Die Deutsche Reformation, 1517-1537 - I. Band: 1517—1525. (01)

1. Eröffnung des Kampfes wider das Papsttum durch Luther mit den 95 Thesen wider den päpstlichen Ablass am 81. Oktober 1517. § 1. Luthers Sätze wider den Ablass
Autor: Thudichum, Friedrich von (1831-1913) Jurist und Professor der Rechte in Tübingen, Erscheinungsjahr: 1907
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Reformation, Luther, 95 Thesen, Reformationszeit, Reformatoren, Papst,
Es war am 31. Oktober 1517, dass Dr. Martin Luther, Augustinermönch und Professor an der Kursächsischen Universität Wittenberg, an den Türen der dortigen Hofkirche 95 gedruckte Lateinische Thesen oder Lehrsätze „zur Erklärung der Kraft der Ablässe" anschlug, mit folgenden Einleitungs-Worten: „Aus Liebe und Eifer für die Aufhellung der Wahrheit wird das Nachfolgende zu Wittenberg unter dem Vorsitz des ehrwürdigen Vaters Martin Luther, Magister der allgemeinen Wissenschaften (artium) und der heiligen Theologie und ordentlichem Lehrer der letzteren öffentlich besprochen (disputiert) werden. Deshalb bittet er, dass diejenigen, welche nicht gegenwärtig sein und mündlich mit uns streiten können, dies abwesend schriftlich tun mögen. Im Namen unseres Herrn Jesu Christi."

Der Wert des päpstlichen Ablasses war schon bisher an vielen Orten Deutschlands, auch in Wittenberg selbst am 13. April 1517 von Andreas Karlstadt durch öffentlichen Anschlag von 152 gedruckten Thesen nachdrücklich bestritten worden; 1 ) auch Johann von Staupitz hatte sich dabei beteiligt und Luther aufgefordert, ebenfalls am Kampf Teil zu nehmen. Dazu fühlte sich Luther noch besonders angereizt durch seine eigenen neuesten Erfahrungen. In den Jahren 1516 und 1517 hatte sich der Ablasshändler Tetzel auch in der Nähe von Wittenberg, in der Kurbrandenburgischen Stadt Jüterbock und zu Zerbst eingefunden, seine Ware in der bekannten unverschämten Weise angepriesen, und nicht wenige Wittenberger waren auch dahin gelaufen, sich Ablass zu kaufen, um ihren Priestern sagen zu können, dass sie ihre Absolution nicht brauchten.

Die Thesen beginnen mit dem Satz: Indem Jesus Christus sprach: „Tut Buße", wollte er, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sei, nämlich Reue und wirkliche Besserung, Tötung des Fleisches. Der Papst kann nur solche „Strafen" erlassen, die er selbst nach seinem Gefallen oder nach den Canones aufgelegt hat; eine „Schuld" kann er nur insofern vergeben, als er sie als von Gott vergeben erklärt und bestätigt, außer wenn er in den Fällen, welche er sich vorbehalten hat, vergibt; bei Verachtung seines Vergebungsrechtes in diesen Fällen würde die Schuld fortdauern. Gott vergibt Keinem die Schuld, den er nicht zugleich gedemütigt in Allem dem Priester seinem Stellvertreter unterwirft. (Nr. 1 — 7.) (In diesen Sätzen wird dem Papst noch eine beschränkte Gewalt zur Erlassung von Strafen und von Schuld zugestanden, und jedem Priester, wozu übrigens auch der Papst zu rechnen, die Gewalt über die wahre Reue zu richten.)

Mit Nr. 8 gehen die Thesen auf den Erlass der Qualen des Fegfeuers über, leugnen den ganzen Begriff des Fegfeuers, welches erfunden worden sei, „als die Bischöfe schliefen". Diejenigen predigen Menschentand, die da sagen: sobald das Geld im Kasten klinge, fahre die Seele aus dem Feuer; sicher ist dagegen, dass wenn das Geld im Kasten klingt, Gewinnst und Habsucht zunehmen. (Nr. 27. 28). Die da vermeinen durch Ablassbriefe ihrer Seligkeit sicher zu sein, werden samt ihren Meistern auf ewig verdammt sein. (Nr. 32). Jeder reumütige Christ erhält die ihm gebührende volle Vergebung von Strafe und Schuld auch ohne Ablassbriefe. (86.) Jeder wahre Christ, sei er lebend oder gestorben, hat den ihm von Gott gegebenen Anteil an allen Gütern Christi und der Kirche auch ohne Ablass-Briefe. (37.) Nr. 56—66 untersuchen die Lehre vom Kirchenschatz und bekämpfen die päpstlichen Lehren.

Dann werden einige Beispiele der frechen Predigten der Ablasshändler gebrandmarkt: Das Kreuz, mit des Papstes Wappen aufgerichtet, vermöge so viel als das Kreuz Christi; die päpstlichen Ablässe seien von so großer Kraft, dass sie einen Menschen absolvieren können, wenn er unmöglicher Weise die Mutter Gottes vergewaltigt hätte. Solchen Frechheiten müssten die Bischöfe entgegentreten. (75—80 u. 70.)

Wie schon vorher verschiedentlich, wird am Schluss noch einmal die Tatsache in den Vordergrund gestellt, dass der Papst seinen Ablass nicht abgebe für Gebete, welche die Gläubigen für ihn verrichten, deren doch gerade er so besonders bedürftig sei — (48), Sondern für Geld; es sei schwer, Fragen der Laien in dieser Hinsicht genügend zu beantworten, wie zum Beispiel: warum entleert der Papst das Fegfeuer nicht um der heiligsten Liebe und der höchsten Not der Seelen willen, also aus einer Ursache, die von allen die gerechteste ist, während er unzählige Seelen für das zum Bau der Basilika St. Peters bezahlte unheilvolle Geld erlöset (82); ferner, warum baut der Papst, dessen Reichtümer heutzutage fetter sind als die der reichsten Geldmenschen, die Basilika nicht lieber von seinem eignen Geld als von dem der armen Gläubigen? (86, auch 50. 51.)

Eine öffentliche Disputation über die Thesen hat nicht stattgefunden, vielleicht, weil sich Gegner gar nicht meldeten; ihr Hauptzweck war, vor den Lehrern und Studierenden der Universität und vor der ganzen Bevölkerung der Stadt Einspruch gegen den Ablass zu erheben und vor dem Kauf von solchem zu warnen. Schon zwei Monate vorher, am 4. Sept. 1517 hatte Luther in der Kirche „über Ablass und Gnade" gepredigt und die Grundgedanken seiner Thesen entwickelt und die Gemüter vorbereitet.

Luther schickte die Thesen sofort auch nach auswärts an Freunde und Bekannte, darunter auch an Johann Eck, Professor in Ingolstadt, mit der Bitte um ihr Gutachten, ferner an den Bischof von Brandenburg, Hieronymus Scultetus, zu dessen Diözese Wittenberg gehörte, desgleichen den Bischöfen von Havelberg und Lebus, sowie dem Erzbischof Albrecht von Magdeburg mit ehrerbietigen Schreiben, indem er sie bat, das Treiben der Ablassprediger einer Prüfung zu unterziehen und ihnen eine andere Art der Predigt zu befehlen; aber keiner derselben tat etwas, am wenigsten der Ablass-Pächter Erzbischof Albrecht, der die Ablass-Händler ernannt hatte; der Bischof von Brandenburg schickte Ende November den Abt von Lehnin nach Wittenberg, um Luther vor weiteren Angriffen auf die Kirche ernstlich zu warnen, und Jodocus Trutvetter in Erfurt, ehemaliger Lehrer Luthers und soeben vom Erzbischof Albrecht zum Inquisitor gegen die Verbreitung verbotener Bücher bestellt, schrieb abmahnend, doch in freundschaftlichen Worten.

Auf der andern Seite fühlten sich die außerordentlich zahlreichen Anhänger einer Verbesserung der Kirche, die durch den Prozess gegen Reuchlin und die Werke des Erasmus bereits in große Spannung versetzt waren, durch die Thesen im Tiefsten ergriffen; die ihnen zu Grund liegenden evangelischen Wahrheiten, die schlagende Ausdrucks weise und Folgerichtigkeit zogen unwiderstehlich an, am meisten aber tat es Wirkung, dass der eigentliche Urheber des ganzen Ablass-Unfugs, der Papst, ganz schonungslos und zugleich mit feiner Anzüglichkeit vor der ganzen Welt öffentlich vor Gericht gestellt war, in einer kühnen Sprache, die man bisher wohl schon von einem Ulrich von Hutten, aber niemals von einem Mönche und einem Lehrer der Theologie vernommen hatte. Die Thesen wurden alsbald ins Deutsche, ins Holländische, Spanische übersetzt und durch den Druck überallhin verbreitet, trotz aller Zensur, und bildeten bald das Tagesgespräch. Der treffliche Johann von Staupitz sprach seine volle Billigung aus und meinte, wenn Luther Alles Gott zuschreibe (nämlich die Vergebung der Sünden), nicht den Menschen, so sei dies recht, niemals könne man Gott zu viel Ehre und Güte beilegen. Auch der betagte Joh. Reuchlin brach in die Worte aus: „Nun haben sie einen Kämpfer gefunden, der ihnen so blutsaure Arbeit machen wird, dass sie mich alten Mann wohl in Frieden werden hinziehen lassen"; und der 70jährige Jakob Wimpheling in Schlettstadt: „Jetzt hab ich erlebt, wovon ich oft sagte, es müsste brechen; jetzt hör ich die Engel das Gloria in Excelsis singen, und dass Christus unser Erlöser ist; Herr, nun lass deinen Diener in Frieden fahren.“

Luther selbst war sich der Tragweite seines Schrittes wohl bewusst; in seinen Briefen unterzeichnete er sich damals öfters „Bruder Martinus Eleutherius", d. h. der Freigesinnte.

Ende Februar 1518 ließ er eine Deutsche Schrift „Sermon (Predigt) von Ablass und Gnade" erscheinen, welche den wesentlichen Inhalt der 95 Thesen wiederholte, bald darauf eine Lateinische Schrift über die Buße, und später eine Deutsche über den gleichen Gegenstand.

RA 022 Luther Martin

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RA 012 Waldus Peter

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RA 014 Wiclif John (1320-1384)

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RA 016 Hus Jan

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RA 018 Savonarola

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Luther, Anschlag der 95 Thesen

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