Literatur und Anmerkungen

1) Quellenwerke und zusammenfassende Abhandlungen über deutsche Malerei:

Die Bearbeitung deutscher Kunstgeschichte ist deshalb erschwert, weil große, zusammenfassende Werke mit quellengeschichtlichem Werte aus älterer Zeit so gut wie vollkommen fehlen. Vereinzelt erhaltene zeitgenössische Notizen wie etwa die des Schreibmeisters Neudörfer, der 1547 ein kurzes Verzeichnis der ihm bekannt gewordenen Künstler aufstellte (herausgegeben von Lochner, Quellenschriften zur Kunstgeschichte, X, 1875), sind so dürftig, dass sie der Forschung nur wenige fördernde Anhaltspunkte zu geben vermögen. In der Hartmann Schedelschen Weltchronik ist von Kunst überhaupt nicht die Rede, und wir müssen uns bei den beiden genannten Künstlern mit dem allerdings bezeichnenden epitheton ornans des ,, Gelehrten“ begnügen.


Als allgemeine Quellen kommen die Steuerbürgerbücher (Beispiele Murr, Journal der Kunstgeschichte II, 1776, S. 31; VI, S 23), die Ratsverlässe (Hampe, Quellenschriften zur Kunstgeschichte, 2 Bd.) und die Pfarrchroniken in Betracht, die über die Kircheninventare Auskunft geben. (Beispiel Tobias Schmidt, Chronica Cygnea für Zwickau 1656, Maurer, Chronicon Swabacense, die Beschreibung des Christoph Gottlieb von Murr, 1. Auflage 1778, 1804; siehe ferner „die Malernamen der Nürnberger Meister- und Bürgerbücher 1363—1534 und die Steuerlisten 1392—1440“, Rep. für Kunstwissenschaft XXX, S. 27; Bd. XIX. S. 337, Ad. Patera — Ferd. Tadra, Prag 1878, „das Buch der Prager Malerzeche 1348—1527“. Die Zeit des Rokoko wie die des Klassizismus hatte für die deutsche Kunst keinen Sinn. Um so bemerkenswerter, dass die erste Dürer-Monographie von Heinrich Conrad Arend um diese Zeit (Goslar 1728) erschien. Erst die Romantik öffnete auch hier die Tore der Erkenntnis. Man weiß, wie oft Goethe in seinem Urteil der deutschen Kunst gegenüber seinen Standpunkt verändert hat. Besonders charakteristisch sind seine verschiedenen Aussprüche über Dürer. So klagt er einmal, dass Dürer nie zur Idee des Ebenmaßes der Schönheit sich erheben konnte und meint dazu, dass seinem unvergleichlichen Talente eine trübe Form und bodenlose Phantasie geschadet hat. Dann zieht ihn wieder der Kern dieser Kunst an

Ihr festes Leben und Männlichkeit,
Ihre innere Kraft und Ständigkeit. —

Als ältere Quellen, aus dem 14. Jahrhundert haben weiter die interessanten Tagebücher S. Boisserées neuerdings in der Stadtbibliothek zu Köln zu gelten. Wackenroder und die Boisserées haben zuerst wieder die allgemeine Aufmerksamkeit auf die deutsche Malerei gelenkt. Der erste Kunsthistoriker vom Fache, der der deutschen Kunst vom kunsthistorischen wie kunstwissenschaftlichen Gesichtswinkel nahezutreten sich bemüht hatte, war nach dem ersten Versuche von Franz Kugler (Handbuch der Geschichte der Malerei, 1837) vor allem Friedrich Hotho (Geschichte der deutschen und niederländischen Malerei II, 1843, 329 ff.). Stilistische beschreibende Einzeluntersuchungen beginnen sich hier von dem allgemein Ästhetischen zu trennen. Eine Reihe feiner Charakteristiken über die geschichtliche und nationale Sonderstellung der Deutschen wechseln mit klassizistischen dogmatischen Kunstanschauungen. Waagens Arbeit (Kunstwerke und Künstler in Deutschland, 1843) ist im wesentlichen eine erfolgreiche stilistische Untersuchung, die auch Passavant (Schorns „Kunstblatt“, 1841 und 1846) und von Rettberg zu bereichern versuchten. Waagens wie auch Ernst Försters „Geschichte der deutschen Kunst“, 1860, kommen für eine künstlerische Würdigung ihrer Leistungen kaum in Betracht. Merlo hat zuerst ein zusammenfassendes Buch über die Kölner Malerschule (Meister der altkölnischen Malerschule, 1852, neubearbeitet von Firmenich-Richartz und Hermann Keussen, Düsseldorf 1895), unterstützt von vielen neuen urkundlichen Forschungen, geschrieben, der erst (Lübeck 1902) dann die von Carl Aldenhoven (Geschichte der Kölner Malerschule) folgte; beide Werke können nur als eine reiche und sehr bedeutsame Materialsammlung gelten. Auch Schnaases Geschichte der Kunst (VIII, 1870, S. 379 ff.) hat weder sachlich entscheidend Neues gebracht, noch unter dem Eindruck der klassizistischen Kunstwertungen irgendwie vermocht, sich ernstlich in die Sphäre der deutschen Kunst einzuleben. In der folgenden Zeit beginnen mehr und mehr die geschichtsphilosophischen und kulturgeschichtlichen Betrachtungen zurückzutreten gegenüber der gründlichen Katalogisierungsarbeit der Stilkritiker, wie sie für die deutsche Kunst neben den ersten Anfängen zu stilkritischen Untersuchungen in J. Hellers ,,Leben und Werke Albert Dürers“, Leipzig 1831, später vor allem bei von Seidlitz, Scheibler und anderen mehr in verstreuten Aufsätzen des Repertoriums für Kunstwissenschaft, der Zeitschrift für bildende Kunst und der christlichen Kunst vertreten sind. Moritz Thausings 1871 und dann 1884 in zweiter Auflage erschienener „Dürer“ war eine gewissenhafte historische Studie, in der die Katalogisierungsarbeit des Materials und das kulturgeschichtliche wie monographische Beiwerk die eigentliche Kunst noch kaum zu Worte kommen ließ, trotz des ersichtlichen Bemühens, dem ,. Deutschen“ in Dürer gegenüber dem „Italienischen“ zu seinem Rechte zu verhelfen. Ähnliches wäre auch über die heute freilich veraltete, tüchtige Arbeit Alfred Woltmanns, Holbein und seine Zeit, Leipzig 1874, zu sagen. 1883 begann die Handzeichnungspublikation von Lippmann, der seither eine Reihe weiterer wichtiger Sonderpublikationen des Handzeichnungsbestandes der Wiener Albertina, der Dresdener Sammlung, der Baseler (Paul Ganz), der Weimarer (Georg von der Gabelentz) u. a. folgten. 1890 erschienen von Janitschek und Lübke je eine große, erstmalige zusammenfassende Bearbeitung der deutschen Malerei gleichzeitig, die vom Mittelalter bis zur Gegenwart eine auf reicher und gründlicher Sachkenntnis fußende Geschichte geben, aber in dem Bestreben der sachlichen Objektivität im Stile trocken bleiben und, ohne eine künstlerische und persönliche Durchdringung des Stoffgebietes, an Hothos ältere und kleinere Abhandlungen doch nicht heranreichen. Sie sind heute wissenschaftlich völlig veraltet.

1891 hat dann Thode, Nürnberger Malerschule, eine erste feinsinnige Zusammenfassung der Nürnberger Malerei versucht, die neuerdings in Gebhardts Studien zur Nürnberger Malerei der ersten Hälfte und Erich Abrahams Nürnberger Malerei der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wertvolle stilkritische Ergänzungen und Berichtigungen erfahren hat. Thodes Buch lässt eine an die Romantik erinnernde, oft ekstatische Hingabe und Liebe für die deutsche Kunst erkennen, die der sachlichen Erkenntnis nicht in allen Punkten gleichmäßig förderlich war, zumal der Wechsel zwischen stilkritisch deskriptiver Behandlung des Materials und der romantischen Ausdeutung des Inhaltes eine Diskrepanz in den Stil brachte und das eigentlich Künstlerische selbst nicht immer recht zu Wort kommen ließ.

Gegenüber Thausings Dürer wird man in dem Springers (1892) wie in seinem Buche „Bilder aus der neueren Kunstgeschichte“ (1886) immer eine stilistisch lebendige und an feinen Gedanken reiche Lektüre finden, bei der freilich über dem historischen Beiwerke und den allgemeinen Betrachtungen der Leser zumeist ebenfalls außerhalb des eigentlichen Reiches der Kunst bleibt. Auch meint Springer, das Maß für Dürer nur aus der historischen Relation gewinnen zu können. ,,Groß ist der Künstler zu nennen, welcher die überlieferten Gedankenkreise eines Volkes, die von Geschlecht zu Geschlecht vererbten Empfindungen in vollendete Form kleidet, durch den reinen Hauch der Schönheit verklärt“ (Vorwort zu Dürer, S. 2). Dürer ist ihm die Krone der Entwicklung, das heißt eben eines Stilideales, das er in ihm verkörpert sieht. Von diesem erst kommt er zur Kunst Dürers und bleibt im Grunde genommen auch seinerseits vor ihren Türen stehen. Heinrich Wölfflin hat in seinem Buche „Die Kunst Albrecht Dürers“, München 1905, zum erstenmal versucht, aus der Kunst allein den Künstler zu erfassen, die Entwicklung seines sinnlichen Denkens an der Hand der Kunstwerke zu schildern, kurz, schlagend und in einer unnachahmlichen Einfachheit und Prägnanz des Stiles. Er ist von der katalogisierenden Stilgeschichte zu einer kunstwissenschaftlichen Kritik vorgeschritten, die nicht die handschriftlichen Eigenarten als vielmehr aus diesen das sinnliche Anschauungsvermögen kritisch sich rekonstruiert. Mag mancher hierbei auch finden, dass über diesen mikrokosmischen Einzelbetrachtungen die Erfassung der sinnlichen Gesamtheit des Kunstwerkes zu leiden hat und die Grenzen der Erkenntnis zu eng gezogen sind, es ist doch die Kunstwissenschaft von Wölfflin auf eine gesündere Basis als wie jemals vorher gestellt worden. Inwieweit Sempersche und assoziationspsychologische Ideen den erkenntnistheoretischen kunstwissenschaftlichen Standpunkt orientieren, braucht hier nicht erörtert zu werden.

Von den Lokalschulen haben dann nach den Vorstudien Thodes, durch Back in seiner „Mittelrheinischen Kunst“ (Frankfurt 1910) die mittelrheinische Malerschule, durch H. Voss der sogenannte „Donaustil“, ebenso durch B. Riehl, „Bayerns Donautal“ (München 1912) neben Einzelstudien die bayerische Kunst nach dem Vorgange J. Sighardts „Geschichte der bildenden Künste in Bayern“, durch Otto Fischer die altdeutsche Malerei in Salzburg (Leipzig 1 908), durch Nordhoff, die Soester Malerei unter Meister Konrad, Bonner Jahrbücher (Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden in den Rheinlanden, Heft LXVII, 1879 u. LXVIII,S.65), H. Zuydwyk, die älteste Tafelmalerei Westfalens (Münster 1882) und Hermann Schmitz die Malerei in Westfalen, die Mittelalterliche Malerei in Soest, in Beiträge zur Westfäl. Kunstgeschichte (herausg. von Ehrenberg, Heft 13), durch Hans Semper „Michael und Friedrich Fächer“, 1911, sowie Karl Atz „Kunstgeschichte von Tirol und Vorarlberg“ (Innsbruck 1909) die Tirolerschulen und durch Dvorak und Neuwirt die Anfänge der deutschen Malerei in Prag eine zusammenfassende Bearbeitung gefunden, von den reichen Einzelforschungen und Monographien von Flechsig (Cranach), H. A. Schmidt, (Grünewald), Firmenich Richärtz, Bode, Friedländer, Giemen, Dornhöfer, Kautzsch, Geisberg, Stiassny u.a. abgesehen. (Die genauen Literaturangaben hierüber in den folgenden historischen Einzelabschnitten.) Die alle Gaue Deutschlands und Österreichs umfassenden, in Sonderpublikationen herausgegebenen Denkmäler-Inventarisationen beginnen allmählich nach dem ersten Versuch von W. Lotz, die Kunsttopographie Deutschlands, Kassel 1862, der neuerdings in Dehio (Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler) einen Nachfolger erhalten hat, den Cesamtbestand an künstlerischem Material aufzunehmen, das aber zumal im Hinblick auf die reichen, zum überwiegenden Teil noch ungehobenen, schwer erreichbaren Schätze der Kirchenplastik, wie der Miniaturen der Bibliotheken noch nicht annähernd gesichtet ist. Von zusammenfassenden kleineren Abbildungswerken ist nur „Die altdeutsche Malerei“ von E. Heidrich, Jena 1909, zu nennen. Die Abbildungen sind weder technisch genügend noch die Auswahl und die Zahl der Abbildungen befriedigend. Die testen Reproduktionen der Kupferstiche und Holzschnitte werden von der Reichsdruckerei hergestellt. Über eigene Reproduktionswerke siehe folgende Literaturangaben.

2) Unter Vorstellung wird die auf Erinnerungsvorstellung fußende Tätigkeit des sinnlichen Bewusstseins verstanden.

3) Dürers Holzschnitt lässt die Entstehung des Bildgedankens als Gesichtsvorstellung deutlich erkennen. (Definition derselben siehe Bd. I des Handbuches, Systematik der Kunstwissenschaft.) Die Puttigruppe am Boden ist zuerst entstanden. Dann die Madonna mit der von Verlegenheiten nicht ganz freien Gewandung darüber, die sich durch den Blumentopf eine Zweiteilung gefallen lassen muss, wobei die hintere von dem Armmotiv abhängige Gewandpartie in der Umgebung sich nicht mehr zurechtzufinden weiß und deshalb den herabhängenden Gewandzipfel des davor stehenden Engels überschneidet. Formal wird mithin hier durch die Grenze der Farbflecken etwas anderes gesagt, als wie durch die Farbe bzw. ihre Lichtdifferenzen, die den Mantel nach rückwärts weisen, während er durch die Überschneidung nach vorne zu liegen kommen müsste. Bemerkenswert ist auch der Vorstellungswechsel Dürers in der Komposition der linken und rechten Seite des Stiches. Links sind die Figuren in aufrecht stehender Haltung vom Profil gesehen, rechts dagegen ist der fliegende Engel von unten, die knienden Musikanten von oben gesehen. Auf diese Weise versucht Dürer den Gedanken der nach rechts tendierenden Bewegung der Madonna von ihrer Gewandung auch auf die Gruppe zu übertragen, worauf ja auch die von links nach rechts schräg abfallende Gruppensilhouette des Engelchorus eingestellt ist. So wird hier das symmetrische Bildmotiv durch das Individualmotiv der Hauptfigur bestimmt und damit auch innerhalb der Bildkomposition selbst dies anschauliche Ineinanderwirken der im Sinne der Figuren überindividuellen Bildidee und einer Gestaltindividualität zum Problem der Komposition gemacht.

4) Siehe Abb. 1, Ausschnitt aus Dürers Rosenkranzbild.

5) Siehe auch H. A. Schmidt, Matthias Grünewald. Straßburg 1911, S. 86 ff.

6) Publiziert von Georg Leidinger. Miniaturen aus Handschriften der Kgl. Hof- und Staatsbibliothek, München. Das sog. Evangeliar Kaiser Ottos HI.

7) Siehe Ludwig Justi, konstruierte Figuren und Köpfe unter den Werken A. Dürers. Leipzig, 1902.

8) Der Ausdruck erstreckt sich natürlich hier nicht bloß auf die Mimik des Gesichtes oder die Haltung der Figur, sondern ist vielmehr Resultat des ganzen Bildgedankens. Schon die blutrote Farbe der steifen Draperie des Hintergrundes und ihr Kontrast zu der sehr dunkel gehaltenen Figur wäre hier zu nennen, neben der strengen sinnlichen Relation zwischen Hintergrund und Vordergrund und der aus dem Kopf- und Armmotiv heraus entwickelten Gliederung der Gestalt, wovon an anderer Stelle zu sprechen sein wird.

9) An van Gogh wäre hier u. a. zu denken: Dürers 1500 datiertes Bildnis eines jungen Mannes der Münchener Pinakothek lässt übrigens ähnliche Anschauungen erkennen.

10) Der Hinweis auf den Faust ist hier historisch nicht berechtigt, obwohl Faustische Gedanken an sich der Zeit geläufig sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um die Darstellung eines der vier Temperamente oder Komplexe, worauf auch die Zahl I nach der Inschrift „Melencolia“ zu deuten scheint. Der Begriff „Melancholie“ wurde im Mittelalter nach Grimm in dreifacher Weise aufgefasst: als Temperament, als körperliche Ermüdung und als seelische Schwermut, mithin als ein vorübergehender Zustand wie als dauernde Charaktereigenschaft. Es sind zum Teil vormittelalterliche, aus der Antike (Hippokrates und Galenus) übernommene Ideen, die modernisiert in Dürers Werk weiterleben. Wenn Dürer die menschliche Gestalt durch die vier Komplexe sich bestimmen lässt, d. h. die Erscheinung zum formgewordenen Willen des durch diese Temperamente determinierten Persönlichkeitscharakters macht (wir haben mancherley gestalt der menschen, ursach der vir complexen), so lässt er deutlich den universalistischen Theismus seiner Weltanschauung erkennen. Deshalb gibt auch die Gestalt der Melancholie nicht wie die italienische Renaissance einen Menschentypus, sondern einen Charaktertypus, aber jenseits alles Persönlichen, um das Wesen der Menschheit in lebendiger dramatischer Darstellung zu erfassen. Die Allegorie wird zur zeit- und namenlosen Persönlichkeit, die aber Versinnlichung jener Empfindung sein will, in der wir von der Objektivierung der Welt zur Objektivation des eigenen Ichs gelangen und in der Erkenntnis der Grenze unseres Denkens in trüber Resignation nach dem Ziel unseres Strebens in dunkler, unerreichbarer Ferne träumend schauen. Deshalb muss man nicht annehmen, dass solch ein erkenntnistheoretischer Skeptizismus auch die allgemeine, das praktische Tun beeinflussende Grundlage der Weltanschauung Dürers gewesen sei. Gewiss finden sich viele Stellen in seinen Schriften, die auf solchen Skeptizismus hinweisen. („Es ist uns von Natur eingegossen, dass wir gerne viel wüssten, dadurch zu bekennen eine rechte Wahrheit aller Dinge sei. Aber unser blöd Gemüt kann zu solcher Vollkommenheit aller Kunst, Wahrheit und Weisheit nicht kommen“ oder „Denn die Lüge ist in unser Erkenntnis, und steckt die Finsternis so hart in uns, dass auch unser Nachtappen fehlt.“)

Aber es sind im Goetheschen Sinne wirklich Faustische Gedanken, wenn Dürer, trotzdem er noch das von ihm in echt mittelalterlicher romantischer Sehnsucht gesuchte absolute Gestaltungs- und Erkenntnisideal in weiter Ferne sieht, schreibt „des will ich mich freuen und dorum ich dannocht Ursach bin, dass solche Wahrheit an den Tag komme“. Deshalb weist er auch bei aller gesunden Skepsis den Gedanken eines resignierten Pessimismus, der auf alles Forschen und Schaffen verzichten will, weit von sich: „Den viehischen Gedanken nehmen wir nit an.“ (Lange und Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlass, S. 223). In der praktischen Arbeit also findet er dann die Erlösung und Befriedigung von jener Resignation, wie es im Faust heißt, wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“. Es war nicht bloß eine Illustration eines Zeitgedankens, sondern auch eine höchst persönliche Angelegenheit, die ihm in der vollen Hingabe an den allegorischen Gedanken der Melancholie und seine sinnliche Gestaltung vor Augen trat. Das Physische wird zum Psychischen, das Persönliche zum Überpersönlichen, das Sinnliche zur Idee und aus der Endlichkeit das Ewige. In dieser künstlerischen und persönlichen Verarbeitung des traditionellen Gedankenapparates durch Dürer liegt auch für den Forscher die Schwierigkeit einer exakten wissenschaftlichen Deutung. Es ist wie bei Michelangelos Mediceergräbern. Die subjektive Absicht und das objektive Ergebnis der Arbeit sind so oft in der Kunst zwei verschiedene Dinge und gerade bei den Größten geht das Letztere so oft weit über das Erstere hinaus. Auf keiner der Melancholiedarstellungen findet sich diese wundersame Weiträumigkeit mit dem magischen fernen Lichte im Halbdunkel.

Als Literatur ist zu nennen: Allihn, Dürer-Studien, S. 95, Thausing II, S. 226, Giehlow, in den Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, 1903. 1904, Zucker, Dürers Stellung zur Reformation, Erlangen 1886, K. Lange, War Dürer ein Papist? Grenzboten 1896, S. 266 ff., Zucker, Dürer, Halle 1900, Paul Weber, Beiträge zu Dürers Weltanschauung, Studien zur Kunstgeschichte, Straßburg Heitz 1900, Heft 23, Wölfflin, Dürer, S. 191, ferner Wustmann, Dürer (in „Natur und Geisteswelt“), Bd. 97, 1906.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Malerei. Band 1