Moritz Veit und das deutsche Geistesleben

Moritz Veit und das deutsche Geistesleben

In einer Studie: „Moritz Veit und sein Kampf für die Emanzipation der Juden“ (Jahrbuch für jüd. Gesch. u. Lit. 1909) ist dargetan worden, was Moritz Veit für jüdische Angelegenheiten im allgemeinen und für die Berliner Gemeinde im besonderen getan hat, hier soll gezeigt werden, in welchem Verhältnis er zu dem deutschen Geistesleben steht, wie er von diesem angeregt wurde, und was er für deutsche Literatur geleistet hat.


Berlin war sein Geburtsort, Berlin seine Todesstätte; sein ganzes Leben ist mit der Entwicklung der Residenzstadt eng verknüpft.

Seine Jugendbildung fiel in keine Blütezeit unserer Literatur. In seiner Kindheit begann nach der Zertrümmerung des preußischen Staates das Wiedererwachen des Vaterlandes. Als er vier Jahre alt war, wurde das berühmte Edikt vom 11. März 1812 erlassen, das die Juden zu preußischen Bürgern machte; damit begann eine neue Zeit für die Juden. An die Stelle der gänzlich ungeordneten Schulbildung trat nun regelmäßiger deutscher Unterricht, so daß in wenigen Jahren, höchstens in einigen Generationen die Jünglinge deutscher Geburt und jüdischen Glaubens von denen ihrer Genossen einer anderen Konfession innerlich kaum zu unterscheiden waren, wie sie sich auch äußerlich ihnen anzunähern, ja gleichzukommen mit Geschick und Glück versuchten.

Es war eine große Epoche, die mit den Befreiungskriegen begann, und die neben deutscher Gesinnung in der jungen Generation auch freiheitliche Gefühle erweckte. Wurden diese auch durch die bald einsetzende Reaktion geknickt, so konnten sie keineswegs vernichtet werden. Sie erstanden aufs neue, als die Völker außerhalb Deutschlands sich zur Befreiung rüsteten, als nach dem von Frankreich gegebenen Signal Belgien seine Unabhängigkeit erkämpfte, Polen und Griechen das Joch ihrer Bedränger abschüttelten. Es ging durch Deutschland, wenn dieses selbst auch von Revolutionsstürmen befreit blieb — denn die kleinen lokalen Erregungen bedeuteten nicht viel — ein wahrhafter Enthusiasmus für die freiheitliche Idee. Besonders unter denen, die dem Judentum entstammten, wurden die Anregungen unendlich fruchtbar, die, durch Börne und Heine gegeben, einen mächtigen Rachhall und Wiederklang in der Jugend fanden.

Die neue Generation wurde außer durch politische Einflüsse durch literarische Anregungen bestimmt. Insbesondere war Berlin seit den Zeiten der Rahel eine Hauptstätte des Goethekultus, und seit der Wirkung der Brüder Schlegel der Tummelplatz der Romantik. Nach dem Absterben der älteren Generation hatte sich gerade in der preußischen Residenz die Schar der jüngeren Romantiker, wenn sie sich auch nicht zu einem bestimmten Bunde zusammenschloss, vereinigt. Ihr war die Verklärung des Mittelalters und Katholizismus fremder als den Vertretern der älteren Generation, aber die Kunstbegeisterung, Naturschwärmerei, Liebessehnsucht der Früheren war auch in ihnen lebendig und rang nach poetischem Ausdruck.

Man hat sich freilich gewöhnt, das Berlin vor 1848 in jener Zeit des Stillebens als die Hauptstadt der ästhetischen Tees zu bezeichnen und manchen Scherz über den dünnen Tee, die dünnen Butterbrote und den dünnen Geist gemacht, wie er in den Salons jener Zeit serviert wurde. Aber man darf nicht verkennen, daß neben vielem unbedeutenden auch das Bedeutende dort gehegt wurde, daß, ganz abgesehen von strenger wissenschaftlicher Arbeit und der Vorbereitung zu einem mächtigen Aufschwung des Handels auch die Literatur in gediegener Weise gepflegt und mit manchem bedeutenden Werke bereichert wurde.

Veit hatte aber nicht nur das Glück, in einer an Anregungen reichen Epoche und in einer Stadt heranzuwachsen, die jedem Neuen zugänglich war, sondern in einem Kreise groß zu werden, der der Bildung erschlossen war, und dessen Mitglieder durch ihre Lage nicht genötigt waren, ausschließlich dem Broterwerbe sich zuzuwenden. Ähnlich dem derselben Epoche angehörigen Michael Beer durfte er sich einer wohlhabenden, geachteten Familie zuzählen, die in nicht allzu entferntem Grade mit der Mendelssohnschen Familie verwandt — durch Simon Veit, den Schwiegersohn Mendelssohns, der, wenn auch keineswegs den neuen Ideen völlig zugänglich, doch dem Geistesleben nicht durchaus feindlich gegenüberstand —, und wuchs in einem Kreise heran, den man völlig zu den Gebildeten zählen darf.

Schon in dem Hause seines Vaters Joseph Veit versammelte sich regelmäßig eine geistig rege Gesellschaft, von der ein merkwürdiges Zeugnis erhalten ist. In diesem Kreise nämlich wurde schon 1825 eine Narrenzeitung herausgegeben, und es hat sich im Nachlaß ein Blättchen erhalten, das uns über den Kreis der Teilnehmer willkommenen Ausschluss gewährt. Es lautet so: „Zodiakus des Veitschen Hauses 1825: Waage: Herr Philipp Veit, Stier: Herr Hilmar, Löwe: Professor Gans, Jungfrau: Herr Joseph Lehmann, Zwillinge: Herr Moritz Veit und Hilmar jun., Skorpion: Herr Mahlo, Steinbock: Herr Udo Veit, Schütze: Herr Stud. Maximilian Heine, Krebs: Herr Leßmann, Wassermann: Herr Veit II, Widder: Herr Dr. Schöneberg, Fische: Herr Dr. Rosenhain, sämtlich Mitarbeiter an der Narrenzeitung.“

Das eine der genannten Mitglieder, Maximilian Heine, der begabte Bruder des berühmten Dichters, lebte 1826 in Berlin und hat in den Erinnerungen an seinen Bruder eine Schilderung des Kreises gegeben und eine Notiz über die Narrenzeitung, die beide in diesem Zusammenhang nicht fehlen dürfen.

Die eine lautet: „Einen ganz anderen in sich abgeschlossenen Kreis (als den Rahel Varnhagenschen) bot mir das Veitsche Haus dar, das mit der Geschichte des geistigen und kommerziellen Berlin in innig interessanter Berührung stand. Der alte Herr Philipp Veit, dem eine treffliche Gattin zur Seite stand, Chef eines angesehenen Handlungshauses, versammelte allwöchentlich am Donnerstage einen Kreis von Männern um sich, die sich für diesen Abend die Aufgabe gestellt, eine mit Humor und Witz reich ausgestattete Unterhaltung zu führen“. Nachdem der Berichterstatter einzelne Mitglieder des Kreises, z. B. den stillen Botaniker Rosenhain neben einzelnen berühmteren Mitgliedern der Gesellschaft charakterisiert hatte, fährt er in einer zweiten Stelle fort: „Die Heiterkeit und der witzvolle Humor dieses Veitschen Kreises waren kaum zu zügeln, und man beschloß einst, ein geschriebenes Journal unter dem Namen „Narrenzeitung“ herauszugeben.

Zu diesem Zwecke war im Veitschen Hause ein Kasten angebracht, in welchem die anonymen Aufsätze und Gedichte der Freunde hineingeworfen wurden, um durch die Redaktion Lehmanns geordnet zwischen Tee und Souper vorgelesen zu werden. Die Aufsätze dieses Manuskript-Journals waren von höchst pikantem Inhalt und behandelten meist die zeitgenössischen gesellschaftlichen sowohl als literarischen Zustände.“


Es ist wohl nicht nötig, all die Teilnehmer an diesem Journal, das den Beteiligten Ergötzen bereitete, im einzelnen zu charakterisieret. Einige, dem Kaufmannsstande angehörig, sind so gut wie gar nicht bekannt, andere wie Eduard Gans, der große Jurist und Philosoph, brauchen nur genannt zu werden, weil ihr Wirken noch heute als ein lebendiges gilt. Der Redakteur der Narrenzeitung, Josef Lehmann, stand verwandtschaftlich dem Veitschen Hause so nahe und gehört so durchaus zur Physiognomie des damaligen Berlin, daß er mit einigen Worten geschildert werden muß. Er ist 1801 in Glogau geboren und 1873 in Berlin gestorben. Ursprünglich Geschäftsmann, zeigte er frühe literarische Neigungen und wurde durch Vermittlung Alexanders v. Humboldt, den er im Mendelssohnschen Hause kennen gelernt hatte, schon in den zwanziger Jahren mit der Redaktion einer literarischen Beilage zur „Preußischen Staatszeitung“ betraut, — übrigens wohl das einzige Beispiel, daß ein Jude an einem offiziellen preußischen Blatte tätig war. Bald trennte er diese Beilage von dem Hauptblatt und erweiterte sie zu einem selbständigen Journal, dem „Magazin für Literatur des Auslandes“, das er über 40 Jahre redigierte und als eifrigster Mitarbeiter mit vielen Beiträgen bedachte. Es war ein Unternehmen, das in der Art des Goetheschen Begriffes „Weltliteratur“ ein geistiges Band um die Nationen schlingen, das deutsche Publikum gewissenhaft und anregend über die literarischen Erscheinungen des Auslandes unterrichten sollte. Lehmann war aber nicht bloß ein vielseitig unterrichteter, sondern auch ein höchst humaner, deutschgesinnter Mann, und wie in seinem Blatt, so bezeigte er auch während eines langen gesegneten Lebens, während dessen er mit Veit in ununterbrochener Verbindung stand, eine edelmenschliche und volkstümliche Gesinnung. Er blieb dem Judentum treu und suchte, wenn auch keineswegs aufdringlich, in seinem Blatte auch diese Seite des geistigen Lebens zu berücksichtigen.

Drei der Genossen an dem eben erwähnten unternehmen oder wenigstens solche, die im Hause des Vaters ein- und ausgingen, hat Veit biographisch gewürdigt: Moses Moser, Daniel Leßmann, Lazarus Bendavid. Er widmete den drei Genannten stimmungsvolle Nachrufe in Berliner und auswärtigen Zeitungen, Nachrufe, die das Wesen dieser drei Männer hübsch darlegen: Mosers gediegenes kaufmännisches Wirken, seinen Bildungseifer, der durch sein, von aller Kleinlichkeit freies Verhältnis zu Heine verklärt wird, wie es in den herrlichen Briefen Heines an Moser hervortritt; Daniel Leßmanns unstetes Treiben, seine wirre Phantasie, die ihn schließlich zum Selbstmord trieb, aber sein unleugbares Talent in kleinen und größeren Arbeiten, das Kulturleben fremder Nationen, das er zum Teil aus eigener Anschauung kannte, poetisch und historisch darzustellen, Bendavids Diogenes-Natur, sein entsagungsvolles Dasein, seine mitunter zyklische Lebensbetrachtung, seine eigenartige Auffassung des Judentums, seinen apostolischen Eifer, die Lehre seines Meisters Kant zu verkünden.

Ein junger Mann, der in literarischen Kreisen etwas gelten wollte, wenn er auch wie Moritz Veit keineswegs die Absicht hatte, ein bloßer Literat zu werden, mußte seinen Anspruch, als vollgültiges Glied in die Gesellschaft aufgenommen zu werden, durch drei Dinge beweisen: Durch Gedichte, durch ein Drama, und wenn seine Mittel reichten, auch durch die Herausgabe eines Musenalmanachs.

Die zierlichen Bändchen, die, hübsch gedruckt, mit Illustrationen versehen, im Herbst jedes Jahres erschienen, die heute nur noch sehr spärlich auftreten, waren vor hundert Jahren und länger außerordentlich beliebt. Auch in Berlin hatte es schon vor Veits Zeiten derartige Versuche gegeben, aber sie hatten sich nicht halten können, und keine dieser Unternehmungen hatte es zu einer stattlichen Zahl von Bänden gebracht. Auch der von Veit begründete Berliner Musenalmanach hatte kein besseres Schicksal. Es erschienen nur zwei Jahrgänge davon; da die Mühen und Anstrengungen sehr groß waren, auch die Summen nicht unbeträchtlich genannt werden müssen, die dazu verwendet wurden, und da der Beifall den Kosten und Mühen keineswegs entsprach, so gab Veit den Almanach aus, der ihn, solange er bestand, viel beschäftigt hatte. Es wäre ungerecht, die beiden Bändchen als kostbare Schätze unserer Literatur zu bezeichnen. Aber es sind ganz achtungswerte Proben hübscher, poetischer Talente. Die Hauptmitarbeiter waren Karl Werder, Heinrich Stieglitz, die beide im Verlaufe dieser Betrachtung noch gewürdigt werden müssen, und Moritz Veit selbst. Dazu kamen andere Vertreter der sogenannten Berliner Romantik, z. B. Arnim, Chamisso, Fouqué, außerdem viele, die schon damals nur in kleinen Kreisen bekannt waren, und die heute nicht mit unrecht völlig verschollen sind. Von den bekannteren Dichtern in Berlin und auswärts hatten Anastasius Grün, Krug von Nidda, Wilhelm Wackernagel freiwillig Beiträge gesendet. Auf die Anforderung hatten Schwab, Grüneisen, Houwald, Eckermann, Leopold Schefer, Eichendorff, Apollonius von Maltitz gern reagiert. Dagegen machte es den Herausgebern großen Schmerz, daß viele hervorragende Berliner, Wilhelm Neumann, Rellstab, Stägemann, Langbein die Aufforderung ablehnten und in ähnlicher Weise gar manche der Auswärtigen, wie Castelli, Grillparzer, Zedlitz in Wien, Uhland in Tübingen, Kerner in Weinsberg, A. W. Schlegel in Bonn, Tieck in Dresden die Aufforderung direkt ablehnten oder durch Stillschweigen ihre Ungeneigtheit bezeugten.

Für Veit, der jedenfalls beim zweiten Bande fast alle Mühen auf sich zu nehmen hatte, während im ersten der Hauptanteil der Anstrengungen auf Stieglitz’ Schulter entfiel, hatte der Almanach eine unerfreuliche und eine erfreuliche Wirkung. Die unerfreuliche war, daß er mit Heinrich Heine, der von seiner Berliner Studienzeit her den Kreisen Veits nahe stand, auseinanderkam. Freilich war er selbst schuld daran; er hätte den überempfindlichen Dichter kennen müssen. Er hatte nämlich am 3. Februar 1830 über die Nordseebilder Heines eine Kritik veröffentlicht, in der er trotz vielen Lobes des Schriftstellers mit starken Worten das allzu große Hervordrängen seiner Persönlichkeit in Selbstpersiflage, die absichtliche Frivolität, die Selbsttäuschung, als wenn politische Befreiung ihm eifrigst am Herzen läge, das Unzusammenhängende der Komposition des ganzen Bandes tadelte. Über diese Kritik war Heine empört und beschwerte sich bitter über den jungen Mann, der ihm früher „als blinder Enthusiast und Anbeter“ angehangen hatte. Am 23. Februar richtete Veit an Heine mit Bezug auf die eben von ihm geschriebene Kritik die Aufforderung, für den zweiten Band des Almanachs, nachdem er im ersten zum Leidwesen vieler gefehlt habe, mit einem Beitrag zu erscheinen. Aber Heine schickte nichts, ja er würdigte den Briefschreiber nicht einmal einer Antwort.

Die erfreuliche Wirkung war die Teilnahme Goethes. Für den ersten Band hatte der Alte aus Weimar durch seinen getreuen Eckermann die chinesisch-deutschen Jahreszeiten gestiftet; für den zweiten übernahm Veit selbst die Werbung. Am 17. Mai 1830 verfasste er folgendes Schreiben an den Gewaltigen:

„Ew. Exzellenz nehme ich mir die Freiheit ergebenst anzufragen, ob Sie auch in diesem Jahre, wie im vorigen, dem Berliner Musenalmanache einige Aufmerksamkeit schenken wollten. Die Gewißheit, daß E. E. dem jungen Unternehmen nicht abgeneigt seien, geben uns die chinesischen Jahres- und Tageszeiten, und wenn der ziemlich günstige Erfolg des M.-A. wohl hauptsächlich dem Umstande beizumessen sein möchte, daß der Name Goethe dem Büchlein vorgedruckt werden konnte, um so ungünstigeres Vorurteil gegen den zweiten Jahrgang würde es erregen, wenn E. E. denselben durch Entziehung ihres Beistandes zu missbilligen schienen. Durch eine Aussicht auf einen Fortgang von mehreren Jahrgängen ist es dem Almanach vergönnt, begangene Fehler zu verbessern und sich dem vorgesteckten Ziel mehr und mehr zu nähern. Vielleicht wird die Zukunft die Ehre rechtfertigen, die E. E. dem M.-A. erzeigt hatten, und wie ich es mit Bestimmtheit hoffe, auch in diesem Jahre werden angedeihen lassen.“

Nach den Gepflogenheiten jener Zeit wurde dieser Brief nicht der Post anvertraut, sondern durch Vermittlung geschickt. Vielleicht wurde dieser Weg auch deshalb gewählt, weil man diese Vermittlung für besonders wirkungsvoll hielt. Denn es war Zelter, der intime Berliner Freund Goethes, der den Brief überbringen sollte. Da er damals nicht nach Weimar reiste, so schickte er erst fast zwei Monate später, am 15. Juli, den Werbebrief mit kühlen Geleitworten nach der thüringischen Residenz. Dort machte er sehr geringen Eindruck, der alte Herr schrieb vielmehr seinem Berliner Freunde, er könne „den guten Taschenbuchbrüdern“ nichts mitteilen, und überließ dem Berliner Getreuen, den Herausgebern des Almanachs „Kantate und Lied“ zu seinem Ehrentage (Zelters 70. Geburtstag) zu überlassen. So geschah es auch. Goethe erhielt im Oktober ein Exemplar des Almanachs mit einem Schreiben, in dem die Hoffnung auf seine fernere Mitarbeit geziemend ausgedrückt wurde, aber eine Antwort des Dichtergreises traf nicht ein, und der Almanach erreichte mit dem zweiten Bande seist Ende.

Außer der Sammlung von Gedichten anderer schrieb Veit auch ein Trauerspiel. In dem Nachlaß hat sich außer manchem fragmentarischen ein fünfaktiges Trauerspiel „Die Zerstörung von Korinth“ in mehreren sauberen Abschriften erhalten. Veit legte ursprünglich großen Wert darauf, die Freunde erkundigten sich noch in späteren Jahren nach seinem Schicksal; Jos. Lehmann feierte es in einem langen Gedicht, es wurde den Theatern in Berlin, Leipzig und Hamburg angeboten, überall ohne Erfolg. Vielleicht war diese Zurückweisung für den Verfasser ein Glück, denn sie hinderte ihn auf einem Wege auszuharren, der nicht der seinige war. Er selbst erkannte bald, daß er keine Begabung zum Dramatiker besaß. Das Drama ist eine der vielen Jamben-Tragödien, wie sie jungen, versgewandten, mit dem Geiste des Altertums genährten Männern leicht gelingen. Bei seiner Schilderung der belagernden Römer und der belagerten Korinther steht er sichtlich auf Seite der letzteren; der Freiheitsenthusiasmus der dem Untergang Geweihten dünkt ihm größer als die Tapferkeit der Begründer einer neuen Weltmacht; das ersterbende Griechentum erscheint ihm als bedeutendere Kulturmacht, denn das Römertum; unter den Römern ist ihm daher der griechenfreundliche Metellus lieber als der starre Römer Mummius; als schwankende Halbfigur wirkt der bei den Römern weilende Polybius unerfreulich. Es ist eine Männertragödie, in der Arete, die Gattin des Feldherrn des achäischen Bundes, als einzige Frau erscheint. Wie bei ihrer Schilderung Homerische und Schillersche Reminiszenzen eingewirkt haben, so zeigt das Ganze gar zu sehr den Schillerschen Einfluß, die Volksszenen bieten ein schwaches Abbild aus Goethes „Egmont“ und Shakespeares „Julius Cäsar“. Die beginnenden liberalen Anschauungen der damaligen Jugend wagen sich schüchtern hervor. Eine freie poetische Gestaltung wird ebensowenig versucht, wie eine selbständige Charakteristik der einzelnen Personen. Deklaratorisches drängt sich unliebsam hervor, daher muß das Drama trotz einzelner schönen Stellen und packenden Situationen im ganzen als verfehlt bezeichnet werden.

Unter den mannigfachen Urteilen, die an den Verfasser gelangten und von diesem sorgfältig aufbewahrt wurden, mag wenigstens eines mitgeteilt werden, das von dem Hamburger Theaterdirektor Lebrun eingesendet wurde. Dieser, auf seine und seines Mitdirektors Meinung allein nicht vertrauend, hatte einen dritten „geistreichen und bühnenkundigen Freund“ um sein Urteil ersucht und schickte dieses als mit dem seinigen übereinstimmend an den Dichter. Es lautet wie folgt:

„Die Dichtung des mitgeteilten Trauerspieles zeugt von wahrhafter Begeisterung und von einem bedeutenden poetischen Talent. Auch das dramatische Talent des Verfassers ist nicht zu verkennen, wenn gleich in diesem Versuche die Unkenntnis mit der deutschen Bühne — wie sie dermalen ist — nicht verkannt werden kann. Für die erste Behauptung spricht die energische an schönen Bildern und dichterischen Gedanken, oft überreiche Sprache, die Wärme in den Schilderungen, die Auffassung des großen Gegenstandes: Griechenlands Untergang und Hindeutung auf dessen Wiedergeburt. Für die letztere Behauptung sprechen die konsequent gezeichneten Charaktere des Metell, des Mummius und Polybius. Diäus, wenn gleich der Held des Stückes, gefällt sich zu sehr in helden- und edelmütigen Reden, und fällt daher in das Versehrte der meisten neueren Bühnenhelden. — Den Versen ist hie und da mehr Feile — von dem Ausdruck manches Übereilte wegzuwünschen. — Das Trauerspiel würde, wenn der Verfasser es nicht verschmähte, wohlwollenden Winken von bühnenkundigen Freunden nachzukommen, die Aufmerksamkeit der Lesewelt aus sein Talent hinziehen: für die Ausführung jedoch würden mehrere Veränderungen vorgenommen werden müssen, die tiefer in den Organismus der Dichtung eingreifen, und dann selbst wird das Stück von der Bühne herab, nie eine sehr große Wirkung hervorbringen. Möge der Dichter bald einen minder starren, großartigen Stoff mit gleicher Liebe und Wärme ergreifen, und sein Streben wird mit dem günstigsten Erfolge gekrönt werden.“

Die dritte Betätigung des jungen Literaten waren eigene Gedichte. Dichterisch war Veit zeitlebens tätig. Eine Sammlung erschien 1836, in dem von Michael Sachs hauptsächlich bearbeiteten „Stimmen von Euphrat und Jordan“ 1833 lieferte Veit viele Beiträge, Veits Biograph Wehrenpfennig hat in seiner Gedenkschrift 1871 zu den früher gedruckten manchen Vers aus dem Nachlasse hinzugefügt. Ein großer Dichter war Veit nicht, aber er besaß Gewandtheit in Vers und Reim und Verstand hübschen Gedanken einen sinnigen Ausdruck zu verleihen. Zu allen Zeiten, auf der Reise, in den spärlich zugemessenen Stunden der Muße, dichtete Veit Sprüche, Begleitworte zu Werken, die er Freunden und Freundinnen als Geschenk überreichte, Gelegenheitsgedichte, ernste und heitere, bei Familienfesten, bei allgemeinen, auch bei politischen feierlichen Veranstaltungen. Er erinnert in seinen Gedichten stark an Heine, ohne dessen Frivolität zu besitzen, vielmehr war er ein durchaus ernst gesinnter Mann, der daher Epigramm, Spruch und Lehrgedicht bevorzugte. Daneben pries er wohl Natur Freundschaft und Liebe. Aber nicht in flüchtigem Sinnenrausch, sondern als Jüngling die Sehnsucht, als älterer Mann die tiefe Beseligung durch echte Liebe. Er wandte den Blick gern nach fremden Ländern und entlehnte seine Balladenstoffe vorzugsweise dem Orient. Seine ausführlichsten Gedichte — Elias und Simson — lehnen sich an biblische Erzählungen an. Er bemühte sich, den poetischen Gehalt der midraschischen und talmudischen Literatur herauszuheben; Duldung zu predigen, Glaubensfreiheit zu verkünden erachtete er als Aufgabe der Dichtung überhaupt oder wenigstens seiner eigenen.

Einzelne Proben geben doch keinen rechten Begriff seiner Begabung. Sehr charakteristisch ist ein Gedicht an seinen vertrautesten Freund Michael Sachs, das um so eher hier mitzuteilen ist, als es seine Vorliebe für die jüdische Literatur beweist und die wahrhaft brüderliche Freundschaft für diesen ausgezeichneten Mann bekundet. Es lautet:

Veit an Sachs.

Die Kernfolianten liegen aufschlagen
Und unter ihrer Bürde ächzt mein Pult,
Das nur Oktav mit christlicher Geduld
Und einen Quartband selten Wohl getragen.

Das sind sie nun, der Vorwelt heil'ge Sagen,
Darin verzeichnet steht der Väter Schuld,
Die Kraft des Worts, der Patriarchen Huld,
um unser Volk die unverloschenen Klagen.

Mir sind sie stumm. Du aber, kundiger Freund,
Nimm deinen Mosesstab zur Hand und schlage
Aus diesem Fels den Quell der alten Sage.

Ich harre durstend, bis er mir erscheint.
Mit hohlen Händen schöpf’ ich dann die Strahlen
— Die goldene Lebensflut in irdnen Schalen!


Unter den kleinen Sammlungen voll Poesien ist die merkwürdigste die unter dem Titel „Polenlieder“ (Hamburg 1833). Sie bringt die schon oben kurz erwähnte Begeisterung für die Polensache zu lebhaftem Ausdruck, eine Begeisterung, von der man sich heute kaum eine Vorstellung machen kann. Die jungen polnischen Freiheitskämpfer, die häufig vor dem Kampfe nach Deutschland kamen, um Beiträge für ihre heilige Sache zu sammeln, erregten nicht bloß durch ihr stattliches Aussehen und durch ihr nationales Unglück bei leicht entzündlichen Frauen menschliche Teilnahme, sondern wußten auch ernste Männer geradezu in Enthusiasmus zu versetzen. Auch Veit, der vielleicht gerade als Jude den freiheitlichen Bestrebungen anderer besonders geneigt war, war ein begeisterter Freund der Unterdrückten. Die kleine Sammlung, in der er sein Mitgefühl aussprach, besteht aus Verherrlichungen einzelner Helden, aus langen Beschreibungen der Schlachten und Ereignisse des Krieges, aus begeisterten Lobpreisungen der Freiheitsidee.

Der Dichter vergleicht geradezu die Freiheitsliebe der Polen, die sich offen äußern dürfe, mit der Unterdrückung, in der die Vertreter freiheitlicher Anschauungen in Preußen schmachten, und blickte daher mit Neid auf die östlichen Brüder, die Kosziuskos Odem beseelte, und klagte, daß es achtzehn lange Jahre her sei, daß wir auch einmal den Geist beschworen (Anspielung aus die Freiheitskriege), er sprach es aus, daß er und seine Gesinnungsgenossen

„Deine Schlachten in heiliger Sympathie teilen“.

So verkündete er den Ruhm einzelner Helden und klagte Europas Nationen an, Polens Fall tatenlos zuzusehen. Deutschlands Dichtern aber rief er mit flammenden Worten zu, die kleinen Leiden, die ihre Brust erschuf, zu vergessen und Herz und Seele mit dem großen Schmerz zu füllen, der Europas Heldenherz zerrissen habe. Er schloß diese Dichtung mit den Worten:

Ihr duldet nicht, ihr Lieder, daß es der Nacht gelingt,
Den Heldenruhm zu schmälern, der alle Welt bezwingt.
Wohl habt ihr keine Säule, die eure Siege nennt,
Weil ihre stumme Sprache auch eure Schuld bekennt.

Ihr aber baut, ihr Lieder, das Siegesdenkmal auf,
Und schreibt die Heldennamen mit Flammenschrift darauf.
Der lässigen Geschichte, die streng der Nachwelt harrt,
Entreißt den trägen Griffel für unsere Gegenwart.


Veit dachte nie daran, bloß Poet zu sein. Er hatte Philosophie und alte Sprachen studiert, sein Doktorexamen in Jena gemacht und wollte sich der akademischen Laufbahn widmen. Die Ausführung dieses Planes scheiterte an seinem religiösen Bekenntnis, dem er treu anhing. Seine Doktorarbeit ließ er später, Leipzig 1834, im Druck erscheinen unter dem Titel „Saint Simon und der Saint Simonismus, Allgemeiner Völkerbund und ewiger Friede“ (Ein Kapitel daraus „Weltbürgertum und ewiger Friede“ wurde 1870 nochmals gedruckt.) Da es das einzige größere Werk Veits ist, so verdient es eine etwas eingehendere Betrachtung. Es ist eine fleißige und gewissenhafte Arbeit, die das Leben Saint Simons, seine Lehre und die durch diese Lehre angeregte Idee vom allgemeinen Völkerbund und ewigen Frieden behandelt. Die Darstellung der eigentlichen Lehre macht den Hauptteil des Buches aus, charakteristisch für den damaligen Zustand der Kenntnis war, daß Saint Simons Werke, obwohl erst wellige Jahre seit dem Tode des Mannes verflossen waren, dem Bearbeiter nur teilweise im Original vorlagen, einzelnes dagegen nur aus deutschen Auszügen bekannt war. Die Beurteilung ist ruhig und objektiv, sie sucht namentlich zwischen der ursprünglichen Lehre des Sektenstifters und den Übertreibungen seiner Anhänger mit Geschick zu vermitteln.

Franz Horn, der bekannte Kritiker, urteilte in einem Briefe an Veit (27. Januar 1834) folgendermaßen: „Ich habe dem Werke bereits zwei Abende gewidmet und darf Ihnen mit Vergnügen Glück wünschen zur Vollendung einer solchen Schrift, die sich durch Kenntnis und Fleiß, Scharfsinn und Deutlichkeit, sowie durch Kraft und Feuer der Darstellung auszeichnet. Das wirrwarrige Hin- und Hergerede in manchen Zeitblättern über einen so schwerwiegenden Gegenstand war mir zuletzt so fatal geworden, daß ich aufhörte, davon Notiz zu nehmen; überzeugt, daß hier nur das Quellenstudium selbst oder ein Werk wie das Ihrige zu genauer Ansicht verhelfen könnte. Sie haben ohne Vorliebe und Vorhass (!) sämtliche Aktenstücke durchforscht, genau und wiederholt geprüft und dann ein durchgreifendes Urteil gefällt. Ihr Buch regt vielseitig an, und während man den ruhigen Denker ehrend anerkennt, erfreut man sich nicht minder des für Wahrheit, Sittlichkeit und Schönheit begeisterten Jünglings.“ Ähnlich rühmte E. H. Weiße in den „Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ (Juni 1834 Stück 120)) das gründliche Wissen, sowie die Universalität und geistvolle Gediegenheit des von dem Verfasser eingenommenen Standpunktes.

Nach dem Misslingen seines Planes, Dozent zu werden, und in der Erkenntnis, daß weder seine wissenschaftlichen noch dichterischen Fähigkeiten ausreichten, um ein Leben als Schriftsteller zu führen, wandte er sich dem kaufmännischen Berufe zu und wurde Buchhändler. Schon am 18. November 1833 erlangte er in Gemeinschaft mit seinem Freunde, dem Oberlehrer Josef Levi (später Lehfeldt) die Konzession zum Buchhändler. Nach langen, mit verschiedenen Firmen geknüpften Verhandlungen wurde Ende 1833 der Verlag einer Witwe Bauke ausgekauft und im Laufe des Jahres 1833 in Gemeinschaft mit dem obengenannten Kompagnon die Firma Veit & Co. gegründet. Der Hauptartikel jener Firma war ein Berliner Wohnungsanzeiger gewesen. Dieses sehr einträgliche Unternehmen wurde zwar fortgesetzt — für die Zeiten der Reaktion ist es ungemein charakteristisch, daß er auch bei diesem scheinbar ganz unpolitischen Werke recht bedenkliche Differenzen mit der Zensur hatte — sonst aber der Verlag auf einen wesentlich höheren Standpunkt gehobelt. Geschichtliche und naturwissenschaftliche Werke und Zeitschriften wurden bevorzugt, W. A. Schmidt und J. G. Droysen, mit denen sich ein herzliches Freundschaftsverhältnis entwickelte, wurden Hauptautoren des Verlages; auch einzelnes von Karl W. Nitzsch wurde ediert; zu medizinischen Schriftstellern, deren Werke bei Veit & Co. erschienen, gehörte von Gräfe; von größeren Sammlungen das Wörterbuch der medizinischen Wissenschaften, Johann Müllers Archiv. Dazu kommen volkswissenschaftliche, physikalische, militärische, juristische, einige sehr umfangreiche Verfassungs- und Verwaltungsarbeiten, philologische Werke, darunter auch manche von Boekh. Die Literatur des Schachspiels wurde besonders gepflegt. Von größeren, vielversprechenden Unternehmungen, die nicht immer die daraus gesetzten Hoffnungen erfüllten, seien Leibniz' Deutsche Schriften, Schillers und Körners Briefwechsel, bei dem Veit geradezu als Herausgeber tätig war, die Werke Leopold Schefers, von dem noch ausführlicher die Rede sein wird, kurz genannt.

Als Buchhändler kümmerte sich Veit um die Interessen seines Kreises. Im Jahre 1839 trat er mit dem Plan eines Wissenschaftsvereins unter seinen Kollegen hervor, der in der Art der Kunstvereine seinerseits die Herausgabe kostbarer wissenschaftlicher Werke in die Hand nehmen sollte. Hatte er mit diesem Plane auch keinen Erfolg, so wurden andere Anregungen, die er der Buchhändlerkorporation gab, deren Mitglied er seit dem genannten Jahre war, mit Freuden ergriffen. Die Gediegenheit seines Wissens, die Liebenswürdigkeit seines Umganges verschaffte ihm unter diesen Kaufleuten, die meist dem christlichen Bekenntnisse angehörten, viele Freunde. Er wurde zu den wichtigsten Beratungen des Standes herbeigezogen. Seit dem Jahre 1833 wurde er Stellvertreter des Vorsitzenden, in späteren Jahren sogar Vorsteher der Buchhändler-Börse und behielt diese Stellung auch einige Jahre noch bei, nachdem er seinen Verlag verkauft hatte.

Zu dieser seiner Stellung befähigte ihn, wie einer seiner nächsten Freunde sich ausdrückte, „wissenschaftliche Bildung, geschäftliche Einsicht, Freude an korporativer Tätigkeit, politische Erfahrung, ausgebreitete Kenntnis der Gesetzgebung“. In seinen in der Generalversammlung gehaltenen Vorträgen feierte er den Verein als Schule des Gemeinsinns, gab Erinnerungsbilder an verstorbene Genossen, warnte vor Gefahren, die dem Buchhandel drohten. Im Auftrage oder auf Bitten der Genossen unternahm er es über besonders wichtige Vorgänge in öffentlichen Blättern zu berichten. Die meisten seiner Reden und Zinssätze sind im Buchhändler-Börsenblatt gedruckt; besondere Erwähnung verdient Veits Rede bei der vierten Säkularfeier der Buchdruckerkunst am 28. Juni 1840. Als 1840 durch J. E. Hitzig in Berlin die „Allgemeine Presszeitung“ begründet wurde, schrieb er die Vorrede dazu und beteiligte sich auch später gelegentlich als Mitarbeiter daran. Wie hier, so trat er auch sonst gegen die Beschränkung der Pressgesetzgebung, für den Schutz der Autorrechte, gegen die Hinderung des freien Verkehrs in Leipzig aus. Namentlich in den Zeiten der Reaktion kämpfte er, freilich nicht immer glücklich, gegen Zeitungsstempel und Postgesetz; Ende 1850 z. B. im Verein mit sämtlichen Berliner Zeitungsverlegern gegen die drohende Entziehung des Postdebits. Von der Bedeutsamkeit seiner Stellung gibt ein Telegramm Kunde, das ihm 1861, da er der Versammlung nicht beiwohnen konnte, von den Genossen, denen sich Minister v. Beust anschloss, gesendet wurde. Seit 1848, seit dem Tode des Buchhändlers Besser, war er stellvertretendes, später ordentliches Mitglied der literarischen Sachverständigenkommission. Als solches wirkte er beim Abschluß der Verträge zwischen Deutschland und Frankreich, an dem in den Jahren 1855—57 gearbeiteten Entwurf eines deutschen Nachdruckgesetzes mit, nachdem er schon 1855 in der kleinen Schrift: „Die Erweiterung des Schutzes gegen den Nachdruck zu Gunsten der Erben verdienter Autoren“ gegen die nur 30 jährige Frist aufgetreten war, die den Erben der Autoren zugestanden wurde. Diese Tätigkeit blieb ihm eine ungemein erwünschte, der er sich auch noch zu einer Zeit widmete, da er aufgehört hatte, Buchhändler zu sein.

Die eben erwähnte Schrift hat ihren Ursprung jedenfalls in der Tätigkeit, zu der Veit 1855 von dem Börsenverein deutscher Buchhändler berufen wurde. Er gehörte einer Kommission an, zu der neben ihm die angesehensten und vornehmsten Buchhändler Deutschlands berufen, und zu der auch drei Juristen zugezogen wurden, einer Kommission, die die Aufgabe hatte, ein allgemeines Gesetz über Urheber- und Verlagsrecht auszuarbeiten. Diese Kommission stellte einen großen Entwurf her. Veit wurde im Verein mit Hinschius und Reimer ernannt, um dem Entwurf eine neue redaktionelle Fassung zu geben; diese Fassung wurde von dem Börsenvereinsvorstande der sächsischen Regierung überreicht, von der deutschen Bundesversammlung 1862 und 1864 als Grundlage ihrer Beratungen benutzt und ist im wesentlichen auch für das Bundesgesetz vom 11. Juli 1870, betr. das Urheberrecht an Schriftwerken, Abbildungen, musikalischen Kompositionen und dramatischen Werken verwendet worden.

Bei manchen der hervorgehobenen Publikationen tritt das literarische Interesse des Buchhändlers hervor. Als solcher gehörte er nicht zu denen, die alles brachten, was ihnen zufällig angeboten wurde, sondern er wählte aus, bevorzugte innerlich Gehaltvolles und ließ seine persönliche Neigung bei der Auswahl mitsprechen. Besonders charakteristisch für ihn war, daß er das Berlinertum in den Vordergrund stellte und sich an Persönlichkeiten wandte, die dem Berliner literarischen Treiben ihr Gepräge gegeben hatten, oder solche, die mit dem Judentum in gewisser Beziehung standen. Für das letztere ist eigentümlich, daß er sich an Henriette Herz, mit der er eine gewisse persönliche Verbindung unterhielt, wandte, um von ihr nach dem Tode Schleiermachers, dessen Briefwechsel mit der schönen Frau zu erlangen. Indessen hatte er damit keinen Erfolg. Sie schrieb, daß sie Schleiermachers Witwe die Briefe des Verstorbenen mitgeteilt und auch von dieser die Erklärung empfangen habe, „daß sich vieles darin aus vielen Gründen nicht zur Öffentlichkeit eigne, da Familienverhältnisse, Urteile über Menschen und Bücher den Briefen anvertraut sind, ja sogar Geheimnisse, die aus Familien und Persönlichkeiten sich beziehen; wie ganz unerhört wäre es nun von mir, alles dieses, wenn auch mit der strengsten Sonderling, preiszugeben dem Missverständnis und dem bösen Willen.“

In diesen literarischen Zusammenhang gehörte auch ein anderes großes Unternehmen. Es war eine Gesamtausgabe und brachte der Firma mehr Ehre als Gewinn. Es war kein Lebender, dessen Ruhm schon von den Zeitgenossen bestritten wurde, sondern ein Toter, J. G. Fichte, dessen Werke, so unbestritten auch die Bedeutung des Philosophen war, kein gangbarer Artikel wurden. Die von J. H. Fichte, dem Sohne, ausgehenden Verhandlungen begannen schon im Jahre 1839, die Werke waren 1846 in acht Bänden vollendet. Der Publikation mußten Besprechungen mit den Verlegern der Einzelschriften vorangehen, die ihre Zustimmung zur Ausnahme in die Gesamtausgabe ohne Geldentschädigung, nur gegen Gewährung einer Anzahl (12—25) Freiexemplare des ganzen Werkes und unter der Bedingung gaben, daß Neudrucke dieser Einzelschriften nicht veranstaltet werden durften. Dagegen gab Veit einzelne Abteilungen: Zur theoretischen Philosophie; für Rechts- und Sittenlehre; Religionsphilosophie; Populärphilosophische Schriften heraus, was freilich nicht ausdrücklich kontrahiert, aber den eingegangenen Verpflichtungen nicht entgegen war. J.H. Fichte ließ daher seinen anfänglichen Protest bald fallen. Der Herausgeber erhielt 5 Tlr. pro Druckbogen. Gar manche interessante Mitteilungen finden sich dabei über die Schwierigkeiten, Geld von Nord- nach Süddeutschland zu schickem. Für eine Sendung von 500 Tlr. in preußischen Kassenscheinen mußte Fichte mehr als 10 Tlr. Porto zahlen; einen über eine ähnliche Summe ausgestellten Wechsel Veits konnte Fichte in Tübingen nicht honoriert erhalten. Die persönliche Bekanntschaft zwischen Fichte und Veit wurde in Frankfurt 1848 begründet; später bot Richte ein eigenes Werk, die Ethik, dem Veitschen Verlage an. In die Einzelheiten der zahlreichen, meist sehr ausführlichen Briefe Fichtes von 1841—47 einzugehen, würde zu weit führen; für die Biographie Fichtes und für die Geschichte der Philosophie bieten sie weniges Material. Es darf wohl darauf hingewiesen werden, daß Veit auch in diesem Falle nicht nur allen seinen Verpflichtungen vollkommen nachkam, sondern daß er auch gelegentliche Wünsche und Forderungen, die über seinen Kontrakt hinausgingen, gern befriedigte. Nur ein der Fichteschen Korrespondenz angeheftetes Schreiben mag hier mitgeteilt werden. Es ist ein freilich nur in Abschrift vorliegender Brief Alexanders von Humboldt an M. Veit. Er ist vom 19. Dezbr. 1845 datiert und lautet so:

„Gestatten Ew. Wohlgeb., daß ich wenigstens mit diesen wenigen Zeilen Ihnen meinen wärmsten Dank für das schöne Geschenk Ihrer großen Ausgabe darbringe. Der 5. Band (er enthält die religionsphilosophischen Schriften) hat zur jetzigen Zeit ein besonderes Interesse, da er die mutige Verteidigung eines edlen freigesinnten Mannes gegen atheistische Anschwärzungen enthält. Diese von Ihnen so gepflegte Ausgabe ist ein vaterländisches Monument, mir die angenehme Erinnerung an eine übrigens verhängnisvolle Zeit (1806!), wo ich mit dem prächtigen Manne zugleich den Georgischen Garten bewohnte. Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung

Ew. Wohlgeb. Gehorsamster


A. v. Humboldt.

Ich habe mich besonders gefreut, alle erfreulichen Aphorismen V, 3 wiederzufinden.“


Kurz mag noch darauf hingewiesen werden, daß Veit auch sonst gelegentlich mit Humboldt in Verkehr stand. Allerdings hat sich nur ein einziger Originalbrief Humboldts erhalten, die Empfehlung eines armen Mathematikers. Aber aus anderen Zeugnissen ist mir bekannt, daß Veit sich z. B. der Vermittlung Humboldts bediente, als 1842 das Gerücht auskam, den Juden solle die Pflicht des Militärdienstes entzogen werden, und daß er durch die tatkräftige Vermittlung des großen Staatsmannes und Gelehrten eine erfreuliche Antwort erhielt.

Eine kurze, aber höchst interessante Beziehung ergab sich zu Bettine von Arnim. Folgereich wurde diese dadurch, daß Bettine Veits Verbindung mit ihrem Schwager Savigny herstellte, dessen „System des heutigen römischen Rechts“, 8 Bände (1840—42), Veits Firma trug. Sie selbst, die unbeständige und flatterhafte, die von geschäftlichen Dingen nichts verstand und gerade deshalb wähnte, überall betrogen zu werden, konnte freilich nicht dauernd als Autorin gewonnen werden. Aber mit ihr ergab sich ein kurzer Geschäftsverkehr, der so interessant ist, daß er etwas eingehender gewürdigt werden mag.

Bettine hatte nämlich mit Unterstützung Wilhelm Grimm eine Ausgabe der Werke ihres verstorbenen Gatten Achim von Arnim zusammengestellt. Da in jener Zeit die Neigung des Publikums für die romantischen Produktionen eine ungemein geringe war, so konnte sie keinen Verleger dafür finden und war sehr froh, in Moritz Veit einen tatkräftigen Kommissär zu erlangen, der ihre Interessen beachtete. Da aber trotz der Bemühungen des eifrigen Mannes der Verkauf der Werke den Wünschen der Herausgeberin sehr wenig entsprach, so entzog sie ihm bald das für ihn mehr lästige, als gewinnbringende Kommissionsgeschäft und zog sich seitdem etwas schmollend zurück. Aber in der Zeit dieses Verkehrs (etwa 1838—41) herrschte ein lebhafter Briefwechsel, und gar manchmal erschien Veit bei der geistvollen, dabei höchst wunderlichen Frau. Er selbst hat seinem Freunde Michael Sachs eine Schilderung Bettinens gegeben (1. Juli 1839), aus der eine größere Stelle hier mitgeteilt werden soll.

„Sie spricht womöglich noch schöner als sie schreibt, und erst im Sprechen merkt man, wie alles, auch das Exzentrische, bei ihr die reinste Natur, wie eben die ideale Anschauung der Dinge dieser hochbegabten Frau das Gemäßeste ist; der nachlässige Frankfurter Dialekt macht sich dabei vortrefflich, treuherzig und naiv. Mich ihres Umgangs zu erfreuen habe ich erst angefangen, als ich mir nicht mehr von ihr imponieren ließ; sowie sie dergleichen merkt, suhlt sie sich wie ohne Zügel und zerrt den Hörer in den wunderlichsten Sprüngen mit sich herum. Dann sagt sie alles, was die aufgeregte Phantasie und Kombinationsgabe ihr eingibt, und wehe dem gläubigen Neuling, der sich dann ihre Märchen aufbinden läßt, den sie mit ihrer Ironie nasführt: von einer solchen Stimmung sagte sie mir einmal selbst: „Sie müsse mir nit alles glaube, ich bin so verloge“ und es ist begreiflich, daß sie sich den meisten Menschen, namentlich in Gesellschaft, in dieser Maske zeigt. Daher die Klugen, die Kinder der Welt, ihr nicht ein Wort trauen. Je näher sie mit mir bekannt wurde, je ernster sich auch unsere geschäftlichen Verhältnisse gestalteten, desto wahrhaftiger und treuer habe ich sie gegen mich erfunden. Nur wenn ein Dritter zugegen ist und das Gespräch ins Stocken gerät oder irgendeine philisterhafte Bemerkung sie stachelt, gerät sie in die bachische Laune, die sie mit wahrer Begeisterung durchführen kann. Im Zwiegespräch mit ihr wendet sich das Gleichgültige, Alltägliche ins Bedeutende und Allgemeine; die tiefste Lebensweisheit wirft sie spielend hin, sie entwickelt mir die Motive von all ihrem Tun, die immer die einfachsten und nobelsten sind, die es geben kann, ich disputiere wieder und gebe nicht einen Zollbreit nach, wo sie im Unrecht ist, und so, das fühle ich, hat sich zwischen uns ein Verhältnis gebildet, an dem ich von vornherein verzweifelte, das mir aber die mit ihr erlebten Stunden unendlich wert und lehrreich macht. Sie erzählt mir von der Misere der sogenannten hohen Gesellschaft die ergötzlichsten Sachen und wie sie unter die Wachs- und Drahtpuppen raketenartig dreinfährt; ich habe mein Vergnügen an ihrem edlen Radikalismus, der nicht minder als irgendein Fürstenhut der Welt von Gottes Gnaden ist. Als von der Feigheit die Rede war, mit der sich so viele von den sieben Göttingern abgewandt hätten, um ihre armselige Stellung zu menagieren, die am Ende nur in ihrer Einbildung bedroht war, sagte sie: „Wie der Mensch vor seinem Tode, vor dem Abstreifen der körperlichen Hülle schaudere, so schaudere ihm davor, diesen ganzen Leib von Verhältnissen und Rücksichten, in den er sich hineingewachsen, von sich abzutun; daher erkläre sich das geringe Maß von Überzeugungstreue aus dieser Todesfurcht: denn wahr sein sei doch die einzige Größe.“

In ihren zahlreichen Briefen an Veit hat Bettine Zeugnisse ihres anmutigen Geplauders und ihres naiven Selbstbewusstseins niedergelegt. Einmal schreibt sie: „Freuen Sie sich doch mit mir auf mein schönes Buch“, und ein anderes Mal sagt sie: „Meine Günderode wird Sie entzücken, erlauben Sie mir die Freude, mich für meine Freunde zu freuen, obschon es unbescheiden klingt“. Neben manchen Ausdrücken eines unberechtigten Misstrauens findet sich auch eine Rühmung von Veits Tätigkeit: „Ihre höfliche Freundlichkeit gegen mich gehört unter die Seltenheiten, die also auch in dieser Beziehung ihren erhöhten Wert hat, und macht mich Ihnen doppelt dankbar“. In einer ausführlichen Stelle spricht sie einmal über die Art ihrer Arbeit, wie unendlich fleißig sie sei, daß sie bis in die Nacht hinein schreibe und am frühesten morgen bereits wieder am Schreibtisch sitze, und sie fährt fort: „Da finde ich eine solche Unordnung, wobei jedem Philister die Haare zu Berge stehen würden, ich aber wissend, daß Gott vor dem Chaos nicht graute, da er doch, wie die Pedanten versichern, ein Gott der Ordnung ist, setze mich getrost hinein mitten in die Verwirrung, um sie nicht zu heben, sondern noch zu vermehren . . . heute morgen dachte ich: wo wirst du dem Veit seinen Brief finden, um ihn zu beantworten? Siehe da: die Katze sprang auf den Tisch, warf ein Blumenglas um, daß alles in Wasser schwamm. Bücher, Briefe, Zeitungen, Manuskripte wurden zum Ofen gebracht, und so fand sich Ihr Brief allein aus der Überschwemmung wieder heraus.“

Es war das große Talent Veits, seine Autoren, eben da er sie nicht bloß geschäftsmäßig behandelte, zu seinen Freunden zu gewinnen. Am wenigsten gelang ihm dies mit Theodor Mundt, einem der Mitglieder des jungen Deutschland, der sein Buch über Charlotte Stieglitz im Veitschen Verlage herausgab. Mundt hatte in seinem kurz vorher geschriebenen Roman „Madonna, Gespräche mit eitler Heiligen“, sich wenig freundlich über Veit ausgesprochen, denn in dem Romane kommt einmal der Satz vor: „Da sehe ich auch einen wohlbeleibten Jüngling, ich sehe ihn stark glänzen, der wird sich auch hinsetzen und wird schreiben über den Simonismus, den er nicht versteht“, und so geht es noch eine Weile fort immer mit dem Refrain: „den er nicht versteht“. Wenn Veit von diesem bösen Ausfall Kunde hatte, und es ist gewiß, daß er ihm nicht verborgen blieb, so spricht es außerordentlich für seine Gutmütigkeit, daß er nicht alsbald den Verkehr mit Mundt abbrach.

Die Frau aber, der Mundt jenes merkwürdige biographische Denkmal gewidmet hat, deren Andenken gerade jetzt durch den weitverbreiteten Roman „Henriette Jacoby“ erneuert worden ist, Charlotte Stieglitz stand dem Veitschen Kreise nahe. Ihr Märtyrertod, durch den sie ihren schwächlichen Gatten zu neuer Tätigkeit aufrufen wollte, wurde von Veit und seiner Gattin tief betrauert, aber durchaus nicht verurteilt. Es hat sich in den Veitschen Papieren ein merkwürdiges Aktenstück erhalten, in dem Veit dem Onkel Stieglitz in Petersburg eine Schilderung des tragischen Ereignisses gibt. Lange Jahre noch blieb Stieglitz mit Veit im Verkehr. Freilich das frohe Zusammenleben, das bei den literarischen Anfängen beider während der Herausgabe des Berliner Musenalmanachs geherrscht hatte, war einem gewissen Nebeneinanderleben gewichen. Veit, der auf jedem Gebiete tätige, lebensfrohe Mann konnte den haltlosen Schwächling, der, ohne krank zu sein, sich der Untätigkeit eines Leidenden hingab, und der statt von der heroischen Tat seiner Gattin aufgerüttelt zu werden, sich in seinem angeblichen Schmerz um sie noch mehr verweichlichte und verzärtelte, weder stützen noch liebevoll um sich dulden.

Ein tieferes Verhältnis mit Stieglitz konnte sich schon deshalb nicht gestalten, weil Veit vor den Dichtungen Stieglitz nicht den tiefen Respekt hatte, der ihm auch zu einer Würdigung des Menschen notwendig war. Einen solchen Respekt, der nach unserem kühlen Urteile wohl etwas zu groß war, hatte er vor Leopold Schefer. Auch hier wirkten freilich geschäftliche Rücksichten zur Schließung des Bündnisses mit. Denn Schefer war der Vertrauensmann des damals ungemein beliebten Fürsten Pückler-Muskau, den als Autor zu erwerben einem jungen Verleger sehr angelegen sein mußte. Diese Verbindung kam jedoch nicht zustande — zuerst zeigte sich der Fürst etwas hochfahrend, und als er später, nachdem seine kurze Glanzzeit zu Ende war, sich mit bescheideneren, aber immerhin noch recht ansehnlichen Ansprüchen an den Verleger wandte, zog sich dieser, der sich mit dem Abhub nicht begnügen wollte, vor dem hochgeborenen Dichter zurück.

Konnte nun auch der Fürst Pückler-Muskau nicht für den Veitschen Verlag gewonnen werden, so hatte der zunächst geschäftliche Verkehr mit Schefer den Erfolg, daß Veit und Schefer sich in herzlicher Freundschaft einigten. Auch Schefer wurde ein Autor des Veitschen Verlages, freilich keiner, der große Schätze einbrachte. Eine Gesamtausgabe seiner Schriften, die Veit mit großen Erwartungen unternahm, fand beim Publikum eine so geringe Teilnahme, daß sie 10 Jahre nach ihrem ersten Erscheinen der literarischen Welt in einer Lieferungsausgabe, die aber kein Neudruck war, wiederum angeboten wurde. Aber auch in dieser nur scheinbar veränderten Gestalt vermochte sie die Käufer nicht anzulocken. Dagegen gehörte Veit, der keineswegs alle seine Verlagsartikel bewunderte, sondern seine Kritik auch diesen gegenüber walten ließ, zu den unbedingten Verehrern der Scheferschen Muse. Er sah in ihm nicht bloß einen Dichter schöner Verse, sondern einen Verkünder tiefgründiger Weisheit, ja geradezu einen Propheten. In den vielen Briefen, in denen er feinsinnig auf die Werke des Freundes einging, spendete er ihm das größte Lob. So sagte er z. B. über seine Epigramme: „Es sind leuchtende Blitze darunter, Keulenschläge, Nadelstiche, Raketen“, scheute sich aber nicht, unverhohlen zu bekennen, daß andere unklar und undeutlich ausgedrückt seien. Aber er sah in Schefer einen Vorläufer von David Strauß und konnte dessen Anschauungen vom Christentum nicht hoch genug stellen. Er wünschte, daß der Freund eine rechte „Besprechung zum Frieden“ ausgeben sollte, die der Zeit einen Spiegel vorhalten müsste, oder brauchte einmal in Hinblick aus die Scheferschen Gedichte den Satz: „Es ist in ihnen eine so große Fülle von Schönem, Vollendetem, daß ich die Hoffnung nicht aufgebe, einen Band Gedichte zusammenstellen zu können, wie wir nur wenige in der deutschen Literatur haben.“

In noch höherem Grade als Schefer wurde der Philosoph Karl Werder, der schon Mitarbeiter des Musenalmanachs gewesen war, Veits Freund, ein wahrhafter Lebensgenosse. Werder, dem ein längeres Leben als dem Freunde beschieden war, blieb auch Veits Witwe noch manche Jahrzehnte nach des Gatten Tode ein treu und anhänglich ergebener Freund. Die Intimität zwischen beiden Männern hat durchaus nichts Rührseliges an sich, sondern den starken und festen Charakter einer Männerfreundschaft. Sie tritt nicht in vielen Briefen zutage, da die beiden eng Verbundenen auch räumlich einander so nahe waren, daß sie zu Briefen keine Zuflucht zu nehmen brauchten; die aus den Reisen beider geschriebenen Episteln haben sich leider nicht erhalten. Statt aller anderen Zeugnisse aber sprechen für Werders Gefühl die Sätze, die er 1863 an Moritz Veits Geburtstag nach dem Tode von dessen Bruder an den Freund richtete: „Laß es Dir etwas gelten, daß ich Dich mit einer Zärtlichkeit, die so alt und so grau und so jung und so neu ist, ans Herz drücke und zu Gott siehe: Herr behüte ihn und laß ihn nur, den Freund, den Schatz, das Kleinod, das man nur einmal findet im Laufe des Lebens, wenn man es überhaupt findet. Ach Du alter, treuer Lieber, mir noch immer Lieberer von Jahr zu Jahr! Wenn wir auch jeder unser Weh allein bestehen — denn die schlimmen Tage des Menschen sind sein einziges Privateigentum —, genug und getrost, wenn wir nur die guten ein Lebenlang miteinander teilen mögen und dürfen.“

Veit seinerseits erschöpfte sich gegen den hochstehenden Freund in liebevollen Aufmerksamkeiten und trat, wenn es anging, tatkräftig für ihn ein. Dies geschah nicht bloß dadurch, daß er des Freundes Tragödie „Kolumbus oder die Entdeckung von Amerika“, die 1845 aufgeführt wurde, 1846 gedruckt werden sollte, in Wirklichkeit aber erst 1858 erschien, in seinen Verlag aufnahm und sich bemühte, in Freundeskreisen Anhänger für dieses Werk zu gewinnen und das Publikum dafür zu begeistern. In den Preußischen Jahrbüchern, deren fleißiger Mitarbeiter er war, versuchte er, eine ausführliche begeisterte Würdigung dieses Werkes zu veröffentlichen. Der damalige Redakteur jenes Blattes, Rudolf Haym, Professor der Philosophie in Halle, der Veit gleichfalls persönlich nahe stand, war keineswegs der Ansicht des Beurteilers und versuchte seine Ausstellungen gegen die Lobeserhebungen des Mitarbeiters geltend zu machen. Veit seinerseits war bestrebt, die Größe der Intention, die Bedeutung der Motive, die scharfe und gründliche Charakterzeichnung, die treffliche, gedrungene, fortreißende Sprache des Dichtwerkes darzulegen, ja, ging so weit, nicht etwa verblendet durch Freundschaft, sondern aus wirklicher Überzeugung sein Urteil dahin zu formulieren: „Ich halte das Werk für eines der bedeutendsten in der neueren Literatur.“

In den letzten Jahrzehnten seines Lebens hielt sich Veit sonst von Schriftstellerei zurück. Der Mann, der eine so weitverzweigte Tätigkeit als Leiter eines großen Geschäftes für die Interessen seines Standes als Stadtverordneter, als Abgeordneter des deutschen Parlaments und der preußischen Landtage entwickelte, der Mann, der beinahe ein Vierteljahrhundert die Angelegenheiten seiner Glaubensgenossen, nicht etwa bloß die Interessen der jüdischen Gemeinde in Berlin, sondern in Preußen überhaupt als wahrhafter Führer vertrat, hatte zu journalistischen Arbeiten keine Lust und für zusammenfassende Werke keine Muße. Aber er las viel, und so gern er sich auch in die Werke der Vorzeit seiner Glaubensgemeinschaft vertiefte, so innigen Anteil und so tiefes Verständnis er für die klassische Zeit in der deutschen Literatur besaß, so verschloß er seinen Blick keineswegs gegen die Bestrebungen seiner eigenen Epoche. Vielleicht wurde er nicht immer den Arbeiten seiner Zeitgenossen gerecht. So findet sich einmal in einem vertrauten Briefe ein scharfes missverständliches Wort über Hebbels „Judith“.

Er hatte ein offenes Auge für die Natur und Kunst. Der Poet, der er mehr nach seinem Empfinden war, als nach seinem Können, verriet sich namentlich in vertrauten Schriftstücken bei dem Anschauen bedeutsamer Naturerscheinungen und großer Gebilde der Kunst. In einem merkwürdigen Gedichte über das von Rauch herrührende Denkmal der Königin Luise schilderte er das tiefe Ergriffensein des Meisters und des Fürsten, dem bei dem Anschauen des Kunstwerkes sein ganzes früheres Leben vor die Seele trat, und beschrieb in den folgenden Versen die religiöse Weihe, die ihn, den Beschauer, bei dem Anschauen großartiger Kunsterzeugnisse ergriff:

Sie treten ein. Der rätselhafte Vorhang
Rauscht auseinander. Glanz der Abendsonnen
Bestrahlt den Marmor, der sich lieblich rötet.
Bewältigt sank der König wie zerronnen
In ihr Gebild, zu dem sein Blick empordrang,
Vor ihr ins Knie, die einst der Gram getötet.
Er weint nicht mehr, er betet —
Und auch des Künstlers tief erschüttert Sinnen
Wird zum Gebet. Was er so heiß errungen,
Es ist ihm nun, wie er's erträumt, gelungen,
Wo steht ein Preis, der höher zu gewinnen?
Dies stumme Bild, belebt von einer Zähre,
Das ist sein Werk, doch Gottes ist die Ehre.


Man darf jedoch nicht aus solchen Versen sich das Urteil bilden, als hätte der unermüdlich tätige Mann, sobald er von den Geschäften ausruhte, sich einer weltabgewandten Stimmung hingegeben. Vielmehr stand Veit gern und freudig mitten im Leben. Er versammelte in seinem Hause eine sehr zahlreiche Gesellschaft, der zunächst seine Blutsverwandten und manche seiner Glaubensgenossen angehörten, die sich aber im wesentlichen zusammensetzte aus Männern der verschiedensten Berufe: Politikern, Künstlern, Gelehrten. Es ist unmöglich, eine Liste aller dieser Männer anzuführen. Die besten der deutschen Nation gehören dazu, Politiker wie Mathy, Simson, Lette, Degenkolb, von Auerswald, Bennigsen, Forckenbeck, Delbrück, Gelehrte und Schriftsteller wie Duncker, Beseler, Droysen, Erdmannsdörfer, Rönne, Julian Schmidt, Berthold Auerbach; Künstler wie Bendemann und andere. Auf seinen Reisen traf er mit David Friedrich Strauß, Uhland und manchen anderen Schriftstellern zusammen, die ihn freundlich würdigten.

Es war ein Mann, der als der Stolz der Seinigen galt und von den Besten als ein würdiger Genosse betrachtet wurde. Man kann auf ihn die Verse anwenden, die er einem hohen preußischen Beamten zu seinem Ehrentage widmete:

Ward er nicht von altem Schrot,
Treu und echt erfunden?
Blieb er nicht in Not und Tod
Mit dem Land verbunden?
Trug er nicht für Deutschland auch
Lieb’ im tiefsten Kerne?
Durch den qualmig trübsten Rauch
Sah er Deutschlands Sterne.


In den Beiträgen, die er der Sammlung seines Freundes Michael Sachs „Stimmen vom Euphrat und Jordan“ zuwies, findet sich ein einem alten hebräischen Gedichte nachgeahmter Spruch, in dem er das Wesen eines wahrhaft Adligen darlegen wollte, und mit dem er vielleicht am besten seine eigene Art gekennzeichnet hat:

Wer still und milde trägt, dem, der ihn kränkt,
Empfang’nes Weh nicht zu erwidern denkt,
Wer auch der Schmähung Worte schweigend hört,
Wem bitt’rer Schmerz der Seele Lust nicht stört,
Wer alles tut, nur um der Liebe willen,
Der ist’s, an dem die Worte sich erfüllen:
Die Freunde Gottes strahlen hell und licht,
Der Sonne gleich, die durch die Wolken bricht.


Und wenn auch ihm nicht gewidmet, aber doch durchaus auf ihn zu beziehen, sind die anmutigen Verse seines Freundes Werder:

Ist nur der Himmel klar und heiter,
Grau sei die Erde und betrübt,
Greif’ in die Brust! Was willst du weiter
Als eine Seele, die dich liebt?!





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Deutsche Literatur und die Juden
Alexander von Humboldt (1769-1859),

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Moritz Veit studierte in Berlin

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Gebrüder Jacob (1785-1863) und Wilhelm Karl Grimm (1786-1859)

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Friedrich Schleiermacher (1768-1834), protestantischer Theologe, Publizist und Philosoph

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Karl Ferdinand Gutzkow (1811-1878), deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Journalist

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Mit Henriette Herz hatte er einen regen Briefverkehr

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Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), deutscher Philosoph

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Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716), deutscher Philosoph und Wissenschaftler

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Friedrich Schiller (1759-1805), deutscher Dichter, Philosoph und Historiker, Bild aus dem Jahre 1794

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In Jena machte Moritz Veit sein Doktorexamen

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