötigt sahen, da mussten auch ihre auf den britischen Inseln stationierten Soldaten dieses Land räumen, und die in langjähriger Unterwerfung im Gebrauche der Waffen untüchtig gewordenen Briten standen rat- und kraftlos den vom Norden wieder hereinbrechenden Picten und Scoten gegenüber. Sie riefen deshalb die ihnen als kühne Fischer und Schiffer bekannten, Jüten, Angeln und Sachsen aus dem heutigen Schleswig zu Hilfe. Diese ließen sich gerne erbitten und kamen in der Mitte des fünften Jahrhunderts auf ihren leichten Weidenkähnen unter der Führung zweier Seekönige, Hengist und Horsa, in das bedrängte Nachbarland, aber — um es nicht wieder zu verlassen. Immer größer wurde ihre Anzahl und immer mehr Land mussten die, augenscheinlich aus dem Regen unter die Traufe geratenen Briten diesen Freunden überlassen. So besiedelten die Angeln und Sachsen sehr schnell die britischen Inseln, gründeten kleine Königreiche, verbanden dieselben zu einem starken Bunde, Heptarchie, mit einem Worte, sie waren in kurzer Zeit die Herren des Landes, und diejenegen Briten, welche sich dieser Ordnung der Dinge nicht fügen wollten, mussten auswandern. Besonders viele fanden in Gallien Aufnahme und besiedelten dort den Westen des Landes, wo noch heute in der Bretagne die altbritische Sprache gesprochen wird.

Jahrhunderte lang erhielt sich unter tapferer und weiser Führung die Heptarchie; und wenn auch die Angelsachsen später dem Ansturme der französischen Normannen unterliegen mussten, so waren es doch gerade sie, welche dem heutigen England den Namen, die Sprache und die Grundlage des Rechtes gegeben haben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen