Der erste deutsche Herrscher in Rom.

Seit dem Anfange des fünften Jahrhunderts herrschte über die damals in Ungarn hausenden Hunnen ein Mann von großen Gaben und gewaltigem Ehrgeize, Attila. Dieser wandte sich nun westwärts und drang mit einem Heere von mehr als einer halben Million Streitern, alles vor sich her verwüstend, in Gallien ein. Dort stellten sich die gegen ihn verbündeten Römer, Westgoten, Franken, Burgunder und Alemannen auf der katalaunischen Ebene in der Nähe der heutigen Stadt Chalons sur Marne zum Kampfe und letzten Ringen des Westens mit dem barbarischen Osten, nach dem 200.000 Tote das Schlachtfeld bedeckten. Die geschlagenen Hunnen kehrten nach Ungarn zurück, und bald starb ihr großer Konig Attila. Ihr Reich zerfiel jetzt und sie verschwanden aus Europa.

Wenn nun auch das weströmische Reich dem Untergange, den Attila ihm zugedacht hatte, noch einmal entging, so vollendete sich sein unabwendbares Schicksal dennoch bald.


Wenige Jahre nach Attilas Tode betrat ein mit einigen Gefährten aus dem östlichen Donaulande nach Italien wandernder Glückssoldat, der deutsche Rugier Odoaker, auf dem Wege durch Noricum, das heutige Deutsch-Österreich, die Klause des dort in hohem Ansehen und im Geruche der Heiligkeit stehenden Einsiedlers Severin. Der Krieger trug ein Tierfell um die Lenden gegürtet und war von so hohem Wuchse, daß er mit dem Kopfe gegen die Türbalken der Klause stieß. Als er dem Siedelmanne mitteilte, daß er in römische Dienste treten wolle, und ihn um seinen Segen bat, sprach dieser: „Zieh' hin, mein Sohn, Du wirst reiche Gewänder Dir erwerben statt dieses Tierfelles.“

Einige Jahre darnach war Odoaker bereits einer der Anführer der in Italien stehenden deutschen Soldtruppen, die zu jener Zeit das römische Heer nach ihrem Gutdünken leiteten. Der Kaiser Julius Nepos ward damals von dem römischen Obergeneral Orestes verjagt, und sein Sohn, Romulus, mit dem Beinamen Augustutus, zum Schattenkaiser erhoden, befand sich in der Gewalt des aufrührerischen Generals. Da unternahm es Odoaker das Wort des Schicksals auszusprechen und im Jahre 476 das Ende des weströmischen Reiches in einer bestimmten Tatsache anzukündigen. Er verlangte für alle in Italien stehenden deutschen Söldner von Orestes, an des Kaisers Statt, feste Ansiedlung und Grundbesitz, ein Drittel des ganzen italischen Landes. Als Orestes die Forderungen abwies, wurde er getötet. Odeaker nahm die Führung an sich und wurde von seinen deutschen Truppen als Heerkönig ausgerufen. Er herrschte nunmehr, gestützt aus sein Kriegsvolk, seine Waffengenossen, die er alle sogleich zu italischen Grundbesitzern machte, über Rom.

Das Altertum war zu Ende, und eine neue Zeit, das Weltalter der Deutschen, brach herein.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutschen